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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/106

16. Wahlperiode

02.03.2016

 

106. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 2. März 2016

Mitteilungen der Präsidentin. 10847

1   Rasant steigende Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen – was sind die Schlüsse der Landesregierung aus den jüngst erschienenen Studien des Kinderschutzbundes, des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und der Hans-Böckler-Stiftung?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11286. 10847

Armin Laschet (CDU) 10847

Michael Scheffler (SPD) 10849

Marcel Hafke (FDP) 10850

Andrea Asch (GRÜNE) 10852

Olaf Wegner (PIRATEN) 10853

Minister Rainer Schmeltzer 10854

Bernhard Tenhumberg (CDU) 10856

Ingrid Hack (SPD) 10857

Marcel Hafke (FDP) 10859

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) 10860

Daniel Düngel (PIRATEN) 10861

Ministerin Christina Kampmann. 10862

Bernhard Tenhumberg (CDU) 10864

Britta Altenkamp (SPD) 10865

2   Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushaltsgesetz 2016)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/11250

erste Lesung. 10866

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 10866

Stefan Zimkeit (SPD) 10868

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 10869

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 10870

Dirk Wedel (FDP) 10872

Dietmar Schulz (PIRATEN) 10873

Daniel Sieveke (CDU) 10876

Stefan Zimkeit (SPD) 10877

Ergebnis. 10877

3   Wirtschaftspolitische Kehrtwende endlich einleiten – Zukunftschancen für den Produktionsstandort Nordrhein-Westfalen sichern, Wohlstand und Wachstum stärken, Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11222 – Neudruck. 10877

Dr. Günther Bergmann (CDU) 10877

Dietmar Brockes (FDP) 10878

Frank Sundermann (SPD) 10879

Reiner Priggen (GRÜNE) 10881

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 10882

Minister Garrelt Duin. 10883

Ergebnis. 10885

4   Faulen Kompromiss bei Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen korrigieren – Landesinteressen Nordrhein-Westfalens wahren und Fehlanreize beseitigen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11220. 10885

Ralf Witzel (FDP) 10885

Stefan Zimkeit (SPD) 10886

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 10887

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 10889

Dietmar Schulz (PIRATEN) 10890

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 10891

Ergebnis. 10893

5   Beihilfeberechtigte entlasten und die Beihilfeabrechnung erleichtern

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11231. 10893

Eva Lux (SPD) 10893

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 10894

Werner Lohn (CDU) 10894

Ralf Witzel (FDP) 10896

Dietmar Schulz (PIRATEN) 10897

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 10898

Ergebnis. 10900

6   Die IT-Infrastruktur der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen muss sicher sein – die Gesundheit der Patientinnen und Patienten darf nicht zum Spielball von Kriminellen im Netz werden!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11216. 10900

Daniel Düngel (PIRATEN) 10900

Serdar Yüksel (SPD) 10901

Peter Preuß (CDU) 10902

Arif Ünal (GRÜNE) 10903

Susanne Schneider (FDP) 10904

Ministerin Barbara Steffens. 10904

Ergebnis. 10907

7   Landesregierung muss innovative Modelle zur Finanzierung und zum Bau von Bundesfernstraßenprojekten voranbringen

Antrag
der Fraktion der CDU

Drucksache 16/8643

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses

für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung

und Verkehr

Drucksache 16/11094

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 16/11294
. 10907

Jochen Ott (SPD) 10907

Klaus Voussem (CDU) 10908

Arndt Klocke (GRÜNE) 10910

Christof Rasche (FDP) 10911

Stefan Fricke (PIRATEN) 10913

Minister Michael Groschek. 10914

Ergebnis. 10915

8   Kulturelles Erbe schützen, Freiheit von Kunst und Kultur bewahren und stärken – Gesetzentwurf zum Kulturgutschutz muss gründlich überarbeitet werden

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10915. 10915

Ingola Schmitz (FDP) 10915

Andreas Bialas (SPD) 10917

Michael-Ezzo Solf (CDU) 10917

Oliver Keymis (GRÜNE) 10918

Lukas Lamla (PIRATEN) 10919

Ministerin Christina Kampmann. 10920

Ergebnis. 10921

9   Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen beenden – Klare gesetzliche Regelungen schaffen

Eilantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11287

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11311. 10921

Rainer Bischoff (SPD) 10921

Martina Maaßen (GRÜNE) 10922

Dr. Günther Bergmann (CDU) 10923

Ulrich Alda (FDP) 10924

Torsten Sommer (PIRATEN) 10925

Minister Rainer Schmeltzer 10926

Ergebnis. 10927

10 Informationsfreiheit schützen – Transparenz und einfachen Zugang zu staatlichen Informationen sicherstellen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11219. 10927

Ergebnis. 10927

11 Gesetz über die Regulierungskammer Nordrhein-Westfalen (RegKG NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10189

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Wirtschaft, Energie, Industrie,
Mittelstand und Handwerk
Drucksache 16/10916

zweite Lesung. 10927

Dietmar Brockes (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 10927

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 10927

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 10927

Dr. Günther Bergmann (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 10927

Elisabeth Müller-Witt (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 10927

Minister Garrelt Duin
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 10927

Ergebnis. 10927

12 Gesetz zur Änderung des Landesministergesetzes und weiterer Gesetze

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/11153

erste Lesung. 10928

Minister Thomas Kutschaty
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)

Ergebnis. 10928

13 Neuntes Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/11251

erste Lesung. 10928

Minister Thomas Kutschaty
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)

Ergebnis. 10928

14 Abkommen zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik

Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung
zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/10378

Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/11237. 10928

Angela Freimuth (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 10928

Werner Jostmeier (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 10928

Michele Marsching (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 10928

Hans Christian Markert (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 10928

Elisabeth Müller-Witt (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 10928

Minister Rainer Schmeltzer
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 10928

Ergebnis. 10928

15 22. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit

Vorlage 16/2934

Und:

Stellungnahme der Landesregierung zum 22. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit

Vorlage 16/3580

Beschlussempfehlung
des Innenausschusses
Drucksache 16/11158. 10928

Jens Geyer (SPD) 10929

Theo Kruse (CDU) 10929

Matthi Bolte (GRÜNE) 10930

Marc Lürbke (FDP) 10931

Frank Herrmann (PIRATEN) 10932

Minister Thomas Kutschaty. 10933

Ergebnis. 10934

16 Stärkung und Aufwertung der Pflege durch mehr Selbstverwaltung – Nordrhein-Westfalen braucht eine Pflegekammer

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11224. 10934

Ergebnis. 10934

17 Bargeld – Freiheit – Privatsphäre – PUNKT!
Keine Obergrenze für Barzahlungen! – Wehret der schleichenden Abschaffung des Bargelds und einem weiteren Schritt hin zum Überwachungsstaat

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11217 – Neudruck. 10934

Ergebnis. 10934

18 Kommunen dürfen nicht auf Flüchtlingskosten sitzenbleiben – Landesregierung muss jetzt eine Kurskorrektur bei der Flüchtlingspauschale vornehmen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11228

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11310. 10935

Ergebnis. 10935

19 Funkregulierung: Angriff auf freie Firmware stoppen, Freifunk und Verbraucherschutz bewahren!

Antrag
des Abg. Schwerd (fraktionslos)
Drucksache 16/11214. 10935

Ergebnis. 10935

20 Wahl der stellvertretenden Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/11192. 10935

Ergebnis. 10935

21 Wahl des Vorsitzenden des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11235. 10935

Ergebnis. 10935

22 Wahl der Vertrauensleute und ihrer Stellvertreter für die Ausschüsse zur Wahl der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter bei den Finanzgerichten Düsseldorf und Münster

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11238. 10935

Ergebnis. 10935

23 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 38
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 16/11239. 10936

Ergebnis. 10936

24 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/40
gem. § 97 Abs. 8 GO.. 10936

Ergebnis. 10936

Anlage 1. 10937

Zu TOP 11 – „Gesetz über die Regierungskammer Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Reden

Dietmar Brockes (FDP) 10937

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 10937

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE) 10937

Dr. Günther Bergmann (CDU) 10938

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 10938

Minister Garrelt Duin. 10939

Anlage 2. 10941

Zu TOP 12 – „Gesetz zur Änderung des Landesministergesetzes und weiterer Gesetze“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Thomas Kutschaty. 10941

Anlage 3. 10943

Zu TOP 13 – „Neuntes Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Thomas Kutschaty. 10943

Anlage 4. 10945

Zu TOP 14 – „Abkommen zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik“ – zu Protokoll gegebene Reden

Angela Freimuth (FDP) 10945

Werner Jostmeier (CDU) 10945

Michele Marsching (PIRATEN) 10946

Hans Christian Markert (GRÜNE) 10946

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 10946

Minister Rainer Schmeltzer 10946


Entschuldigt waren:

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft      
Minister Ralf Jäger

Ministerin Barbara Steffens      
(ab 16:45 Uhr bis 18:45 Uhr)

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans      
(ab 14:30 Uhr)

Heike Gebhard (SPD)

Helene Hammelrath (SPD)

Andreas Kossiski (SPD)

Gerd Stüttgen (SPD)

Angela Tillmann (SPD)

Guido van den Berg (SPD)

Marie-Luise Fasse (CDU)

André Kuper (CDU)

Norbert Post (CDU)     
(ab 12:20 Uhr)

Ina Scharrenbach (CDU)           
(ab 16:00 Uhr)

Horst Becker (GRÜNE)

Dr. Joachim Stamp (FDP)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)

 

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Es handelt sich um die 106. Sitzung in dieser Wahlperiode. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 13 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufgenommen.

Außerdem habe ich gehört, dass es auf einer vielbefahrenen Strecke einen Oberleitungsschaden gibt, sodass ein Teil der Kolleginnen und Kollegen, die mit der Bahn aus dem Aachener Raum anreisen, nicht pünktlich im Landtag sein können; wir erwarten sie noch.

Wir dürfen auch heute wieder zum Geburtstag gratulieren, und zwar Frau Kollegin Josefine Paul von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Frau Kollegin Paul, ich gratuliere Ihnen im Namen des Hohen Hauses ganz herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag, wünsche Ihnen alles Gute für den weiteren Lebensweg, die politische Arbeit und dass Sie heute noch einen schönen Tag – auch im Kreise Ihrer Familie und Ihrer Freunde – verbringen können. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall von allen Fraktionen)

Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, gleich mit den Glückwünschen fortfahren. Ich möchte Ihnen gerne Folgendes mitteilen und im Namen von uns allen Herrn Kollegen Jostmeier unsere Glückwünsche aussprechen: Durch Verbalnote des Auswärtigen Amtes an das Land Nordrhein-Westfalen vom Februar dieses Jahres ist unser Kollege Werner Jostmeier von der CDU-Fraktion offiziell zum Honorarkonsul der Republik Bulgarien und zum Leiter der honorarkonsularischen Vertretung für den Konsularbezirk Nordrhein-Westfalen ernannt worden.

Lieber Herr Kollege Jostmeier, wir hatten gestern Gelegenheit, uns ganz kurz dazu auszutauschen. Aber es ist mir wirklich eine besondere Freude, dies den Kolleginnen und Kollegen vor der Plenarsitzung bekannt zu geben. Wir gratulieren Ihnen sehr herzlich und wünschen Ihnen für dieses verantwortungsvolle Ehrenamt Glück und Erfolg. Jedes Engagement, Herr Kollege Jostmeier, das stabilisierend innerhalb der Europäischen Union und speziell auf den Balkan wirkt, können wir nur begrüßen und unterstützen. Herzlichen Glückwunsch und von Herzen alles Gute!

(Beifall von allen Fraktionen)

Als Letztes, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich Ihnen vor Eintritt in die Tagesordnung noch folgenden Hinweis geben:

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 31. Januar 2016 die Haushaltssatzung des Landesverbandes Lippe für das Haushaltsjahr 2016 sowie zwei Durchschriften des Genehmigungserlasses des Ministeriums für Inneres und Kommunales zugesandt. Gemäß § 10 des Gesetzes über den Landesverband Lippe bitte ich um Kenntnisnahme. – Diese stelle ich hiermit fest. Die Unterlagen können, wie Sie wissen, im Archiv eingesehen werden.

Mit diesen Glückwünschen und Vorbemerkungen treten wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Rasant steigende Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen – was sind die Schlüsse der Landesregierung aus den jüngst erschienenen Studien des Kinderschutzbundes, des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und der Hans-Böckler-Stiftung?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11286

Die Fraktion der CDU hat mit Schreiben vom 29. Februar 2016 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden CDU-Fraktion Herrn Kollegen Laschet das Wort.

Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tagesordnungspunkt heißt „Aktuelle Stunde“. Aber manchmal heißen Tagesordnungspunkte „Aktuelle Stunde“, ohne aktuell zu sein. Selten diskutieren wir in diesem Landtag aktuellere Themen als das heutige Thema.

Wir haben heute Morgen bzw. gestern die Zahlen der Agentur für Arbeit bekommen. Die Arbeitslosigkeit sinkt in ganz Deutschland. Sie sinkt im Vergleich zum Februar vor einem Jahr. Sie sinkt in Deutschland sogar von Januar zu Februar – eine eher ungewöhnliche Entwicklung, die aber zeigt, wie stark die Wirtschaft in Deutschland ist. – Aber in Nordrhein-Westfalen steigt sie von Januar zu Februar erneut.

In dieser Lage haben wir in den letzten Tagen Berichte völlig unabhängiger Institutionen bekommen, die die Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen analysiert haben.

Kinderarmut sollte eines der Hauptprojekte dieser Regierung sein. „Kein Kind zurücklassen!“ Dieser von George W. Bush stammende übersetzte Spruch der Ministerpräsidentin war das Leitmotiv, an dem man sich messen lassen wollte.

„Kein Kind zurücklassen!“ – Dafür hat man Milliarden Schulden gemacht. Dafür ist man viermal vor dem Landesverfassungsgericht gelandet. Man ist da gelandet, weil die Begründung war: Wir wollen einen neuen Begriff von Investitionen. Investitionen, das ist nicht das Klassische. Kinderarmut bekämpfen ist unser Maßstab. Das sind Investitionen in die Zukunft.

(Beifall von der CDU)

Deshalb ist es bemerkenswert, dass der Kinderschutzbund jetzt sagt: In Nordrhein-Westfalen sind immer mehr Regionen von Kinderarmut geprägt. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sagt: In keinem anderen westdeutschen Flächenland ist die allgemeine Armutsquote so stark angestiegen wie in Nordrhein-Westfalen. Ich zitiere aus dem Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes: „Nordrhein-Westfalen ist damit das Bundesland, das in der mehrjährigen Sicht die schlechteste Entwicklung zeigt.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist aktuell, das ist alarmierend. Deshalb müssen Sie endlich wach werden und eine Kursänderung in diesem Land einleiten!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Hans-Böckler-Stiftung, die nun wirklich nicht der Union nahesteht – es ist eine gewerkschaftsnahe Institution –, sagt: In keinem anderen Bundesland ist die Kinderarmutsquote seit 2010 so gestiegen wie in Nordrhein-Westfalen. – Zur Erinnerung: 2010 war das Ende der Regierungszeit von Jürgen Rüttgers. Danach sollte alles besser werden. Die Hans-Böckler-Stiftung attestiert: Für die Kinder in Nordrhein-Westfalen ist alles schlimmer geworden. – Und das ist nicht gut!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Hans-Böckler-Stiftung gibt auch die Antwort auf die Frage: Was kann man denn da tun? – Man kann das machen, was wir hier seit Langem sagen: Es geht nicht um Modellprojekte. Es geht nicht darum, sich mit Frau Liz Mohn und der Bertelsmann Stiftung in zwölf Modellkommunen hinzustellen, die eh schon gute Arbeit machen, und zu sagen: Hier machen wir jetzt mal Prävention. Vielmehr geht es darum, mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen. Arbeit, Arbeit, Arbeit – das muss der Schwerpunkt sein!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Unsere Kritik hierzu ist: Natürlich muss man immer Ökologie und Ökonomie miteinander abwägen. Unser Eindruck aber ist: Die Ökonomie bzw. die Arbeitsplätze – in der Emscher-Lippe-Region oder wo auch immer in diesem Land – sind immer nur zweiter Schwerpunkt Ihrer Politik. Wenn es so ist, dass bei uns die Kinderarmut so zunimmt, muss ab sofort – vielleicht ähnlich wie bei der inneren Sicherheit – ein 15-Punkte-Programm her, in dem Sie sagen: Die letzten sechs Jahre ist es falsch gelaufen, jetzt kümmern wir uns um Wirtschaftspolitik, um Arbeit in Nordrhein-Westfalen. Das wäre ein gutes Signal.

(Beifall von der CDU)

Das ist der eine Teil. Das bedeutet, dass man sich den Landesentwicklungsplan einmal im Hinblick darauf anschaut: Wie schaffen wir mehr Arbeit? Alle Gesetze und Regulierungen sollten unter dem Aspekt angeschaut werden: Wie können wir mehr Arbeit in Nordrhein-Westfalen ermöglichen? Wenn Sie das tun, tun Sie das, was Ihnen die Hans-Böckler-Stiftung empfiehlt, nämlich mehr für Arbeitsplätze zu tun.

Ein Zweites, Frau stellvertretende Ministerpräsidentin: Die Bildungspolitik ist das zweite Element. Jede Stunde Unterrichtsausfall ist für die Kinder, denen die Eltern nicht helfen können – wo nicht Nachhilfe bereitsteht und wo es keine Helikoptereltern gibt, die sich von morgens bis abends um das Kind kümmern –, ein Anschlag auf die Bildungschancen dieser Kinder, Frau Löhrmann. Es ist ein Anschlag!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn die Bildungschancen schlecht sind, befördert genau das die Kinderarmut.

Wir erfahren hier inzwischen von Eigeninitiativen der Eltern, die den Unterrichtsausfall messen, weil das Land es nicht mehr macht, weil Sie nicht bereit sind, überall wirklich digital den Unterrichtsausfall zu messen und dann Abhilfe zu schaffen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist doch Unfug! –Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

– Frau Asch, jede Stunde Unterrichtsausfall ist schlecht. Egal, wie man parteipolitisch motiviert ist, muss man das attestieren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

– Frau Asch, wir kennen uns ja aus langen Debatten in unterschiedlichen Rollen. Wenn Sie bei Ihrer Rede, die Sie gleich halten werden, nur einmal eine Zehntelsekunde lang den Maßstab anlegen, den Sie an mich und an die Regierung Rüttgers angelegt haben, nur eine Zehntelsekunde,

(Beifall von der CDU und der FDP)

und dann über Kinderarmut sprechen, dann wird das eine bittere Bilanz für diese Regierung.

Wir haben damals gerungen, und es war nicht optimal. Aber Ihnen sollte zu denken geben, dass alle Analysen sagen: Heute ist es schlimmer als 2010. Wir sehnen uns zurück nach einer Zeit, in der sich um Bildung gekümmert wurde!

(Anhaltender lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Scheffler.

Michael Scheffler (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich eben sehr gewundert, dass sich Herr Kollege Laschet bei dem Thema „Bildungspolitik, Bildungsarbeit“ hier so aufgeblasen hat. Da hat eben der Vater des Kinderbildungsgesetzes gesprochen. Ich glaube, das war der größte Kollateralschaden, den wir bisher im Bereich der frühkindlichen Bildung in Nordrhein-Westfalen gehabt haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege Laschet, ich empfehle Ihnen, nicht nur in Talkshows herumzusitzen,

(Zurufe von der CDU)

sondern auch einmal in Kindertageseinrichtungen zu gehen und mit Erzieherinnen zu sprechen, die unter Ihrem Werk immer noch zu leiden haben. Dann werden die Ihnen etwas zur frühkindlichen Bildung erzählen. Das gebe ich Ihnen schriftlich.

(Beifall von der SPD)

Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich als Geschäftsführer, der auch für Kindertageseinrichtungen zuständig war, als Ihr Gesetz umgesetzt werden musste, viele schlaflose Nächte hatte, weil ich nicht wusste, wie ich die beschäftigten Frauen weiter halten kann, die damals bei uns beschäftigt waren. Das müssen Sie sich ins Stammbuch schreiben lassen. Und das macht auch einen Teil Ihrer Glaubwürdigkeit aus.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Jetzt will ich gerne etwas zum Thema „Arbeitslosigkeit“ sagen. Wenn man einen Monat betrachtet, sieht das natürlich immer so aus, wie man das gerne möchte.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Es sieht so aus, wie es aussieht!)

Ich empfehle Ihnen aber, die letzten Monate insgesamt zu betrachten. In dieser Zeit hat auch die Arbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen abgenommen. Wir haben jetzt eine Situation, wie sie meistens zweimal im Jahr auftritt, dass Bildungsabschlüsse im Zusammenhang mit den Ausbildungsverträgen gemacht worden sind.

(Armin Laschet [CDU]: Das ist überall so!)

Das wirkt sich natürlich entsprechend auf die Arbeitslosigkeit aus, und das wird sich auch wieder entsprechend regulieren. Wir haben alleine von 2014 bis 2015 in Nordrhein-Westfalen 159.000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu verzeichnen. Ich finde, Herr Kollege Laschet, darüber sollten wir uns gemeinsam freuen und das nicht schlechtreden.

(Beifall von der SPD)

Herr Kollege Laschet, zur gesamten Wahrheit gehört natürlich auch, dass wir in Deutschland – den entsprechenden Anteil davon in Nordrhein-Westfalen – 60.000 Aufstocker weniger haben, weil wir von der SPD es in der Bundeskoalition gegen den erklärten Willen der CDU und CSU geschafft haben, das Thema „Mindestlohn“ durchzusetzen und dafür zu sorgen, dass Menschen mindestens 8,50 € die Stunde verdienen. Ich kann Ihnen sagen: Darauf, dass uns das gelungen ist, sind wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch stolz!

(Beifall von der SPD – Lutz Lienenkämper [CDU]: Sind Sie auch auf die Kinderarmut stolz?)

Dann müssen Sie sich auch noch eines ins Stammbuch schreiben lassen: Die Haushaltsverhandlungen in diesem Haus liegen noch nicht so lange zurück. Wenn Sie von Bildung und frühkindlicher Bildung reden, dann frage ich mich, warum Ihre Fraktion beantragt hat, über 160 Millionen € für das beitragsfreie letzte Kindergartenjahr im Landeshaushalt zu streichen. Herr Laschet, was soll der Quatsch?

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Armin Laschet [CDU]: 50 % sind beitragsfrei! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Jetzt seien Sie einmal still!

(Lachen von der CDU und der FDP)

Herr Laschet, von diesem beitragsfreien letzten Kindergartenjahr profitieren insbesondere die Personengruppen und Menschen, die Niedriglohn verdienen

(Zurufe von der CDU)

– jetzt hören Sie mal weiter zu! –, und insbesondere die Personen, die mit ihrem Verdienst ein Stückchen über den Sätzen liegen, sodass es angerechnet wird und sie Kindergartenbeiträge zahlen müssen.

(Beifall von der SPD)

In diesen Haushalten macht das eine ganze Menge aus, ob man im Monat 100 oder 130 € mehr oder weniger hat. Das ist manchmal dafür entscheidend, ob sie im Monat über die Runden kommen. Das ist sozialdemokratische Politik, und auch darauf sind wir stolz, Herr Laschet!

(Beifall von der SPD)

Darüber hinaus sind wir froh, dass es uns gelungen ist, die Niedriglöhne in Nordrhein-Westfalen zurückzudrängen, sodass die Menschen in Nordrhein-Westfalen und im Bund mehr Geld verdienen und zur Verfügung haben.

Auf Bundesebene gibt es noch eine andere Baustelle, die heute Nachmittag eine Rolle spielen wird, nämlich das Thema „Werkverträge und Leiharbeit“.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Was hat das mit Kinderarmut zu tun?)

Auch da erleben wir im Moment, dass Sie zur Verbesserung der Situation der Menschen eher hinderlich sind, als bereit zu sein, die entsprechende Unterstützung zu gewähren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich würde mich freuen, wenn es Ihnen gelingen würde, Ihre Schwesterpartei aus Bayern endlich einmal an die Kandare zu nehmen.

(Klaus Kaiser [CDU]: Da ist aber auch alles drin!)

Das gelingt Ihnen in anderen Fällen ja nicht, und es wird Ihnen hier wahrscheinlich auch nicht gelingen.

Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Laschet sagt, dass sich viele Menschen in Nordrhein-Westfalen die Regierung Rüttgers zurückwünschen. Das ist, würde ich behaupten, eine kleine und zu vernachlässigende Minderheit. Ich kenne keinen, der sich diese Zeiten zurückwünscht, wo Politik nicht auf Augenhöhe, nicht für die Menschen gemacht worden ist.

Ich kann Ihnen zum Abschluss eines ganz klar sagen, meine Damen und Herren: Ich habe in vielen Bereichen den Eindruck, dass, wenn es darum geht, Politik für die Menschen zu machen, Mittel zur Verfügung zu stellen, bei Ihnen die schwarze Null im Vordergrund steht. Bei uns, bei der SPD, steht die Politik für Menschen im Vordergrund. Und das ist das Entscheidende. – Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Scheffler. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage, die die CDU heute aufwirft, ist wahrlich gut: Welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus den empirischen Erkenntnissen, die ihr ein Versagen in ihrem angeblichem Kernbereich bescheinigen?

Denn darum geht es. Für eine Landesregierung, die von Beginn an das Mantra „Kein Kind zurückzulassen!“ vor sich herträgt, ist die Armutsbekämpfung ein Pflichtprogramm. Wir haben keine großen Erwartungen an Sie gehabt, was das Thema Wirtschafts- und Industriepolitik angeht, aber wir hatten die Erwartung, dass Sie eine exzellente Sozialpolitik machen würden.

Und nach sechs Jahren im Amt müssen wir feststellen, dass Sie keinerlei durchschlagende Erfolge vorzuweisen haben und noch nicht einmal erste Ansätze präsentieren können.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, wir stellen aber tatsächlich fest: Die Kinderarmut sinkt nicht. Sie steigt – und das besonders stark in dem Bundesland, in dem eine rot-grüne Landesregierung genau dieses Thema zu ihrem Kernanliegen gemacht hat. Das ist nicht nur peinlich, das ist auch unverantwortlich, weil Sie Hoffnungen geweckt haben, die Sie nun enttäuschen.

Da die Ministerpräsidentin selbst mit dem Leitsatz „Kein Kind zurücklassen!“ angetreten ist, ist das auch ganz persönlich ihr Versagen. Aus Hannelore Kraft, die Sich-Kümmernde, wurde erst Hannelore Kraft, die Schuldenkönigin, und nun wird sie Hannelore Kraft, die Enttäuschende.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Kinderarmut – das wissen wir alle – hat zwei tragische Elemente: zum einen den Status quo, der eine gesellschaftliche Teilhabe verhindert, der Familien an ihren Träumen scheitern lässt, der Kinder abhängt, und zum andern – und das ist fast noch tragischer – die Perspektivlosigkeit. Wir wissen: Wer heute in Armut aufwächst, wird wahrscheinlich auch arm bleiben. Oder, in Ihrer Sprache ausgedrückt: Wer als Kind zurückgelassen wird, bleibt zurück. Die politische Aufgabe sollte also jedem klar sein: Es geht darum, Perspektiven zu schaffen.

(Beifall von der FDP)

Die von der CDU angesprochenen Studien verdeutlichen noch einmal das Problem. Die richtigen Schlüsse hätte man natürlich schon längst ziehen können, weil der Befund ja nicht neu ist. Aber nach sechs Jahren Rot-Grün in diesem Land dürfen wir nun feststellen: Es ist kaum etwas passiert, im Gegenteil: Es ist schlimmer geworden. Ein Viertel der Kinder, 25 % der Kinder in diesem Land leben in Armut. Jedes dritte Kind im Ruhrgebiet lebt von Hartz IV. Was ist Ihr Konzept dagegen?

Ihr großes Projekt war: „Kein Kind zurücklassen!“ – einige Modellprojekte in den Kommunen. Ein guter Ansatz, keine Frage. Aber was passiert dort? Tatsächlich wenig, was Sie sich anrechnen können. In das Projekt sind kaum investive Mittel des Landes geflossen. Das ersetzt natürlich auch keine Strukturverbesserungen, die flächendeckend dringend nötig wären.

Da, wo eigene Mittel reinfließen – es ist unbestritten, dass das Land auch in soziale, in Präventionsprojekte investiert –, darf man dann, wenn am Ende steigende Armutsquoten stehen, feststellen, dass hier irgendetwas nicht richtig funktioniert. Offenbar kommen die Mittel nicht da an, wo sie gebraucht werden. Offenbar wirken sie nicht so wie beabsichtigt.

Meine Damen und Herren, Wirksamkeit ist ein Begriff, mit dem Rot-Grün eh nichts anfangen kann. Seit Langem fordern wir Sie auf, die familienpolitischen Leistungen zu evaluieren. Dann würden wir ganz genau wissen, wie welche Maßnahmen, wie welches Projekt wirkt, wo es Nachsteuerungsbedarf gibt, wo man Mittel sparen kann und wo man mehr Mittel investieren muss. Das wäre eine vernünftige und kluge Politik.

Frau Ministerin Kampmann, das hätte auch Ihr guter Einstieg in die Regierung sein können, mal ganz ehrlich zu schauen: Was läuft gut, und was läuft nicht so gut? Stattdessen machen Sie da weiter, wo Ihre Vorgängerin aufgehört hat: bei der Politik der Ankündigung. Allerdings werden Sie am Ende daran gemessen werden. Ein Modellprojekt zur Armutsprävention, das Ihre Vorgängerin auf den Weg gebracht hat, das die Ministerpräsidentin durch alle Talkshows geschleppt hat – das wird wohl etwas dürftig sein.

Also, evaluieren wollen Sie nicht, übrigens auch grundsätzlich nicht – das stand sogar im Kinderbildungsgesetz. Da haben Sie sich auch verweigert, was ich als falsch, feige und fortschrittfeindlich empfinde. Aber man könnte ja annehmen, dass Sie dann bei den Dingen richtig Gas geben, die völlig unstrittig sind.

Denn eines wissen wir alle: Die beste Armutsprävention, der beste Weg aus der Armut heraus ist Bildung. Wenn Sie also eine gute Bildungspolitik machen würden, dann wäre das schon die halbe Miete. Aber auch das läuft ja nicht. Noch immer ist die Durchlässigkeit des Bildungssystems schlecht. Wer unten einsteigt, hat kaum Chancen aufzusteigen.

Und dass dann vor einigen Tagen schlechte Zeugnisse von Eltern und Lehrern an die Landesregierung verteilt wurden – wen wundert das denn noch? Eine „Vier minus“ ist aber für ein Land, das Aufstieg will, das Kinder fördern will, das Wohlstand sichern will, viel zu wenig.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es fängt schon ganz vorne bei den Kleinsten an. Statt alles in Qualität, in beste Bildung zu investieren, haben Sie ein teures Wahlgeschenk gemacht. Herr Scheffler, wer profitiert denn vom beitragsfreien Kindergartenjahr? Das sind doch nicht die armen Kinder. Es geht kein Kind zusätzlich in den Kindergarten. Es ist ausschließlich ein Programm für Besserverdiener in diesem Land.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es hat nichts mit einer guten Bildung in Nordrhein-Westfalen zu tun!

Herr Scheffler, wenn Sie Kinder gerade aus bedürftigen, aus bildungsschwachen Haushalten fördern wollen, dann müssen Sie endlich einen qualitativ hochwertigen und flächendeckenden Ganztag auf den Weg bringen. Wenn Sie etwas gegen Arbeitslosigkeit, das größte Armutsrisiko, tun wollen, dann müssen Sie den Arbeitsmarkt in Schwung bringen und kein Tariftreuegesetz einbringen. Das wäre eine Maßnahme.

Wenn Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken möchten, dann müssen Sie dort anpacken. Sie haben es in sechs Jahren versäumt, über 24-Stunden-Kitas, über Rand-Betreuung zu sprechen, um Bedarfe für Alleinerziehende zu berücksichtigen, die diesen Bedarf haben. Eine Krankenschwester hat in Nordrhein-Westfalen keine Möglichkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren, weil Sie sich aus ideologischen Gründen dieser Debatte verweigern. So sieht es hier in Nordrhein-Westfalen aus.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn Sie sozialen Aufstieg ermöglichen wollen, dann dürfen Sie das auch nicht mit dem Steuertarif verhindern. Herr Hilgers vom Kinderschutzbund hat es angesprochen. Den Abbau der kalten Progression hätten Sie über den Bundesrat einbringen und so gerade kleine und mittlere Einkommen entlasten und damit den Arbeitsmarkt beleben können.

Meine Damen und Herren, das hätten Sie alles tun können. Das alles könnten Sie tun. Und das alles müssten Sie tun. Das ständige Wiederholen Ihres Mantras „Kein Kind zurücklassen!“ hat sich abgenutzt. Deshalb bleibt die Frage richtig und wartet auf eine Antwort: Was für Schlüsse zieht die Landesregierung aus dieser katastrophalen Situation? – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Asch.

Andrea Asch (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Union fragt heute in der Aktuellen Stunde nach den Schlüssen aus den neuen Kinderarmutsstudien. Ich sage: Ja, wir müssen darüber diskutieren, ausführlich, ernsthaft und mit offenem Visier. Aber vor allen Dingen müssen wir faktenbasiert darüber sprechen.

Herr Laschet, zu den Fakten gehören die Armutsberichte, die die verschiedenen Fachverbände vorgelegt haben. Ich fordere Sie dazu auf, sie einmal ausführlich zu lesen. Aber das wissen wir ja schon aus Ihrer Zeit als Minister. Das ausführliche Studieren von Akten war noch nie Ihre Sache.

(Widerspruch von der CDU)

Wenn Sie es ausführlich lesen würden, dann könnten Sie feststellen, dass die Kinderarmut seit dem Jahr 2006 angestiegen ist. Wir wissen – ich erinnere mich ungern an diese Zeit –, dass die Regierungsverantwortung in den Jahren 2005 bis 2010 leider in den Händen von CDU und FDP lag. Das sind die Fakten. Diese Wahrheit können Sie hier nicht einfach unterschlagen.

(Zurufe von der CDU)

Wir müssen über die grundlegenden Ursachen von Kinderarmut reden. Dazu fordere ich die Union auf. Der Bericht sagt sehr eindeutig, dass es – wen wundert es? – die materielle Armut der Familien ist.

Meine Damen und Herren, wir müssen doch über die Lösungswege diskutieren, die uns die Fachleute in dem Armutsbericht aufzeigen. Da ist nachzulesen, dass die Einkommen das zentrale Mittel für Teilhabe- und Verwirklichungschancen darstellen. Daraus leiten die Fachverbände vier Hauptforderungen ab.

Erstens: mehr Umverteilung von oben nach unten.

Zweitens: gerechtere Besteuerung von hohen Einkommen.

Drittens: bedarfsgerechte Regelsätze für Kinder als kurzfristige Maßnahme.

Viertens: eine Kindergrundsicherung als langfristige Maßnahme.

Das sind die großen Stellschrauben, die uns die Fachverbände hier aufgeben. Darüber brauchen wir eine ernsthafte Debatte, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen rufe ich auch die CDU auf: Machen Sie es sich nicht so einfach! Ducken Sie sich nicht weg!

Ich frage: Wie stehen Sie denn genau zu den Lösungsansätzen der Fachverbände? Ich frage Sie auch: Wo sind die Initiativen der starken NRW-CDU, die doch sozialer sein will als andere in Nordrhein-Westfalen und natürlich als die Ellenbogenpartei FDP? Wo ist denn der Druck, den Ihre zahlenmäßig starke Landesgruppe in Berlin macht? Wo sind die Initiativen der von Ihnen geführten Bundesregierung gegen Kinderarmut? Vor allen Dingen frage ich Sie ganz konkret – das sind Sie uns heute Morgen wie immer schuldig geblieben, Herr Laschet –: Wo sind denn die Aktivitäten der CDU-Fraktion, der größten Oppositionsfraktion hier im Landtag? Wo sind Ihre Konzepte? Wo sind Ihre Lösungsvorschläge?

(Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, wer über die Armutsberichte diskutieren will und über solche Fragen und die Lösungen schweigt, der führt keine ernsthafte Debatte, sondern nur Scheingefechte.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dabei ist das Thema sehr wichtig und brennend aktuell. Ja, es ist nicht hinnehmbar, dass in einem der reichsten Länder der Welt Kinder in Armut aufwachsen müssen; denn die Kinder können aus eigener Kraft nichts an ihrer prekären Lage ändern. Nur zu oft – das wissen wir – müssen sie ihr Leben lang die Folgen tragen. Weil wir die Zusammenhänge kennen, steht die Bekämpfung der Kinderarmut ganz oben auf der Prioritätenliste der rot-grünen Koalition.

(Zurufe von der CDU)

Seit dem Jahr 2010 – vielleicht hören Sie mal zu, wenn Sie sich nicht mehr erinnern – haben wir eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht.

(Zurufe von der CDU)

Mit dem Zweiten KiBiz-Änderungsgesetz haben wir wie schon mit dem Ersten das korrigiert, was Sie als Familienminister in der Kitalandschaft an verbrannter Erde hinterlassen haben, Herr Laschet. Das ist die Wahrheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben speziell für die benachteiligten Kinder die plusKITA geschaffen. 45 Millionen € nehmen wir zusätzlich in die Hand, um den Kindern mehr frühe Bildung und Förderung zu ermöglichen. Wir finanzieren den Gebührenerlass in der Familienbildung für benachteiligte Familien. Wir haben das Modell „Kein Kind zurücklassen!“ auf den Weg gebracht, um gemeinsam mit den Kommunen Präventionsketten aufzubauen. Wir haben 2013 das Handlungskonzept gegen Armut und soziale Ausgrenzung beschlossen. Im Sommer 2015 hat NRW das Programm „NRW hält zusammen“ gestartet, auch hier mit dem Schwerpunkt Armutsbekämpfung.

Dann haben wir noch ein Weiteres gemacht, um die Fehler der Bundesregierung auszumerzen: Wir haben die Schulsozialarbeit mit 47 Millionen € weiterfinanziert. Ihre Bundesregierung hat sich geweigert, das fortzuschreiben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das alles sind wichtige und notwendige Maßnahmen, die aber in der Tat langfristig wirken. Wie hat sich die CDU verhalten, als wir diese Maßnahmen für die Kinder, für die benachteiligten Familien beschlossen haben? PlusKITA – NRW-CDU ist dagegen. Unser Haushaltsantrag zur Beitragsfreiheit der Familienbildung – NRW-CDU ist dagegen. Stattdessen fordern Sie – das ist besonders bitter –, dass 20 % aller freiwilligen Leistungen in der Familienhilfe gestrichen werden. Das ist Ihre Politik gegen Familien und Kinder. Das ist nicht hilfreich, sondern durch solche Maßnahmen wird die Kinderarmut noch weiter wachsen.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva Voigt-Küppers [SPD])

Meine Damen und Herren von der Union, beim Kampf gegen die Armut haben Sie weder im Bund noch im Land etwas zu bieten. Sie sind hier nicht nur bei null, Sie sind tief im Minusbereich. Gerade deswegen finde ich es ganz schön mutig, um nicht zu sagen, tollkühn, dass Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Ich fordere Sie auf: Kochen Sie nicht auf dem Rücken von Kindern und Familien Ihre parteipolitischen Süppchen. Wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen. Das ist der Weg.

(Beifall von Jutta Velte [GRÜNE])

Nur so können wir die Kinderarmut wirkungsvoll bekämpfen. Zu diesem gemeinsamen Weg lade ich auch die CDU-Fraktion sehr herzlich ein. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Das, was ich hier mitbekommen muss, finde ich sehr schade. Ich hatte mich eigentlich gefreut, als ich den Titel des Antrags der CDU gelesen habe, und gedacht, dass heute wirklich über das Problem der Kinderarmut geredet wird.

Das Wort oder überhaupt das Problem „Kinderarmut“ ist zwar immer mal wieder erwähnt worden, aber alle Redner, die bis jetzt hierzu gesprochen haben – eine kleine Ausnahme bildet Frau Asch, das muss ich ihr zugutehalten –, haben diesen Begriff immer nur als Aufhänger genommen, um irgendwelche anderen Programme, die die Regierung auf den Weg gebracht hat, zu verteidigen, die nicht direkt etwas mit der Kinderarmut zu tun haben.

Die Opposition, vor allem die CDU, hat auch nur auf der Regierung herumgehauen, ohne konkrete Vorschläge zu machen, wie die Kinderarmut in diesem Land wirklich zu bekämpfen ist.

Ich muss Frau Asch recht geben. Es ist ein Skandal, dass es im reichen Deutschland überhaupt arme Kinder gibt. Aber das ist kein spezielles Problem von Nordrhein-Westfalen, sondern das ist ein gesamtdeutsches Problem.

Sie hatten es schon gesagt: Die Arbeitslosenzahlen sinken, aber die Kinderarmut in Deutschland nimmt zu. Natürlich nimmt sie in Nordrhein-Westfalen dann auch stärker zu, wo die Arbeitslosenzahlen nicht so stark sinken oder auch steigen. Das ist nicht die Frage. Aber die Diskrepanz zwischen einer steigenden Zahl nicht arbeitsloser Menschen und Kinderarmut ist doch wohl offensichtlich.

Kommen wir noch einmal zum Titel zurück. Sie fragen: Welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus den Berichten über die Kinderarmut? Das wissen wir noch nicht. Die Landesregierung wird gleich etwas dazu sagen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das weiß die auch nicht!)

Ich hoffe, dass sie ein bisschen mehr sagt, als zurzeit die regierungstragenden Fraktionen, die auf das Thema“ Kinderarmut“ – zumindest Herr Scheffler – meiner Meinung nach nicht eingegangen sind. Wie gesagt, die Antworten der Regierung kennen wir noch nicht. Ich kann nur die Antworten geben, die wir Piraten aus diesen Berichten ziehen.

Der Umstand der Kinderarmut ist auf einer Ebene ohne Probleme sofort zu beheben. Genau die Empfehlungen stehen auch in den Berichten. Wir brauchen eine Kindergrundsicherung in Form eines Kindergrundeinkommens, sodass jedem Kind ein bestimmter Betrag zur Verfügung gestellt wird, der ihnen die soziokulturelle Teilhabe ermöglicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Jetzt schaue ich zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD. Ihre Parteifreunde und Parteifreundinnen auf Bundesebene könnten die Kinderarmut, wenn sie es nur wollten, von heute auf morgen beenden. Die Zahlen sind bekannt – das ist ganz klar –: Es sind um 550 € für jedes Kind – ohne weiterhin Kindergeld zu zahlen –, um die soziokulturelle Teilhabe in diesem Land zu sichern.

Allerdings stimmt das nicht ganz; auch diese Rechnung ist uns vor Kurzem in der Enquetekommission aufgemacht worden. Selbst wenn wir jedem Kind genug Geld für sein auf sich bezogenes soziokulturelles Existenzminimum geben, heißt das nicht, dass die Familie ausreichend versorgt ist. Kein Kind lebt alleine, kein Kind muss einen Haushalt allein bestreiten. Das heißt, es ist immer abhängig von dem Gesamthaushalt.

Damit kommen wir schon zu dem nächsten Punkt, in dem die Piraten die Lösung sehen: Wir brauchen mindestens auch ein Grundeinkommen für Eltern. Denn eines muss uns klar sein: Die Existenzängste, die Eltern haben, übertragen sich immer auf das Kind. Was soll man machen? In einem Haushalt, in dem die Eltern zu wenig Geld haben, um an der Gesellschaft teilzuhaben, wird es schwierig sein, das Kind zur Teilhabe zu animieren.

Bei der Überlegung, wie wir die größten Probleme in diesem Land in den Griff bekommen, vor allem die sozialen Probleme, lautet die Antwort für die Piraten: ein garantiertes Einkommen für jeden Menschen in diesem Land. Ob Kind, ob Erwerbstätiger, ob Arbeitsloser, ob Rentner – jeder Mensch hat das gleiche Recht, zu existieren, ob er für die Gesellschaft nützlich ist oder nicht. Denken Sie einmal darüber nach. Es gibt keine bessere Familienpolitik. Die Familien würden innerhalb der Gesellschaft so gut gestellt, das würde auch den Kindern zugutekommen. So wären die Probleme innerhalb einer ganz kurzen Zeit – ich sage: innerhalb einer Legislaturperiode – zu lösen.

Damit bin ich wieder bei Ihnen von der SPD und der CDU. Ich habe nicht das Gefühl, dass Sie diese Probleme wirklich lösen wollen, sondern Sie reden nur drum herum. Sie machen sich hier im Land gegenseitig fertig und wollen nicht in die Konfrontation mit dem Bund gehen. Dadurch, dass wir hier reden, ändert sich nichts für die Kinder in NRW, sondern das müsste ganz klar auf Bundesebene geregelt werden. Da sind Sie in der Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD, bzw. Ihre Parteifreunde in Berlin. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Schmeltzer.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Kinderarmut breitet sich aus. Jedes vierte Kind in Nordrhein-Westfalen wächst in Armut auf. Ja, das sind die Schlagzeilen. Aber das sind nicht die Schlagzeilen der letzten Wochen, sondern das sind die Schlagzeilen aus dem Jahr 2007, Herr Kollege Laschet.

Im Jahr 2009 stellte der damalige Sozialminister Laumann in seinem Bericht zu prekären Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen fest – ich zitiere –:

„In Nordrhein-Westfalen leben rund 776.000 Kinder und Jugendliche in einem einkommensarmen Haushalt. Damit tragen Minderjährige ein überdurchschnittlich hohes Armutsrisiko … (24,3 %).“

Es geht nicht darum, von Problemen abzulenken, es geht bei einem solchen Thema auch nicht um gegenseitige Schuldzuweisungen oder etwa – wie Sie es fast wöchentlich versuchen – um einen frühen Wahlkampf.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich will zu den im Antrag benannten Studien nur so viel sagen: Unterschiedliche Methoden liefern natürlich auch unterschiedliche Zahlen.

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

– Die Methode von Herrn Laumann ist die Methode, der wir uns auch bedienen. Dazu komme ich noch.

2014 gab es in Nordrhein-Westfalen rund 2,9 Millionen Personen unter 18 Jahren. Davon sind 637.000 Kinder und Jugendliche von Armut betroffen. Die Armutsrisikoquote von Minderjährigen lag 2014 bei 21,9 %. Diese Zahl ist vergleichbar mit der des Kollegen Laumann. Sie ist eindeutig zu hoch. Darüber sind wir uns alle einig, und darüber brauchen wir uns auch gar nicht zu streiten.

Es handelt sich um Kinder und Jugendliche, deren Eltern geringqualifiziert sind, die mit einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen, die aus einer kinderreichen Familie kommen, teilweise mit Migrationshintergrund, oder deren Eltern arbeitslos sind. Das sind die wesentlichen Ursachen, Herr Kollege Wegner, und diese Ursachen muss man natürlich angehen.

Es kommt also darauf an, Kinderarmut vor allem als Ergebnis der Armut von Eltern zu begreifen. Kurz gefasst: Eltern brauchen eine gute und sichere Erwerbsarbeit.

(Beifall von der SPD – Eva Voigt-Küppers [SPD]: Genau! – Michele Marsching [PIRATEN]: Was für ein Blödfug!)

Vor dem Hintergrund dieser Analyse sollte es nicht verwundern, dass das Ruhrgebiet, das einem solchen Strukturwandel unterworfen war und ist – Frau Thoben hatte den Strukturwandel sogar als abgeschlossen angesehen –, besonders von Armut betroffen ist. Wir arbeiten daran, arbeitslose Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen und junge Menschen erst gar nicht dem hohen Risiko von Arbeitslosigkeit auszusetzen.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir fördern seit Anfang 2013 Projekte zur Verringerung von Langzeitarbeitslosigkeit. In der letzten ESF-Förderperiode wurden dadurch allein 1.100 Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen, und natürlich setzen wir das in der neuen Förderperiode fort.

Seit 2013 gibt es zudem die Landesinitiative „Faire Arbeit – Fairer Wettbewerb“, mit der wir uns für die Eindämmung prekärer Beschäftigung einsetzen. Ich wünschte mir Sie bei der Bekämpfung der prekären Beschäftigung dann und wann auch einmal an unserer Seite.

(Beifall von der SPD)

Denn wir brauchen sichere Jobs, um Armut verhindern zu können. Wir brauchen keine prekäre Beschäftigung. Insofern wäre eine überfällige Novelle des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auch für das heutige Thema sehr hilfreich gewesen; darauf kommen wir heute Nachmittag noch zu sprechen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, um Arbeitslosigkeit zu verhindern, arbeiten wir präventiv. Darum machen wir ein Programm wie „Kein Abschluss ohne Anschluss“, mit dem wir auf einem sehr guten Weg sind. Die kommunale Koordinierung steht flächendeckend. Ab dem Sommer werden wir alle achten Jahrgangsstufen mit der Berufsorientierung erreichen. Warum machen wir das? Damit sie wissen, was sie später machen wollen, nämlich schnell in Ausbildung oder in ein Studium zu kommen. Denn die Langzeitarbeitslosenquoten sind hoch: 80 % aller Langzeitarbeitslosen haben keine Ausbildung. Deshalb müssen wir die jungen Leute schnellstmöglich darauf vorbereiten.

Der Armut ausschließlich mit Erwerbsbeteiligung zu begegnen, wäre aber leider zu einfach und würde der Komplexität des Themas nicht gerecht. Deswegen haben wir als Konsequenz aus unserem letzten Landessozialbericht die Landesinitiative „NRW hält zusammen … für ein Leben ohne Armut und Ausgrenzung“ ins Leben gerufen.

Im Rahmen des Projektaufrufs „Starke Quartiere – starke Menschen“ stellen wir allein bis 2020 350 Millionen € an Mitteln aus den europäischen Strukturfonds für benachteiligte Quartiere und somit für benachteiligte Menschen zur Verfügung.

Und: Seit 2015 unterstützen wir Kinder, Jugendliche und ihre Familien in benachteiligten Quartieren und verbessern damit Zugänge zu Beratungs-, Bildungs- und Gesundheitsangeboten.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Alles ohne Erfolg! – Armin Laschet [CDU]: Was habt ihr denn gemacht? Was habt ihr denn erreicht?)

– Haben Sie einmal auf die Jahreszahl geachtet? Bevor Sie dazwischenschreien, sollten Sie erst einmal überlegen, was Sie gehört haben. Aber scheinbar verstehen Sie es nicht, Herr Kollege Laschet.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Sie müssen erst überlegen, was Sie gesagt haben!)

Mit dem Härtefallfonds „Alle Kinder essen mit“ unterstützen wir Kinder und Jugendliche, die an einer gemeinsamen Mittagsverpflegung teilnehmen, aber trotz sozialer Notlage aus dem Bildungs- und Teilhabepaket herausfallen. Derzeit profitieren 1.350 Kinder davon.

Meine Damen und Herren, diese Landesregierung findet sich definitiv nicht mit Armut ab. Sie tritt ihr mit vielfältigen Maßnahmen entschlossen entgegen. Herr Laschet, da Sie hier den Paritätischen zitiert haben, möchte auch ich aus der Pressemitteilung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zitieren – Zitat –:

„Es ist Zeit für einen sozial- und steuerpolitischen Kurswechsel, um Armut zu bekämpfen und eine Verringerung sozialer Ungleichheit zu erreichen.“

Dieser Hinweis ging in Richtung Berlin. Statt zu lamentieren, lade ich Sie ein, uns zu unterstützen.

(Armin Laschet [CDU]: Aber warum wird es hier schlimmer? Hier!)

Vornehmlich wäre es hilfreich, wenn Sie einmal Herrn Bundesfinanzminister Schäuble erläutern würden, dass die schwarze Null nichts wert ist, wenn die Versäumnisse des Bundes von den Ländern kompensiert werden müssen

(Beifall von der SPD – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

oder die Bürgerinnen und Bürger direkt darunter leiden.

Meine Damen und Herren, konkret betrifft das zum Beispiel 45 Millionen €, mit denen das Land die soziale Arbeit an Schulen finanziert, weil der Bund die Finanzierung hat auslaufen lassen,

(Jochen Ott [SPD]: So ist es!)

oder die stetige Verweigerung auf Unionsseite beim Thema „Passiv-Aktiv-Transfer“, damit wir mit der öffentlich geförderten Beschäftigung in die Fläche kommen

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

und Erwerbslosigkeit nachhaltig bekämpfen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das in Richtung Berlin, Herr Laschet. Damit würden Sie maßgeblich zur Verringerung der Armut in Nordrhein-Westfalen beitragen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Jochen Ott [SPD]: So ist es!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Tenhumberg.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Herrn Scheffler muss man ja nichts sagen; denn er hat zu dem Thema heute nichts gesagt.

(Beifall von der CDU – Michele Marsching [PIRATEN]: So wie alle anderen auch! Super!)

Er hat überhaupt nichts zu der Thematik der Kinderarmut, zu entsprechenden Lösungen oder zu dem gesagt, was man tun muss, um das, was in Nordrhein-Westfalen am schlimmsten ist, zu verhindern. Aber etwas anderes hatte ich auch gar nicht erwartet.

(Beifall von Klaus Kaiser [CDU])

Frau Asch, ich möchte noch kurz auf Ihre Anmerkung eingehen. Uns zu unterstellen, wir hätten etwas nicht gelesen, ist anmaßend. Das würde ich keinem Kollegen hier im Hohen Hause unterstellen.

(Beifall von der CDU)

Wenn Sie das schon unterstellen – das haben Sie in der Vergangenheit auch schon in Ausschusssitzungen bewiesen –, dann sollten Sie einmal den Sozialbericht 2012 lesen. Dazu hat Ihnen Ihr Kollege bzw. der damalige Minister einiges ins Stammbuch geschrieben, was Sie bis heute nicht bearbeitet haben.

Meine Damen und Herren, Frau Asch, Ihr Prinzip ist es, nicht hinzusehen, Tatsachen zu verdrehen – das ist Ihre Spezialität –, dann auch noch falsch zu interpretieren, wie Sie es gerade auch wieder getan haben, andere zu beschuldigen und zu bezichtigen, sie hätten nichts getan.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Damit kommen Sie nicht durch.

(Beifall von der CDU)

Das ist zumindest nicht unser politischer Stil. Aber mehr möchte ich mich auch nicht mit Ihnen beschäftigen.

Herr Minister Schmeltzer, wir sind uns, glaube ich, darin einig, dass es überall Armut gibt – in Deutschland, in Europa und in der Welt. Das war aber nicht unsere Fragestellung. Unsere Fragestellung war: Warum ist die Armut in Nordrhein-Westfalen besonders hoch, und warum hat sie sich gegen manchen Trend besonders negativ entwickelt?

(Armin Laschet [CDU]: Das ist die Frage!)

Das ist die Frage, Herr Schmeltzer. Darauf geben Sie gar keine Antwort.

(Beifall von der CDU – Lutz Lienenkämper [CDU]: Das kann er ja auch nicht!)

Das Schlimme und Fatale ist: Ich hätte erwartet, dass der Minister heute einige Antworten gibt. Die Frage ist natürlich, ob der Minister der Richtige ist oder ob nicht die Ministerin etwas dazu sagen müsste, wenn es um Kinder geht. Ich habe hier nichts gehört.

Was wollen Sie denn tun, wenn Sie Kinderarmut bekämpfen wollen? Auch Ihnen, Herr Minister, würde ich dringend empfehlen, den Sozialbericht 2012 zu lesen, in dem Ihr Vorgänger einiges dazu geschrieben hat.

Es passt, meine Damen und Herren, dass heute eine Meldung der Agentur für Arbeit erschien. Wir wissen, dass Nordrhein-Westfalen, was die Arbeitslosenquote angeht, Schlusslicht in der Bundesrepublik ist, und auch die Verschuldungsrate ist katastrophal. Dazu kommt jetzt die Mitteilung der Agentur für Arbeit, dass der Ausbildungsmarkt Nordrhein-Westfalen die rote Laterne übernimmt. Das passt zu diesem Thema.

(Beifall von der CDU – Lutz Lienenkämper [CDU]: Genau so ist es!)

Meine Damen und Herren, die Enquetekommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine effektive Präventionspolitik in Nordrhein-Westfalen hatte unter anderem zum Ergebnis, dass die primäre Prävention auf die Allgemeinheit und die allgemeinen Entstehungsbedingungen von Kriminalität zielt. In diesem Sinne gehört beispielsweise der Kampf gegen Armut zum Bereich primärer Kriminalprävention. Nach dem Erscheinen der neuen Studien steht wohl fest, dass die Landesregierung in der Bekämpfung von Armut und Kriminalität nicht erfolgreich war – man kann auch sagen, sie hat versagt –, weil es hier nach fraktionsübergreifender Meinung der Enquetekommission einen deutlichen Zusammenhang gibt.

Das Versprechen dieser Regierung zur Bekämpfung von Kinderarmut ist nicht erfüllt. Dieses Versprechen wird auch aufgrund einer falschen Prioritätensetzung in der Tagespolitik nicht erfüllt. Herr Schmeltzer hat es wieder falsch interpretiert. Das zeigt auch die Elternbeitragsbefreiung. Das war etwas für reiche Eltern, das war nichts für die armen Kinder.

(Beifall von der CDU)

Das so falsch zu interpretieren, geht völlig an der Realität vorbei. Ich verstehe nicht, dass man in diesem Hohen Hause eine so falsche Interpretation wagt. Sie haben keine Ahnung – wirklich keine Ahnung.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD: Wider besseres Wissen!)

Dabei sollte der Landesregierung schon bekannt sein, dass bereits seit 1989 die Konvention über die Rechte des Kindes in 54 Artikeln die Grundrechte der Kinder unter 18 Jahren regelt, in der unter anderem die Beseitigung der Kinderarmut definiert wird. War die rot-grüne Landesregierung hier erfolgreich? Hat sie die Kinderarmut beseitigt, wie seit 1989 gefordert? Nein, diese Landesregierung war und ist untätig und unfähig, eine gute Zukunft für unsere Kinder zu gewährleisten.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, was sagt eigentlich die zuständige Kinder- und Jugendministerin dazu? Frau Ministerin, durch Schweigen und Liegenlassen lassen sich die Probleme nicht lösen. Die Enquetekommission „Chancen für Kinder“ aus dem Jahr 2008 hat sich ebenfalls zusammen mit Wissenschaftlern und Praktikern mit dem Thema „Kinderarmut und deren negative Folgen“ intensiv beschäftigt.

Fraktionsübergreifend wurde bereits im Jahr 2008 festgehalten, dass ein wesentliches Thema in der Benachteiligtendiskussion die Kinderarmut sei. Das wurde also schon damals festgestellt. Es fehlen allerdings konkrete Ansatzpunkte. Was tun Sie, Herr Minister, Frau Ministerin – wer jetzt zuständig ist, weiß man manchmal nicht –, um diese Ansatzpunkte konkret anzugehen? 2008 wurde auch fraktionsübergreifend die Wirkung von Kindearmut klar definiert.

Meine Damen und Herren, was werden Sie nun aufgrund dieser Erkenntnislage tun? Sie müssen etwas tun. Denn das Kinderhilfswerk hat dazu gesagt – ich zitiere aus den „RuhrNachrichten“ –:

„Durch die chronische Unterfinanzierung der Kinder- und Jugendarbeit müssten immer wieder Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen ihre Arbeit einstellen. Das sei bedenklich, da Kinder aus sozial schwachen Familien einen erhöhten Förderbedarf hätten.“

Was haben Sie zu unseren Anträgen gesagt? Wir haben mehrere Anträge dazu gestellt. Sie haben sie alle abgelehnt und selbst keine neuen Ideen, keine Innovationen in diesen Bereich eingebracht. Sie haben mal wieder nichts getan.

Hören Sie auf, meine Damen und Herren. Hören Sie auf uns. Wir können es.

(Beifall von der CDU – Lachen von der SPD und den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, Ihr Landesinstitut IT.NRW gibt laufend aktuelle Zahlen raus. Frau Asch, so viel zum Lesen: Lesen bildet.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Witzbold! Lies mal!)

IT.NRW hat eindeutige Aussagen dazu gemacht, wie sich in den Jahren 2005 bis 2010 bzw. 2010 bis 2014 die Kinderarmut entwickelte. Für den Zeitraum 2010 bis 2014 kann man Ihnen nur ein „Ungenügend“ ins Zeugnis schreiben, weil die Anzahl der armutsgefährdeten Kinder um 9 % gestiegen ist. Nirgendwo in Deutschland verlief diese Entwicklung so schlecht wie in Nordrhein-Westfalen.

Meine Damen und Herren, ich kann Sie nur auffordern: Tun Sie etwas. Reden Sie nicht so viel. Machen Sie das Richtige und nicht das Falsche. Hören Sie öfter auf uns. Dann sind Sie auf dem besten Weg, und das ist gut für die Kinder in unserem Land. – Danke.

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Peinlich!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Hack jetzt das Wort.

Ingrid Hack (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Verehrte Kollegen der CDU-Fraktion, Ihr Antrag für die heutige Debatte erwähnt auch – darüber ist schon mehrfach gesprochen worden – das Projekt „Kein Kind zurücklassen!“. In Ihrem Antrag nennen Sie es eine Losung, das der Regierung als Begründung zum Schuldenmachen diene.

Wenn ich Herrn Finanzminister Dr. Walter-Borjans in den vergangenen Jahren allerdings recht verstanden habe, dann folgt die Finanzpolitik nun einem Dreiklang aus Investitionen in Bildung und Prävention, Schuldenabbau und Einsparungen. So weit dazu, wie man die Prioritäten setzen kann.

Verwechseln Sie also bitte nicht – das ist meine herzliche Bitte – ein Projekt der Landesregierung mit den weiteren zahlreichen Maßnahmen, die wir seit 2010 und danach seit 2012 begonnen bzw. durchgeführt haben, um Kinderarmut zu verringern. Die Debatte bis hierher hat natürlich gezeigt, dass Sie diese Maßnahmen als nicht zielführend für diesen Zweck erachten. Aber mehr, als es immer wieder zu betonen und noch einmal aufzuzählen, können wir nicht.

Verwechseln Sie nicht – das ist meine nächste herzliche Bitte – Investitionen in gedeihliches Aufwachsen von Kindern mit Schuldenmachen. Ich will an die nun, meine ich, zehn Jahre zurückliegende Debatte erinnern, als Ihre Regierung aus CDU und FDP die versprochene Anhebung des Kinder- und Jugendförderplanes nicht durchführte und einen Proteststurm im Lande auslöste.

(Christian Lindner [FDP]: Nachdem Sie das vorher zusammengestrichen hatten!)

Seinerzeit waren der Schuldenabbau und das Sparen Ihr vermeintliches Argument. Damals wie heute gilt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Kinder, über die wir hier reden, wachsen jetzt auf und brauchen jetzt Förderung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, allen Maßnahmen und auch dem Projekt „Kein Kind zurücklassen!“ ist gemeinsam, dass kurzfristige Erfolge damit nicht zu erzielen sind. Das haben wir auch nicht erwartet. Prävention wirkt langfristig. Einige Redner haben das auch schon angemerkt. Strukturelle Veränderungen entstehen nicht, indem wir einen Schalter bedienen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kinderschutzbund, der Paritätische und der DGB, auf deren Veröffentlichung Sie sich beziehen, haben sich immer wieder positiv zur vorsorgenden Sozialpolitik in Nordrhein-Westfalen geäußert und uns natürlich – das ist die Aufgabe dieser Verbände – aufgefordert, die Problematik noch stärker anzugehen.

Es wurde kritisiert, dass mein Kollege Michael Scheffler in seiner Rede nichts zur Kinderarmut gesagt habe. Klar ist aber doch: Er hat sich dazu geäußert, wie Kinderarmut entsteht – nämlich dann, wenn die Eltern arm sind.

(Zuruf von der FDP: Das wissen wir!)

– Ja, das wissen wir. Trotzdem muss man das einmal ableiten – und auch sagen, dass das von Ihnen möglicherweise als indirekte Arbeit aufgefasst wird. Aber die Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt und in sonstigen Bereichen, von denen Erwachsene – Mütter, Väter und Alleinerziehende – betroffen sind, gehören zur Wahrheit dazu. Die Maßnahmen sind geschildert worden. Ich will nur noch einmal den Mindestlohn erwähnen.

Aber Sie haben völlig recht, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Kinderarmut äußert sich nicht nur durch den Mangel an materiellen Gütern, sondern vor allem in Form von Teilhabearmut. Wir sprechen in diesem Hause nicht zum ersten Mal über das gemeinsame Mittagessen in Kita und Schule, über Ausflüge und Klassenfahrten, über die Mitgliedschaft in Sportvereinen oder anderen Vereinen und über den Besuch von Musikschulen und anderen kulturellen Einrichtungen. Der Schwimmbadbesuch, das Schlittschuhlaufen im Stadion und ein Zoobesuch sind nicht möglich. Das ist Kinderarmut. Daran fehlt es Kindern, die in Familien mit der Bezeichnung „arm“ aufwachsen, ganz besonders.

Diese Teilhabearmut bedingt Bildungsarmut. Beides – dazu ist schon einiges gesagt worden – bekämpfen wir in unserem Land seit Jahren mit erheblichen Investitionen vor allem in diese Infrastruktur, die Teilhabe möglich macht und für Kinder und Jugendliche in allen Lebensphasen Beziehungsangebote, Räume und Zeitressourcen ergänzend zum Leben in ihren Familien bereitstellt.

Beginnend mit den Frühen Hilfen, mit denen auch in Nordrhein-Westfalen ein immer dichteres Unterstützungsangebot für Schwangere und junge Eltern aufgebaut wird, setzt sich diese Teilhabe ermöglichende Infrastruktur in den Kindertageseinrichtungen und Familienzentren fort. Auch wenn das nicht auf Ihren Zuspruch trifft: Es ist erwiesen, dass Kitas und Familienzentren mithelfen, Kinderarmut zu beseitigen.

(Armin Laschet [CDU]: Natürlich! Deshalb haben wir sie erfunden!)

– Wunderbar. Das ist wunderbar.

(Zuruf von der CDU)

Wir sind dieser Erkenntnis nicht nur durch die Verdopplung der Mittel für die frühe Bildung seit 2010 gerecht geworden, lieber Herr Laschet, sondern auch – es ist schon mehrfach erwähnt worden – durch die plusKITAs, mit denen Ungleiches endlich auch ungleich behandelt wird.

(Beifall von der SPD)

Diese Maßnahme wirkt. Wir wissen das. Sie erleichtert die Arbeit in den Einrichtungen mit vielen benachteiligten Kindern wirklich spürbar. Sie haben diese Entscheidung ebenso kritisiert und ihr nicht zugestimmt wie – auch das ist jetzt mehrfach angesprochen worden – einer weiteren wichtigen Investition in die frühe Bildung, nämlich der Beitragsfreiheit vor der Einschulung. Sie stellen das regelmäßig im Haushalt zur Disposition.

(Armin Laschet [CDU]: Weil es falsch ist!)

Das passt aus unserer Wahrnehmung überhaupt nicht dazu, wenn wir sagen: Wir wollen da mehr Teilhabe ermöglichen. – Auch wenn wir es hier gebetsmühlenartig wiederholen, werden wir Sie nicht davon überzeugen. Von dieser Beitragsfreistellung profitieren eben nicht nur die Reichen, die ihr Kind mit dem SUV in die Kita fahren.

(Armin Laschet [CDU]: Auch!)

Lesen Sie es bitte nach. Das DJI hat es erhoben. Es sind gerade die Eltern mit kleinen und mittleren Einkommen;

(Beifall von der SPD)

denn für sie machen 150 €, 200 € oder 250 € pro Monat im Portemonnaie etwas aus. Davon kann man nämlich dreimal einkaufen gehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Armin Laschet [CDU]: Mittlere Einkommen, aber nicht Arme!)

Ein weiterer wichtiger Schritt ist auch schon erwähnt worden, und zwar die Entscheidung unserer Landesregierung und unserer Fraktionen zur Schulsozialarbeit.

Der Härtefallfonds „Alle Kinder essen mit“ ist ebenfalls bereits erwähnt worden.

Außerdem ist das Investment in benachteiligte Quartiere zu nennen. Zwar bekommen – das ist richtig – auch hier die Kinder nicht das ausgezahlt, was wir investieren. Aber wir verbessern den Wohnraum, das Wohnumfeld, die Freiflächen und die Spielplätze. All das dient Kindern dazu, Teilhabe zu erfahren. Diese Projekte erfolgen ganz oft auch unter Beteiligung dieser Nutzerinnen und Nutzer im Kindesalter.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Verehrte Frau Kollegin …

Ingrid Hack (SPD): Ja, ich weiß. Ich komme zum Schluss. – Lassen Sie mich nur noch einmal Folgendes betonen: Richtig angesprochen worden ist, dass wir auf Bundesebene die Hinweise haben, die Kindergrundsicherung einzuführen und den Kinderfreibetrag und das Kindergeld zu einem positiveren Einkommen für die Eltern zu machen. Für die Umsetzung dieser Vorschläge kann ich mit Ihnen gemeinsam gerne werben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Schmeltzer, wissen Sie, was ich nicht mag? Ich mag es nicht, wenn man Verantwortung übernommen hat und dann anfängt, die Realität zu leugnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie regieren seit sechs Jahren in diesem Land, zeigen mit dem Finger auf eine Regierung, die seit sechs Jahren nicht mehr im Amt ist, und haben in Nordrhein-Westfalen null Erfolge vorzuweisen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Zahlen haben sich doch nicht die CDU oder die FDP ausgedacht. Das sind doch eher Organisationen, die Ihnen näherstehen. Diese attestieren Ihnen, dass Sie bei dem Projekt „Kein Kind zurücklassen!“ mit dem Ziel, die Kinderarmut in NRW zu senken, gescheitert sind. Das ist doch die Analyse, die wir heute hier mitnehmen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben selber gesagt, dass die Zahlen eindeutig zu hoch sind. Wenn ich das analysiere und nach sechs Jahren Regierung zurückschaue, muss ich doch feststellen, dass keine einzige Ihrer Maßnahmen irgendetwas gebracht hat. Im Gegenteil! Die Situation in diesem Land ist doch noch schlimmer geworden. Wir haben den höchsten Unterrichtsausfall überhaupt. Was macht diese Landesregierung dagegen?

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Das stimmt überhaupt nicht!)

– Natürlich haben wir einen riesigen Unterrichtsausfall in diesem Land. Oder wollen Sie das jetzt auch noch leugnen? Natürlich ist die Situation hier ganz schlimm.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wenn wir über beste Bildung sprechen, die der Anspruch aller in diesem Hause ist, muss ich doch feststellen, dass Nordrhein-Westfalen nicht auf dem Weg zur besten Bildung ist. Wir haben keinen guten und flächendeckenden Ganztag im ganzen Land an allen Schulformen. Der Bildungserfolg hängt immer noch enorm vom Geldbeutel der Eltern ab.

(Minister Rainer Schmeltzer: Ach!)

Da können Sie sich doch hier nicht hinstellen und sagen, was Sie in dieser Regierung gemacht haben, sei ein Erfolgsprojekt.

Wenn wir über Kindergarten, über U3 und über Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen, schaue ich auch einmal meine Kollegen, die mit mir im Ausschuss sitzen, und die Frau Ministerin an. Das Land Nordrhein-Westfalen hat die schlechteste Quote bei der U3-Versorgung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir messen uns mit Bremen. Das kann doch nicht wahr sein. Darauf kann man sich doch nicht ausruhen.

Im aktuellen Haushalt sind keine zusätzlichen Mittel eingestellt worden, um die Situation zu verbessern.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Seit sechs Jahren ist eine KiBiz-Reform angekündigt. Seit sechs Jahren höre ich in jedem Ausschuss: Das wird evaluiert. Das wird neu auf den Weg gebracht. Es wird verändert.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Nichts ist passiert. In dieser Legislaturperiode wird sich nichts verändern.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

– Die Situation ist leider so, wie sie ist. Da können Sie sich aufregen, wie Sie wollen.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das ist doch unter Ihrem intellektuellen Niveau!)

In diesem Land gibt es so gut wie keine 24-Stunden-Kita. Da mögen Sie aus ideologischen Gründen aufschreien.

(Zuruf von der SPD: Zu Recht!)

– Nein, nicht zu Recht; denn gerade alleinerziehende Mütter brauchen eine 24-Stunden-Kita,

(Karin Schmitt-Promny [GRÜNE]: Nein!)

damit sie arbeiten können.

(Beifall von der FDP – Daniel Düngel [PIRATEN]: Zur Sache!)

Ihre Kollegin Andrea Asch hat doch eben gesagt, einer der wichtigsten Punkte, um Kinderarmut zu verhindern, sei, Eltern in Arbeit zu bringen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Dafür brauchen sie eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Denn das größte Armutsrisiko in diesem Land ist es, alleinerziehend zu sein. Dafür brauchen sie eine gute Kindertageseinrichtung.

(Zuruf von Karin Schmitt-Promny [GRÜNE] – Gegenruf von der CDU)

– Sie wissen ja: Wer schreit, hat sowieso nicht recht. – Sie könnten einfach einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen. In anderen Ländern wird das gemacht.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Der Punkt ist – ich bin der CDU auch dankbar dafür, dass wir das heute hier diskutieren –, dass diese Ministerpräsidentin und diese Landesregierung damit angetreten sind und gesagt haben: Das ist unser Ziel, an dem wir uns messen lassen wollen. Wir wollen uns daran messen lassen, wie sich die Kinderarmut in diesem Land entwickelt.

Unter dem Strich kann man festhalten, dass dort nichts passiert ist. Außer großen medialen Ankündigungen hat sich die Situation im Land nicht verändert. Daran werden Sie sich auch nächstes Jahr messen lassen müssen.

Ich hoffe, dass Sie jetzt diese Debatte als Anstoß nehmen, tatsächlich Veränderungen im Land herbeizuführen. Schließlich hat keiner in diesem Haus Interesse daran, dass Kinder arm aufwachsen. Aber sich nur hinzustellen, sich auszuruhen und mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist einfach traurig und feige.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion der Grünen spricht Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbst wenn keine einzige Stunde Unterricht mehr ausfallen würde, würde das nichts an der Tatsache ändern, dass Eltern in prekären Lebenssituationen ihren Kindern die Schulausstattung nicht kaufen können.

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN)

Materielle Armut hat eine einzige Ursache: Es fehlt schlicht das Geld.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Dem folgen Armut an Gesundheit, Bildungsarmut, Armut an sozialem Ansehen sowie Armut bei Teilhabe und Selbstbestimmung

Wenn die Opposition in Person von Herrn Laschet daherkommt und spricht: „Arbeit, Arbeit, Arbeit!“, stimmt das zwar. Das ist richtig. Aber wenn ich dann höre, wie Sie den Arbeitsmarkt gestalten wollen, wie Sie glauben, Arbeit und Arbeitsstellen beschaffen zu können, nämlich nach dem Motto „Regulierung weg“, wird mir ganz anders zumute.

Was heißt das denn? Das heißt: Arbeitsverhältnisse schaffen zulasten von Umwelt und Natur. Das heißt: Weg mit Mindestlohn und Tariftreuegesetz. Und das heißt, dass Sie eines befördern wollen, nämlich prekäre Arbeitsverhältnisse, und nichts anders.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Dennis Maelzer [SPD] – Henning Rehbaum [CDU]: Verschwörungstheorie!)

Was haben wir damit? Wir haben noch mehr Aufstocker, also noch mehr Menschen, die unter Umständen vollzeitbeschäftigt sind und trotzdem nicht genug Geld bekommen, um ihren Lebensunterhalt zu gestalten. Und was ist die Folge von prekären Arbeitsverhältnissen, von geringen Löhnen? Die Folge ist auch Altersarmut.

Das ist ein Arbeitsmarkt, den Sie offensichtlich befördern wollen. Wir werden dann fehlende Einnahmen im Sozialversicherungssystem haben.

Herr Tenhumberg, Sie beklagen, dass die Ausbildungszahlen schlecht seien, ganz besonders in NRW. Stimmen Sie uns einfach zu. Wir richten eine Ausbildungsumlage ein. Dann schauen wir einmal, wie sich der Ausbildungsmarkt entwickelt. Im Altenpflegebereich hat sich das bestens bewährt.

(Lothar Hegemann [CDU]: Unverschämtheit! – Weitere Zurufe)

Dann haben Sie davon gesprochen, dass die Beitragsbefreiung im letzten Kindergartenjahr nur etwas für Reiche sei. Ganz ehrlich: Dann müssen wir auch noch weiter gucken. Kinder- oder Betreuungsgeld ist auch nur etwas für Reiche; denn den Menschen, die im SGB-II-Bezug sind, also Hartz IV bekommen, wird das angerechnet. Andersherum ausgedrückt: Diesen Menschen wird das Kindergeld abgezogen. – Wo wollen Sie denn eigentlich hin?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Hafke, Sie haben vollmundig betont: Armutsbekämpfung, Perspektiven schaffen. – Die Richtlinie der FDP ist nach wie vor eher: Hilf dir selbst; sonst hilft dir keiner. – Damit kommen wir natürlich auch nicht weiter.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen ein ganzes Bündel von Förderprogrammen aufgelegt. Einige sind hier schon genannt worden. Ich will gar nicht alle wiederholen, sondern nur einige Stichworte nennen: der Härtefallfonds, die zuführende Schulsozialarbeit, der soziale Arbeitsmarkt. Das ist ein ganz wichtiges Instrument, um Menschen, die in Langzeitarbeitslosigkeit verharren, wieder auf die Sprünge zu helfen, um vielleicht den Anschluss wiederzufinden. Wir haben im Land Beratungsstrukturen mit Arbeitslosenzentren, Schuldnerberatungsstellen und dergleichen ausgebaut. Das alles wird vom Land gefördert. Im Übrigen handelt es sich dabei um Initiativen, die Sie von der Opposition ganz gern immer wieder wegkürzen wollen.

(Armin Laschet [CDU]: Quatsch!)

– Das entnehme ich Ihren Sparanträgen für die Haushalte, die wir immer wieder vorgelegt bekommen.

Wir fördern ressortübergreifende Politik. Da sind wir sicherlich noch steigerungsfähig. Aber die Landesregierung und wir im Land Nordrhein-Westfalen haben begriffen, dass wir nicht nur nebeneinander, quasi versäult, denken und arbeiten dürfen, sondern die Strukturen miteinander verbinden müssen, um so voneinander zu profitieren und Synergieeffekte zu erzielen.

Es gibt noch viel zu sagen. Ich möchte einfach einmal darauf hinweisen, wie die Regularien in der Sozialhilfe sind. Da heißt es:

„Die Leistungen sollen sie“

– die Menschen, die sie erhalten –

„so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; darauf haben auch die Leistungsberechtigten nach ihren Kräften hinzuarbeiten.“

Gut. – Dort heißt es auch:

„Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann …“

Okay. – Ich finde, das sind Maßstäbe, die wir vielleicht auch einmal bei der Subventionierung von Wirtschaftsförderung anlegen sollten. Wirtschaftsunternehmen werden nämlich auch zum Beispiel durch niedrige Grundsteuern, niedrige Energiepreise usw. subventioniert.

(Armin Laschet [CDU]: Ist die Grundsteuer zu niedrig?)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, Ihre Redezeit!

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Ich bin gleich fertig. – Wenn wir da die gleichen Maßstäbe anlegen wie bei den Ärmsten unserer Gesellschaft, dann verhindern wir vielleicht, dass sich der Spruch von Karl Simrock „Armut ist des Reichtums Hand und Fuß“ nicht bewahrheitet.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Und jetzt ist es gut. Sie haben die Redezeit schon deutlich überschritten.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Denn: Fördern und fordern ja. Aber das muss für alle gelten. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Daniel Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Das T-Shirt passt hervorragend!)

– Das habe ich extra für Sie angezogen heute, Herr Abel. Herzlichen Glückwunsch! Das war schon der erste unqualifizierte Beitrag von Ihnen heute – und es ist noch früh.

Ich habe heute Morgen getwittert.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Nein!)

Ich möchte einmal vorlesen:

(Zuruf von der CDU: Zum ersten Mal?)

– Es war für mich nicht das erste Mal. Aber gut, dass der Zuruf aus den CDU-Reihen kam!

Wenn ihr ab 10:00 Uhr Zeit habt: Der Landtag NRW wird darüber debattieren, warum Kinder in Armut leben. Tun wird er allerdings nix. Leider!

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Das war der erste Tweet. – Der zweite war:

Ihr werdet hören, was der Bund nicht alles machen muss, wie toll Schwarz-Gelb war und was Rot-Grün alles verkehrt macht – und umgekehrt. Bla im Landtag Nordrhein-Westfalen.

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie haben heute noch einmal gezeigt, wie toll Schwarz-Gelb in seiner Regierungszeit gewesen ist und wie geil Rot-Grün in den Wahlperioden seiner Regierungszeit ist. Dafür ein großartiges Slow Clap!

(Der Redner klatscht langsam dreimal in die Hände. – Beifall von den PIRATEN)

Das Ergebnis Ihrer Regierungsarbeit findet sich im Armutsbericht. Insofern ist die gesamte Debatte lächerlich. Hier vorne stellt jede Rednerin, jeder Redner die Arbeit der eigenen Fraktion nach vorne und lobt, wie toll alles sei – und am Ende ist das Ergebnis einfach scheiße; Punkt.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Düngel, ich bitte Sie, bei Ihrer Wortwahl etwas vorsichtiger zu sein. Das eine Wort war „geil“, das andere war „scheiße“. Ich möchte Sie herzlich bitten, Ihren Redebeitrag nicht so fortzusetzen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Gegenruf von Michele Marsching [PIRATEN]: Total schlimm! Wenn man keine Argumente hat, dann klatscht man an dieser Stelle!)

Daniel Düngel (PIRATEN): Ja, das werde ich tun. – Mein Lieblingszitat von heute Morgen kriege ich jetzt nur sinngemäß hin. Armin Laschet steht hier vorne und sagt: Seit 2010 ist in Sachen Kinderarmut alles schlimmer geworden. – Und was passiert? Schwarz-Gelb klatscht.

Das ist der Witz an dem Zitat. Sie bekommen für die Aussage, dass seit 2010 Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen schlimmer wird, dann noch Applaus aus Ihren Reihen. Herzlichen Glückwunsch!

„Kein Kind zurücklassen!“ ist das große Projekt der Landesregierung. Unter dem Strich könnte man vielleicht besser sagen: Keine Bertelsmann Stiftung zurücklassen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wie auch immer: So ein wichtiges Projekt, so ein wichtiges Ziel hier im Land wird sozusagen in die Hand einer Lobbyismuszentrale gegeben. Das ist hier der Witz an sich. Daran erkennen wir den Stellenwert der Kinder- und Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN]: Leider!)

Ich will, weil es gerade auch in den Zwischenrufen gefragt wurde, versuchen, darauf einzugehen, was wir Piraten uns als Lösung vorstellen. Das ist bisher in der heutigen Debatte – außer vorhin im Beitrag des Kollegen Wegner – überhaupt nicht gesagt worden. Wir haben heute noch kein Stück über den Tellerrand geschaut. Wir müssen doch feststellen, dass das System so, wie wir es in den letzten Jahrzehnten fahren, nicht funktioniert. Herr Schmeltzer, nein, „mehr Arbeitsplätze usw. usf.“ hilft nicht. Das wird seit Jahrzehnten gepredigt, hat aber bislang nicht geholfen, um das Problem in irgendeiner Weise in den Griff zu bekommen.

In den Griff bekommen wir das – aber das sind andere Lösungsansätze – wenn wir uns von dem Gedanken des Strebens nach Vollbeschäftigung frei machen. Davon müssen wir uns wirklich frei machen. Wir müssen Investitionen in die digitale Zukunft leisten. Wir dürfen nicht Angst davor haben, dass weitere Arbeitsplätze wegfallen. Diese Investitionen sind doch kein Grund für Angst, sondern eine Chance für unsere Gesellschaft.

Wir brauchen eine wirkliche digitale Agenda. In der Landesregierung wird davon nur gesprochen. Ahnung hat die Landesregierung an der Stelle nicht. Das sehen wir nachher auch noch bei anderen Tagesordnungspunkten.

Ich habe eben gesagt, dass wir eine Abkehr von der gepredigten Vollbeschäftigung brauchen. Sie ist nicht zeitgemäß, sozial nicht wünschenswert und Unsinn.

Wir brauchen – das ist zumindest von den Grünen heute gesagt worden; auch von der SPD und von den Piraten ist es gesagt worden; das ist hier im Landtag also mehrheitsfähig – eine Kindergrundsicherung. Ich fordere Sie auf, darauf hinzuwirken, dass wir diese Kindergrundsicherung hier auch auf den Weg bringen.

(Beifall von den PIRATEN – Eva Voigt-Küppers [SPD]: Das machen wir!)

Meine Damen und Herren, damit komme ich zum Schluss. Das reicht allerdings nicht aus. Auch das hat Kollege Wegner vorhin schon gesagt. Die Kindergrundsicherung ist nur ein Teil dessen. Wir müssen alle Menschen in eine Grundsicherung bringen. Das Lösungskonzept oder mehrere Lösungskonzepte dafür stehen. Das ist das bedingungslose Grundeinkommen. – Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Kampmann.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Düngel, wenn wir beschreiben, was wir gegen Kinderarmut tun, dann ist das Teil unserer parlamentarischen Demokratie. Während Sie Kinderarmut mit Ihrer digitalen Agenda bekämpfen wollen, von der angeblich nur Sie Ahnung haben, haben wir hier ganz konkret unsere Maßnahmen aufgezeigt. Ich werde das im Weiteren noch konkretisieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Michele Marsching [PIRATEN]: Die Maßnahmen scheinen ja nicht zu funktionieren!)

Herr Hafke, wissen Sie, was ich nicht mag? Ich mag nicht, wenn man eine Realität beschreit, deren Grundlage man selbst in seiner eigenen Regierungszeit gelegt hat. Denn die Kinderarmut hat in unserer Zeit in ganz Deutschland zugenommen, und damit nicht nur, aber auch in Nordrhein-Westfalen.

(Armin Laschet [CDU]: Das stimmt nicht!)

In Ihrer Regierungszeit, liebe CDU, liebe FDP, war das umgekehrt. Da hat die Kinderarmut in ganz Deutschland abgenommen, während sie in Nordrhein-Westfalen zugenommen hat.

(Armin Laschet [CDU]: Das stimmt nicht! Das ist Quatsch!)

Das ist der entscheidende Unterschied, über den wir heute auch reden wollen, lieber Herr Laschet.

Ich glaube, wir sind uns einig, dass Kinderarmut beschämend ist, dass Kinderarmut uns alle herausfordert und dass wir deshalb unsere Anstrengungen noch verstärken sollten und nicht nachlassen sollten in unserem Engagement für alle Kinder, die nicht in denselben privilegierten Verhältnissen aufwachsen können wie andere – für die Kinder, die zu Hause bleiben müssen, während andere in Urlaub fahren, für die es nicht so selbstverständlich ist, an Dingen teilzuhaben, die Kindheit eben auch ausmachen: Das sind der Kinobesuch, das Freizeitbad, der Besuch im Zoo oder die Klassenfahrt, die plötzlich zur finanziellen Zerreißprobe wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Kinder sind es, die wir in den Mittelpunkt unserer Politik stellen. Ich lasse nicht zu, dass sich auf Bundesebene, wo die familienpolitischen Leistungen angesiedelt sind, eine schwarze Null anstelle einer stärkeren Unterstützung für benachteiligte Kinder durchsetzt.

(Beifall von der SPD)

Deshalb werden wir uns auf Bundesebene auch weiter für die Zielgruppen einsetzen, die besonders armutsgefährdet sind, nämlich für kinderreiche Familien, für Alleinerziehende und für zugewanderte Familien.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in Nordrhein-Westfalen als erste Landesregierung einen Familienbericht zusammen mit den Familien erstellt. Es ist kein Zufall, dass Alleinerziehende dabei einen besonderen Schwerpunkt gebildet haben; denn Alleinerziehende haben es in allen Belangen schwerer: Sie sind alleine mit der Betreuung der Kinder, sie sind alleine mit der Hausarbeit, und sie sind einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt, weil sie zum Beispiel den Vollzeitjob zugunsten ihrer Kinder einmal aufgegeben haben. In den allermeisten Fällen sind diese Alleinerziehenden Frauen.

Als wäre die Herausforderung nicht schon groß genug, müssen Alleinerziehende häufig auch noch um die Durchsetzung ihrer Unterhaltsansprüche kämpfen. Deshalb unterstützen wir als Landesregierung den Verband alleinerziehender Mütter und Väter, wenn es zum Beispiel um die Möglichkeit der Unterstützung durch Beistände geht. Deshalb verbessern wir auch den informationellen Zugang, indem wir beispielsweise ein Internetportal schaffen, das Alleinerziehende mit den Informationen versorgt, die sie benötigen, um ihre Rechte am Ende auch in Anspruch nehmen zu können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, kurzfristig reduzieren können wir Kinderarmut nur – das ist heute oft genug angeklungen –, indem wir die Einkommenssituation der Eltern verbessern. Mir ist es als Familienministerin aber wichtig, die Chancen der Kinder selbst zu verbessern, aus der Armut ihres Elternhauses herauszuwachsen. Ich habe lange genug selbst im Sozialamt gearbeitet, um den Teufelskreis aus vererbter Armut jeden Tag selbst vorgelebt zu bekommen. Um diesen Teufelskreis durch politische Maßnahmen zu durchbrechen, braucht es Mut. Das erforderte einen Paradigmenwechsel.

Herr Laschet, Sie haben eben so abfällig gesagt: Sie machen da jetzt mal ein bisschen Prävention.

(Armin Laschet [CDU]: Nein, das habe ich so nicht gesagt!)

Wir setzen im Gegensatz zu Ihnen nicht auf kurzfristige Konzepte, sondern wir haben uns für einen langfristigen Ansatz entschieden, der eben nicht nur auf Wahlen und Wahlkämpfe abzielt, sondern der die langfristige Reduzierung von Kinderarmut im Blick hat.

(Beifall von der SPD – Lutz Lienenkämper [CDU]: Die Erfolge sieht man ja!)

„Kein Kind zurücklassen!“ ist genau der Weg, auf den Land und Kommunen sich begeben haben, und zwar nicht, um kurzfristige Versprechen einzulösen, sondern um dauerhaft in unsere Kinder zu investieren. Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Wenn ich sehe, dass die Kinderarmut in Deutschland wieder gestiegen ist, dann ist das für mich kein Grund, von diesem Weg abzurücken, sondern dann ist das für mich ein ganz konkreter Grund, auf diesem Weg in Zukunft noch klarer und noch entschiedener voranzuschreiten,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

damit die Kinder, die es heute schwerer haben, die jungen Menschen von morgen sind, die morgen alle Chancen zu einem selbstbestimmten und zu einem erfolgreichen Leben haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe CDU, Angela Merkel, die nicht zu den Politikerinnen und Politikern gehört, die ich jeden Tag zitiere, hat am Sonntag bei Anne Will einen, wie ich finde, sehr klugen Satz gesagt.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Sie hat nämlich gesagt:

„Man ist nicht Politiker dafür, dass man die Welt beschreibt und sie katastrophal findet.“

Deshalb fordere ich Sie auf: Seien Sie bei diesem Weg an unserer Seite. Es gibt noch viele weitere Maßnahmen, die dazu beitragen, Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen zu reduzieren. Das sind der Ausbau der Familienzentren, die bessere Finanzierung von Kitas, gerade in schwierigen Sozialräumen, die Brückenprojekte für Flüchtlingskinder und der Ausbau der U3-Betreuung.

Herr Hafke, ich halte es mit der CDU. Hören Sie mir einfach einmal zu. Wir machen das Richtige. Sie haben eben gesagt, wir hätten schon lange eine KiBiz-Reform angekündigt. Ich habe in diesem Jahr gesagt, dass wir in diesem Jahr Eckpunkte für ein neues Gesetz vorlegen wollen. Dabei werden – entgegen dem, was Sie hier gesagt haben – auch die Randzeiten eine Rolle spielen.

Während Kinder und Familien bei Ihnen im Mittelpunkt Ihrer Sparpolitik standen, stehen sie heute im Mittelpunkt unserer Landespolitik; denn wir wissen: Jede Investition in unsere Kinder ist eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die CDU-Fraktion hat sich der Kollege Tenhumberg noch einmal gemeldet.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erst einmal an Frau Kollegin Hack und Frau Ministerin herzlichen Dank für das Lob für die Familienzentren! Wir wussten damals schon: Das ist eine gute Sache.

(Beifall von der CDU)

Darüber, dass Sie das mittlerweile auch verstanden haben und weiterentwickeln, freuen wir uns sehr.

Aber nun zu dem, was hier gesagt worden ist: Frau Ministerin, wir wären dankbar, wenn Sie uns zu Ihren Zahlen einmal die Quellen geben würden, damit wir nachvollziehen können, wie Sie zu diesen Erkenntnissen kommen. Es ist uns schleierhaft, wie Sie dazu kommen, die Vergangenheit so zu beschreiben.

Im Übrigen hätte ich gerade von Ihnen als Kinder- und Familienministerin auch ein bisschen mehr erwartet – nämlich, dass Sie uns über die Beschreibung der Situation und die Erläuterung des Istzustandes hinaus etwas dazu erzählt hätten, wie Sie die dramatische Situation – sie ist in bestimmten Regionen teilweise sehr dramatisch – bearbeiten wollen. Wie wollen Sie Kinderarmut denn tatsächlich verhindern oder reduzieren?

Da stehen wir in Nordrhein-Westfalen ja nun einmal besonders schlecht da. Der ehemalige Minister Schneider hat Ihnen 2012 im Sozialbericht klar gesagt, 2010 – das waren die Unterlagen, die er präsentiert hat – sei jeder Siebte von Einkommensarmut betroffen gewesen. Das hat Ihr Kollege Schneider im Sozialbericht gesagt.

Heute sagen uns die Experten und die IT.NRW, mehr als jeder fünfte Bürger sei arm. Das ist eine deutliche Verschlechterung – entgegen dem Trend. Das kann man jetzt zur Kenntnis nehmen, oder man sagt, was man dagegen tun will. Ich habe heute jedoch nichts dazu gehört, wie man das verhindern will.

Meine Damen und Herren, lediglich eine Forderung an den Bund zu stellen, ändert doch nichts an der Tatsache, dass wir Schlusslicht sind. Wir sind Schlusslicht in dieser Republik!

(Beifall von der CDU)

Zu dem Hinweis, der Bund müsse irgendwelche gesetzlichen Maßnahmen ergreifen, sage ich: Das würde an der Situation, dass wir Schlusslicht sind, erst einmal nichts ändern; denn alle anderen würden auch von solchen Maßnahmen profitieren. Wir sind Schlusslicht, und das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Hier müssen Sie ansetzen.

Ich sage Ihnen, was mich so ein bisschen ärgert an Ihren Maßnahmen und Programmen, die Sie hier verkünden: Haben Sie sich schon mal die Frage gestellt, wie wirksam die eigentlich sind? Weshalb stecken Sie immer Geld in irgendwas rein, obwohl die Situation immer noch schlechter wird? Was läuft denn da verkehrt? Sie machen Förderprogramme und verändern dabei die Situation nicht zum Positiven, sondern sehr wahrscheinlich eher zum Schlechteren. Wie erklären Sie sich das? Erklären Sie diesem Hohen Hause doch einmal, wie es angehen kann, dass das Ziel mit Ihren Förderprogrammen nicht erreicht wird. Zielerreichung gleich Null!

(Beifall von der CDU)

Zur Geschichtsfälschung gehört auch dazu, dass im Zusammenhang mit dem Landesjugendplan immer die Rede von 80 Millionen € ist. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Vor 2005 betrug die Istausgabe für den Kinder- und Jugendförderplan des Landes 68 Millionen €, dann 80 Millionen €, jetzt 100 Millionen €. Das begrüßen wir, wunderbar. Tun Sie aber doch nicht so, als wären Sie vorher so gut gewesen. Sie haben seinerzeit 68 Millionen € bereitgestellt, wir haben dann 80 Millionen € bereitgestellt. Jetzt stellen Sie 100 Millionen € zur Verfügung. Wenn schon die Wahrheit, dann bitte auch vollständig.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Ingrid Hack [SPD])

Wenn Sie Ihre Arbeit in der Enquetekommission wirklich ernst nehmen würden, würden Sie einmal in den Bericht der Enquetekommission „Chancen für Kinder“ von 2008 hineinschauen. Welche Handlungsempfehlungen haben SPD und Grüne da auf Seite 170 gegeben? – 2010 haben Sie die Verantwortung in diesem Lande übernommen. Haben Sie von den Handlungsempfehlungen, wie man die Armut von Kindern, Jugendlichen und Familien überwinden könnte, auch nur ansatzweise etwas umgesetzt?

Sie haben seinerzeit auch noch Sondervoten abgegeben; damals waren Sie in der Minderheit! Auf Seite 171 schreiben Sie in Ihren Sondervoten, was alles zu tun wäre – ich will das alles gar nicht zitieren –: vom kostenfreien Mittagessen bis hin zu kommunalen Arbeitsgemeinschaften.

Was haben Sie eigentlich von dem umgesetzt, wovon die Enquetekommission gesagt hat: „Damit könnte man sehr wahrscheinlich die Kinderarmut reduzieren“? Diese Empfehlungen wurden von Fachexperten, Wissenschaftlern und Praktikern niedergeschrieben. Jetzt lese ich mir das durch und denke: Sechs Jahre Regierungsverantwortung müssen doch dazu geführt haben, dass hier einige Dinge umgesetzt worden sind. – Es ist nichts umgesetzt worden.

(Ingrid Hack [SPD]: Das stimmt nicht!)

Deshalb fordern wir Sie nochmals auf: Handeln Sie endlich! Machen Sie vernünftige Sachen und stellen Sie die Tatsachen nicht immer so da, nach dem Motto: Wenn auf einem Briefkopf „CDU“, „FDP“ oder irgendein Privater steht, kann das nur schlecht sein, wenn aber „SPD“ und „Grüne“ darauf steht, dann ist alles gut, und alles andere wird plattgemacht. So macht man keine vernünftige Kinder- und Jugendpolitik. Da muss man ab und zu auf gute Ratschläge hören und die dann auch umsetzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, der FDP und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Altenkamp.

Britta Altenkamp (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte jetzt einmal den Kolleginnen und Kollegen und auch den Zuhörerinnen und Zuhörern zugute, dass wir alle ein hohes Interesse daran haben Kinderarmut zu verhindern und zu bekämpfen. Darüber hinaus halte ich allen zugute, dass die Berichte und Gutachten, die in den letzten Tagen an die Öffentlichkeit gekommen sind, alle mehr oder weniger betroffen machen. Was aber sicherlich nicht in Ordnung geht, ist der Versuch, hier ein politisches Geplänkel zu betreiben, bei dem möglicherweise am Ende die Ernsthaftigkeit verloren geht.

Ich möchte ein paar Unterschiede herausarbeiten, die heute in der Debatte für mich deutlich geworden sind. Das betrifft zunächst den Armutsbegriff und die Frage, wie Armut wahrgenommen wird. Hier sind heute eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen angetreten und haben gesagt: Ja, wenn wir zum Beispiel so etwas wie die Beitragsbefreiung in der Kita machen, profitieren davon nur die Reichen, weil dies den Armen ohnehin als Transferleistungsempfänger finanziert wird.

Damit fängt das Ganze schon an. Armut ist keine Sache, die sich nur monetär messen lässt, nach dem Motto: Wenn ich im SGB-II-Bezug bin, werde ich sogleich als arm definiert. Armut lässt sich vielmehr – jedenfalls aus Sicht der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hier im Hause – vor allem an Teilhabe festmachen. Da geht es nicht nur allein um die Frage: Bin ich Transferleistungsempfänger – ja oder nein?

Ich kann Ihnen aber sagen, wie Kinderarmut tatsächlich wahrgenommen wird, nämlich vielfach an der Postleitzahl – an der Postleitzahl der Wohnorte oder der Grundschule der Kinder und Jugendlichen. Das spielt eine Rolle, wenn sie sich bewerben. Die kann ich Ihnen für meinen Wahlkreis nennen: 45127, 45128, 45143. Das sind die drei Stadteile, in denen Menschen in ganz besonders schwierigen Lebenslage leben und in denen Kinder in sehr schwierigen Lebenslagen aufwachsen.

Die Eltern dieser Kinder sind zum Teil noch nicht mal im Transferleistungsbezug, aber die Kinder wachsen in Lebensverhältnissen und Umständen auf, die ihnen Teilhabechancen schlechterdings nicht in gleichem Umfang bieten wie anderen Kindern.

Herr Hafke, mir ist heute aufgefallen, wie Sie zum Beispiel zu einem Thema wie der 24-Stunden-Kita stehen. Das ist ein sehr interessanter Aspekt gewesen. Bei den 24-Stunden-Kitas kann es doch nicht nur darum gehen, dass Menschen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen stehen, eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung für ihre Kinder brauchen, damit sie in diesen prekären Beschäftigungsverhältnissen überhaupt ihr Geld verdienen können.

Vielmehr wird doch umgekehrt ein Schuh daraus. In Wahrheit ist es doch so, dass sich das Arbeitsleben verändern muss, dass sich die Arbeitsverhältnisse für die Eltern verändern müssen, damit es eben nicht notwendig ist, dass Kinder über Nacht in einer Kita bleiben. Das sind die Schmerzen, die wir dabei haben.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Genau richtig! – Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Wir sind mit dem Projekt „Kein Kind zurücklassen!“ in diesem Land ein erhebliches Wagnis eingegangen. Das wird mir heute deutlich; denn hier im Landtag entsteht ja fast der Eindruck, dass, wenn man solch ein Projekt auflegt, bei dem 18 Modellkommunen unterstützt werden, mit dem Erscheinen des Evaluationsberichts alles vorbei und damit die Kinderarmut bekämpft wäre.

Das Gegenteil ist doch der Fall. Das Projekt ist so angelegt, dass unsere Partnerinnen und Partner, die wir zur Bekämpfung von Kinderarmut sowie zur Vorbeugung dagegen brauchen, nämlich die Kommunen, unterschiedliche Wege für sich ausprobieren können, um im sogenannten Roll-out-Verfahren zu überlegen, welche Kommune welchen Ansatz wählt.

Das Wagnis besteht darin, dass wir uns heute nicht einfach hinstellen und sagen können: „Schalter umgelegt, alles wird gut“, sondern dass wir uns eingestehen müssen: Es gibt unterschiedliche Wege und unterschiedliche Möglichkeiten, Kinderarmut zu bekämpfen. Deshalb glaube ich, dass man hier nicht so kurz springen sollte.

Herr Hafke, das ist doch sogar unter Ihrem Niveau für Sie als Fachpolitiker. Es kann doch nicht wahr sein, dass Sie hier hinstellen und einfach sagen: Es ist doch nichts passiert; wir haben noch nichts erreicht. – Herr Hafke, das ist doch wirklich ein bisschen wenig. Sie wissen ganz genau, wie dieses Projekt angelegt ist. Sie haben sogar zwischendurch in einem Nebensatz gesagt, das Projekt sei eigentlich ganz gut. Und heute sagen Sie: Da wurde ja nichts erreicht, wie die Gutachten zeigen.

So armselig kann man doch wirklich nicht diskutieren – ganz im Ernst!

(Beifall von der SPD)

Projekte wie KeKiz, aber auch Mo.Ki – Monheim für Kinder, ein Projekt, das ich immer wieder nennen will – leben davon, dass sie zur Bekämpfung von Armut ganz früh ansetzen, am Ende aber zu Regelangeboten werden, und zwar für alle Kinder. Denn es kann auch nicht sein, dass wir einzelne Projekte für Kinder in Armutssituationen auflegen und damit, weil man das Gute will, die Kinder letzten Endes zusätzlich stigmatisieren.

Wir waren wir uns immer darüber im Klaren: Vorbeugende Sozialpolitik wirkt auf der Strecke. Deshalb finde ich die heutige Debatte auf der einen Seite ganz interessant, weil sie gezeigt hat, wie unterschiedlich die Ausgangsdiskussionspunkte der einzelnen Fraktionen hier sind. Aber auf der anderen Seite bedeutet eine vorbeugende Sozialpolitik Langfristigkeit und einen langen Atem sowie das Vertrauen in die Menschen, dass sie tatsächlich gemeinsam mit der Politik an ihrer Lebenssituation etwas verändern wollen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ihre Redezeit.

Britta Altenkamp (SPD): Ich komme zum Schluss. – Dieses haben hier bei Weitem nicht alle. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Altenkamp. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, und ich schließe die Aktuelle Stunde.

Ich rufe auf:

2   Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushaltsgesetz 2016)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/11250

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lege Ihnen heute einen Nachtrag zum Haushalt des Jahres 2016 vor, der eine Folge der Ereignisse in der Silvesternacht in Köln und in anderen Städten des Landes ist. Die Ministerpräsidentin hat unmittelbar nach den Ereignissen schon am 14. Januar 2016 hier im Landtag einen 15-Punkte-Plan zur Stärkung der inneren Sicherheit und zur besseren Integration vor Ort angekündigt. Das bildet sich jetzt in Positionen ab, die unserem Haushaltsgesetz 2016 in einem Nachtrag hinzuzufügen sind.

Wir reden von insgesamt 42,6 Millionen € und rund 61,9 Millionen € Verpflichtungsermächtigungen, mit denen wir 796 Stellen und vier zusätzliche Einstellungsermächtigungen schaffen wollen.

Außerdem haben wir in diesen Nachtrag – das ist das Einzige, was sich nicht unmittelbar auf die 15 Punkte konzentriert – Mehrausgaben für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Silvesternacht 2015“ und für die Eingangssicherung am Landtagsgebäude aufgenommen. Die Eingangssicherung ist ein Provisorium, das wieder auf einen neuen, sicheren Stand zu bringen ist.

Die Mehrausgaben von insgesamt 46,9 Millionen € sollen komplett durch Einsparungen im laufenden Haushaltsverzug aufgefangen werden. Damit wird sich die Nettoneuverschuldung in Höhe von 1,83 Milliarden € nicht verändern.

Die wesentlichen Punkte zur Umsetzung dieses Maßnahmenpakets noch einmal in Kürze:

Es geht einmal um den Block für die Stärkung der inneren Sicherheit. Das bedeutet: verstärkte Präsenz der Polizei auf der Straße. Zur Überbrückung des Zeitraums, bis zu dem sich die insgesamt 860 zusätzlichen Einstellungsermächtigungen für Kommissaranwärterinnen und ‑anwärter in den Jahren 2015 bis 2017 umsetzen lassen, sollen möglichst schnell 500 zusätzliche Polizisten zur operativen Aufgabenwahrnehmung an Kriminalitätsbrennpunkten eingesetzt werden.

Zum Zweiten werden wir uns weiter verstärkt daran beteiligen, mehr Ordnung in die Asylverfahren zu bringen, und zwar gemeinsam mit dem Bund. Hier geht es darum, zukünftig auch die Kommunen bei dem steigenden Rückführungsaufkommen stärker zu unterstützen. Deswegen wird bei der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld eine zentrale Rückkehrkoordination eingerichtet. Hier gibt es – ebenso wie bei den insgesamt drei Zentralen Ausländerbehörden – eine personelle und eine sächliche Ausstattung in Höhe von insgesamt 1,2 Millionen €.

Wir sorgen zudem für eine konsequente und effektive Strafverfolgung. Deswegen ist in diesem Nachtrag zugesagt, die Justiz rasch und nachhaltig zu verstärken. Mit dem Nachtragshaushalt werden 100 zusätzliche Planstellen für Richterinnen und Richter und weitere 100 zusätzliche Planstellen für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte geschaffen.

Vor allem aber wollen wir die Integration vor Ort stärken. Als erstes und bisher einziges Bundesland investiert Nordrhein-Westfalen erhebliche Mittel, um zunächst 3.600 zusätzliche Plätze in Basissprachkursen zu den Angeboten des Bundes zu schaffen. Dazu kommen weitere Mittel im Wissenschaftsetat und im Weiterbildungsbereich, um auch Dozenten und Institutionen zu stärken und zu unterstützen, die für diese Sprachkurse notwendig sind.

Ich finde es gut, dass schon in den ersten Äußerungen vonseiten der Opposition deutlich gemacht worden ist, dass wir diesen bewusst herausgelösten Teil, der sich nur mit den 15 Punkten beschäftigt, jetzt schnell auf die Straße bringen wollen. Das ist ein wichtiges Signal.

Ich bin etwas enttäuscht, wenn das sofort mit einer Begleitmusik nach dem Muster verbunden wird, hier sei in den vergangen Jahren nicht die richtige Vorsorge getroffen worden, um die absehbaren weiteren Herausforderungen, vor denen wir stehen, abzubilden.

Ich sage es noch mal – die heutige Debatte hat es ja gezeigt –: Wer hier sagt, dass etwa die Verschuldung des Landes immer größer geworden sei und dass man mit Prävention, ohne zu wissen wofür, gehandelt und Mittel zur Verfügung gestellt habe, hat offenbar nicht mehr die Kenntnis darüber, dass wir 2010 mit einer Verschuldung in Höhe von 6,6 Milliarden € angefangen haben und jetzt bei einem Stand von 1,8 Milliarden € sind.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Er hat offenbar auch nicht die Kenntnis darüber, dass im Haushalt 2016 für Flüchtlinge 4 Milliarden € vorgesehen sind – 3 Milliarden € mehr als ursprünglich geplant –, dass aber die Kreditaufnahme nur um 300 Millionen € angehoben werden musste. Was anderes haben wir denn gemacht, als Vorsorge in dem Rahmen zu treffen, in dem es überhaupt möglich ist?

Wer sich jetzt hinstellt und sagt, er hätte in den vergangenen Jahren noch mehr Ideen gehabt, der muss jetzt – nachdem er zum Verfassungsgericht ging und Rücklagen und Rückstellungen verbieten ließ – erst einmal erklären, wie er das Ganze denn gespeichert hätte, um es heute zur Anwendung zu bringen. – Das ist das eine.

Das Zweite ist die Frage, ob der einzige wirklich greifbare Vorschlag, der in den letzten Jahren gemacht worden ist – nämlich Studiengebühren wieder einzuführen oder Kindergärten wieder beitragspflichtig zu machen –, möglicherweise dazu geführt hätte, dass dies zur Finanzierung der Herausforderungen gereicht hätte, die wir jetzt vor der Brust haben.

Ich sage nur noch eines: Das wird mit Sicherheit nicht die letzte Herausforderung in diesem Jahr 2016 sein. Es geht jetzt nur darum, für diese 15 Punkte einen Nachtrag einzubringen. Und nur, damit keine falsche Tonlage entsteht: Es ist absehbar, wie teuer und groß die Herausforderung ist, vor der wir – und zwar nicht nur in Nordrhein-Westfalen – stehen.

Das ist auch der Grund, warum ich zusammen mit einem Kollegen aus einem Land, das Sie ansonsten immer als Modellbeispiel nennen, gemeinsam an den Bund geschrieben habe, um deutlich zu machen: Das ist etwas, bei dem wir alle gefordert sind. Und wir brauchen an dieser Stelle die Verantwortung des Bundes.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wer uns erzählt, dass immer die anderen bezahlen sollen, der muss sich noch einmal daran erinnern lassen, wer denn für die Bewältigung internationaler Konflikte in diesem Land die finanzielle Zuständigkeit hat. Es kann nicht sein, dass am Ende die Kämmerer von Kommunen und die Minister der Länder die Vorsorge dafür treffen müssen, wenn auf der oberen Ebene eingeladen wird. Dort wird hin und wieder auch ein Zickzackkurs gefahren. Jedenfalls liegt dort die Zuständigkeit für die Flüchtlingspolitik.

In den nächsten Monaten werden wir uns in Bezug auf folgende Fragen ein Bild machen müssen: Wie groß ist die Zahl derer, die bei uns Zuflucht suchen und wirklich bleiben können? Wie hoch sind die Kosten für jeden einzelnen, der kommt und bleiben kann? Wie hoch ist die Kostenbeteiligung des Bundes, der hierfür die finanzielle Verantwortung trägt? Und wie sieht die Steuerschätzung aus? Was kommt an Einnahmen herein?

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal daran erinnern, dass, wenn die Länder nach jetzigem Stand für dieses Jahr voraussichtlich 20 Milliarden € bis 25 Milliarden € aufzubringen haben, mit diesem Geld auch die Konjunktur angekurbelt wird. Denn das Geld, das die Flüchtlinge bekommen, werden sie nicht in einem Kuvert nach Hause schicken. Vielmehr geht dieses Geld auch auf das Gehaltskonto von Lehrerinnen und Lehrern, Polizistinnen und Polizisten, Juristinnen und Juristen sowie von vielen anderen, zum Beispiel Einrichtungen. Es führt dazu, dass es auch Steuerrückflüsse geben wird.

Die Beteiligung des Bundes entspricht bislang in etwa der Höhe der Steuerrückflüsse, mit der er rechnen kann. Mit anderen Worten: Das ist für ihn ein Nullsummenspiel. Für Länder und Gemeinden aber ist es nicht mehr als eine Krume, die für das gegeben wird, was sie bislang für etwas aufgewandt haben, das nicht von ihnen verursacht wurde und für das der Bund Mitleistungen zu erbringen hat. Diese Debatte werden wir noch zu führen haben. Jetzt aber geht es um die 15 Punkte. Und dafür bitte ich um Ihre Zustimmung in den Beratungen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. Die Landesregierung hat ihre Redezeit deutlich – um 3 Minuten und 28 Sekunden – überzogen. Wenn die Landesregierung mehr Redezeit braucht, kann man das in Zukunft vielleicht berücksichtigen, wenn wir in der Ältestenratssitzung unsere Tagesordnung festsetzen. Dann können sich die Fraktionen auch schon im Vorfeld entsprechend darauf einstellen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass jetzt natürlich auch den anderen Fraktionen 3 Minuten und 28 Sekunden zur Verfügung stehen. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Zimkeit.

Stefan Zimkeit (SPD): Angesichts des langen, aber überzeugenden Vortrags des Finanzministers können sich die Fraktionen ja vielleicht auch kürzer fassen. Da ich aber nicht glaube, dass gleich alle Kolleginnen und Kollegen überzeugt sein werden, …

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU – Ralf Witzel [FDP]: Geben Sie Ihr Mandat zurück, wenn Sie nicht arbeiten wollen!)

– Also Herr Witzel, ich zitiere Ihre Bemerkung jetzt einmal: Geben Sie Ihr Mandat zurück, wenn Sie nicht arbeiten können. – Das ist angesichts dessen, …

(Ralf Witzel [FDP]: Wollen!)

Oder wollen! – Das ist eine unerträgliche Frechheit. Erstens. Sie kommen zu spät zur Debatte und plustern sich hier dann so auf. Zweitens. Wenn man Ihre Arbeitsleistung hier so verfolgt, könnte man Ihnen auch sagen: Sie haben nicht das Recht, hier die Arbeitsweise und die Beiträge von Kolleginnen und Kollegen so herabzuwürdigen. Sie ganz bestimmt nicht!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir leisten hier nämlich unsere Beiträge; darauf können Sie sich verlassen. Wir leisten sie dadurch, dass wir das Vorgehen der Landesregierung in dieser Frage ausdrücklich unterstützen. Wir waren uns hier in diesem Haus einmal alle einig, dass wir eine schnelle Reaktion auf die schrecklichen Vorgänge in der Silvesternacht haben wollen.

Die Landesregierung hat auch sehr schnell reagiert und ein 15-Punkte-Programm auf den Weg gebracht, um die Situation zu verbessern. Dieses 15-Punkte-Programm wird jetzt durch diesen Nachtragshaushalt umgesetzt. Es ist auch notwendig, diese 15 Punkte mit einem Nachtragshaushalt umzusetzen, weil unter anderem etliche neue Stellen geschaffen werden und dies auf keinem anderen Weg geht. Insofern unterstützen wir dieses Vorgehen ausdrücklich.

Dabei werden aus unserer Sicht die richtigen Schwerpunkte gewählt.

Der allerwichtigste Schwerpunkt aus meiner bzw. unserer Sicht ist die Schaffung der Anlaufstelle für die Opfer der Silvesternacht; denn ich glaube, wir müssen in den Debatten über die Silvesternacht bei allen politischen Auseinandersetzungen und bei allen Nachforschungen in Bezug auf das, was beim Bund oder beim Land möglicherweise falsch gelaufen ist, insbesondere die Opfer stärker in den Mittelpunkt stellen. Das ist die Arbeit, die für uns wichtig ist, Herr Witzel. Wenn Sie das für überflüssig halten, zeigt das nur, wes Geistes Kind Sie sind.

Der nächste Punkt: Wir halten es für wichtig und notwendig, mehr Polizei auf die Straße zu bringen. Wir haben schon jetzt die höchsten Einstellungszahlen für die Polizei. Es gibt eine höhere Zahl von Polizistinnen und Polizistinnen auf der Straße, als wir sie seit vielen Jahren – seit 2005 – gehabt haben. Das stocken wir jetzt noch einmal auf.

Dies ist die richtige Vorgehensweise; das ist ein Vorgehen, das sich von dem der Oppositionsfraktionen unterscheidet. Die CDU-Fraktion hat ja aus der Opposition heraus noch die Streichung von Polizeistellen beantragt. Das ist der falsche Weg. Wir gehen sehr bewusst einen anderen.

Ich zitiere in diesem Zusammenhang gerne den Vorsitzenden der GdP Nordrhein-Westfalen, der zu diesem Nachtragshaushalt gesagt hat: Dies ist ein wichtiges und positives Signal für die innere Sicherheit. – Das ist richtig, und das sehen wir als Fraktion genauso.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage nach einem beschleunigten Asylverfahren, der Ordnung dieses Verfahrens und der klaren Abläufe. Wir schaffen neue Stellen, um das Ganze entsprechend auf den Weg zu bringen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber das können wir nicht alleine. Das können wir nur, wenn endlich der Bund handelt. Wir führen breite Diskussionen über Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten und die Frage, wie lange sie hierbleiben und wie die Asylverfahren ablaufen sollen. Aber es kann doch nicht sein, dass Menschen, die aus diesen Staaten kommen, ein halbes Jahr warten müssen, bis sie überhaupt einen Antrag stellen können, und dann noch einmal über ein Jahr, bis dieser Antrag beschieden wird.

(Daniel Sieveke [CDU]: Das stimmt nicht!)

Das ist unzumutbar für die Betroffenen und auch für die Kommunen, die in erster Linie die Kosten zu tragen haben. Darüber hinaus kann und darf es nicht sein, dass sich der Bund nach fünf Monaten Finanzierung aus der Verantwortung zieht, es aber nicht schafft, die vorliegenden Asylanträge zu bearbeiten. Wir in Nordrhein-Westfalen werden unseren Anteil dazu beitragen, dies schnell abzuwickeln.

Heute wird ein Nachtragshaushalt vorgelegt, der die richtigen Schwerpunkte setzt. Wir als Landtag sollten diesen positiv begleiten und eine schnellstmögliche Umsetzung gerade im Hinblick auf die innere Sicherheit ermöglichen.

Die SPD-Fraktion unterstützt diesen Gesetzentwurf ausdrücklich. Wir können die Oppositionsfraktionen nur auffordern, hier zusammen mit uns vorzugehen und ein gemeinsames Signal für mehr innere Sicherheit, für eine bessere Betreuung der Opfer und für eine stärker geordnete Absetzung der Asylverfahren in Nordrhein-Westfalen zu senden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Vor zwei Monaten hat der Landtag den Haushalt 2016 mit einem Haushaltsvolumen von immerhin fast 70 Milliarden € verabschiedet. Noch bevor die gedruckte Fassung dieses Haushaltes vorliegt, beschließt das Kabinett schon den ersten Nachtragshaushalt. Herr Minister, Ihre Haushalte haben ein kürzeres Haltbarkeitsdatum als ein Fruchtjoghurt.

(Beifall von der CDU)

Das ist das Gegenteil von vorausschauender Haushaltsplanung durch den Finanzminister. Das ist das Gegenteil von seriöser Finanzpolitik.

Nachdem Sie bereits 2015 den deutschen Rekord geschafft haben – nämlich vier Nachtragshaushalte –, wollen Sie offenbar auch in diesem Jahr Quartalshaushalte machen, um Ihre Unzulänglichkeiten in der Haushaltsaufstellung und Haushaltsdurchführung zu kaschieren.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Herr Finanzminister, man könnte schon auf die Idee kommen, dass einige der Herausforderungen, die Sie eben benannt haben – unter anderem auch in der Flüchtlingspolitik –, nicht ganz neu sind. Die waren uns bereits bei den Haushaltsberatungen im September, Oktober, November und Dezember 2015 bekannt. Die Zahlen haben sich seitdem auch nicht wesentlich verschoben.

Trotzdem erklären Sie uns hier durch die Blume, dass neben dem isolierten 15-Punkte-Plan, den Sie jetzt eingebracht haben – für die innere Sicherheit, als Ergebnis der Silvesternacht –, wir eigentlich auch damit rechnen müssten, dass nach der Mai-Steuerschätzung der nächste Nachtrag kommt, wenn Ihnen schließlich angesichts der Flüchtlingskosten sozusagen die Hose zu eng wird. Das ist unseriös, Herr Minister!

Die CDU-Fraktion hat bei der Debatte zum Haushalt 2016 die Landesregierung aufgefordert, endlich Prioritäten zu setzen, anstatt alles Mögliche machen zu wollen. Zwei große Aufgaben für 2016 haben wir benannt: innere Sicherheit und Integration.

Es spricht für diese rot-grüne Regierung, dass sie seit 2010 immer wieder erst durch äußere Ereignisse auf Fakten hingewiesen werden musste, dass sie erst einmal vor etwas erschrecken musste, was eigentlich leider nur eine Frage der Zeit war, nämlich: Wann entsteht die Situation, dass man mit der Art und Weise, wie in den letzten Jahren die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen organisiert wurde, große Probleme bekommt?

Dass es zu den Vorfällen auf der Domplatte kommen würde, das wusste keiner. Aber dass die innere Sicherheit Nordrhein-Westfalens in einem schlechten Zustand war, der Innenminister stattdessen aber lieber Blitzmarathons machen wollte, das wusste jeder, der es wissen wollte. Sie sind eine PR-Regierung und keine Regierung, die handelt!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nachdem Sie den Nachtragshaushalt per Eilboten in den Landtag gebracht haben, weil Sie es erst in letzter Sekunde geschafft haben, die Fristen einzuhalten, um heute im Plenum darüber beraten zu können, obwohl Sie nach der Ankündigung der Ministerpräsidentin dafür sechs Wochen Zeit hatten, kann man nur feststellen: Auch hier haben Abtauchen, unseriöses Arbeiten und schließlich das Stricken mit der heißen Nadel System.

Ich will das den staunenden Besuchern einmal erzählen: Sie hatten sechs Wochen Zeit, ein 15-Punkte-Programm – das man sehr deutlich beziffern kann, wenn man das will – in Ihrem Kabinett zu beraten, nachdem die Ministerpräsidentin dies hier verkündet hat. Und dann schaffen Sie es nicht, eine gedruckte Fassung vorzulegen, sondern machen noch in der Kabinettssitzung handschriftlich Zahlendreher. Da steht dann noch nicht einmal eine Paraphe dran, um zu erkennen, wer es gemacht hat. Das ist Handwerk, so wie wir es von Ihnen kennen.

Und dann erklärt der Finanzminister zusammen mit dem Justizminister der staunenden Öffentlichkeit, 47 Millionen € seien das größte Paket für innere Sicherheit in Deutschland. Herr Minister, wenn Sie das selbst glauben, dann mag das für Sie ja so sein, aber es ist eigentlich der größte Witz der Weltgeschichte, wenn Sie hier erklären, 47 Millionen € seien das größte Sicherheitspaket in Deutschland.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wir haben hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen bei Charlie Hebdo mehr gemacht!

Sie machen weiter Stückwerk. Irgendwann müssen Sie sich auch mal entscheiden, ob Sie der Meinung sind, dass die Ereignisse in Köln alleine mit dem abgesetzten Polizeipräsidenten zu tun haben, oder ob es strukturelle Probleme bei der inneren Sicherheit in Nordrhein-Westfalen gibt. Das eine oder das andere ist richtig, nicht beides. Wenn der eine schuld war, dann brauchen Sie keinen 15-Punkte-Plan, und wenn der nicht alleine schuld war, dann sagen Sie das auch einmal öffentlich. Der Innenminister verkauft es jedenfalls immer noch anders.

Die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen ist nur ein Thema. Das andere Thema ist die Tatsache, dass Sie die 350 Millionen €, die nach dem von Ihnen eingebrachten Flüchtlingsaufnahmegesetz etatreif sind, weil sie durch das Kabinett sind, nicht in diesen Nachtragshaushalt hineinbringen. Sie haben nämlich keine Gegenfinanzierung, weil Ihre fallende Linie der Neuverschuldung schon jetzt kaputt wäre – zwei Monate, nachdem der Haushalt verabschiedet worden ist. Herr Minister, Sie leben von der Hand in den Mund, und das wissen Sie ganz genau.

(Beifall von der CDU)

Rot-Grün wählt mal wieder den einfachen Weg, Herr Zimkeit eben auch: Wir schimpfen auf den Bund. Wir schimpfen wahlweise auch auf andere – mal ist Sachsen schuld, mal ein anderer. Jedenfalls ist immer irgendein anderer schuld. Immer sind äußere Ereignisse schuld. Nie liegt es an Ihnen. Man hat immer das Gefühl: Eigentlich regiert diese Regierung gar nicht, sie kommuniziert nur und findet immer einen Schuldigen. Das ist eine ganz tolle Regierung. Die ist unglaublich handlungsfähig. – Das war Ironie.

Vielleicht beantworten Sie nachher noch die Frage, wie viele Nachtragshaushalte Sie denn dieses Jahr vorhaben. Wollen Sie das Parlament, das hier eigentlich einen jährlichen Haushalt aufstellen soll, viermal im Jahr mit einem Haushalt belämmern? Machen Sie doch eine vorausschauende Haushaltsplanung! Wenn Sie jetzt im Aufstellungsverfahren für 2017 sind, dann versuchen Sie doch einmal, wenigstens den Haushalt so aufzustellen, dass er vielleicht ein Jahr hält. Vielleicht hält er auch nur ein halbes Jahr nach dem Regierungswechsel. Aber immerhin, Sie sollten es versuchen.

(Beifall von der CDU)

Diese Landesregierung – das ist das Fazit – präsentiert mit diesem ersten Nachtragshaushalt 2016 erneut haushaltspolitischen Fastfood: Der kostet viel, hält nicht lange vor und enthält wenig Vitamine. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Optendrenk. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als wir vor knapp sechs Wochen hier im Landtag über die Ereignisse der Kölner Silvesternacht debattierten, standen wir noch unter dem Eindruck der Bilder und Berichte, die uns ein in Deutschland nicht gekanntes Ausmaß der Taten offenbarten. Sie waren erschreckend. Sie haben das Sicherheitsgefühl vieler Menschen erschüttert, und man muss ehrlich sagen, dass die Verunsicherung bei vielen andauert.

Meine Damen und Herren, Verunsicherung darf nicht zu einer Vertrauenskrise führen. Wir können für die absolute Sicherheit nicht garantieren, aber wir wollen und wir haben einen starken Rechtsstaat, der Stärke zeigen muss, wo es notwendig ist, denn nur so können die Schwächsten unserer Gesellschaft geschützt werden.

Wir haben im Januar-Plenum auf die Ereignisse mit einem 15-Punkte-Plan reagiert, der nun mit dem Nachtrag fiskalisch hinterlegt wird. Sechs Wochen nach Einbringung und detaillierter Arbeit wollen wir über 700, fast 800 neue Stellen und zusätzliche Sachmittel investieren.

Als Erstes möchte ich den Schutz und die Unterstützung von Opfern sexueller Gewalt nennen. Diese Maßnahmen werden wir jetzt weiter verstärken. Für die Opfer der Übergriffe in Köln wurde eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet, damit sie dort die dringend notwendige Betreuung erhalten können.

Uns geht es darum, den Opfern bestmöglich zu helfen, Opferschutz zu stärken, das Netz an Beratung auszubauen. Das tun wir nicht erst seit Köln, was auch auf viele andere Maßnahmen zutrifft, aber jetzt noch einmal mit zusätzlichem Geld und zusätzlichen Stellen.

Herr Kollege Dr. Optendrenk, Sie haben eben ausgeführt, dass die Haltbarkeit der Haushalte des Finanzministers, der Landesregierung kürzer sei als die eines Fruchtjogurts. Herr Kollege, wenn Sie sich einmal darüber klar werden, was die Konsequenz Ihrer Aussage ist: Hätten wir denn in den vergangenen Monaten bei den steigenden Flüchtlingszahlen, bei neuen Einigungen auf Bundesebene nicht nachsteuern sollen? Hätten wir nicht zusätzliche Stellen bei der Polizei schaffen sollen? Hätten wir nicht über 5.000 Lehrerinnen- und Lehrerstellen schaffen sollen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das sind alles Leistungen, die wir mit einem Nachtrag nachgesteuert haben. Es ist absurd, wenn man Ihre Kritik zu Ende denkt.

Meine Damen und Herren, die Täter sollen schnell bestraft werden. Die Strafe muss der Tat auf dem Fuße folgen. Deswegen wird es personelle Verstärkungen innerhalb der Staatsanwaltschaften geben – 200 zusätzliche Stellen, Staatsanwältinnen und Richter. Das ist ein Kraftakt für den Haushalt, ja. Es ist aber vor allem ein starkes Bekenntnis zum Rechtsstaat – so hat der Richterbund seine Presseerklärung zu diesem Nachtrag überschrieben. Ich finde, das ist die richtige Bewertung dieser zusätzlichen Stellen.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Sagen Sie was zur Videoüberwachung!)

– Dazu komme ich gleich noch, Herr Kollege, immer Geduld. Ich habe ja dank des Finanzministers noch ein paar Minuten.

Wir werden die Präsenz der Polizei auf der Straße verstärken. Dafür wollen wir möglichst schnell 500 Polizistinnen und Polizisten zusätzlich an den Kriminalitätsbrennpunkten einsetzen. Wir haben hier, meine Damen und Herren von der Opposition, in den letzten Jahren 8.000 zusätzliche Stellen bei der Polizei geschaffen.

(Daniel Sieveke [CDU]: Wie viele Stellen?)

– 8.000 zusätzliche Stellen, Herr Kollege Sieveke. Sie sollten das als Vorsitzender des Innenausschusses eigentlich wissen: 8.000 zusätzliche Stellen – das sind exakt doppelt so viel wie in der ganzen Zeit 2005 bis 2010, exakt doppelt so viele Einstellungen bei der Polizei. Wir haben jetzt mit 1.920 Anwärterinnen und Anwärtern die höchste Zahl in der Geschichte dieses Landes, meine Damen und Herren. Auch hier verschließen wir uns nicht.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Wie viele sind denn in Pension gegangen?)

– Wie viele in Pension gegangen sind? Sie geben mir gute Stichworte, Herr Kollege Schmitz. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür. – Wir sind in der Tat das einzige Bundesland, das seit 2011 mehr Beamte einstellt, als in den Ruhestand gehen. Wir sind das einzige Bundesland.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir uns dann die Bundeszahlen, die bei der Bundespolizei, angucken, dann sieht die Bilanz gerade der Unions-Innenminister, die traditionell dieses Ressort in der Großen Koalition in den letzten Jahren besetzen, negativ aus. 15 andere Bundesländer und der Bund haben gekürzt. Seit 2011 sind wir konstant das einzige Land mit einem positiven Saldo. Wir verschließen uns aber auch in diesem Bereich nicht und wollen zusätzliche Beamtinnen und Beamte auf die Straße bringen.

Zu Ihrem Stichwort, Herr Kollege Schmitz, zur Videobeobachtung: Ja, wir verschließen uns auch diesem nicht. Das ist eine bisher im Polizeigesetz vorgesehene Regelung. Ich habe Altweiber den Polizeieinsatz in Düsseldorf begleitet. Ich habe mir dort auch die Videobeobachtung am Bolker Stern angeguckt. Wir haben hier die Situation, dass wir unter einer Minute – auch bei dichtem Gedränge – Reaktionszeit haben, in der Beamtinnen und Beamte sofort Verstärkung hinschicken können, sodass sofort interveniert werden kann. An Kriminalitätsschwerpunkten, die geprüft werden müssen, wo es klare Voraussetzungen gibt, werden wir uns auch an dieser Stelle nicht verschließen, Herr Kollege.

Für uns bleibt ein zentraler Punkt, die Integration zu stärken. Als erstes und bisher einziges Bundesland investieren wir in Nordrhein-Westfalen erhebliche Mittel, um 3.600 zusätzliche Plätze in Basissprachkursen zu schaffen. Und die von uns in den letzten Jahren aufgebauten kommunalen Integrationszentren werden die Aufgabe der Wertevermittlung wahrnehmen und koordinieren. Auch funktionierender gesellschaftlicher Zusammenhalt ist Prävention. Auch das gehört zu einem starken Rechtsstaat.

Meine Damen und Herren, es ist ohne Zweifel so: Viele Menschen hat die Silvesternacht aufgeschreckt, viele fühlen sich verunsichert. Dies zu leugnen, grenzt an Realitätsverlust. Wenn wir aber davon reden, dass das Sicherheitsgefühl von Menschen gestört ist, dann dürfen wir die Angst derer nicht vergessen, die mit den Taten der Kölner Silvesternacht nichts zu tun hatten und die sich nun unter Generalverdacht gestellt sehen.

Wir haben als Demokratinnen und Demokraten die Verantwortung, dass Menschen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Haarfarbe oder aufgrund anderer Merkmale stigmatisiert, diskriminiert werden, dass Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Meine Damen und Herren, ich finde es daher unerträglich, dass ein Mitglied der CDU-Bundestags-fraktion genau das versucht, genau versucht, Menschen gegeneinander auszuspielen, mit einem Tweet zu hetzen, mit einer Bildsprache, wie wir sie sonst nur von AfD, Pegida und Co. kennen. Ich fand es, meine Damen und Herren von der Union, bemerkenswert, wie sich Armin Laschet nach Clausnitz positioniert hat. Sie müssen nun deutlich machen, dass in der Fraktion einer großen Volkspartei in diesem Lande rassistische Stimmungsmache keinen Platz hat, egal in welcher Form. Sie haben ein U-Boot von Pegida in Ihren Reihen.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Was?)

Stärken Sie die demokratische Kultur. Sagen Sie Herrn Laschet, dass er sein Gewicht dafür einsetzen soll, dass Erika Steinbach Konsequenzen spürt,

(Daniel Sieveke [CDU]: Wir sind hier in Nordrhein-Westfalen!)

dass sie von den Ämtern enthoben wird. Das wäre konsequent. Wir dürfen eins nicht zulassen:

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir dürfen nicht zulassen, dass es als normal gilt, dass auf diese rassistische Hetze keine Konsequenzen folgen. Es kann nicht sein, dass es in diesem Land ohne Konsequenzen bleiben soll, wenn die menschenrechtspolitische Sprecherin in der Art und Weise hetzt, wie sie es getan hat. Reden Sie mit Herrn Laschet, er hat hier Verantwortung.

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Sie sind der größte Landesverband. Sie haben die größte Landesgruppe im Bundestag. Sorgen Sie dafür, dass es Konsequenzen hat im Sinne der demokratischen Kultur und damit auch im Sinne von uns allen!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der erste Nachtragshaushalt für das Jahr 2016 liegt vor. Dies sind wir mittlerweile gewohnt. Letztes Jahr waren es ja bekanntlich vier Nachträge. Aber die Silvesternacht war eine Zäsur, und die Stärkung von Polizei, Justiz, Opferschutz und Integration ist auch richtig und wichtig. Sie war aber schon überfällig und wurde von uns bereits gefordert, als das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen war.

Zunächst zum Haushalterischen. Wer einen Blick in die Haushaltsübersicht wirft, wird sich wundern: Gesamtausgaben und -einnahmen bleiben unverändert. Der Nachtragshaushalt täuscht schlicht über die finanzielle Realität in Nordrhein-Westfalen hinweg. Die knapp 50 Millionen € sind gerade nicht durch strukturelle Einsparungen gegenfinanziert. Diese Ausgaben werden durch die Erhöhung der globalen Minderausgaben einmalig erbracht. Hauptsächlich strukturellen Mehrausgaben stehen einmalige Minderausgaben gegenüber. Es erfolgt kein Herunterbrechen auf die einzelnen Kapitel und Titel.

Dabei würde allein schon eine große Position – der Finanzminister hat darüber im Haushalts- und Finanzausschuss berichtet: nämlich zum Beispiel die Auslagen in Rechtssachen, bei denen im letzten Jahr 32 Millionen € mehr veranschlagt waren, als letztlich ausgegeben wurden – ausreichen, um dort mehr als die Hälfte dessen herauszubrechen, was Sie hier an der Stelle in den Nachtragshaushalt hineingeschrieben haben.

Meine Damen und Herren, mehr Richter und Staatsanwälte: Da haben Sie die FDP voll an Ihrer Seite. Das hatten wir ja schon für den Haushalt 2016 gefordert, insbesondere zur Verfahrensbeschleunigung. Damals wurde es von Ihnen abgelehnt, jetzt haben Sie umgeschwenkt, ohne allerdings die Amtsanwälte als die mit Abstand höchst belastete Laufbahn der Justiz zu bedenken.

(Beifall von der FDP)

Auch unsere Forderung zur Umsetzung des besonders beschleunigten Verfahrens stieß im letzten Jahr bei Rot-Grün noch auf taube Ohren. Nun stehen Sie vor der Problematik, wie Sie überhaupt über 500 ausreichend qualifizierte Juristen gewinnen wollen. Im Jahr 2015 hatten Sie 301 Stellen für Richter und Staatsanwälte zu besetzen. Nur rund 350 Absolventen haben im Jahr 2015 in NRW ein „vollbefriedigend“ oder einen besseren Abschluss erreicht. Nun kommen 200 Stellen obendrauf, sprich: 2016 gilt es mehr als 500 Stellen zu besetzen. Wie wollen Sie da das gute Niveau halten?

Ähnlich ist es im Polizeibereich. Da sollen es 250 Lebensarbeitszeitverlängerungen richten, sprich Pensionäre. Allerdings belegt der Expertenbericht „Bürgernahe Polizei“, dass vier Jahre vor dem Ruhestand die vorzeitigen Zurruhesetzungen im Polizeibereich sprunghaft ansteigen, nur 50 % die reguläre Altersgrenze von 60 bis 62 Jahren erreichen. Man darf skeptisch sein, wie viele Beamte freiwillig bleiben werden.

Meine Damen und Herren, mehr Polizei auf der Straße und in den Kommissariaten, schnellere Verfahren, bessere Zusammenarbeit von Polizei, Justiz und anderen Behörden – das sind genau die Forderungen der Freien Demokraten schon lange vor der Silvesternacht. Ihre Versäumnisse versuchen Sie jetzt zu heilen: ein überfälliger Richtungswechsel als ein erster Schritt.

Umgerechnet rund 10.000 Polizeikräfte stehen derzeit in Nordrhein-Westfalen für die Wahrnehmung polizeilicher Kernaufgaben gar nicht zur Verfügung. Weitere über 1.000 unbesetzte Stellen entstehen in den Kreispolizeibehörden durch unterjährige Abgänge. 1.500 Stellen drohen in den nächsten Jahren sukzessive wegzufallen. Das alles offenbart und kritisiert Ihre eigene Expertenkommission und gibt konkrete Handlungsvorschläge.

So könnten Sie Hunderte Stellenäquivalente ad hoc im Polizeibereich für mehr Präsenz generieren. Trotzdem bleiben Sie weitgehend untätig. Und Sie verschweigen, wo Beamte für neue Bereitschaftspolizeien und mobile Einsatzkommandos herkommen. Tatsächlich drohen hier dauerhafte Personalverlagerungen zulasten zahlreicher Polizeibehörden insbesondere des ländlichen Raums.

(Beifall von der FDP – Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Höchste Anwärterzahlen!)

Zurecht setzt schließlich § 15a Polizeigesetz für die Videoüberwachung im öffentlichen Raum enge Grenzen. Mit 5,5 Millionen € könnte man 110 Polizeibeamte zusätzlich bezahlen. Das wäre sicherlich effektiver. Zudem fragt sich natürlich bei § 15a Polizeigesetz – die Voraussetzungen gelten ja nicht erst seit gestern, und es wundert einen schon, dass offensichtlich Kriminalitätsbrennpunkte jetzt vom Himmel fallen –, warum diese Maßnahmen, wenn denn die Voraussetzungen des § 15a Polizeigesetz schon vorgelegen haben, dann nicht in der Vergangenheit bereits durchgeführt wurden.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, nicht nur die Ausgabenplanungen, auch die Einnahmeansätze werfen erhebliche Fragen auf. Der Verlauf der Steuereinnahmen wurde vom Finanzminister im Jahr 2015 falsch eingeschätzt. Bei Lohnsteuer und Umsatzsteuer gab es Mindereinnahmen. Am Ende des Jahres 2015 waren rund 500 Millionen € zu wenig in der Kasse.

Was ich Ihnen vorwerfe: Sie haben diese Lücke nicht im Nachtragshaushalt 2016 berücksichtigt. In Ihrer Vorlage 16/3495 beschreiben Sie es selbst, Herr Finanzminister. Sie weichen von den Erwartungen des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ nach oben ab. Ihre Begründung: Die Istwerte in NRW entwickeln sich so positiv. Das haben die Steuerschätzer nicht gewusst. Deshalb unterstellt die Landesregierung für 2016 einen Basiseffekt von rund 1 Milliarde € mehr.

Heute wissen wir aber: Bereits 2015 wurden die Ansätze nicht erreicht. Somit kann der Basiseffekt insoweit auch nicht in das Haushaltsjahr 2016 fortwirken. Die Basis ist an dieser Stelle weggebrochen. Der Ansatz müsste, wenn man Ihrer Argumentation folgt, Herr Finanzminister, nach unten korrigiert werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen habe ich überlegt, ob ich eine Krawatte umbinde. Ich habe das gelassen.

(Zuruf von Dirk Wedel [FDP])

Es ist nämlich kein Festakt, den wir heute bei Einbringung dieses ersten Nachtragshaushalts 2016 erleben.

(Martin Börschel [SPD]: „Schön“ ist relativ!)

– Ich habe eine Menge Krawatten und sehr schöne. Eigentlich hätte ich eine schwarze Krawatte anziehen müssen. Denn die Glaubwürdigkeit dieser Landesregierung wird eigentlich heute zu Grabe getragen, und nicht das erste Mal.

(Martin Börschel [SPD]: Wenn Sie Ihre Garderobe immer dem Tagesordnungspunkt anpassen, dann ist das gut!)

– So ist das, lieber Kollege Börschel.

Folgen der Silvesternacht werden hier als Grund für die Einbringung dieses ersten Nachtragshaushalts 2016 angeführt. Ja, es ist sicherlich wichtig, Hilfe für Opfer zu stärken, aber nicht erst seit diesem Zeitpunkt. Es ist sicher notwendig, die innere Sicherheit im Land Nordrhein-Westfalen zu stärken, aber nicht erst seit diesem Zeitpunkt. Es ist sicherlich auch notwendig, eine Ordnung in den Asylverfahren herbeizuführen, aber nicht im Vorgriff auf das, was das Asylpaket II, welches wir von den Piraten jedenfalls ablehnen, hier schon an, ich sage mal, Vorboten innerhalb dieses Nachtragshaushalts entfaltet.

(Beifall von den PIRATEN)

Es ist auch sicher wichtig, die Integration vor Ort zu stärken und zu verbessern. So muss ich Sie zitieren, Herr Finanzminister, aus Ihrer Einbringungsrede. Sie sagten eben: Es war absehbar, wie teuer und groß die Herausforderungen in 2016 sind. – Ja, Herr Finanzminister, es war absehbar.

(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Es war aber nicht erst absehbar seit der Silvesternacht, sondern es war bereits absehbar zum Zeitpunkt der Aufstellung des Landeshaushalts 2016. Da hätten Sie reagieren bzw. im Vorgriff darauf, was an Herausforderungen auf das Land Nordrhein-Westfalen zukommt, eingreifen müssen, und sicherlich angesichts des Gesamtvolumens des Haushalts 2016 nicht mit einem Brosamen von rund 47 Millionen €.

Das ist nichts mehr als ein Feigenblatt und soll den Menschen im Land vorgaukeln, es würde in Nordrhein-Westfalen etwas zur Stärkung der Sicherheit und inneren Ordnung geschehen wie aber auch am System des Rechtsstaats verbessert. Maßnahmen wie 100 Richterinnen und Richter, 100 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mehr einzustellen, können sicherlich nicht nur eine Folge der Silvesternacht sein. Dafür müsste man überhaupt erst einmal die Täter haben. Aber ich brauche weder 100 Richter noch 100 Staatsanwälte, um diese Täter, derer man dann habhaft werden konnte, zu verurteilen.

(Beifall von den PIRATEN)

Es liegt also auch in diesem Punkt ein Indiz dafür vor, dass der Landeshaushalt 2016 und auch schon vorangegangene Landeshaushalte nicht nur – wie sagten Sie, Herr Kollege Dr. Optendrenk? – auf Kante gestrickt sind, sondern sie sind unzureichend, genauso wie auch dieser Nachtragshaushalt, der nichts weiter ist als ein Feigenblatt, ein Feigenblatt, welches, wie gesagt, den Menschen das Gefühl vermitteln soll, dass hier im Lande Nordrhein-Westfalen seitens dieser Landesregierung etwas unternommen wird.

Aber das Kritikfähige und Negative dieses Landeshaushalts bzw. des Nachtrags überwiegt. Es ist die fiskalische Manifestation des 15-Punkte-Plans – das wurde bereits mehrfach erwähnt – der Landesregierung vom 14. Januar des Jahres. Er ist aber auch darüber hinaus nichts weiter als Law and Order mit pseudo-linksgrünem Anstrich. Es ist ein Angsthaushalt.

(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Es ist ein Angsthaushalt und ein Greifen nach dem Strohhalm, auf dem steht: Rettet Jäger!

(Stefan Zimkeit [SPD]: Im Haushalt steht das?)

Dieser Nachtragshaushalt wird in die Annalen NRWs als eine der teuersten Imagekampagnen dieser Regierung eingehen.

Ausweitung der Videoüberwachung: Davon ist die Rede, Herr Kollege von den Grünen, Herr Abel. Sie sind darüber hinweggegangen, dass die Landesregierung die Grünen an ihrer Seite weiß insofern, als es notwendig sei, die Videoüberwachung auszuweiten. Für uns Piraten ist es ein absolutes No-Go. Die Bevölkerung wird unter Generalverdacht gestellt, Massenüberwachung wird ausgeweitet, massenhafter Eingriff in die Privatsphäre der Bürger soll an zahlreichen Orten in Nordrhein-Westfalen erfolgen.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schulz, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Abel würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Bitte schön, Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Eigentlich wollte ich Ihren Beitrag nicht verlängern. Aber da Sie auch auf Twitter Falschbehauptungen verbreiten, sage ich das dann auf diesem Wege auch einmal an Ihre Pressestelle: Ich habe mich in meinem Beitrag nicht für Videoüberwachung ausgesprochen. Ich habe von dem konkreten Beispiel der Videobeobachtung am Bolker Stern in Düsseldorf, von der ich – wie ich das ausgeführt habe – mir ein Bild gemacht habe, gesprochen und habe gesagt, dass wir auf der bisherigen rechtlichen Grundlage weitere Standorte prüfen und auch die Mittel dafür bereitgestellt haben.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass, wenn Sie mich so zitieren, wie Sie das eben und auch im Internet getan haben, Sie mich falsch zitieren?

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Neusprech!)

Dietmar Schulz (PIRATEN): Lieber Herr Kollege Abel, ich weiß jetzt nicht, welchen Tweet von mir Sie da meinen. Oder meinten Sie den der Pressestelle?

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Ja!)

Ich habe Ihnen wirklich sehr aufmerksam zugehört.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Toll!)

In der Tat, Herr Kollege Abel, Sie haben insbesondere auf die Überwachungssituation am Bolker Stern in Düsseldorf hingewiesen, weil Sie da einmal, wohl auch begleitend, dabei waren. Das ist vollkommen richtig.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: „Beobachtung“!)

Sie haben aber hier die allgemeine Aussage getätigt in Bezug auf den ersten Nachtragshaushalt 2016 und der Landesregierung versichert, dass sie die Grünen im Hinblick auf die Videoüberwachung – Sie haben es allerdings auch „Videobeobachtung“ genannt – an ihrer Seite haben.

(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Das müssen Sie auch. Denn wenn Sie vonseiten der Grünen dem nicht zustimmen, dann fliegt der Nachtragshaushalt durch. Sie müssen also auch diesen Maßnahmen zustimmen, Herr Kollege Abel. Das sollten Sie bitte einfach einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von den PIRATEN – Marc Olejak [PIRATEN]: So ist es!)

Zudem ist sehr umstritten, was die Wirksamkeit der Videoüberwachung angeht. Bringen Kameras wirklich ein Mehr an Sicherheit? In Köln haben wir gemerkt – dort sind nämlich zahlreiche Kameras auf dem Bahnhofsvorplatz –: Zahlreiche Kameras und weit über tausend Stunden Videoaufzeichnung haben nicht dazu geführt, die Taten der Silvesternacht zu verhindern.

(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Das heißt mit anderen Worten: Eine Ausweitung der Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen, insbesondere in den angekündigten Städten wie Bochum, Gelsenkirchen usw. – es wurden zahlreiche Städte aufgeführt; auch die Kölner Ringe sollen zusätzlich überwacht werden –, wird so etwas eben nicht verhindern können.

(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Sie von der Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen leisten dem europäischen Überwachungsinstrument mit diesem Landeshaushalt indirekt Vorschub, und Sie von den Grünen sind an vorderster Front dabei.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Er hat zumindest eine!)

Wie Sie das Ihrer Basis letztendlich verkaufen wollen, bleibt allein Ihr Rätsel.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Was ist eigentlich mit Ihrer Basis?)

Ich möchte an dieser Stelle einmal den ehemaligen Widerstand der Grünen gegen Videoüberwachung aufzeigen – ich zitiere –:

„,Wir haben uns früh genug dagegen ausgesprochen‘, sagte etwa Sait Keles, Grünen-Fraktionssprecher in Duisburg. Es sei sehr schade, dass die Grünen in der Landesregierung diesen Schritt trotzdem mitgegangen seien. ,Wir haben bereits eine breitflächige Überwachung per Kamera‘, so Keles. Das habe eine Zunahme der Kriminalität auch nicht verhindern können.“

Und weiter sagt der Grünen-Fraktionschef von Wuppertal, Marc Schulz: „Mehr Videobeobachtung löst in Wuppertal kein Problem“. – Recht so. Nirgendwo wird ein Problem gelöst, und Sie geben diese Position hier im Landtag vonseiten der Grünen auf. Das wird Ihnen ganz sicher noch übel genommen werden, insbesondere in Ihren Reihen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist doch Unfug!)

Jeder aufrechte Demokrat und jeder freiheitsliebende Mensch in diesem Land muss sich solchen Pseudosicherheitsambitionen widersetzen, auch hier im Hause, und zwar mit der Inbrunst, die ein Parlamentarier aufzubringen imstande ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Allein deshalb werden wir vonseiten der Piraten, unabhängig davon, wie das weitere Beratungsverfahren verläuft, diesen Nachtragshaushalt ganz sicher ablehnen müssen. Das können wir bereits heute in der ersten Lesung sagen. Die Tatsache, dass zaghafte Ansätze gegeben sind, das Asylpaket II umzusetzen – ich hatte es bereits erwähnt –, welches wir Piraten jedenfalls in dieser Form ablehnen, sei nur am Rande erwähnt.

Präsidentin Carina Gödecke: Sie haben jetzt noch eine Minute.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Danke schön. – Ich habe den Hinweis bekommen, dass ich noch circa eine Minute Redezeit habe und gedenke mich dementsprechend daran zu halten.

(Minister Rainer Schmeltzer: Wir haben es alle gehört! – Michael Hübner [SPD]: Man muss das nicht ausnutzen!)

– Nur die Ruhe, liebe Kollegen.

(Michael Hübner [SPD]: Wir sind immer ruhig!)

Dieser Nachtragshaushalt bietet noch viele Ansatzpunkte, die wir sicherlich noch im Detail im Ausschuss beraten werden.

Ich möchte abschließend allerdings noch auf den Bereich der Refinanzierung dieses Nachtragshaushalts eingehen. Diese soll bekanntlich nicht durch eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme erfolgen, sondern durch eine Nutzung der globalen Minderausgabe. Das ist alles andere als haushalterisch sauber. Es ist vielmehr intransparent, weil gar nicht gesagt wird, in welchen Teilbereichen, insbesondere titelscharf, Einsparungen erfolgen werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Einsparungen werden nämlich an anderer Stelle vorgenommen, möglicherweise im Bereich der Daseinsvorsorge, möglicherweise aber auch im Bereich der Bildung etc. pp. Es wird also hier nichts anderes getan, als der Imagekampagne der Ministerpräsidentin für ihren Innenminister Vorschub zu leisten. Dieses wird sicherlich auch noch in den weiteren Beratungsverfahren deutlicher zutage treten.

Präsidentin Carina Gödecke: Jetzt ist die Minute um.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Sieveke noch einmal um das Wort gebeten, das er natürlich bekommt.

Daniel Sieveke (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eben sind einige Äußerungen getätigt worden, zu denen ich noch einmal kurz Stellung nehmen möchte.

Herr Abel, wenn jemand aus dem Innenausschuss einmal nachfragt, ob er eine Zahl richtig verstanden hat, sollte das vielleicht auch für Sie Anlass sein, noch einmal darüber nachzudenken, was Sie vorher gesagt haben. Sie haben eben von 8.000 zusätzlichen Polizeibeamtinnen und -beamten gesprochen. Das ist falsch. Es sind nicht zusätzlich …

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Nein, habe ich nicht! – Jochen Ott [SPD]: Hat er nicht!)

– Ich habe extra noch einmal nachgefragt, und da haben Sie gesagt: „Sie müssten es besser wissen, Herr Sieveke.“ Wir haben nicht 8.000 zusätzliche Polizeibeamtinnen und -beamte. Das kann daran liegen, dass Sie das Scharping-Problem haben und brutto und netto vielleicht nicht ganz auseinanderhalten können.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Zweitens. Herr Finanzminister, Sie haben eben mitten in Ihrer Rede gesagt, die Opposition habe Ihnen durch das Gericht verbieten lassen, Rücklagen zu bilden. Das ist schon starker Tobak. Wir haben eigentlich nur darum gebeten, dass die Verfassung dieses Landes eingehalten wird. Darüber hinaus hätten Sie die Rücklagen, die Sie damals bilden wollten, bis heute nicht einmal gebraucht. So viel zum Thema „Wahrheit und Klarheit“, wozu Sie hier vielleicht auch etwas durcheinanderwerfen.

(Beifall von der CDU)

Herr Zimkeit, wir nehmen das Thema „Flüchtlinge“ im Innenausschuss auch über die Parteigrenzen hinweg sehr ernst. Sie sollten sich mit Ihren Innenpolitikern absprechen und vielleicht einmal die Zahlen aktualisieren; denn die Zahlen, die Sie eben zur Verweildauer im Asylverfahren genannt haben, sind falsch. Sie sind überholt. Deshalb darf ich Ihnen einmal sagen, zumal Sie immer die Keule nach Berlin herausholen: Da scheint der Draht zu Ihren Kollegen, die auch an der Regierung beteiligt sein sollen, gänzlich abgebrochen zu sein. Denn die werden Ihnen auch bestätigen, was der Bund in diesem Bereich getan hat. Dass das sicherlich noch mehr werden kann, ist unstreitig. Sie sollten hier jedenfalls die aktuellen Zahlen erwähnen.

Wenn Sie sagen, Herr Abel, das Maßnahmenpaket mit 47 Millionen € sei das größte, das in diesem Bereich jemals geschnürt worden sei,

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Die CDU-Bundesländer wie Sachsen und Sachsen-Anhalt!)

und dann den Vergleich mit anderer Bundesländern ziehen, dann sollten Sie sich in diesem Zusammenhang vielleicht auch einmal anschauen, was die Bundesländer in der Vergangenheit im Bereich der inneren Sicherheit getan haben. Dann wird deutlich, dass wir in Nordrhein-Westfalen Nachholbedarf gehabt haben.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Daniel Sieveke (CDU): Ihre permanente Wiederholung, dass CDU und FDP hier fünf Jahre lang Verantwortung hatten, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie in diesem Bundesland viel mehr Verantwortung getragen und diese Sache nicht ernst genommen haben.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit, Herr Sieveke.

Daniel Sieveke (CDU): Und das gehört dazu. – Vielen Dank, Frau Präsidentin, für den Hinweis. – Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Sieveke. – Herr Kollege Zimkeit. Sie haben noch drei Minuten Redezeit.

Stefan Zimkeit (SPD): Ich denke, wir sollten uns bemühen, an dem einen oder anderen Punkt vernünftiger miteinander umzugehen. Sie haben Herrn Abel an zwei Stellen zum Beispiel nicht richtig zitiert. Schauen Sie sich vielleicht noch einmal an, was er gesagt hat.

Gemeldet habe ich mich aber wegen eines anderen Punkts, den ich nicht so stehen lassen möchte, Herr Schulz. Sie haben hier gesagt, alle aufrechten Demokraten müssten den Vorschlägen zur Videoüberwachung entgegentreten. Ich kann wohl für viele Kolleginnen und Kollegen im Haus unabhängig von der inhaltlichen Position dazu sagen: Das ist anmaßend, und das steht Ihnen nicht zu.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Diejenigen, die sich möglicherweise für die Videoüberwachung aussprechen, als Nichtdemokraten zu bezeichnen, kann ich sicherlich fraktionsübergreifend für viele Kolleginnen und Kollegen zurückweisen, und zwar in aller Deutlichkeit. Das wäre ja so, als ob ich Ihnen und Ihrer Fraktion vorwerfen würde, Sie hätten kein Interesse an der Aufklärung von Straftaten. Das tue ich ausdrücklich nicht. Deswegen bitte ich Sie darum, es zukünftig zu unterlassen, Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus als undemokratisch zu bezeichnen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Jetzt liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/11250 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – und zur Mitberatung an den Innenausschuss und den Unterausschuss Personal. Möchte jemand gegen diese Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Auch nicht. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

3   Wirtschaftspolitische Kehrtwende endlich einleiten – Zukunftschancen für den Produktionsstandort Nordrhein-Westfalen sichern, Wohlstand und Wachstum stärken, Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11222 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion der CDU Herr Kollege Dr. Bergmann das Wort.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Wie wir vorhin schon gemerkt haben, klingelten Rot-Grün letzte Woche die Ohren. Der aktuelle Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland offenbart mit entlarvender Härte das Regierungsversagen in Nordrhein-Westfalen – auch auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik.

(Beifall von der CDU)

Der für den Bericht verantwortliche Paritätische Wohlfahrtsverband steht sicher nicht im Verdacht übergroßer Nähe zur Union. Daher muss Sie das als regierungstragende Kräfte besonders treffen. Denn die unmittelbare Wechselwirkung von hoher Arbeitslosigkeit und Kinderarmut auch und gerade in Nordrhein-Westfalen wird dort explizit nachgewiesen.

Trotz des seit sechs Jahren immer wieder vorgetragenen Postulats der Landesregierung „Kein Kind zurücklassen!“ hat Rot-Grün selbst in diesem eigens ausgewählten zentralen Politikfeld offensichtlich nichts bewirkt. Im Gegenteil: Die Kinderarmut hat in den letzten Jahren gegen den Bundestrend zugenommen. Laut einer aktuellen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung lebte 2014 jedes vierte Kind – das sind 23,6 % gegenüber bundesweit 19 % – in einem Haushalt, der von Einkommensarmut betroffen ist; das waren 2,7 Prozentpunkte mehr als 2010.

Bei der Armutsquote liegt Nordrhein-Westfalen 2 % über dem Bundesdurchschnitt und hat in zehn Jahren um 3 Prozentpunkte auf jetzt 17,5 % zugelegt. So etwas nennt man wohl Versagen bei der angeblichen Kernkompetenz.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Landesregierung stellt als Reaktion die nötige Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als Armutsursache Nummer eins heraus. Nur, das Handeln passt dann nicht zu dieser Aussage. Denn sie packt den Unternehmen immer mehr Steine in den Rucksack und wundert sich nicht einmal, dass die Wirtschaft nicht so in Fahrt kommt wie in anderen Bundesländern.

Die Zeit des Schönredens ist damit also vorbei. Handeln ist endlich angesagt. Also tun Sie endlich etwas, das von der Wirtschaft und den vielen Akteuren überhaupt erst einmal als handfestes und positives Signal wahrgenommen wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dabei haben viele Experten Defizite aufgezeigt und Lösungswege vorgeschlagen. Sie nehmen das leider nur immer wieder nicht an, und das, obgleich viele Wissenschaftler und Experten Alarm schlagen. Bereits 2014 diagnostizierte das Institut der deutschen Wirtschaft Köln eine über Jahre verfestigte Wachstumsschwäche Nordrhein-Westfalens. Demnach wächst die Wirtschaft hier seit 1991 im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern unterdurchschnittlich.

Seit 1991 hat sich das Wachstumsdefizit gegenüber den westdeutschen Ländern laut IT.NRW auf über 10 % summiert. Daten der Hauptverwaltung NRW der Deutschen Bundesbank sowie wiederum von IT.NRW zeigen zudem, dass sich allein von 2010 bis zum zweiten Halbjahr 2015 eine kumulierte Wachstumslücke von 4 Prozentpunkten im Vergleich zum deutschen Durchschnitt aufgetürmt hat. Diese Lücke kostet Land und Kommunen heute jährlich 3 Milliarden € Steuern. Außerdem gäbe es im Arbeitsmarkt von Nordrhein-Westfalen heute dann 300.000 sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter mehr und dementsprechend weniger Arbeitslose.

Zuletzt hat der Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen auf die sehr ernste Situation der Produktionsbedingungen in unserem Land hingewiesen. So steigt die Verlagerung von Produktionsaktivitäten ins Ausland in dieser Branche – und die macht rund 50 % der industriellen Arbeitsplätze und 50 % der Umsätze im verarbeitenden Gewerbe in Nordrhein-Westfalen aus – rapide an.

Analog verhält es sich mit den Investitionen in Produktionsaktivitäten. Sie fließen im Bereich der Metall- und Elektroindustrie bereits jetzt zu 40 % ins Ausland. In fünf Jahren sollen es nach den Berechnungen schon 50 % sein. Meine Damen und Herren, das ist Deindustrialisierung durch Desinvestitionen,

(Beifall von der CDU und der FDP)

und das führt in Nordrhein-Westfalen seit 2010 dazu, dass laut IT.NRW fast 3.500 ha Industrie- und Gewerbefläche ersatzlos verloren gingen.

Die Folgen der wirtschaftlichen Defizite in Nordrhein-Westfalen sind nicht zuletzt geringere Zukunftschancen und mangelnde Perspektiven für die Menschen unseres Landes. Deshalb benötigt das Land Impulse für Investitionen sowie für den Erhalt und den Ausbau von Produktion und Wertschöpfung. Dafür sind eine Entlastungs- und eine Zukunftsoffensive notwendig, die den Standort Nordrhein-Westfalen für etablierte kleinere, mittlere und große Unternehmen gleichermaßen wieder attraktiver machen, neue Betriebe und Investitionen anziehen und das Entstehen erfolgreicher Start-ups befördern.

Daher unser Appell: Lösen Sie die ideologischen Bremsen, und geben Sie endlich Vollgas. Die Entlastungsoffensive für Unternehmen muss ein ganzes Bündel an Maßnahmen umfassen. Vorschläge en masse dazu finden Sie in unserem Antrag.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Dazu gehört natürlich auch wieder, bevor wir irgendwelchen Erwartungshaltungen nicht entsprechen, unsere Forderung nach sofortiger Abschaffung des verfehlten Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalen, da nicht nur, aber auch die inzwischen bundesweit gültigen Regelungen dieses Bürokratiemonster obsolet gemacht haben.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Wir benötigen darüber hinaus eine Zukunftsoffensive, insbesondere einen digitalen Strukturwandel mit flächendeckendem Breitbandausbau. Nutzen Sie doch die 300 Millionen € frei werdende Steinkohlesubventionen in den nächsten drei Jahren dafür. – Herr Duin, das Geld muss zu Ihnen fließen und nicht wieder zu Herrn Remmel.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist doch unterirdisch vom Niveau!)

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit ist erheblich überschritten.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Dass unser Bundesland bei Erhebungen ständig auf den hinteren Tabellenplätzen landet, liegt nicht daran, dass Institute und Demoskopen uns etwas Böses wollen, sondern das ist das Ergebnis verfehlter Politik. Die heutige Bilanz hat nichts mit Schlechtreden, sondern mit schlecht gemacht zu tun. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. Zur Information: Das war eine Überziehung der Redezeit um eine Minute. – Herr Kollege Brockes spricht für die FDP-Fraktion.

Dietmar Brockes*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor exakt einem Jahr hat der Wirtschaftsminister dieses Landes eine wirtschaftspolitische Wende angekündigt. Ohne Umschweife – so Minister Duin in der „WAZ“– solle es zu einigen wirtschaftsfreundlichen Kurskorrekturen kommen. Er attestierte seiner eigenen Landesregierung gleichzeitig, dass sie funktionierende Unternehmen zu vertreiben drohe. Recht hatte er damals.

Tatsächlich zu sehen ist von dieser wirtschaftlichen Wende bis heute allerdings nichts. Funktionierende Unternehmen werden weiterhin vertrieben. Das zeigen die alarmierenden Zahlen von METALL NRW, die vor einigen Tagen vorgestellt wurden.

In den vergangenen fünf Jahren ist der Anteil der inländischen Produktionsaktivitäten dieser Branche demnach von 71 auf 62 % zurückgegangen. In fünf Jahren werden es nur noch 54 % sein. Gleichzeitig ist der Anteil der Investitionen, die im Ausland getätigt werden, von 32 auf 40 % gestiegen. In fünf Jahren wird dieser Wert voraussichtlich bei 47 % liegen. Ich wiederhole diese Zahlen, die der Kollege Bergmann eben auch schon genannt hat, weil wir hier nicht über einen kleinen Nischenbereich unserer Wirtschaft reden. Nein, die Metall- und Elektroindustrie erwirtschaftet die Hälfte der industriellen Umsätze in Nordrhein-Westfalen und stellt die Hälfte aller industriellen Arbeitsplätze bereit. Wir haben es mit einem gefährlichen Deindustrialisierungstrend zu tun.

(Beifall von der FDP)

Wir beobachten einen massiven Verlust an wirtschaftlicher Substanz in unserem Bundesland. Deshalb muss dringend gegengesteuert werden.

Wir Antragsteller sind davon überzeugt, dass das Gegensteuern aus Nordrhein-Westfalen heraus gelingen kann und muss; denn es ist ein hausgemachtes Problem. Das zeigt ein Vergleich mit den anderen großen westdeutschen Flächenländern, also mit Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Hessen. Nordrhein-Westfalen hat sich als Investitions- und Wachstumsstandort seit Jahren deutlich negativer entwickelt als diese Länder. Das betrifft leider ganz besonders den produzierenden Sektor. Aber auch gesamtwirtschaftlich wird Nordrhein-Westfalen immer weiter abgehängt. Das haben nicht zuletzt die ernüchternden Wachstumszahlen des RWI für 2015 gezeigt.

SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen müssen daher endlich erkennen, dass eine Politik, die insbesondere aus Abkassieren, Bürokratisieren und Umverteilen besteht, keine Zukunft für die Menschen und für die Betriebe in Nordrhein-Westfalen bietet,

(Beifall von der FDP)

dass ein wirkungsloses Tariftreue- und Vergabegesetz, ein industriefeindlicher Landesentwicklungsplan, neue zusätzliche Hürden durch Klimaschutz- und Naturschutzgesetz oder ein geradezu gieriger Griff in die Taschen jungen Familien durch die Erhöhung der Grunderwerbsteuer das Land weiter auf das Abstellgleis führen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Wir wollen, dass in Nordrhein-Westfalen wieder mehr investiert wird, dass Ausbildung, Qualifizierung und Wohlstand durch industrielle Arbeitsplätze eine Perspektive haben, dass die Substanz unseres wirtschaftlichen Rückgrats erhalten bleibt und die Menschen sich neue Zukunftschancen erarbeiten können. Dafür benötigen wir eine wirtschaftspolitische Kehrtwende.

Meine Damen und Herren, wir haben zwei Maßnahmenbündel vorgeschlagen, mit deren Hilfe das gelingen kann. Durch gezielte Entlastungen und mehr Freiheit für Bürger und Wirtschaft auf der einen Seite sowie gezielte Zukunftsinvestitionen auf der anderen Seite können wir nachhaltige Wirtschaftsimpulse auslösen. Diese schaffen Wertschöpfung, den Wohlstand und die Arbeitsplätze von morgen. Genau das braucht unser Land. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. Sie haben sogar noch Zeit eingespart. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Sundermann.

Frank Sundermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viel Überraschendes haben wir bis jetzt nicht gehört. Das einzig Neue war die am Anfang der Rede von Herrn Dr. Bergmann geheuchelte Empathie für Menschen, die von Armut betroffen sind. Ansonsten gab es hier nichts Neues.

(Zuruf von der CDU: Unverschämtheit! – Zuruf von Michael Hübner [SPD] – Weitere Zurufe)

Lassen Sie uns zum Thema kommen. Wir sprechen hier über die Wirtschaftspolitik von Nordrhein-Westfalen. Da Sie das Land noch nicht so ganz verstanden haben, möchte ich Ihnen am Anfang einmal ein paar Dinge erzählen. In unserem Land wohnen 18 Millionen Einwohner. Wir haben eine sehr heterogene Landschaft mit boomenden Regionen und mit anderen Regionen, die sich noch im Strukturwandel befinden. Die Lösungen sind nicht so einfach, wie Sie sie hier präsentiert haben. Das müssen wir uns einmal anschauen.

Sie sagen, wir brauchen eine wirtschaftspolitische Wende. Lassen Sie uns doch relativ einfach anfangen und uns die Frage stellen, wie Wirtschaftspolitik überhaupt aussehen muss. Wirtschaftspolitik muss verlässliche Rahmenbedingungen schaffen. Sie muss Chancen, Stärken und Risiken erkennen und so für Innovation und Fortschritt sorgen. Sie schafft nachhaltige Netzwerke. So schafft sie letztendlich Vertrauen bei den wirtschaftspolitischen Akteuren.

Jetzt werden wir einmal versuchen, zusammen herauszuarbeiten, ob wir das in Nordrhein-Westfalen auch so hinbekommen.

Das Erste sind die verlässlichen Rahmenbedingungen. Da kann man sicherlich deutlich sagen, dass die Landesregierung in den letzten Jahren einiges getan hat.

(Dietmar Brockes [FDP]: Nein, das Gegenteil!)

An dieser Stelle nenne ich den Berliner Energiekompromiss vom 1. Juli 2015, der ohne Nordrhein-Westfalen so nicht zustande gekommen wäre. Wir haben die Clearingstelle Mittelstand geschaffen. Das haben Sie nicht hinbekommen. Wir haben die Antragsverfahren zu EFRE-Programmen deutlich verschlankt.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Lassen Sie mich über diese Beispiele hinaus auf zwei weitere Punkte zu sprechen kommen, bei denen wir verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen haben. Das eine ist der Landesentwicklungsplan, das andere ist die Leitentscheidung. Mit beiden Punkten werden wir in Zukunft sichere Rahmenbedingungen schaffen, damit die Wirtschaft in diesem Land vernünftig arbeiten kann.

Zum Landesentwicklungsplan möchte ich ausführen: Auch hier machen wir etwas, was Sie nicht hinbekommen haben. Zu Ihrer schwarz-gelben Regierungszeit haben Sie den Landesentwicklungsplan in der Schublade gelassen. Wir haben ihn aus der Schublade herausgeholt. Wir machen ein offenes Verfahren und schaffen so die entsprechenden Rahmenbedingungen. Das haben wir gemacht und nicht Sie. Wir machen die Dinge, die Sie nicht hinbekommen haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Entscheidend zu erwähnen bei der Leitentscheidung und dem Landesentwicklungsplan ist, dass die beiden Prozesse mit einer umfangreichen Beteiligung der Betroffenen stattfinden. Das kritisieren Sie gern in Ihren Anträgen und in Ihren Redebeiträgen; Sie sagen, es dauere immer so extrem lang. Wir sind der Meinung: Nur eine breite Beteiligung schafft Akzeptanz und so auch eine Verlässlichkeit der Beschlüsse. Wie gesagt: Verlässlichkeit ist hier ganz entscheidend.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Sundermann, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Brockes würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Frank Sundermann (SPD): Ja, gerne.

Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Kollege Sundermann, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Frank Sundermann (SPD): Immer gern.

Dietmar Brockes*) (FDP): Sie rühmen sich für Ihren Landesentwicklungsplan. Ich möchte Sie deshalb fragen: Kennen Sie die 17-seitige Stellungnahme der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern in Nordrhein-Westfalen zu Ihrem aktuellen Entwurf des Landesentwicklungsplans? Darin üben diese auf 17 Seiten massive Kritik am jetzt vorliegenden Plan und machen deutlich, dass Sie hiermit wirtschaftliche Entwicklung verhindern, anstatt sie zu fördern.

Frank Sundermann (SPD): Vielen Dank, Herr Brockes, für diese Frage, die relativ deutlich zeigt, dass Sie die Beteiligungsprozesse nicht richtig verstanden haben.

(Lachen von Dietmar Brockes [FDP])

Es gibt einmal die IHK. So ein breit angelegter Beteiligungsprozess, der einen ganzen Landesentwicklungsplan abbildet, muss natürlich auch vermitteln. Selbstverständlich habe ich das gelesen. Wir werden weiterhin die entsprechenden Gespräche führen. Sie sehen auch, dass zwischen dem ersten und dem zweiten Plan schon viele Dinge aufgenommen worden sind. „Beteiligungsprozesse“ heißt im Prinzip, viele Dinge zusammenzuführen, Herr Brockes. Das ist doch eindeutig.

Lassen Sie uns über die Chancen und Stärken von Nordrhein-Westfalen reden. Was haben wir denn?

Wir haben in Nordrhein-Westfalen komplette Wertschöpfungsketten. Auf der einen Seite haben wir innovative Familienunternehmen, und wir haben starke industrielle Kerne. Auf der anderen Seite haben wir 72 Universitäten und Fachhochschulen. Das ist die größte Hochschuldichte in der gesamten Bundesrepublik. Wir haben mit Abstand die meisten Studenten. Diese Chancen und Netzwerke zusammenzuführen – auf der einen Seite die Familienunternehmen mit den Wertschöpfungsketten und auf der anderen Seite die Fachhochschulen und den Forschungsstandort –, ist eine der zentralen Aufgaben.

Lassen Sie mich an zwei Beispielen verdeutlichen, dass wir hier wunderbar vorankommen. Zum einen ist es uns gelungen, eines von bundesweit fünf Kompetenzzentren zum Mittelstand 4.0 nach Nordrhein-Westfalen zu holen. Dies haben wir heterogen über das ganze Land hinweg aufgestellt: in Aachen, Dortmund, Mülheim und in Ostwestfalen. Das ist nicht zufällig passiert, sondern das setzt auf die Dinge auf, die wir schon im Vorfeld getan haben.

Zum anderen: Um die Vernetzung zu leben und zu realisieren, wurde Herr Prof. Dr. Kollmann als Beauftragter für die Digitale Wirtschaft nominiert. Seine Schwerpunkte sind die digitale Transformation, die Förderung von Start-ups und die Zusammenführung von Industrie und Mittelstand. Das heißt, wir haben die Chance, die Forschung mit vorhandener Industrie in Nordrhein-Westfalen zusammenzuführen, wahrgenommen. Die Wertschöpfungsketten können weiter geschlossen werden, und die mittelständischen Familienunternehmen können weiter in Nordrhein-Westfalen investieren.

Lassen Sie mich zum Schluss zum Thema „Vertrauen“ kommen. Man kann fragen: Wer vertraut Nordrhein-Westfalen? Die ausländischen Investoren scheinen das zu tun.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Frank Sundermann (SPD): Wir haben die höchsten Direktinvestitionen aller Bundesländer. Im Jahr 2015 hatten wir mit 173 Investitionsprojekten den höchsten Wert der letzten zehn Jahre.

Man kann zusammenfassend sagen: Ausländische Investoren vertrauen der nordrhein-westfälischen Wirtschaftspolitik, die Opposition vertraut ihr nicht. Das eine ist großartig, das andere egal. – In diesem Sinne: Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Wenn man am Dienstag vor einer Plenarwoche in der Fraktionssitzung ist, ist man immer ganz gespannt: Welche Anträge haben die anderen Fraktionen eingereicht? Das ist sehr interessant, weil man natürlich wissen will, was in dem eigenen Bereich passiert.

Als ich den CDU-Antrag letzte Woche Dienstag das erste Mal gelesen habe – sechs Seiten, Wirtschaftspolitik –, habe ich anschließend gedacht: Kraut und Rüben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann habe ich ihn einen Tag an die Seite gelegt, noch einmal geschaut und gedacht: Was soll das sein? Ich habe mir einmal den Spaß erlaubt und „Kraut und Rüben“ gegoogelt. Man bekommt 416.000 Ergebnisse. Ich habe dann gelernt, dass die Redewendung aus dem 17. Jahrhundert stammt und seinen Ursprung im gemeinsamen Anbau von Kohlkraut und Kohlrüben hat. Das ist, um es auf den Punkt zu bringen, der größte Erkenntniswert, den ich aus Ihrem Antrag bisher gezogen habe.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Heiterkeit und Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

Der Beitrag, den Herr Dr. Bergmann eben dazu geleistet hat, macht doch deutlich, dass der CDU jeder Ansatz von ernsthafter Analyse über strukturelle Probleme und Schwächen im Bereich der NRW-Wirtschaft fehlt.

(Lachen von Josef Hovenjürgen [CDU])

Er hat gesagt, seit 1991 gebe es die Probleme. Dazu hätte die Frage gehört, wenn man überhaupt nach vorn gehen will: Woher kommt das denn? Man kann doch gar nicht leugnen, dass wir in Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten gewisse strukturelle Probleme haben; Kollege Sundermann hat die Regionen im Strukturwandel angesprochen. Das hat damit zu tun, dass zwei Millionen Vollarbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen in den letzten 50 Jahren aufgrund des Strukturwandels weggefallen sind: über 600.000 Bergleute, mit Mantelbeschäftigung 1,3 Millionen.

Wer ein bisschen zurückschaut, der kann feststellen, welche Standorte die Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen hatte. Ich habe selber als Ingenieur in Dortmund bei Hoesch gearbeitet, auf Kaiserstuhl und auf Zollverein, als das alles noch in Betrieb war. Wer weiß, wie viele Hunderttausend Arbeitsplätze weggefallen sind, der weiß auch, dass es Jahrzehnte dauert, bis man den Strukturwandel hinbekommt.

Ähnlich ist es im Aachener Revier. Wenn man also nach vorne gehen will, muss man analysieren, woran es liegt und darum kämpfen, dass das aufgeholt wird. Das ist in NRW ohne soziale Verwerfungen gelungen.

Aber dann muss man nach vorne schauen, was die Kernbereiche sind. Herr Dr. Bergmann, ich habe, ehrlich gesagt, den Eindruck: Die Energiepolitik – in Nordrhein-Westfalen immer ein ganz entscheidendes Feld – fehlt bei der CDU völlig. Der letzte energiepolitisch strukturierte Beitrag, den Sie geleistet haben, war fast vor zehn Jahren, nämlich 2007 der Ausstieg aus der Steinkohlefinanzierung. Das war das letzte Mal, wo Sie strukturell überlegt und mitgemacht haben. Seit zehn Jahren gibt es bei Ihnen in dem Bereich eine strukturelle Schwäche.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dann lese ich mir den Antrag durch und frage mich: Was kommt denn zu dem Kernbereich der Wirtschaftspolitik von der nordrhein-westfälischen CDU? Darin steht: Die CDU beklagt die willkürlich beschlossene Verkleinerung von Garzweiler II um ein Drittel der Fördermenge. – Das ist alles, was Sie zur Energiepolitik strukturell zu sagen haben. Das ist so was von ärmlich.

Der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis, einer der führenden deutschen Gewerkschafter, hat letzte Woche Freitag in Haltern am See die energiepolitischen Grundpositionen der IG BCE dargestellt und dazu gesagt: Die Braunkohle wird noch 15 Jahre Geld verdienen, und dann wird sie in Schwierigkeiten kommen. – Ich bin nicht sicher, ob der Mann nicht zu optimistisch ist. Das fehlt völlig in der Betrachtung der CDU zu dem Sachverhalt. Sie positionieren sich nicht. Sie klagen darüber, dass wir Garzweiler verkleinert haben. Die Menschen, die wir vor der Umsiedlung geschützt haben, wären 2030 und später umgesiedelt worden, also in 15 bis 20 Jahren. Das heißt, das Opfer wäre völlig unnötig gewesen, selbst nach Analyse der IG BCE.

Dazu kommt nichts von Ihnen, auch nicht an jeglicher inhaltlicher, programmatischer Diskussion. Sie wollen gern in einem Jahr die Regierung übernehmen, und Sie gehen so vor: Zu allen relevanten Themen sagen wir nichts mehr. Wir brechen die Litanei unserer Standardforderungen herunter, beschimpfen die Regierung und hoffen, dass es niemand merkt, dass wir damit eigentlich überhaupt keine Alternative sein können. – Das ist Ihr Weg. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wenn man sich den Antrag weiter durchschaut, stellt man fest, dass das nicht der einzige Bereich ist. Der Energiebereich ist nur konkret und für Nordrhein-Westfalen entscheidend. Alles, was nach vorne gemacht werden muss, fehlt bei Ihnen und jegliche eigene Positionierung.

Das ist auch nicht anders beim Breitbandausbau. Der Antrag – ich gehe einmal davon aus, dass Sie der Wirtschaftsminister gleich nicht loben wird für das, was darin steht; wir werden es ja hören – ist Schmalspur und nicht Breitband. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, welche Anstrengung die Landesregierung unternimmt. Wir garantieren nämlich, dass das, was aus dem Bundesförderprogramm fließt, vom Land komplett kofinanziert wird, sodass die Kommunen, die in der Haushaltssicherung sind und ihren Eigenanteil nicht aufbringen können, dadurch keinen Nachteil haben. Auch das garantiert das Land. Das ist also ein erheblicher Schritt.

Jetzt müsste man zusammen fragen: Wo bleibt denn der Bund? Kommt er mit seinen Richtlinien? Kommt er mit seinen Programmen? – Er kommt nicht. Auch dazu hören wir von Ihnen nichts, sondern es wird nur heruntergeleiert, Nordrhein-Westfalen schlechtgemacht und dann ein Stück weit die Regierung beschimpft.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ich kann nichts dafür, dass die Ergebnisse so sind, wie sie sind nach sechs Jahren Rot-Grün! Hammer!)

Das wird auf lange Sicht nicht tragen. Es muss immer noch Substanz in der Sache geben. Und die vermisse ich bei Ihnen ganz tief. – Herzlichen Dank.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die Fraktion der Piraten spricht jetzt Herr Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen lieben Dank. – Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Das wird für mich jetzt eine Übung im Slalomfahren zwischen schwarz-gelben und rot-grünen Hindernisstangen, die alle irgendwie nach hinten zeigen.

Was über den Armutsbericht ja schon bekannt ist: Jeder Fünfte zwischen Duisburg und Dortmund hatte weniger als 60 % des mittleren Einkommens zur Verfügung, und das Ruhrgebiet wird leider als Problemregion Nummer eins bezeichnet. Bei aller Kritik, die man an der Berechnungsmethode haben kann, zeigt das doch, wie stark die Chancenverteilung im Land in den letzten 20 Jahren auseinandergedriftet ist. Das gesellschaftliche Klima ist sehr viel rauer geworden, und die Gewissheit, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehen wird, ist vielen Menschen abhandengekommen.

Deshalb sagen auch wir Piraten: Ja, es ist Zeit für eine wirtschaftspolitische Kurskorrektur, aber aus deutlich anderen Gründen, als es der vorliegende oppositionspolitische „Eintopf-Antrag“ suggeriert. Dieses Düsseldorfer Allerlei ist echt keine Delikatesse.

(Beifall von den PIRATEN)

Weder das Tariftreue- und Vergabegesetz noch der Umwelt- und Klimaschutz hat zu den Missständen in unserem Land geführt, sondern eine viel zu zaghafte Regierungspolitik, bei der sich Rot-Grün immer wieder fragt, ob die eigenen Vorhaben auch genügend neoliberal durchdekliniert worden sind. Dabei weiß Rot-Grün doch längst, dass Austeritätspolitik auf der ganzen Breite gescheitert ist.

Demgegenüber steht jetzt eine CDU/FDP-Antrags-prosa, die mit einem Auge auf das Silicon Valley schaut und mit dem anderen einer „Unsere Gesetze von früher waren aber besser“-Rhetorik folgt. Da ist Schielen vorprogrammiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, insgesamt ist die deutsche Politik derzeit zu sehr auf die Verteidigung etablierter deutscher Stärken ausgerichtet. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Digitalisierung werden nicht ausreichend berücksichtigt. – Das ist nicht von mir, dieser Satz stammt aus einem Gutachten der Expertenkommission für Forschung und Innovation, die der deutschen Politik jüngst digitale Mittelmäßigkeit attestiert hat. Das gilt leider auch für Nordrhein-Westfalen.

Nach fünf Jahren Hannelore Kraft im Amt frage ich euch: Haben wir uns denn einen Spitzenplatz in der elektronischen Verwaltung erarbeitet, sodass Bürger und Unternehmen effizient und bürokratiearm mit den Ämtern kommunizieren können? – Die Antwort ist Nein. Wir haben noch nicht einmal den Stand erreicht, auf dem Estland vor zehn Jahren war.

(Beifall von den PIRATEN)

Deswegen fordern auch wir eine Kurskorrektur, und zwar eine technologische, eine digitale.

(Beifall von den PIRATEN)

Sind wir national oder international führend bei der Ansiedlung von innovativen Start-ups? Was sind überhaupt diese Start-ups? Politiker fast jedweder Couleur feiern die ja als Leuchtfeuer der neuen Zeit für Fortschritt und Wachstum. Demgegenüber aber wendet sich die Logik der Investoren und des Kapitals ausschließlich immer dem augenblicklich Vielversprechendsten, dem kurzfristigen Interesse der Shareholder zu, gepaart mit einem fast religiösen Glauben an einen Solutionismus, der versucht, vielfältigste gesellschaftliche Probleme auf algorithmische Lösungen zu reduzieren: Der Markt – hier der Markt der Algorithmen – wird schon das Beste für uns hervorbringen. Was wollen wir denn eigentlich? Etwa noch einen Global Player à la Apple, Amazon, Microsoft, Google, Facebook, der mit uns und unseren Daten im Internet Monopoly spielt? Nein, danke – mir ist schon schlecht.

Wir brauchen eine Strategie, die offensiv die Stärken unserer Wirtschaft fit macht für das Informationszeitalter. Und die Stärke in NRW ist der Mittelstand. Der braucht als Allererstes eine Breitbandleitung für ein stabiles Netzwerk aus den Menschen in unserem Land und den mittelständischen Unternehmen, das auch reißfest ist: Glasfaser! – Mein Hausarzt hat mir geraten, das so leise herauszuschreien, weil ich sonst eine Darmverschlingung bekomme.

Aber dazu muss die Landesregierung erst einmal heraus aus ihrer wirtschaftspolitischen Defensive. Bestes Beispiel für die defensive Sichtweise von SPD und Grünen ist der Antrag zum Einzelhandel. Da wird die böse Digitalisierung statt als Chance als Bedrohung wahrgenommen, und nur mithilfe der Landesregierung können angeblich Abwehrmechanismen entwickelt werden. Das ist typisch.

Wir wissen: Die Veränderungen durch die Digitalisierung sind so umfassend, dass wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Rezepte aus der Vergangenheit nicht mehr wirken werden. In Zeiten von Automatisierung, Algorithmen und Robotik wird die menschliche Arbeitskraft teilweise überflüssig. Es wird sich eine neue Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine einstellen müssen. Die Finanzierung der Sozialsysteme darf dann nicht mehr wie bisher nur an den Faktor menschliche Arbeit gekoppelt sein.

Selbst Timotheus Höttges von der Telekom denkt laut über ein bedingungsloses Grundeinkommen nach. Aber aufgepasst: Was will er? Womöglich doch nur seine Lohnkosten senken?

Das Gegenteil einer defensiven Politik, die alte Strukturen gegen den Wandel verteidigt, wären massive Investitionen zum Aufbau eines Netzwerks aus mittelständischen Unternehmen, Industrie sowie Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land. Und dafür braucht es – ich sage es noch einmal – Glasfaser!

(Beifall von den PIRATEN)

Der Antrag enthält einige spannende Punkte. Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen. Schauen wir einfach mal! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Duin das Wort.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Frau Präsidentin

(Vizepräsident Dr. Gerhard Papke übernimmt den Vorsitz.)

und Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Zuruf: Sind die verheiratet?)

– Sicher nicht.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie können es ja einmal eruieren!)

Zu dem Antrag der CDU und der FDP – wir wollen dabei nicht vergessen, dass Sie Mitantragsteller sind, sehr geehrter Herr Brockes – kann man eigentlich sehr schnell zusammenfassend Folgendes sagen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Sie haben wenigstens den Antrag gelesen!)

– Ja, natürlich. Aber ich wollte Sie eben nicht ungeschoren davonkommen lassen und nur der CDU die Schuld geben. Das ist der eigentliche Hintergrund. Denn dieser Antrag ist richtig von gestern. Um in der Sprache der Klientel, die Herr Dr. Paul früher einmal bedient hat, zu sprechen: Das ist total 80er, was da hervorgebracht worden ist.

Was man in dem Antrag liest, offenbart ein Grundverständnis von Wirtschaft, wie es maximal in den 80ern, aber eigentlich noch davor, in der Mitte des letzten Jahrhunderts, vielleicht einmal aktuell gewesen ist. Das ist sehr ausgetreten. Das ist Trauer um längst untergegangene Strukturen. Wir wissen, dass die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen längst auf einem ganz anderen Weg ist. Er ist sehr viel moderner als das Bild, was die CDU und FDP hier in dem langen Antrag zu malen versucht haben.

Es ist schon darauf hingewiesen worden: Das Ausland bestätigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dass insbesondere die Unternehmen auf dem richtigen Weg sind. Dass wir als Europas Zukunftsregion Nummer eins ausgezeichnet worden sind, kann ja nicht von ungefähr kommen. Dass wir die Nummer eins bei den Direktinvestitionen sind, also nicht in irgendeiner Bewertung für die Zukunft, sondern in einer Analyse des Jahres 2015, kann auch kein Zufall sein.

Die „Rheinische Post“ titelt heute auf der Grundlage des Konjunkturberichts der IHK Düsseldorf – das ist nur eine von 16 Industrie- und Handelskammern, und es ist wirklich nur ein Beispiel für ganz viele der Konjunkturberichte, die in den letzten Wochen vorgelegt worden sind –: „Konjunktur im Rheinland brummt“. Dann kommen ein Bindestrich und das Wort „noch“, weil man natürlich auch Fragestellungen für die Zukunft hat. Aber das Bild, das hier gezeichnet worden ist, dass wir jetzt irgendwie am Ende einer Tabelle stehen würden, dass es jetzt irgendwie schlecht wäre, lässt sich durch gar nichts belegen.

Und noch etwas drückt dieser Antrag sehr deutlich aus – nämlich, nicht verstanden zu haben, dass Wertschöpfung sich verändert. Herr Dr. Paul, wenn ich die Oppositionsfraktionen miteinander vergleiche, so reicht Ihre Lösung, jetzt immer nur auf Glasfaser zu setzen, nicht aus; denn man muss schon ein Verständnis dafür haben, dass Wertschöpfung sich verändert, dass nicht mehr Tonnage, dass nicht mehr die Masse an Material das Entscheidende ist.

Um einmal ein konkretes Beispiel zu nehmen, das man aus der Automobilwirtschaft kennt: Es ist nicht mehr die Frage von Stahlblech, Sitzpolstern und Motor alleine entscheidend, sondern es geht um die Frage, wer eigentlich welches Assistenzsystem entwickelt hat.

Dann kommen wir auch zu den Fragen, die Sie sehr kritisch beleuchtet hat. Aber es geht eben um andere Formen von Design und um die Beantwortung sehr hochtechnologischer Prozesse. Es geht nicht mehr darum, Massenprodukte möglichst billig auf den Markt zu bringen, sondern darum, möglichst intelligente Produkte hier zu entwickeln und dann auf den Markt zu bringen. Das ist die Veränderung, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Wenn Sie sich dann die Fakten angucken, erkennen Sie leicht, woran sich auch der Erfolg nordrhein-westfälischer Wirtschaft festmachen lässt. Es ist nämlich Telekommunikation. Es ist Software. Es ist Gesundheitswirtschaft. Es sind Bildungsqualifizierungsangebote. Es sind hochtechnologische Logistiken. Es sind auch Unternehmensberatung, Marketing, Forschung und Entwicklung. All das bringt Wirtschaft heute voran.

Zwei Leitmärkte seien nur einmal herausgegriffen. Bildung und Wissen entwickeln sich prächtig. Das zeigte erst kürzlich der Wirtschaftsbericht der Metropole Ruhr. Der Umsatz in dieser Branche ist allein von 2012 auf 2013 um 9,8 % auf weit über 1 Milliarde € gestiegen. Auch die digitale Telekommunikation ist eine Stärke des Landes. Die Beschäftigung in diesem Leitmarkt hat zuletzt um überdurchschnittliche 4,9 % zugelegt.

Ich durfte mich in der letzten Woche auf dem Mobile World Congress in Barcelona von der Leistungsfähigkeit der nordrhein-westfälischen Telekommunikationsunternehmen überzeugen. Es sind nicht nur die Großen, die wir Gott sei Dank in Nordrhein-Westfalen haben – Stichwort: Telekom, Vodafone, aber auch der Drittgrößte, Telefónica, die hier ihren Sitz haben –; vor allen Dingen die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen wie Materna, adesso oder eine ganze Reihe von Start-ups machen deutlich, dass wir mit dem Setzen auf diese Unternehmen genau richtig liegen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren aus der Opposition, ich glaube, zwei Punkte muss man noch einmal dringend erwähnen: Erstens. Das Land Nordrhein-Westfalen – das müssen Sie irgendwann einmal verinnerlichen; wenn Sie das in der Fraktion diskutieren, kommen Sie auch zu solchen Ergebnissen, glaube ich – besteht aus sehr vielen, sehr unterschiedlichen Regionen. Unsere Wirtschaftspolitik setzt genau da an und kümmert sich um diese spezifischen regionalen Herausforderungen. Wie von Herrn Sundermann und anderen vorhin angesprochen worden ist, geht es eben darum, nicht in Ostwestfalen das Gleiche zu machen wie in nördlichen Ruhrgebiet, sondern spezifische Initiativen zu starten.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Das wird auch nicht von heute auf morgen sofort an jeder Stelle von großem Erfolg gekrönt sein. Aber es ist der richtige Weg, sich um die spezifischen regionalen Dinge zu kümmern.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wenn wir über negative Entwicklungen sprechen, dann reden wir natürlich über den Bereich, den Herr Priggen angesprochen hat, über das Thema „Energie“. Dann reden wir auch über den Arbeitsplatzverlust im Bereich von Stahl. Dann reden wir auch über Veränderungen nicht zuletzt in der Chemieindustrie. Und dann kommen Sie mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz. Diese drei Branchen, die für manche Eckdaten entscheidend sind, haben mit dem, was Sie hier als eigentliche Ursache festgestellt haben, aber auch gar nichts zu tun. Sie können ja einmal mit Herrn Dr. Hiesinger, Herrn Dr. Dekkers, Herrn Terium oder Herrn Schäfer und wie sie alle heißen darüber sprechen, was Ursachen für deren Herausforderungen sind. Wenn sie Ihnen irgendetwas vom Tariftreue- und Vergabegesetz erzählen, würde ich mich sehr wundern.

(Zuruf von der FDP)

Das zeigt: Wir brauchen sicherlich neue Impulse. Aber eine Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik, wie Sie es in Ihrem Antrag geschrieben haben – wieder dahin, wo Sie einmal waren, nämlich dahin, zu behaupten, der Strukturwandel sei beendet – wäre das Falscheste, was diesem Land angetan werden könnte. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11222Neudruck – an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend –, an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung, an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

4   Faulen Kompromiss bei Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen korrigieren – Landesinteressen Nordrhein-Westfalens wahren und Fehlanreize beseitigen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11220

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende FDP-Fraktion Herrn Kollegen Witzel das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema „Länderfinanzausgleich“ zeigt: Herr Finanzminister, Sie sind Meister der Verbalakrobatik, aber eben leider nicht der guten Ergebnisse. Anstatt deshalb das Ländermodell nun über den rot-grünen Klee zu loben, sollte die Landesregierung lieber in Nachverhandlungen mit den anderen Bundesländern und mit dem Bund eintreten, um eine Besserstellung der nordrhein-westfälischen Interessen zu verfolgen.

Die Einigung der Länder ist zugleich ein Bärendienst für den deutschen Föderalismus, da keines der strukturellen Probleme der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern gelöst worden ist.

Erstens bleiben die negativen Anreizeffekte für die Pflege der eigenen Wirtschaftskraft erhalten. Weiterhin wird es gerade für die Länder, die viele Transfers aus dem System erlangen, unattraktiv sein, die eigene Einnahmebasis zu erhöhen. Schaffen sie es beispielsweise, durch politisch hart umkämpfte Einschnitte beim Abbau von Hemmnissen für die regionale Wirtschaft mehr eigene Steuereinnahmen zu generieren, verlieren sie dadurch erheblich an Zuweisungen, die man ansonsten ohne politische Anstrengungen erhalten kann. Der Negativanreiz bleibt also bestehen.

Zweitens ist es natürlich ein großes Manko, wenn die Intransparenz im System bestehen bleibt. Ein Instrument hat bisher besonders zu dieser Intransparenz beigetragen: der Umsatzsteuervorwegausgleich. Deshalb folgt nun das neue System dem Motto: Der Umsatzsteuervorwegausgleich ist tot. Es lebe der Umsatzsteuerausgleich.

Auch die weiterhin angedachte Einwohnerveredelung für einige Länder sowie der Ausbau der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen führen nicht zu einer Vereinfachung des Systems – im Gegenteil.

Die Einigung der Länder trägt eine typisch rot-grüne Handschrift. Es fehlt an Fantasie und Mut, eine grundlegende Reform bei den Länderfinanzen anzupacken. Stattdessen bedient man sich lieber am Geld anderer, nämlich beim Bund und beim Steuerzahler. So ist auch die wahrscheinliche Verlängerung des Soli bereits fest im Instrumentenkasten des Finanzministers enthalten.

Doch die Einigung ist nicht nur aus gesamtwirtschaftlicher Sicht mangelhaft. Sie ist vor allem schlecht für Nordrhein-Westfalen;

(Beifall von der FDP)

denn Nordrhein-Westfalen liegt an vorletzter Stelle aller Bundesländer bei den prognostizierten Haushaltsverbesserungen pro Kopf beim angedachten Systemwechsel 2019 – nur einen einzigen Euro vor dem letztplatzierten Niedersachsen.

Ohne Systemreform würden im Status quo die eingeforderten zusätzlichen Finanzmittel des Bundes von knapp 10 Milliarden € zugunsten der Ländergemeinschaft die Haushaltslage in Nordrhein-Westfalen deutlich verbessern.

Wir sehen einmal mehr: Die Haushaltspolitik des Finanzministers ist nicht durch gute sachliche Ergebnisse der Konsolidierung gekennzeichnet, sondern durch Mehrbelastung von Bürgern und Unternehmen sowie durch Inszenierungen, Tricks und permanente Finanzmittelforderungen gegenüber der Bundesebene.

Dieses traurige Kapitel des Länderfinanzausgleichs reiht sich damit nahtlos in andere Beobachtungen ein. Dafür, dass dies von der Regierung dann noch groß vermarktet wird – als eine erhebliche Verbesserung für das Land, wie der Finanzminister das hier wörtlich im Plenum vorgetragen hat, oder aus Sicht der Ministerpräsidentin als ein guter Tag für den Föderalismus in Deutschland –, gibt es sachlich überhaupt keine Berechtigung.

Sie legen es nämlich ausschließlich auf Verbalkosmetik an. Sie wollten den Begriff des Nehmerlandes weghaben. Das haben Sie geschafft. An der Stelle haben Sie Erfolg gehabt, aber eben nur rein sprachlich. Der Preis, den Sie dafür gezahlt haben, das Etikett des Nehmerlandes loszuwerden, ist ein aber sehr, sehr hoher, weil Nordrhein-Westfalen jetzt weit unterdurchschnittlich an den angedachten zusätzlichen Mitteln der Länderfinanzausstattung beteiligt wird.

In diesem Zusammenhang haben Sie als Finanzministerium unsere Nachfrage nicht beantworten können. Wir hatten angeregt, die Simulationsrechnung zu machen, was denn im Wasserfall unten für Nordrhein-Westfalen ankommt, wenn man oben die vom Bund geforderten 10 Milliarden € mehr in den Trichter hineingibt. Weil Sie sich dazu nicht in der Lage sahen, haben wir das Institut der deutschen Wirtschaft damit beauftragt. Und siehe da: Bei den Finanzmitteln, die Sie zusätzlich fordern und auf die sich die Länder verständigt haben, hätte Nordrhein-Westfalen jedes Jahr rund 500 Millionen € – ganz genau 490 Millionen € – mehr, wenn Sie im alten System geblieben wären.

Sprich: Der Systemwechsel bringt Ihnen nur einen einzigen sprachlichen Vorteil: Sie sind das Etikett des Nehmerlandes formal los. Finanziell schneidet Nordrhein-Westfalen bei Ihren Verhandlungsergebnissen aber unterdurchschnittlich ab. Das muss sich ändern. Dafür müssen Sie sich als Landesregierung hier rechtfertigen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel.

(Zuruf von den GRÜNEN: Was war neu? – Gegenruf von Ralf Witzel [FDP]: Die Berechnung!)

Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Zimkeit.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Alle Länder haben sich also auf einen Kompromiss geeinigt – unter Beteiligung der CDU, der SPD, der Grünen, der Linken. Alle waren daran beteiligt, einen solchen Kompromiss zu finden – nur eine Partei nicht, die FDP, die sich jetzt beschwert. Das lag daran, dass Sie in keiner Landesregierung sitzen. Ihr Antrag und Ihr Redebeitrag zeigen, dass die Wählerinnen und Wähler auch aus gutem Grund entschieden haben, dass Sie keiner Landesregierung angehören.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie befinden sich nämlich wieder einmal auf einer politischen Geisterfahrt. Alle Länder sehen in dem Kompromiss zum Länderfinanzausgleich ein gutes Ergebnis für den Föderalismus –

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

nur Sie nicht. Sind Sie denn schon einmal auf den Gedanken gekommen, dass nicht alle anderen in die falsche Richtung fahren, sondern möglicherweise Sie?

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP)

Nein, auf den Gedanken sind Sie nicht gekommen, weil Sie sich mit den Themen eben nicht intensiv genug beschäftigen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben deswegen zwei Kronzeugen für sich benannt.

Der erste Kronzeuge ist ein Institut, von dem ich gerade gehört habe, dass Sie es dann auch noch selbst beauftragt haben. Dieses Institut erklären Sie in Ihrem Antrag dann gleich zu der Wissenschaft. Die Meinung eines Institutes ist die Meinung eines Institutes, aber nicht unbedingt der gesamten Wissenschaft.

(Ralf Witzel [FDP]: Haben Sie eine andere Simulationsrechnung durchgeführt?)

– Vielleicht würden Sie bessere Anträge vorlegen, wenn Sie sich gelegentlich einmal die Mühe machen würden, zuzuhören. – Vielleicht hätten Sie auch einmal erwähnen können, dass genau dieses Institut zum Beispiel die Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs ausdrücklich gelobt hat – eine Position, die auch diese Landesregierung immer vertreten hat.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Der zweite Kronzeuge, den Sie dann bemühen müssen, ist Wolfgang Schäuble. Da schlagen Sie sich also in der Debatte wieder einmal auf die Seite der Bundesinteressen, wie Sie es immer tun, und bleiben nicht auf der Seite der Länder und Nordrhein-Westfalens. Sie reden nämlich ständig gegen die Interessen dieses Bundeslandes und tun das in diesem Punkt ausdrücklich auch wieder.

Es stellt sich die Frage: Warum sind Sie hier auf einer politischen Geisterfahrt gegen alle anderen? Das hat aus meiner Sicht insbesondere zwei Gründe.

Zum Ersten reduzieren Sie diese Debatte ausschließlich auf die Frage „Wer hätte denn mehr Geld oder noch mehr Geld bekommen können?“ und blenden, wie Sie es bei allen Themen tun, das Thema „Gerechtigkeit und Solidarität“ vollkommen aus.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Als Land haben wir immer wieder gesagt: Wir sind bereit, schwächere Länder zu unterstützen. Wir wissen, dass schwächere Länder Unterstützung brauchen, und wollen dies tun. – Das findet sich jetzt auch in diesem Kompromiss wieder. Das ist richtig so. Aber Ihnen ist das augenscheinlich egal.

Zum Zweiten sind Sie auf Ihre eigene Rhetorik hereingefallen. Sie haben sich so lange eingeredet, Nordrhein-Westfalen sei ein schwaches Land, dass Sie das mittlerweile selbst glauben. Nein, Nordrhein-Westfalen ist ein starkes Land. Deswegen ist Nordrhein-Westfalen weiterhin in der Lage, Unterstützung für andere Länder zu leisten. Das ist auch gut und richtig, solange es in vernünftigem Umfang erfolgt.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

– Ich habe ja schon einmal gesagt: Sie messen das eindeutig an der Frage, wer wie viel Geld mehr bekommt. Uns dagegen ist auch wichtig, ob das Verfahren gerecht und solidarisch ist.

Dieses Land – auch dieser Landtag – ist ohne Ihre Stimmen, aber mit breiter Mehrheit und einer klaren Positionierung in diese Verhandlungen gegangen.

Erstens. Wir wollen ein gerechteres System. – Das haben wir eindeutig erreicht. Daran können wir einen Haken machen.

Zweitens. Wir wollen mehr Transparenz, insbesondere durch den Wegfall des Umsatzsteuerfinanzausgleichs. – Auch das ist erreicht worden. Daran können wir ebenfalls einen Haken machen.

Drittens. In Nordrhein-Westfalen muss mehr von dem Geld bleiben, das die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes erwirtschaften. – Auch das ist erreicht worden. Auch daran können wir einen Haken machen.

Dies zeigt: Es handelt sich bei dem hier gefundenen Kompromiss um einen guten Kompromiss für Nordrhein-Westfalen und um einen guten Kompromiss für den Föderalismus. Sie sollten wirklich einmal überlegen, dass Sie, wenn sich alle Länder darauf verständigen und parteiübergreifend von einem guten Kompromiss gesprochen wird, mit Ihrer Solitärstellung vielleicht falsch liegen.

Wir sollten uns jetzt gemeinsam auf den Weg machen, den Bund davon zu überzeugen, diesen Kompromiss auch anzunehmen und umzusetzen. Das wäre ein gutes Zeichen für Nordrhein-Westfalen. Aber darum geht es Ihnen nicht, Herr Witzel. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Optendrenk das Wort.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Länderfinanzausgleich ist zweifellos ein wichtiges Instrument, um die Finanzkraftunterschiede der Länder solidarisch auszugleichen. Hier stehen Bund und Länder gemeinsam vor der Herausforderung einer Neugestaltung nach dem Jahr 2019. Es ist unzweifelhaft, dass eine Neuordnung dringend geboten ist. Die heutigen Strukturen sind nicht transparent, undurchsichtig und wenig nachvollziehbar. Es gibt regelmäßig ritualisierte Neiddebatten und gegenseitige Vorwürfe, entweder nicht leistungsbereit oder nicht solidarisch zu sein. Einen Teil haben wir schon heute hier gehört.

Die CDU ist sich ihrer Verantwortung für Nordrhein-Westfalen sehr bewusst. Wir nehmen diese Verantwortung wahr. Wir haben bereits im Januar 2013 einen entsprechenden Antrag zu einem Eckpunktepapier zur Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen vorgelegt und haben uns zwei Jahre später gemeinsam mit SPD und Grünen darauf verständigt, einen Antrag vorzulegen, der die Interessenlage des Landes Nordrhein-Westfalen bei diesen Verhandlungen unterstützen soll. Das ist sicherlich für eine Opposition nicht selbstverständlich. Aber wir haben an dieser Stelle sehr klar gemeinsam

(Beifall von Stefan Zimkeit [SPD] und Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Verantwortung übernehmen wollen und stehen auch dazu.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Der dort zugrunde gelegte Ansatz ist offenbar unter den Ländern und, soweit man das nachvollziehen kann – zumindest im Grundsatz, nicht der Höhe nach –, auch mit dem Bund konsensfähig. Aber, Herr Minister, dieser Grundansatz ist das eine. Was haben Sie denn in den Verhandlungen im Interesse des Landes daraus gemacht? Was haben Sie aus der ganzen Rückendeckung gemacht, die Sie in bei einem solchen Thema durchaus ungewöhnlicher Weise auch von der größten Oppositionsfraktion bekommen haben?

Vor genau drei Monaten ist dieses Modell zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen von den Ländern vorgelegt worden. Die Ministerpräsidentin sprach anschließend hier im Landtag von einem guten Tag für Nordrhein-Westfalen und einem guten Tag für den Föderalismus. Aber ist das wirklich ein guter Tag für Nordrhein-Westfalen gewesen?

Nordrhein-Westfalen liegt nach dem, was da als Einigungsvorschlag von den Ländern erarbeitet worden ist, in einer Pro-Kopf-Betrachtung auf dem vorletzten Platz. Auf dem vorletzten Platz! Und das soll ein gutes Verhandlungsergebnis sein? Das unterstellt ja, dass man sich vom letzten Platz auf den vorletzten Platz bewegen will. In der Tat wäre das kein gutes Ergebnis für Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und Ralf Witzel [FDP])

Bezeichnenderweise hat uns die Landesregierung zur Frage der Aufteilung der zu erwartenden Mehreinnahme nach dem Modell der Länder im Haushalts- und Finanzausschuss bisher explizit nichts vorgelegt. Wir haben schriftlich danach gefragt, und wir haben mündlich danach gefragt. Sie sagen uns aber nicht, wie sich, wenn denn der Bund zustimmt, die 1,5 Milliarden € aufteilen, die das Land nach Ihrer Vorstellung mehr bekommen soll. Welche Summe soll im Landeshaushalt verbleiben? Was wird zur Entlastung der kommunalen Haushalte eingesetzt? Was steht also auf welcher Ebene zur Haushaltskonsolidierung zur Verfügung?

Herr Finanzminister, es ist heute die Zeit, dass Sie die Fragen beantworten. Das Parlament hat das verdient. Und das, glaube ich, müssen wir auch erwarten, wenn wir Ihren Kurs weiterhin unterstützen sollen.

Zum Antrag der FDP: Ich glaube nicht, dass die Fortschreibung des aktuellen Systems am Schluss das Richtige wäre. Das aktuelle System hat zu wenig Akzeptanz

(Ralf Witzel [FDP]: Richtig!)

und auch zu wenig Transparenz. Die Einigung unter den Ländern war schwer genug. Es ist wahrscheinlich relativ unrealistisch, zu vermuten, dass es auf dem Weg bis zu einer Einigung insgesamt mit dem Bund noch zu einem neuen Modell kommen wird. Dafür sind die Verhandlungen zu schwierig.

Trotzdem haben Sie recht, wenn Sie sagen: Es muss alles auf den Tisch. Ich glaube auch, dass die rein kommunikative Betrachtung, die die Landesregierung bisher vorgenommen hat, in der Sache nicht weiterträgt. Die Schuldenbremse ist nämlich auch kein Kommunikationsinstrument, sondern ist ab 2020 schlicht einzuhalten. Insofern hat die Landesregierung eine hohe Verantwortung, einerseits die Fakten auf den Tisch zu legen. Auch die Tabellen, die zweifellos der Einigung zugrunde liegen – es wäre ja unrealistisch, zu vermuten, dass hinter einem so großen Projekt nicht Detailberechnungen stecken, sondern es sich nur um eine politische Einigung handeln soll –, müssen auf den Tisch des Hauses kommen, damit wir uns auf der Basis von Fakten ein eigenes Bild verschaffen und das der Bevölkerung entsprechend sagen können.

Wenn dann wieder davon geredet wird, der Bund müsse aber noch dieses und jenes leisten, habe ich eine große Sorge, Herr Minister. Durch die Art und Weise, in der Sie jetzt die Debatte – auch mit Herrn Söder und anderen – wieder angefangen haben, bevor es eine Einigung über die langfristige Bundesbeteiligung gibt, gefährden Sie nach meiner Einschätzung sehr massiv die Einigung über die langfristige Finanzierung. Man kann nicht von jemandem erwarten, dass er ständig immer nur geben soll. Dann wird er irgendwann einmal sagen: Nein, ich mache das nicht mehr mit.

Ich glaube, dass es einer konstruktiven Haltung bedarf. Sie sollten sich überlegen, zu welchem Zeitpunkt wir welche Unterstützung verlangen sollten. Sie können nicht immer nur nach anderen rufen. In den letzten Jahren haben Sie hinreichend gezeigt, dass Sie es mit der Konsolidierung des Landeshaushaltes auf der Ausgabenseite nicht ernst gemeint haben. Wen Sie nach dem Motto „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ vorgegangen wären, wäre es auch leichter mit den Forderungen an den Bund.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Optendrenk, bitte bleiben Sie noch einen kleinen Moment hier. Ich komme erst jetzt dazu, Sie zu fragen, ob Sie eine rechtzeitig angemeldete Zwischenfrage von Herrn Kollegen Ellerbrock zulassen würden.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Na klar.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann nehmen wir sie noch mit – vorab verbunden mit der Bitte an den Kollegen Ellerbrock, nicht wieder das Mikrofon auf seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Eingeweihte Kollegen wissen, was ich meine.

(Heiterkeit)

Bitte, Herr Kollege.

Holger Ellerbrock (FDP: Okay. Ich bemühe mich einmal. – Herr Kollege Optendrenk, Ihren Worten habe ich entnommen, dass Sie unterstellen, Herr Kollege Witzel habe hier ein neues Modell aufbauen wollen. Meines Erachtens gehen Sie mit dieser Annahme fehl. Mit dem, was die Fraktion oder der Kollege Witzel hier vorgetragen hat, war nur Folgendes gemeint: Diese Verhandlungen, die hier so gefeiert wurden, sind im Endeffekt eine Wählertäuschung; denn mit dem alten Modell wäre letztendlich mehr Geld nach Nordrhein-Westfalen geflossen als mit der neuen Darstellung.

Das Zweite ist: Warum haben wir das gemacht?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ihre Frage, bitte, Herr Kollege.

Holger Ellerbrock (FDP): Wir haben es gemacht, weil die Landesregierung sich geweigert hat, eine eigene Simulationsrechnung durchzuführen und die Daten offenzulegen. Deswegen ist das gemacht worden. Das habe ich bei Ihnen nicht verstanden.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Herr Optendrenk kann doch nichts dafür, wenn Sie das nicht verstehen!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wir interpretieren das jetzt einmal als Frage, Herr Kollege.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Da war ein Fragezeichen am Ende!)

– Okay.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Deshalb, Herr Präsident, werde ich diese Frage auch gerne beantworten. – Herr Kollege Ellerbrock hat natürlich völlig recht, diese Frage zu stellen; denn im Kern geht es ja nur darum, dass die Landesregierung gerne, kommunikativ gesehen, Geberland sein möchte. Das hilft allerdings den Bürgerinnen und Bürgern überhaupt nicht. Diese reine Kommunikation ist eine etwas verbrämte, aber relativ durchsichtige Propagandanummer.

Es wäre sinnvoller, wenn man sich darauf verständigen könnte, in einer objektiven Weise nach dem wirklichen Ertrag für das Land und der Interessenlage des Landes zu schauen. Insofern verstehe ich auch, dass die Simulationsrechnung, die die FDP hier vorgelegt hat, deutlich macht, was bisher der Haken an den Berechnungen des anderen Modells ist. Die Einigung, die bislang auf dem Tisch liegt, ist sicherlich problematisch. Wir sind nur der Meinung, dass das Modell, das jetzt einmal verhandelt worden ist, wahrscheinlich nicht noch einmal aufgeschnürt werden kann.

In der Einschätzung, dass der Minister jetzt sehr gut erklären muss, damit man ihm glaubt, dass das keine reine Kommunikationsnummer ist, sind wir uns aber einig.

(Beifall von der CDU und Ralf Witzel [FDP])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Optendrenk. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht als Nächster Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Witzel und Herr Dr. Optendrenk, eines würde ich schon einmal gerne sehen. Ich würde gerne sehen, wie Sie die Forderung, die Sie jetzt hier erhoben haben, bei Ihren Kolleginnen und Kollegen, die sich in Mainz, in Halle und in Stuttgart im Landtagswahlkampf befinden, vortragen. Ich würde gerne einmal sehen, wie Sie da dieses Tänzchen aufführen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ich stelle mir einmal vor, Herr Witzel, dass Sie oder Herr Lindner bei einer Veranstaltung im Ländle sagen würden: Nordrhein-Westfalen braucht mehr Geld; gebt uns doch einmal etwas ab. – Dorthin würde ich auch mitkommen; denn die Gesichter, die da gezogen werden würden, würde ich mir nicht entgehen lassen. Ich sage ja nicht, dass diese Verhandlungen einfach sind. Das ist auch bei uns, wenn man das einmal so sagen darf, schwierig.

Sie haben hier in Ihrer Rede beispielsweise die Einwohnerveredelung der Stadtstaaten angesprochen. Ich würde wirklich gerne einmal sehen – versprechen Sie mir, dass ich dabei zusehen darf –, wie Sie Katja Suding ins Gesicht sagen, dass Sie von diesem System herunter wollen. Ich wette mit Ihnen, dass sie Ihnen sagen wird: Wenn es eine Kompensation gibt, bei der Hamburg sich nicht schlechter steht, bin ich damit einverstanden.

So ist das bei vielen anderen Punkten vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Interessen, die die Stadtstaaten und die großen Flächenländer bzw. die Geber- und die Nehmerländer in diesem System haben, auch.

Es wird immer so sein – das ist auch historisch so –, dass es keine strukturellen Veränderungen im Länderfinanzausgleich gibt, wenn der Bundesfinanzminister sein Säckel nicht öffnet.

Was wir jetzt haben, ist eine Einigung auf der Länderseite. Von Nordrhein-Westfalen über Bayern bis hin zu den Stadtstaaten sind wir uns über einen Weg einig. Ich sage gleich noch etwas zum Bund. Jetzt aber so zu tun, als würden wir ohne Gegenmaßnahmen einfach mal so das System ändern können, ist nicht nur naiv, sondern das ist auch eine Verschaukelung der Wählerinnen und Wähler.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie suggerieren hier etwas, was es historisch nie gegeben hat und wovon jeder, der sich nur fünf Minuten mit diesem Thema befasst hat und der politisch einigermaßen klar denken kann, weiß, dass es so nicht funktionieren wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

– Herr Witzel, ich möchte noch etwas zur Rolle des Bundes und zu den unterschiedlichen Interessen sagen. Wir haben hier im Hause einen gemeinsamen Konsens; Herr Optendrenk und Herr Zimkeit haben es erwähnt. Ich bin den Kollegen von den beiden großen Fraktionen hier im Hause dankbar, dass der Finanzminister aus diesem Hause ein breit getragenes Mandat für die Verhandlung hatte.

Der Konsens beinhaltet genau die Punkte, die im Wesentlichen auch erreicht wurden. Da geht es um die horizontalen Finanzbeziehungen, aber auch um die Leitlinien. Ich bin den Kollegen sehr dankbar, weil wir auch gesagt haben: Es muss gerechter und transparenter werden. Das wird es jetzt ein Stück weit, soweit es der Kompromiss mit den anderen Ländern zugelassen hat.

Wir waren uns außerdem einig – auch das ist umgesetzt –, dass NRW künftig mehr von dem, was hier erwirtschaftet wird, behalten kann. Das ist ein Riesenerfolg. Daran können Sie jetzt herummäkeln, aber ich bitte Sie, den Zuhörerinnen und Zuhörern nicht verkaufen zu wollen, dass es eine ganz einfache Lösung gäbe. Sie müssen immer die Interessen der anderen berücksichtigen. Wir haben nun einmal die Situation, dass sich die Länder einig sind, der Bund diesem Kompromiss aber noch nicht beigetreten ist.

Ich habe die diversen Veranstaltungen in den letzten Wochen mit großer Besorgnis verfolgt. Darum will ich daran appellieren, dass der Bund nicht nur beitritt, sondern dass auch versucht wird, die Haushälterinnen und Haushälter der großen Fraktionen im Bundestag mitzunehmen. Die waren nicht beteiligt, die saßen nicht am Tisch, obwohl dies – so wurde es von mehreren Seiten verlautbart – vorgeschlagen wurde. Das Bundesfinanzministerium hat jedoch den Vorschlag abgelehnt, dass auch der Deutsche Bundestag mit an diesen Beratungen beteiligt ist. Das ist nicht erfolgt.

Es ist hochbedenklich – da hat der Kollege Optendrenk schon recht –, wenn zum Beispiel der haushaltspolitische Sprecher der CDU und der der SPD sagen: Wenn ihr noch einmal so eine Ansage macht, dann gibt es hinterher gar nichts. – Das ist aufgrund des Kompromisses, den wir erwirkt haben, fatal; denn wir brauchen eine Einigung. Die Einigung ist gut für Nordrhein-Westfalen.

Ich würde mir wünschen, dass man mit dem Bund konstruktive Gespräche führt. Schäuble ist vor den Verhandlungen dahin gehend zitiert worden, er könne sich eine Summe von 6 Milliarden € vorstellen. Wir sind jetzt bei ungefähr 8 Milliarden €. Wenn man weiß, dass der Bund einen Überschuss von 12 Milliarden € hat, dann muss man wirklich sagen: Angesichts der Herausforderungen, vor denen die Länder stehen, brauchen wir schnell eine Einigung. Es gibt einen länderseitigen Vorschlag, der liegt auf dem Tisch, und der muss jetzt auch konsequent umgesetzt werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Schulz das Wort.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Herr Kollege Optendrenk hat einige Fragen in Richtung Finanzminister aufgeworfen und darum gebeten, er möge sich dazu erklären. Insofern muss man abwarten, was da kommt. Der Antrag soll in den Ausschuss überwiesen werden, wo heute nicht geklärte Fragen doch noch geklärt werden können.

Worum geht es überhaupt? – Es geht bei der hier zur Debatte stehenden Neuordnung des Länderfinanzausgleichs letztendlich um die Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs. Hier im Hause bestand eigentlich Einigkeit darüber, dass dies etwas mehr Transparenz ins System befördern könne.

Richtig ist auch: NRW steht dann nicht länger als Nehmerland dar, sondern es wird zum Geberland. Damit wird die verletzte Eitelkeit der rot-grünen Landesregierung quasi besänftigt. NRW ist die Negativbezeichnung „Nehmerland“ los. Zudem ist es für die Akzeptanz des Systems Länderfinanzausgleich wichtig, wenn das größte und wirtschaftsstärkste Bundesland als Geberland eingruppiert wird.

Im alten System gab es immer mehr Nehmerländer und immer weniger Geberländer. Durch die Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs kann NRW ab 2020 1,5 Milliarden € mehr in der Kasse behalten.

Die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs bedeutet allerdings auch, dass NRW ab 2020 nur – das wurde ebenfalls bereits angesprochen – 87 € je Einwohner erhält. 14 von 16 Bundesländern stehen besser da und erhalten mehr. Auch das wird im FDP-Antrag durchaus richtig festgestellt. Daran lässt sich zunächst einmal nichts deuteln. Im Vergleich zu den anderen Bundesländern schneidet NRW also trotz der Neuregelung, trotz dieser Einigung bei der Neuordnung nicht gut ab, sondern steht auf dem vorletzten Platz.

Zudem bedeutet die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs eine Einigung zu Lasten Dritter. Der Ländervorschlag impliziert nämlich, dass der Bund 9,7 Milliarden € zusätzlich in das System einspeisen soll. Bundesfinanzminister Schäuble hatte 8,5 Milliarden € angeboten.

(Zuruf von Minister Dr. Norbert Walter-Borjans)

– Ganz entscheidend ist Folgendes, Herr Finanzminister: Der Bundesfinanzminister hat diesem Ländervorschlag bis heute noch nicht zugestimmt. Die Zustimmung steht also noch aus. Dementsprechend steht diese Neuregelung bisher auf tönernen Füßen.

Ich komme nun zur Vorabbewertung – nicht zur abschließenden Bewertung; das behalten wir uns für den Ausschuss vor – des FDP-Antrags. Dem FDP-Antrag kann man in vielen Punkten Positives abgewinnen. Darüber wird noch einmal zu diskutieren sein, wie die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen in dieser Länderrunde verhandelt hat.

Die zentrale Frage bleibt, ob die Ausgangsprämisse der von der FDP-Fraktion beauftragten Studie des IW Köln trägt.

Die Frage lautete: „Wäre der Bund bereit, zusätzlich 9,7 Milliarden € ohne eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen in das bestehende System einzuspeisen?“ Diese Frage steht laut dem FDP-Antrag – zumindest ungeschrieben – im Raum. Und falls das stimmt, falls man also diese Frage mit Ja beantworten könnte, dann würde NRW mit dem bestehenden System besser fahren, und die NRW-Landesregierung hätte schlecht verhandelt. Nachverhandlungen, auch das impliziert der Antrag, wären daher sinnvoll.

Und falls man die Frage mit Nein beantworten müsste, dann würde NRW mit dem bestehenden System deutlich schlechter fahren. Alles Weitere betrachten wir im Ausschuss. Wir werden selbstverständlich der Überweisung in den Ausschuss zustimmen. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will ein paar Punkte aufzählen.

Erstens. Es gibt eine Einigung in der Ländergesamtheit zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020. Das ist in der Tat – da wiederhole ich das, was die Ministerpräsidentin gesagt hat – ein gutes Ergebnis für den Föderalismus.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Dass die FDP das nicht versteht, das verstehe ich wiederum; sie ist aus gutem Grund in keiner einzigen Landesregierung mehr vorhanden.

Zweitens. Nordrhein-Westfalen erreicht mit diesem Ergebnis der Ländergesamtheit ein sehr gutes Ergebnis, und das auf vielerlei Weise.

Zunächst: Das System ist transparent. Es gibt nicht mehr die hohen Zahlungen des Landes, die keiner sieht, die sozusagen im Dunkeln stattfinden, und die Rückerstattungen an uns, die hingegen jeder sieht und bei der wir dann Nehmerland sind. Das ist nicht irgendeine Kleinigkeit, das ist auch nicht Kosmetik. Wenn Sie das als Kosmetik seitens der rot-grüne Landesregierung ansehen, dann haben Sie auch da etwas nicht verstanden. Das Ganze hat ziemlich viel mit Standortargumentation zu tun.

Es ist ein Unterschied, ob sich ein wirtschaftsstarkes Land in der Öffentlichkeit darstellen lassen muss als ein Land, das von anderen Geld benötigt, oder ob es ein Land ist, das an andere Länder Geld abgibt, nur damit die sich hinstellen und sagen können: Guckt mal, wir schaffen den Haushaltsausgleich.

Darüber hinaus wird erreicht, dass wir uns finanziell enorm verbessern und weit mehr von der Finanzkraft dieses Landes im eigenen Land halten können, als das nach dem bisherigen System der Fall ist, nämlich runde 1,5 Milliarden €. Das ist ein gutes Ergebnis für Nordrhein-Westfalen.

Ich gestehe Ihnen gerne zu: Mehr wäre immer besser. Und wenn ich Ihre unglaublich interessante Simulation einmal nachrechne, wonach der Bund insgesamt 5 Milliarden € mehr ins System einspeisen würde und wir nach dem alten Abrechnungsverfahren weiter abrechnen dürften, dann wäre das Ergebnis wunderschön. Nur wird man mit Sicherheit kein derartiges übereinstimmendes Bund-Länder-Ergebnis hinbekommen. Hierfür muss man wieder verstehen, dass, wenn man miteinander am Tisch sitzt, man auch einen Kompromiss finden muss.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Das vorliegende Ergebnis ist ein Kompromiss, und es ist ein guter Kompromiss. Sie haben jetzt das Problem – da muss sich auch die CDU anhängen, obwohl Herr Laschet hier selbst gesagt hat, dass es ein gutes Ergebnis sei –, dass man diesen Kompromiss nun zerreden muss. Es kann ja nicht sein, dass diese Landesregierung in den Verhandlungen der Länder untereinander zu einem guten Ergebnis gekommen ist.

In einem solchen Fall macht man eben eine Simulation. Dann beauftragt man ein Institut, welches gerade vorher gesagt hat, wie wichtig es sei, dass der Umsatzsteuerausgleich, der Vorwegausgleich abgeschafft werde.

Dann zitiere ich mal etwas:

Dass oft der alte Grundsatz: „Wer bestellt, bezahlt“, in seiner Ausprägung: „Wer bestellt, bekommt auch das gewünschte Gutachterergebnis“, zur Geltung kommt, erscheint im Rahmen von Lobbygruppen und Einzelunternehmen nicht weiter verwunderlich. Für eine objektive gutachterliche Beratung der Politik müssen andere Grundsätze gelten.

Das ist eines der langen Vorworte von Herrn Witzel zu einer Anfrage über Gutachten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Witzel, da müsste man tatsächlich einmal mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft reden. Denn das, was die vorher an Gutachten herausgegeben haben, die nicht bestellt worden sind, hat ganz anders geklungen. Es tut mir leid, wenn sich ein Gutachterinstitut für so etwas hergibt. Die haben exakt das gemacht, was Sie hier in Ihren immer sehr ausführlichen, manchmal etwas ausufernden Einleitungen zu Anfragen oder Anträgen beschreiben.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Wieso manchmal?)

Herr Optendrenk, wenn Sie davon reden, dass immer die anderen aufgefordert werden, zu zahlen, dann muss man sich nur einmal vor Augen halten: Wer sind eigentlich die anderen? Wenn Menschen aufgrund eines internationalen Konflikts nach Deutschland kommen und in Länder und Kommunen verteilt werden, dann sind „die anderen“, denen man hier die Kosten aufdrückt, wir, und der, der sie aufdrückt, ist der Bund und nicht umgekehrt. Es kann da nicht sein, dass sich jemand hinstellt, Reden hält, Einzelinterviews in Talkshows bekommt und dann darstellt, was man alles machen kann – im Übrigen mit vielen guten, richtigen Ansätzen –, dabei aber unausgesprochen die Rechnung „den anderen“ präsentiert. Das geht nicht, denn „die anderen“, das sind wir.

Und wenn wir uns darauf verständigen, dass es jetzt nicht darum geht, dass wir ab 2020 ein neues System erhalten, dann sollten wir bis dahin den Mund halten angesichts dessen, was bis dahin an finanziellen Belastungen auf uns zukommt. Da müssen wir auch hier den Konsens der Demokraten finden.

Noch einmal: Ich unterstütze an vielen Punkten Aussagen der Kanzlerin zur Flüchtlingspolitik. Aber das Unausgesprochene – wer letztlich die Rechnung zahlt; das drücken wir mal anderen auf; darüber reden wir nicht; wenn die sich räuspern, wollen die es auf andere abschieben –, das teile ich nicht. Das gehe ich auch nicht mit.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Ansonsten ist das eine Simulation. Da gilt nicht der Spruch von Helmut Schmidt, was die Visionen angeht; aber über das, was Simulanten betrifft, sollte man tatsächlich mal nachdenken. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Bitte bleiben Sie noch einen Moment vorne; denn Herr Kollege Witzel hat eine Kurzintervention angemeldet. Wenn er sich jetzt eindrückt, bekommt er für 90 Sekunden das Wort. Bitte, Herr Kollege!

Ralf Witzel (FDP): Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, Sie können es diesem Landtag gerne darlegen, wenn Sie andere Erkenntnisse zu Simulationsrechnungen haben. Bislang haben Sie uns auf schriftliche Anfragen hin mitgeteilt, dass Sie solche Ergebnisse nicht haben. Daraufhin haben wir Wissenschaftler beauftragt, diese Simulationen zum Systemvergleich zwischen altem und neuem System durchzuführen.

Damit das nicht falsch verstanden wird: Wir halten hier ausdrücklich kein Plädoyer für die Beibehaltung des alten Systems, da es die strukturellen Probleme und all die Fehlanreize, die wir heute alle noch einmal dargestellt haben, natürlich genauso enthält wie das, was Sie neu abgeschlossen haben.

Wenn es aber um die rein pekuniäre Frage geht, ob das ein guter Abschluss für NRW sei, drängt sich doch naturgemäß eine Frage auf. Sie sagen: Wir erhalten 1,5 Milliarden € mehr. Wenn oben in den Wasserfall des Bundes 10 Milliarden € hineingeschüttet werden, kommen in NRW 1,5 Milliarden € mehr an. – Dann ist es doch mehr als legitim, zu fragen: Wie viel wäre das denn gewesen, wenn sich die systemischen Dinge nicht geändert hätten, sondern da das alte System gelten würde?

Sie haben das zum Politikschwerpunkt dieser Landesregierung gemacht: Länderinteressen bei der Reform des Länderfinanzausgleichs. Sie wollten södern, Sie wollten seehofern, Sie haben sich mit den ostdeutschen Ländern auseinandergesetzt. Sie haben gesagt: Ihr habt mittlerweile an vielen Stellen eine bessere, modernere Infrastruktur. Jetzt gibt es mal Bedarf für den Westen, damit auch hier investiert wird. Das waren Ihre Ankündigungen.

Und wenn wir dann, nachdem Sie all das vorgetragen haben, nachdem Sie in Haushaltsdebatten deutlich gemacht haben, NRW hätte ja auch so viele Lasten aus dem Strukturwandel zu tragen, schließlich fragen: „Was wäre denn der Vergleich gewesen? Was wäre denn bei 10 Milliarden € mehr beim Bund im Land herausgekommen?“, dann müssen Sie sich dieser Debatte stellen. – Was sagen Sie dazu?

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Was wäre gewesen, wenn Sie mittwochs im Lotto gewonnen hätten?)

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Witzel, wir müssen der Reihe nach vorgehen: Ich erinnere mich zunächst daran, dass in der aufkommenden Debatte über die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen Ihre Position die Folgende war: Wir sollten überhaupt nichts fordern. Denn alles das, was in diesem Land zu tun wäre, müsste man aus den eigenen Mitteln bewerkstelligen können, und das wäre ja wieder nur das Zeigen auf andere und ein Ausweg, den wir suchen, indem wir eine gerechtere Verteilung der Bund-Länder-Finanzausstattungen anstreben. Das war Ihr erster Punkt.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Jetzt machen wir etwas, und dann kommen Sie auf einmal von der anderen Seite und sagen: „Moment mal, wieso hast du eigentlich nicht viel mehr herausgeholt?“, und geben dann einem durchaus renommierten Institut eine Vorgabe, nämlich: Tut mal so, als wenn der Bund das zahlt, was die Länder jetzt erwarten, das System sich dabei aber nicht ändert. – Das ist eine Rechenaufgabe, die hätte auch ich Ihnen ausrechnen können; dann wäre nämlich herausgekommen, dass mehr kommt.

Was ist denn das für eine Herangehensweise? Die Herangehensweise war doch eine andere, und zwar, dass wir gegenwärtig rund 2,5 Milliarden € über den Umsatzsteuervorwegausgleich abgeben, 1 Milliarde € zurückbekommen und damit zum Nehmerland geworden sind. Hier erfolgt eine Verbesserung um 1,5 Milliarden €.

Ich gestehe es zu: Wenn ich alleine noch eine Menge ändern dürfte, dann würde es vor allem das betreffen, was der Bund in dieses System zahlen soll. Das dient ganz überwiegend dazu, das, was wir nicht mehr leisten – weil der Umsatzsteuervorwegausgleich, warum auch immer, eine Ergänzungszuweisung unter anderem des Landes Nordrhein-Westfalen für andere, insbesondere ostdeutsche Länder war –, zu kompensieren. Es geht darum, dass der Ausfall dieser Zahlungen vom Bund nicht nur übernommen, sondern ein ganzes Stück überkompensiert wird.

Darüber kann man streiten. Es gefällt mir auch nicht, weil es wieder ein Stück weit bessere Voraussetzungen für die ostdeutschen Länder schafft. Aber eines ist klar: Das Ergebnis für Nordrhein-Westfalen ist ein hervorragendes. Der Punkt ist, dass es besser wäre, wenn man andere Länder nicht dadurch wieder ein Stückchen ruhigstellen müsste, dass man ihnen enorm viel gibt, und dass das auch wieder ein Stück überkompensiert wird.

Das war Teil dieses Kompromisses. Der hat dann auch unsere Zustimmung gefunden, weil ein anderer Kompromiss nicht zustande gekommen wäre. Es ist aber ein Kompromiss, der nicht zulasten des Landes Nordrhein-Westfalen geht, sondern dabei kann und muss man darüber reden, wie der Bund und wie die ostdeutschen Länder dastehen. Darüber kann man dann diskutieren.

Der Bund gibt in etwa das, was Herr Schäuble in sämtlichen seiner eigenen Modelle zugrunde gelegt hat, hochgerechnet auf das Jahr 2019. Deswegen bin ich auch sehr zuversichtlich, dass wir mit dem Bundesfinanzminister in dieser Frage näher beieinander liegen, als das im Augenblick in der öffentlichen Darstellung aussehen mag.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. Soweit die Kurzintervention und die Antwort der Landesregierung. Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/11220 an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? Gibt es Gegenstimmungen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

5   Beihilfeberechtigte entlasten und die Beihilfeabrechnung erleichtern

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11231

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die antragstellende SPD-Fraktion Frau Kollegin Lux das Wort. Bitte, Frau Kollegin.

Eva Lux (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Thema „Beihilfe im Krankheitsfall für Beschäftigte und Pensionäre des öffentlichen Dienstes“ hat wie alle Medaillen zwei Seiten. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt deren Versorgung im Krankheitsfall als durchaus gut und bei so manchem Leistungserbringer sogar als interessantes Feld.

Aber für immer mehr Beschäftigte und Pensionäre des öffentlichen Dienstes wird das Antrags-, Prüf- und Abrechnungssystem zum oft größeren Problem neben einer Erkrankung. Ich möchte dieses technisch wirkende Problem anhand eines der Fälle, die ich miterleben musste, einmal mit etwas Leben füllen.

Ein Beamter, engagierter Lehrer, verheiratet, zwei Kinder, fällt nach einem Schlaganfall ins Wachkoma. Die Ehefrau ist nicht in der Lage, ihn zu Hause zu pflegen, und er muss in eine Pflegeeinrichtung. Neben der Angst und Sorge um ihren Mann wird die Ehefrau jetzt praktisch überschwemmt mit Rechnungen von Ärzten, Kliniken, Pflegeeinrichtung, Heil- und Hilfsmittelversorgern. Sie hat diese nun zu prüfen, zu sortieren, zu kopieren und bei Beihilfestelle sowie Krankenkasse einzureichen. Sie muss dann weiterhin Bescheide und Zahlungseingänge prüfen, sich mit Widersprüchen herumschlagen und natürlich auch Zahlungen an die diversen Leistungserbringer vornehmen.

Die Zahlungseingänge von Beihilfestelle und Krankenkasse dauern schon einmal, die Mahnungen der Leistungserbringer kommen pünktlich. Die Ehefrau versorgt nicht nur ihren Mann in der Pflegeeinrichtung, sondern sie kümmert sich irgendwie nebenher auch noch um die Kinder, versucht, die Rechnungen einigermaßen pünktlich zu zahlen und kommt dabei mehrfach nicht nur an ihre finanziellen Grenzen, sondern ist mittlerweile auch selbst gesundheitlich angeschlagen.

Viele von uns wissen, dass so etwas kein bedauerlicher und tragischer Einzelfall ist. Die Zahl der Fälle nimmt zu; denn die demografische Entwicklung verschont auch nicht den öffentlichen Dienst. Nicht jeder bleibt im Alter geistig und körperlich so fit, um im Krankheitsfall dieses Verfahren für sich oder Angehörige locker zu bewältigen.

In den letzten Jahren haben wir bei der Beihilfebearbeitung nicht zuletzt aufgrund gestiegener Antragszahlen – rund 50.000 pro Jahr – bereits Maßnahmen zur Weiterentwicklung, Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren ergriffen. Vor dem Hintergrund weiter steigender Bearbeitungszahlen sehen wir jedoch eine generelle Überprüfung des bisherigen Verfahrens als notwendig und geboten an und erwarten nach entsprechender Diskussion in den beteiligten Ausschüssen Optionen, wie das Verfahren sowohl für die Betroffenen als auch für die Beihilfestellen zukunftsgerichtet aufgestellt werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Zustimmung zur Überweisung unseres Antrags und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Lux. – Für die zweite antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Abel das Wort.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Kern geht es uns um die Frage: Wie kann man ein bürokratisches, ineffizientes Verfahren im Sinne aller Beteiligten entschlacken?

Gestatten Sie mir zwei Bemerkungen zu diesem Verfahren – da kann ich bei der Kollegin Lux mit dem hervorragenden Fallbeispiel anschließen –. Die Systematik sieht so aus, dass die Beihilfeberechtigten – wir sprechen in aller Regel von Patienten – sich sozusagen in einer doppelten Bringschuld befinden: Sie sind zum einen Kostenschuldner gegenüber den Leistungserbringern, also Krankenhäusern, Apotheken, Ärzten etc. Wir alle wissen, dass hier, je nach Krankheitsbild, enorme Summen zustande kommen und dass das, je nach Art der Untersuchungen, auch sehr schnell gehen kann.

Zum anderen stehen dieselben Patienten gegenüber den Beihilfestellen und auch den Krankenversicherungen in einer Beweispflicht. Salopp gesagt: Sie müssen sehen, wie sie an ihr Geld kommen. Bei Problemen ist es ganz oft so, dass ihnen nicht rechtzeitig – jedenfalls innerhalb der Fristensetzung – Beratung zukommt und ihnen nicht rechtzeitig geholfen werden kann.

Schließlich sind auch die Leistungserbringer unseres Gesundheitssystems betroffen. Denn im Zweifel sind sie es, die am Ende auf berechtigte Forderungen warten müssen.

Wir sehen also genügend Gründe, sich dieses Beihilfeverfahren einmal genauer anzusehen und womöglich sinnvoll nach vorn zu entwickeln. Es ist also keineswegs so, dass wir hier einen fertigen Antrag präsentieren, sondern es handelt sich um einen Prüfantrag. Ich bitte Sie um Zustimmung.

Wir wollen eine Grundlage schaffen, um die von mir angesprochenen und im Antrag ausgeführten Fragen im Sinne aller Beteiligten, im Sinne von Patientinnen und Patienten, aber auch – wie die Kollegin Lux es sehr schön ausgeführt hat – im Sinne der Angehörigen sachgerecht zu lösen. Deswegen bitte ich um Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Lohn.

Werner Lohn (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Beihilfe als Krankheitskostenfürsorge hat sich grundsätzlich eigentlich bewährt. Sie ist Bestandteil des Alimentationsprinzips und gehört mit zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums aus Art. 33 Grundgesetz.

Ich möchte gleich zu Anfang betonen: Daran darf sich durch den Antrag von SPD und Grünen im Grundsatz nichts ändern, und da darf auch kein Zweifel aufkommen. Allerdings – das haben Sie gemerkt –: Beihilfe für Beamte und Pensionäre und Pensionärinnen ist eine trockene Verwaltungsmaterie. Jedoch sind die Konsequenzen für die Beihilfeberechtigten sehr weitreichend. Da stimme ich meinen Vorrednern zu. Deshalb muss es so sein, dass das Beihilfesystem mitarbeiterfreundlich, reibungslos, aber auch effizient funktioniert. Da gibt es mit Sicherheit eine Menge Verbesserungsbedarf.

Aber warum muss sich überhaupt der Landtag mit diesem trockenen Verwaltungsthema beschäftigen? Ich schaue einmal in Richtung Minister Walter-Borjans. Ein fürsorglicher Arbeitgeber – hier der zuständige Finanzminister – müsste sich eigentlich eigeninitiativ im Rahmen einer kontinuierlichen Prozessverbesserung mit einem gut funktionierenden Beihilfesystem beschäftigen. Denn kein Arbeitgeber, weder ein privater noch ein öffentlicher, kann es sich erlauben, seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, aktive oder passive, wochen- und monatelang auf Geldbeträge warten zu lassen, die teilweise weit über 1.000 € hinausgehen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Dietmar Schulz [PIRATEN]: So ist es!)

Das hat zur Folge, dass die Beihilfeberechtigten diese zum Teil sehr hohen Beträge privat vorfinanzieren müssen. Sie müssen Zinsen für Dispositionskredite bezahlen; sie müssen Mahngebühren bezahlen, bis hin zu Inkassoverfahren, mit denen sie überzogen werden. Das kann zu erheblichen sozialen und finanziellen Härten führen.

Außerdem werten die aktiven Mitarbeiter, aber auch die Pensionärinnen und Pensionäre, das als Zeichen mangelnder Wertschätzung durch ihren Arbeitgeber, das Land. Gute Arbeitgeber stellt man sich anders vor.

Leider enthält der Antrag von SPD und Grünen keine Informationen zu den aktuellen Wartezeiten oder zu den Bearbeitungszeiten. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Finanzminister gleich mindestens folgende Fragen inhaltlich beantworten wird:

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Das ist ein Prüfantrag!)

Wie sehen die aktuellen Zahlen der Beihilfe aus? Wie sind die Bearbeitungszeiten? Wie sind das eingesetzte Personal und die daraus resultierenden Kosten zu bewerten? Gibt es Beihilfemissbrauch bzw. Beihilfebetrug in signifikanter Höhe? – Das soll nach Insiderinformationen tatsächlich so sein. – Wie ist der Sachstand der schon in 2013 auf CDU-Anfragen hin angekündigten Reformen? Wie ist der Sachstand der IT-Initiative und der Entwicklung von Zukunftsperspektiven für das Landesamt für Besoldung und Versorgung?

Letztendlich aber die Kernfrage: Wird von SPD und Grünen trotz anscheinend besser gewordener Zahlen ein Systemwechsel weg von der bewährten Beihilfe hin zu einer Art Bürgerversicherung auch für Beamte angestrebt? Diese Befürchtung äußern Berufsverbände nach dem Lesen des Antrags von SPD und Grünen.

Der Herr Minister hat bereits im Juli 2013 auf unsere CDU-Anfrage hin ausgeführt, dass er jährlich mit 25.000 zusätzlichen Anträgen rechnet. Frau Kollegin Lux hat gerade gesagt, es seien mittlerweile sogar 50.000 Anträge jährlich. Darüber hinaus seien mindestens sieben bis acht zusätzliche Mitarbeiter pro Jahr erforderlich.

In dem Zusammenhang, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist allerdings bemerkenswert, dass die rot-grüne Landesregierung im Jahr 2011 erst einmal 13 Stellen gestrichen hat. Im Jahr 2012 hat die Landesregierung dann noch einmal 20 Ausbildungsplätze wegfallen lassen. Nach dem öffentlichen Druck, der dann aufkam, nachdem wissenschaftliche Hilfskräfte an den Universitäten kein Geld bekommen haben, hat man die Zahl der Stellen dann im Jahr 2012/2013 wieder ausgeweitet.

Ich kann Ihnen ehrlich sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Ein klares und schlüssiges Regierungshandeln sieht anders aus. Diesen Eindruck haben anscheinend auch SPD und Grüne gewonnen; denn anders ist nicht zu erklären, dass Sie einen Antrag formulieren, der eine Reihe detaillierter Fragen beinhaltet, die man zwar teilweise durchaus stellen kann, die aber eigentlich komplett in den Zuständigkeitsbereich und das Aufgabengebiet des Ministers gehören.

Herr Minister, Sie müssen diesen Antrag Ihrer regierungstragenden Fraktionen als Misstrauensantrag, als Dokument des Misstrauens Ihnen gegenüber, werten; denn eigentlich sind Sie derjenige, der die Hausaufgaben hätte machen müssen, sie aber nicht gemacht hat.

(Beifall von der CDU, der FDP und Dietmar Schulz [PIRATEN])

Dann wird dem Ganzen auch in Bezug auf Misstrauen noch die Spitze aufgesetzt: SPD und Grüne möchten nicht gerne, dass das Ministerium oder das Fachamt, das Landesamt für Besoldung und Versorgung, Lösungen erarbeitet. Man möchte vielmehr externe Gutachter beauftragen. Ich frage mich: Warum trauen Sie der Fachkompetenz, die sowohl im Ministerium als auch beim LBV zweifelsfrei vorhanden ist, nicht zu, zu Lösungen zu kommen? Das kann doch nur damit etwas zu tun haben, dass Sie der eigenen Regierung nicht über den Weg trauen und die Untätigkeit kritisieren.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Werner Lohn*) (CDU): Daher gibt es zwar interessante Diskussionen, allerdings wird der Vorschlag, sofern er umgesetzt werden sollte, teuer für den Steuerzahler. Deshalb werden wir uns darüber hart und intensiv mit Ihnen im Fachausschuss auseinandersetzen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und Dietmar Schulz [PIRATEN])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selbstverständlich ist es berechtigt und auch sinnvoll, sich viele Fragestellungen anzuschauen, die in diesem Antrag zur Reform des Beihilfesystems angesprochen werden.

Die Beihilfe ist bei der Kostenerstattung im Krankheitsfalle natürlich kompliziert. Die Höhe des Erstattungssatzes hängt von ganz unterschiedlichen persönlichen Merkmalen ab. Beihilfeberechtigte im aktiven Dienst ohne oder mit nur einem Kind erhalten 50 %, bei zwei oder mehr Kindern sind es 70 %, entpflichtete Hochschullehrer bekommen 50 %, beihilfeberechtigte Versorgungsempfänger wiederum 70 %. Den berücksichtigungsfähigen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern kommen 70 % zugute, und bei Kindern und beihilfeberechtigten Waisen sind es 80 %.

Das ist alles recht kompliziert. Das Verfahren ist beschrieben worden: Der erkrankte Beamte geht zum Arzt, bekommt die Rechnung, muss im Regelfall selber in Vorleistung treten und reicht diese Rechnung nachher gleich zweimal ein, nämlich sowohl bei der Beihilfestelle als auch bei seiner PKV, bei der er sich für den Rest der Krankheitskosten versichern muss, die bei den eingangs dargestellten Prozentsätzen nicht von der Beihilfe übernommen werden.

Das sind Doppelvorgänge, die nicht gerade effizient sind, zumal dabei auch nicht immer dieselben Feststellungen getroffen werden. Da sich die Erstattungsgrundlagen von PKV und Beihilferecht teilweise in dem einen oder anderen Detail unterscheiden, gibt es durchaus nicht wenige Situationen, in denen bei der Kostenübernahme von Heilbehandlungskosten eine Entscheidung bei der Beihilfe anders ausfällt als bei der PKV.

Insofern: Doppelte Arbeit mit teilweise abweichenden Ergebnissen – das spricht nicht für administrative Effizienz. Vor diesem Hintergrund kann man berechtigterweise über Alternativen nachdenken.

Es gibt zum Beispiel diese Möglichkeit – ich will das hier nicht fordern, aber als Prüffrage im Rahmen dieser Diskussion in den Raum stellen –: Wenn die Bewertung dieses Krankheitssachverhaltes durch die PKV stattfindet, die sich ja auch um die Frage der Erstattung kümmern muss, kann dieser Befund dann nicht eine wichtige Orientierung für den Anteil sein, den das Land auch zu den Heilbehandlungskosten dazugibt? Dann bräuchten wir keine große Beihilfebürokratie auf Landesseite, bei der viele Dinge doppelt geprüft werden, wodurch es zu Verzögerungen und damit auch zu den eingangs von Kollegen beschriebenen Situationen der Vorfinanzierung durch die betroffenen erkrankten Landesbeamten kommen kann.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Na guck mal, das ist ja was ganz Konstruktives!)

Diese Diskussion sollten wir ganz ergebnisoffen und sachorientiert führen. Wenn ich jedoch Ihren Vorschlagskatalog für Prüffragen – das ist es ja – lese, muss ich Ihnen sagen, dass man schon aufmerksam sein und nachdenklich werden muss, denn der Teufel steckt natürlich im Detail. Bei dieser sehr allgemeinen Formulierung, alle möglichen Alternativmodelle zu prüfen, beschleicht auch mich der Eindruck, dass Modelle, die ansonsten stark von Ihnen favorisiert werden, wie zum Beispiel die allgemeine Bürgerversicherung, auch hier für Sie in Betracht kommen könnten.

Das wollen wir auf gar keinen Fall. Wir sind froh, dass Landesbeamte in der privaten Krankenversicherung sind. Unser politisches Ziel ist es, möglichst vielen Menschen die Perspektive zu geben, von der hochwertigen Absicherung einer privaten Krankenversicherung zu profitieren. Deshalb wollen wir es mehr Menschen ermöglichen und das heutige System der PKV für Landesbeamte nicht noch infrage stellen, wie es hier auch verstanden werden könnte. Das heißt, wir brauchen mehr PKV und nicht weniger.

Sie haben zudem aufgeführt, Sie könnten sich vorstellen, dass eine einzige private Krankenversicherung die wichtigen Ermittlungen zu den Krankheitskosten vornimmt. Auch da läuten bei uns die Alarmglocken. Wir sind der Meinung, dass es an dieser Stelle sicherlich einer wettbewerblichen Lösung bedarf, und hätten Bedenken, wenn man sich auf eine einzige Krankenkasse fokussiert, um diese feststellenden Arbeiten vornehmen zu lassen. Schließlich gibt es auch große Unterschiede in der Datenbereitstellung zwischen den einzelnen Institutionen.

Insofern gibt es viele Fragen im Detail, die zu diskutieren sind, und sicherlich können wir auch hinter einzelne Punkte Ihres Prüfkatalogs Fragezeichen setzen oder dazu Bedenken äußern.

Die Debatte über die Systemreform brauchen wir aber sicherlich. Und wenn wir ein System finden, das zu mehr Effizienz führt und von dem wir alle profitieren können, ist das richtig und wichtig. Dieser Diskussion wollen wir uns im Ausschuss nicht versperren. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Ja, Kollege Lohn hat es eigentlich auf den Punkt gebracht: Der Antrag von SPD und Grünen ist praktisch eine Misstrauensvotum gegen den eigenen Finanzminister, insbesondere aber auch gegen das eigene Landesamt für Besoldung und Versorgung, das sich Tag für Tag mit mehreren Hundert Leuten um genau diese Beihilfefragen und insbesondere um die Antragstellungen und deren Abwicklung kümmern muss.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Dann lassen wir doch alles, wie es ist!)

– Ja, Herr Kollege, das können wir vielleicht weitergehend im Ausschuss einmal klären.

Worüber debattieren wir hier eigentlich? Wir debattieren über eine Forderung von Rot-Grün nach einem Gutachten. Deswegen frage ich mich: Was sollen wir eigentlich noch im Ausschuss diskutieren, wenn am Ende sowieso ein Gutachten in Auftrag gegeben werden soll?

Dann stellt man sich notwendigerweise auch inhaltlich die Frage: Was soll eine Beratung im Ausschuss eigentlich bringen? Wir werden nicht daran vorbeikommen, uns mit dem Bürokratiemonster „Beihilfe“ vor dem Hintergrund des Merkblatts „Beihilfe für Nordrhein-Westfalen“ auseinanderzusetzen.

Merkblatt „Beihilfe für Nordrhein-Westfalen“? Wohl eher ein Merkbuch. Dieses ist im Internet abrufbar, und auf 18 Seiten werden den Beihilfeantragstellern Anleitungen gegeben,

(Michael Hübner [SPD]: 18 Seiten sind für Sie schon ein Buch? Meine Güte!)

wie sie die Erstattung der Kosten ihrer Heilbeantragung beantragen sollen und müssen. Vor allen Dingen sollen sie dies auf Totholz tun. Also, was bei der Steuererklärung heute schon online möglich ist, geht bei Beihilfeverfahren offenbar nicht. Da steht zum Beispiel drin:

„Zu jedem Rechnungsbeleg ist die Kostenerstattung Ihrer Krankenversicherung bzw. gesetzlichen Krankenkasse oder Ersatzkasse nachzuweisen.“

Das heißt mit anderen Worten: Das, was der Antrag in seiner Begründung hier unterstellt, dass hier gleichzeitig eingereicht werden soll und muss, um das Verfahren zu beschleunigen, hängt ganz maßgeblich doch davon ab, welche Erstattungsbeiträge der Beihilfeberechtigte von der privaten Versicherung erhält. Die Verfahrensdauer ist also nicht eine Frage der Gleichzeitigkeit der Einreichung, sondern des notwendigen Abwartens auf die Abrechnung der privaten Krankenversicherung, um danach das eigentliche Berechnungs- und Antragsverfahren in der Abwicklung im LBV in Gang zu setzen. Das dauert laut der mir persönlich vorliegenden Erkenntnisse und Berichte von Beamtinnen und Beamten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes Monate.

Es wird viel über Vorfinanzierungsfragen geredet; Frau Kollegin Lux hat anhand eines bedauerlichen Beispiels auf die Auswirkungen der Vorfinanzierung für die Betroffenen hingewiesen.

Allerdings muss man sagen, dass bei den Leistungserbringern – und das dürfen wir an der Stelle nicht unerwähnt lassen – Beihilfeberechtigte sehr gern gesehene Patientinnen und Patienten sind. Was die Abrechnungssituation angeht, sind sie dies allerdings eher nicht. Denn die Leistungserbringer müssen in der Regel Monate auf die Gelder warten, weil die Beihilfeberechtigten teilweise gar nicht in der Lage sind, diese finanziellen Mittel, die aufgebracht werden müssen, mal eben so aus der Portokasse zu bezahlen. Schließlich geht es hier nicht um 50, 100 oder 200 €, sondern – das hat das Beispiel von Frau Kollegin Lux gezeigt – um Zigtausende Euro, die aufgrund der Bearbeitungsdauer des LBV nicht rechtzeitig gezahlt werden und manche Leistungserbringer an den Rand der Insolvenz bringen.

Der entscheidende Punkt ist also: Bürokratieabbau ist vonseiten der Landesregierung im Bereich des LBV zu leisten. Das geht sicherlich mit einer Änderung des Merkblatts und des Antragsverfahrens los. Da sollten Sie ansetzen; dafür brauchen wir kein Gutachten. Das könnte einfach von der Landesregierung erbracht werden. Und wenn Rot-Grün gerne daran mitwirken möchte, dieses Bürokratiemonster „Beihilfe“ zusammen mit dem Merkblatt abzubauen oder zu ändern, dann mag das getan werden.

Die IT-Initiativen aufseiten des LBV haben immerhin 2013 – wir erinnern uns an diese unsägliche Situation, als Studentinnen und Studenten auf ihr Geld warten mussten – ein bisschen gefruchtet. Da ist für ein paar Hunderttausend Euro die EDV aufgerüstet worden. Das sollte auch im Bereich der Beihilfe, wo es wirklich um Bedürfnisse von Menschen geht, also Krankheuten zu heilen oder Pflege zu unterstützen, locker möglich sein. Insofern sollte es auch möglich sein, mit einem Nachtragshaushalt etwas Geld einzubringen, um dieses dann in bürokratieabbauende Maßnahmen gerade im Bereich der Beihilfe zu stecken.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sie können sich sicher sein: Da wären wir Piraten an der Seite der Landesregierung, um an der Stärkung und Förderung der Möglichkeiten der Gesundheitsvorsorge über den Bereich Beihilfe hinaus – möglicherweise auch in den Bereich der PKV oder GKV hinein – mitzuwirken.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Ich freue mich durchaus auf die Beratung im Ausschuss, wenngleich ich diese vor dem Hintergrund dieses Antrags für überflüssig halte. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Erstes kann ich Ihnen beruhigend sagen, dass ich das, was die beiden Regierungsfraktionen hier beantragen, nicht als ein Misstrauensvotum empfinde. Ich empfände es auch als ein etwas seltsames Verständnis, wenn man jede Überlegung aus dem Kreis des Parlaments, etwas, das in der Landesverwaltung den Umständen entsprechend gut läuft, zu verbessern, als Misstrauen gegenüber dem zuständigen Minister ansehen würde. Es geht schlichtweg darum, sich anzugucken, was sich in den nächsten Jahren ändert und welche technischen Möglichkeiten es gibt. Da kann eine Menge gemacht werden.

Ich würde nur gern an den Anfang setzen, dass auch schon eine Menge gemacht worden ist. Als diese Landesregierung 2010 die Regierungsgeschäfte übernahm, war das Landesamt für Besoldung und Versorgung ein ganzes Stück weit ausgetrocknet, weil es überlastet war und zu den Bereichen gehörte, bei denen man glaubte, man kann damit prahlen, wenn man Personal abbaut. Es ist insgesamt nicht ausreichend ausgestattet gewesen.

Das Landesamt für Besoldung und Versorgung war zudem in einem extremen Prozess des Wandels, weil man schon sehr früh sehr weit war. Das war in Nordrhein-Westfalen schon häufiger der Fall. Andere haben sich dann mit standardisierten IT-Lösungen abgekoppelt und diese weiterentwickelt. Irgendwann war der Spagat so groß, dass man von dem alten, in Nordrhein-Westfalen noch gepflegten System auf ein neues System umsteigen musste. Je später es erfolgte, umso teurer, umso mehr mit Friktionen verbunden und umso schwieriger war es.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, Entschuldigung, dass ich in Ihre Atempause hineinspreche. Aber Herr Lohn würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich würde das gerne noch zu Ende bringen. Dann können wir uns gern über das austauschen, was Sie nach meiner Vermutung sagen möchten, Herr Lohn.

In der Zwischenzeit sind viele Dinge gemacht worden, technischerseits im Übrigen auch schon vor 2010. Wir haben heute ein System mit einer Scanstelle in Detmold, die eine Menge Arbeitserleichterung bringt. Es wird darüber gesprochen, wie man bestimmte Risikomanagementfragen löst, wie das bei Steuererklärungen auch der Fall ist.

Herr Lohn, Sie haben angesprochen, wo möglicherweise auch ein Missbrauch von Beihilfe vorliegt. Ich habe zufällig heute noch in einer Zeitung darüber gelesen, dass nicht auf Landesebene, sondern auf städtischer Ebene in hohem Maße unberechtigte Beihilfeerstattungen erfolgt sind. Das gibt es allerdings als Versicherungsbetrug bei Krankenversicherungen auch. Das ist keine Eigenart einer öffentlichen Einrichtung. Aber das zeigt ganz klar: Das System ist weiterentwicklungsfähig. Es ist kompliziert. Es macht durch das Nebeneinander von ergänzender Versicherung und Beihilfe eine Menge Aufwand.

Man muss auch in Vorlage gehen, obwohl ich dazu sagen kann: Im Durchschnitt erfolgen die Zahlungen des LBV für die Beihilfe sehr zeitnah. Aber wer hohe Krankheitskosten hat und eine Zwischenfinanzierung vornehmen muss, weiß, dass das kompliziert und auch verbesserungsfähig ist.

Deswegen bin ich gern bereit, auch die aufgeworfenen einzelnen Fragen für die Ausschussberatung aufzuarbeiten. Ich glaube, es kann fruchtbar sein und ist nicht überflüssig, Herr Schulz, wenn man sich weiterhin mit diesem Thema beschäftigt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben das in der Vergangenheit gemacht, und die hier angesprochenen Punkte werden wir auch weiterhin so beraten.

Jetzt bin ich gern bereit, auch noch eine Frage von Herrn Lohn entgegenzunehmen und sie nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten.

Präsidentin Carina Gödecke: Das ist wunderbar. Das machen wir. Darf ich Sie gleichzeitig darüber informieren, dass es auch den Wunsch auf eine Kurzintervention gegeben hat? Sie wird dann im Anschluss durchgeführt. – Herr Kollege Lohn, bitte.

Werner Lohn (CDU): Vielen Dank, Herr Minister, für die Gelegenheit zur Zwischenfrage. Um einer Legendenbildung von vornherein vorzubeugen: Sie haben gesagt, Sie hätten das Landesamt für Besoldung 2010 von der Vorgängerregierung in einem ausgetrockneten Zustand übernommen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass im Jahr 2010, also mit einem Haushalt von CDU und FDP, 847 Personalstellen beim Landesamt waren, und es im Jahr 2011, dem ersten Haushaltsjahr, das Sie zu verantworten hatten, nur noch 834 Stellen hatte? Von einer Austrocknung kann, wenn überhaupt, nur im Zusammenhang mit dem die Rede sein, was Sie gemacht haben.

Und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Einführung erster, wenn auch noch unzureichender Schritte der Digitalisierung damals von der Vorgängerregierung eingeleitet wurde? Das war die sogenannte Scanstelle. Jetzt tun Sie so, als hätten Sie einen desolaten Laden übernommen. Es gab mit Sicherheit Mängel; das ist richtig. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Ihre ersten Aussagen, die Sie gerade gemacht haben, schon voll daneben waren.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: In Bezug auf die Scanstelle kann meine Aussage gar nicht daneben gewesen sein, weil das die Aussage war, die Sie gerade wiederholt haben. Ich habe gesagt, dass es auch vor 2010 technische Verbesserungen gegeben hat und diese durchaus weiter technisch verbesserbar sind. Das haben Sie gerade auch noch einmal gesagt. Darüber sind wir uns völlig einig.

Was den Aufwuchs bzw. den Abbau von Stellen angeht und die Frage, in welchen Wellen das erfolgt ist, bin ich gern bereit, die Daten für die Ausschussberatung aufzuarbeiten. Dann werden wir uns das ansehen. Ich nehme zur Kenntnis, was Sie jetzt gesagt haben.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir über einen riesigen Komplex reden. Wir reden über das größte Lohnbüro in Deutschland. Wir reden über 1,1 Millionen Fälle. Dass es dabei Punkte gibt, die zu verbessern und weiterzuentwickeln sind – auch dort, wo möglicherweise Technik am besten eingesetzt werden kann –, darüber sollten wir nicht streiten, sondern wir sollten schauen, wie wir es besser machen.

Das gilt für die Zeit, in der Sie Regierungsverantwortung getragen haben. Das gilt auch für die Zeit danach. Ich stelle mich nicht hierhin und sage: Das ist ein perfektes Modell. – Insofern begrüße ich es auch, dass aus der Landtagsmitte heraus Anstöße dazu kommen, wie wir das ganze System weiterentwickeln. Aber es fällt nicht in eine Zeit, in der etwa seitens der Landesregierung nicht auch intern darüber nachgedacht und nicht gehandelt würde. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. Bleiben Sie bitte gleich am Rednerpult. Den Hinweis auf die Kurzintervention hatte ich schon gegeben. – Herr Witzel, bitte.

Ralf Witzel (FDP): Herr Finanzminister, Sie haben eben gesagt, Sie empfinden diesen Antrag nicht als Misstrauen gegenüber Ihrem Haus. Dieser Antrag hat ja zwei Ebenen. Das eine ist die, wie ich es empfunden habe, heute sehr sachlich besprochene Frage, an welchen Stellen es vielleicht Synergien gibt, wo es Reformbedarf gibt und wo man etwas in den Strukturen einsparen kann.

Das Zweite ist die Frage, was das methodisch richtige Vorgehen ist. Es ist schon etwas ungewöhnlich, dass Regierungsfraktionen – es sei denn, Sie hätten sie dazu animiert – als allerersten Schritt externe Gutachtenerstellungen beauftragen, wenn sie Probleme identifizieren.

Meine Frage an dieser Stelle lautet deshalb: Gibt es nicht verschiedenste Komplexe dieser auf einer Seite aufgelisteten Prüffragen – von denen man viele durchaus mit Ernsthaftigkeit diskutieren kann –, zu denen Sie mit Ihren Behörden und mit den der Landesregierung zur Verfügung stehenden Mitteln einen ersten Aufschlag zu Lösungen und Erkenntnissen machen können, sodass man sich erst im zweiten Schritt überlegt, ob es irgendwo noch eine Lücke bei den Anregungen und Beratungsbedarf gibt, den man extern beauftragt? Wie stehen Sie dazu?

Das würde ich gerne wissen: Was trauen Sie sich zu, von diesem auf Seite 2 des Antrags aufgelisteten Anforderungskatalog durch die Landesverwaltung zur Verfügung zu stellen? Und welche Leitplanken haben Sie? Halten Sie am PKV-Modell fest? Wollen Sie ein Wettbewerbsmodell etc.?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich halte angesichts der Bemerkungen, die wir eben zum Thema „Gutachten“ gemacht haben, von einem Gutachten, das ergebnisoffen ist und das man nicht in Auftrag gibt, weil man schon festlegt, welche Rahmenbedingungen eingehalten werden sollen, sehr viel.

Ich glaube, dass es hilfreich sein kann, dass man gerade die vielen Erfahrungen, die auf den verschiedenen Ebenen der Erstattung von Krankheits- bzw. Gesundheitskosten vorliegen, zusammenbringt und dass sie nicht nur aus dem Wälzen von Daten im Inneren entstehen.

Auf der anderen Seite sage ich Ihnen schon: Es ist nicht so, dass Sie hier nicht auf einen fahrenden Zug aufspringen, sondern hier steht nichts still. Seit Jahren ist in einem auch in der Führungsstruktur neu besetzten Landesamt für Besoldung und Versorgung eine enorme Menge von Maßnahmen angestoßen worden.

Ich finde, diesen Prozess jetzt zu begleiten und Anstöße von draußen hineinzubringen, ist nun wirklich alles andere als ein Misstrauensvotum. Es geht vielmehr darum, das wirklich zu beschleunigen, sich das anzuschauen und zu sagen: Es ist am besten, dass man das unaufgeregt macht und nicht in einem Gegeneinander.

Eine Menge Menschen hängen vom LBV ab. Ich sage es noch einmal: 1,1 Millionen Fälle gibt es kaum in irgendeiner anderen Abrechnungsstelle. Das ist sehr sensibel. Da sollten wir wirklich mit großer Verantwortung gemeinsam herangehen. Dazu sind wir bereit. Dazu gibt es eine Menge an Kompetenz im Ministerium, vor allem aber im Amt. Wir sollten sie nutzen und das komplettieren, indem wir uns auch von außen Sachverstand dazuholen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 5.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11231 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Unterausschuss Personal. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Sich enthalten? – Beides war nicht der Fall. Damit haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

6   Die IT-Infrastruktur der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen muss sicher sein – die Gesundheit der Patientinnen und Patienten darf nicht zum Spielball von Kriminellen im Netz werden!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11216

Ich eröffne die Aussprache, und als Erster hat für die antragstellende Fraktion Herr Kollege Düngel das Wort.

Daniel Düngel (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über IT-Sicherheit in Krankenhäusern. Ich will kurz auf das eingehen, was in den vergangenen Wochen passiert ist. In Nordrhein-Westfalen sind rund 30 Krankenhäuser Ziel von Kriminellen geworden. Es wurden EDV-Systeme der Krankenhäuser mit Computerviren infiziert. Die Folge dieser Infektionen war: Die Krankenhäuser konnten nicht auf Daten zugreifen. Nur gegen ein Lösegeld – also Erpressung – sollten die Daten wieder freigegeben werden.

Einige Krankenhäuser haben sich daraufhin von der Versorgung abmelden müssen.

(Widerspruch von Ministerin Barbara Steffens)

Patienten mussten verlegt werden.

(Widerspruch von Ministerin Barbara Steffens)

Geplante Operationen mussten verschoben werden. Nun können wir feststellen: Wir haben letzte Woche im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales über dieses Thema bereits gesprochen. Die Ministerin hat dazu einen Bericht vorgelegt und hat versucht, das Thema etwas herunterzuspielen.

(Ministerin Barbara Steffens: Nein, das ist doch Quatsch!)

Es ist zum Glück in diesem Fall nichts Schlimmes passiert. Das können wir erst einmal festhalten.

Was finden wir in den Krankenhäusern vor? Wir haben veraltete Computersysteme. Die Krankenhäuser nutzen Windows XP, zumindest in besagtem Fall. Das ist Software, die mittlerweile selbst vom Hersteller nicht mehr unterstützt und supportet wird. Wenn ich in die Runde frage, wer von Ihnen noch ein derart altes Betriebssystem auf seinem Rechner hat – sei es dienstlich oder privat –, werden wahrscheinlich nicht allzu viele Hände nach oben gehen.

(Zuruf von der CDU: Ich!)

Wir alle versuchen, die Software möglichst aktuell zu halten, damit Sicherheitsbestimmungen eingehalten werden können – übrigens auch das Gesundheitsministerium. Danach hatte ich letzte Woche auch gefragt. Im Gesundheitsministerium gibt es selbstverständlich keine Soft- und Hardware mehr, die mit Windows XP betrieben wird.

(Zustimmung von Ministerin Barbara Steffens)

Das ist schon einmal ganz gut. Allerdings: Im Gesundheitsministerium reden wir eben nicht von kritischer Infrastruktur. In den Krankenhäusern ist es offenbar dem Gesundheitsministerium wurscht, welche Software dort benutzt wird.

(Ministerin Barbara Steffens: Quatsch!)

Übrigens – den Schwenk darf ich mir an der Stelle erlauben –: Wir reden hier über Windows XP, also über ein Betriebssystem, das natürlich längst nicht mehr unterstützt wird und damit längst unsicher ist. Aber eigentlich können wir festhalten, dass alle Windows-Betriebssysteme als nicht sicher gelten und wir uns eigentlich an der Stelle über offene Standards wie Linux unterhalten sollten.

(Beifall von den PIRATEN)

Was kann passieren? Krankenhäuser können gezielt angegriffen werden. Die Versorgung in einem ganzen Regierungsbezirk kann gefährdet werden. Die Daten werden nicht nur in Geiselhaft genommen, sondern werden möglicherweise veröffentlicht. Das sind mögliche Szenarien, die dann passieren können.

Die Frage ist: Wer ist dafür verantwortlich? Unseres Erachtens muss die Landesregierung genug finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, damit die Krankenhäuser ihre IT-Infrastruktur auf aktuellem Stand halten können.

(Zuruf von der Regierungsbank: Die Krankenhäuser haben genug Geld!)

Die Ministerin sagte im Ausschuss, dafür sei sie letztlich nicht zuständig.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: So ist das!)

Das ist einfach. Mich erinnert das dann eher an die bildlichen drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.

(Ministerin Barbara Steffens: Das ist eine Unverschämtheit!)

„Nichts sehen“ ist der Innenminister; der sieht nichts. Die Gesundheitsministerin will nicht auf Ratschläge hören.

(Ministerin Barbara Steffens: Das ist Quatsch!)

Und die Ministerpräsidentin – gute Besserung an der Stelle – sagt überhaupt nichts zu diesen Vorfällen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Die Ministerin stellt auch nicht die Ärzte direkt an!)

Wie hätte das verhindert werden können? Was muss in Zukunft passieren? Unser Antrag liefert dazu Lösungsansätze. Wir brauchen eben finanzielle Unterstützung für die Krankenhäuser, dass dort die IT-Infrastruktur aufgebessert werden kann. Das sehen Sie.

Wir müssen die Mitarbeiter sensibilisieren für dieses Thema. Schulungen und Sicherheitsaudits sind erforderlich. All das greift unser Antrag auf. Wir werden, da wir hier Wissensdefizite festgestellt haben – das hat sich im Ausschuss ganz klar gezeigt –, selbstverständlich zu diesem Antrag eine Anhörung beantragen, damit wir uns den Rat von externen Sachverständigen ins Haus holen können.

Zum Abschluss: Wie sehen die Lösungen der anderen aus? Auf Bundesebene erfährt unser Antrag durchaus Unterstützung. Karl Josef Laumann – in diesem Hause ja nicht unbekannt – hat zum Beispiel auch die Erhöhung der Investitionskosten auf Landesebene gefordert. Was macht die Gesundheitsministerin? Sie wartet ab, was der Bund unternimmt. Das, liebe Frau Ministerin Steffens, hilft uns aber, wenn wir auf das IT-Sicherheitsgesetz warten, nicht in der Fläche.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Daniel Düngel (PIRATEN): Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Die Krankenhäuser, so sagt sie, müssten aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen und in eine sichere Infrastruktur investieren. Wie wollen Sie das machen, wenn die finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stehen? Frau Steffens macht weiter wie bisher. Wann ist der Zeitpunkt gekommen, zu reagieren, zu handeln? Ich frage allen Ernstes, ob erst Patienten in den Krankenhäusern sterben müssen, damit das Gesundheitsministerium aufwacht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Düngel. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Yüksel das Wort.

Serdar Yüksel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Düngel, hier zu sagen, wir würden Risiken herunterspielen, ist wirklich dummes Zeug, um einmal die drei Affen zu bemühen. Anscheinend haben Sie letzte Woche im Ausschuss nicht richtig zugehört, als die Ministerin berichtet hat, sonst hätten Sie mitbekommen, dass wir gerade die Cyberkriminalität

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Cyber!)

sehr ernst nehmen, insbesondere wenn es in diesem Zusammenhang um die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger geht. Selbstverständlich ist es wichtig, dass die Software und die Computer in den Krankenhäusern von Nordrhein-Westfalen einwandfrei funktionieren. Vor allem wenn es um lebenswichtige Strukturen geht, müssen Technik und Software natürlich auf dem neuesten Stand sein.

Damit die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen notwendige Modernisierungen vornehmen können, stellt ihnen das Land jedes Jahr 500 Millionen € für Investitionen zur Verfügung. Davon sind ca. 40 % für bauliche Vorhaben vorgesehen, knapp 60 % sind für die Beschaffung von medizinischen Geräten und Ausstattungsgegenständen vorgesehen. Allerdings ist jedes Krankenhaus in unserem Bundesland anders aufgestellt und hat unterschiedliche Investitionsbedarfe. Aus diesem guten Grund ist es den Kliniken überlassen – und nicht der Ministerin –, wie ihre Pauschalen bestmöglich investiert und in welchen Bereichen notwendige Modernisierungen vorgenommen werden.

Wie jede Behörde und jedes andere Unternehmen tragen auch die Krankenhäuser selbst die Verantwortung für den Aufbau und die Aktualisierung von Sicherheitsmaßnahmen, gerade im IT-Bereich.

Kriminelle Cyberangriffe mit dem Ziel,

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Cyber!)

an geschützte Daten zu gelangen oder Systeme lahmzulegen, lassen sich in der heutigen digitalisierten Welt trotz präventiver Schutzmaßnahmen nicht gänzlich verhindern. Fast täglich werden neue Trojaner und Viren in den Umlauf gebracht, und leider verhält es sich bei der Aktualisierung von Antivirussoftware wie mit Impfstoffen: Eine bösartige Bedrohung muss zunächst entdeckt und entschlüsselt werden, bevor ein Schutz entwickelt werden kann.

Bei den Attacken auf die Krankenhäuser in Neuss und Arnsberg, die die Piraten zum Anlass für die heutige Diskussion nehmen, bestand zu keiner Zeit eine Bedrohung für die Patientinnen und Patienten. Nicht zuletzt die hohen Standards in den Krankenhäusern in NRW haben dazu beigetragen, dass die Notfallversorgung zu jeder Zeit gewährleistet war. Auch andere Krankenhäuser wie die Kliniken in Essen waren ebenfalls Hackerangriffen ausgesetzt, konnten die Attacken aber abwehren und ihre Systeme vor Viren schützen, weil ihre Abwehrmechanismen gegriffen haben.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Yüksel, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Lamla würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Serdar Yüksel (SPD): Nein. – Die Vorfälle zeigen, dass ein Teil der Krankenhäuser bereits nachgerüstet hat und den Cyberattacken nicht schutzlos ausgeliefert ist. Die Infizierung der Krankenhaussysteme konnte vor allem durch das Öffnen von unbekannten E-Mails und Anhängen gelingen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie sicherlich aus persönlicher Erfahrung mit Ihren Landtags-Mail-Accounts wissen, landen auch bei uns trotz Spamfilter jeden Tag unbekannte Nachrichten. Gegen Malware gibt es kein Allheilmittel, und dagegen hilft auch keine pauschale Erhöhung der Investitionsförderung. Die Kliniken können eigenverantwortlich über diese Mittel verfügen und dort nachrüsten, wo in ihrem Haus am dringendsten Modernisierungsbedarf besteht. Die jüngsten Vorfälle waren sicherlich ein Weckruf, zeigen aber auch, dass viele Krankenhäuser im Bereich IT-Sicherheit bereits gut vorbereitet sind und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezielt vorbereitet haben.

Darüber hinaus steht die Landesregierung in regelmäßigem Austausch mit der Krankenhausgesellschaft, um die Krankenhäuser zu sensibilisieren und über die Gefahren durch Cyberattacken aufmerksam zu machen.

Weiterer Regulierungsbedarf seitens des Gesetzgebers besteht aus unserer Sicht somit nicht. Über die weiteren Aspekte werden wir dann im Ausschuss miteinander zu reden haben. Sie haben auch angekündigt, eine Anhörung beantragen zu wollen. Dann reden wir auch gern in einer Anhörung, um das Thema vertiefen zu können. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Preuß.

Peter Preuß (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Digitalisierung unserer Welt führt nicht nur in eine rosige Zukunft. Leider ist sie auch mit neuen Formen der Kriminalität und neuen Unsicherheiten verbunden.

Die Angriffe durch Schadsoftware auf Krankenhäuser in den vergangenen Wochen, die Angriffe auf Verwaltungen und Unternehmen bis hin zu privaten Computern zwingen alle Nutzer, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen und sie ständig zu verbessern. Die Auswirkungen von Angriffen auf IT-Systeme von Krankenhäusern sind in der Presse hinlänglich dargestellt worden. Wir haben auch im Gesundheitsausschuss bereits darüber gesprochen. Auch wenn die Gesundheitsministerin dort versichert hat, dass die medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen sei, dass es bisher nur um Daten oder nur um die Verschiebung von Operationen oder die Verlegung von Terminen gegangen sei, darf politisch verantwortungsvolles Handeln jedoch nicht außer Acht lassen, dass solche Attacken selbstverständlich zu großer Verunsicherung bei Patientinnen und Patienten führen.

Nicht auszudenken, was passiert, wenn medizinische Geräte in OP-Sälen oder auf Intensivstationen angegriffen würden und dies zu Ausfällen führen würde. Wenn ich zum Beispiel in der Presse lese, dass medizinische Apparate auf dem Sicherheitsniveau der 80er- oder 90er-Jahre sind – Hacker haben in deutschen Kliniken ein leichtes Spiel, heißt es dort –, dann dürfen wir uns nicht mit Äußerungen, es sei nichts passiert, beruhigen.

Cyberkriminalität ist ein schnelllebiges Geschäft, und die kriminellen Entwickler scheinen uns mehr als nur einen Schritt voraus zu sein. Das kann und darf nicht sein. Deswegen muss gehandelt werden.

Meine Damen und Herren, grundsätzlich ist es selbstverständlich Sache der Krankenhäuser, für IT-Sicherheit auf einem Niveau, das dem Stand moderner Sicherheitstechnik entspricht, zu sorgen.

Herr Kollege Düngel, es geht an der Stelle auch nicht ums Geld, sondern es geht um die Betriebsorganisation, die die Krankenhäuser sicherzustellen haben, wobei ich selbstverständlich weiß, dass die Investitionskostenförderung der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen nicht ausreichend ist. Aber hier geht es in erster Linie um die Betriebsorganisation.

Viele Krankenhäuser sind sich der Probleme bewusst und arbeiten zum Beispiel mit eigenen IT-Sicherheitsexperten zusammen. Krankenhäuser brauchen in der Tat Konzepte, um ihre Netzwerke und die sensiblen Patientendaten zu sichern und einen möglichen Zugriff von außen auf das Netzwerk und computergestützte Geräte zu verhindern.

In diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Es ist keine Lösung, einheitliche Standards festzulegen, sondern hier sind – natürlich mit Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Krankenhäuser und deren Organisation – individuelle Konzepte erforderlich.

Worum geht es uns, meine sehr verehrten Damen und Herren? Uns geht es um die Versorgungssicherheit. Denn was passiert, wenn landesweit – flächendeckend, wie in diesem Fall – 30 Krankenhäuser gleichzeitig derart betroffen sind, dass nichts mehr geht? Dann ist die medizinische Versorgung der Bevölkerung sehr wohl gefährdet, und dann geht es nicht mehr um einen zu regelnden Einzelfall. Da ist in der Tat die Landespolitik, insbesondere auch das Gesundheitsministerium, Frau Ministerin Steffens, gefordert, und zwar, wenn Sie so wollen, vorsorgend.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Aus diesem Grund, der leider nicht unwahrscheinlich erscheint, brauchen wir spezifische Notfallpläne für den Fall von Cyberattacken auf Krankenhäuser. Ich habe im Ausschuss danach gefragt. Sie haben darauf geantwortet. Aber, wie gesagt, bei der Frage, was passiert, wenn gleichzeitig viele Krankenhäuser flächendeckend betroffen wären, sodass eben nichts mehr geht – ich vereinfache das jetzt –, ist in der Tat die Landespolitik gefordert. Für diesen Fall müssen Maßnahmen her – es müssen ja nicht unbedingt gesetzliche Maßnahmen sein –, die zumindest die Versorgung der Patienten vor Ort dann auch sicherstellen. Das muss im Ausschuss noch einmal detailliert erörtert werden. Aber in der Sache muss die Landesregierung federführend sein; sie darf sich an der Stelle nicht wegducken.

Auch präventive Handlungsempfehlungen, Beratungen, ein Warnsystem bei akuten Bedrohungen sind Themen, über die wir dann sprechen müssen. Der Überweisung an den Ausschuss stimmen wir selbstverständlich zu. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Ünal.

Arif Ünal (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die zunehmende Digitalisierung der Krankenhäuser, die immer stärker werdende Vernetzung zwischen verschiedenen Abteilungen und die Tendenz, alle Abläufe zu digitalisieren, können natürlich den Klinikbetrieb verbessern, machen ihn aber auch angreifbar und risikobehaftet.

In unserer heutigen digitalisierten Welt sind Cyberangriffe leider kein neues Phänomen, auch in Krankenhäusern nicht. Es gibt bundesweit immer mehr Fälle, in denen Computersysteme von Krankenhäusern mit Schadsoftware angegriffen werden. Im vergangenen Jahr waren nach der Meldung der Krankenhausgesellschaft NRW auch hier Krankenhäuser davon betroffen.

28 Krankenhäuser sind tatsächlich betroffen. Damit aber keine Legendenbildung entsteht: Nur zwei Krankenhäuser waren von diesen Angriffen so weit betroffen, dass sie die Notfallversorgung teilweise abmelden mussten. Das klingt sehr dramatisch. Aber im Krankenhausalltag ist die Abmeldung der notfallmedizinischen Versorgung nichts Dramatisches. Sehr viele Krankenhäuser melden sich ab, wenn sie keine Kapazitäten mehr haben, damit die Patienten in andere Krankenhäuser transportiert werden.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Doch nicht durch einen Virus!)

So gesehen muss man sich sehr sachlich mit diesem Thema auseinandersetzen.

Ja, auch in anderen Krankenhäusern, auch in privaten Einrichtungen und natürlich in sehr vielen Firmen gibt es ständig solche Angriffe. Dagegen gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Man kann nur die Systeme ständig erneuern, aufrüsten, damit man das Risiko minimiert.

Allerdings gibt es nicht in allen Krankenhäusern, wie Sie pauschal gesagt haben, eine IT-Ausstattung von 1980, sondern nach Meldung der Krankenhausgesellschaft haben sie sehr viele Krankenhäuser auch erneuert. Sie sind gezwungen, ihre Systeme zu erneuern, weil sie alle Abläufe digitalisieren. So gesehen, meine Damen und Herren, geht man in den Krankenhäusern, die in erster Linie selber zuständig sind, aber auch in der Krankenhausgesellschaft sehr sensibel mit dem Thema um.

In den letzten Jahren ist Folgendes passiert: Die Landesregierung hat die Mittel für die Wiederbeschaffung kurzfristiger Anlagegüter um 24 Millionen € erhöht. Im Moment stehen den Krankenhäusern Landesmittel in Höhe von 317 Millionen € zur Finanzierung kurzfristiger Anlagegüter zur Verfügung. Aber jedes Krankenhaus ist – entweder durch Aufsichtsrat oder Vorstand – selber dafür verantwortlich, wohin diese finanziellen Mittel fließen und welche IT-Systeme sie im Krankenhaus aufbauen. Angesichts der vielfältigen Trägerschaft der Krankenhäuser kann das Gesundheitsministerium des Landes nicht alles selber bestimmen. Das Geld ist bereitgestellt. Die Krankenhäuser müssen selber entscheiden, welche IT-Systeme sie einführen.

Ich glaube, wir werden sachlich im Ausschuss darüber diskutieren. Wenn Sie gestern bei der Krankenhausgesellschaft gewesen sind, dann wissen Sie, dass die Krankenhausgesellschaft sensibilisiert ist. Alle Krankenhäuser sind angeschrieben worden. Die Mitarbeiter sind sensibilisiert, wie sie bei solchen Angriffen reagieren müssen. So gesehen ist das Notwendige eingeleitet.

Wir stimmen natürlich der Überweisung zu. Ich freue mich auf die Diskussionen im Fachausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Schneider jetzt das Wort.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich meine Vorredner so höre, möchte ich sagen: Ganz so einfach machen dürfen wir es uns auch nicht. – Herr Yüksel, mein Rechner bekommt auch regelmäßig irgendwelche Spams oder virenbehaftete Nachrichten. Aber in dem Fall bringen wir auch keine Patienten in Gefahr, wie es hier passieren kann. Es ist Gott sei Dank noch nichts passiert, aber das zeigt doch die Anfälligkeit unseres Gesundheitswesens.

Über die relativ ungezielten Angriffe hinaus wären auch deutlich gravierendere Attacken vorstellbar. So könnten Daten manipuliert oder an Dritte weitergegeben werden. Denkbar wäre sogar ein Onlinezugriff auf medizinische Geräte, bei dem lebenserhaltende Systeme abgestellt werden. Das mögen derzeit noch Horrorvisionen sein, wir müssen aber jetzt schon vorbeugen. Die Verhandlungen vonseiten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik und auch der Krankenhausgesellschaft NRW dürfen hier nicht überhört werden.

Der Umgang mit sensiblen Daten und lebenswichtiger Technik erfordert eine besondere Verantwortung. Deshalb brauchen wir mehr Aufmerksamkeit für die IT-Sicherheit in den Krankenhäusern. Dazu zählen eine Ausstattung mit modernen IT-Systemen und der Austausch veralteter Betriebssysteme wie Windows XP genauso wie die intensive Schulung der eigenen Mitarbeiter und die Einstellung qualifizierter IT-Fachkräfte. Insofern zielt der vorliegende Antrag in die richtige Richtung.

IT-Sicherheit erfordert aber insbesondere auch höhere Investitionen in die IT-Infrastruktur. Die Ministerin hat dazu auf die Landesmittel zur Wiederbeschaffung kurzfristiger Anlagegüter verwiesen. Das verkennt aber, dass die Krankenhäuser sowieso unter einem Investitionsstau leiden, der sich nicht erst seit gestern durch die Krankenhauslandschaft zieht. Die Landesregierung gibt zwar vor, sich bei der Investitionsförderung stärker zu engagieren, das reicht aber längst nicht aus.

Die FDP-Fraktion hat in den Haushaltsberatungen deshalb eine weitere Erhöhung der Investitionsmittel um 2 Millionen € gefordert. Das wäre zumindest ein kleiner Schritt angesichts des bekannten Investitionsstaus und der weit höheren Bedarfe.

Auf das IT-Sicherheitsgesetz des Bundes sollten wir hingegen nicht zu große Hoffnungen setzen. Zusätzliche Dokumentations- und Meldepflichten sind mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden, ohne die Sicherheit konkret zu erhöhen.

Nur mit Investitionen in Technik und Mitarbeiter werden wir Verbesserungen erreichen. Dazu brauchen die Krankenhäuser und ihre Träger mehr Unterstützung des Landes, sonst werden wir sie überfordern. – Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Steffens das Wort.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe, wie eben mehrfach gesagt, auch schon im Ausschuss darüber berichtet. Aber natürlich mache ich das hier gern noch einmal.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen – das möchte ich vorab sagen – ein Krankenhausfinanzierungssystem, das sich in zwei Teile gliedert, nämlich in die investiven Mittel und in die Veranschlagung der kurzfristigen Anlagegüter. Wir haben ein System, in dem die Krankenhäuser aufgrund einer Entscheidung der vorherigen Landesregierung die größtmöglichen Spielräume haben, selber zu entscheiden, wie sie die Prioritäten in ihren Häusern setzen und wie sie die Mittel verwenden.

Die Festschreibung der Mittel, wonach von Landesseite vorgeschrieben wurde, für welche Bereiche welche Mittel ausgegeben werden und wie sie nachgewiesen werden müssen, ist Vergangenheit. Das haben wir nicht.

Jetzt mag man sagen, es wäre aber richtig, den Krankenhäusern vorzuschreiben, wie viel Geld sie wofür zu verwenden haben. Ich glaube, das ist nicht der richtige Weg.

Schauen wir uns aber an, was in Nordrhein-Westfalen passiert ist. Wenn man die heutigen Meldungen liest, stellt man fest: Das betrifft nicht nur Krankenhäuser, sondern das betrifft zum Teil auch die Wasserversorgung und die Kommunalverwaltungen. Attacken mit Schadsoftware passieren also auf alle möglichen Einrichtungen der Infrastruktur und auf private Bereiche.

Die Angriffe auf die Krankenhäuser wurden erstmals im Juli 2015 bekannt. Das ist nicht plötzlich ein neues Phänomen, sondern das ist der Krankenhausgesellschaft und den Krankenhäusern seit Längerem bekannt. Es gibt schon länger die Diskussion und auch die Unterstützung, etwas zu ändern und die eigene Software zu verbessern.

Aktuell waren in Nordrhein-Westfalen rund 30 Krankenhäuser von den Angriffen betroffen; dabei muss man sagen: 30 von über 380 Krankenhäusern. Aber noch einmal klar und deutlich: Es bestand zu keiner Zeit eine Gefährdung von Patientinnen und Patienten. – Herr Preuß, Notoperationen konnten weiterhin durchgeführt werden. Da, wo Menschen sofort und unmittelbar Hilfe und Unterstützung brauchten, gab es selbst in dem Krankenhaus, das massiv betroffen war, kein Problem. Vorsorglich haben die Häuser geplante Operationen verschoben und sich – wie gesagt, das waren zwei Häuser von 380 – von der Notfallversorgung abgemeldet.

Das System, sich im Notfall von der Versorgung abzumelden, muss unabhängig von dem Ereignis greifen. Denn wir können uns jenseits einer solchen Angriffssituation auch andere Beispiele vorstellen, warum Krankenhäuser temporär nicht in vollem Umfang funktionsfähig sind. Ein solches System gewährleistet immer die Notfallversorgung in Nordrhein-Westfalen.

Es muss klar sein: Hier war überhaupt kein Leben gefährdet. Hier wird auch kein Leben gefährdet sein. Das ist eine falsche Diskussion und Panikmache gegenüber der Bevölkerung. Ich finde es sehr gefährlich, was in der Diskussion zum Teil vermittelt wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin Steffens, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Düngel würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Aber natürlich.

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Ministerin, dass ich die Zwischenfrage stellen darf. Meine Glaskugel erweitert den Blick nicht weit genug, Ihre ist offenbar besser. Was macht Sie so sicher, dass wir nicht in Zukunft mit weiteren Angriffen zu rechnen haben, die noch gezielter auf die Krankenhäuser gehen, durch die mehr Krankenhäuser angegriffen werden? Was macht Sie so sicher, dass es dann nicht tatsächlich zu einer Gefährdungssituation für Menschen kommen kann? Das würde mich interessieren.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Ich habe das Vertrauen in unsere Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen und darein, dass sie kontinuierlich versuchen, sich weiterzuentwickeln, sich mit der vorhandenen Kompetenz und Erfahrung auseinanderzusetzen.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: So wie in den letzten 15 Jahren!)

Ich möchte deutlich sagen: Wenn 30 Krankenhäuser einem solchen Angriff ausgesetzt waren und es in zweien Probleme gab, wobei man bei dem einen sagen kann, dass die Probleme sehr minimal waren, dann heißt das doch, dass die anderen 28 Krankenhäuser so aufgestellt waren, dass sie hervorragend mit diesen Attacken umgehen konnten.

An der Stelle muss man sagen: Die Krankenhäuser haben ihre Verantwortung im Bereich der IT-Sicherheit vollends ausgeschöpft und bisher auch wahrgenommen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir dürfen unsere Krankenhäuser nicht schlechtreden, indem wir so tun, als ob sie sich nicht um ihre IT-Sicherheit kümmern würden. Eine Reihe von Krankenhäusern hat zum Beispiel die IT-Systeme voneinander entkoppelt. Sie haben ein inneres System für die Versorgung und Behandlung, über das niemals ein Zugriff auf irgendwelche operativen oder versorgenden Einheiten bestehen kann, und das andere System ist davon getrennt. Gerade Sie müssten doch wissen, welche Möglichkeiten und Kompetenzen die Krankenhäuser haben; Sie brüsten sich doch immer mit Ihrer IT-Kompetenz.

(Zuruf von Lothar Hegemann [CDU])

Es ist wichtig und notwendig, dass alle Krankenhäuser in Nordrhein‑Westfalen von den Erfahrungen der Häuser profitieren und ihre Systeme weiterhin so verändern und weiterentwickeln, dass diese Sicherheit garantiert ist.

Ich muss sagen: Ich habe Vertrauen zu unseren Krankenhäusern. Natürlich kann man immer fragen: Was passiert, wenn plötzlich ein Meteorit herunterfällt? – Dann wird das Krankenhaus nicht geschützt sein. Aber bei der Regelversorgung vertraue ich auf unsere Krankenhäuser und ihre Weiterentwicklung.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!)

Deswegen müssen wir auch nicht über die Glaskugel reden.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen – das finde ich ebenfalls wichtig – ein System der Krankenhausfinanzierung – 2008 von der damaligen Regierung umgestellt –, über das 293 Millionen € für die Wiederbeschaffung kurzfristiger Anlagegüter bereitgestellt worden sind. Wie und in welche Bereiche diese kurzfristigen Anlagegüter investiert werden, liegt, wie gesagt, in der Entscheidungskompetenz der Krankenhäuser.

Wir haben die Mittel in 2015 – das ist gemeinsam mit dem Landtag geschehen – noch einmal um 24 Millionen € aufgestockt. Es ist auch eine Verpflichtung, die Mittel in entsprechenden Zeitabständen immer wieder aufzustocken. Das ist lange Zeit nicht geschehen. Damit haben wir jetzt 317 Millionen €. Aus diesen Mitteln können die Krankenhäuser Gelder für den IT-Bereich zur Verfügung stellen und damit regelmäßig ihre Updates vollziehen.

Die Landesregierung hat weder die Kompetenz noch die Möglichkeiten, den Krankenhäusern ihre Investitionen vorzuschreiben. Daher wehre ich mich dagegen, dass wir in den geschäftlichen Bereich der Krankenhäuser eingreifen sollen.

Der Antrag suggeriert ein Stück weit – auch dagegen wehre ich mich – die Kausalität zwischen angeblich unzureichender Investitionsförderung des Landes und maroder Infrastruktur, weil die investiven Mittel nicht für kurzfristige Anlagegüter vorgesehen sind. Die Kausalität ist nicht naheliegend.

Als letzten Punkt möchte ich noch kurz erwähnen, dass das Land jenseits der Mittel, die für die Anlagegüter zur Verfügung stehen, die Unterstützung bei Prävention und Aufklärung über das Kompetenzzentrum des LKA leistet. Auch diese Möglichkeiten nehmen die Krankenhäuser in Anspruch.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Vielleicht werden Sie dann auch das Finanzierungssystem nachvollziehen können. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. Jetzt dürfen Sie sich erst einmal auf eine Kurzintervention freuen.

(Ministerin Barbara Steffens geht zu ihrem Platz.)

Frau Ministerin.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Das ist eine unfassbare Arroganz – unglaublich!)

Frau Ministerin, seien Sie bitte so lieb und kommen Sie noch mal. Es gab von Herrn Kollegen Lamla den Wunsch nach einer Kurzintervention.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Gerne, selbstverständlich.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Lamla, bitte schön.

Lukas Lamla (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie werden nicht müde, immer wieder zu betonen, dass zu keinem Zeitpunkt Gefahr für Menschenleben bestand. Aus einem Artikel in der „Neuss-Grevenbroicher Zeitung“ vom 11. geht hervor, dass Patienten mit einem akuten Herzinfarkt laut Auskunft der Geschäftsführung deswegen in andere Krankenhäuser verwiesen worden sind.

(Ministerin Barbara Steffens: Ja!)

Mir sind Berichte des Rettungsdienstes bekannt, nach denen Fahrzeuge mit Herzinfarktpatienten auf dem Weg zum Lukaskrankenhaus nach Düsseldorf umgeleitet worden sind. Das bedeutet summa summarum eine Verzögerung von zehn bis 15 Minuten bei der Behandlung eines Akutpatienten. Das ist lebensgefährlich. Obwohl ein gesamtes Krankenhaus im Notfallbetrieb war – nicht eine Station, nicht eine Abteilung, sondern das gesamte Krankenhaus –, sagen Sie: Das kommt mal vor. – Das ist absoluter Quatsch. Das Krankenhaus hat etwas verpennt, und die Landesregierung trägt die Schuld daran.

(Beifall von den PIRATEN)

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Lamla, dass sich Krankenhäuser von der Notfallaufnahme abmelden, ist tagtägliche Normalität und Realität in Nordrhein-Westfalen.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Aber nicht das gesamte Krankenhaus!)

– Dass sich Krankenhäuser in Gänze von der Notfallversorgung abmelden, ist Realität. Deswegen haben wir seit Jahren ein solches Notfallsystem, und das haben wir auch weiterentwickelt.

Das System stellt sicher, dass diejenigen, die im Rettungswagen unterwegs sind, frühzeitig erfahren, welches nächstmögliche Krankenhaus angefahren werden kann. Das ist bei Großschadensereignissen der Fall, bei anderen Unfällen oder dann, wenn ein Arzt in bestimmten Bereichen komplett ausfällt. Das ist das Regelsystem. In Nordrhein-Westfalen haben wir, was uns auf Bundesebene immer vorgehalten wird, ein äußerst intensives System von Krankenhäusern und eine sehr hohe Krankenhausdichte mit einer sehr guten Notfallversorgung. Deswegen hat für die Patienten keine Gefahr bestanden.

Es wird immer so sein, dass nicht überall in Nordrhein-Westfalen das nächste Krankenhaus fußläufig zu erreichen ist. Deshalb werden Patienten in der Notfallversorgung auch in Zukunft die üblichen Fahrtzeiten von zehn, 15 bis 20 Minuten haben.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Aber unnötig!)

Das ist schon heute der Fall, unabhängig davon, ob sich jemand vom Notfallversorgungssystem abmeldet.

Wir können Ihnen aber gerne das System der Notfallversorgung und das Abmeldesystem im Ausschuss vorstellen und intensiv diskutieren. Es ist ein System, das für Nordrhein-Westfalen trägt. Es besteht keine Gefahr für die Patientinnen und Patienten. Deswegen haben wir das System.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11216 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Innenausschuss zur Mitberatung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dagegen stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Ich sehe keine. Dann haben wir so überwiesen.

Ich bitte herzlich, die Gespräche draußen fortzuführen, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen kann. – Ich rufe auf:

7   Landesregierung muss innovative Modelle zur Finanzierung und zum Bau von Bundesfernstraßenprojekten voranbringen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8643

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung
und Verkehr
Drucksache 16/11094

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11294

Ich weise darauf hin, dass der Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/8643 gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b) unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr mit der Maßgabe überwiesen wurde, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt.

(Unruhe)

– Es ist für alle hier im Raum wirklich sehr irritierend und auch akustisch störend, wenn Zwiegespräche in dieser Lautstärke nicht vor der Tür, sondern hier drinnen fortgesetzt werden.

Mit diesen Vorbemerkungen eröffne ich die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Ott das Wort.

Jochen Ott (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU hat sich in diesen Tagen als ernsthafter Partner der Verkehrspolitik in Nordrhein-Westfalen verabschiedet. In diesem Zusammenhang nenne ich folgende Punkte: den Antrag zum Lärmschutz für die Betuwe-Linie, den die NRW-CDU-Leute im Bundestag nicht mitgetragen haben – vielmehr haben sie für den Offenbacher Tunnel freimütig über 1 Milliarde € in den Wahlkreis von Wolfgang Schäuble geschaufelt –; den Vorschlag der CDU, das Leverkusener Autobahnkreuz nur dreispurig zu machen, weil man ja gar keine bessere Durchfahrbarkeit dieses Autobahnkreuzes benötigen würde; den erneuten Vorschlag, erneut „Privat vor Staat“ voranzutreiben und alles auf ÖPP zu setzen oder sogar das Straßennetz, wie Sie es in Ihrem Antrag formuliert haben, zu privatisieren. Sie halten des Weiteren in Ihrem Antrag immer noch an dem Vorschlag einer bundesweiten Infrastrukturgesellschaft fest, obwohl wir alle wissen, dass alles, was auf Bundesebene in diesem Bereich organisiert ist, zum Beispiel in der Wasserschifffahrt, nicht funktioniert.

Das alles zeigt: Die CDU in Nordrhein-Westfalen hat sich in der Verkehrspolitik aufs Abstellgleis manövriert. Deshalb ist dieser Antrag nicht nur haltlos, sondern wir dürfen ihn hier auch nicht beschließen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Es ist unbestreitbar, dass der mangelhafte Zustand der Autobahnen, der Bundesstraßen und der Brücken oftmals unter dem Stichwort „Vernachlässigung des Baulastträgers“ auf mangelnde Finanzierung bzw. unstete Finanzierung des Bundes, aber auch auf mangelnde Priorisierung der Landesregierungen zurückzuführen ist. In den letzten Jahrzehnten gab es hier eine Fehlentwicklung. Alle Bundesregierungen der Vergangenheit können sich davon nicht freisprechen.

Ich glaube, wir alle hier in Nordrhein-Westfalen müssen uns gemeinsam vorwerfen lassen: Unsere Schwäche beim Generieren von Mitteln für unser Land liegt daran, dass wir es zwischen Rheinland und Westfalen bzw. zwischen den Parteien nie geschafft haben, gemeinsam in der Stärke aufzutreten, wie das andere Teile der Republik in Berlin geschafft haben.

Insofern ist vollkommen richtig, dass das unzureichende Volumen der Mittel für Nordrhein-Westfalen, die nicht vorhandene Überjährigkeit der Mittel bei Bauprojekten sowie die vollkommen unzureichende Übernahme der Planungskosten, auf denen das Land dann oft sitzen bleibt, alles Dinge sind, die wir jetzt anpacken müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Erst jetzt, wo wir in dieser schwierigen Situation sind, werden die Bundesmittel für 2016 auf ein Rekordniveau von 1,1 Milliarden € wachsen – und wir werden sie verbauen können.

Wir werden – das sage ich insbesondere den Zuschauerinnen und Zuschauern – in diesem Land zehn Jahre lang Baustellen haben. Das ist auch gut so, weil es ein Zeichen dafür ist, dass wir unsere Infrastruktur für die Zukunft fit machen.

Diese Baustellen werden professionell von Straßen.NRW abgearbeitet. Wir haben einen leistungsfähigen Landesstraßenbetrieb. 2010/2011 haben wir ihn vor der Pleite bewahrt, in die Sie ihn fast hineingeführt haben. Schwarz-Gelb hätte damals Straßen.NRW fast kaputt gemacht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es ist richtig, dass Minister Groschek Straßen.NRW wieder flottgemacht hat, wie er so vieles in diesem Land flottgemacht hat.

Insofern ist Folgendes meines Erachtens vollkommen klar: Erstens. Die Organisation der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 90 Grundgesetz hat sich bewährt. Zweitens. Die Umsetzung über unseren Landesstraßenbetrieb hat sich bewährt.

Vor allen Dingen ist aber eines deutlich: ÖPP ist nicht das Allheilmittel, die Infrastrukturprobleme unseres Landes zu lösen, sondern an vielen Stellen viel teurer. Diese ideologische Verblendung muss man hier klar benennen.

(Beifall von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihr Antrag ist obsolet, weil er von der Wirklichkeit überholt wurde. Es gab eine von den Landesverkehrsministern beauftragte Kommission unter Kurt Bodewig. Die Fachkommission hat die Ergebnisse am 23. Februar 2016 einstimmig – das Abstimmungsergebnis war 16:0 – empfohlen. Alle haben gemeinsam gesagt: Wir brauchen keine Revolution und keine Grundgesetzänderung, sondern eine Optimierung des bestehenden Systems.

Ich stelle hier die ganz eindeutige Frage: Wer glaubt denn allen Ernstes, dass 6.000 Beschäftigte bei Straßen.NRW verunsichert und ins Chaos gestürzt werden können, um dann zu glauben, dass die Arbeit produktiver wird? Das kann doch nicht funktionieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Insofern liegen die Berichte auf dem Tisch. Wir unterstützen nicht nur unseren Minister, sondern auch die Kommission von Kurt Bodewig. Wichtig für die Zukunft ist nämlich, dass wir dafür sorgen, klare Verantwortlichkeiten bei den Straßenprojekten und den anderen Verkehrsprojekten zu haben, damit klar ist, an wen sich die Wählerinnen und Wähler wenden können, wenn etwas schiefgelaufen ist. Klar ist, dass wir eine projektbezogene überjährige Finanzierung brauchen. Klar ist auch, dass die Planungsleistungen vernünftig finanziert werden müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich werden wir noch viele andere Fragen, zum Beispiel die Kürzung der Planungszeiträume, miteinander zu diskutieren haben. Heute liegt aber ein einstimmiges überparteiliches Konzept vor. Ich rufe die NRW-CDU auf, sich dem, was ihre Parteikollegen in anderen Ländern mit uns bzw. mit dem Minister verabredet haben, anzuschließen, damit wir diesen Weg gegenüber dem Bund gemeinsam vertreten können; denn eines ist vollkommen klar: Wenn wir über Infrastruktur reden, dann reden wir über die Zukunft unserer Kinder in diesem Land und darüber, dass deren Wohlstand und deren Mobilität gesichert werden müssen.

Deshalb sollten wir ohne ideologische Verbrämung ganz praktisch orientiert überlegen: Wie kriegen wir eine verbessere Situation hin? Die Landesverkehrsminister haben gezeigt, wie es geht. Ich bitte um Unterstützung unseres Entschließungsantrags. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Voussem.

Klaus Voussem (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Anfang eine kleine Geschichte:

Ein Professor verteilt Prüfungsaufgaben im Hörsaal. Noch während er diese verteilt, sagt eine Studentin: „Aber, Herr Professor, das sind doch die gleichen Fragen wie letztes Jahr.“ „Ja“, erwidert der Professor, „aber die Antworten haben sich geändert.“

Diese Begebenheit passt wie kaum eine andere zum Thema „Infrastruktur“. Den großen Sanierungs- und Ausbaubedarf der Bundesfernstraßen in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen können wir nicht mit Methoden von gestern bewältigen. Wir brauchen neue Antworten auf die Fragen in der Infrastruktur. Das gilt sowohl für Planungsprozesse als auch für Finanzierungsmodelle.

Wir haben diesen Antrag im Mai 2015 gestellt. Seitdem hat sich einiges verändert. Damals wussten wir noch nicht, dass 2016 ein Sprung der Investitionen des Bundes bei der Infrastruktur auf 13 Milliarden € erfolgen würde. Daher ist unser Antrag zwar relativ alt, doch aktueller denn je.

Um was geht es? Die Bundesregierung, auch Wirtschaftsminister Gabriel, will die deutsche Verkehrsfinanzierung und -planung mit einer Infrastrukturgesellschaft neu gestalten. Die zwischen Bund und Ländern geteilten Kompetenzen sollen zentral gebündelt werden, um erstens schneller zu planen, zweitens direkt zu finanzieren und drittens mehr zu bauen. Dieses Modell wurde in der vergangenen Woche von den Landesverkehrsministern abgelehnt. Die Ergebnisse der Bodewig-II-Kommission hingegen wurden mit einer 16:0-Mehrheit von den Landesverkehrsministern beschlossen.

Jetzt, meine sehr geehrten Damen und Herren, liegen zwei Konzepte auf dem Tisch, eines getragen von den Landesministern, das andere von der Bundesregierung. In den kommenden Wochen und Monaten wird erst einmal verhandelt. Es ist völlig offen, was am Ende dabei herauskommt. Daher ist es vollkommen verfrüht, wie Sie, Herr Kollege Ott, eben versucht haben, den Eindruck zu erwecken, dass das Bodewig-II-Papier eins zu eins umgesetzt wird. Das ist reine Spekulation.

Bevor wir in die Zukunft der Verkehrsinfrastruktur sehen, sollte Nordrhein-Westfalen aber erst einmal seine Probleme in der Gegenwart lösen. Das heißt: Nordrhein-Westfalen braucht erst einmal einen Planungsvorrat, um die Mittel, die aus Berlin kommen, überhaupt abrufen zu können.

Bundesverkehrsminister Dobrindt hat dazu gesagt:

„Wir können uns keinen Investitionsstau leisten, nur weil manche Länder bei der Baureife von Straßen hinterherhinken.“

Damit ist vor allem Nordrhein-Westfalen gemeint.

Sie, Herr Minister Groschek, haben vergangene Woche gefordert, dass die Länder enger am Zügel gehalten werden sollen. Das nenne ich einmal eine angemessene Selbstkritik, Herr Minister; denn vor allem Nordrhein-Westfalen bedarf wegen seiner Versäumnisse im Bundesfernstraßenbau einer straffen Führung von oben.

(Jochen Ott [SPD]: Das Problem ist, dass Ihre Selbstkritik fehlt!)

Hier Ihre ernüchternde Bilanz der rot-grünen Verkehrspolitik: Im Jahre 2013 – hören Sie gut zu, Herr Kollege! – gingen 48 Millionen € wegen fehlender Planungen an den Bund zurück.

(Jochen Ott [SPD]: Haben Sie auch einmal eine neue Platte?)

Im Juli 2015 bekam Nordrhein-Westfalen nicht einmal 5 % der 2,7 Milliarden € Bundesmittel für neue Bundesfernstraßen der nächsten Jahre. 2015 flossen aus dem Sonderprogramm des Bundes für den Brückenbau nur 70 Millionen € nach Nordrhein-Westfalen. Traurige Bilanz des Jahres 2015: Nordrhein-Westfalen konnte viel weniger Bundesmittel abrufen als noch im Jahr zuvor.

(Jochen Ott [SPD]: Die Summen mussten wir in Straßen.NRW stecken, damit die Sache läuft!)

Die investiven Mittel sind gegenüber dem Vorjahr um rund 80 Millionen € zurückgegangen.

Herr Minister Groschek, Ihre Metapher von letzter Woche ist erwähnenswert:

„Ich habe einen Lösungsvorschlag, wie man die Kuh vom Eis kriegt.“

So werden Sie in einer dpa-Meldung vom 24. Februar 2016 zitiert. Ich hoffe, das ist richtig. Ja, Sie haben recht; die Kuh ist in Nordrhein-Westfalen wirklich auf dem Eis. Demgegenüber stehen aber die Kühe in Hamburg, in Hessen und in Bayern mitten auf der Wiese, wo die Bundesmittel in Ruhe abgegrast werden können.

(Jochen Ott [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Wenn Sie, Herr Minister, jetzt sagen, Planungsverfahren dauerten zu lange und müssten gestrafft werden, dann haben Sie unsere volle Zustimmung. Aber andere Länder können mit der gleichen Rechtslage einen Planungsvorrat anlegen, Sie eben nicht.

Eine weitere Forderung unseres Antrags ist, ÖPP-Finanzierungsangebote der Bundesregierung anzunehmen. Auf Antrag der SPD-Fraktion hatten wir dazu eine Anhörung. Die Mehrheit der Sachverständigen – ich betone: die Mehrheit – kam zu folgendem Schluss: ÖPP-Projekte sind weder mittelstandsfeindlich noch teurer. Sie sind auch nicht intransparent, sondern sie werden im Bundeshaushalt ausgewiesen.

(Jochen Ott [SPD]: In Ihrem Antrag steht etwas anderes, Herr Voussem!)

ÖPP-Modelle im Bundesfernstraßenbau sind eine sinnvolle, notwendige Ergänzung zu den konventionellen Planungs- und Baukapazitäten des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Betonung liegt dabei auf „Ergänzung“. Mehr wollen wir ja gar nicht.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ott zu?

Klaus Voussem (CDU): Ich komme gleich zum Schluss.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ott zu? Ja oder nein?

Klaus Voussem (CDU): Ja, immer doch. Gerne, Herr Kollege Ott.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Ott.

Jochen Ott (SPD): Herr Kollege Voussem, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass in Ihrem Antrag stehen würde, man solle die Bundesförderung bei ÖPP doch annehmen. Ist es richtig, dass Folgendes in Ihrem Antrag steht?

„Die Landesregierung wird aufgefordert, ÖPP-Projekte zum Ausbau der Bundesfernstraßen zu fördern ...“

Das heißt: Sie wollen nicht nur, dass man das annimmt, sondern Sie wollen dieses Instrument ganz bewusst weiter ausdehnen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege.

Klaus Voussem (CDU): Herr Kollege Ott, das haben Sie vollkommen richtig gelesen. Kompliment dafür! Dann tun Sie es doch endlich einmal.

(Beifall von der CDU)

Nehmen Sie den Antrag an, und fördern Sie ÖPP. Legen Sie Ihre ideologischen Scheuklappen in diesem Hause endlich ab!

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Sie sind ideologisch!)

Im Übrigen hat auch Ihr Herr Bodewig letzte Woche noch gesagt: ÖPP nicht flächendeckend, sondern für einzelne singuläre Projekte.

(Jochen Ott [SPD]: Aber das ist doch genau der Punkt! Das steht hier aber nicht!)

Die sechsstreifige Erweiterung der Autobahn A1 von der Anschlussstelle Münster-Nord bis zum Autobahnkreuz Lotte/Osnabrück auf 41 km Länge ist doch nichts anderes als ein singuläres Projekt.

(Jochen Ott [SPD]: Wer ist denn jetzt ideologisch?)

Allerdings ist es ein besonders wichtiges Unternehmen, weil es um die Beseitigung eines Nadelöhrs auf der wichtigen Nord-Süd-Magistrale in unserem Land geht.

Darum noch einmal: Legen Sie Ihre ideologischen Scheuklappen gegenüber ÖPP ab. Lassen Sie sich bei diesem Punkt nicht weiter von Ihrem grünen Koalitionspartner treiben. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrte Damen und Herren! Bei Herrn Voussem weiß man ja leider nie so genau, welcher Voussem gerade spricht.

Das war jetzt eben auch aus grüner Sicht ein Stück nachvollziehbar und mittragbar; denn auch wir würden ja sagen: ÖPP macht in Einzelfällen Sinn; wenn, dann muss das vernünftig durchgerechnet und durchgeplant sein.

Aber es gibt auch die andere Variante von Herrn Voussem. Wir kennen es von Pressemitteilungen und von gemeinsamen Diskussionen, vor Kurzem noch hier beim Verband Spedition und Logistik Nordrhein-Westfalen, wo Sie breit dafür geworben haben, dass die Finanzierungsperspektive im Straßenbau ÖPP zu sein hat. Da sind wir ganz klar auseinander.

Wenn Sie einmal ein Projekt vorlegen könnten, wo man sagen könnte, mit einer ÖPP-Finanzierung …

(Jochen Ott [SPD]: Wer ist jetzt ideologisch? – Gegenruf von Christof Rasche [FDP]: Diejenigen, die keine vernünftige Leverkusener Brücke machen!)

– Sie können sich gerne bilateral weiter austauschen. Ich mache trotzdem mit meiner Rede weiter.

Wenn es vernünftige Straßenverkehrsprojekte geben würde, bei denen man sagen könnte, von der Planung bis zur Umsetzung und zur Wartung habe eine ÖPP-Finanzierung bzw. ein ÖPP-Projekt funktioniert – und zwar nicht nach 30 Jahren unter der Formulierung „volkswirtschaftlich“, sondern es hat sich gerechnet, weil es für die Steuerzahler günstiger war, weil es schneller fertig war und weil es auch in der Wartung vernünftig war –, dann könnten wir sagen: Okay. Da können wir auch mitgehen. Aber es gibt in Deutschland von den zehn bis zwölf Projekten, die bisher mit ÖPP finanziert worden sind, kein einziges Straßenprojekt, dessen Kosten sich nicht deutlich gegenüber der Planung verteuert haben, das nicht langsamer umgesetzt worden ist und das letztlich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht mehr gekostet hat.

Deswegen haben wir hier einen klaren Spalt. Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie sich nicht bei den Länderverkehrsministern – einige aus Reihen der CDU oder aus CDU-geführten Koalitionen oder auch aus der CSU – einreihen, die letzte Woche bei der Verkehrsministerkonferenz noch 16:0 entsprechend entschieden haben.

Es gibt gute Argumente, die bisherige Finanzierungsstruktur grundsätzlich beizubehalten, nach Effizienzmöglichkeiten zu schauen, das Ganze zu beschleunigen und die Länder – das hat der Verkehrsminister in der Pressekonferenz erwähnt – bei ein paar Punkten auch straffer an die Zügel zu nehmen.

Aber bei einem grundsätzlichen Systemwechsel machen wir nicht mit. Und das steckt bei Herrn Dobrindt dahinter. Das steckt auch hinter Ihren Formulierungen: Wir wollen weg von der öffentlichen Finanzierung und von der öffentlichen Kontrolle. Wir gründen eine Bundesfernstraßengesellschaft, finanzieren sie über Mauteinnahmen und geben das Geld in diese eigenständige Gesellschaft. Dann wird in einer Mammut-Mega-Behörde auf Bundesebene entschieden, was in den Ländern an Straßenbau zu laufen hat, entzogen jeglicher parlamentarischer Kontrolle. – Da werden wir nicht mitgehen. Das ist ganz klar.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen haben wir gegen Ihren Antrag – wir haben ihn nicht nur schon einmal hier im Plenum debattiert, sondern hatten auch die entsprechende Anhörung dazu – unseren Entschließungsantrag gesetzt. Wir wollen an der öffentlich-rechtlichen Straßenverkehrsplanung festhalten.

Es hat bei Straßen.NRW in den letzten Jahren zahlreiche Reformschritte gegeben. Es gibt eine Neustrukturierung. Es gibt eine konzentrierte Spitze mit einer Person. Wir haben die Regionalniederlassungen geschaffen. Es wird dort effizienter geplant.

Das ist auch notwendig. Wir brauchen eine Beschleunigung bei den Planungen und bei der Umsetzung. Wir haben einen großen Sanierungsstau. Das ist zweifelsfrei so.

Aber alle Berichte, die vorliegen – Bodewig-Kommission, Daehre-Kommission mit Ihrem ehemaligem CDU-Verkehrsminister Daehre –, haben das auch entsprechend formuliert und vorangetrieben. Diese ganzen Berichte sind eindeutig. Es soll an der öffentlich-rechtlichen Planung und Struktur festgehalten werden, weil es zu viele Kritikpunkte gibt, wenn man einen Systemwechsel machen würde.

Was ist mit der Frage von Zersplitterung und Betriebsdienst? Was ist mit den Risiken bei den Vertragsmodalitäten? Was ist mit den Nachteilen für mittelständische Unternehmen, die sich für solche Aufträge nicht mehr bewerben könnten?

Für uns ist klar: Wir sind Anwälte der Menschen, die ein hohes Mobilitätsbedürfnis haben. Wir wollen die Straßen und die Infrastruktur in Schuss halten. Aber wir sind nicht die Anwälte von großen Bauunternehmen und Baukonzernen, die sich mit dieser ÖPP-Finanzierung entsprechende Vorteile versprechen. Deswegen lehnen wir einen Systemwechsel an dieser Stelle ganz klar ab, lieber Kollege Voussem.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Am Ende der Rede kurz zusammengefasst: Es steht an, dass wir eine Überjährigkeit bei der Finanzierung politisch durchsetzen müssen. Wir brauchen eine Beschleunigung von internen Verfahren. Wir müssen bei den entsprechenden Verfahren und Ausbauplänen eine Beteiligung der Länder an den Projekten grundsätzlich sicherstellen.

Wenn das auf den Weg kommt, werden wir die Effizienzgewinne, die Sie auch zu Recht einfordern, umsetzen können – aber bitte im bisherigen System mit Verbesserungen und nicht mit einem Systemwechsel.

Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab und empfehlen unseren Antrag zur Beschlussfassung. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Rasche.

(Zurufe)

– Ich denke, dass der Kollege Rasche den Präsidenten begrüßen wird.

Christof Rasche (FDP): Lieber Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist die typische Einstellung der Grünen und deren Überheblichkeit, dass sie sagen: Wenn einer von ihnen geredet hat, braucht kein anderer mehr zu sprechen. – Das spricht Bände. So sind sie halt!

Meine Damen und Herren, die Situation auf den Straßen und auf der Schiene ist unverändert: Es gibt Rekordstaus. Arbeitnehmer stehen durchschnittlich drei Wochen pro Jahr im Stau, anstatt zu arbeiten. Güter lassen sich nicht mehr verlässlich transportieren. Die Infrastruktur vergammelt.

Wir wollen vermutlich alle eine zukunftsfähige Mobilitätspolitik. Dazu gab es zahlreiche Debatten – Herr Minister, nicht gähnen! – hier im Hohen Hause, im Bundestag, mit der Bodewig-II-Kommission und auch in der Verkehrsministerkonferenz.

Ein Baustein für zukunftsfähige Mobilitätspolitik ist natürlich verbunden mit dem Antrag der CDU „Landesregierung muss innovative Modelle zur Finanzierung und zum Bau von Bundesfernstraßen voranbringen“. Natürlich ist das ein wesentlicher Baustein, den man sich genauer anschauen muss. Der CDU-Antrag geht also in die richtige Richtung. Er ist allerdings auch zehn Monate alt und bildet nicht mehr den aktuellen Stand der Diskussion ab. Das ist schon einmal so, wenn ein Antrag einige Monate alt ist.

Der Entschließungsantrag von SPD und Grünen geht in weiten Teilen der Position von Kurt Bodewig nach. Kurt Bodewig hat am vergangenen Mittwoch im Verkehrsministerium die Ergebnisse der Verkehrsministerkonferenz, den Beschluss und seine Arbeit dargelegt und die Position beschrieben. Die FDP-Fraktion teilt in sehr weiten Teilen die Position von Kurt Bodewig.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Auf Nachfrage sagte er klipp und klar, ÖPP sei für bestimmte Projekte der richtige Weg und damit Bestandteil seines Konzeptes. Noch einmal: Der von Ihnen beauftragte Minister Kurt Bodewig sagte, ÖPP sei für bestimmte

(Jochen Ott [SPD]: Bestimmte!)

Projekte der richtige Weg und damit Bestandteil seines Konzeptes.

(Jochen Ott [SPD]: Das steht in unserem Koalitionsvertrag!)

Das stellen allerdings SPD und Grüne in ihrem Entschließungsantrag ganz anders dar. Deshalb werden wir uns bei beiden Anträgen, beim Antrag der CDU und beim Antrag von Rot-Grün, enthalten.

(Minister Michael Groschek: Feiglinge!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zwei Probleme zu lösen. Das eine ist das Systemproblem. Das derzeitige System hat erhebliche Schwächen, Fehlanreize, Koordinierungsprobleme, Ineffizienz und Intransparenz. Das müssen wir verbessern, das wollen wir verbessern, und das werden wir sicherlich noch mehrfach im zuständigen Ausschuss diskutieren.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das zweite Problem ist das politische Gegeneinander, das es hier im Haus mal wieder zwischen CDU und SPD gibt. Jochen Ott hat ja gerade suggeriert, die CDU sei sich uneinig, auch mit dem Bundesverkehrsminister, aber in der SPD sei alles in Ordnung. Dabei gibt es überhaupt keine klare Position zwischen der SPD-Landtagsfraktion in diesem Haus und der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin – keine gemeinsame Position, sondern nur Streit, nur Konflikte.

(Jochen Ott [SPD]: So kann man das auch nicht sagen!)

In der CDU ist es genauso: Eine Position auf Landesebene, eine Position in Berlin. Auch die Einigkeit – das wissen Sie doch ganz genau, lieber Herr Minister; das müssen Sie auch zugeben, wenn Sie ehrlich sind und nicht, wie Sie gerade hier hereingerufen haben, feige – wird wieder zerfallen. Diese 16:0-Beschlusslage wird doch auf lange Sicht in der VMK keinen Bestand haben. Natürlich wird sich das wieder entzweien. Jetzt sorgt man für gemeinsamen Druck, um möglichst viel zu erreichen. Aber diese Einheit bleibt doch nicht bestehen. Sie wird wieder zerbröckeln. Das wissen Sie ganz genau.

Dazu kommt, meine Damen und Herren, zum Beispiel eine unterirdische und unverschämte Pressemitteilung der Grünen. Hier war es Arndt Klocke. Dort wird mit Unterstellungen gearbeitet. Es werden Behauptungen gegenüber der FDP geäußert, die in keiner Weise der Wahrheit entsprechen. Da wird behauptet, CDU und FDP wollten das Straßennetz privatisieren. Da wird behauptet, die Straßenverwaltung solle zerpflückt werden. Da wird behauptet – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen –, mit überteuerten Krediten und ÖPP wollten sich CDU und FDP an umweltschädlichen Straßenneubauträumen befriedigen.

Lieber Arndt Klocke, das ist sogar unter Ihrem Niveau, eine Schublade unter Ihrem Niveau. So kann man keine seriöse Verkehrspolitik betreiben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir werden weiterhin im Interesse des Landes für eine möglichst große politische Einigkeit werben, gerade bei Großprojekten. Wir werden auch versuchen, das, was bei Straßen.NRW nicht funktioniert, zu verbessern. Der Minister hat eben genickt. Dort gibt es einigen Verbesserungsbedarf. Die Grünen gehen einen Weg mehr in Richtung Konflikt und weniger für vernünftige Lösungen auf der Straße.

Ich komme zum Ende. Arndt Klocke hat sich zu den Ergebnissen der Bodewig-Kommission geäußert. Zitat:

„Wir wollen eine zukunftsgewandte Mobilitätspolitik, die den ÖPNV mit Carsharing und dem Fahrrad besser vernetzt.“

ÖPNV und Fahrrad! Meine Damen und Herren, zu einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik gehört mehr. Wir wollen verlässlichen Güterverkehr. Wir wollen weniger Staus auf den Straßen. Das lässt sich alleine mit ÖPNV und Fahrrad nicht bewerkstelligen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Aber auch!)

Vielen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, bitte bleiben Sie noch einen Moment hier. Es liegt eine Kurzintervention des Kollegen Bayer von der Fraktion der Piraten vor. – Bitte schön.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Ich möchte unsere Position jetzt gar nicht weit ausbreiten. Das macht mein Kollege. Aber ich muss doch einmal auf die Aussagen von Herrn Bodewig eingehen, die sowohl Herr Voussem als auch Sie, Herr Rasche, jetzt aufgegriffen haben.

Ich meine, Sie haben ihn da falsch zitiert. PPP wurde aus der Bodewig-II-Kommission absichtlich komplett ausgeklammert. Ich denke, so weit kann man sich einig sein. Es ist eine politische Entscheidung, woher das Geld kommt. Ich habe bei unserem Treffen am Mittwoch letzter Woche implizit auf einen Artikel der „taz“ Bezug genommen, als ich fragte: Ist das jetzt die Verhandlungsmasse? Kommt jetzt PPP? Ist das die Verhandlungsmasse der Länder mit dem Bund? – Das wurde zurückgewiesen und sinngemäß gesagt: PPP ist irrelevant, vor allem natürlich irrelevant in Bezug auf die ganzen Lösungen, die wir im Verkehrsbereich brauchen, auf das ganze Geld, das benötigt wird.

PPP ist tatsächlich eine Sache, bei der man sich klar sein muss, ob man das politisch will oder nicht. Man kann das von mir aus im Einzelfall bewerten. Nach meiner Überzeugung kommt man Einzelfall auf die Lösung: Es macht keinen Sinn; es ist zu teuer.

(Zurufe von den GRÜNEN – Marc Olejak [PIRATEN]: Das ist eine Kurzintervention! Er braucht keine Frage zu stellen!)

Aber es ist schlicht und einfach für die ganzen Infrastrukturprobleme, die wir haben, egal ob es nachholende Sanierung ist oder zukünftiger Ausbau, nicht relevant.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit betrug anderthalb Minuten.

Oliver Bayer (PIRATEN): Die Zeit ist um. – Das ist tatsächlich eine politische und ideologische Entscheidung.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Rasche, bitte schön.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Zwei Punkte möchte ich ansprechen, und zwar erstens die Verkehrspolitik und die Finanzpolitik der Piraten. Allen ist bekannt: Die Privaten wollen ÖPNV für lau. – Und hier reklamieren Sie auf einmal, dass in einem bestimmten Teilbereich zu viel Geld ausgegeben wird. In anderen Bereichen wollen Sie Milliarden aus dem Fenster werfen. Hören Sie mir auf mit Ihrer seriösen Finanzpolitik!

(Beifall von Karlheinz Busen [FDP])

Zweiter Punkt: ÖPP. Ich freue mich über jede Diskussion und mögliche Modelle, wie man Infrastruktur bauen und verwirklichen kann. Ich lasse mir auch gerne Hinweise geben, wie das noch besser geht. Aber in diesem Fall, lieber Kollege Bayer, vertraue ich lieber Kurt Bodewig als Ihnen. Und Kurt Bodewig hat als ausgewiesener Fachmann gesagt, dass ÖPP im Bereich Verkehrssanierung und Verkehrsbau für ihn ein wichtiger Baustein ist, um die Ziele zu erreichen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Fricke.

Stefan Fricke (PIRATEN): Herr Präsident! Hohes Haus! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bürger und Freunde zu Hause und unterwegs! Heute geht es um den Ausbau des ÖPP, auf Neudeutsch auch gerne Public-private-Partnership genannt, abgekürzt PPP. PPP? Da war doch was? Ja, genau: PPP – Pleiten, Pech und Pannen. Das passt wie die Faust, Pardon, wie der Reifen ins Schlagloch. Und ich meine diese Schlaglöcher auf der A1 und nicht nur die in Niedersachsen. Wir haben ja genügend eigene auf unserem Teilstück, dem PPP-sanierten Teilstück der A1 in der Nähe der Landesgrenze zu Niedersachsen.

Das ist aber irgendwie komisch. Da wird für viel Geld – deutlich mehr, als es die öffentliche Hand in Eigenregie kosten würde – in PPP ein Teilstück einer überlasteten Autobahn ausgebaut und saniert. Und kaum ist dieser Ausbau beendet, darf sich das Land nicht nur mit dem Bauunternehmen, sondern auch mit den PPP-Gesellschaften darüber streiten, wie all diese Schlaglöcher, Risse und was auch immer in diesem Teilstück saniert werden und wer die Kosten hierfür übernimmt. Die Einzelheiten dieser PPP-Geschichte sollten Ihnen ja geläufig sein.

Wo früher der auftragnehmende Generalunternehmer in Haftung und Pflicht stand und für das Land der einzige Ansprechpartner und notfalls Gegner vor Gericht war, steht jetzt noch eine Instanz dazwischen. Das ist – ironisch formuliert – ökonomisch sicherlich außerordentlich sinnvoll, keine Frage.

„Fein, aber wir profitieren doch von der PPP“, meint zumindest die CDU. – Äh, Moment mal, wo denn bitte genau?

Ach, übrigens noch etwas Brisantes: Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit den ausgedehntesten Mafia-Strukturen und den daraus resultierenden Problemen. Und der Bausektor ist traditionell – nicht nur im Herkunftsland der Ehrenwerten Gesellschaft – ein klassischer Spielplatz dieser zu uns importierten kriminellen Strukturen. Mit den immer stärker verschachtelten Gebilden zur Finanzierung und zum Betrieb ist er ein optimales Versteck für Aktivitäten wie Geldwäsche, Korruption und geplanten Pfusch am Bau. Wer hier eine Brücke zurück auf die A1 schlägt, ist ein böser Wicht! Berlusconis Freunde lassen Sie grüßen, werte CDUler!

Wenn also Kollege Voussem behauptet, in unserem Bundesland fehle es an der Umsetzung der PPP,

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

dann freue ich mich, dass ich dazu beigetragen habe, ihm ein wenig zusätzliche Sachkenntnis vermittelt zu haben.

Herr Kollege Rasche, ich stimme Ihnen zu: Wir brauchen mehr Transparenz. Aber Transparenz muss doch auch dann gegeben sein, wenn ein Projekt nicht mittels PPP finanziert werden kann. Insofern muss es für Transparenz auch Lösungen ohne PPP geben. Da kann PPP nicht der alle seligmachende ultimative Transparenzgedanke sein. Es muss auch anders gehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Groschek.

(Jochen Ott [SPD]: So, jetzt zur Klarheit und Wahrheit!)

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Unbestreitbar ist der Unterhaltungswert unserer verkehrspolitischen Diskussionen im Laufe der Jahre gewachsen. Auch das ist eine Wertschätzung an und für sich – von der Drögheit hin zu einer lebendigen Diskussion. Das zeigt, dass das Interesse an diesem Thema gewachsen ist. Das finde ich gut.

Jetzt kommen wir zu den Ländern. Die Länder haben ein klares Navi, der Bund hat leider bislang nur einen Störfall – das hat Herr Staatssekretär Barthle offenbart, indem er sagte, das Zweieinhalb-Seiten-Schreiben von Herrn Staatssekretär Ferlemann sei nicht die abgestimmte Position der Bundesregierung – die gibt es nämlich nicht –, sondern ein Vorschlag des Bundesverkehrsministers.

Deshalb haben wir auf der einen Seite „16 gleich eins“; das heißt, alle Länder. Und Nordrhein-Westfalen ist die Brücke zwischen Winnie Hermann, Baden-Württemberg, und Joachim Herrmann, Bayern – wichtig: Brückenbauer!

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Auf der anderen Seite haben wir „drei ungleich eins“. Warum? Weil drei Bundesministerien – deren Apparate – etwas ganz Unterschiedliches wollen.

Dobrindt will sein Geld loswerden und weiß, dass der Planungsvorlauf verhindern wird, dass es unter den jetzigen Bedingungen zeitgerecht unters Volk bzw. auf die Straße kommt.

Schäuble will die gesamte Infrastrukturfinanzierung – vielmehr seinen Apparat – aus dem Bundeshaushalt heraushalten und will das im Wesentlichen maut- und kapitalmarktfinanziert hinbekommen.

Der Apparat des Bundeswirtschaftsministeriums will das Ganze mit Hilfe der Fratzscher-Kommission im Grunde in Richtung Privatisierung öffnen. All das hat aber nichts mit rationalen Überlegungen zum Lösen der Investitionsbremse zu tun.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wir müssen nicht die Verfassung ändern, um die Investitionsbremse zu lösen, sondern die Finanzierung. Wir brauchen endlich eine überjährige, projektbezogene Finanzierung. Deshalb laden wir den Bund ein, eine Finanzierunggesellschaft zu gründen. Herzlich willkommen, wenn er denn gründen will.

Wir müssen nicht die Verfassung ändern, um die Investitionsbremse zu lösen, sondern das Management der Auftragsverwaltung. Das ist der kürzere Zügel. Natürlich, auch die Landesparlamente müssen davor bewahrt werden, im Überschwang der Gefühle zu große Kürzungen bei den jeweiligen Landesbetrieben umzusetzen. Dann werden sie nämlich nicht ihrer Verpflichtung als Bundesauftragsverwaltung gerecht.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Sie jedenfalls sind ihr beim Personalabbau nicht gerecht geworden. Lieber Herr Voussem, Sie haben im doppelt verglasten Glashaus gesessen.

Wer die Investitionsbremse lösen will, muss nicht die Verfassung ändern, sondern das Planungsrecht für Ersatzneubauten. Der Bund war in der Vergangenheit eh nicht besser als die Länder. Die Bundeswasserstraßenverwaltung und der Zustand unseres Schienennetzes in Deutschland sind Beleg dafür. Und aktuell ist der Zustand allenfalls gleich gut.

Das beste Beispiel, der beste Beweis dafür ist DEGES. Wir haben zwei Brücken, baugleich: A1 – Rheinquerung, A40 – Rheinquerung; die eine Landesbetrieb, die andere DEGES. Beide Bauvorhaben leiden unter einer viel zu langen Planungsphase im Vorlauf des Bauens. Bevor ich den ersten Euro abrufen darf, vergehen bis zu sieben Jahre – nicht etwa, weil die Ingenieure sieben Jahre bräuchten, um die Brücke zu konstruieren, sondern weil der Planungsmarathon inzwischen so irre lang geworden ist – unter anderem durch EU-Recht-Vorgaben –, dass sechs Jahre vergehen, bevor überhaupt der erste Euro rollt, um damit eine Brücke zu bauen.

Im Bereich des Ersatzbaus ist das zu lang, unzumutbar lang. Hier muss Planungsrecht drastisch verkürzt und vereinfacht werden. Dazu lade ich den Bundesverkehrsminister herzlich ein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

ÖPP – das ist keine ideologische Nummer. Lesen Sie das bitte in unserem Koalitionsvertrag nach. Selbst Dobrindt sagt heute nicht mehr, das sei ein Finanzierungsinstrument, sondern Dobrindt sagt: Das ist eine Beschaffungsvariante, die möglicherweise dabei hilft, zusätzlich Geld schnell los zu werden.

(Jochen Ott [SPD]: So ist das!)

Da zahle ich als Bundesverkehrsminister dann gern einen Aufpreis; Hauptsache, ich werde das Geld quitt und muss mich nicht vor dem Bundesfinanzminister rechtfertigen. Noch mal: Beschaffungsvariante, nicht Finanzierungsvariante.

Was wollen wir machen? Wir wollen diese Beschaffungsvariante da prüfen, wo unser eigentliches Betriebsvermögen, das Wissen, die Erfahrung, das Know-how unseres Landesbetriebs, Eingang finden kann. Wir wollen unseren Betriebsdienst nicht ausgrenzen, sondern wir wollen bei ÖPP-Projekten gewährleistet wissen, dass er dabei ist und – wenn schon, denn schon – der nordrhein-westfälische Mittelstand nicht in die Röhre schaut.

Wir brauchen keine riesigen Baulöwen, die uns hier die Butter vom Brot fressen, sondern wir wollen die heimische Wirtschaft stärken, wenn wir zu diesem Instrument greifen.

Das sollte eigentlich eine Einladung sein, die auch Sie überzeugt, Herr Kollege Voussem. Aber leider vertun Sie sich bei der Zeitgeist-Reiterei. Für Sie bleibt das immer ein Rodeo, bei dem der Gaul Sie abwirft. Sie reiten lieber totgelatschte Gäule, und das hat sich noch nie bewährt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Jochen Ott [SPD]: Bravo!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg:  Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind somit am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Wir stimmen erstens ab über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/8643. Der Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr empfiehlt in Drucksache 16/11094, den Antrag Drucksache 16/8643 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/8643 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/8643 gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der Piraten sowie des fraktionslosen Abgebordneten Schwerd bei Enthaltung der FDP-Fraktion und bei Zustimmung der CDU-Fraktion abgelehnt.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/11294. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU-Fraktion, der Piraten und des fraktionslosen Abgebordneten Schwerd bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.

Ich rufe auf:

8   Kulturelles Erbe schützen, Freiheit von Kunst und Kultur bewahren und stärken – Gesetzentwurf zum Kulturgutschutz muss gründlich überarbeitet werden

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10915

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Schmitz das Wort.

Ingola Schmitz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Eine neue im Mai 2014 in Kraft getretene EU-Richtlinie, aber auch – meine liebe Landesregierung, ich kann es Ihnen leider nicht ersparen, das zu sagen – …

(Unruhe)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es mag sein, dass der eine oder andere eine wichtige Besprechung zu führen hat, aber dann tun Sie das bitte außerhalb des Plenarsaals. – Frau Kollegin Schmitz, Sie haben das Wort.

Ingola Schmitz (FDP): Danke schön. – … die skandalöse Art und Weise, in der die nordrhein-westfälische Landesregierung in den vergangenen Jahren mit Kunst in öffentlicher Hand umgegangen ist, sind Anlass für eine grundlegende Neuordnung des Kulturgutschutzes in Deutschland.

Auch der Bericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2013, der die Erfahrungen in den Ländern wiedergegeben und dem Kulturgutschutz ein schlechtes Zeugnis ausgestellt hat, zeigt dringenden Handlungsbedarf auf.

Der im Sommer 2015 durch die Bundesregierung lancierte verfrühte und unausgegorene Gesetzentwurf zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts wurde von der gesamten Kulturszene zu Recht scharf kritisiert. Zwar sind die Ziele, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens als Grundlage für die Initiative genannt werden, durchaus anerkennenswert; sie werden mit den geplanten Maßnahmen und Vorschriften jedoch nicht erreicht werden.

Durch die pauschale Verdächtigung und Einschränkung von Tausenden rechtschaffenden Künstlern, Sammlern oder Händlern wird kein nachhaltiger Beitrag zum Kulturgutschutz geleistet. Dafür drohen die im Gesetzentwurf vorgesehenen Eingriffe in Eigentumsrechte, die bürokratischen Verfahren und realitätsfernen Vorgaben, dem Museumsstandort Deutschland, dem Kunsthandel, dem kulturellen Austausch mit anderen Ländern sowie vielen Sammlern massiv zu schaden.

Dass die genannten Betroffenen ihre Bedenken sehr lautstark und geballt formuliert haben, überrascht offenbar auch die zuständige Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Dafür spricht, dass sie relativ rasch eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzentwurfes versprochen hat. Ein schwerer kulturpolitischer Schaden, eine massive Verunsicherung der Kunstszene sowie ein enormer Vertrauensverlust waren mit diesem Schnellschuss allerdings bereits eingetreten.

Ohnehin gelingt es auch dem dann im vergangenen November von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf nicht, die Verunsicherung zu beseitigen und weiteren Schaden vom Kunst- und Kulturstandort abzuwenden, denn der Gesetzentwurf beinhaltet nach wie vor enorme Schwächen. So stellt er Sammler oder Händler von Kunst weiterhin genauso unter Generalverdacht wie private Sammler von wissenschaftlichen und historischen Gegenständen.

Ebenfalls fehlen eine klare Definition von national bedeutendem Kulturgut sowie eindeutige und transparente Kriterien, wann und wie ein Werk als national bedeutsam eingestuft werden kann. Das ist jedoch dringend nötig; denn Künstler, Eigentümer, Sammler und Händler müssen wissen können, welche Werke und Gegenstände überhaupt von den Regelungen umfasst sind und welche nicht. In diesem Zusammenhang müssen Definitionen, Abgrenzungen und Kriterien für Gegenstände bzw. Sammlungen entwickelt werden, die vorrangig von wissenschaftlichem oder historischem Wert sind. Dass die am Strand gesammelte Muschelschale oder Fossilien einen anderen Stellenwert haben müssen als die Münze aus Pergamon oder „Der Turm der blauen Pferde“, sollte eigentlich auf der Hand liegen.

Als FDP-Fraktion sind wir außerdem der Ansicht, dass ein echter und effizienter Kulturgutschutz, der die Interessen der Allgemeinheit und der Einzelnen fair abwägt, ein Entschädigungsregime bedingt. Eingriffe in das Eigentumsrecht auf der Grundlage eines transparenten Kulturgutschutzrechts können begründet sein.

Wir unterstützen also das Anliegen der Gemeinschaft, sogenanntes national bedeutsames Kulturgut zu definieren, zu identifizieren und zu schützen. Gleichzeitig sind wir jedoch der Ansicht, dass ein Staat, der etwas für so bedeutend hält, dass besondere Regeln dafür vorgesehen werden und sogar in das grundgesetzlich geschützte Eigentumsrecht eingegriffen werden kann, auch die entsprechende Verantwortung dafür übernehmen muss.

Das heißt, es muss die Bereitschaft vorhanden sein, sich dieses Anliegen auch etwas kosten zu lassen. Eine Kostenlos-Mentalität beim Staat darf es nicht geben.

(Andreas Bialas [SPD]: Hört, hört!)

Deshalb muss ein transparentes Entschädigungsverfahren für national bedeutsames Kulturgut geschaffen werden.

Mit großer Sorge haben wir die Anmerkungen des Bundesrates zum Gesetzentwurf zur Kenntnis genommen. Dass scheinbar auch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen den ohnehin problematischen Entwurf noch einmal erheblich verschärfen will, ist bedenklich.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, Ihre Redezeit!

Ingola Schmitz (FDP): Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident. – Es kann aus kulturpolitischer Sicht nicht unser Wunsch sein, das vorgesehene Sachverständigengremium zur Begutachtung von potenziellem national bedeutsamem Kulturgut zu entmachten und diese sensiblen und bedeutenden Fragen der Kulturbürokratie zu überlassen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Jetzt ist die Redezeit aber um!

Ingola Schmitz (FDP): Sehr geehrte Damen und Herren, ich muss jetzt zum Ende kommen.

(Heiterkeit)

Ich werbe deshalb für den Antrag der FDP-Fraktion. – Vielen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schmitz. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kulturgutschutz ist nichts Neues. Es geht um die Wahrung des kulturellen Erbes. Es geht um den Schutz gegen die Abwanderung nationalen Kulturgutes. Es geht aber auch darum, dass keine Märkte bestehen für Kunst, die aus Diebstählen stammt, ebenso wenig, um Terrorregime zu finanzieren.

Es geht um die Umsetzung einer EU-Richtlinie, an der sich bereits 24 von 28 EU-Staaten beteiligt haben. Insoweit ist es auch eine Anpassung an internationales Recht. Darüber hinaus ist es eine Zusammenfassung verschiedener Rechte, die bisher in drei Gesetzen normiert waren. Schließlich ist es weder eine Reaktion auf die Beckmann-Verkäufe in 2007 noch auf die Warhol-Verkäufe.

Die erste Vorlage des Gesetzentwurfs ist schon längere Zeit in der Welt, und insbesondere darin fanden sich viele diskussionswürdige Punkte. Diese wurden auch umfangreich diskutiert: in öffentlichen Veranstaltungen, in den Verbänden und auch in Fachzeitschriften. Wessen Stimme ich dabei nicht gehört habe, war die der FDP.

Danach gab es eine zweite Vorlage, erschienen am 15. September 2015. Das war der Gesetzentwurf des Bundes. Am 17. September 2015 habe ich im Ausschuss eine Anhörung zum Gesetzentwurf angeregt. Die Reaktion der CDU darauf war: Es handelt sich um ein Bundesgesetz; wir müssen die föderalen Ebenen beachten und sollten uns daher nicht so stark damit beschäftigen.

Ich finde es übrigens hochinteressant, dass die Diskussion in eine Auseinandersetzung über föderale Strukturen mündete. Die Ministerin hat in anderer Form ebenfalls Kritik geübt, indem sie fragte, wie es sein könne, dass eine Bundesgesetzgebung letztendlich derartig in Landesrecht eingreifen könne. Die Einzigen, die dieses Thema angesprochen haben, waren allerdings SPD und CDU. Von der FDP habe ich auch dazu nichts gehört.

Es kam dann nicht zu der Anhörung. Daher habe ich die Landesregierung darum gebeten, in der nächsten Ausschusssitzung darüber zu berichten, wie denn der Sachstand gewesen sei. Am 19. November 2015 wurde diesbezüglich seitens der Ministerin umfangreich dargestellt, wie das Land Nordrhein-Westfalen zum Gesetzentwurf steht und welche Kritikpunkte es anzubringen hat. Da ging es vor allen Dingen um die Prüfungsfristen und die Eingriffsbefugnisse des Bundes; es ging auch um die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben und die damit verbundenen Kosten. Auch da – das darf ich Ihnen sagen – habe ich die Stimme der FDP nicht vernommen.

Es kam dann am 18. Dezember 2015 zur Beratung im Bundesrat. Zu diesem Zeitpunkt haben Sie die erste Pressemitteilung herausgegeben. Jetzt liegt uns ein Antrag vor, und dazu kann ich Ihnen sagen: Herzlichen Glückwunsch! Die gesamte bisherige Debatte haben Sie im Grunde genommen komplett verschlafen.

Wir werden den Antrag selbstverständlich überweisen. Wir werden dann selbstverständlich auch noch über einzelne Punkte sprechen. Allerdings – auch das kann ich Ihnen sagen – stellen die Punkte in Ihrem Antrag inhaltlich schlicht und ergreifend den alten Stand der ersten Gesetzesnovelle dar.

In Ihren Punkten wollen Sie immer Dinge skandalisieren, die längst geklärt sind. Des Weiteren haben Sie stets den falschen Eindruck, dass viele Leute sehr betroffen seien. So betroffen sind die aber gar nicht. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang mitteilen, dass der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler sich schon sehr frühzeitig zu dieser Thematik geäußert hat, und zwar dahin gehend, dass er vor einer überhitzten Debatte warne und Sachlichkeit anmahne.

Auch die Ministerin hat darauf hingewiesen, dass sie mit der neuen Novelle noch nicht vollends glücklich ist. Wir sind es auch nicht. Wir haben noch einige Punkte, die uns der Kulturrat dankenswerterweise mit an die Hand gegeben hat. Darüber werden wir reden, und wir werden schauen, wie wir diese Punkte noch in die Verhandlungen einbringen können.

Selbstverständlich überweisen wir den Antrag. Aber jetzt hier so zu tun, als würde das Kulturgut durch die FDP gerettet werden, ist – ich hatte es eben schon gesagt – nicht richtig; das ist, gelinde gesagt, nur eine späte Reaktion auf eine verschlafene Debatte. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Solf.

Michael-Ezzo Solf (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe FDP, ich habe durchaus Verständnis für eine Partei, die versucht, über die Landesparlamente Einfluss zu nehmen, weil sie im Bundestag nicht mehr vertreten ist. Aber jetzt schießen Sie doch gewaltig über das Ziel hinaus. Wenn Sie in Ihrem Antrag davon sprechen, dass der Gesetzentwurf – ich zitiere – faktisch einen großen kulturpolitischen Flurschaden anrichte, dann beschleicht jedenfalls mich so ein bisschen das Gefühl, dass Sie hier eher Klientelpolitik betreiben, als tatsächlich den Schutz unseres kulturellen Erbes im Blick zu haben.

Auch ich referiere ganz kurz die Fakten. Um den Schutz des Kulturgutes umfassend zu stärken und um besser gegen den illegalen Handel mit Kulturgut vorzugehen, will die Bundesregierung die bisher bestehenden Gesetze im Bereich des Kulturgutschutzes in einem neuen einheitlichen Gesetz zusammenführen und darin auch neues EU-Recht, nämlich die Rückgaberichtlinie von Mai 2014, umsetzen. Darüber hinaus soll die Umsetzung der UNESCO-Konvention von 1970 verbessert und deutsches Recht an internationale Standards angepasst werden.

Ein- und Ausfuhrregelungen sollen die Sorgfaltspflichten beim Erwerb von Kulturgut stärken. Sie wissen: die Verhinderung von Handel mit archäologischen Raubgrabungsstücken ist ein gewaltiges Thema.

Im Bundeskabinett ist der Gesetzentwurf am 4. November 2015 beschlossen worden. Mitte Dezember 2015 nahm dann der Bundesrat zur geplanten Neuregelung Stellung. In ihrer Gegenäußerung wiederum stimmte die Bundesregierung – vor drei Wochen war es, glaube ich – einzelnen Vorschlägen zu. Andere Punkte sollten im weiteren parlamentarischen Verfahren noch geprüft werden. – So weit die Faktenlage.

Nun komme ich zur Begleitmusik. Es hat mich schon sehr erstaunt, was für eine Resonanz der Gesetzentwurf im feuilletonistischen Blätterwald und bei den verschiedensten Interessenten gefunden hat. Da war die Rede vom „gläsernen Bürger“, wenn er denn Kunst besitzt, und von massenweiser „kalter Enteignung“. Sogar die „Zerstörung des deutschen Kunstmarktes“ wurde beschworen.

Wenn solche Parolen im Spiel sind, werde ich immer ganz vorsichtig; denn offensichtlich sind hier massive Einzelinteressen berührt, denen gegenüber ich gerne sagen möchte: Es wird gewiss nicht alles so heiß gegessen, wie es nach Ihrer Behauptung gekocht wird.

Schon der Referentenentwurf vom Sommer 2015 war in wichtigen Punkten modifiziert worden. Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht vorbei.

Ein Blick in die Schweiz mag Sie vielleicht beruhigen. Dort schlugen vor einigen Jahren die Wellen des Kunsthandels auch sehr hoch, bzw. sie wurden sehr hoch geschlagen, als ein Kulturgutschutzgesetz verabschiedet wurde. Lesen Sie es einmal in der „Neuen Zürcher Zeitung“ nach: Heute lebt der Kunsthandel in der Schweiz sehr gut mit diesem Gesetz. Ich habe jedenfalls nirgendwo etwas vom Zusammenbruch des schweizerischen Kunstmarktes gelesen.

Liebe FDP, selbst Kritiker des Gesetzentwurfs attestieren den Regelungen zu ausländischen Kulturgütern eine sinnvolle und wichtige Stoßrichtung. Diese machen einen bedeutenden Teil des Gesetzentwurfes aus, die Sie in Ihrem Antrag aber nur am Rande erwähnen.

In der Kritik stehen jetzt noch die Regelungen zum Abwanderungsschutz. Da kann man sicherlich über eine Definition von „national bedeutsamem Kulturgut“ streiten und sicherlich auch darüber, ob die pure Anwesenheit eines Kunstwerks auf deutschem Staatsgebiet tatsächlich identitätsstiftende Bedeutung für eine Gesellschaft entfalten kann.

Für die Identität einer bestimmten Region aber kann ein Kunstwerk sicherlich eine beträchtliche Bedeutung haben. Dies konnten wir geradezu hautnah hier in Nordrhein-Westfalen anhand der öffentlichen Empörung über das kulturlose Verhalten – übrigens ungebremst vonseiten der Ministerpräsidentin – des hiesigen Finanzministers beim Umgang mit der Kunstsammlung der ehemaligen WestLB feststellen.

Wir leben in einem föderalen Staat. Deshalb ist es richtig, wenn der Bundesrat darauf besteht, dass Kultur eine Sache der Länder ist. Ich halte fest: Es gibt sicherlich noch das eine oder andere zu klären. Aber die Kulturwelt und, liebe FDP, auch der Kunstmarkt werden sicherlich nicht untergehen.

Ich freue mich daher auf eine – bitte entspannte – Diskussion im Ausschuss.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion die Grünen spricht Herr Kollege Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben den Antrag gelesen. Er ist ja sehr ausführlich. Frau Schmitz, Sie bitten um Überweisung. Dem werden wir zustimmen.

Ich gebe zu, der frühere Entwurf, der auf Bundesebene vorgelegt wurde, hat für viele Debatten gesorgt. Meiner Ansicht nach war manche Debatte auch sehr überhitzt; darauf hat Herr Solf richtig hingewiesen. Diese Form der Diskussion sollten wir nicht fortführen, weil das ein ernstes und wichtiges Thema ist.

Es ist auch richtig, im Rahmen der EU-Anpassung dafür zu sorgen, dass mehr Rechtssicherheit entsteht und Instrumente an die Hand gegeben werden, um Kulturgut wirksam zu schützen. Das ist gut. Was in Berlin zunächst durch die Kulturstaatsministerin Grütters verursacht wurde, war nur in Teilen erfreulich. Ich fand es jedenfalls eher unerfreulich. Das hat ganz viele Menschen sozusagen auf die Bäume gejagt.

Dann gab es im September letzten Jahres den zweiten Entwurf, der bereits eine gewisse Überarbeitung darstellte. Dann war die Diskussion schon etwas sachlicher. Alle, mit denen ich darüber gesprochen habe, plädieren hier für eine sachliche Debatte. Es hilft nicht, sich heißzureden.

Das Thema ist kompliziert. Es ist für die Öffentlichkeit nicht leicht nachvollziehbar, um was es wirklich geht. Ein zentraler Begriff wird aber immer wieder diskutiert: das „national wertvolle Kulturgut“. Von dieser Frage hängt ab, was frei gehandelt werden kann und was nicht.

Ich möchte hierzu einen Vorschlag aufgreifen, der von unserer grünen Bundestagsfraktion gemacht wurde. Das ist ein Bundesgesetz, das also dort federführend behandelt und nicht hier im Land.

Ein Gericht hat 1993 ausgeführt, dass man da im Grunde keine Festlegung treffen könne. Gleichwohl müsse man überlegen, ob man nicht eine Art Handreichung diskutieren sollte, die betroffenen Museen, Händlern, Sammlern usw. zur Verfügung gestellt wird. So könnte eine gewisse Transparenz darüber hergestellt werden, was „national wertvolles Kulturgut“ ist. Ausgewiesene Expertinnen und Experten wüssten dann ein bisschen mehr damit anzufangen, wenn sie einen solchen Kriterienkatalog vorliegen hätten.

Der Vorschlag lautet jedenfalls, zu dieser Frage einen runden Tisch zu gründen und gemeinsam mit den Expertinnen und Experten darüber zu diskutieren, um auf diese Art und Weise eine etwas genauere Definition entwickeln zu können, als es derzeit der Fall ist.

Diesen Vorschlag können wir durchaus unterstützen. Ansonsten ist es natürlich wichtig, dass der Raubhandel eingeschränkt wird. Es ist überhaupt keine Frage, dass er effektiv und nachhaltig bekämpft werden muss.

Es gibt auch Fachleute, die das insgesamt sehr kritisiert haben. In diesem Zusammenhang habe ich vor einigen Tagen mit Interesse den Artikel „Scherbenhaufen“ im „SPIEGEL“ gelesen. Insofern ist das ein Punkt, der auf jeden Fall kritisch gesehen werden sollte. Wir werden das im Ausschuss noch diskutieren.

Die Frage, die sich insgesamt stellt, lautet: Warum kommen Sie erst jetzt damit heraus? Die Diskussion läuft nun schon weit über ein halbes Jahr. Für unsere Regierung hat sich Frau Ministerin im Bundesrat am 18. Dezember dazu klar positioniert. Insofern sind wir an der Stelle – jedenfalls im Moment – gar nicht in der Diskussion, sondern die Diskussion läuft auf der Ebene des Bundesrates und insbesondere im Bundestag, wo die Gesetzgebung derzeit beraten und noch eine Anhörung erfolgen wird. Die Dinge laufen also auf ganz anderen Ebenen als hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

Gleichwohl: Ihr Antrag wird überwiesen, und wir werden darüber weiter sprechen. Daran beteiligen wir uns immer gern. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die Fraktion der Piraten spricht Kollege Lamla.

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man als letzter Vertreter der Fraktionen spricht, fällt es häufig schwer, noch etwas Neues zu extrahieren.

Wir hörten bereits: Die Debatte ist in vollem Gange. Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Es ist aber auch ganz gut, dass wir uns vielleicht noch einmal im Ausschuss damit beschäftigen. Daher möchte ich an dieser Stelle der FDP-Fraktion für diesen Antrag danken, der uns die Gelegenheit dazu gibt.

Die durchaus kontroverse Berichterstattung hat unter den Künstlerinnen und Künstlern sowie den Personen aus dem Bereich von Kunsthandel und Galerien durchaus Unsicherheiten erzeugt. Vielleicht ist eine Debatte im Ausschuss eine Möglichkeit, diese Bedenken und Ängste zu nehmen.

Die jeweiligen Personen, Künstlerinnen und Künstler, befürchten, dass es durch Ausfuhrverbote zu großen Nachteilen für die Kunst- und Kulturstandorte Deutschland und Nordrhein-Westfalen kommen wird, dass es da Schäden gibt. Es gibt durchaus Bedenken bezüglich des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre. Es gibt durchaus auch eine interessante Debatte zum nationalen Kulturgut. Der Kollege Keymis hat das auch schon erwähnt.

Wir müssen uns darüber unterhalten, was mit Sammlungen passiert, die mit öffentlich-rechtlichen Mitteln aufgebaut wurden. Fallen sie pauschal unter das nationale Kulturgut oder nicht? Wäre das gut oder wäre das schlecht? Das sind durchaus interessante Fragen.

Insofern freue ich mich auf die Debatte im Ausschuss. Wir Piraten stimmen der Überweisung selbstverständlich zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Kampmann.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich habe mich gefragt, warum dieser Antrag gerade jetzt oder gerade erst jetzt kommt. Denn Oliver Keymis hat es eben gesagt: Wir hatten vor einigen Tagen eine wirklich gute und sachbetonte Debatte im Bundestag dazu.

Wenn man sich Ihren Antrag durchliest, beschleicht einen das Gefühl, dass gerade die sachorientierte Debatte etwas damit zu tun haben könnte, dass die FDP eben nicht mehr im Bundestag vertreten ist. Denn dabei sind die breite Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf und der Wille, an diesem Gesetzentwurf konstruktiv mitzuarbeiten, deutlich geworden.

Genau das, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wünsche ich mir auch hier: dass wir sachorientiert diskutieren. Ich bin mir sicher, das werden wir im Ausschuss auch noch tun, damit wir in dieser Sache wirklich vorankommen. Denn das Ziel eines wirksamen Kulturgutschutzes haben Sie im Auge. Das wird in Ihrem Antrag durchaus deutlich.

Aber mich beschleicht das Gefühl, wenn ich Ihren Antrag lese, dass Sie sich dabei in Destruktivität verlieren, sodass man vergeblich nach Lösungen sucht, wie aus Sicht der FDP tatsächlich zu einer Lösung gekommen werden soll. Denn wenn ich mir Ihren Antrag durchlese, frage ich mich, was er eigentlich bietet.

Ich finde: Er bietet nicht viel Neues. Er bietet die altbekannte Mischung aus liberaler Politik von Warnungen vor Eingriffen in Eigentumsrechte, vor Bürokratisierung und staatlicher Willkür und vor dem Niedergang des Marktes – also genau die Dogmen, mit denen die FDP quasi unabhängig vom Gegenstand versucht, mit so beeindruckendem Erfolg Politik zu machen, dass man zumindest nicht mehr komplett ausschließen kann, dass sie eines Tages wieder die 5 % in einem Landesparlament erreicht.

Wir haben über all diese Punkte schon bei ihrer Mündlichen Anfrage im Landtag im Dezember ausführlich gesprochen. Ich bin mir sicher, Sie erinnern sich.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ingola Schmitz zulassen?

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ja, ich habe sie schon die ganze Zeit gesehen. Sehr gerne.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Ingola Schmitz*) (FDP): Vielen Dank, Frau Ministerin, dass Sie die Frage zulassen. – Frau Ministerin, nehmen Sie zur Kenntnis, dass die FDP ebenfalls das Kulturgutschutzgesetz begrüßt und an einer konstruktiven Kritik interessiert ist?

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Das hoffe ich. Ich habe eben gesagt, dass das Ziel, dass auch Sie sich für einen wirksamen Kulturgutschutz einsetzen wollen, im Antrag deutlich wird. Allerdings verstehe ich die weitere Antragsbegründung und die Handlungsempfehlungen aus dem Antrag nicht wirklich. Aber ich werde darauf im Rahmen meiner weiteren Rede noch stärker eingehen.

Denn Sie haben aus meiner Sicht in diesem Antrag die Fragen, die schon öffentlich und medial breit diskutiert werden, noch einmal mehr oder weniger willkürlich zusammengetragen. Ich finde, Sie tragen damit nicht zur nötigen Klarheit in der Debatte bei, weil sie damit in diesem Antrag auch noch Themen vermischen, zum Beispiel das Verfahren zur Eintragung national wertvollen Kulturguts auf der einen Seite und die Genehmigung zur Ausfuhr von Kulturgut auf der anderen Seite. Mit diesen Begriffsverwirrungen beschwören Sie einen großen kulturpolitischen Flurschaden, wie Sie sagen. Ich finde, Sie tun damit genau das, was Sie anderen vorwerfen: Sie sorgen nämlich für Verunsicherung. Das kann diese Debatte nicht gebrauchen.

(Beifall von Andreas Bialas [SPD])

Denn dabei werden im Endeffekt nur wenige Kunstwerke tatsächlich von einer Eintragung überhaupt betroffen sein. Ich bin mir sicher, dass auch Sie wissen, dass in 24 von insgesamt 26 EU-Staaten bereits ähnliche Ausfuhrregelungen bestehen, wie sie jetzt für Deutschland vorgesehen sind. Deshalb fordere ich Sie auf: Lassen Sie die Kirche einfach mal im Dorf und hören Sie auf, da Verunsicherung zu schüren, wo Politik eigentlich Rechtssicherheit herstellen sollte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Länder haben sich bei der Bundesratssitzung – das ist schon angeklungen – am 18. Dezember ganz klar positioniert. Wir wollen einen wirksamen Kulturgutschutz, der in der Praxis funktioniert. Alle, die Verantwortung tragen, wollen wir angemessen und vor allem auf faire Art und Weise an dieser Aufgabe beteiligen.

Die FDP kann sich vielleicht erlauben, bei dieser Debatte Klientelinteressen in den Blick zu nehmen. Wir als Länder haben aber die Pflicht, dieses Gesetz in der Praxis umzusetzen, und zwar im Sinne des Kulturgutschutzes, und genauso die Verantwortung gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern, gegenüber den Eigentümern und gegenüber den Sammlern wahrzunehmen.

Dabei muss das, was Frau Grütters fordert, natürlich auch in der Praxis funktionieren. Das ist heute schon oftmals angeklungen. Es handelt es sich um ein Bundesgesetz, und die Länder haben dazu bereits ausführlich Stellung genommen.

Einig sind wir uns, dass es noch Änderungen am Gesetzentwurf geben muss, damit dieser seine Wirkung auch so entfalten kann, wie es eigentlich vorgesehen ist. Deswegen freue auch ich mich auf einen weiteren konstruktiven Dialog und auf jeden weiteren Beitrag, der zu einem wirksamen Kulturgutschutz in Deutschland beiträgt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/10915 an den Ausschuss für Kultur und Medien; die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. Wer kann dem nicht folgen? Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

9   Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen beenden – Klare gesetzliche Regelungen schaffen

Eilantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11287

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11311

Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben mit Schreiben vom 29. Februar 2016 fristgerecht diesen Eilantrag eingebracht.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktionen dem Kollegen Bischoff das Wort.

Rainer Bischoff (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Missbrauch von Leiharbeit und der Missbrauch von Werkverträgen wird seit Jahren beklagt. Er wird zu Recht beklagt.

Um die Dimension auf NRW-Ebene deutlich zu machen: Allein in NRW haben wir 186.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Leiharbeitsbasis im Jahre 2014 gehabt. Es gibt Schätzungen, dass jede dritte selbstständige Tätigkeit, jeder dritte Vertrag von Selbstständigen auf einem Werkvertrag beruht. Damit wird die Dimension deutlich und auch, dass beide Instrumente offensichtlich nicht nur als Ausnahmeinstrumente gelten, sondern in hohem Maße auch ein Missbrauch der Instrumente stattfindet.

Um es am Anfang gleich deutlich zu machen: Wir wenden uns nicht gegen die Instrumente selbst, sondern gegen den Missbrauch der Instrumente. Leiharbeit und Werkverträge können sinnvoll sein für kurzfristige Arbeitsvergaben, für kurzfristige Aufträge, die man bekommen hat, aber eben nicht als Regelinstrumente. Das wollen wir nicht. Sie wären dann sinnvoll, wenn sie ein Regularium hätten, wenn die Rahmenbedingungen gesetzlich hundertprozentig geklärt wären. Das ist derzeit nicht der Fall. Deswegen gibt es die breite und berechtigte Missbrauchsdebatte.

Die Große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag, unterschrieben von CDU, CSU und SPD, festgelegt, dass auf Bundesebene die gesetzliche Regelung erfolgen soll, damit die Missbräuche, die in der Regel darin bestehen, dass Löhne unterlaufen werden, dass Arbeitnehmerschutzrechte und Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten ausgehöhlt werden, eben nicht mehr passieren.

Dieser Koalitionsvertrag auf Bundesebene sieht vor, dass in dieser Legislaturperiode die Rahmenbedingungen zu regeln sind – übrigens auch im Sinne der nicht missbrauchenden Unternehmen. Denn das verändert die Konkurrenzsituation, zum Beispiel dann, wenn ein Unternehmen bei einer Auftragsvergabe per Lohndumping durch Leiharbeit bessere Bedingungen hat als andere. Das ist eine Möglichkeit. Wir sehen im Bereich der Fleischindustrie aber auch, dass eine Sogwirkung entstehen kann: dass dann, wenn sich der Branchenführer dieser Instrumente bedient, die anderen Unternehmen das auch tun. Wir haben eine Untersuchung des MAIS, die ganz klar aufzeigt, dass die ganze Branche offensichtlich infiziert ist und diese Instrumente missbräuchlich benutzt. Alles das wollen wir verhindern, und das ist das Ziel der Koalitionsvereinbarung im Bund.

Unser Antrag spricht sich in seinem Forderungskatalog ganz deutlich dafür aus, dass wir mindestens die Bedingungen des Koalitionsvertrages erfüllt sehen wollen. Das ist wichtig; denn wir als Sozialdemokraten und insbesondere ich als Gewerkschafter haben durchaus weitergehende Forderungen als die, die im Koalitionsvertrag stehen. Das, was im Koalitionsvertrag von Berlin vereinbart worden ist, war ein Kompromiss. Man sieht das auch ein Stückchen an dem Entschließungsantrag der Piraten. Herr Sommer, über das, was Sie dort hineinschreiben, würde ich gerne mit Ihnen diskutieren. Aber der Charakter dieses Antrages ist eben ein anderer. Wir wollen deutlich machen, dass der Bund, bitte schön, das erfüllen möge, was er in seinem Koalitionsvertrag festgelegt hat, was ja eindeutig ein Kompromiss war.

Ich möchte es noch einmal inhaltlich ausführen. In der Koalitionsvereinbarung steht, dass die Höchstüberlassungsdauer auf 18 Monate begrenzt werden soll, dass die gleiche Bezahlung des Leiharbeiters, verglichen mit der Stammbelegschaft, nach dem neunten Monat einzuführen ist und dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer nicht als Streikbrecher eingesetzt werden dürfen. Das sind die wesentlichen Punkte unserer Forderungen.

Die Koalitionspartner in Berlin, also CDU und CSU, haben das unterschrieben. Insofern sind wir gleich höchst gespannt auf den Redebeitrag der CDU. Bei Herrn Alda habe ich nicht die Hoffnung, dass uns die FDP da gewaltig unterstützen wird, aber die CDU als Partei hat das in Berlin unterschrieben.

Ich weiß, dass nach der Redeliste gleich Herr Bergmann sprechen wird, was mich ein wenig verwundert. Es ist das zweite Mal hintereinander, dass in einer arbeitsmarktpolitischen Debatte, in der übrigens auch kein CDU-Mitglied des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales anwesend ist, kein Arbeitsmarktpolitiker redet. Ich spreche Herrn Bergmann überhaupt keine Kompetenz ab, aber das ist schon ein bisschen verwunderlich. Das haben wir bei Mindestlohn auch schon erlebt, als Herr Wüst gesprochen hat, und die Arbeitsmarktpolitiker durch Abwesenheit geglänzt haben.

Nichtsdestotrotz hoffe ich darauf, Herr Bergmann, dass Sie sich gleich auf Vertragstreue besinnen und für die CDU deutlich erklären werden, dass die CDU den Vertrag, den sie unterschrieben hat, auch einhalten wird. – Mit dieser Hoffnung bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und fürs Zuhören.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bischoff. – Für die grüne Fraktion hat nun Frau Kollegin Maaßen das Wort.

Martina Maaßen (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Teilhaben – das geht nur mit gerechten Löhnen und guter Arbeit für alle. Deshalb wollen wir prekäre Arbeitsverhältnisse eindämmen, Minijobs ersetzen, den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern und das Tarifvertragssystem stärken.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Leiharbeiter fast verdreifacht. Ende 2014 waren 824.000 Menschen als Leiharbeiter beschäftigt. Meine Damen und Herren, Wirtschaft und Unternehmen benötigen Flexibilität. Sie benötigen Flexibilität, um Personalengpässe und Auftragsspitzen zu bewältigen. Leiharbeit und Werkverträge können hier eine Lösung sein.

Aber es gibt auch Missbrauch – Herr Bischoff sprach es schon an –, den es einzudämmen gilt, nämlich dann, wenn mit diesen Instrumenten ausschließlich Lohnkosten gesenkt werden, wenn für die gleichen Tätigkeiten, die das Stammpersonal verrichtet, schlechtere Löhne gezahlt werden. Leiharbeitskräfte und Werkvertragsnehmer müssen fair und gerecht entlohnt werden und mehr Planungssicherheit erhalten.

Durch die 2012 eingeführte Lohnuntergrenze und den Mindestlohn haben sich die Bedingungen bei der Leiharbeit verbessert. Dies reicht uns jedoch nicht aus. Es wird der besonders geforderten Flexibilität und dem Schutzbedürfnis der Leiharbeitskräfte nicht gerecht. Zudem sind Leiharbeiter häufiger von Arbeitslosigkeit bedroht. Mehr als 50 % der Beschäftigungsverhältnisse in der Leiharbeitsbranche enden bereits nach drei Monaten, und viele Beschäftigte werden wieder arbeitslos. Gleichzeitig wird von der Arbeitsagentur und den Jobcentern mit mehr als 30 % überdurchschnittlich häufig in die Leiharbeitsbranche vermittelt. Festzustellen ist: Hier entstehen Drehtüreffekte, die wir so nicht zulassen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Bundesrechnungshof hat festgestellt, dass allein im zweiten Halbjahr 2013 rund 500 000 Leiharbeitsverhältnisse neu geschlossen, dafür aber auch 547 000 beendet wurden. Nur ein geringer Teil der Beschäftigten findet eine Festanstellung im Entleihbetrieb. Es sind – je nach Untersuchung – zwischen 7 und 10 %. Mit einer nachhaltigen Arbeitsintegration hat der hohe Anteil an Vermittlungen in Leiharbeit nichts zu tun.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Höhe der Eingliederungszuschüsse an Leiharbeitsfirmen hinweisen. Allein drei Leiharbeitsfirmen, bei denen in 2013 zusammen knapp 120 000 Leiharbeiter beschäftigt waren, erhielten 2013 und 2014 fast 10 Millionen € an Eingliederungszuschüssen. Aus grüner Sicht sind hier mehr Qualifizierung und Begleitung Langzeitarbeitsloser und weniger Eingliederungszuschüsse für Zeitarbeitsfirmen notwendig.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Torsten Sommer [PIRATEN])

Im dritten Quartal 2015 lagen die durchschnittlichen Bruttostundenlöhne für Leiharbeiter bei 13 €. In der Folge ist das Verarmungsrisiko von Leiharbeitern besonders groß. Ein überdurchschnittlich hoher Anteil muss aufstocken und zusätzlich zum Verdienst Grundsicherungsleistungen beantragen. Die aus Steuermitteln getragenen Aufstockungskosten bei Leiharbeitern sind beträchtlich. Sie betrugen 2014 fast 350 Millionen €.

Ich komme nun kurz zu den Werkverträgen. Klassische Werkverträge, mit denen Arbeitsaufträge mit gelegentlichem Charakter und spezialisierten Tätigkeiten extern vergeben werden, sind nicht zu kritisieren. Problematisch ist, wenn Stammbelegschaften durch Beschäftigte von Werkvertragsunternehmen ersetzt werden. Manche Unternehmen haben zweifelhafte Werkvertragskonstruktionen entwickelt. Extreme Beispiele finden sich in der Fleischbranche: Solo-Selbstständige, die ohne Anrecht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Kündigungsschutz ausschließlich mittels Werkvertrag für einen Arbeitgeber arbeiten.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Der vorliegende rot-grüne Antrag ist für uns Grüne ein erster Ansatzpunkt, den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen einzudämmen, ein erster Ansatzpunkt, weil wir Grünen hier nicht stehen bleiben wollen. Wir wollen eine weitere politische Debatte: gleiche Arbeit für gleichen Lohn ab dem ersten Tag auch für Leiharbeiter.

(Beifall von den GRÜNEN und Torsten Sommer [PIRATEN])

Wir wollen eine Prämie für Leiharbeiter als Ausgleich für höhere Risiken und Flexibilitätsanforderungen. Wenn gleicher Lohn und Prämie umgesetzt werden, kann auf eine Höchstüberlassungsdauer verzichtet werden. Leiharbeitskräfte sollten nicht in bestreikten Betrieben eingesetzt werden. Hinzu kommt, dass die Informations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Betriebsräte gestärkt werden müssen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Torsten Sommer [PIRATEN])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Maaßen. – Für die CDU-Fraktion geht nun Herr Dr. Bergmann ans Pult.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ende 2013 schlossen CDU, CSU und SPD in Berlin einen Koalitionsvertrag. Dieser Vertrag sieht auch Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, dem AÜG, vor, die von der zuständigen Ressortministerin, Frau Nahles, vorzubereiten sind.

Einen ersten Entwurf für Änderungen am AÜG legte die Frau Ministerin bereits im November 2015 vor. Leider bildete dieser – um es einmal vorsichtig zu formulieren – die getroffenen Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag nicht richtig ab. Die Bundeskanzlerin gab ihr daher die Gelegenheit, den Entwurf nachzubessern. Diese Chance scheint Frau Nahles jedoch nicht konsequent genutzt zu haben. Folge: Auch der im Februar 2016 vorgelegte zweite Arbeitsentwurf des Ministeriums deckte sich leider nicht mit den Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag.

Deshalb hat sie von CDU/CSU und SPD jetzt noch einmal die Möglichkeit bekommen, den zweiten Arbeitsentwurf nachzubessern. Wir finden, wir sollten der ehemaligen SPD-Generalsekretärin diese Möglichkeit auch zugestehen und sie hier nicht vorführen, so wie Sie von Rot-Grün das heute mit einem Eilantrag oder wie die Piraten es mit ihrem Antrag versuchen.

Mir scheinen die Gesetzesarbeiten – darüber haben Sie, Herr Bischoff, ja auch gesprochen; ich sage dies, damit ich Ihrer Erwartungshaltung auch gerecht werde – respektive die Abstimmungsgespräche im Bund doch auf einem guten Weg zu sein, sodass ich hier gar nicht näher auf die Inhalte eingehen möchte; da sollten wir auch nichts zerstreuen. Wenn Sie da ein Problem mit den Inhalten haben, sollten Sie auf Ihre Parteifreundin Frau Nahles noch einmal zugehen. Ich glaube, das wäre der richtige Weg; denn wir im Land Nordrhein-Westfalen bzw. der Landtag haben diesbezüglich überhaupt keine Entscheidungskompetenz.

Und noch eines: Ihr Antrag ist handwerklich schlichtweg nicht zu Ende gedacht. Da will ich Ihnen nur ein Beispiel nennen: Sie kritisieren, dass jeder dritte Selbstständige in Nordrhein-Westfalen auf Basis von Werkverträgen tätig ist. Liebe Kollegen, ganz viele selbstständige Handwerksmeister arbeiten auf Basis von Werkverträgen. „Was lernt uns das“, wie wir das bei uns am Niederrhein sagen würden? Werkverträge sind per se kein Teufelszeug und schon gar nicht der Untergang der sozialen Marktwirtschaft, sondern oftmals eine Voraussetzung dafür, dass Selbstständige in unserem Land Aufträge er- und behalten, Arbeitsplätze schaffen und somit auch Wohlstand für viele, für sich selber und viele Mitarbeiter, sichern.

Wir dürfen und sollten hier auch überhaupt nicht den Eindruck vermitteln, dass selbständige Tätigkeit in Deutschland etwas Unmoralisches sei, das es zu verhindern gelte.

Ich möchte noch etwas zu dem Prosateil sagen, der sich nur teilweise irgendwie mit Ihrem Beschlussteil zusammenbringen lässt. Während Überschrift und Begründung neben Zeitarbeit auch Werkverträge in den Fokus rücken, findet im Beschlussteil, dem Abschnitt III Ihres Antrags, dazu überhaupt nichts statt. Das findet sich gar nicht mehr wieder. Der Antrag ist auch handwerklich nicht ganz in Ordnung. Deswegen wollen wir ihn an dieser Stelle nicht mittragen.

Ergo: Wir lehnen den Antrag ab. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Bergmann. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Alda.

Ulrich Alda*) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bischoff, befördert worden zum Propheten? Es wird wirklich so kommen, wie Sie sagten. Aber mit der CDU waren Sie ja wenigstens halbwegs zufrieden.

Ein Eilantrag der Fraktionen von SPD und Grünen zu dem Gesetzesvorhaben von Andrea Nahles – die Motivation ist aus meiner Sicht klar: Die SPD will den internen Streit in der GroKo in Berlin auch hier im Landtag ausbreiten und sich hier vor den drei anstehenden Landtagswahlen als Kämpfer gegen vermeintlichen Missbrauch oder eine Missbrauchschimäre profilieren.

Ich kann ja Ihre Verärgerung nachvollziehen, nachdem der Referentenentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium erheblich überarbeitet worden ist und danach trotzdem die Kritik nicht aufhörte. Sie berufen sich aber nur auf den Wortlaut des Koalitionsvertrages, wie es der Kollege gerade schon sagte, und bedenken nicht, was in der Sache sinnvoller wäre. Mit anderen Worten: Sie achten nicht auf das, was in der Praxis sinnvoll ist und was in der Praxis vorkommt.

Ein flexibler Arbeitsmarkt mit Instrumenten wie Zeitarbeit und Werkverträgen ist ein wesentliches Element einer arbeitsteiligen Wirtschaft. So können Kostenvorteile durch Spezialisierung genutzt werden, und es kann auf veränderte Nachfrage und technologischen Wandel schnell reagiert werden. So wird zugleich die internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Als Beispiel führe ich die Automobilzuliefererindustrie an, die bei dem, was Sie vorhaben, wenn das kommt, ins Ausland verlagern wird. Das kann ich Ihnen so schon prophezeien.

Gerade die digitale Wirtschaft stellt bisherige Geschäftsmodelle infrage und wird die Arbeitswelt grundlegend verändern. Die digitale Welt setzt viel stärker auf Projektaufträge, die möglichst flexibel zu organisieren sind. Darüber hinaus ist gerade die Zeitarbeit ein wichtiges Instrument zum Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Dies ist eine Chance zur Arbeitsmarktintegration, insbesondere für geringer qualifizierte Bewerber.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, wir stehen vor großen Herausforderungen bei der Integration der Flüchtlinge. Wir werden morgen noch darüber diskutieren, was speziell für die Flüchtlinge vorkommt. Hunderttausende Menschen mit einer Bleibeperspektive und oft fehlenden formalen Qualifikationen benötigen Arbeitsplätze zur gesellschaftlichen Teilhabe. Gerade für sie ist ein flexibler Arbeitsmarkt unverzichtbar.

Sie aber setzen statt auf eine Entrümpelung und Entbürokratisierung des Arbeitsmarktes zugunsten der Steigerung von Beschäftigungschancen für Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge auf erhebliche weitere Regulierung.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Mit den Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 wurde die Flexibilität des deutschen Arbeitsmarktes deutlich erhöht. Ohne diese Reformen hätten wir heute vermutlich in Deutschland keine Rekordzahlen bei der Beschäftigung, sondern wie andere europäische Länder unter einer wesentlich höheren Arbeitslosigkeit gerade bei den jungen Menschen zu ächzen.

Die aktuelle Politik ist aber von einer Gegenbewegung gekennzeichnet. Nach der Einführung des Bürokratiemonsters Mindestlohn – ich rede nicht vom Mindestlohn, ich spreche von der Bürokratie dahinter – sollen jetzt Zeitarbeits- und Werkverträge eingeschränkt werden. Es steht nicht mehr ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt im Vordergrund. Vielmehr soll vorrangig ein vermeintlicher Missbrauch von Arbeitsmarktinstrumenten bekämpft werden. Dabei bestehen bereits weitgehende Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten, unter anderem durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit und die Sozialversicherungsträger. Nutzen Sie diese doch!

Herr Kollege Bischoff, können Sie sich erinnern? Im Ausschuss haben wir schon darüber diskutiert. Da habe ich gesagt, was es mittlerweile noch alles an Kontrollmöglichkeiten für die Firmen gibt. Sie werden ausgenutzt, und sie sollen auch ausgenutzt werden – wo Missbrauch ist, soll man ihn abschaffen –, aber nicht in dem Maße.

Die aktuellen Vorschläge von Frau Nahles scheinen aber von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber flexiblen Arbeitsmarktinstrumenten geprägt zu sein – und, ja, ich muss es so nennen, von einem zwanghaften Misstrauen gegenüber Arbeitgebern und Selbstständigen.

Zu den konkreten Vorstellungen von Ihnen: Sie wollen eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten einführen Diese Vorgabe geht über den Grundsatz der EU-Zeitarbeitsrichtlinie hinaus, zwar eine unbefristete, dauerhafte Überlassung auszuschließen, dabei aber keine eng gefasste Höchstdauer vorzusehen.

Zudem widerspricht diese Vorgabe vielen praktischen Abläufen in Betrieben. So fallen beim Einsatz als Vertretung in Elternzeit teilweise 24 Monate als Vertretungszeit an. Damit würde eine kürzere Höchstdauer eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf konterkarieren. Bei Höchstüberlassungsdauer und Equal Pay verknüpfen Sie die Regulierung mit tarifvertraglichen Ausnahmemöglichkeiten und weiteren Einschränkungen und Bedingungen für diese Ausnahmen. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen wird damit der Einsatz von Zeitarbeit erschwert.

Thema Tarifvertrag: Der DGB hat einen tollen Tarifvertrag mit der Zeitarbeitsbranche abgeschlossen. Das scheint Sie aber nicht zu interessieren oder Sie kennen ihn nicht. Herr Bischoff, vielleicht gehen Sie einmal an den DGB heran, damit etwas in dem Sinne verbessert wird.

(Zuruf von Rainer Bischoff [SPD])

– Ja, Sie kommen ja vom DGB.

Ein anderer Punkt betrifft die Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung im neuen § 611a BGB. Da musste Andrea Nahles ja schon zurückrudern. Die geplanten gesetzlichen Kriterien hätten viele bewährte Vertragsgestaltungen vom IT-Support bis zum Wachdienst infrage gestellt. Die neueste Fassung Ihrer Frau Nahles verzichtet zwar auf diese Kriterien und orientiert sich an der Rechtsprechung, lässt dabei aber weitere Probleme ungelöst. So prüft die Rentenversicherung zunehmend restriktiv, ob Solo-Selbstständige nicht als Scheinselbstständige und damit als abhängig Beschäftigte einzusortieren sind.

Wir würden uns wünschen, diese Fragen auch im Ausschuss intensiv zu erörtern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Antragsteller, Sie setzen mit Ihrem Antrag aber nur auf eine kurzfristige Show. Daher werden wir den Antrag ablehnen und die Thematik an anderer geeigneter Stelle wieder aufgreifen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Alda. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Kollege Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer und Zuschauerinnen hier im Saal und selbstverständlich auch im Livestream! Die Themen Leiharbeit und Werkverträge beschäftigen uns alle schon ein bisschen länger.

Ich finde es schade, dass hier die Gräben, wie sie sich gerade in der Bundespolitik darstellen, gepflegt werden, ohne sich gegenseitig zuzuhören. Das richtet sich insbesondere an Herrn Dr. Bergmann. Weder die Kollegin Maaßen noch der Kollege Bischoff haben an irgendeiner Stelle die Werkzeuge an sich, die Instrumente, infrage gestellt, sondern lediglich ihren Missbrauch.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich finde es nicht richtig, zu sagen, die Kollegen hätten grundsätzlich gegen das Instrumentarium gewettert. Das haben sie nicht getan.

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])

– Doch. Sie haben die beiden genau in der Hinsicht kritisiert. Das finde ich schade.

Herr Kollege Bischoff erwähnte eben schon, dass ein Kollege aus dem Wirtschaftsausschuss und nicht ein Kollege oder eine Kollegin aus dem Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales das Thema bearbeitet. Daran wird deutlich, aus welcher Perspektive Sie das Ganze sehen möchten.

(Zuruf von der SPD: Die sind alle nicht da!)

– Ja, leider sind die Kolleginnen und Kollegen tatsächlich alle nicht da. Das finde ich auch sehr schade. Aber dafür gibt es ja Aufzeichnungen.

Allerdings wäre es richtig gegangen – da muss ich dem Kollegen Alda recht geben –, das Thema an den Ausschuss zu überweisen, damit es nicht verpufft. Wir sollten einen Antrag einbringen, der uns das Thema im Ausschuss deutlich näherbringt – vielleicht auch durch eine Anhörung. Denn viele Punkte sind einfach ärgerlich. Die Zahlen, die die Kollegin Maaßen genannt hat, will ich jetzt gar nicht wiederholen.

60 % der Menschen, die in Leiharbeit entsandt werden, sind keine neun Monate da. Warum sollen wir darüber diskutieren, ob Equal Pay ab neun, ab zwölf, ab 15, ab 18 oder ab wie vielen Monaten auch immer gelten soll, wenn es die meisten Menschen gar nicht betrifft? Equal Pay – gleicher Lohn für gleiche Arbeit – muss es vom ersten Tag an geben.

(Beifall von den PIRATEN)

Der kurze Einsatzzeitraum zeigt, dass die Leute, die entsandt werden, die Arbeit direkt aufnehmen können. Dass es keine lange Einarbeitungszeit geben muss, liegt entweder an der Arbeit an sich oder an der Qualifikation der Leiharbeitenden. Wenn die Arbeit fast von Anfang an vernünftig geleistet wird, muss auch von Anfang an vernünftig bezahlt werden.

Einem Bonus obendrauf stehe ich sehr positiv gegenüber. Denn von den Menschen wird Flexibilität gefordert, und diejenigen, die Leiharbeit leisten, sind viel stärker etwa von Arbeitslosigkeit, von prekärer Beschäftigung betroffen. Daher ist es schon sinnvoll, dass sie für diese Flexibilität einen Bonus erhalten.

Kommen wir zum Thema „Werkverträge“. Anscheinend nimmt der Missbrauch bei Werkverträgen zu. Das wird keiner leugnen. Man muss nicht auf die Zahlen der IG Metall oder der „Süddeutschen Zeitung“ verweisen. Jeder, der in dem Thema drin ist, weiß, dass die tarifliche Bindung bei Werkvertragsarbeit nicht im Steigen, sondern im Sinken begriffen ist. Das ist weder richtig noch gut und beschädigt das eigentlich gute Instrument des Werkvertrags. Wenn wir dieses gute Instrument erhalten wollen, müssen wir den Missbrauch bekämpfen.

Kollege Bischoff, dann erwarte ich aber eine Regelung, die greifen kann. Die jetzt vorgelegte Regelung ist zahnlos. Beim ersten Entwurf auf Bundesebene dachte ich schon: Das ist nicht so besonders toll; da muss noch etwas draufgelegt werden. Nachdem der Bund den ersten Entwurf zurückgezogen hatte, dachte ich beim zweiten Entwurf: Guck mal, alle Zähne weg. – Das kann es nicht sein. Wir müssen eine viel deutlichere Regelung haben.

Kollege Alda, Sie haben gerade die Einteilung in Scheinselbstständigkeit und Werkvertragsarbeit angesprochen. Man muss ganz genau benennen und Vorgaben machen, wann jemand scheinselbstständig ist und wann ein ordentlicher Werkvertrag vorliegt. Im Gesetzestext müssen genaue Bedingungen stehen. Aber lassen Sie uns das, wie Sie eben schon sagten, im Ausschuss besprechen.

Ich bitte, dass SPD und Grüne Mut zeigen und unserem Entschließungsantrag zustimmen. Ich befürchte, bei CDU und FDP werde ich eher auf taube Ohren stoßen. Ich verspreche Ihnen aber schon jetzt: Wenn Sie das Thema nicht in den Ausschuss bringen, werde ich es tun. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Sommer. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Schmeltzer das Wort.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zunächst herzlichen Dank an den Kollegen Sommer, der noch einmal dargestellt hat, dass es hier nicht um die Leiharbeit geht, sondern um den Missbrauch der Leiharbeit. Aber die Anwesenheit der Nichtarbeitsmarktpolitiker der Union ist scheinbar der Grund dafür, da nicht zu differenzieren.

Wir alle wissen: Leiharbeit, Zeitarbeit gilt allgemein als prekäre Beschäftigung. Leiharbeitnehmer sind in der Tat dafür bekannt, flexible Arbeitnehmer zu sein – flexibel, was die Arbeitsaufträge, den Arbeitsplatzwechsel und den oftmals damit verbundenen Ortswechsel betrifft.

Wir wissen auch, dass es in Deutschland gerade für diese Personengruppe einen geringeren Schutz als für die Stammbelegschaft gibt. Sie haben wenige Möglichkeiten, übernommen bzw. fest eingestellt zu werden.

Wir wissen, dass sie einen niedrigeren Lohn bekommen. Auch bei lohnähnlichen Bestandteilen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind sie benachteiligt. In verschiedenen Betrieben zahlen sie sogar höhere Kantinenpreise. Auch das widerspricht der Tatsache, dass Leiharbeitnehmer gut und flexibel sind.

Es ist also nicht ganz von der Hand zu weisen und wird bestätigt, dass es sich um prekäre Beschäftigung handelt, wie man es immer wieder hört.

Wir wissen aber auch, dass die Leiharbeit an und für sich wichtig ist. Wir brauchen Leiharbeit etwa bei Auftragsspitzen, bei kurzfristig steigendem Personalbedarf. Und es hat nie jemand gesagt, dass wir die Leiharbeit in irgendeiner Form abschaffen wollen.

Auch für Werkverträge gibt es gute Gründe. Aber Werkverträge, ausschließlich dafür zu nutzen, um seitens des Unternehmers die Lohnkosten niedrig zu halten oder noch weiter herunterzufahren, obwohl gleiche Arbeit am gleichen Ort geleistet wird, ist definitiv falsch und nichts anderes als Missbrauch von Werkverträgen, um Lohndumping in den Betrieben zu betreiben. Und diesen Missbrauch gilt es zu verhindern.

Nichts anderes ist im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vereinbart worden. Es ist vereinbart worden, das Problem anzugehen bzw. den Missbrauch durch gesetzliche Regelungen zu unterbinden. Das ist insbesondere auf Initiative der Kolleginnen und Kollegen der CDA erfolgt, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Branche ein Mindestmaß an Sicherheit benötigen. Sie haben ihr Vertrauen in den Koalitionsvertrag gesetzt, dass dieses Mindestmaß dann auch umgesetzt wird.

Warum sollten sie weniger Geld für die gleiche Arbeit bekommen? Ein Blick nach Frankreich zeigt: Dort werden die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer durch die Bank besser vergütet, weil sie so gut und flexibel sind. Sie sind auch am Arbeitsplatz bzw. am Arbeitsort flexibel. Ich denke, wir alle wissen, dass das der bessere Weg ist.

Es gilt also, mindestens den Koalitionsvertrag einzuhalten. Dabei geht es um folgende Punkte: Höchstüberlassungsdauer 18 Monate, Equal Pay nach neun Monaten, kein Einsatz als Streikbrecher.

Herr Dr. Bergmann, ich muss Sie korrigieren. Sie versuchen, hier etwas vorzuspiegeln, was definitiv falsch ist. Der erste Entwurf wurde in der Tat Ende 2015 vorgelegt. Dieser ist vom Kanzleramt gestoppt worden. Es hat dann einen zweiten Entwurf gegeben. Dazu hat es auch Nachverhandlungen gegeben. Er sollte eigentlich schon jetzt im Kabinett zur Ressortabstimmung abgegeben worden sein, aber die Unionsfraktionen haben hier einmal wieder „Nachbesserungen“ – also Verschlimmerungen – für die Arbeitnehmerschaft eingefordert. Deswegen ist er erneut gestoppt worden. Und darum ist das, was Sie hier dargelegt haben, definitiv falsch.

Das heißt, eine konkrete Verbesserung für die betroffenen Leiharbeiter, Werkvertragsarbeitnehmer und Beschäftigten mit Scheinwerkverträgen scheitert am parteipolitischen Scharmützel der Unionsfraktion; in diesem Fall betrifft das „ausnahmsweise“ die CSU. Niemand der Betroffenen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat noch Verständnis dafür. Es kann nicht sein, dass die Umsetzung des Koalitionsvertrags auf Bundesebene zum Ping-Pong-Spiel zwischen Bundeskanzleramt und CDU/CSU-Fraktion wird und dies auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgetragen wird.

Wir begrüßen den Antrag von SPD und Grünen, der die Haltung der Landesregierung bestätigt. Uns wird an der Stelle die Unterstützung des NRW-Parlaments zugesichert. Bereits am Freitag der vergangenen Woche hat die Landesregierung im Bundesrat einen von Baden-Württemberg eingebrachten Entschließungsantrag zur Begrenzung der Leiharbeit und gegen den Missbrauch von Werkverträgen erfolgreich unterstützt. Damit ist die Landesregierung der Forderung der NRW-Regierungsfraktionen bereits nachgekommen.

Ich würde mir wünschen, dass die CDU mit den CDA-Vertretern – so sie denn dem Plenum bei solchen Tagesordnungspunkten auch beiwohnen würden – auch bei ihren Parteifreunden in Berlin einmal ihren Einfluss in dem Sinne geltend machen würden, dass Koalitionsverträge im Sinne der in Deutschland lebenden und arbeitenden Menschen eingehalten werden. Damit würden Sie einen ordentlichen Beitrag zur Verhinderung von Altersarmut leisten; denn prekäre Beschäftigung – das haben wir heute Morgen schon gelernt – ist auch ein Bestandteil dessen, was zur Altersarmut führt, meine Damen und Herren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Schmeltzer. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen zur Abstimmung erstens über den Eilantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/11287. Wie immer ist über einen Eilantrag direkt abzustimmen. Also stimmen wir ab über den Inhalt des Eilantrags. Wer stimmt dem zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP. Wer enthält sich? – Es enthält sich die Fraktion der Piraten. Damit ist der Eilantrag Drucksache 16/11287 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.

Zweitens stimmen wir ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/11311. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – Die Fraktion der Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist augenscheinlich nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/11311 mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe auf:

10 Informationsfreiheit schützen – Transparenz und einfachen Zugang zu staatlichen Informationen sicherstellen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11219

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, eine Aussprache hierzu heute nicht zu durchführen.

Wir kommen also gleich zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11219 an den Innenausschuss. Darüber hinaus haben die antragstellenden Fraktionen im Einvernehmen mit den anderen Fraktionen beantragt, dass die abschließende Aussprache und Abstimmung nach Vorlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses erfolgen sollen. Wer möchte der Überweisungsempfehlung einschließlich des geänderten Beratungsverfahrens zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so verfahren und überwiesen.

Ich rufe auf:

11 Gesetz über die Regulierungskammer Nordrhein-Westfalen (RegKG NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10189

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Wirtschaft, Energie, Industrie,
Mittelstand und Handwerk
Drucksache 16/10916

zweite Lesung

Die fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, ihre Reden  zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 1)

Wir kommen somit also zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk empfiehlt in Drucksache 16/10916, den Gesetzentwurf Drucksache 16/10189 unverändert anzunehmen. Wir kommen also zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst, nicht über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt so zu?

(Im Plenum erfolgt keine Reaktion.)

– Keiner. Prima! Wir üben es noch einmal. Also: Wer stimmt dem Gesetzentwurf zu? – SPD und Grüne. Ich hatte es fast angenommen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Und die Piraten!)

– Und die Piratenfraktion, teilweise jedenfalls. Wir nehmen es mal dafür. Also: SPD, Grüne und Piraten stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – CDU und – ein wenig zaghaft, dann aber auch wild entschlossen – die FDP. – Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von SPD, Grünen und Piraten gegen die Stimmen von CDU und FDP angenommen und in zweiter Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

12 Gesetz zur Änderung des Landesministergesetzes und weiterer Gesetze

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/11153

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzes sollte ich das Wort erteilen, aber das alles findet gar nicht statt, weil man sich darauf verständigt hat, dass die Rede im Beisein des anwesenden Ministers, Herrn Kutschaty, der sie hätte halten sollen, zu Protokoll gegeben wird. Damit können wir so verfahren. Es ist heute keine Aussprache vorgesehen. (Siehe Anlage 2)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/11153 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Innenausschuss. Gibt es dazu Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? – Das ist auch nicht der Fall. Dann ist – das darf ich damit annehmen – einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

13 Neuntes Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/11251

erste Lesung

Auch hier verfahren wir wie eben. Der zuständige Minister, Herr Jäger, ist heute nicht anwesend. In Vertretung hätte Herr Kutschaty die Einbringungsrede halten können. Er gibt diese zu Protokoll. Vielen Dank, Herr Minister. Eine weitere Aussprache ist nicht vorgesehen. (Siehe Anlage 3)

Wir kommen damit zur Abstimmung. Auch hier empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/11251 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Wer stimmt dem so zu? – Alle anwesenden Fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das kann folglich auch nicht sein. Einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

14 Abkommen zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik

Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung
zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/10378

Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/11237

Die im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, eine Aussprache heute nicht durchzuführen. Die Reden werden zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 4)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/11237, dem Antrag Drucksache 16/10378 zu entsprechen. Wir stimmen somit ab über die Zustimmung zu dem Abkommen zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist dem Antrag der Landesregierung auf Zustimmung Drucksache 16/10378 bei Enthaltung der Piratenfraktion entsprochen.

Ich rufe auf:

15 22. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit

Vorlage 16/2934

Und:

Stellungnahme der Landesregierung zum 22. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit

Vorlage 16/3580

Beschlussempfehlung
des Innenausschusses
Drucksache 16/11158

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Kollege Geyer für die SPD-Fraktion. Bitte schön.

Jens Geyer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst darf ich mich im Namen der SPD-Fraktion ausdrücklich für den wieder einmal sehr ausführlichen und informativen Bericht des ehemaligen Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Herrn Ulrich Lepper, seiner Nachfolgerin im Amt, Frau Helga Block, und ihren Mitarbeitern herzlich bedanken,

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Der Bericht macht deutlich, dass der Datenschutz in Nordrhein-Westfalen bei Frau Block und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in guten Händen ist. Hervorzuheben sind die Beiträge zum Datenschutz im öffentlichen Bereich wie zum Beispiel bei der Datenverarbeitung in Sozialbehörden, bei der Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes sowie des Strafvollzugsrechts, aber auch die Beiträge zum Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich wie zum Beispiel beim Scoring und bei der Verarbeitung von Daten für Werbezwecke, bei „Pay As You Drive“, einer neuen Produktentwicklung im Bereich der Kfz-Versicherung, und bei den sozialen Netzwerken sowie der Informationsfreiheit. Wenn es um den freien Zugang zu Informationen bei öffentlichen Stellen geht, wurde und wird gute Arbeit geleistet. Ihnen allen vielen Dank für diese verdienstvolle Arbeit!

Der 22. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht bezieht sich auf den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2014 und ist wieder einmal hochinteressant, dessen Inhalt in der Öffentlichkeit bisher nicht so gewürdigt wird, wie er es sollte, ist der Bericht doch ein Fundus für praxisrelevante Politikansätze, die es zu nutzen gilt.

Die Stellungnahme des MIK zu dem Bericht des LDI greift einzelne Punkte im öffentlichen Bereich des Datenschutzes auf und nimmt hierzu nochmals Stellung. Im Großen und Ganzen bestehen jedoch keine Meinungsunterschiede. Dort, wo gegenwärtig noch Klärungsbedarf besteht, beispielsweise bei der Erteilung von Auskünften durch öffentliche Stellen an Bürgerinnen und Bürgern über den Internetdienstleister FragDenStaat, befinden sich Regierung und LDI in einem konstruktiven Dialog.

Insofern gibt uns der Bericht, mit dem wir uns hier beschäftigen, gute Gelegenheit, über einzelne Punkte weiterzudiskutieren und diese nicht nur im rück-, sondern auch im vorausschauenden Blick zu haben. Die SPD-Fraktion wird diese Chance nutzen, denn die Herausforderungen in Bezug auf Datenschutz und Informationsfreiheit werden immer größer und umfangreicher.

Abschließend sei gesagt, dass die Landesregierung gemäß ihrer Vorgabe im Koalitionsvertrag von 2012 an der Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes hin zu einem Transparenzgesetz arbeitet. Auch in diesem Zusammenhang wird die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit eine wichtige Rolle spielen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Geyer. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kruse.

Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ganz ohne Frage ist der Datenschutz ein Thema von hoher alltäglicher, praktischer und zunehmender Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Auch ich möchte zunächst im Namen der CDU-Fraktion dem ausgeschiedenen ehemaligen Landesdatenschutzbeauftragten Herrn Ulrich Lepper für seine Arbeit in den vergangenen Jahren sehr herzlich danken. Herr Lepper ist für die Erstellung des vorliegenden Berichts noch verantwortlich gewesen. Was er für den Datenschutz in Nordrhein-Westfalen geleistet hat, dokumentiert nicht zuletzt der vorliegende Bericht eindrucksvoll.

Der 22. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht, über den wir heute in Kürze diskutieren, vermittelt einen umfassenden Überblick über die Entwicklung des Datenschutzes und der Informationsfreiheit im Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2014. Er zeigt besonders sensible Themen auf und macht deutlich, welche neuen Herausforderungen sich auf diesem Gebiet durch fortschreitende technologische und gesellschaftliche Veränderungen ergeben haben.

Der Bericht enthält fraglos eine Fülle interessanter Ausführungen zu unterschiedlichsten Fragen des Datenschutzes.

Hervorzuheben ist aus Sicht der CDU-Fraktion insbesondere das Kapitel zur Datensicherheit im Bereich der Kommunen. Die Querschnittserhebung, die der Datenschutzbeauftragte dazu durchgeführt hat, veranschaulicht allerdings, dass Nordrhein-Westfalen hier noch gewaltigen Nachholbedarf aufweist. Die Ergebnisse dieser Erhebung sind teilweise erschreckend.

So gab ein Drittel der Kommunen in unserem Land an, bislang kein Sicherheitskonzept für die Datenverarbeitung auf kommunaler Ebene entwickelt zu haben. Dies ist aus unserer Sicht ein klarer Verstoß gegen die Vorgaben von § 10 Abs. 3 Landesdatenschutzgesetz, die, wohlgemerkt, bereits seit dem Jahr 2000 Gültigkeit haben.

Nur etwa 43 % der Kommunen verfügen zudem über ein sogenanntes Schutzstufenkonzept, das nötig ist, um konkrete Schutzbedarfe überhaupt ermitteln und den weiteren IT-Sicherheitsprozess entsprechend anpassen zu können.

Ebenfalls nur 43 % der Kommunen unterziehen ihre IT-Ausstattung umfangreichen Sicherheitstests mit Mitteln und Methoden, die ein Angreifer einsetzen würde.

In gut einem Viertel aller NRW-Kommunen fehlt sogar beides, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. Dort hat man weder ein Sicherheitskonzept noch führt man regelmäßige Sicherheitstests durch.

Dieser Befund macht aus unserer Sicht einmal mehr deutlich, dass die rot-grüne Landesregierung die Kommunen in Nordrhein-Westfalen mit dem sensiblen Thema „IT-Sicherheit“ bislang völlig alleingelassen hat und sich offenbar auch nicht um die Einhaltung gesetzlicher Datenschutzvorgaben in den Städten und Gemeinden schert.

Herr Justizminister, lieber, sehr geschätzter Herr Kutschaty, Sie vertreten den Innenminister ja heute bei diesem Tagesordnungspunkt. Vielleicht können Sie gleich ein paar Worte dazu sagen.

Eine vernünftige Informationssicherheit auch auf kommunaler Ebene ist aus unserer Sicht zwingend notwendig, um persönliche Daten der Bürgerinnen und Bürger zu schützen und nicht zuletzt auch wirtschaftliche Schäden für die Kommunen zu vermeiden. Wenn die Kommunen damit, aus welchen Gründen auch immer, nicht alleine fertig werden, muss die rot-grüne Landesregierung entsprechende Hilfestellung leisten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Themen „Datenschutz“ und „Informationsfreiheit“ werden uns ganz sicher auch in den nächsten Wochen nicht nur im Innenausschuss, sondern querbeet beschäftigen. Die CDU-Fraktion wird die rot-grüne Landesregierung dabei konstruktiv und kritisch begleiten.

Der neuen Landesdatenschutzbeauftragten, Frau Helga Block, wünschen wir auch von dieser Stelle nochmals viel Freude, alles Gute in der Erfüllung ihrer schönen und anspruchsvollen Aufgabe. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kruse. – Für die grüne Fraktion hat das Wort nun Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute einen Bericht, den der vorherige Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit noch vorgelegt hat, der in der jüngsten Sitzung des Innenausschusses dann durch seine Nachfolgerin, durch die neue Landesbeauftragte, vorgestellt wurde.

Ich möchte mich meinen Vorrednern sehr gern anschließen und Herrn Lepper ganz herzlich für seine langjährige Tätigkeit danken. Frau Block möchte ich in ihrem Amt ganz herzlich willkommen heißen und ihr alles Gute für diese wichtige Aufgabe wünschen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Berichtszeitraum, meine Damen und Herren, umfasst die Jahre 2013 und 2014. In diesen beiden Jahren gab es zahlreiche sehr grundlegende Debatten über den Datenschutz. Einige davon haben wir auch in diesem Hohen Hause geführt, etwa über Konsequenzen aus dem Geheimdienstskandal oder Ende vergangenen Jahres über Safe Harbor.

Ob es nun um den internationalen Datenaustausch oder um die demokratische Einhegung von Nachrichtendiensten geht: Die politische Schlussfolgerung aus den Entwicklungen der letzten Jahre darf keinesfalls sein, die Verwässerung der Datenschutzstandards einfach hinzunehmen oder sogar mutwillig voranzutreiben. Wenn man sich anschaut, was beispielsweise auf der europäischen Ebene Herr Oettinger als Digitalkommissar regelmäßig zum Besten gibt, was wir teilweise auch von der hiesigen CDU gehört haben, dann muss man befürchten, dass es genau in so eine Richtung gehen könnte.

Wir wissen alle, dass wir im digitalen Zeitalter bestmöglichen Datenschutz brauchen. Daraus können sich auch Wettbewerbsvorteile ergeben. In diesem Sinne muss sich Europa an die Spitze einer weltweiten Bewegung für einen größeren Schutz der Privatsphäre setzen.

Weil sie auch in dem Bericht einen großen – das finde ich sehr positiv – und immer größeren Raum einnimmt, eingangs einige Bemerkungen zur Informationsfreiheit: Die Einlassungen der Landesbeauftragten sind hilfreicher Rückenwind für unser Vorhaben, mehr Open Government und mehr Open Data in Nordrhein-Westfalen zu betreiben. Wir stehen zu unserer Ankündigung. Wir werden das Informationsfreiheitsgesetz zu einem Transparenzgesetz weiterentwickeln. Wir schaffen eine gesetzliche Verpflichtung, Daten durch öffentliche Stellen proaktiv bereitzustellen. Dieses Thema ist bei der rot-grünen Landesregierung in guten Händen.

Und weil ich sicher bin, dass der Kollege Herrmann es gleich anmerken wird: Bei „FragDenStaat“ handelt es sich nicht um etwas, was Sie skandalisieren können. Es handelt sich da um grundsätzliche rechtliche Einordnungen. „FragDenStaat“ ist ein sehr gutes Projekt, und es wird von keiner Seite, insbesondere nicht durch die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, infrage gestellt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als der Bericht im letzten Jahr vorgestellt wurde, war noch nicht klar, dass es tatsächlich gelingen würde, gegen die nationalen Widerstände – auch aus Deutschland kamen große – zu einer europäischen Datenschutzreform zu kommen. Ich habe größten Respekt gerade vor meinem Kollegen Jan Philipp Albrecht, der diesen historischen Erfolg erzielt hat. Denn diese Reform regelt jetzt endlich, was uns so lange fehlte: verbindliche Datenschutzstandards für alle Europäerinnen und Europäer.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn diese Datenschutz-Grundverordnung im Frühsommer endgültig beschlossen ist, dann müssen auch die nationalen Regelungen zeitnah angepasst werden. Die zwei Jahre, die uns dann bleiben, sind kürzer, als sich das viele von uns vorstellen. Wir wollen dafür sorgen, dass die föderale Ordnung in der Datenschutzaufsicht auch im europäischen Kontext noch aufrechterhalten werden kann und dass dennoch eine einheitliche Rechtsdurchsetzung gewährleistet werden kann. Wir haben uns auch hier in diesem Hause bereits im Jahr 2013 festgelegt. Wir werden in der Umsetzung der Reform höchste Datenschutzstandards sicherstellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend: Diese Reform wird in der nationalen Umsetzung auch für die Aufsichtsbehörden eine sehr große Aufgabe sein. Es werden sich viele Fragen stellen, wie die eine oder andere Regelung denn jetzt anzuwenden ist. Deshalb haben wir vorgesorgt.

Die rot-grüne Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen wollen einen starken Datenschutz, der nur mit einer starken Datenschutzaufsicht funktioniert. Deshalb haben wir bereits im Jahr 2011 das schwarz-gelbe Streichkonzert rückabgewickelt und nicht nur die zwischen 2005 und 2010 gestrichenen Stellen wieder aufgestockt, sondern bereits im Jahr 2011 zusätzliche Stellen geschaffen. Wir haben auch mit diesem Haushalt 2016 insgesamt noch einmal zehn Stellen obendrauf gelegt. Das ist gut für den Datenschutz, das ist gut für die Menschen bei uns im Land, und das ist gut für den Standort NRW. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Dank gilt natürlich auch Herrn Lepper als vorherigem LDI für die Erstellung des Berichts. Der Bericht zeigt ja auch – das ist meines Erachtens auch unstreitig –, dass der Schutz der persönlichen Daten trotz aller Vorteile und Möglichkeiten, die heute zur Verfügung stehen, niemals aus dem Blick geraten darf.

Der Bericht des LDI zeigt aber auch deutlich, dass es dabei keineswegs nur um die prominenten Beispiele wie Facebook oder Google geht, sondern auch die öffentlichen Stellen des Landes hier in Nordrhein-Westfalen durchaus noch Nachholbedarf haben. Herr Kruse hat gerade auch schon die Schutzbedarfe beispielsweise der Kommunen angesprochen. Darüber hinaus haben noch in den letzten Tagen die erfolgten Angriffe auf die IT-Systeme von Krankenhäusern gezeigt, wie wichtig der Schutz von Daten und entsprechenden Systemen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein anderes Beispiel: Nicht nur Fernsehgeräte sind mittlerweile online, sondern auch privat käufliche Überwachungskameras verbreiten ab und an Informationen offenbar unbedarft im Internet. Wenn man da nicht aufpasst, bekommt man das vielleicht noch nicht einmal mit. Kameras werden mit unzureichenden Sicherheitseinstellungen ausgeliefert. Manche Nutzer ahnen davon gar nichts. Und siehe da: Plötzlich findet man sein heimisches Wohnzimmer und seine heimische Couch nebst Familienleben öffentlich online als Livestream im Internet.

Auch dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist – das ist unsere Aufgabe –, die Menschen im Land für den Schutz ihrer Daten und ihrer Privatsphäre weiter zu sensibilisieren.

(Beifall von der FDP)

Diese Kameras hat man ja sogar noch selbst im Privatbereich aufgehängt oder aufgestellt. Aber wie ist das mit den Kameras im öffentlichen Raum? Wir haben heute ja schon mehrfach über den Nachtragshaushalt gesprochen und auch über die aktuellen Pläne der Landesregierung diskutiert, nun öffentliche Straßen und öffentliche Plätze ständigen Blicken der Überwachung auszusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade jetzt massenhaft Kameras aufzuhängen, vermittelt meines Erachtens doch mehr ein trügerisches Gefühl der Scheinsicherheit. Der Staat darf sich da gerade nicht zu einem allgegenwärtigen Auge im öffentlichen Leben entwickeln.

Meine Damen und Herren, wir haben aus gutem Grund einen § 15a im Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, der enge Vorgaben für Videobeobachtungen an öffentlichen Orten macht. Jeglichem Ansinnen einer Ausweitung dieses Paragrafen haben wir auch in einstiger Regierungsverantwortung hier in Nordrhein-Westfalen immer widersprochen. Das Gesetz verlangt zu Recht entsprechende Kriminalitätsschwerpunkte.

Bislang sind unsere Polizeibehörden im Land auch mit gutem Beispiel vorangegangen. Der § 15a wird derzeit nur noch in zwei Behörden im Land tatsächlich genutzt, obwohl wir seit Jahren viel mehr Kriminalitätsschwerpunkte in Nordrhein-Westfalen haben, die man nach geltendem Recht auch überwachen könnte. Nehmen wir einmal die Heimatstadt von Herrn Jäger, Duisburg, und dort Marxloh – rechtsfreie Räume, Rocker, No-go-Areas. Warum gibt es an diesem Ort eigentlich keine polizeiliche Videoüberwachung, obwohl er auch ein Kriminalitätsschwerpunkt ist? Meine Damen und Herren, ich meine, weil hier die Antwort sein müsste, mehr Polizei auf die Straße zu bekommen, und ein konsequentes Durchgreifen und klare Konzepte nötig sind, statt mehr Kameras aufzustellen.

Das Ganze macht auch nur Sinn – wir haben es mehrfach besprochen –, wenn wirklich Beamte zur Verfügung stehen, die tatsächlich einschreiten und Straftaten unterbinden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss auch einmal kritisch hinterfragen, warum jetzt offenbar so viele Polizeibehörden umschwenken. Ist das tatsächlich eine Entscheidung vor Ort, wie das Polizeigesetz es vorsieht, oder ist das doch mehr Vorgabe von oben? Wir haben entsprechende Mittel, die im Nachtragshaushalt für mehr Videoüberwachung bereitgestellt werden. Da drängt man die Behörden doch schon von oben; man motiviert sie, hier auch mehr technische Überwachung durchzuführen.

Da wundere ich mich schon ein wenig über die grüne Fraktion hier im Haus. Plötzlich sind Videokameras dann doch Heilsbringer. Die jahrelangen – auch richtigen – Vorbehalte gegenüber einer Überwachungsmentalität geraten hier mehr oder minder in den Hintergrund.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Das ist auch besser, Herr Kollege Lürbke!)

– Herr Bolte, ganz kollegial: Ich finde es schon ein bisschen schade, dass Sie hier Ihre grundsätzlichen Positionen zum Thema „Datenschutz und Bürgerrechte“ vielleicht auch aus gewissen Koalitionszwängen ein wenig in den Hintergrund stellen,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das haben Sie doch genauso gemacht!)

um es einmal so zu formulieren.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Lächerlich!)

Meine Damen und Herren, auch wir wünschen der neuen LDI, Frau Helga Block, natürlich viel Erfolg bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe. Wir werden das Thema „Datenschutz und Informationsfreiheit“ hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen natürlich weiter konstruktiv begleiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und Theo Kruse [CDU])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Herrmann das Wort.

Frank Herrmann*) (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und zu Hause! Ich gehe davon aus, dass Herr Lepper zu Hause zuguckt; denn auch die Piratenfraktion bedankt sich natürlich bei dem ehemaligen Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit für die Erstellung dieses Berichts. Der 22. Bericht betrifft die Jahre 2013/2014 und insofern seinen Tätigkeitszeitraum.

Der Bericht zeigt auch, wie vielfältig und anspruchsvoll die Aufgaben des Beauftragten sind. Er zeigt aber auch, dass es viele Bereiche gibt, in denen das Land sich noch verbessern muss, wo Mängel vorliegen – von der Datensicherheit in der öffentlichen Verwaltung, bei der Stärkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch Reduzierung der Videoüberwachung, bei Informationspflichten der Sicherheitsbehörden oder bei der Gewährung des Zugangs zu Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz.

Zum letztgenannten Punkt werden wir im Innenausschuss noch weiter einen Antrag der Piratenfraktion verhandeln. Herr Bolte, das machen wir nicht hier. Das machen wir in aller Ausführlichkeit im Ausschuss;

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

denn mit der Informationsfreiheit hat diese Landesregierung ja immer noch zu kämpfen, wie man auch ihrer Stellungnahme entnehmen kann. Ich empfehle insbesondere die Lektüre zu den Themen „Open Data“ und „FragDenStaat.de“.

Daher an dieser Stelle nochmals einen ausdrücklichen Dank an Herrn Lepper, dass er in seinem Bericht keinen Zweifel an der Notwendigkeit der Öffnung der Verwaltung im Sinne einer weitgehenden Transparenz des staatlichen Handelns lässt und auch erwähnt, dass immerhin eine Fraktion in dieser Legislaturperiode den Entwurf eines Transparenzgesetzes eingebracht hat.

Die Untätigkeit der Landesregierung in diesem Bereich ist wirklich eine Bankrotterklärung. Sie ist offensichtlich dabei, den Transparenzgedanken zu beerdigen. Ich zitiere aus dem Bericht:

„Dabei darf jedoch auf keinen Fall darauf verzichtet werden, endlich die erforderlichen gesetzlichen Veröffentlichungspflichten zu schaffen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Herr Bolte, ich habe Ihre Worte vernommen, aber wir hoffen, nein, wir erwarten, dass Sie bald ein Transparenzgesetz vorlegen.

Meine Damen und Herren, der Datenschutz und das Recht auf die informationelle Selbstbestimmung sind zentrale Fragen in der Informations- und Wissensgesellschaft. Die Digitalisierung schafft und bietet viele Möglichkeiten und Chancen für die öffentliche Hand, für die Zivilgesellschaft und für die Wirtschaft.

Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass Sicherheit und Freiheit nicht verloren werden. Neue Formen der Kriminalität von Datenklau, Identitätsdiebstahl und Cybercrime können wir nur präventiv bekämpfen. Dazu brauchen wir sichere und datensparsame elektronische Dienstleistungen. Die Forschung und Entwicklung sicherer und datenschutzfreundlicher Technologien ist eine der großen Chancen für Nordrhein-Westfalen.

Die Forderung im Bericht des LDI – ich zitiere –, „die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen für besseren Datenschutz in der Praxis zu schaffen“, ist aktueller denn je.

Nachdem der Europäische Gerichtshof festgestellt hat, dass das Transatlantische Safe-Harbour-Abkommen unvereinbar mit der Grundrechtecharta der Europäischen Union ist, steht inzwischen der Nachfolgevertrag „Privacy Shield“ in den Startlöchern und auch in der Kritik. Nach einer ersten Prüfung erfüllt der Vertrag keinesfalls die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs. Im Moment ist es also auch für nordrhein-westfälische Unternehmen ein hohes Risiko, Services zu nutzen, die personenbezogene Daten auf Servern in den USA speichern. Hier kann und muss die Landesregierung sich auf allen Ebenen für einen starken Datenschutz einsetzen.

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich dem ehemaligen Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit noch einmal meinen herzlichsten Dank für sein Engagement und seinen Einsatz für den Datenschutz und für die Informationsfreiheit aussprechen.

(Beifall von den PIRATEN)

Der Bericht lohnt die Lektüre wirklich. Er ist auch nicht nur für Techniker zu lesen, sondern für jeden ein Gewinn.

Ich hoffe, dass seine Forderungen an die Politik bei Ihnen, verehrte Abgeordnete der rot-grünen Fraktionen, nicht ungehört bleiben und wir in diesem Jahr wirklich noch gemeinsam zu einem Transparenzgesetz für Nordrhein-Westfalen, zumindest in der Beratung hier, kommen werden.

Lassen Sie mich mit einem Zitat der neuen Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Frau Helga Block, schließen:

Gerade in Zeiten der Verunsicherung und der Sorge um die innere Sicherheit sehe ich die Gefahr, dass die Freiheitsrechte der Bürger ins Hintertreffen geraten. Mit den Überwachungsinstrumenten muss aber zu allen Zeiten verantwortungsvoll umgegangen werden.

Frau Block, seien Sie versichert, dass wir beim Schutz der Freiheitsrechte immer an Ihrer Seite stehen und uns auch sehr an der Kontrolle der leider viel zu viel in diesem Land vorhandenen Überwachungsinstrumente gelegen ist.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.

Frank Herrmann*) (PIRATEN): Nicht nur beim Thema der Ausweitung der Videoüberwachung setzen wir daher auf Ihre Initiative. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung erteile ich in Vertretung für Herrn Minister Jäger Herrn Minister Kutschaty das Wort. Bitte.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich darf im Namen der Landesregierung dem bisherigen Landesdatenschutzbeauftragten für seine geleistete Arbeit und insbesondere für den 22. Bericht, den wir heute hier diskutieren, sehr herzlich danken und zugleich auch der neuen Landesdatenschutzbeauftragten noch einmal viel Erfolg für die Arbeit wünschen. Sie hat sich ja schon bestens in die neue Aufgabe eingearbeitet.

Der Landesdatenschutzbericht enthält eine ganze Reihe von Informationen und wertvollen Hinweisen für Privatpersonen, für die Wirtschaft, aber auch für öffentliche Behörden – und für den Gesetzgeber natürlich allemal. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen setzt sich sehr intensiv mit diesem Landesdatenschutzbericht auseinander. Wir nehmen die dort vorgetragenen Anregungen und Bemerkungen sehr ernst und setzen uns damit sehr kritisch und sehr intensiv auseinander.

Das zeigt Ihnen auch unsere ausführliche Stellungnahme zum Landesdatenschutzbericht. Unsere Stellungnahme ist zwar nicht so lang ausgefallen wie der Landesdatenschutzbericht selbst. Das zeigt aber auch, dass wir nicht in allen Bereichen konträre Auffassungen zur Landesdatenschutzbeauftragten haben, sondern in vielen Punkten sogar durchaus einer Meinung sind. Gleichwohl setzt sich unsere Stellungnahme sehr differenziert mit den Punkten der Landesdatenschutzbeauftragten und des damaligen Landesdatenschutzbeauftragten auseinander.

Der Bericht samt Stellungnahme ist schon intensiv im Innenausschuss diskutiert worden, sodass ich an dieser Stelle nicht noch einmal alle Details aufrollen möchte. Gestatten Sie mir zum Schluss hier jedoch noch einen Hinweis zu einer Anmerkung, die von Herrn Lürbke gerade noch einmal angebracht worden ist. Wir haben heute Morgen bei der Einbringung des Nachtragshaushalts auch die Frage der inneren Sicherheit in unserem Lande diskutiert und in diesem Zusammenhang auch die Frage der Videobeobachtung schon einmal erörtert. Sie haben es gerade noch einmal angesprochen.

Seien Sie sich sicher: Auch für einen Rechtspolitiker ist es natürlich erst einmal sehr mit Vorsicht zu genießen, wenn weitere Beobachtungsmaßnahmen geplant werden. Hier gibt es selbstverständlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das bei uns auch sehr hoch gehalten wird.

Aber ich glaube schon, auch als Rechtspolitiker, der sich sehr für die Freiheitsrechte in diesem Land einsetzt, sagen zu können, dass wir hier sehr wohl einen ausgewogenen Weg finden können, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu stärken, ohne in allzu großer Weise datenschutzrechtliche Probleme zu bekommen.

Deswegen sprechen wir auch nicht – das wäre meiner Meinung nach auch eine völlige Fehldarstellung; so haben Sie es, glaube ich, auch nicht gemeint, Herr Lürbke – von einer flächendeckenden Videoüberwachung in unserem Land, sondern halten uns konkret an die rechtlichen Möglichkeiten, die uns der § 15a des Polizeigesetzes einräumt.

Das sind übrigens Maßnahmen, die, wenn ich mich richtig erinnere, an den ersten vier Standorten durch einen FDP-Innenminister in Nordrhein-Westfalen eingeführt worden sind. Es geht um eine ganz genaue Beobachtung an Kriminalitätsschwerpunkten, die dazu dienen soll, dass sich die Menschen gerade in diesen Bereichen wieder sicherer fühlen können. Damit stärken wir beide Bereiche, nämlich die Sicherheit, aber auch die Freiheit des Einzelnen, sich sicher fühlen zu können.

Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir mit diesen behutsamen, aber sehr geordneten Maßnahmen zur Videobeobachtung keine Konflikte herbeiführen und dass es insgesamt eine sinnvolle Maßnahme sein kann und auch sein wird.

In diesem Sinne bleibt jedoch meine herzliche Bitte an alle – und ich glaube, das nehmen wir als gemeinsame Aufgabe wahr –, den Landesdatenschutzbericht nicht nur heute einmal hier zu beraten und dann zur Seite zu legen, sondern ihn als ständigen Begleiter für unsere weitere politische Beratung auch bei anderen Tagesordnungspunkten zurate zu ziehen.

Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich für Ihre geteilte Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 16/11158, den 22. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit – dieser ist nachzulesen in Vorlage 16/2934 – und die Stellungnahme der Landesregierung hierzu in Vorlage 16/3580 zur Kenntnis zu nehmen. – Ich stelle fest, dass der Landtag Nordrhein-Westfalen mit der gerade beendeten Debatte diese Kenntnisnahme der Vorlagen 16/2934 und 16/3580 vollzogen hat.

Ich rufe auf:

16 Stärkung und Aufwertung der Pflege durch mehr Selbstverwaltung – Nordrhein-Westfalen braucht eine Pflegekammer

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11224

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen somit unmittelbar zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11224 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Stimmt jemand dagegen oder enthält sich? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

17 Bargeld – Freiheit – Privatsphäre – PUNKT!
Keine Obergrenze für Barzahlungen! – Wehret der schleichenden Abschaffung des Bargelds und einem weiteren Schritt hin zum Überwachungsstaat

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11217 – Neudruck

Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Schön von uns abgeschrieben! Herzlichen Glückwunsch!)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11217Neudruck – an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Jeweils keine. Die Überweisungsempfehlung ist einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

18 Kommunen dürfen nicht auf Flüchtlingskosten sitzenbleiben – Landesregierung muss jetzt eine Kurskorrektur bei der Flüchtlingspauschale vornehmen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11228

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11310

Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen.

Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11228 an den Innenausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Aussprache und Abstimmung – selbstverständlich auch über den Entschließungsantrag Drucksache 16/11310 – sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Jeweils keine. Einstimmig so beschlossen.

Ich rufe auf:

19 Funkregulierung: Angriff auf freie Firmware stoppen, Freifunk und Verbraucherschutz bewahren!

Antrag
des Abg. Schwerd (fraktionslos)
Drucksache 16/11214

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen somit unmittelbar zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11214 an den Ausschuss für Kultur und Medien. Die abschließende Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Jeweils keine. Auch diese Überweisungsempfehlung ist einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

20 Wahl der stellvertretenden Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/11192

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen somit zur Abstimmung über den Wahlvorschlag. Wer für diesen Wahlvorschlag ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Stimmt jemand gegen den Wahlvorschlag der SPD oder enthält sich? – Das kann ich jeweils nicht erkennen. Damit ist der Wahlvorschlag Drucksache 16/11192 einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

21 Wahl des Vorsitzenden des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11235

Eine Aussprache ist wiederum nicht vorgesehen.

Wir kommen somit zur Abstimmung. Wer ist für den Wahlvorschlag der CDU? – Stimmt jemand dagegen oder enthält sich? – Nein. Damit ist der Wahlvorschlag der CDU-Fraktion Drucksache 16/11235 einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

22 Wahl der Vertrauensleute und ihrer Stellvertreter für die Ausschüsse zur Wahl der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter bei den Finanzgerichten Düsseldorf und Münster

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11238

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen somit zur Abstimmung über den Wahlvorschlag. Wer ist für diesen gemeinsamen Wahlvorschlag der genannten Fraktionen? – Stimmt jemand dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit darf ich feststellen, dass der vorgelegte Wahlvorschlag Drucksache 16/11238 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP und der Stimme des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd bei Enthaltung der Piratenfraktion mit großer Mehrheit angenommen ist.

Ich rufe auf:

23 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 38
gem. §
82 Abs. 2 GO
Drucksache 16/11239

Die Übersicht 38 enthält vier Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung an einen Ausschuss zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden, sowie einen Entschließungsantrag. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist wie üblich aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen entsprechend der genannten Übersicht. Wer möchte das Abstimmungsverhalten der Fraktionen bestätigen? – Möchte ein Abgeordnetenkollege dieses Abstimmungsverhalten nicht bestätigen oder sich enthalten? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit sind die in Drucksache 16/11239 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse einstimmig bestätigt.

Ich rufe auf:

24 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/40
gem. § 97 Abs. 8 GO

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das kann ich nicht erkennen.

Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Auch das ist offensichtlich nicht der Fall. Damit stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass der Landtag Nordrhein-Westfalen diese Beschlüsse des Petitionsausschusses in Übersicht 16/40 bestätigt hat.
Damit, meine Kolleginnen und Kollegen, sind wir schon am Ende unserer heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, den 3. März 2016, 10 Uhr.

Ihnen allen wünsche ich einen angenehmen Abend.

Die Sitzung des Landtags ist geschlossen.

Schluss: 17:24 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

Anlage 1

Zu TOP 11 – „Gesetz über die Regierungskammer Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Reden

Dietmar Brockes (FDP): :

Mit dem Dritten Energiebinnenmarktpaket der EU aus 2009 wurde beschlossen, die Strom- und Gasmärkte in der EU weiter zu liberalisieren und die Verbraucherrechte zu stärken. Hierzu zählt auch die Vorgabe, die Landesregulierungsbehörden zu stärken und ihre Unabhängigkeit sicherzustellen. Es muss gewährleistet sein, dass Regulierungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben erstens rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen sind, zweitens unabhängig von Marktinteressen handeln und drittens keinen direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen unterliegen.

Das bedeutet, dass die Regulierungsbehörden unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen können. Außerdem müssen sie mit dem für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben angemessenen personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden.

Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hat diese Vorgaben auf Bundesebene bereits im Jahr 2011 mit der seinerzeitigen Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes erfüllt.

In Nordrhein-Westfalen hat sich die rot-grüne Landesregierung dagegen einen schlanken Fuß gemacht und lediglich eine entsprechende Organisationsverfügung erlassen.

Dies ist aber nicht ausreichend, da die Entscheidung über die Einrichtung eines regierungsunabhängigen Raumes allein dem Gesetzgeber vorbehalten ist.

Mit dem Gesetz über die Regulierungskammer NRW wird dieses rot-grüne Versäumnis behoben, der rechtswidrige Zustand endlich beendet und die Arbeit der Regulierungskammer auf eine rechtlich tragfähige Grundlage gestellt.

Die FDP-Fraktion wird dem Gesetz daher zustimmen.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN):

Dem vorliegenden Gesetzentwurf für das Gesetz über die Regulierungskammer Nordrhein-Westfalen kann auch unsere Fraktion ihre Zustimmung geben.

Die gegenwärtige Organisationsstruktur der zuständigen Landesregulierungsbehörde unseres Landes genügt den Anforderungen des Energiebinnenmarktes nicht. Sie unterliegt in ihrer derzeitigen Form dem Weisungsrecht des Wirtschaftsministeriums.

Damit ist, ohne dem Minister hier etwas zu unterstellen, ihre Unabhängigkeit bei wichtigen Entscheidungen nicht garantiert, auch wenn diese formal durch eine Organisationsverfügung aus dem Jahr 2011 sichergestellt ist.

Die Übertragung der regulierungsrechtlichen Entscheidungen auf eine Regulierungskammer ist daher folgerichtig. Dort werden Entscheidungen zukünftig in einem gerichtsähnlichen Verfahren getroffen, was den Anforderungen der Europäischen Union genügt.

Die notwendige Umsetzung des Artikels 35 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt sowie des Artikels 39 der Richtlinie 2009/73/EG für den Erdgasbinnenmarkt werden unseres Erachtens mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erfüllt.

Auch andere Bundesländer, so zum Beispiel Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, haben diesen Weg der Umsetzung gewählt, auch NRW kann soll ihn gehen.

Mehr ist dazu auch nicht zu sagen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE):

Es gibt sicherlich Gesetzesinitiativen der Landesregierung, die hier im Landtag deutlich mehr Anlass zur Kontroverse bieten, als der vorliegende Gesetzesentwurf über die Regulierungskammern, denn hierbei handelt es sich ausschließlich um eine Umsetzung des dritten EU-Energiebinnen-marktpakets.

Darin wird vorgegeben, dass die nationalen Regulierungsbehörden unabhängig sein müssen von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen, von Marktinteressen und von Regierungsstellen. Da diese Vorgaben durch die bisherige Organisation nicht ausreichend abgedeckt werden, sollen nun folgende Regelungen durch das vorliegende Gesetz umgesetzt werden, die so oder in ähnlicher Form in den anderen Bundesländern bereits angewandt wurden.

Erstens: Die Regulierungskammer wird zwar beim MWEIMH angesiedelt, aber institutionell und personell unabhängig und unterliegt somit keinerlei Weisungen des Ministers. Zweitens ist die Kammer haushaltsrechtlich unabhängig von der Landesregierung und drittens werden auch an die Mitglieder hohe Erwartungen in Bezug auf ihre Unabhängigkeit gestellt.

Diese Schritte sind aus unserer Sicht geeignet, um die Vorgaben der EU-Richtlinien wirksam umzusetzen und somit für eine vernünftige Kontrolle und Regulierung auf dem Strom- und Gasmarkt zu sorgen. Ziel muss es sein, einen ungehinderten Zugang für alle Anbieter, insbesondere auch kleinere Anbieter, zu gewährleisten.

Netze sind ein natürliches Monopol, denn auf Grund ihrer hohen Fixkosten und geringen Grenzkosten werden keine parallelen Strukturen aufgebaut. Natürliche Monopole zeichnen sich folglich auch dadurch aus, dass sich besonders ausgeprägte steigende Skalenerträge ergeben, das heißt: Mit jeder zusätzlich produzierten Einheit – im Fall der Netze durch jeden neuen Netzanschluss – steigt der Ertrag verhältnismäßig an.

Um die Ausnutzung der Marktmacht in einem natürlichen Monopol zu verhindern, werden die Preise reguliert, das heißt: Basierend auf einer umfangreichen Kosten- und Effizienzanalyse und einer theoretischen Gewinnmarge wird eine Erlösobergrenze für die Regulierungsperiode festgesetzt, aus der sich die Netzentgelte ergeben. Aus dieser Erlösobergrenze muss der Netzbetreiber sowohl seine Kosten als auch seinen Gewinn bestreiten.

Die Regulierungsbehörde ist dafür zuständig, diese natürlichen Monopole zu überwachen und zu kontrollieren sowie die Anreizregulierung (mit-) umzusetzen. Bei größeren Unternehmen übernimmt dies die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsbehörde.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir die Rahmenbedingungen für die Umsetzung der erforderlichen Unabhängigkeit der Behörde und gewährleisten hiermit einen sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Betrieb der Strom- und Gasnetze.

Daher stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf gerne zu.

Dr. Günther Bergmann (CDU):

Ich mache es ganz kurz: Die CDU-Fraktion stimmt dem vorgelegten Gesetzentwurf zu. Dieser Entwurf setzt Vorgaben der Europäischen Union in Landesrecht um.

Die Mitgliedsstaaten der EU müssen insbesondere gewährleisten, dass die Regulierungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben

1. rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen sind,

2. unabhängig von Marktinteressen handeln und

3. keinen direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen unterliegen.

Der Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfes ist zu entnehmen, dass die gegenwärtige Organisationsstruktur der Landesregulierungsbehörde in Nordrhein-Westfalen den Anforderungen des Dritten EU-Energiebinnenmarktpakets nicht genügt, da das als Landesregulierungsbehörde tätige Referat des Wirtschaftsministeriums unter anderem einem ministeriellen Weisungsrecht unterliegt. Der vorliegende Gesetzentwurf schafft hier endlich Abhilfe, weshalb wir gerne zustimmen.

Leider kommt die Umsetzung sehr spät. Andere Länder haben bereits vor Jahren die Vorgaben der EU in Landesrecht umgesetzt. Sachsen und Bayern haben bereits 2012 Regulierungskammern eingerichtet, Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen haben entsprechende Gesetze 2013 verabschiedet. Dass die nordrhein-westfälische Landesregierung drei Jahre länger gebraucht hat, zeigt einmal mehr, dass der Fokus dieser Landesregierung leider nicht auf der Wirtschaftspolitik liegt.

Elisabeth Müller-Witt (SPD):

Der vorliegende Gesetzentwurf soll die Vorschriften des sogenannten Dritten EU-Binnenmarkt-pakets, welche die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden für den Elektrizitätsbinnenmarkt sowie den Erdgasbinnenmarkt garantieren sollen, in Landesrecht umsetzen.

Die Mitgliedsstaaten müssen dafür Sorge tragen - Zitat aus der Vorlage 16/10189 -, „dass die Regulierungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben

– rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen sind,

– unabhängig von Marktinteressen handeln und

– keinen direkten Weisungen von Regulierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen unterliegen; das bedeutet, dass die Regulierungsbehörden unabhängig von allen politischen Stellen selbstständige Entscheidungen treffen könnten.“

Dieser Vorgabe unterliegen auch die Landesregulierungsbehörden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden legt die Landesregierung NRW wie schon andere Landesregierungen zuvor ein Gesetz über die Regulierungskammern Nordrhein-Westfalen dem Landtag vor, das die europäischen Vorgaben umsetzt.

Fazit: Die SPD-Fraktion stimmt dem vorgelegten Gesetzentwurf über die Regulierungskammer Nordrhein-Westfalen zu.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk:

Das sogenannte Dritte EU-Energiebinnenmarkt-paket (Strom und Gasrichtlinien aus 2009) enthält Anforderungen an die Unabhängigkeit nationaler Regulierungsbehörden. Danach müssen die Mitgliedsstaaten insbesondere dafür sorgen, dass die Regulierungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen sind, dass sie unabhängig von Marktinteressen handeln und dass sie keinen direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen unterliegen.

Das bedeutet, dass die Regulierungsbehörden unabhängig von allen politischen Stellen selbstständige Entscheidungen treffen können.

Diese Vorgaben richten sich an den Bund und an die Länder. Mehrere andere Länder mit eigenen Regulierungsbehörden haben deshalb inzwischen entsprechende gesetzliche Vorschriften geschaffen.

In Nordrhein-Westfalen genügt die gegenwärtige Organisationsstruktur der Landesregulierungsbehörde dem Dritten EU-Energiebinnenmarktpaket noch nicht, weil das als Landesregulierungsbehörde tätige Referat des Wirtschaftsministeriums bisher noch nicht durch Gesetz vom ministeriellen Weisungsrecht ausgenommen wurde.

Die Organisation der für die Aufgaben der Landesregulierungsbehörde zuständigen Stelle in Nordrhein-Westfalen muss deshalb durch eine gesetzliche Regelung an die EU-rechtlichen Vorgaben des Dritten EU-Energiebinnenmarktpakets angepasst werden.

Durch das Gesetz über die Regulierungskammer Nordrhein-Westfalen werden die Aufgaben, die gemäß dem Energiewirtschaftsgesetz die Landesregulierungsbehörde zu erledigen hat, einer Regulierungskammer übertragen. Diese entscheidet in einem gerichtsähnlichen Verfahren.

Dadurch wird der erforderlichen demokratischen Legitimation des hoheitlichen Handelns der Staatsverwaltung Rechnung getragen – als Kompensation des Ausschlusses des ministeriellen Weisungsrechtes. Die Regelung orientiert sich an den Vorschriften über die Vergabekammern nach den §§ 104 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).

Im Einzelnen regelt das Gesetz insbesondere die Errichtung und Besetzung der Regulierungskammer Nordrhein-Westfalen beim Wirtschaftsministerium, die institutionelle Unabhängigkeit der Regulierungskammer einschließlich der persönlichen Unabhängigkeit ihrer Mitglieder bei der Wahrnehmung von Regulierungsaufgaben.

Die Regulierungsbehörde Nordrhein-Westfalen bestimmt über die Erlösobergrenzen von rund 200 Strom- und Gasverteilnetzbetreibern in unserem Lande und leistet damit einen Beitrag zu angemessenen Netzentgelten.

Mit dem Gesetz wird die organisatorisch-formalrechtliche Grundlage geschaffen, dass diese Tätigkeit im Dienste der gewerblichen und privaten Endverbraucher auch zukünftig in einem Rechtsrahmen wahrgenommen wird, der europarechtlichen Anforderungen genügt.

Der Wirtschaftsausschuss hat den Gesetzentwurf am 21.01.2016 einstimmig gebilligt und empfiehlt seine Annahme in der heutigen Sitzung. Die Landesregierung schließt sich dieser Empfehlung an.

 

Anlage 2

Zu TOP 12 – „Gesetz zur Änderung des Landesministergesetzes und weiterer Gesetze“ – zu Protokoll gegebene Rede

Thomas Kutschaty, Justizminister:

Die Frage der angemessenen Versorgung von Ministerinnen und Ministern, deren Amtszeit endet, wird immer wieder dann zum Thema, wenn neue Regierungen ihr Amt antreten oder Kabinette umgebildet werden.

Die bestehenden Regelungen in Bund und Ländern werden dabei in aller Regel kritisch hinterfragt. Was auch durchaus verständlich ist, denn schließlich sind es Steuermittel, die dafür aufgewandt werden.

Der Innenminister hatte bereits im September letzten Jahres, als es hier bei uns in NRW zu einem Wechsel von Ministerposten kam, angekündigt, das Ministergesetz in NRW zeitgemäßer und gerechter, angemessen und nachvollziehbar zu gestalten. Denn die bisherigen Regeln zur Versorgung sind in der Tat reformbedürftig.

Die Höhe der Einstiegsversorgung und der Beginn der Ruhegehaltszahlung entsprechen nicht den Veränderungen, wie sie in den vergangenen Jahren bei Beamten und Arbeitnehmern vorgenommen worden sind.

Dieser Gesetzentwurf soll an dieser Stelle für mehr Gerechtigkeit sorgen.

Die Versorgung wird künftig einen der abgeleisteten Amtszeit und der Bedeutung des Amtes angemessenen Teil der gesamten Alterssicherung ausmachen.

Auf zwei Aspekte des Gesetzentwurfs will ich besonders hinweisen:

Zum einen auf die Veränderung des Einstiegs in die Altersregelung. Das Ruhegehalt für Ministerinnen und Minister wird nicht mehr wie bisher mit dem 60. Lebensjahr ausgezahlt. Stattdessen wird der Einstieg bis zur Regelaltersgrenze von 67 Jahren heraufgesetzt, so wie sie grundsätzlich für jeden Beschäftigten gilt.

Wer sein Ruhegeld bereits ab dem 60. Lebensjahr bekommen will, muss wie Beamte und tariflich Beschäftigte auch mit erheblichen Abschlägen rechnen.

Allerdings entsteht bereits ein verminderter Versorgungsanspruch bereits nach zwei  – statt bisher fünf Amtsjahren – in Höhe von dann 9,56 %. Die Versorgung steigt schrittweise mit jedem Amtsjahr.

Der zweite Punkt betrifft die Karenzzeit: Wir wollen mit dem neuen Ministergesetz eine Karenzzeit festlegen, die ein Jahr beträgt.

Die von uns vorgesehenen Einschränkungen orientieren sich an den im Sommer 2015 für die Mitglieder der Bundesregierung geschaffenen Vorgaben.

Für die Überarbeitung des Ministergesetzes haben wir uns verschiedene Vorschläge zur Reform der Ministerversorgung genau angeschaut. Unter anderem den Vorschlag des Bundes der Steuerzahler aus dem Jahre 2010.

Damit der Eindruck einer „Selbstbedienung“ erst gar nicht entsteht, haben wir ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben.

Insgesamt haben wir als Landesregierung damit eine gute Basis für konstruktive Beratungen im Hauptausschuss geschaffen.

Herzlichen Dank.

 

Anlage 3

Zu TOP 13 – „Neuntes Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes – zu Protokoll gegebene Rede

Thomas Kutschaty, Justizminister:

Der Gesetzentwurf regelt ein für die Kommunen wichtiges Thema: die Ausgestaltung der Landespauschale über das Flüchtlingsaufnahmegesetz.

Im Grunde geht es in dem Entwurf um die Regelung von drei Bereichen:

Der erste Bereich betrifft die Anrechnungsregelungen, die aufgrund neuer Strukturen zur Registrierung und Verteilung von Asylbewerberinnen und ‑bewerbern angepasst werden.

Der zweite Bereich betrifft eine Absenkung der Krankheitskosten von 70.000 auf 35.000 €, die Kommunen geltend machen können.

Der dritte Bereich betrifft die Pauschale selbst: Sie wird auf 1,94 Milliarden € erhöht.

Die Anpassungen sind auch das Ergebnis eines Kompromisses, den das Land und die Kommunalen Spitzenverbände im Dezember letzten Jahres miteinander geschlossen haben.

Die CDU hat dazu aktuell einen Antrag gestellt, der nachher ohne Debatte direkt an die Ausschüsse überwiesen wird. Dieser Antrag ist entweder Ausdruck mangelnder Sachkenntnis oder mangelnden Willens, Kenntnis von der Sache zu erlangen.

Für den Fall, dass Erstgenanntes zutrifft, will ich versuchen, zu helfen.

Auch wenn ich als Justizminister hier fachfremd bin und den Kommunalminister nur vertrete, werde ich versuchen, den Kompromiss kurz und verständlich darzustellen. Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, hilft Ihnen das weiter.

Kernpunkt des Kompromisses ist die Gestaltung der Jahre 2016 und 2017.

2016 wird dabei – auch auf Wunsch der Spitzenverbände – ein sogenanntes „Übergangsjahr“, ab 2017 stellen wir das System komplett um.

Das heißt, im kommenden Jahr gibt es eine Pauschale pro tatsächlich zugewiesenem Flüchtling und Monat, und zwar nach dem Prinzip: Das Geld folgt den Köpfen.

Wir werden dann eine monats- und personenscharfe Pauschale zahlen. Die Kommunen müssen dann nichts mehr vorfinanzieren und die Zahlungen stehen im direkten Zusammenhang mit den Zuweisungen.

In diesem Jahr ist das schlicht nicht möglich, da wir die nötigen Rahmenbedingungen – eine neue Statistik, eine neue Software – dieses Jahr nicht umsetzen können. Gerade für die Kommunen ist die Umstellung aufwendig und braucht Zeit.

Zudem liegen uns aktuell noch keine endgültigen Bestandszahlen zum Stichtag 1.1.2016 vor. Wir sind dabei, diese zu verifizieren, aber wir haben sie noch nicht.

Das heißt, wir haben als Land vorerst – ich betone, vorerst – mit einer Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge operiert. Aus der Prognose sowie aus der Einbeziehung der Geduldeten ergibt sich die vorhin erwähnte Summe: 1,94 Milliarden €.

Nun wird es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass die tatsächlichen Bestandszahlen zum 1.1.2016 etwas höher sind als die Prognose. Wir sind zwar nah dran, aber nicht nah genug.

Dazu gibt es eine eindeutige Regelung, nämlich dass wir als Land nachsteuern und diese Lücke schließen, und zwar so, dass diese Nachzahlung an die Kommunen noch 2016 kassenwirksam wird.

Teil des Kompromisses ist außerdem, dass wir die Entwicklung der Flüchtlingszahlen in 2016 weiter im Blick halten und bei einem weiteren Anstieg im Verlaufe des Jahres im 4. Quartal Gespräche aufnehmen, um nachzusteuern – das ist die sogenannte Revisionsklausel 2016.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, Sie sehen also: So kompliziert ist es nicht.

Herzlichen Dank.

 

Anlage 4

Zu TOP 14 – „Abkommen zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik – zu Protokoll gegebene Reden

Angela Freimuth (FDP):

Das Abkommen über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik war zu überarbeiten, da es seit seinem Inkrafttreten eine Reihe von Änderungen in Rechtsvorschriften gab, auf die das Abkommen verweist oder Bezug nimmt.

Zum einen wird das bestehende Abkommen durch den Staatsvertrag an die – allerdings bereits seit 2011 – geänderte bundesrechtliche Lage angepasst; das seinerzeitige Geräte- und Produktsicherheitsgesetz wurde zwischenzeitlich durch das Produktsicherheitsgesetz ersetzt, sodass die Verweisungen des bisherigen Abkommens ins Leere laufen.

Zugleich wird aber auch eine inhaltliche Neuregelung getroffen: Erstmals soll die Zuständigkeit für die Anerkennung von Prüfstellen nach der Rohrfernleitungsverordnung auf die Zentralstelle der Länder übertragen werden. Die Rohrfernleitungsverordnung betrifft Rohrfernleitungen, durch die potenziell sicherheitsgefährdende Stoffe geleitet werden.

Bisher bestand für die Anerkennung der Prüfstellen bereits eine Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer, jedoch hatten diese ganz überwiegend keine eigenen, ausdrücklichen Zuständigkeitsbestimmungen getroffen.

In NRW gilt indes die Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten für die Zulassung und Überwachung sowie Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten von bei Vorhaben nach § 20 in Verbindung mit Anlage 1 Nr. 19.3 bis 19.9 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung – UVPG – sowie für den Vollzug der Verordnung über Rohrfernleitungsanlagen – Rohrfernleitungsverordnung, die bisher in § 3 Absatz 1 die Anerkennung der Prüfstellen als Anwendungsfall der als allgemeine Aufgabe den Bezirksregierungen auferlegten Ausführung der Rohrfernleitungsverordnung begriff. Diese Kompetenz wird mit der Neuregelung und den im Anschluss notwendigen Folgeänderungen in der nordrhein-westfälischen Zuständigkeitsverordnung entfallen.

Die Zulassung von Prüfsachverständigen oder Prüfstellen galt jedoch auch schon nach der bisherigen Rechtslage bundesweit, und zwar unabhängig davon, welches Bundesland sie erteilt hatte. Um insofern eine einheitliche Anerkennungs- und Verwaltungspraxis zu schaffen, erachtet es meine Fraktion für sachgerecht, künftig nurmehr die Zentralstelle – eine Behörde des Freistaats Bayern – mit der notwendigen Prüfung der Anerkennungsvoraussetzungen und der Erteilung der Anerkennung zu betrauen. Das gilt selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass nordrhein-westfälische Behörden dadurch einen Teilaspekt ihrer Prüfungs- und Handlungskompetenzen verlieren werden, zumal damit eine Verwaltungsentlastung für Nordrhein-Westfalen verbunden ist.

Der vorliegende Staatsvertrag wählt zur Umsetzung seiner Ziele im Übrigen auch keine verfassungsrechtlich bedenklichen Mittel, wie dies etwa beim Glücksspielstaatsvertrag der Fall ist.

Dort ist – wie mehrere Fachgerichte bereits für Recht erkannt haben – in Gestalt des sogenannten Glücksspielkollegiums eine bundesstaatswidrige „dritte Ebene“ im Staatsaufbau geschaffen worden, eine Ebene also, deren Handlungen keinem in der Verfassung vorausgesetzten Rechtsträger zugeordnet werden können. Die Entscheidungen des Kollegiums sind weder einem bestimmten Bundesland noch dem Bund selbst zuzuordnen.

Mit Blick auf die Rohrfernleitungsverordnung verhält es sich anders: Hier ist eindeutig eine Behörde des Freistaats Bayern – nämlich das für den technischen Arbeits- und Verbraucherschutz zuständige Bayerische Staatsministerium – als zuständig bezeichnet worden, sodass alle Handlungen jener Behörde einem konkreten Rechtsträger – dem Freistaat Bayern – zugeordnet werden können und dieser Rechtsträger für sie auch verantwortlich ist.

Es bestehen daher aus rechtlicher Sicht und mit Blick auf das Ziel der Verwaltungsvereinfachung und Effizienzsteigerung für meine Fraktion keine Bedenken gegen eine Zustimmung zu dem vorliegenden Staatsvertrag.

Vielen Dank.

Werner Jostmeier (CDU):

Die Änderung des (staatsvertraglichen) Abkommens über die ZLS verfolgt zwei Zielsetzungen:

Zum einen soll der Wortlaut an den aktuellen Rechtsrahmen angepasst werden, was die Umstellung vom alten Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) auf das seit 1. Dezember 2011 neu geltende Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) erforderlich macht.

Zum anderen soll als neue Aufgabe die Anerkennung von Prüfstellen gemäß § 6 Rohrfernleitungsverordnung (RohrFltgV) auf die ZLS staatsvertraglich abgesichert werden.

Die Umsetzungen zum erstgenannten Punkt sind rein gesetzestechnischer und redaktioneller Natur.

Die Veränderungen betreffen zum Zweiten die Umstellung von anerkannten Einzelsachverständigen zum organisationsbezogenen Prüfwesen mit anerkannten Prüfstellen. Bislang haben nur fünf Bundesländer (BW, NI, NRW, RP und TH) explizite Zuständigkeitsregelungen für die Anerkennung von Prüfstellen geschaffen. Die übrigen Länder haben in Erwartung einer Übertragung der Aufgabe auf die ZLS von einer Regelung abgesehen.

Da die Rohrfernleitungsverordnung auf dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) beruht, welches als Rechtsgrundlage dem Abkommen über die ZLS in der aktuellen Fassung fremd ist, ist eine staatsvertragliche Änderung des Abkommens über die ZLS erforderlich und schaltet ein bloßes Verwaltungsabkommen nach Artikel 2 Abs. 8 des Abkommens aus. Die Übertragung dieser neuen Aufgabe soll die Verwaltungseffizienz erhöhen, einen bundesweit einheitlichen Vollzug sichern und Kosten sparen.

Wir stimmen daher dem Antrag der Landesregierung zu.

Michele Marsching (PIRATEN):

Die Landesregierung hat dem Landtag das Abkommen über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik in seiner aktuellen Fassung nicht vorgelegt. Das Abkommen ist auch nicht über das Onlineportal „Recht.NRW“ des Ministeriums für Inneres und Kommunales einsehbar. Dort ist jedenfalls bis heute nur eine Fassung des Abkommens aus dem Jahr 2003 dargestellt.

Daher sind die vorgeschlagenen Änderungen im Abkommen zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle für Sicherheitstechnik in der Fassung der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 25.02.2016, Drucksache 16/11237, für uns nicht nachvollziehbar. Ich empfehle daher meiner Fraktion, diesem Abkommen nicht zuzustimmen oder sich zumindest zu enthalten.

Hans Christian Markert (GRÜNE):

Wir beraten heute über die Zukunft des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik. Diese Zentralstelle wird von den Ländern gemeinsam getragen und finanziert. Sie erkennt gemeinsam für alle Länder Stellen an, die im Vollzug des europäischen Gemeinschaftsrechtes sowie des nationalen Rechtes als zugelassene Überwachungsstellen bzw. Prüfstellen von Unternehmen die Sicherheit von Geräten, Maschinen und Anlagen überprüfen und zertifizieren.

Mit dem heute zur Abstimmung stehenden staatsvertraglichen Abkommens sollen Beschlüsse der Arbeits- und Sozialministerkonferenz umgesetzt werden. Dabei geht es einerseits darum, die Anerkennung von Prüfstellen gemäß § 6 Rohrfernleitungsverordnung als neue Vollzugsaufgabe zu verankern. Zum anderen soll der Wortlaut des Abkommens redaktionell an den aktuellen Rechtsrahmen angepasst werden.

Wir unterstützen die beabsichtigten Änderungen und werden dem Staatsvertrag daher zustimmen.

Ich danke Ihnen!

Elisabeth Müller-Witt (SPD):

Das vorliegende Abkommen zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (ZLS) ist erforderlich, da der Wortlaut des Abkommens über die ZLS an den veränderten und damit an den aktuellen Rechtsrahmen angepasst werden muss.

Ursächlich ist zum einen die Umstellung vom alten Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) auf das seit 1. Dezember 2011 neu geltende Produktsicherheitsgesetz (ProdSG).

Zum anderen soll die Anerkennung von Prüfstellen gemäß § 6 Rohrfernleitungsverordnung (RohrFltgV) als neue Aufgabe der ZLS staatsvertraglich abgesichert werden.

Dies ist rechtlich erforderlich, überdies sinnvoll und kostensparend. Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat bereits der Neuregelung des Prüfwesens im Bereich der RohrFltgV zugestimmt.

Aus den genannten Gründen stimmt die SPD- Fraktion dem vorgelegten Staatsvertrag zu.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales:

Die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik – ZLS – ist eine von allen Ländern gemeinsam getragene und finanzierte Stelle. Sie ist zuständig für die europäisch und national vorgeschriebene Anerkennung von Stellen, die die Sicherheit von Geräten, Maschinen und Anlagen überprüfen und zertifizieren.

Die ZLS nimmt diese Aufgabe für alle Länder wahr. Nach Unterzeichnung des Ursprungsabkommens über die ZLS am 16./17. Dezember 1993 hat Bayern sie als Organisationseinheit des für den technischen Arbeits- und Verbraucherschutz zuständigen bayrischen Staatsministeriums errichtet.

Das Abkommen wurde bisher drei Mal mit Abkommen vom 3. Dezember 1998, vom 13. März 2003 sowie vom 15. Dezember 2011 geändert.

Mit der jetzt vorliegenden Änderung des Abkommens wird bei der Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik als neue Vollzugsaufgabe die Anerkennung von Prüfstellen gemäß § 6 Rohrfernleitungsverordnung staatsvertraglich verankert.

Die Rohrfernleitungsverordnung ist eine Regelung, die dem Umweltrecht zugeordnet wurde. Bis vor wenigen Jahren war sie noch Bestandteil des Arbeitsschutzrechts und ist somit inhaltlich in vielen Teilen mit Systematiken aus dem Arbeitsschutzrecht deckungsgleich.

Die Aufgabe „Anerkennung von Prüfstellen gemäß § 6 Rohrfernleitungsverordnung“ ähnelt deshalb arbeitsschutzrechtlichen Anerkennungsverfahren, die die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik bereits jetzt für die Länder durchführt.

Die Erweiterung des Aufgabenspektrums der ZLS führt insgesamt zu einer Stärkung dieser Zentralstelle der Länder als Institution.

Über die Aufgabe „Anerkennung von Prüfstellen gemäß Rohrfernleitungsverordnung“ hinaus wird der Wortlaut des Abkommens redaktionell an den aktuellen Rechtsrahmen angepasst.

Ich bitte um Ihre Zustimmung.