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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/103

16. Wahlperiode

27.01.2016

103. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 27. Januar 2016

Mitteilungen der Präsidentin. 10603

Nachruf
auf den verstorbenen
Abgeordneten Uli Hahnen (SPD)

Gedenken
an die Opfer des Holocausts

1   Nachwahl eines Schriftführers des Landtags Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10874. 10606

Ergebnis. 10606

2   Uneinigkeit der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik – Landesregierung muss Farbe bekennen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10868. 10606

Dr. Joachim Stamp (FDP) 10607

Hans-Willi Körfges (SPD) 10610

André Kuper (CDU) 10613

Monika Düker (GRÜNE) 10616

Simone Brand (PIRATEN) 10621

Minister Ralf Jäger 10624

Ralf Nettelstroth (CDU) 10627

Hans-Willi Körfges (SPD) 10632

Dr. Joachim Stamp (FDP) 10634

Monika Düker (GRÜNE) 10637

Minister Ralf Jäger 10640

3   Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 41 der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen zu den massiven Straftaten in der Silvesternacht 2015 und zu rechtsfreien Räumen in Nordrhein-Westfalen („Untersuchungsausschuss Silvesternacht 2015“)

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
und der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10798 – Neudruck

Änderungsantrag
des fraktionslosen Abg. Schwerd
Drucksache 16/10884. 10643

Peter Biesenbach (CDU) 10643

Marc Lürbke (FDP) 10646

Hans-Willi Körfges (SPD) 10649

Matthi Bolte (GRÜNE) 10653

Michele Marsching (PIRATEN) 10657

Daniel Schwerd (fraktionslos) 10659

Britta Altenkamp (SPD) 10660

Ina Scharrenbach (CDU) 10663

Simone Brand (PIRATEN) 10664

Ergebnis. 10665

4   Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV und Wahl der Vorsitzenden/des Vorsitzenden

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10869. 10666

Ergebnis. 10666

5   Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. #Ausnahmslos.

Antrag
des Abg. Schwerd (fraktionslos)
Drucksache 16/10800

In Verbindung damit

Opfer nicht aus dem Blick verlieren – Täter ermitteln und bestrafen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10787

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10881

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10885. 10667

Daniel Schwerd (fraktionslos) 10667

Daniela Jansen (SPD) 10669

Josefine Paul (GRÜNE) 10671

Ina Scharrenbach (CDU) 10674

Susanne Schneider (FDP) 10676

Marc Olejak (PIRATEN) 10678

Daniela Jansen (SPD) 10680

Ministerin Barbara Steffens. 10682

Ergebnis. 10684

6   Schluss mit 'gefühlter Sicherheit' – Keine Ausweitung der Videoüberwachung in NRW

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10785. 10685

Frank Herrmann (PIRATEN) 10685

Andreas Bialas (SPD) 10687

Winfried Schittges (CDU) 10689

Monika Düker (GRÜNE) 10691

Marc Lürbke (FDP) 10695

Minister Ralf Jäger 10697

Ergebnis. 10699

7   Sofortprogramm Sicherheit in Bussen und Bahnen – Die Landesregierung ist gefordert

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10794. 10699

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10886. 10699

Henning Rehbaum (CDU) 10700

Carsten Löcker (SPD) 10702

Rolf Beu (GRÜNE) 10704

Christof Rasche (FDP) 10708

Stefan Fricke (PIRATEN) 10709

Minister Michael Groschek. 10711

Ergebnis. 10714

8   Mammographie für alle Altersschichten: Prävention stärken, Altersdiskriminierung verhindern

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/8460

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/10810

Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10906. 10715

Daniela Jansen (SPD) 10715

Astrid Birkhahn (CDU) 10717

Josefine Paul (GRÜNE) 10718

Susanne Schneider (FDP) 10720

Daniel Düngel (PIRATEN) 10723

Ministerin Barbara Steffens. 10724

Daniela Jansen (SPD) 10726

Ergebnis. 10727

9   Gesetz zur Änderung des WDR-Gesetzes und des Landesmediengesetzes Nordrhein-West-falen (15. Rundfunkänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9727

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 16/10811

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10882

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10883

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10905

Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10908

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10909. 10728

zweite Lesung. 10728

Alexander Vogt (SPD) 10729

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU) 10732

Oliver Keymis (GRÜNE) 10735

Thomas Nückel (FDP) 10738

Lukas Lamla (PIRATEN) 10740

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 10742

Ergebnis. 10745

10 Gesetz zur Errichtung des Pensionsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9568

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/10432

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10887

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10891. 10746

zweite Lesung. 10747

Heike Gebhard (SPD) 10747

Hendrik Schmitz (CDU) 10749

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 10752

Ralf Witzel (FDP) 10753

Dietmar Schulz (PIRATEN) 10757

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 10760

Ergebnis. 10763

11 Gesetz über die klinische und epidemiologische Krebsregistrierung sowie zur Änderung des Gesundheitsdatenschutzgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9518

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/10812

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10903

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10904

zweite Lesung. 10764

Angela Lück (SPD) 10764

Astrid Birkhahn (CDU) 10766

Arif Ünal (GRÜNE) 10768

Susanne Schneider (FDP) 10770

Daniel Düngel (PIRATEN) 10770

Minister Thomas Kutschaty. 10773

Ergebnis. 10774

12 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10247

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/10813

zweite Lesung. 10775

Serdar Yüksel (SPD) 10775

Oskar Burkert (CDU) 10777

Arif Ünal (GRÜNE) 10779

Susanne Schneider (FDP) 10780

Daniel Düngel (PIRATEN) 10781

Minister Thomas Kutschaty. 10782

Ergebnis. 10784

13 Gesetz zum Bürokratieabbau in den Kommunen – Kommunales Bürokratieabbaugesetz

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8649

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/10814

zweite Lesung. 10784

Elisabeth Koschorreck (SPD) 10785

Jens-Peter Nettekoven (CDU) 10786

Mario Krüger (GRÜNE) 10788

Thomas Nückel (FDP) 10790

Torsten Sommer (PIRATEN) 10792

Minister Ralf Jäger 10793

Ergebnis. 10794

14 Gesetz über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen (Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichengesetz – FwKatsEG – NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8933

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/10815

zweite Lesung. 10794

Thomas Stotko (SPD)
zu Protokoll (Siehe Anlage 1) 10794

Kirstin Korte (CDU)
zu Protokoll (Siehe Anlage 1) 10794

Verena Schäffer (GRÜNE)
zu Protokoll (Siehe Anlage 1) 10794

Marc Lürbke (FDP)
zu Protokoll (Siehe Anlage 1) 10794

Frank Herrmann (PIRATEN)
zu Protokoll (Siehe Anlage 1) 10794

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll (Siehe Anlage 1) 10794

Ergebnis. 10794

Siehe auch unter ‚Nachtrag zur Abstimmung zu TOP 14 der 103. Plenarsitzung‘ im Plenarprotokoll der 104. Sitzung nach der Abstimmung zu TOP 10

15 Gesetz zur Änderung des Landesbeamtenversorgungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10493

erste Lesung. 10795

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 10795

Ergebnis. 10796

16 Gesetz zur Änderung wasser- und wasserverbandsrechtlicher Vorschriften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10799

erste Lesung. 10796

Minister Johannes Remmel 10796

Norbert Meesters (SPD) 10799

Rainer Deppe (CDU) 10801

Hans Christian Markert (GRÜNE) 10803

Karlheinz Busen (FDP) 10805

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 10806

Ergebnis. 10808

17 Neunzehnter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Neunzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag)

Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung
zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/10719. 10808

Minister Franz-Josef Lersch-Mense )
zu Protokoll (Siehe Anlage 2) 10808

Ergebnis. 10808

18 Verfahren über die Anträge

1. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung ist verfassungswidrig.

2. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung wird aufgelöst.

3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen.

4. Das Vermögen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung wird zugunsten der Bundesrepublik Deutschland für gemeinnützige Zwecke eingezogen.

Antragsteller: Bundesrat, vertreten durch den Präsidenten des Bundesrates, Leipziger Straße 3 - 4,10117 Berlin, Bevollmächtigte: 1. Prof. Dr. Christoph Möllers, c/o Bundesrat, Leipziger Straße 3 - 4, 10117 Berlin, 2. Prof. Dr. Christian Waldhoff, c/o Bundesrat, Leipziger Straße 3 - 4, 10117 Berlin –

Antragsgegnerin: Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), vertreten durch den Bundesvorsitzenden Frank Franz, Berlin, Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Peter Richter, LL.M., Birkenstraße 5, 66121 Saarbrücken –

2 BvB 1/13
Vorlage 16/3556

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10816. 10810

Ergebnis. 10810

19 Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Behauptung der Städte Münster und Blomberg sowie der Gemeinde Hellenthal, § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2015 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2015 – GFG 2015) vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. 2014 Nr. 43, S. 929 – 968) verletzte die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung

VerfGH 17/15
Vorlage 16/3576

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10817. 10810

Ergebnis. 10810

20 Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Behauptung der Stadt Bonn, der Gemeinde Much und der Stadt Velbert, §§ 8 Ab. 3 Satz 2 und 3, 27 Abs. 3 Satz 1 und 2 des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2015 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2015 – GFG 2015) vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. S. 933 ff.) i. V. m. Anlage 3 zu diesem Gesetz verletzten die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung

VerfGH 18/15
Vorlage 16/3620

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10818. 10811

Ergebnis. 10812

21 Nachwahl eines stellvertretenden Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses III (NSU)

Wahlvorschlag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10852. 10812

Ergebnis. 10812

22 Nachwahl eines ordentlichen Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II (WestLB)

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/10880. 10812

Ergebnis. 10812

23 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 37
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 16/10819. 10812

Ergebnis. 10812

24 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/39
gem. § 97 Abs. 8 GO.. 10813

Ergebnis. 10813

Anlage 1. 10815

Zu TOP 14 „Gesetz über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen (Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzei-chengesetz – FwKatsEG – NRW)“ – zu Protokoll gegebene Reden

Thomas Stotko (SPD) 10815

Kirstin Korte (CDU) 10815

Verena Schäffer (GRÜNE) 10816

Marc Lürbke (FDP) 10816

Frank Herrmann (PIRATEN) 10817

Minister Ralf Jäger 10818

Anlage 2. 10821

Zu TOP 17 „Neunzehnter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Neunzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag)“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 10821


Entschuldigt waren:

 

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft

Minister Garrellt Duin    
(ab 15:30 Uhr)

Ministerin Christina Kampmann

Minister Franz-Josef Lersch-Mense      
(ab 19:00 Uhr)

Ministerin Sylvia Löhrmann

Minister Johannes Remmel      
       (bis 17:00 Uhr)

 

Stephan Gatter (SPD)

Helene Hammelrath (SPD)

Eva Steininger-Bludau (SPD)

 

Christian Haardt (CDU
(ab ca. 13:00 Uhr)

Ulla Thönnissen (CDU)             
(ab 13:00 Uhr)

 

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE)                       
(ab 18:15 Uhr)

Verena Schäffer (GRÜNE)        
(bis 16:00 Uhr)

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE)           
(ab 15:00 Uhr)

 

Ulrich Alda (FDP)

Yvonne Gebauer (FDP)

 

Oliver Bayer (PIRATEN)

Walter Kern (PIRATEN)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)

Kai Schmalenbach (PIRATEN)

 


Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 103. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich zehn Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte, liebe Frau Hahnen! Liebe Familie Hahnen! Am 9. Januar ist unser geschätzter Kollege Uli Hahnen nach schwerer Krankheit im Alter von nur 63 Jahren verstorben. Traurig und bewegt müssen und mussten auch wir Abschied nehmen von einem lieben Menschen, von dessen Krebserkrankung wir zwar wussten, dessen plötzlicher Tod uns aber doch völlig überrascht und umso mehr erschüttert hat. Ihnen, verehrte, liebe Frau Hahnen, und Ihrer Familie gilt unser Mitgefühl. Ich heiße Sie und Ihren Schwiegersohn in unserer Mitte von Herzen willkommen.

Uli Hahnen war mit ganzem Herzen ein engagierter Politiker. Wir alle kannten ihn vor allen Dingen als Landespolitiker. Er war aber ein Kommunalpolitiker durch und durch. Mit Leidenschaft, großem Engagement und Augenmaß widmete sich Uli Hahnen der Kommunalpolitik in seiner Heimatstadt Krefeld. So war er seit 1994, also über zwei Jahrzehnte, Fraktionsvorsitzender der SPD im Rat der Stadt Krefeld. Die Geschicke der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Krefeld hat er bis zu seinem Tod gelenkt.

Mitglied des Landtags wurde Uli Hahnen mit Beginn der 15. Wahlperiode im Jahre 2010. Er zog auch bei der vorgezogenen Landtagswahl 2012 wieder in den Landtag ein. Beide Male errang er das Direktmandat im Wahlkreis Krefeld I.

Die parlamentarische Arbeit des studierten Diplom-Finanzwirts war geprägt von großem Engagement und beeindruckender Sachkenntnis, die er als stellvertretender Vorsitzender im Haushalts- und Finanzausschuss sowie als Vorsitzender im Unterausschuss Personal des Haushalts- und Finanzausschusses einbrachte.

Uli Hahnen war ein Politiker, der sein Mandat stets mit großer Zuverlässigkeit und Geradlinigkeit wahrnahm. Gleichwohl konnte er mit Offenheit, Warmherzigkeit und Humor überzeugen, was den Sozialdemokraten über Fraktionsgrenzen hinweg beliebt gemacht hat.

Von Beginn an ist Uli Hahnen offen mit seiner Krebserkrankung umgegangen. Er war sehr optimistisch, sie besiegen zu können, auch nach dem erneuten Ausbruch im letzten Jahr. Umso betroffener sind wir nun über seinen plötzlichen Tod. Wir alle verlieren einen geschätzten Kollegen, aber viele von uns auch einen verlässlichen, guten Freund.

In der bewegenden Trauerfeier am vergangenen Mittwoch prägte Pfarrer Karlheinz Alders von Uli Hahnens Gertrudis-Gemeinde in Krefeld-Bockum folgenden Satz:

„Uli Hahnen ist viel zu früh von uns gegangen. Aber dennoch können wir feststellen: Er hat die Zeit, seine Zeit, wirklich genutzt. Er hat in Stadt, Land und Gemeinde viel bewegt.“

Mir ist bei den Schilderungen vom Pfarrer und vom Oberbürgermeister übrigens deutlich geworden, wie viel Persönliches und Berührendes viele von uns – und auch ich selbst – erst bei der Trauerfeier über unseren Kollegen, unseren Freund Uli Hahnen erfahren und kennengelernt haben. Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte uns das auch einen Hinweis auf unser künftiges Miteinander hier im Haus wert sein. Ich meine das Einander-Achten und das Aufeinander-Achten.

Der Landtag Nordrhein-Westfalen gedenkt Uli Hahnen mit Respekt und Dankbarkeit. Ihnen, liebe Frau Hahnen, und Ihrer Familie wünschen wir die Kraft und den Trost, diesen Verlust mit Gottes Hilfe tragen zu können. Ich darf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitten, sich zu Ehren des Verstorbenen, soweit Ihnen das möglich ist, von den Plätzen zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen.)

– Ich danke Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir nach diesen Worten der Erinnerung an Uli Hahnen vor Eintritt in die heutige Tagesordnung auch einige Worte zum heutigen Gedenktag – dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts.

Als am 27. Januar 1945 russische Truppen das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau erreichten, fanden sie nur noch wenige Überlebende, doch zig Millionen Kleidungsstücke und persönliche Gegenstände als Spuren der Opfer. Zehntausende waren kurz zuvor von der SS auf den Marsch in den Tod getrieben worden.

Aber auch das Leiden der Menschen in den Lagern war noch nicht beendet. Viele starben an Entkräftung, und die, die überlebten, waren traumatisiert, voller Trauer um ihre Lieben, ohne Heimat.

„Wir hatten das Gefühl“,

– so beschreibt es die ehemalige Präsidentin des Europaparlaments, Simone Veil, als Überlebende von Auschwitz –

„jede Menschlichkeit und jeden Lebensmut verloren zu haben. Wir waren allein, und dies umso mehr, als keiner wissen und hören wollte, was wir erlebt haben.“

Heute, am 27. Januar, gedenken wir der Opfer des Holocausts: sechs Millionen Juden, engagierte Christen, Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, politisch Andersdenkende.

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Zeit der Aufarbeitung und Auseinandersetzung, die Zeit der Scham und der Anerkennung einer Schuld, aus der Verantwortung gewachsen ist.

Da die Zeitzeugen immer weniger werden, die uns mit ihren Erzählungen das Geschehene weitergeben können, wird das 21. Jahrhundert die Zeit des Bewahrens und Erinnerns werden.

Wir Deutsche haben eine Vergangenheit, und diese verpflichtet uns, dass das Wissen darum gegenwärtig bleiben muss. Denn wie mahnte Buchenwald-Überlebender und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel anlässlich der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag zum 55. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz:

„Wer sich dazu herbeilässt, die Erinnerung an die Opfer zu verdunkeln, der tötet sie ein zweites Mal.“

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir nicht zulassen, dass sich ein Mantel des erneuten Verschweigens über uns legt. Daher brauchen wir gerade für die Zukunft eine würdige, eine zeitgemäße Erinnerungskultur an unsere deutsche Geschichte, die untrennbar mit dem Holocaust verbunden ist.

Jede Erinnerung ist zugleich auch Mahnung – Mahnung für den kompromisslosen Eintritt für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und für ein lautes Nein gegen jede Form von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Willkür und Diskriminierung.

„Alles, was das Böse benötigt, um zu triumphieren, ist das Schweigen der Mehrheit.“

So fasste Kofi Annan die Unvorstellbarkeit des Holocausts zusammen.

Deshalb gedenken wir der Opfer. Wir halten die Erinnerung wach. Und wir stellen uns unserer Vergangenheit, weil wir eine Verantwortung für die Gegenwart und für die Zukunft tragen – und die heißt: Nie wieder!

Ich danke Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor Eintritt in die eigentliche Tagesordnung unserer drei Plenartage möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass sich noch einige Änderungen der Tagesordnung für die Plenarsitzungen ergeben haben, die in den 2. Neudruck der Tagesordnung eingearbeitet wurden. Weitere Änderungen entnehmen Sie bitte der aktuellen Tagesordnung im Internet.

Wir treten nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1   Nachwahl eines Schriftführers des Landtags Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10874

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung über den Wahlvorschlag Drucksache 16/10874. Wer ihm zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, die Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Möchte jemand dagegen stimmen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Damit ist Herr Kollege Michael-Ezzo Solf einstimmig zum Schriftführer des Landtags Nordrhein-Westfalen gewählt worden. – Herzlichen Glückwunsch und auf gute Zusammenarbeit im sitzungsleitenden Präsidium!

(Beifall von allen Fraktionen)

Dann kann ich sofort aufrufen:

2   Uneinigkeit der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik – Landesregierung muss Farbe bekennen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10868

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 25. Januar dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der FDP Herrn Kollegen Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Flüchtlingspolitik in Deutschland, aber auch die Flüchtlingspolitik hier bei uns im Land, in Nordrhein-Westfalen, droht zu scheitern. Die Kommunen sind überfordert. Wir alle erleben das bei uns in den Wahlkreisen. Immer mehr Turnhallen werden belegt. Haupt- und Ehrenamtler sind mit ihren Kräften weitgehend am Ende. Aus einer Willkommenseuphorie wird zunehmend eine Stimmung der Angst, eine Stimmung der Ablehnung und teilweise auch eine Stimmung der Hysterie.

Darum, meine Damen und Herren, gilt für uns Freie Demokraten, aber, ich denke, auch für alle Demokraten: Wir müssen dieser Angst mit Vernunft entgegentreten.

(Beifall von der FDP)

Wir haben als Freie Demokraten hier in diesem Hause schon im September davor gewarnt, die Situation als Sommermärchen zu verklären.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Die Aufnahme von Flüchtlingen war für uns kein Grund zum Jubeln, sondern eine tiefe humanitäre Pflicht. Die besteht auch weiterhin. Gerade an einem Datum wie dem heutigen – die Frau Präsidentin hat ja dazu eben vorzüglich ausgeführt – müssen wir uns dessen auch bewusst sein. Es gibt eine humanitäre Pflicht. Aber es gibt keinen Grund für die Euphorie.

So wie wir in den Zeiten der Euphorie für Vernunft und klare Regeln eingetreten sind, so fordern wir auch in Zeiten von Angst und Verunsicherung jetzt vernünftiges Handeln ein.

Darum, meine Damen und Herren, brauchen wir jetzt eine klare Wende in der Flüchtlingspolitik hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall von der FDP)

Die Aussage der Kanzlerin „Wir schaffen das, weil wir ein starkes Land sind“ ist deshalb eine Anmaßung, weil bis heute ein durchsetzungsfähiges Konzept fehlt.

(Armin Laschet [CDU]: Ihr habt es nicht verstanden!)

Die Bürger verlieren das Vertrauen, weil trotz weiter hoher Zugangszahlen die Große Koalition streitet statt zu handeln. Der Vize-Vorsitzende der CDU ist ja hier auch anwesend. Ich kann Ihnen nur sagen, dass die tägliche Vorführung, die wir alle erleben müssen, die täglichen Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU, zum Beispiel um Symbolthemen wie rechtlich und praktisch mehr oder weniger nicht durchführbare Obergrenzen, wirklich erbärmlich sind und dazu führen, dass die Bevölkerung zunehmend das Vertrauen in die Lösungskompetenz dieser Bundesregierung verliert.

(Beifall von der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Aber, meine Damen und Herren, die Auseinandersetzungen, die wir hier um Einreisezentren oder Transitzonen gehabt haben, die ja hier auch von Herrn Römer, von Herrn Mostofizadeh und anderen geführt worden sind, sind ja nicht wesentlich besser gewesen.

Es muss doch endlich darum gehen, klarzumachen, dass gehandelt wird, dass man sich auf Kompromisse einigt. Wir reden alle hier immer davon, wie wichtig es ist, Verfahren zu beschleunigen. Ich rufe diejenigen, die an der Gesetzgebung beteiligt sind, dazu auf, mal selber ihre Verfahren für eine Kompromissfindung zu beschleunigen. Das wäre der erste richtige Schritt. Es kann doch nicht ernsthaft sein, dass das Asylpaket II im Kabinett immer noch nicht beschlossen worden ist. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, dann wird das Vertrauen der Bevölkerung in die Handelnden weiter sinken, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und Werner Jostmeier [CDU])

Die Bürgerinnen und Bürger werden auch von dem völlig unterschiedlichen Verhalten der Parteien verunsichert. Wir erleben auf der einen Seite die Sozialdemokraten, die sich dem Kompromiss beim Asylpaket II verweigern, aber an der Basis in Essen auftreten wie Pegida. Wie wollen Sie das jemandem vernünftig erklären? Ich bitte darum, Herr Körfges, dass Sie auch hier gleich in der Debatte eindeutig feststellen, wie Sie dazu stehen.

Ich sage auch, meine Damen und Herren: Die Grünen sind dann nicht Teil der Lösung, wenn es so weitergeht, dass immer dann, wenn es um Verfahrensbeschleunigung, wenn es um Vorschläge zur Verfahrensstraffung geht, mit der Blockade im Bundesrat gedroht wird.

(Beifall von der FDP)

So sind Sie nicht Teil der Lösung. Wo ist denn eigentlich Ihr Gestaltungsanspruch? Es kann doch nicht wahr sein, dass man jedes Mal auf Herrn Kretschmann warten muss.

Konsens ist immer nur dann zu vernehmen, wenn von der Bekämpfung der Fluchtursachen und von der Sicherung der europäischen Außengrenzen die Rede ist. Für beides stehen wir selbstverständlich auch ein. Da haben Sie uns an Ihrer Seite.

Aber machen wir uns doch nichts vor. Es wird nicht kurzfristig die Abschaffung der Fluchtursachen geben können. Wir werden auch die europäischen Grenzen nicht von heute auf morgen sichern. Wir drücken der Kanzlerin alle die Daumen für den nächsten europäischen Gipfel. Aber wenn wir ehrlich und realistisch sind, dann wissen wir doch, dass es dort keine schnellen Lösungen geben wird.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Deswegen, meine Damen und Herren, werden wir darüber sprechen müssen, wie es weitergeht. Denn es muss ein internationales Signal geben,

(Armin Laschet [CDU]: Wie denn?)

dass das deutsche Asylrecht kein genereller Einwanderungsparagraf ist.

(Armin Laschet [CDU]: Wie denn?)

– Sie fragen, Herr Laschet, wie das gehen soll. Wir alle wissen, dass Dublin III in der jetzigen Form extrem problematisch ist. Wir haben frühzeitig die Bundesregierung

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

darauf hingewiesen, dass wir Veränderungen brauchen. Ihre Partei, Ihr Innenminister de Maizière ist doch derjenige gewesen,

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

der die ganze Zeit an Dublin III festgehalten hat. Aber jetzt, wenn es um die Reformen geht,

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

müssen wir erkennen, dass es immer noch europäisches Recht ist. Dann muss es eben jetzt angewandt werden,

(Beifall von der FDP)

bis die europäischen Partner sich bereiterklären. Ihre Kanzlerin hat uns in Europa isoliert. Wenn sie ihre Leute nicht eingefangen kriegt, dann muss jetzt eben geltendes europäisches Recht angewandt werden, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Armin Laschet [CDU]: Was ist aus euch geworden?!)

Es ist selbstverständlich für uns, dass wir keine Familien mit kleinen Kindern aus Kriegsgebieten zurück auf die Balkanroute schicken.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Aha!)

Das ist für uns klar. Da haben wir eine humanitäre Verpflichtung. Aber zum jetzigen Zeitpunkt sind noch etwa 70 % derjenigen, die zu uns kommen, allein reisende Männer. Wenn wir hierbei von der Europäischen Gemeinschaft im Stich gelassen werden, muss man eben auch diesen sagen, wenn sie aus dem …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Ich komme gleich zum Schluss.

Dann muss man diesen sagen, dass sie in einem sicheren Drittstaat, über den sie eingereist sind, ihren Asylantrag stellen müssen. Das ist geltendes europäisches Recht.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir wollen ein anderes europäisches Recht. Aber das geht eben nur, wenn die anderen Europäer mitmachen. Darauf müssen wir hinarbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss schon vorsichtig sagen: Der Anspruch, den die antragstellende Fraktion für diese Aktuelle Stunde an die Bundesregierung und an viele andere stellt, ist ein hehrer Anspruch. Wenn ich mir Ihre Begründung für die Aktuelle Stunde oder gar Ihren Redebeitrag, Herr Dr. Stamp, anschaue, kann ich nur sagen: Dem Anspruch werden Sie mit dem, was Sie hier vorgetragen haben, in keiner Weise gerecht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mit Ausnahme des Daumendrückens für die Bundeskanzlerin habe ich keinen konkreten sachlichen Beitrag zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragen gehört.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich darf fragen: Ist das, was wir dann mit Ihnen besprechen sollen, nicht eher der Tatsache geschuldet, dass Sie in Berlin – man weiß, warum – nicht mehr vorkommen und dann versuchen, hier in Nordrhein-Westfalen durch überflüssige Debatten auf sich aufmerksam zu machen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das kann man nach dem Wortbeitrag von Herrn Dr. Stamp nur unterstreichen.

(Zurufe von der FDP)

Trotzdem und trotz aller Kuriositäten will ich an der Stelle dankbar sagen: Die Farbe der Landesregierung – das ist klar – ist rot-grün. Es gibt natürlich einiges, was wir zu dem Thema und zu den unterschiedlichen Positionen besprechen können.

Das können Sie hier in Nordrhein-Westfalen einer Landesregierung, die sich ganz eindeutig zum Asylpaket II bekannt hat, die ganz deutlich von dieser Bundesregierung die Umsetzung fordert, und uns nicht allen Ernstes vorwerfen. Sie müssten sich vielleicht – das will ich jetzt tun – mit diesen zahlreichen gut gemeinten, nein, bösartig gemeinten Vorschlägen, die immer wieder in die Diskussion eingeworfen werden, beschäftigen, zum Beispiel mit dem Plan A2. Ich glaube, was Frau Klöckner da hatte, ist kein Plan.

(Simone Brand [PIRATEN]: Das ist Schwachsinn!)

Es gibt immer wieder Menschen, denen nach dem Genuss von Umfrageergebnissen die rationalen Lösungen abhandenkommen, denn das, was Frau Klöckner vorschlägt, ist nach meiner Meinung und nach der Meinung meiner Fraktion nichts anderes als – ich drücke es einmal biblisch aus – alter Wein in neuen Schläuchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Klöckner hat den Kritikern in der CDU und in der CSU vor einer Woche noch den Rat erteilt: „Einfach mal die Klappe halten.“ Dazu sage ich: Diesen Rat hätte sie besser selbst berücksichtigt anlässlich ihrer Vorschläge. Denn was fordert die Dame? Tagesaktuelle Werte. – Das ist eine neue Umschreibung für Obergrenzen.

Wenn Humanität gilt, gilt sie nicht nur bis zu 200.000 Menschen, die bei uns Schutz und Hilfe suchen, sondern sie gilt auch für den 200.001. Menschen, der bei uns ankommt und weit darüber hinaus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen hier nicht darüber diskutieren, wie wir die Anzahl der Menschen, die bei uns Schutz und Hilfe suchen, begrenzen,

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

sondern wir müssen über Fluchtursachen reden. Wir müssen über gerechte Verteilung auf EU-Ebene reden. Und wir müssen natürlich auch über die Tatsache reden, wie wir die Außengrenzen unserer EU definieren,

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

wobei „schützen“ in diesem Zusammenhang immer ein schwieriger Begriff ist.

Lassen Sie mich darüber hinaus an der Stelle etwas zu der Frage – wie nennt die Dame das – der Grenzzentren sagen. Das haben wir auch schon gehabt. Das hieß damals „Transitzonen“. Das ist Unfug, war Unfug und wird Unfug bleiben.

Man sollte angesichts der aktuellen Zahlen einmal hochrechnen: Wenn jeden Tag ca. 3.000 bis 4.000 Menschen kommen, bedeutet das, dass wir innerhalber kurzer Zeit von 75.000 Leuten sprechen, die man dann grenznah unterbringen soll. Allein das zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das größtmöglicher Unsinn ist und nicht dazu dient, an der Stelle die Debatte zu versachlichen. Vielmehr leiten diejenigen, die das fordern, Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber – das war gestern kaum zu überbieten – bei der Union gilt im Augenblick offensichtlich der Grundsatz: Schlimmer geht immer. – Denn das, was sich Herr Seehofer im Schriftverkehr herausnimmt, nach dem Motto „Mahnschreiben unter Fristsetzung mit

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Ablehnungsandrohung!)

Ablehnungsandrohung, andernfalls Prozess am Hals“,

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

zeichnet ein Bild von der Regierungsfähigkeit von Teilen der Union: Das ist eine Katastrophe.

Obergrenzen, Grundgesetzänderungen, verstärkter Einsatz der Bundespolizei an der bayerischen Grenze zum Zwecke verstärkter Zurückweisung, anderenfalls sehen wir uns vorm Verfassungsgericht wieder. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre einer Opposition unwürdig, so vorzugehen. Wenn das ein Teil der Bundesregierung veranstaltet, halte ich das für einen ganz, ganz schwierigen Vorgang. Rechnerisch kann ich Herrn Oppermann und anderen nur recht geben: Man kann zur Not in Berlin auch ohne die CSU regieren.

(Beifall von der SPD)

Aber nun zurück zur Frage der FDP: Was wollen wir an der Stelle denn in Nordrhein-Westfalen machen, außer gemeinsam Vorschläge zu unterstützen, die vernünftig sind, und uns auf nationaler Ebene zu einigen. Dass dann immer wieder andere Sand ins Getriebe schütten,

(Zurufe von der FDP)

kann man das doch dieser Landesregierung nicht vorwerfen.

Lassen Sie mich – das ist von Herrn Dr. Stamp angesprochen worden – noch etwas zu der Frage sagen, wie repräsentativ drei Ortsvereine für die deutsche Sozialdemokratie sind, insbesondere unter dem Aspekt der kommunalen Hintergründe. Ich glaube, wir haben in diesem Parlament, wir haben als SPD auf Bundesebene auf unserem Bundesparteitag, wir haben als nordrhein-westfälische Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an der Eindeutigkeit unserer Haltung niemals Zweifel aufkommen lassen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Ministerpräsidentin dafür, dass sie das noch einmal sehr deutlich gemacht hat.

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Sie sollten hier nicht herummosern und versuchen, sich irgendwo als satisfaktionsfähige Partei einzuklagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Vielmehr sollten Sie die Haltung unserer Landesregierung und damit die NRW-Position, die meiner Ansicht nach die einzig vernünftige ist, unterstützen, statt uns hier mit unsinnigen Debatten die Zeit zu stehlen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kuper.

André Kuper (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag ist mit „Uneinigkeit der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik“ überschrieben. Dieser Titel ist aber nur teilweise korrekt; denn die Bundesregierung ist sich einig. Fraktionen, Parteien und die Öffentlichkeit diskutieren. Meine ehrliche Meinung ist: Das ist gut so. Wir leben Gott sei Dank in einer Demokratie. Eines ihrer Wesensmerkmale ist die freie Meinungsäußerung und die Diskussion über wichtige Inhalte.

Gleichwohl erwarten unsere Bürgerinnen und Bürger, dass den Worten alsbald Taten folgen. Daran sollten alle in unserer Republik konstruktiver arbeiten. Daher müssen auch Sie in der Landesregierung Farbe bekennen. Insoweit gebe ich der Überschrift und dem Titel der Aktuellen Stunde recht.

(Beifall von der CDU)

Wenn wir unserer Bevölkerung in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise schnelle Lösungen suggerieren, werden wir noch mehr Enttäuschungen herbeiführen. Enttäuschungen führen dazu, dass sich Menschen von Politik abwenden oder gar radikalen Kräften zuwenden.

Nichtsdestotrotz muss über den Umgang mit der Flüchtlingskrise diskutiert werden.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist eine Politikkrise!)

Dabei muss man aber auch sehen, was bereits angepackt wurde. In den letzten Wochen und Monaten ist eine Menge passiert. Hier zeigen sich auch erste Wirkungen bei der deutlichen Reduzierung der Flüchtlingszahlen.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Von in Spitzenzeiten 8.000 eintreffenden Flüchtlingen am Tag sind die Zahlen aktuell auf 650 eintreffende Flüchtlinge am Tag gesunken. Das ist gut so. Das gilt es nachhaltig zu stabilisieren.

(Beifall von der CDU – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Wie denn?)

Keinen Streit und keine wirkliche Diskussion gibt es über das eigentliche Ziel in der Flüchtlingspolitik. Es besteht nämlich Einigkeit über das Ziel, eine spürbare, dauerhafte, nachhaltige Reduzierung der Flüchtlingszahlen zu erreichen; denn jeder muss anerkennen, dass die Belastungen für Länder, Städte, Gemeinden und Hilfsorganisationen sowie Bürgerinnen und Bürger ansonsten zu groß werden.

Die SPD und die grün-rote Landesregierung praktizieren aber Ablehnung und Verweigerung gegenüber jeglichen neuen Vorschlägen, ohne eigene substanzielle Beiträge zu leisten.

(Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)

Sie hier in NRW machen es Kommunen und Hilfsorganisationen keineswegs leichter. Im Gegenteil: Sie erschweren es an vielen Stellen.

(Beifall von der CDU)

Ich nenne einige Beispiele. Mit Ihrer Entscheidung in 2014, die Erstaufnahme nicht in landeseigenen Immobilien durchzuführen, sondern die Gebäude per Ordnungsverfügung im Wege der Amtshilfe von Kommunen zu akquirieren, haben Sie den Kommen in NRW 50.000 Plätze zur dauerhaften integrativen Unterbringung weggenommen und eine Doppelbelastung für die NRW-Kommunen verursacht.

(Beifall von der CDU)

Mit Ihrer bisherigen Entscheidung – ebenfalls aus 2014 –, die aus sicheren Herkunftsländern eintreffenden Westbalkanflüchtlinge – Ausnahme: Albaner – in die Kommunen weiterzuleiten, anstelle sie, wie beim Bund-Länder-Flüchtlingsgipfel vereinbart, in zentralen Landeseinrichtungen zu belassen, haben Sie geschätzt 30.000 Menschen in die Kommunen hineingegeben, die asylrechtlich ohne jede Bleibeperspektive sind. Damit haben Sie in den Kommunen aber die Integrationskapazitäten sehr stark zusätzlich beansprucht.

(Beifall von der CDU)

Ein weiterer Punkt: Ihre ungleiche und ungerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen innerhalb Nordrhein-Westfalens haben Sie erst jetzt auf massive Kritik hin korrigiert. Damit haben Sie dazu beigetragen, dass kreisangehörige mittlere und kleinere Kommunen in NRW überfordert worden sind und 30.000 Menschen zu viel aufnehmen mussten.

Fazit: Die Aufnahmebelastung für unsere Gemeinden und Hilfsorganisationen hätten Sie als Landesregierung um ein Drittel reduzieren können. Hier haben Sie wieder einmal mehr eine Chance für uns in NRW verpasst.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, auf Bundes- und Europaebene wird massiv an einer Reduzierung der Flüchtlingszahlen gearbeitet. Hierzu gehören zum Beispiel Friedensgespräche, um die Fluchtursachen zu beseitigen. Hierzu gehört es zum Beispiel, einen Marshallplan für Nahost auf den Weg zu bringen, mit dem legale Arbeitsmöglichkeiten für syrische Flüchtlinge – Bau von Unterkünften, Schulen und Gemeinschaftszentren – in den Anrainerstaaten wie Jordanien, dem Libanon oder auch der Türkei geschaffen werden.

(Christian Lindner [FDP]: Ist das der Plan A1 oder A2? – Gegenruf von Michael Hübner [SPD]: Das ist der Plan B!)

Hierzu gehört es beispielsweise, Bleibeperspektiven in Afrika zu schaffen, wo sich die Bevölkerungszahl bei 60 % Jugendarbeitslosigkeit alleine bis 2050 von 1 Milliarde auf 2 Milliarden verdoppeln wird, weil ansonsten auch von dort noch mehr Zuwanderung erfolgt.

Hierzu gehört es auch, den Schutz der EU-Außengrenzen zu verbessern und für einen Erhalt des Schengen-Raumes und damit der Reise- und Warenfreiheit zu sorgen.

Alles das ist notwendig. Es ist gerade für uns in Deutschland besonders wichtig. Für Deutschland als zentrales Transitland in Europa wäre es eine Katastrophe, wenn Schengen aufgegeben werden müsste.

(Beifall von der CDU und der SPD – Hans-Willi Körfges [SPD]: Sagen Sie das einmal Herrn Seehofer!)

420 Millionen Lkw-Fahrten absolvieren allein EU-Speditionen pro Jahr in Deutschland. Das können wir nicht einfach aufs Spiel setzen. Dann würde zum Beispiel ein dreistelliger Millionenbetrag für den Binnengrenzschutz erforderlich. Zu allen diesen Nachteilen käme es.

(Zurufe von der FDP)

Es sind eine Menge nationale Maßnahmen ergriffen worden. Davon könnte man hier eine Menge aufzählen. Dazu gehören sichere Herkunftsländer, der Flüchtlingsausweis sowie die entsprechende IT und viele weitere mehr. Neben allen diesen nationalen Maßnahmen geht es aber zunächst einmal um eine größere europäische Lösung; denn nationale Alleingänge schaffen keinen Weg aus der Flüchtlingskrise.

(Beifall von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Sagen Sie das einmal Ihrer Partei!)

Meine Damen und Herren, das braucht seine Zeit. Diese Zeit sollten wir der Bundesregierung auch geben. Klar ist, dass die Zeit für Lösungen auf europäischer Ebene aber auch endlich ist. In diesem Sinne würde ich uns anraten, gemeinsam dafür zu arbeiten, diese europäische Lösung umgesetzt zu bekommen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Koalitionäre nicht mehr reden, sondern Briefe schreiben, sich mit Ultimaten drohen und ankündigen, vor Gericht zu ziehen, dann helfen in einer solchen Beziehung auch keine Paartherapie oder verzweifelte Appelle, doch bitte abzurüsten. Dann ist da nicht mehr viel zu machen. Das nennt man gemeinheim „zerrüttete Verhältnisse“. Insofern stimme ich der FDP – damit hört meine Übereinstimmung mit ihr aber auch schon auf – in der Analyse zur Beantragung dieser Aktuellen Stunde zu.

Der Streit in der Union – dieses unwürdige Schauspiel, das sich vor unseren Augen abspielt – ist erstens niemandem mehr vermittelbar.

Zweitens halte ich diesen Streit – und das ist das viel Schlimmere – angesichts der Probleme und der Verunsicherung in der Bevölkerung für verantwortungslos.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es ist überfällig, liebe Kolleginnen und Kollegen, endlich zu lösungsorientierter Realpolitik zurückzukehren. Dem dienen die CSU-Forderungen nach Obergrenzen und Grenzschließungen, die momentan auf dem Tisch liegen, ganz sicher nicht. Zu Ende gedacht – und Politik sollte man vom Ende her denken – führen Grenzschließungen nämlich faktisch in die Renationalisierung der Europäischen Union; denn die neuen Schlagbäume, die aufgebaut werden sollen, gelten nicht nur für Flüchtlinge, sondern haben auch Konsequenzen für unseren Handel und unsere Wirtschaftsbeziehungen. Daher sehe ich in einem Abschied von Schengen eine Renationalisierung, die nicht zu Ende gedacht ist und auch nicht im gesamtdeutschen Interesse ist, sondern für unser gesamtes Land schädlich ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Klar müssen wir uns zweitens darüber sein, dass geschlossene Grenzen, wenn Deutschland tatsächlich so verfährt, eine Kaskade der Abwehr der anderen Länder nach sich ziehen werden. Dies wird zu humanitären Katastrophen in den EU-Außenstaaten, beispielsweise in Griechenland und Italien, führen, weil die Flüchtlinge von dort aus dann nicht mehr weiterkommen. Auch das muss man zu Ende denken. Solche humanitären Katastrophenlagen kann doch niemand ernsthaft hier in Europa wollen. Wir würden sie auch alle miteinander nicht aushalten.

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, da finden gerade Machtspielchen auf dem Rücken von Flüchtlingen statt. Die CSU trägt hier nicht zur Lösung der Probleme bei. Sie ist ein großer Teil der Probleme,

(Michele Marsching [PIRATEN]: Genau wie Minister Jäger hier in NRW! Das habe ich alles schon gesagt! Wiederholung! Plagiat!)

die wir gerade in Deutschland haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Leider ist das nicht der einzige aktionistische Vorschlag aus Unionskreisen, der faktisch nicht umsetzbar ist und mehr Probleme schafft, als er löst. Die neue Sau, die gerade durchs Dorf getrieben wird, heißt „Plan A2“. Nach Plan A – dieser sah eine europäische Lösung à la Merkel vor – und Plan B der CSU – nationale Lösung; Grenzen schließen – nun also Plan A2! Man kann es auch anders formulieren: Wie schafft es die Wahlkämpferin Klöckner in Rheinland-Pfalz, sich von Frau Merkel abzusetzen, ohne ihr in den Rücken zu fallen?

Ich zitiere aus der „Rheinischen Post“, in der es Redakteurin Eva Quadbeck in ihrem Kommentar sehr gut auf den Punkt bringt:

„Auch der sogenannte Plan A2, den CDU-Vizechefin Julia Klöckner am Wochenende auf den Nachrichtenmarkt geworfen hat, ist ein hübsches Beispiel für die Kreativität im Umgang mit der eigenen Planlosigkeit.“

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Nun reden wir über Grenzzentren statt Transitzonen, die im Grunde genommen dasselbe sind. Sie sind im November 2015 verworfen und zu Recht als nicht umsetzbar in den Papierkorb befördert worden. Jetzt reden wir statt über Obergrenzen über flexible Tageskontingente – mit all den nicht zu Ende gedachten Verwerfungen, die dies auslösen wird.

Das Schlimme an diesem Überbietungswettbewerb in neuem Aktionismus ist, dass die verunsicherten Bürger hier aus wahltaktischem Kalkül für dumm verkauft werden. Die Politik – und das geht uns alle an – leidet insgesamt darunter. Die Menschen verlieren aufgrund dieser Komödie, die sich hier abspielt, das Vertrauen in die Politik und in den Staat, dass dieser auch in der Lage ist, Probleme zu lösen und ihnen ehrlich zu sagen, was geht und was eben auch nicht geht.

Diese Scheinlösung, dieser Aktionismus, diese Schwarzer-Peter-Spielchen, die gerade stattfinden, und dieser Mangel an Vernunft führen uns nicht weiter, sondern schaden der politischen Kultur. Wir sollten endlich dazu übergehen, ehrliche Vorschläge nach vorne zu entwickeln.

Was heißt es denn, wenn wir sagen: „Wir schaffen das“? Wie schaffen wir das denn? Wie unterlegen wir das mit Maßnahmen? Das heißt doch, zuallererst Ordnung und Beschleunigung in die Verfahren und Abläufe zu bringen.

Dann ist das Grundproblem immer noch nicht gelöst. 2015 wurden 442.000 Asylanträge beim BAMF gestellt. Wir haben aber 1 Million Menschen registriert, die zu uns gekommen sind. Was ist denn mit den fast 600.000 Menschen passiert, die keinen Asylantrag beim BAMF stellen konnten?

Liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU, das ganze Geschwafel über sichere Herkunftsländer hilft überhaupt nichts,

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

wenn diese Menschen es gar nicht schaffen, einen Termin beim Bundesamt zu bekommen. Den Menschen bringt es nichts, wenn sie es nach Monaten endlich geschafft haben, dort einen Termin zu bekommen, und ihr Antrag ganz unten und nicht ganz oben auf dem Stapel liegt. Dann helfen Ihnen Ihre sicheren Herkunftsländer überhaupt nichts,

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Armin Laschet [CDU]: Das stimmt doch gar nicht! Erzählen Sie hier doch nicht so einen Stuss!)

wenn diese Akten, Herr Laschet, es noch nicht einmal schaffen, oben auf den Stapel zu kommen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Aus dem Balkan kommt doch gar keiner mehr!)

Die Verfahrensdauer bei Asylsuchenden aus Algerien und Marokko liegt derzeit bei über 14 Monaten. Bis sie überhaupt einmal einen Termin bekommen haben, vergeht noch einmal ein halbes Jahr. Erst wenn sie es geschafft haben, beim Bundesamt anzukommen, wird ihr Antrag bearbeitet. Erst dann setzt die Frage ein, wie wir die Verfahren beschleunigen können. Wir wissen, dass der Stempel „Herkunftsländer“ die Bearbeitung um zehn Minuten beschleunigt – mehr aber auch nicht.

Wie schaffen wir das? Das bedeutet zweitens aber auch die Anerkennung der Realität. Das heißt, dass 50 % und mehr dieser Menschen hier bleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Wir brauchen hier Integration von Anfang an. Diese wird sich langfristig rechnen.

(Beifall von den GRÜNEN und Michele Marsching [PIRATEN])

Wir brauchen eine gesamtstaatliche Initiative. Nach der Flüchtlingspauschale des Bundes brauchen wir jetzt eine Integrationspauschale, die den Kommunen bei dieser Herausforderung im Bereich von Bildung, Wohnen, Arbeitssuche und Qualifizierung unter die Arme greift. Da hilft – auch das sage ich noch einmal in Richtung Große Koalition – diese Debatte über die Einschränkung des Familiennachzugs überhaupt nichts.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dies gilt nicht nur aus humanitären Gründen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Monika Düker (GRÜNE): Vielmehr ist es auch integrationspolitischer Schwachsinn, wenn wir den Menschen den Familiennachzug verweigern. Schließlich dient die Familie ihrer Stabilisierung und trägt zur Integration bei.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Setzen Sie doch einmal Integration im Land um! Das Geld ist doch da!)

Dritter und letzter Punkt: Auch bei den Rückführungen müssen wir uns ehrlich machen. Auch hier führt das ganze Geschwafel, wir würden nicht genug Menschen zurückführen, nicht weiter. Auch hier brauchen wir erst einmal die Verfahrensabschlüsse, und dann brauchen wir eine vernünftige Rückkehrberatung.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Monika Düker (GRÜNE): Schauen Sie sich einmal die Anzahl der Balkanflüchtlinge an, die nach einer Rückkehrberatung in ihre Heimat zurückkehren. 75 % gehen dann auch freiwillig zurück.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Düker!

Monika Düker (GRÜNE): Wir müssen aber keinen Druck erhöhen und auch nicht abschrecken. Auch hier können wir eine geordnete Rückführung hinbekommen, wenn wir den Menschen ehrlich sagen, was mit ihnen ist, und dies zeitnah tun …

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Düker, Ihre Redezeit!

(Unruhe – Zuruf: Wie lange denn noch?)

Monika Düker (GRÜNE): … was der Bund derzeit nicht gewährleisten kann. Dann können wir ihnen auch Brücken in die Heimat anbieten.

Ich plädiere für eine Politik der Ehrlichkeit und der Vernunft. Am besten agiert man in dieser nationalen Herausforderung …

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Düker!

(Unruhe – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Die hat die Ohren zu!)

Monika Düker (GRÜNE): … interfraktionell und gemeinsam. Und dafür möchte ich mich heute noch einmal einsetzen, …

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Düker, das geht nicht!

Monika Düker (GRÜNE): … damit dies auch geschieht. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Für die Piratenfraktion spricht jetzt Frau Kollegin Brand.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Sowohl die Aktualität als auch der NRW-Bezug dieser Aktuellen Stunde sind an den Haaren herbeigezogen.

(Beifall von den PIRATEN)

Natürlich ist es traurig, dass die SPD in Essen gegen Flüchtlinge demonstrieren wollte. Aber unsere Ministerpräsidentin hat sich sofort deutlich dazu positioniert.

(Zuruf von Serap Güler [CDU])

Sie reiten da also ein totes Pferd.

Meine Damen und Herren, wir benötigen keine Scheindebatte über chaotische Koalitionsverhältnisse, wie sie uns hier aufgezwungen wird; denn es gibt genug Probleme in NRW, die wir anpacken und über die wir reden müssen, zum Beispiel in Essen, Köln oder Duisburg.

In Essen explodieren die Kosten für die Unterbringung, weil immer noch auf Zeltunterbringung und Container gesetzt wird. Die Zustände sind verheerend. Dazu werden Flüchtlinge im Essener Norden zusammengepfercht, was dort wiederum zu Problemen führt; ich sage nur: Gettoisierung.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie kennen die Verhältnisse vor Ort nicht! – Michele Marsching [PIRATEN]: Genau! In Kettwig und Werden sitzen die ganzen Flüchtlinge!)

In Köln dauert es geschlagene vier Jahre, bis Flüchtlinge eine Wohnung erhalten. Auch das führt zu Gettoisierung und verursacht hohe Kosten. Da frage ich mich: Wo sind denn die seit Jahren angekündigten Sozialwohnungen?

In Duisburg werden Flüchtlingsgruppen von Politikern gegeneinander ausgespielt. Zum Beispiel sprechen Ihre Leute von der SPD im Ortsverband davon, sie würden gern ein paar mehr Syrer aufnehmen, wenn sie dafür die Roma loswerden.

(Armin Laschet [CDU]: Das war der Oberbürgermeister!)

– Stimmt; das war sogar der Oberbürgermeister.

Das alles führt zu immer größerem Unmut in der Bevölkerung und zu mehr Anschlägen gegen Migranten. In manchen Orten kommt es zu regelrechten Hetzjagden.

Aber wieder einmal geht es heute um Bundespolitik und um halbgare Ideen aus der Provinz – wie die Tageskontingente von Frau Klöckner, die sich voll im Wahlkampfmodus befindet. Gleichzeitig steht die nächste Asylrechtsverschärfung an und ist nur einen Hauch davon entfernt, die Forderung Frauke Petrys von der AfD in die Tat umzusetzen, nämlich die Abschaffung des letzten Restes des Artikels 16a des Grundgesetzes, des Rechts auf Asyl.

Meine Damen und Herren, wir Piraten bekennen uns zum Asylrecht und zum Grundgesetz und sind damit selbstverständlich auch gegen eine Obergrenze; denn wer das Grundgesetz ernst nimmt, der kann nur gegen eine Obergrenze sein.

(Beifall von den PIRATEN)

Seit 2012 haben wir hier im Plenum konkrete Vorschläge gemacht, mit denen wir heute ganz anders dastehen würden. März 2013: Antrag zur Neukonzeption der Flüchtlingsaufnahme. November 2014: Verdoppelung des Integrationshaushaltes, um die Aufnahmegesellschaft zu sensibilisieren. Oktober 2014: Antrag für einen Flüchtlingsbeauftragten und verbindliche Standards.

In unserem Programm bekennen wir uns zu einer Politik aus Sicht der Flüchtlinge, der Menschen, für eine menschenwürdige Unterbringung. Rot-Grün hat immer davon gesprochen, kein Kind zurückzulassen. Etwa 40 % der Flüchtlinge sind Kinder. 30 % sind Frauen. Mit einer solchen Debatte und den Tönen, die heute bei CDU sowie FDP und in Teilen auch bei den regierungstragenden Fraktionen anklingen, lassen Sie gerade auch Frauen und Kinder zurück.

Die Grünen spielen sich immer wieder als vermeintliche Datenschutzpartei auf, fordern nach den Ereignissen in Köln aber mehr Videoüberwachung und eine Intensivierung des Datenaustausches. Sogar die Linken fallen um und fordern im Bund mehr Abschiebung.

So etwas würden wir von CSU und AfD erwarten, aber nicht von Ihnen, verehrte Kollegen von Rot-Grün; denn am Ende bringt das alles nur Stimmen für die rechtspopulistische AfD und nicht für Sie.

Das mussten wir in Dänemark und zuletzt auch in Polen erleben. In allen diesen Ländern sitzen Rechtpopulisten in der Regierung. Wozu das führt, konnten Sie gestern erst sehen, als in Dänemark eine Verschärfung des Asylrechts beschlossen wurde.

Meine Damen und Herren, Sie selbst haben nach den Vorkommnissen in Burbach und den vielen Schiffsunglücken im Meer den Beschluss „kein Weiter-so“ gefasst. Aber jeden Tag ertrinken weiter Menschen vor unseren Küsten. Damit es wirklich auch der Letzte von Ihnen versteht, wiederhole ich es gerne: Das Asylrecht kennt keine Obergrenze.

Meine Damen und Herren, Sie führen Scheindebatten über Tageskontingente und Obergrenzen. Ich möchte über die Ursachen und Profiteure sowie über die Rolle Deutschlands und speziell NRWs in den Krisen dieser Welt reden – zum Beispiel über Rheinmetall, einen der größten Waffenproduzenten mit Sitz in NRW, der seinen Waffenumsatz jährlich um über 11 % steigert; Waffen, die dank Herrn Gabriel auch in Gebiete wie Saudi-Arabien exportiert werden und dann dort beim IS landen.

Sie reden von den Kosten, die Flüchtlinge produzieren. Ich möchte lieber über Steuerflüchtlinge reden, die die deutsche Bevölkerung jedes Jahr geschätzte 100 Milliarden € kosten. Die Kosten für die Geflüchteten aus Kriegsgebieten machen gerade einmal 10 % davon aus.

Sie reden über sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge aus Südosteuropa. Ich möchte lieber darüber reden, dass die reichsten 10 % der Deutschen 90 % des Privatvermögens besitzen und die Schere zwischen Arm und Superreich immer weiter aufklafft.

Deutschland und NRW – und damit auch SPD, CDU, FDP und Grüne – sind durch diese Politik direkt mit für die Destabilisierung in den Krisengebieten dieser Welt verantwortlich – und montags auf den Straßen Deutschlands. Niemand hier oder bei den Montagsdemos regt sich über diese Probleme auf, sondern alle treten gegen die Ärmsten der Armen. Sie geben diesem Unfug durch diese Aktuelle Stunde auch noch ein Forum. Sie sollten sich schämen!

(Beifall von den PIRATEN)

Zuletzt sage ich: Ja, Herr Dr. Stamp, es ist selbstverständlich, dass wir keine Kinder zurückschicken. Wir lassen sie lieber hier in Deutschland verhungern und erfrieren – wie gestern vor dem LaGeSo passiert. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 2016 wird es so sein wie 2015. Die Flüchtlingsströme nach Europa und nach Deutschland werden auch dieses Jahr das beherrschende Thema sein. Spätestens seit September letzten Jahres erleben wir in Deutschland eine Herausforderung, die wir so nicht erwartet haben – weder für den Bund noch für die Länder und vor allem nicht für unsere Kommunen.

Wenn mir zu Beginn des letzten Jahres jemand gesagt hätte, dass Nordrhein-Westfalen 330.000 Menschen aufnimmt, hätte ich ihn, offen gestanden, nach seiner Körpertemperatur gefragt. Trotzdem haben wir das geleistet, haben wir das geschafft. Das wird endlich sein; gar keine Frage.

Es geht um die Frage, wie wir mit den vielen Flüchtlingen der Welt umgehen. 60 Millionen – so viele wie noch nie in der Geschichte dieser Welt – sind auf der Flucht. Allein 8 Millionen syrische Flüchtlinge befinden sich in Syrien selbst auf der Flucht sind in Jordanien, im Libanon und in der Türkei.

Um es deutlich zu sagen: Diese Menschen fliehen vor Krieg und Verfolgung. Sie lassen sich von Debatten über Transitzonen oder Ähnlichem hier überhaupt nicht aufhalten.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Das ist eine Herausforderung, die Deutschland bzw. Nordrhein-Westfalen zu leisten hat. Man kann sie nicht mal so eben lösen. Das ist eine Herausforderung, die wir mit Vernunft, mit Ideen und auch mit ruhiger Hand angehen müssen. Völlig ungeeignet sind dabei Hektik, Hysterie und Panik.

Was seit September letzten Jahres in diesem Land gelegentlich von politischen Claqueuren an Lösungsvorschlägen vorgelegt worden ist, macht die Menschen noch unsicherer. Es macht ihnen noch mehr Angst.

Ein Teil davon – Herr Körfges hat es schon angesprochen – ist dieser Plan A2. Alle reden darüber. Ich weiß nicht, ob ihn alle gelesen haben.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Das lohnt sich nicht!)

Das sind zwei Blätter mit ein paar Spiegelstrichen, mit denen die Flüchtlingspolitik für Deutschland neu erfunden werden soll. Ich finde diesen Titel ein bisschen lächerlich. Da werden speziell zur Karnevalszeit Sachen ausgegraben, die man auch „olle Kamellen“ nennen kann, meine Damen und Herren. Es wird hier aber genau das vorgeschlagen, was Herr Körfges und Frau Düker schon angesprochen haben. Das sind nicht einmal Ideen. Das sind noch nicht einmal Impulse. Das sind Dinge, die nicht zu Ende gedacht worden sind, aber die Menschen in diesem Land zusätzlich verunsichern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Grenzzentren werden vorgeschlagen. Ich war in Passau und habe mir angeschaut, was die Bundespolizei dort leistet. Personell ausgeblutet, schafft sie es gerade einmal, jeden zweiten Flüchtling zu registrieren. Nur jeden zweiten! Dieser Plan A2 geht von einer 100-%-Registrierung aus.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie diese Grenzzentren aussehen sollen. Entweder kommen alle dorthin. Dann reden wir über 300.000 Menschen, Herr Körfges. Das sagt zumindest der CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, Herr Kiesewetter. Da soll dann an der bayrisch-österreichischen Grenze mal eben eine Stadt wie Münster entstehen. Oder es kommt dazu, dass diese Grenzzentren gar nicht gefüllt werden, weil Frau Klöckner sich wünscht, dass die Grenze dicht gemacht wird – mit allen Folgen. Eine lückenlose Grenzschließung mit allen Folgen für das Transitland Deutschland, für dieses Land, das vom Handel und von Außenbeziehungen abhängig ist, wäre fatal.

Ich kann nur sagen: Aus dem Chemieunterricht weiß ich, dass O2 Luft ist. Von Frau Klöckner wissen wir jetzt, dass A2 ganz heiße Luft ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das Asylpaket II ist auf den Weg gebracht worden. Warum es noch nicht im Deutschen Bundestag ist, um dann möglicherweise dem Bundesrat zur Beschlussfassung vorgelegt zu werden, hat einen einzigen Grund: Der Bundesinnenminister hat sich bei der Vorlage dieses Asylpaketes nicht an die Absprachen gehalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Plötzlich sollen syrische Flüchtlinge nur noch subsidiären Schutz genießen; der Familiennachzug soll eingeschränkt werden. Selbst wenn man das in der Politik ernsthaft diskutiert, muss man doch einmal den Blick nach draußen wagen. Zurzeit kommen 3.000 bis 4.000 Flüchtlinge pro Tag nach Deutschland. Der Anteil von Frauen und Kindern ist deutlich steigend. Der Familiennachzug findet auf der Balkanroute längst statt, meine Damen und Herren, weil sich die Menschen, die aus diesem Bürgerkrieg kommen, nicht von Diskussionen pro oder kontra Familiennachzug aufhalten lassen. Wir werden das übrigens so, wie es die Union hier diskutiert, nicht mittragen.

Herr Laschet ist jetzt leider nicht anwesend. Das ist eine Situation, die mich – ich sage es ganz offen – unglaublich ärgert.

(Armin Laschet [CDU]: Hier hinten bin ich!)

– Hallo, Herr Laschet! – Menschen in diesem Land macht diese Situation Sorgen. Manchen macht das auch wirklich Angst. Deshalb brauchen wir klare Linien im Umgang mit diesem Thema.

Die Union fährt zurzeit dreigleisig. Da gibt es einmal Frau Merkel, bei der Richtung und Tempo unklar sind. Außerdem gibt es Herrn Seehofer, dessen Richtung ziemlich klar ist. Und dann gibt es einen Abzweig von Frau Klöckner. Die Union muss sich doch auf ein Konzept, einen Fahrplan und eine Richtung konzentrieren, damit wir dieses Flüchtlingsproblem gestemmt bekommen.

Herr Laschet, Sie sind ja nahe an Frau Klöckner dran. Vielleicht können Sie dazu beitragen, dass solche Beiträge, die niemandem etwas bringen, sachlich nicht fundiert sind und in der Praxis gar nicht umsetzbar sind, in der öffentlichen Diskussion – auch wenn man im Wahlkampf steht – gefälligst unterbleiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Für Nordrhein-Westfalen heißt das: Wir müssen das leisten, was wir können, was wir auch im letzten Jahr geschafft haben. Jeder nach Nordrhein-Westfalen geflüchtete Mensch hatte, wenn er hier ankam, abends ein Dach über dem Kopf, eine warme Mahlzeit und ein Bett. Niemand hat in Nordrhein-Westfalen in kalten Zelten leben müssen. Darauf sind wir ein Stück weit stolz.

Aber es reicht nicht. Wir als Land haben inzwischen ein stabiles Aufnahmesystem mit ausreichend Kapazitäten, mit ausreichend Registrierungsmöglichkeiten. Aber wir müssen den Kommunen helfen, diese Herausforderung, von der sie den größten Teil zu tragen haben, zu stemmen. Und das tun wir.

4 Milliarden € sehen wir in diesem Haushalt 2016 zur Unterstützung der Kommunen bei der Finanzierung der Flüchtlingsarbeit in ihren Gemeinden vor. Wir bauen im engen Dialog mit den Kommunen die Zahl der Unterkünfte ab, 10.000 an der Zahl, um auch Turnhallen, wenn es in den Gemeinden denn gewünscht ist, für den Schulsport wieder zur Verfügung stellen zu können. Wir haben inzwischen einen Puffer geschaffen, sodass wir den Kommunen weitere Verschnaufpausen verschaffen können. Im September und Oktober war es noch so, dass manche von uns im Ministerium abends nach Hause gegangen sind nicht wissend, ob wir alle untergebracht haben.

Wir fahren auf Sicht. Wir schauen uns jeden Tag an, wie viele Menschen nach Nordrhein-Westfalen kommen. Aber solange wir das als Land schaffen können, werden wir denjenigen Kommunen, die ihre Zuweisungsquote, ihre Aufnahmequote erfüllt haben, keine weiteren Flüchtlinge zuweisen.

Aber zugleich, Herr Kuper, wissen Sie, dass auch die Kommunen, die ihre Quote noch nicht erfüllt haben, nicht weil sie es nicht wollten, sondern weil sie möglicherweise einen schwierigen Wohnungsmarkt haben, weil sich bauliche Maßnahmen nicht in dem Tempo haben verwirklichen lassen, wie es ursprünglich geplant war, im Sinne einer kommunalen Gerechtigkeit ihren Beitrag leisten müssen. Wir weisen nur noch den 21 Kommunen von 396 in Nordrhein-Westfalen zu, die diese Quote nicht erfüllt haben, weil wir in den Landeseinrichtungen in den letzten Monaten mit viel Kraft, mit viel Energie und übrigens mit viel Kreativität diesen Puffer aufgebaut haben. Wie wir mit dieser Situation umgehen, das ist praktische Flüchtlingspolitik und verantwortungsvoll, und das sollten auch alle politischen Akteure an den Tag legen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um eine Minute und sieben Sekunden überschritten.

Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Kollegen Ralf Nettelstroth das Wort.

Ralf Nettelstroth (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Flüchtlingspolitik“ beschäftigt uns alle, und das zu Recht, denn es ist eine der größten und historischsten Herausforderungen, die dieses Land je erlebt hat. Von daher ist es auch richtig, dass sich dieser Landtag mit dieser Frage befasst und die Frage aufgeworfen wird, wie diese rot-grüne Landesregierung mit dieser Thematik umgeht.

Lieber Herr Dr. Stamp, wenn die FDP diesen Antrag stellt, dann ist sie natürlich auch gefordert, Lösungen anzubieten. Die Lösung kann nicht sein, dass Sie auf der einen Seite am Anfang Ihres Redebeitrags sagen, dass Sie sich in einer humanitären Pflicht sehen – dem stimme ich zu –, andererseits aber sagen: Meine Lösung sieht so aus, dass wir zu Dublin III zurückkommen müssen mit der Folge, dass gerade die Staaten, die jetzt schon kurz vor dem Ende stehen und mit der Situation nicht klarkommen, wie Griechenland, wie Italien, alleine gelassen werden.

(Beifall von der CDU)

Sie fordern eine klare Wende in der Flüchtlingspolitik, zeigen aber nicht auf, wie diese aussehen soll. Leider muss ich feststellen, dass sich das durch die ganze Debatte gezogen hat. Hier wird an allem ein bisschen herumgemäkelt: Das BAMF leistet nicht so schnell, wie man sich das wünschen würde. An der einen oder anderen Stelle geht es nicht voran.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Aber zu der Frage der strukturellen Lösung, Herr Körfges, haben auch Sie hier keinen großen Beitrag geleistet.

(Beifall von der CDU)

Die SPD zieht den Kopf ein in der Hoffnung, dass andere für sie politisch zu Lösungen beitragen, und beschwert sich noch zunehmend darüber, dass dies offen stattfindet, und das in einer Demokratie.

Meine Damen und Herren, wir stehen in der Tat vor riesigen Herausforderungen. Deshalb ist es notwendig, dass wir dazu auch Antworten geben. Diese Antworten sehen nun einmal in einer globalisierten Welt nicht einfach aus. Sie lassen sich eben nicht national allein dadurch beantworten, dass man Grenzkontrollen und Zäune aufbaut und die Zäune immer höher baut, denn die Probleme in der Welt verschärfen sich.

In einer solchen globalisierten Welt müssen wir auch globalisierte Antworten geben. Deshalb bin ich in der Tat bei der Bundeskanzlerin Frau Merkel und ihrer Strategie, die darauf aufbaut, genau dort anzusetzen.

Ich gebe Ihnen recht, es gibt eine Vielzahl von Aufgaben, und sie sind schwierig anzugehen:

Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen. Die Länder, die diese Krisen ausgelöst haben, zu befrieden, ist eine enorme Herausforderung, aber sie wird angegangen. Wir sehen zum Beispiel, dass es in Libyen funktioniert und es auch erste Ansätze gibt, in Syrien zu Erfolgen zu kommen.

Man muss den Ländern helfen, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu diesen flüchtlingsverursachenden Staaten sind. Es ist doch ein humanitärer Ansatz, der Türkei, die 2,6 Millionen Menschen aufgenommen hat, Unterstützung zu gewähren, den Leuten dort eine Perspektive zu geben, die über normales Essen hinausgeht. Diese Hilfe muss dazu führen, dass man einen vernünftigen Lebenswandel führen und vor allem den Kindern Schule und Ausbildung vor Ort vermitteln kann.

(Beifall von der CDU)

Wir werden ebenso darüber nachdenken müssen – auch das ist hier mehrfach angesprochen –, Grenzen zu sichern. Da ist in der Tat die Frage – Sie hatten es aufgeworfen –: Wie definieren wir diese Grenzen? Diese Grenzen sind natürlich zunächst einmal die europäischen Grenzen; das ist der Schengen-Raum. Wenn es Partner gibt, die das alleine nicht können – Griechenland kann das allein nicht, Italien teilweise auch nicht –, dann bedarf es europäischer Solidarität. Diese Solidarität darf nicht nur darin bestehen, dass man entsprechenden Gruppierungen, Einsatzkräfte im Rahmen von Frontex zur Verfügung stellt, sondern sie muss auch darin bestehen, dass die Flüchtlinge, die wirklich Asylgründe haben, die Möglichkeit haben, nicht nur in Deutschland, sondern in Europa aufgenommen zu werden.

Das ist eine ganz große Herausforderung, vor der wir Deutschen insgesamt stehen und auch Frau Merkel bei den europäischen Gipfeln, die jetzt anstehen.

Meine Damen und Herren, die Frage ist natürlich auch: Wie geht das Land Nordrhein-Westfalen mit der Flüchtlingspolitik um? Da stellen wir leider fest, dass große markige Worte fallen, aber sich bei der Frage der Lösungen diese Landesregierung doch oft in die Deckung stürzt.

Woran mache ist das fest? – Ich mache es daran fest, dass wir natürlich eine Vielzahl von Verschärfungen durchgeführt haben. Herr Kuper hat das eben ausführlich dargestellt. Ich verweise nur auf das Asylpaket II, das jetzt hoffentlich endgültig zur Abstimmung kommt.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Ich verweise darauf, dass wir noch Verschärfungen haben werden, zum Beispiel bei der Frage von kriminalisierten Asylbewerbern, die sofort zurückgeführt werden. Hier wird das Kabinett entscheiden, und das wird dann sicherlich auch umzusetzen sein. Das sind alles Wege, die in die richtige Richtung weisen.

Aber wenn wir dann wahrnehmen, dass, wenn derartige Verhandlungen geführt werden, die Ministerpräsidentin nach Nordrhein-Westfalen zurückkommt und dann sagt, man habe gerade darüber gesprochen, dass man diejenigen, die hier keinen Asylanspruch hätten, möglichst schnell zurückführen wolle, aber in Nordrhein-Westfalen mache man das bei Familien anders, dann fragt sich natürlich die Bevölkerung zu Recht, warum es hier zu einer Differenzierung kommt und warum das, was man woanders vereinbart hat, nicht umgesetzt wird.

(Beifall von der CDU)

Lassen Sie es mich ganz konkret machen: Wir stehen doch in den Kommunen nicht nur vor der Frage der Notaufnahme von Flüchtlingen, wie es der Minister eben angesprochen hat. In meiner Heimatstadt Bielefeld stehen wir jetzt wie in vielen anderen Kommunen des Landes konkret vor der Aufgabe, den Flüchtlingen eine dauerhafte Perspektive zu geben.

In der letzten Woche hörten wir davon, die Landesregierung gehe durchaus davon aus, dass wir knapp 400.000 Wohnungen zur Verfügung stellen müssen. Aber die Ersten, die wieder Bedenken anmelden nach dem Motto: „Das geht ja in den Landschaftsraum hinein, das kann man in der Form nicht verantworten; wir müssen hier ökologische Belange abwägen“, sind doch die Grünen.

(Beifall von der CDU – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ist doch Quatsch!)

Auf der einen Seite eine Erwartungshaltung zu wecken und auf der anderen Seite zu sagen: „Wir sind nicht dabei“, das ist mit uns nicht zu machen.

(Dietmar Bell [SPD]: Frech behauptet ist trotzdem falsch!)

Diesen Widerspruch müssen Sie vor Ort aufklären. Dazu werden wir Sie anhalten.

(Beifall von der CDU – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das glauben Sie auch wirklich, was Sie jetzt erzählt haben! – Dietmar Bell [SPD]: Frech behauptet ist nicht immer richtig!)

– Vielleicht überprüfen Sie sich selbst mal, bevor Sie dazu entsprechende Ausführungen machen. Denn von den Piraten ist zu dieser Frage nun überhaupt nichts gesagt worden.

(Dietmar Bell [SPD]: Ich bin kein Pirat!)

– Entschuldigung.

(Zuruf von den PIRATEN: Wir bestehen auch darauf!)

– Vielleicht war das qualitativ genauso wie das, was sonst von den Piraten kommt. Aber das lassen wir mal dahingestellt.

(Zurufe von den PIRATEN: Oh! – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Du Messdiener des Neoliberalismus!)

Meine Damen und Herren, ich fand es schon ein bisschen bemerkenswert, dass Frau Düker hier erklärt: In diesem Zusammenhang sind Ehrlichkeit und Vernunft gefordert. – Gerade bei den Grünen habe ich das vermisst. Denn wenn Sie ehrlich gewesen wären, dann hätten Sie ganz konkrete Angaben dazu gemacht, wie Ihr Beitrag zur Lösung aussieht. Ich habe das Gefühl, der Beitrag der Grünen kommt nur aus Baden-Württemberg und wird von dem Ministerpräsidenten dort geäußert.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Von den Grünen in Nordrhein-Westfalen habe ich bisher nur Bedenken gehört –

(Beifall von der CDU)

Bedenken in der Frage der Umsetzung dessen, was hier beschlossen worden ist und was dazu beitragen soll, die Situation für die Kommunen in diesem Land zu vereinfachen.

Vor dem Hintergrund, lieber Minister Jäger – wir kennen das ja: Eloquenz auf niedrigem Niveau –, hilft es wenig, immer auf das BAMF zu schimpfen und zu sagen: Wir haben jetzt einen Puffer aufgebaut.

(Zuruf von Minister Ralf Jäger)

– All das, Herr Innenminister, verdanken Sie zum Teil den vielen, vielen Kommunen, die hier großartige Arbeit leisten.

(Michael Hübner [SPD]: Ein bisschen Anpassung an das Redemanuskript!)

– Herr Hübner, Sie können das ja gleich noch einmal bestätigen. Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen sind insbesondere bei der Frage der Notunterkünfte in die Pflicht genommen worden, aber auch bei der Frage – und jetzt kommt es – der Integration, die noch vor uns liegt.

Natürlich sind hier 4 Milliarden € für das, was vor uns liegt, eingestellt worden. Aber wird das ausreichen? Das wird eine ganz große Frage sein, deren Beantwortung die Herausforderung dieses Jahres in den Kommunen des Landes sein wird neben der Frage: Wird es gelingen, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren? Wir sind jedenfalls zuversichtlich, dass es gelingen wird.

Die Tatsache, dass wir aktuell 650 Flüchtlinge pro Tag haben, deutet darauf hin, dass wir sie vernünftig registrieren und in ein vernünftiges Verfahren eintreten können, dass wir schon erste Erfolge der Reduzierung erfahren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Nettelstroth. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ja in einer einigermaßen schwierigen Situation, will das aber für mich auflösen. Vieles von dem, was der Kollege Nettelstroth gerade gesagt hat, können wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unterschreiben.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Das ist aber ein Wunder!)

Erste Anmerkung: Warum erklären Sie das nicht Ihren Parteikolleginnen und ?kollegen in Mainz, in Bayern und in Berlin, die immer wieder auf einer ganz anderen Spur unterwegs sind und uns die Arbeit schwerer machen?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Serap Güler [CDU])

Zweite kleine Anmerkung: Es gibt einen sachlichen Grundton in den Wortbeiträgen der Union. Ich habe einmal überlegt: Woran liegt das? Dann habe ich mir die Redner genau angeschaut und festgestellt, dass Sie ganz offensichtlich Ihre Abteilung Innenpolitik bei der sachlichen Debatte aus gutem Grund außen vor gelassen haben. Da bin ich andere Töne gewohnt und eine andere Resonanz auf vernünftige Vorschläge.

(Zurufe von Serap Güler [CDU] und Josef Hovenjürgen [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, tun Sie doch nicht so, als gäbe es bei der CDU in NRW keine Diskussion über Grenzschließungen, Obergrenzen, Transitzonen und ähnlichen Unfug.

(Zuruf von Christian Haardt [CDU])

Wir haben einen ganz großen Bestand an gemeinsamen Forderungen, und zwar weit über die Parteigrenzen hinweg, die sich zum Beispiel im Asylpaket II niederschlagen. Davon haben wir nichts zurückzunehmen.

Unsere gemeinsame Aufgabe in Nordrhein-West-falen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es, verdammt noch mal – entschuldigen Sie bitte den unparlamentarischen Ausdruck –, dafür zu sorgen, dass das in Berlin auch endlich umgesetzt wird. Schnelle Verfahren, der Aufbau von mehreren speziellen bundesweiten Erstaufnahmeeinrichtungen, all das wurde beschlossen, um Asylverfahren zu beschleunigen. Nur, es passiert so gut wie gar nichts.

Ich kann mich erinnern, als zum Beispiel die Diskussion geführt worden ist: „Warum gibt es beim BAMF keine Überstunden?“, dass darauf helles Entsetzen und lauter Protest folgten. Was macht Herr Weise jetzt? – Er sagt: Das ist wohl nötig.

Es wird Zeit, dass wir endlich die Verfahren beschleunigen. Dann wird sich manche Diskussion, zum Beispiel über sichere Herkunftsländer, erledigen. Denn an der Stelle klemmt das Verfahren.

Darüber hinaus ist es richtig, europäische Lösungen zu suchen. Es ist richtig, Fluchtursachen zu bekämpfen. Ich bin sehr dafür, dass wir unsere Außenpolitik auch durch ein übereinstimmendes Wording in Nordrhein-Westfalen unterstützen.

Es ist sicherlich auch richtig, populistischen Parolen in der Angelegenheit zu widerstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn das verunsichert die Menschen. Jeder, der schnelle Patentlösungen fordert, trägt nicht dazu bei, dass sich etwas verbessert. Nein, er trägt nur dazu bei, dass sich das Klima verschlechtert. Nur, wenn wir doch dieser Meinung sind, warum bekommt es die NRW-CDU nicht hin, ihrer Partei und ihrer Fraktionsgemeinschaft in Berlin klarzumachen, dass das nicht nur grober Unfug ist, sondern auch nicht zur Lösung unserer Probleme beiträgt?

Ich will noch ein Wort zu dem sagen, was auch richtigerweise erklärt worden ist: Ja, wir befinden uns in der ersten Stufe der Arbeit für ein gutes Zusammenleben in unserem Land mit den Menschen mit einer langen Bleibeperspektive. Wir wollen bessere und schnellere Schritte zur Integration, für sozialen Wohnungsbau. Da sind die Vorbehalte und Vorhaltungen, die Sie unserem Koalitionspartner machen, ziemlich verfehlt.

Ich habe noch keine grüne Politikerin und keinen grünen Politiker gehört, gesehen oder erlebt, der sich etwa gegen Wohnungsbau, und zwar insgesamt und nicht für Flüchtlinge, gestellt hätte,

(Lachen von der CDU)

liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir haben darüber hinaus Bedarf an Lehrerinnen und Lehrern. Wir haben auf Bundesebene einen erheblichen Bedarf an zusätzlichen Polizistinnen und Polizisten. Wir fordern, dass auf dieser Ebene noch einmal 5 Milliarden € zur Verfügung gestellt werden, denn das können die Länder und Kommunen nicht alleine stemmen.

Wenn Sie sich vor Augen führen, dass wir mittlerweile für die Herausforderung im Zusammenhang mit der angemessenen Unterbringung und Integration von Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen ca. 4 Milliarden € zur Verfügung stellen, dann müssen Sie doch mit uns gemeinsam dafür sorgen, dass der Bund noch stärker in die Verantwortung tritt.

Wir wollen die Verabschiedung des Asylpakets II und nicht dessen Gefährdung. Wir wollen ein Europa, dessen Binnengrenzen offen bleiben, und hierüber auch im Interesse unserer Wirtschaft keine schädlichen Diskussionen führen. Aber auch da erwarte ich, dass das Klartext und Allgemeingut in der CDU ist und nicht immer wieder im nordrhein-westfälischen Landtag mit folgenloser Richtigkeit geäußert wird, während andere ganz fröhlich in eine ganz andere Richtung marschieren und alle Grenzen dichtmachen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das geht nicht! Da erwarte ich von dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU, dem Kollegen Laschet, klare Worte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin durchaus offen für gemeinsame Überlegungen – das habe ich bereits an anderer Stelle gesagt –, wie wir Verfahren beschleunigen und vereinfachen können, wie wir auch zu einer gemeinsamen Initiative kommen können. Insofern lassen Sie uns besser darüber reden, als hier zu versuchen, ein Schwarze-Peter-Spiel zu machen, uns wahlkampftechnisch, statt inhaltlich zu positionieren. Das nutzt niemandem, schadet den Menschen insgesamt, den Flüchtlingen am meisten, und ist deshalb grober Unfug, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die FDP-Fraktion spricht noch einmal Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben nach konkreten Vorschlägen der Freien Demokraten gefragt. Die haben wir hier schon mehrfach vorgetragen. Wir haben andere Fraktionen eingeladen. Einen unserer Kernpunkte will ich hier wiederholen: Wir müssen ein Einwanderungsrecht schaffen, das in Deutschland zwischen Migranten und Flüchtlingen unterscheidet, damit wir den verschiedenen Fluchtgruppen gerecht werden. Wir brauchen auch einen eigenen Status für die Kriegsflüchtlinge.

(Beifall von der FDP)

Wir haben Ihnen hierzu Vorschläge gemacht. Im Übrigen habe ich mich sehr gefreut, dass bei „Hart aber fair“ Herr Oppermann sehr deutlich Stellung bezogen und gesagt hat, dass auch er sich ein solches Einwanderungsrecht wünscht. Insofern, Herr Körfges, nehme ich Ihr Angebot von eben an. Dann sollten wir doch schleunigst darüber sprechen, dass wir hier vielleicht zu einer gemeinsamen Initiative, eventuell sogar des ganzen Hauses, kommen können.

(Beifall von der FDP)

Wir haben vorhin vom Minister gehört: Wir fahren auf Sicht. – Er hat auch gesagt: O2 sei Luft. – O2 ist nur zu 20 % Luft. Insofern ist meistens das, was Herr Jäger sagt, auch nur zu 20 % richtig. Was hier aber im Vordergrund steht, meine Damen und Herren, ist: Sie haben – das haben wir an verschiedenen Stellen gemerkt –, Herr Jäger, weder einen Plan A1 noch einen Plan A2, Sie haben hier in Nordrhein-Westfalen gar keinen Plan.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Dass Sie auf Sicht fahren, ist ja nicht erst seit September so, seitdem wir mit diesen hohen Zahlen konfrontiert sind, sondern das haben wir schon vorher erlebt. Sie haben die Warnungen aus Ihrem Haus vor Burbach ignoriert. Wir haben das bei HoGeSa erlebt. Wir haben es erlebt bei dem Thema „Nordafrikaner“. Und wenn ich jetzt hier lese: „Jäger: Nordafrikaner müssen gerechter verteilt werden“, dann finde ich das schon fast grotesk.

(Beifall von der FDP)

Wir haben schon im Oktober 2014 auf die Probleme rund um die Flüchtlingseinrichtungen mit einer speziellen Gruppe gewarnt. Ich habe es im Beisein der Ministerpräsidentin, im Beisein mehrerer Kabinettskollegen, der kommunalen Spitzenverbände, der Wirtschaft – der Kollege Kuper war dabei – gesagt. Ich habe es auf dem Flüchtlingsgipfel thematisiert, weil absehbar war, dass sich dort etwas entwickelt. Es ist eine kleine Teilgruppe – es ist auch nur eine Teilgruppe der Nordafrikaner aus der Gruppe der Flüchtlinge, die insgesamt das Klima für die Flüchtlinge kaputtmacht. Das habe ich damals prognostiziert und gesagt: Wir wollen vermeiden, dass die Rechtspopulisten davon profitieren. Und genau das ist jetzt eingetreten. Jetzt stellen Sie sich hin, zeigen auf den Bund und sagen: Die Nordafrikaner müssen besser verteilt werden. – Das ist mir doch deutlich zu billig, Herr Innenminister.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben sich hier in diesem Haus lange gegen die Einstufung des Balkans als sichere Herkunftsländer gesträubt. Wir sehen, dass jetzt die sowieso zurückgegangenen Zahlen der Balkanflüchtlinge mit der Erklärung, sie als sichere Herkunftsländer einzuordnen, nun fast bei null sind. Natürlich hat es da eine Wirkung gegeben.

Es wäre vernünftig gewesen, Sie hätten das frühzeitig hier schon mitgemacht, dann hätten wir bei der ersten Hälfte des Zuzugs 2015 nicht 45 % vom Balkan gehabt, sondern deutlich weniger. Viele von denen sind nach wie vor in Einrichtungen und sorgen mit dafür, dass für tatsächlich politisch Verfolgte dort kein ausreichender Platz ist. Das gehört zur Wahrheit mit dazu.

Wir haben darüber hinaus Defizite bei der Rückführung. Herr Minister, wenn mir Mitte Dezember Ihr Haus nicht mitteilen kann, wie viele Rückführungen es im November, also im Vormonat, nach den Veränderungen aus dem Asylpaket I, nach den Änderungen, die man sich dort überlegt hat, gegeben hat, dann ist das auch ein Armutszeugnis für Ihr Haus und zeigt noch einmal, dass Sie dort eine Politik des Chaos machen, was Sie hier euphemistisch als „Fahren auf Sicht“ umschreiben.

Ich komme nun zum letzten Punkt, auf den ich hier eingehen möchte, der aber wirklich von Bedeutung ist. Sie schieben die Dauer der Verfahren immer auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE: Die sind zuständig!)

Da haben Sie sogar nicht nur zu 20 %, sondern sogar mindestens zu 50 % recht. Sie haben aber auch eine eigene Verantwortung für diese Verfahrensdauer. In anderen Bundesländern gibt es so etwas wie diese Einreisezentren längst, wo diejenigen mit geringer Bleibeperspektive genauso geclustert werden wie diejenigen mit einer hohen Bleibeperspektive. Dort werden dann die Verfahren ganz erheblich beschleunigt. Dazu sind Sie in Nordrhein-Westfalen bis heute nicht in der Lage, und das ist Ihr Defizit.

(Beifall von der FDP)

Herr Minister, es klingt sicherlich immer einfach, wenn es von der Opposition kommt. Aber ich habe Ihnen auf allen Flüchtlingsgipfeln, in verschiedenen Runden immer angeboten, dass wir in diesem Hause die Flüchtlingspolitik gemeinsam machen. Abgesehen von einer Kulisse für Flüchtlingsgipfel und ein paar Telefonschalten, bei denen wir zwar Zahlen bekommen haben, der Kollege Stotko aber schon auf der Barrikade war, wenn ich nur einmal etwas inhaltlich diskutieren wollte, ist in der Richtung nichts passiert. Sie haben die ausgestreckte Hand für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen abgelehnt. Deswegen tragen Sie jetzt die Verantwortung, meine Damen und Herren:

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stamp, Über Ihre Vorschläge nach vorne, die Sie hier immer als Zauberformel hinstellen, können wir ja reden, aber so neu sind sie nicht.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Sie gehen nicht darauf ein!)

Letztlich ist, wie auch Sie wissen – wir sind gemeinsam dabei; neben der Einwanderung aus humanitären Gründen brauchen wir auch eine Arbeitsmigration –, für ein Einwanderungsgesetz in Deutschland derzeit keine Lösung in Sicht. Das können wir auch nicht im Landtag entscheiden.

Sie sagen, parallel zum Asyl brauchen wir eine Kontingentlösung für Kriegsflüchtlinge: Die Rechtsgrundlage dafür ist – das habe ich Ihnen auch gesagt – im Aufenthaltsrecht gegeben.

Wir haben im Rahmen der Verhandlungen über das Asylpaket I im Bund zum Ausdruck gebracht, dass wir für die Syrer parallel zum Asyl eine weitere Kontingentlösung brauchen. Wir haben uns damit nicht durchsetzen können. Sie sind mangels Regierungsbeteiligung in den Ländern leider nicht mehr an unserer Seite. Vielleicht gibt es da irgendwann einmal Einsicht.

Aber die Vorschläge, die Sie hier machen – das können wir auch gerne noch einmal alles bestätigen –, sind derzeit nicht umzusetzen. Deswegen ist es müßig, das hier immer weiter zu nudeln.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Nudeln!)

Aber ich finde es perfide, was Sie hier zum Teil an Falschbehauptungen und an einfachen Lösungen präsentieren, was die Landessituation angeht.

Sie haben die Schwerpunkteinrichtungen in Bezug auf Baden-Württemberg erwähnt, in denen die Menschen bleiben, die keine Bleibeperspektive haben: Das ist falsch, dass wir hier in NRW so etwas nicht haben. Herr Dr. Stamp, ich bitte Sie, das hier nicht weiter zu behaupten. Wir haben vier Schwerpunkteinrichtungen für Menschen aus dem Balkan.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das ist doch nur noch eine Handvoll! – Minister Ralf Jäger: Sie haben null Ahnung, Herr Stamp!)

Ich habe eben in meinem Redebeitrag gesagt, genau dafür gibt es einen Aktionsplan, den ich übrigens auch aus humanitären Gründen richtig finde, bei dem den Menschen frühzeitig gesagt wird, dass sie nicht bleiben können, bei dem es ein schnelles Verfahren durch das Bundesamt gibt und den Menschen gleichzeitig eine Rückkehrberatung angeboten wird, die 75 % von ihnen auch in Anspruch nehmen. Das heißt, wir machen das. Behaupten Sie nicht immer wieder, überall wird so etwas gemacht, nur nicht in NRW.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ich glaube Ihnen kein Wort mehr!)

Herr Dr. Stamp, wir haben in diesem Haushalt – das sage ich auch in Richtung CDU; Sie sagen ja immer, wir lassen die Kommunen alleine – über 4 Milliarden € für die Flüchtlingsunterbringung stehen; im Jahr 2012 dagegen waren es etwa 200 Millionen €. Mehr als die Hälfte davon geht an die Kommunen, deren Zuweisungen wir strukturell um mehr als 30 % gesteigert haben. Auch dieser Überbietungswettbewerb in Falschbehauptungen nach dem Motto: „Hauptsache, der Innenminister ist schuld“, bei dem überhaupt nicht über die Sache geredet wird, wird dem Problem nicht gerecht, Herr Nettelstroth. Das sage ich auch einmal in Ihre Richtung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das werden wir sehen!)

Herr Nettelstroth, jetzt zur CDU, die in Berlin mit ihren ganzen Verschärfungsgeschichten angeblich die Zauberformel gefunden hat, mit der der Schalter umgelegt werden kann: Gucken wir uns das Asylpaket II doch einmal an! Im Wesentlichen geht es darum, den Familiennachzug zu beschränken und bei den Sprachkursen einen Eigenanteil von 10 € zu fordern. Darüber laufen die Beschleunigung und die Problemlösung?

Den Familiennachzug zu reduzieren, halte ich für integrationspolitischen Schwachsinn – ich sagte es schon –, und eine Eigenbeteiligung von 10 € bei den Kosten für die Sprachkurse, wobei der Verwaltungsaufwand, um das Geld einzutreiben, höher ist als der Nutzen, finde ich nur noch erbärmlich. Das finde ich erbärmlich, weil wir doch möchten, dass die Leute in die Sprachkurse gehen. Soweit zum Asylpaket II.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Gesetz zur Senkung der Ausweisungshürden bei Straftätern: Auch das ist wieder so ein Etikettenschwindel. Erstens verringern Sie damit noch lange nicht die Verfahrensdauer bei genau den Problemfällen, die wir haben. Bei der Verfahrensdauer bleibt es erst einmal.

Das heißt, wenn wir die Verfahrensdauern reduziert haben und es tatsächlich zu einer Ablehnung kommt, denn die meisten der Straftäter aus Marokko und Algerien werden abgelehnt,

(Zurufe von der CDU)

dann haben wir zweitens noch das Problem, dass die Länder, in die diese dann abgeschoben werden sollen – Straftäter hin oder her; das hat damit im Übrigen gar nichts zu tun –, diese Straftäter gar nicht zurücknehmen. Das lösen Sie mit diesem Gesetz auch nicht.

Drittens lösen Sie mit diesem Gesetz nicht das Problem, dass die meisten der jungen Männer – das sind sie ja –, die hier wirkliche Problemfälle darstellen, wie Sie feststellen, wenn Sie sich die Statistik angucken, aus Spanien und aus Frankreich einreisen und damit zu sogenannten Dublin-III-Fällen werden. Auch diese Länder nehmen diese Straftäter nicht zurück.

Das heißt, all das, was Sie der Bevölkerung immer verkaufen – wir handeln jetzt, und morgen lösen wir damit die Probleme –, hat etwas mit Etikettenschwindel zu tun. Dass wir dazu nicht einfach Ja und Amen sagen, hat nichts mit dem Blockieren von Lösungen zu tun – das Gegenteil ist der Fall –, sondern wir wollen einen Weg hin zu realitätstauglichen Lösungen aufzeigen, statt dass die Leute hier für dumm verkauft werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wissen Sie, was am Ende passiert, wenn der ganze Blödsinn, der wahrscheinlich irgendwann beschlossen wird, nicht wirkt? – Dann rennen noch mehr von Ihren Wählern zur AfD, denn sie sagen sich, die können es doch nicht. Damit verursachen Sie mehr Politikverdrossenheit, als dass Sie tatsächlich mehr Vertrauen in staatliches Handeln schaffen.

Letzte Anmerkung: Es ist doch ganz einfach: Wir brauchen bei der Aufnahme geordnete Verfahren. Wir brauchen eine zügige und schnelle Integration für die, die bleiben. Wir brauchen eine wirksame und humanitäre Rückführung für die, die nicht bleiben können, und wir brauchen – da stimme ich Ihnen ausnahmsweise zu, Herr Nettelstroth – bei der Reduzierung der Flüchtlingszahlen etwas mehr Ehrlichkeit in der Debatte. Ich glaube, dann gibt es hier einen Konsens.

Anfang der 2000er-Jahre war das in diesem Land schon einmal möglich: Das war die Integrationsoffensive 1. Es war gut für dieses Land, dass wir uns alle zusammengesetzt und jenseits dieser parteitaktischen Spielchen gemeinsam an der Lösung der Probleme gearbeitet haben. Das hat damals funktioniert, das war ein Profit für alle. Ich glaube, so etwas brauchen wir auch jetzt wieder.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Herr Minister, Sie hatten sich noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Stamp, in Ihrem Wortbeitrag fiel der Satz: Das gehört zur Wahrheit dazu. – Ich habe das Gefühl, Herr Stamp, dass Sie es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.

(Zuruf von der FDP: Unglaublich!)

Ich frage mich auch ganz offen, warum wir eigentlich regelmäßige Telefonschaltkonferenzen durchführen, wenn Sie am Ende etwas anderes behaupten, als das, wir miteinander besprochen haben.

(Zurufe von der FDP: Wo sind denn Ihre Maßstäbe? Er hat keine Maßstäbe! – Widerspruch von der FDP)

– So, jetzt mache ich mal die Maßstäbe. Fangen wir mit den sicheren Herkunftsländern an. Herr Stamp, Sie werfen der Landesregierung und den regierungstragenden Fraktionen vor, wir hätten da irgendetwas blockiert; es hätte alles viel eher kommen können.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das haben wir schon vor anderthalb Jahren beantragt!)

– Ja, Herr Stamp, jetzt werden wir es einmal schön abschichten. Was eigentlich heißt „sichere Herkunftsländer“? Es heißt, dass dort eine niedrige Schutzquote herrscht und dass die Menschen, die aus diesen Herkunftsländern kommen, lange in den Landeseinrichtungen verbleiben dürfen. „Sichere Herkunftsländer“ bedeutet auch, dass das BAMF angezeigt ist, die entsprechenden Anträge möglichst schnell zu bearbeiten.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen in fünf Einrichtungen 1.700 Plätze für diese Menschen vorgesehen, Herr Stamp. 1.700!

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ja, jetzt!)

– Wir könnten auch 5.000, wir könnten auch 10.000, wenn – was erforderlich wäre – die Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge diese Anträge auch schnell bearbeiten würde. Dazu fehlen die Kapazitäten, Herr Stamp.

(Beifall von der SPD – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Die brauchen wir gar nicht!)

Tatsächlich hatten wir im letzten Jahr in unseren Einrichtungen 1.730 Fälle im beschleunigten Verfahren. Von denen haben 1.641 einen ablehnenden Asylbescheid erhalten. Übrigens: 1.146, Herr Stamp, sind nach einer Beratung freiwillig in ihre Herkunftsländer zurückgegangen – freiwillig!

Was heißt das? Was lehrt uns das? Auch auf die Erwiderung von Herrn Laschet möchte ich antworten: Nicht die Diskussion um sichere Herkunftsländer oder lange parlamentarische Verfahren ändert irgendetwas an der Situation, ob die Menschen zu uns kommen oder nicht zu uns kommen, sondern nur praktisches Verwaltungshandeln.

Eine durchschnittliche Bearbeitungszeit von 2,1 Tagen hat das BAMF bei diesen 1.700 Fällen gebraucht. Herausragend! Zugleich aber braucht das BAMF 14,7 Monate bei Nordafrikanern, die die gleiche schlechte Schutzquote haben wie Menschen aus dem Westbalkan.

Damit wird deutlich: Diese ganze Diskussion um sichere Herkunftsländer ist ein Herumdoktern an den Ursachen. Wenn das Wirklichkeit wäre, was die Große Koalition in Berlin im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart hat, dass nämlich Asylanträge in der Bearbeitung nie länger als drei Monate dauern, bräuchten wir diese Scheindebatten um Scheinlösungen überhaupt nicht mehr zu führen. Klares Verwaltungshandeln!

(Beifall von der SPD)

Wie ist das Asylverfahren? Wie sind die Verantwortungen, Herr Stamp? Sie wissen das eigentlich. Länder und Kommunen müssen faktisch alles leisten: Dach über dem Kopf, Bett, Essen, gesundheitliche Versorgung, Kindergartenplätze, Schulplätze – die komplette Leistung der Integration.

Was macht der Bund? Der Bund braucht nur Asylanträge zu bearbeiten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist eine Behörde, die lange Zeit im Dornröschenschlaf gelegen hat und jetzt langsam Fahrt aufnimmt, die aber noch längst nicht das Tempo hat, um das eigentliche Problem in Deutschland zu beseitigen –wir bezeichnen es als „Flaschenhals“ in diesem Asylverfahren –, nämlich nicht in die Pötte zu kommen, Herr Stamp.

(Zuruf Dr. Joachim Stamp [FDP])

Jetzt laden Sie Ihren Frust nicht hier ab, in völliger Unkenntnis und mit falscher Darstellung dessen, was wir miteinander besprochen haben. Kanalisieren Sie Ihre Kritik doch einmal dahin, wohin sie gehört – nämlich nach Nürnberg zu diesem Bundesamt, Herr Stamp.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Ich möchte noch eines deutlich sagen, Herr Stamp: Sie haben mich gerade zitiert – und dabei völlig aus dem Kontext gerissen – mit den Worten: „Fahren auf Sicht“. – „Fahren auf Sicht“ habe ich in der Tat gesagt, aber weiß Gott nicht bezogen auf die nordrhein-westfälische Flüchtlingspolitik. Sie wissen vielmehr ganz genau, in welchem Zusammenhang ich diesen Begriff benutzt habe: Es geht nämlich darum, dass wir den Kommunen weitere Verschnaufpausen verschaffen.

Das ist übrigens in keinem anderen Bundesland in dem Maße der Fall wie bei uns: Wir sind in Nordrhein-Westfalen mit einem stabilen Unterbringungssystem in der Lage, den Kommunen über einen längeren Zeitraum keine Flüchtlinge zuzuweisen, damit sie verdientermaßen eine Verschnaufpause machen können.

Da müssen wir auf Sicht fahren, Herr Stamp. Alles andere wäre unverantwortlich. Wir können das dann durchhalten, wenn wir wissen, wie viele Flüchtlinge jeden Tag nach Nordrhein-Westfalen kommen. Da müssen wir in der Tat auf Sicht fahren, weil sich diese Zahl jeden Tag verändert. Also, wenn Sie mich schon zitieren, Herr Stamp, dann bitte ordentlich im Kontext.

(Beifall von der SPD)

Sonst muss ich Sie daran erinnern: Sie haben in Ihrem Bericht die Wahrheit gepredigt, nicht ich. – Danke schön.

(Beifall von der SPD – Zuruf von den PIRATEN: Sie fahren auch sonst auf Sicht! Das ist das Problem!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Nun liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache, und ich schließe die Aktuelle Stunde.

Ich rufe auf:

3   Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 41 der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen zu den massiven Straftaten in der Silvesternacht 2015 und zu rechtsfreien Räumen in Nordrhein-Westfalen („Untersuchungsausschuss Silvesternacht 2015“)

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
und der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10798 – Neudruck

Änderungsantrag
des fraktionslosen Abg. Schwerd
Drucksache 16/10884

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Kollegen Biesenbach das Wort.

Peter Biesenbach (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Silvesternacht kam es zu einem Ereignis, das Nordrhein-Westfalen weltweit in die Schlagzeilen brachte. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein Ereignis hier aus diesem Land sowohl in der „Washington Times“ als auch in der „New York Times“ sowie in der „BBC“ zeitgleich am selben Tag lief.

(Zuruf von den PIRATEN: Doch! Loveparade!)

– Gut, Sie können sich erinnern. Während meiner aktiven Zeit hier ist das sicherlich eines der seltenen Ereignisse.

Parallel dazu ist aber auch zu bemerken – ich sage es einmal in meinen Worten –, dass der Vorfall wie eine Schockwelle durch Nordrhein-Westfalen ging. Nicht nur die Medien hatten ein Thema, über das sie intensiv berichteten. Egal mit wem man zusammensaß – es war immer die Frage: Was ist denn da los?

Wir haben in den Tagen nach der Silvesternacht mitbekommen, wie viele Fragen gestellt wurden: Wie konnte es dazu kommen? Ließe sich so etwas verhindern? – Erst recht wurde gefragt: Darf ich denn weiterhin unbesorgt auch abends und nachts durch die Straßen in den Großstädten oder auf dem Land gehen?

Wir haben viele dieser Fragen bis heute nicht beantworten können, weil nicht die Zeit und die Ruhe da war, sich einmal intensiv darum zu kümmern: Was ist geschehen? Wie konnte es dazu kommen? Was muss passieren, damit wir so etwas in Zukunft vermeiden?

Deshalb begrüße ich, dass sich heute bis auf die Piraten alle Fraktionen des Landtags darauf einigen konnten, diesen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Allein daran, dass wir heute auch schon die personelle Besetzung festlegen, ist zu bemerken, wie wichtig wir die Situation nehmen; denn üblicherweise werden die Personen, die den Ausschuss bearbeiten sollen, erst in der nachfolgenden Plenarsitzung einberufen.

Das macht aber auch deutlich, welch enges Zeitfenster uns zur Verfügung steht. Wir wissen, dass wir bis in den Spätherbst hinein Zeit haben, dieses Thema zu bearbeiten, danach dann aber keine Zeit mehr haben werden, um Zeugen zu vernehmen oder Akten zu lesen; denn dann muss der Abschlussbericht geschrieben werden.

Ich mache uns allen keine Illusionen: Wir haben die sitzungsfreie Zeit um Ostern, wir haben die sitzungsfreie Zeit im Sommer, und wir haben die sitzungsfreie Zeit im Herbst. Das heißt, unser Zeitfenster ist eng, und die Notwendigkeit groß; denn es werden viele Sitzungen erforderlich sein, weil es viele Zeugen zu hören gibt.

Das macht auch deutlich, dass ich die Kolleginnen und Kollegen, die in dem Ausschuss mitmachen wollen, schon jetzt bitte, sich doch darauf einzustellen, dass sie für ihre übrige Ausschussarbeit häufig Vertretungen brauchen, denn wir werden nicht damit auskommen, vielleicht einmal in der Woche zu tagen. Dann bleiben nicht viele Wochen.

Auch hier weiß ich, wie schwierig das etwa bei den kleineren Fraktionen sein wird, denn auch hier müssen Vertretungen gefunden werden. Ich schaue dabei Herrn Schulz an; er bekommt es auch in dem anderen Ausschuss mit. Es wird jedoch nötig sein; denn sonst kriegen wir unsere Arbeit nicht hin.

Die vorrangigste Aufgabe dieses Ausschusses ist aus meiner Sicht, das Vertrauen in der Bevölkerung wiederherzustellen oder zu sichern – je nachdem, wie Sie es betrachten –, dass der Rechtsstaat sich in Nordrhein-Westfalen keine Auszeit nehmen kann und auch keine Auszeit nimmt. Wir müssen deutlich machen, dass unsere Ordnungskräfte – hier steht insbesondere die Polizei im Fokus – in die Lage versetzt wird, die Einsätze zu schaffen, die erforderlich sind, um auch solche Großlagen zu beherrschen und in den Griff zu bekommen.

Wie vielfältig die Fragen sind, die wir zu bearbeiten haben werden, zeigen schon die Überschriften. Es wird um die Einsatzplanung gehen. Es wird um die Durchführung des Einsatzes gehen, und es wird um die Nachbearbeitung des Einsatzes gehen, parallel mit der Öffentlichkeitsarbeit. Wir müssen herausfinden, wo die Pannen waren. Daraus können wir lernen. So etwas darf sich hier bei uns nicht wiederholen.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Wir werden uns um die Personalsituation der Polizei zu bemühen haben. Ist die Polizei noch in der Lage, mit den Kräften, die sie jetzt hat, solche Situationen und ihre anderen Aufgaben künftig zu meistern? Oder müssen wir möglicherweise etwas ändern?

Was lernen wir aus HoGeSa, aus der Silvesternacht, aus den anderen großen Einsätzen im Hinblick darauf, was erforderlich ist? Worüber müssen wir nachdenken, was die Einsätze angeht? Wir werden uns über die Ausrüstung der Polizei zu unterhalten haben. Die Klagen sind bekannt. Wir werden uns über die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen zu unterhalten haben. War das ein Einzelfall oder ein besonders dramatischer Fall? Wie sieht die Situation aus?

Wir müssen weiter fragen: Gibt es, wie es behauptet wird, die No-go-Areas, die rechtsfreien Räume? Kann es auch sein, dass sich die Situation so entwickelt hat, weil wir der Alltagskriminalität vielleicht nicht die Aufmerksamkeit gewidmet haben, die sie erfordert?

Sie merken: Das ist ein großes Paket. Der Ausschuss soll die Schlussfolgerungen daraus ziehen im Hinblick auf die künftige Vorbereitung und Durchführung entsprechender Einsatzlagen, in Bezug auf die Struktur, die Organisation und die Schwerpunktsetzung der Polizei, im Hinblick auf die Aufgaben der Polizei, auf ihre Eingriffsbefugnisse. Es geht um alle Maßnahmen, die notwendig sind, damit wir demnächst sagen können: Gehen Sie ruhig durch die Stadt, in der Sie wohnen, gehen Sie ruhig durch die Stadt, in der Sie gerade unterwegs sein möchten! Für Ihre Sicherheit ist gesorgt.

Ich habe inzwischen gelesen, wer für den Untersuchungsausschuss vorgeschlagen wird, und ich weiß: Das sind engagierte Kolleginnen und Kollegen. Ich freue mich auf die Arbeit im Ausschuss, ich mache mir aber keine Illusionen. Wir haben einen großen Berg an Arbeit vor uns liegen. Wir werden sehr viel Detailarbeit betreiben müssen. Wir werden zwischendurch auch immer zu überlegen haben: Welche Schlussfolgerungen sind wirklich möglich und nötig?

Dieser Ausschuss wird dann Erfolg haben, wenn es uns gelingt, den Eindruck zu vermitteln, dass wir uns ernsthaft um die Sache kümmern. Wir versuchen, Lösungen zu finden, und mit diesen Lösungen wollen wir das Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen. Das ist wirklich sinnvoll. So können wir auch den notwendigen Schutz gewährleisten.

Das Gewaltmonopol in Nordrhein-Westfalen wollen wir nicht abgeben. Es muss beim Staat bleiben. Dann müssen aber die Kräfte, die uns dabei helfen sollen, auch in der Lage sein, dieses Monopol durchzusetzen und auszuüben.

Ich würde gerne die Obleute schon für den Freitagmorgen zu einem Gespräch bitten, damit wir anfangen können zu überlegen: Wann konstituieren wir uns? Wie setzen wir unseren Zeitplan? – Ich freue mich auf die Arbeit.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich hoffe, wir werden bald die Ergebnisse präsentieren können, von denen jeder sagt: Gut gemacht! – Herzlichen Dank!

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Vorsitzender Biesenbach. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Silvesternacht war ohne Frage eine Zäsur in der innenpolitischen Diskussion in Deutschland; sie war aber vor allen Dingen eine Zäsur im Zusammenhang mit dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung unseres Landes. Das Sicherheitsempfinden, vor allen Dingen das Vertrauen in die Integrität unseres Rechtsstaates und der staatlichen Institutionen, wurden durch die Geschehnisse der Silvesternacht in erheblichem Maße beschädigt.

Erste Formen der Selbstjustiz machen sich mittlerweile in unserem Land breit. Bürger rüsten auf. Die Verkaufszahlen von Pfefferspray oder auch die Nachfrage nach Kleinen Waffenscheinen steigen auf Rekordhöhe. Zugleich patrouilliert dieser Tage eine Bürgerwehr durch die Düsseldorfer Altstadt oder über den Bielefelder Boulevard. Rocker fühlen sich berufen – wie zuletzt in Neuss –, in unserem Land für Ordnung zu sorgen.

Meine Damen und Herren, das ist ein brandgefährlicher Trend, den wir hier nicht dulden können und vor allen Dingen auch nicht dulden wollen!

(Beifall von der FDP und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deshalb ist es unsere Aufgabe, den Menschen das Vertrauen in ihre Sicherheit und den Rechtsstaat wieder zurückzugeben.

(Zuruf von den PIRATEN: Das macht der Untersuchungsausschuss?)

Hierzu muss der Parlamentarische Untersuchungsausschuss einen wesentlichen Beitrag leisten; Kollege Biesenbach hat das gerade schon erwähnt.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Nein, dieser Innenminister muss dafür sorgen! Die Landesregierung muss dafür sorgen, nicht der Untersuchungsausschuss!)

Die Bürger haben einen Anspruch darauf, sich jederzeit – egal wann und wo – in Nordrhein-Westfalen sicher zu fühlen. Das ist der Grundpfeiler unseres Zusammenlebens: Kriminelle müssen den Rechtsstaat spüren, und Bürger müssen sich auf ihn verlassen können.

(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

Das war in der Silvesternacht nicht der Fall. Deshalb sind die Politik, der Rechtsstaat und wir in einer Art Bringschuld, dieses Sicherheitsgefühl wieder zu stärken. Dazu muss die lückenlose Aufarbeitung als eine Pflichtaufgabe ihren Beitrag leisten. Das sind wir auch den über 1.000 Opfern der Silvesternacht schuldig.

Das kann jedoch den Schmerz und die Demütigung der Opfer allenfalls mildern, aber natürlich nicht ungeschehen machen. Deshalb muss neben der Aufklärung des Geschehenen die Zielsetzung stehen, eine künftige Wiederholung ähnlicher Vorgänge konsequent zu verhindern.

Meine Damen und Herren, die Opfer dürfen sich nicht allein gelassen fühlen und vor allem nicht allein gelassen werden.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Steht das im Untersuchungsauftrag?)

Deshalb müssen wir uns auch dem Opferschutz widmen; das steht außer Frage. Wir brauchen eine tragfähige Struktur des Opferschutzes, der Opferhilfe in Nordrhein-Westfalen. Wir werden diesen Punkt laut Tagesordnung gleich im Anschluss beraten.

Ich will jedoch in aller Deutlichkeit sagen: Die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

(Zuruf von den PIRATEN: Opferschutz im Untersuchungsauftrag – Quatsch!)

ist das schärfste Schwert des Parlamentes, das aber an dieser Stelle notwendig ist. Die bisherige Aufklärung hier im Parlament – auch in der Sondersitzung des Innenausschusses – hat nicht ausgereicht, die Geschehnisse der Silvesternacht wirklich lückenlos zu durchleuchten.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist Augenwischerei, was da betrieben wird!)

Deshalb müssen strukturelle Defizite noch viel stärker in den Blick genommen und umgehend erkannt und beseitigt werden. Auch das ist zentrale Aufgabe des kommenden Parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

(Beifall von der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Fragen sind bis heute nicht restlos beantwortet: Wie gestaltete sich tatsächlich die Planung, die Durchführung, die Nachbereitung dieses Polizeieinsatzes bei den Sicherheitsbehörden, aber auch beim Innenministerium? Wie und wo sind da Zusammenhänge mit der lange bekannten angespannten Personalsituation der Polizei? – Das gilt übrigens sowohl für die Landespolizei als auch für die Bundespolizei.

Welche Lehren wurden aus HoGeSa oder der Loveparade gezogen – oder eben auch nicht? Wie steht es wirklich um die Situation rechtsfreier Räume in Nordrhein-Westfalen? Auch diese Fragen muss der PUA beantworten und vor allen Dingen auch, wo hier Ursachen zu suchen sind.

In der Debatte eben haben wir schon vielfältige Warnungen angesprochen, beispielsweise im Zusammenhang mit der Problemgruppe „alleinreisende Männer aus Nordafrika“. Es wird zu beantworten sein, wie ernst diese Warnungen im Vorfeld genommen worden sind, welche wahrnehmbare Reaktion des Staates – auch in Nordrhein-Westfalen – erfolgt ist und wo auch hier Ursachen der Silvesternacht zu suchen sind. Auch diese Punkte sind also zweifelsfrei zu klären.

Das gilt auch für die Frage nach der Einsatzführung. Wenn offenbar fast flächendeckend im Land in einer solch besonderen Lage wie der Silvesternacht, in der zusätzlich eine erhöhte Terrorgefahr bestand, der gehobene Dienst – also Dienstgruppenleiter einer Inspektion – die Kastanien aus dem Feuer holen muss, während Führungskräfte des höheren Dienstes auf Silvesterfeiern die Sektkorken knallen lassen, wirft das ebenfalls Fragen auf.

(Beifall von der FDP)

Deshalb muss sich der PUA, Herr Körfges, auch den Fragen nach einem Qualitätsmanagement, nach einem Controlling widmen, um hier ebenfalls Defizite aufzudecken. Ähnliches gilt für die Kommunikation in den Tagen nach der Silvesternacht. Wir haben bisher viel gehört; aber diese Darstellung wird sicherlich noch nachzuarbeiten sein.

Meine Damen und Herren – Herr Biesenbach hat es eben angesprochen –, wir brauchen Lösungen, um das Sicherheitsgefühl wieder zu stärken. Das Vertrauen der Menschen in die Sicherheit in Nordrhein-Westfalen wurde massiv beschädigt. Das Vertrauen in den Rechtsstaat wurde infrage gestellt. Dieses Vertrauen müssen wir schnellstmöglich wieder herstellen. Das muss der PUA leisten. Jetzt ist lückenlose Aufarbeitung angesagt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die SPD-Fraktion spricht Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die schrecklichen Ereignisse, die sich in der Silvesternacht in Köln ereignet haben – nicht nur in Köln, aber die öffentliche Wahrnehmung konzentriert sich intensiv auf Köln –, müssen in der Tat aufgeklärt werden. Wir müssen nach Konsequenzen fragen und gemeinsam nach besten Kräften versuchen, die Wiederholung solcher Geschehnisse unmöglich werden zu lassen.

Unsere Fraktion hat sich dazu entschieden, dem Antrag zur Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses hinsichtlich der Untersuchung dieser Vorfälle in der Silvesternacht beizutreten. Ich sage sehr deutlich: Ich muss mich bei all denen bedanken, die durch konstruktive Verhandlungen dafür gesorgt haben, dass wir zu einer gemeinsamen Formulierung für den Untersuchungsgegenstand und den Antrag gekommen sind.

Mir und uns ist es sehr wichtig, in dieser Frage nicht nur sensibel, sondern in der Sprache genau zu sein. Lieber Kollege Lürbke, nicht das Vertrauen in die Integrität des Rechtsstaates ist beschädigt – dann hätten wir uns noch ganz andere Fragen zu stellen –, sondern wir müssen uns mit dem Vertrauen in die Handlungsfähigkeit eines integren Rechtsstaates beschäftigen. Das wollen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.

(Beifall von der SPD)

Der vorliegende Beschlussentwurf versetzt den Landtag in die Lage, eine lückenlose, transparente und vorurteilsfreie Aufarbeitung rund um die Geschehnisse in der Silvesternacht zu beginnen, und zwar eine Aufarbeitung ohne Mutmaßungen, Unterstellungen und Fehlinterpretationen, eine Aufarbeitung – da bin ich dankbar, dass wir offensichtlich sehr nahe beieinander sind –, die auch den Opfern gerecht wird.

Der Untersuchungsausschuss soll sich ein Gesamtbild verschaffen über die Geschehnisse in der Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof und im Kölner Hauptbahnhof – das betone ich mit großer Genauigkeit. Er soll klären, ob es Fehler und Versäumnisse von Landesbehörden, aber auch von Bundesbehörden oder möglicherweise bei der Zusammenarbeit mit kommunalen Behörden gegeben hat. Wir werden untersuchen müssen, ob es bei der Landespolizei, bei der Bundespolizei und ihrer Führung aufgabengerecht, sachgerecht, angemessen und lagegerecht zugegangen ist.

Der Untersuchungsausschuss muss auch die Opfer in den Blick nehmen, indem der Umgang mit den Opfern sexualisierter Gewalt, insbesondere – das liegt uns sehr am Herzen – bei der Anzeigenaufnahme und der Informationsweitergabe bezüglich spezifischer Hilfeangebote hinterfragt wird.

Es werden folgende Fragen gestellt werden müssen: Wer hat wann etwas gewusst? Wurde im Lichte der jeweiligen Erkenntnisse angemessen gehandelt? Wer hätte wann etwas wissen müssen und in seine Entscheidungen einfließen lassen können? Kurz gesagt: Wie verliefen Planung, Vorbereitung und Kommunikation vor dem 31. Dezember 2015? Was geschah tatsächlich vom Ablauf her in der Silvesternacht?

Wir haben in diesem Zusammenhang auf Landesebene bei den Beratungen des Innenausschusses sehr detaillierte Angaben seitens des Hauses bekommen. Wir werden im Untersuchungsausschuss sicherlich die Möglichkeit haben, das alles im Einzelfall konkret nachzufragen. Wir wollen wissen: Wie verliefen Planung, Nachbereitung und Kommunikation nach den ersten Erkenntnissen um die Vorfälle?

Meine Damen und Herren, es wird natürlich auch die Frage nach Verantwortung gestellt werden müssen.

(Beifall von Christian Möbius [CDU])

– Ich bedanke mich ausdrücklich, Herr Kollege, für den Beifall. Ich will das aber gleich auch noch vertiefen. Denn ein Untersuchungsausschuss ist nicht der Ort für parteitaktisches Kalkül und markiert nicht den Zeitpunkt des Beginns eines Vorwahlkampfes. Die weit verbreitete und – ich sage das auch für mich ganz offen – häufig auch zutreffende Meinung, Untersuchungsausschüsse seien lediglich Kampfinstrument der Opposition, darf und wird nicht Handlungsmaxime der gemeinsamen Arbeit werden. Es geht darum, zu erkennen, zu beurteilen und aus der Beurteilung Handlungsoptionen zu erarbeiten und umzusetzen. Das ist Aufgabe unseres Ausschusses im Landtag.

Wir haben es auch zu tun gehabt mit schnellen wechselseitigen politischen Schuldzuweisungen. Ich finde, auch da muss man vorsichtig sein, wie man Dinge formuliert. Ich will jetzt hier, um den sachlichen Ton der Debatte beizubehalten, im Einzelnen nicht auf Äußerungen eingehen oder auf Kolleginnen und Kollegen, die da bestimmte Dinge gesagt haben. Es handelt sich um furchtbare Ereignisse. Da ist die Gefahr naheliegend, dass man in der Formulierung mal etwas überzieht.

Nur, wenn man zum Beispiel auf der einen Seite kriegerische Bilder bemüht und dann, Kollege Lürbke, auf der anderen Seite das Bild von feiernden Politikerinnen und Politikern, …

(Minister Ralf Jäger: Beamte des höheren Dienstes!)

– Oder Beamte des höheren Dienstes. Das war jemand anders mit den feiernden Politikerinnen und Politikern.

(Zurufe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, solche Bilder sollten wir nicht verwenden, sondern in aller Sachlichkeit einer Aufklärung der schrecklichen Ereignisse den Vorrang geben.

Wir haben durchaus kritisch die Polizeiarbeit der Landespolizei in Köln zu hinterfragen. Da bin ich bei Ihnen. Allerdings darf das nicht pauschal und nicht einseitig geschehen. Denn wer sich ein vollständiges Bild über das Geschehen machen will, der muss alle Akteure und alle Vorgänge beurteilen.

Nach dem, was wir diskutiert haben, ist mir Folgendes aufgefallen: Niemand will pauschal die Beamtinnen und Beamten – egal, ob von der Bundespolizei oder der Landespolizei – kritisieren, die an jenem Abend vor Ort ihre Arbeit gemacht haben; im Gegenteil – das war Dienst unter extrem erschwerten Bedingungen. Trotzdem muss man sich sicherlich mit der Rolle der Polizei beschäftigen dürfen. Da bin ich sehr dankbar dafür, dass wir als Landespolitiker eine Übersicht darüber haben, was wir hinterfragen können.

Mich befremdet ein wenig die sehr einseitig auf der Bundesebene geführte Debatte. Ich will darauf jetzt nicht näher eingehen, aber wenn Herr de Maizière in der ARD schon Fragen zur Organisation und Aufstellung der nordrhein-westfälischen Polizei stellt, hielte ich es für angemessen, wenn er im gleichen Umfang auch Fragen gegen sich gelten lassen würde. Ich bin sehr froh darüber, dass wir im Untersuchungsausschuss die Möglichkeit bekommen werden, nachzufragen und uns mit einigen Dingen genauer zu beschäftigen.

Ich nenne ein Beispiel, das mir sehr intensiv auf der Seele liegt. Ja, ich habe die Berichte eines Beamten der Bundespolizei in den Medien gelesen. Wir haben nicht die Gelegenheit gehabt, uns damit näher zu beschäftigen, weil diese Berichte sehr deutlich nicht autorisiert waren, also nicht Gegenstand der offiziellen Kommunikation des Bundesministers des Inneren gewesen sind. Ich denke, der Untersuchungsausschuss gibt uns an dieser Stelle die Möglichkeit, noch einmal über Verursachung, Handlungsbeiträge, Vorbereitung und auch Konsequenzen nachzudenken. Das gilt natürlich auch für kommunale Akteure.

Da will ich nur ein kurzes Beispiel anführen, das uns in der Diskussion im Vorfeld auch schon bewegt hat, nämlich die Transparenz hinsichtlich der Herkunft von Tätern. Da muss man sich dann auch mit der Frage beschäftigen, wer zu welchem Zeitpunkt in der Nachbearbeitung und der Nachberatung welche Informationen hatte und welche Ursachen es hatte, dass es darüber sehr unterschiedliche – auch öffentliche – Äußerungen gegeben hat.

Ich will nicht in eine bestimmte Richtung weisen. Nur, eines ist ganz klar: Wenn es widersprüchliche Angaben über diese Frage gibt, sind wir in einem Untersuchungsausschuss angehalten, uns auch dieser Frage anzunehmen und zu versuchen, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu klären, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dazu gehören selbstverständlich auch strukturelle Fragen.

Kollege Biesenbach hat eine ganze Reihe von Fragen, die in der Öffentlichkeit, aber auch in den parlamentarischen Gremien angesprochen worden sind, in seinem Statement aufgegriffen.

Über den Anspruch hinaus, den wir persönlich haben, gilt es, auch den Anspruch der Gesellschaft, offen über die strukturellen Voraussetzungen bei unserer Polizei, aber auch bei den Sicherheitsbehörden insgesamt zu diskutieren, zu wahren.

Ich will mit einer sehr persönlichen Bemerkung schließen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich freue mich – das gilt auch in Richtung der Kolleginnen und Kollegen, die in der Ausschussarbeit tätig sein werden – natürlich auf eine intensive und gute Zusammenarbeit. Aber meine Freude bezieht sich auf diesen Fakt.

Ich bin sehr traurig darüber, und das bekümmert und beschämt mich immer noch, dass es überhaupt den Anlass gegeben hat, uns noch vertiefter in Form eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses mit diesen Ereignissen zu beschäftigen.

Manch einer mag – auch die Haltung wird ja hier vertreten – sagen, es sei überflüssig, einen solchen Untersuchungsausschuss tagen zu lassen; da könne man auf politische Motive zurückschließen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Quelle surprise!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben uns der anderen Meinung angeschlossen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen und werden als künftige Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses auch unter den angesprochenen zeitlichen und terminlichen Begrenzungen dieser Arbeit Vorrang einräumen, denn das Thema ist zu wichtig, als dass man es zur linken Hand machen kann.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Für Linkshänder ganz gut!)

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir der hohen Verantwortung und der Aufgabe, die uns gestellt wird, tatsächlich gerecht werden können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vergangene Jahr hat das Bild Deutschlands in der Welt verändert. Die Welt hat ein Land mit einem freundlichen Gesicht gesehen, ein Land, das über einer Million Menschen Schutz geboten hat vor Verfolgung, Gewalt und Not und in dem sich Tausende für Flüchtlinge engagierten, um ihnen bei der Ankunft und dem Start in ein neues Leben zur Seite zu stehen.

Zum Jahreswechsel haben wir aber auch schlimme Übergriffe gesehen, brutale Angriffe auf Frauen vor und im Kölner Hauptbahnhof und auch in anderen Städten – Vorfälle, die sich niemals wiederholen dürfen.

Wir Grüne fühlen mit den betroffenen Frauen aus der Silvesternacht. Wir sind betroffen darüber, dass es in einem Rechtsstaat in jener Nacht nicht möglich war, Menschen zu schützen. Wir sind betroffen über die Fehler, die gemacht wurden, und auch über ein Agieren, das den Vertretern des Rechtsstaats sogar den Vorwurf der Vertuschung eingebracht hat.

Daraus resultiert nun ein klarer und, wie ich glaube, gemeinsamer politischer Auftrag. Wir wollen und werden die Vorfälle in Köln und anderen Städten aufklären. Wir werden das ohne Vorbehalt tun, ohne einem Vorwurf oder einer Frage aus dem Weg zu gehen. Deshalb ist es gut, dass wir diesen Untersuchungsausschuss gemeinsam einsetzen.

Wir wollen das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherstellen. Wir wollen die innere Sicherheit stärken, die Opfer der Übergriffe unterstützen

(Michele Marsching [PIRATEN]: So nicht!)

und für konsequente Strafverfolgung sorgen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: So aber nicht!)

Wir werden aber auch Herausforderungen im Zusammenhang mit der Einwanderung von Flüchtlingen thematisieren – ruhig und besonnen, ohne das Geschäft der Rechtspopulisten zu betreiben und Ressentiments zu schüren.

Denn wir wollen – und das muss die Perspektive dieser Debatte sein – Probleme lösen. Wir wollen kein Gegeneinander der Kulturen. Wir wollen kein „Wir gegen die“. Denn Gewalt und Hetze gegen Geflüchtete gibt es nicht erst in den letzten vier Wochen und nicht erst seit den Ereignissen der Silvesternacht. Allein im letzten Jahr mussten wir eine Verachtfachung dieser Straftaten erleben.

Meine Damen und Herren, den Frauen, die in der Silvesternacht Opfer von Gewalt geworden sind, sagen wir ganz klar: Wir werden Polizei und Justiz in ihrem Einsatz unterstützen, die Täter aus der Silvesternacht zu überführen und zu bestrafen. Wir werden aber auch weiter reichende Schlussfolgerungen ziehen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Wodurch?)

Wir werden den alltäglichen Sexismus thematisieren – egal, ob er von deutschen oder nichtdeutschen Männern ausgeht.

 (Dietmar Schulz [PIRATEN]: Wodurch denn?)

Wir werden diesen Alltagssexismus aktiv bekämpfen, ohne dadurch die konkreten Taten von Köln zu relativieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Durch den Untersuchungsausschuss oder wodurch?)

Denn was in Köln sichtbar geworden ist, geschieht vieltausendfach,

(Dietmar Schulz [PIRATEN] schüttelt den Kopf.)

auch wenn Sie den Kopf schütteln, Herr Schulz. Das geschieht vieltausendfach oft im Verborgenen und ohne dass Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt: Die Aufklärung der Vorkommnisse der Silvesternacht sind wir nicht allein den betroffenen Frauen schuldig. Wir sind sie auch den Hunderttausenden Menschen schuldig, die friedlich und in bester Absicht zu uns gekommen sind – auf der Flucht vor Gewalt, vielfach auch vor sexualisierter Gewalt. Diese Menschen dürfen jetzt nicht einem Generalverdacht ausgesetzt werden, wie es die Rechtspopulisten und die Neonazis jetzt tun. Das dürfen wir nicht zulassen, denn sonst machen wir die Menschen, die bei uns Schutz suchen, zum zweiten Mal zu Opfern. Das darf nicht geschehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])

Wir werden uns in diesem Untersuchungsausschuss auch mit sehr konkreten Fragestellungen auseinandersetzen müssen. Einige haben die Vorredner schon angesprochen. Wir werden lückenlos aufklären, warum weder durch das PP Köln noch durch die Bundespolizei zusätzliche Kräfte der Landespolizei angefordert wurden, obwohl sie aufseiten der Landespolizei doch in großer Zahl zur Verfügung standen.

Wir werden neben den organisatorischen Fehlern der Kölner Polizei auch die Fehler der Bundespolizei thematisieren, denn wir lassen uns nicht von einem Bundesinnenminister belehren, dessen Politik zu Personalmangel bei der Bundespolizei geführt hat. Es ist gut, dass wir diesen Themenkomplex gemeinsam aufnehmen konnten.

(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

Wir werden klären, warum neben den Sicherheitsbehörden des Landes auch die des Bundes, insbesondere das Bundeskriminalamt, vor der Silvesternacht keine vollständige Einschätzung des neuen Kriminalitätsphänomens hatten. Wir erwarten an dieser Stelle auch von der Opposition, dass endlich nicht nur Behauptungen, sondern Belege zur Frage der von Ihnen so bezeichneten No-go-Areas vorgelegt werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Die Opposition soll jetzt im Untersuchungsausschuss Belege vorlegen?)

Wir werden natürlich auch untersuchen, wie es zu der verfehlten Kommunikation nach dem Einsatz kommen konnte; denn diese verfehlte Kommunikation hat viel zum Vertrauensverlust beigetragen.

Meine Damen und Herren, dieser Untersuchungsausschuss bietet aber auch Chancen, nach vorne gerichtet über Konsequenzen zu diskutieren.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Oh, jetzt!)

Zunächst geht es um Konsequenzen für die Organisationskultur der Polizei. Wir wurden in den letzten Wochen stets seitens der CDU mit wilden Behauptungen konfrontiert, wonach man innerhalb der Polizei angeblich aus „vorauseilendem Gehorsam“ etwas nicht sagen oder nicht tun oder nicht denken dürfte. Sie sind bis heute jeden Beleg, aber auch jeden Vorschlag schuldig geblieben.

Wir Grünen wollen eine Polizei, die den Bürgerinnen und Bürgern offen gegenübertritt, die Vertrauen ausstrahlt und neue Kriminalitätsphänomene nach innen und außen offen anspricht und sie professionell und rechtsstaatlich angeht. Dazu gehört neben dieser Organisationskultur auch eine Fehlerkultur.

(Beifall von den GRÜNEN – Michele Marsching [PIRATEN]: Die haben wir doch angeblich schon!)

Für uns Grünen ist außerdem klar: Wir benötigen eine neue Debatte über eine bessere Prävention sexualisierter Gewalt. Sexuelle Gewalt gibt es in allen Schichten und in allen Altersgruppen. Wir werden unseren Kampf verstärken, dieser Gewalt wirksam vorzubeugen. Dazu gehört, wirksame Schutzkonzepte für alle Einrichtungen zu entwickeln. Dazu gehört aber auch, das Thema zu endtabuisieren und Mädchen und Frauen zu ermutigen, Taten anzuzeigen.

Wir werden uns auch anschauen, ob das Strafrecht den Behörden überhaupt genügend Möglichkeiten an die Hand gibt, um Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu verfolgen und zu bestrafen.

Meine Damen und Herren, der Untersuchungsausschuss, den wir heute gemeinsam beschließen, fällt in eine aufgeheizte Diskussion, die teilweise unsachlich, blindwütig und völlig enthemmt geführt wird. Ich kann nur an alle appellieren: Helfen Sie durch die Aufklärung mit, dass wir in der Debatte zu Maß und Mitte zurückfinden! Wir wollen gemachte Fehler der Polizeiführung aufklären, den Rechtsstaat stärken und Vertrauen in die Polizei zurückgewinnen.

Ich hoffe, dass zumindest die vier antragstellenden Fraktionen bereit sind, diese Arbeit zu leisten. Auf diese Arbeit freue ich mich. Ich will mit der Hoffnung schließen, dass wir die sachliche Tonlage dieses Tages gemeinsam beibehalten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bolte. – Nun spricht für die Piratenfraktion der Fraktionsvorsitzende, Herr Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren an den Bildschirmen und hier auf der Besuchertribüne! Ich fange mit einer Wiederholung an. Ich habe es schon in den entsprechenden Verlautbarungen der Presse gesagt und werde es hier wiederholen: Wir brauchen diesen Untersuchungsausschuss nicht. Wir brauchen keinen erneuten Missbrauch der Opfer. Wir brauchen keinen erneuten Missbrauch des Leids der Opfer zu Wahlkampfzwecken. Der Kollege Körfges hat das gerade angesprochen und ich spreche es ganz klar aus.

Bei all dem Honig, den Sie hier auskippen, wonach alles besser gemacht werden soll, habe ich gerade noch einmal nachgeschaut. Ich stehe hier mit dem Pad am Pult und habe gerade extra die Suche angeworfen:

Das Wort „Opfer“ kommt genau einmal in den Detailfragen vor, und zwar bei der Vermittlung von Opfern an die schon bestehenden Frauenberatungsstellen. Ansonsten werden Opfer dort nicht erwähnt. Das Wort „Hilfe“, das gerade auch erwähnt wurde, kommt keinmal vor. Überhaupt nicht, null, kein Vorkommen! Das Wort „Schutz“ kommt einmal vor, und zwar unten im Footer. Dort steht, dass man eine Schutzgebühr bezahlen muss, wenn man sich den Antrag kopieren möchte.

Und da sagen Sie, Sie wollen Vertrauen in den Rechtsstaat wieder herstellen. Ich finde das ehrlich gesagt lächerlich.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich wiederhole noch etwas, und das ist kein Geheimnis. Wir Piraten sagen: Jäger muss weg. Der Innenminister muss Platz für etwas Neues machen, und zwar für Lösungen. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss verzögert nur die notwendigen politischen Konsequenzen, die wir in diesem Land jetzt brauchen. Denn es ist völlig egal, wo es noch Fehler gegeben hat. Politisch hat der Herr Noch-Minister die Verantwortung.

Ich spiele jetzt die Gebetsmühle: Es gibt keine Präventionskonzepte. Es gibt keine ausreichende Ausbildung der Polizei zum Thema sexualisierte Gewalt. Es gibt keine Deeskalationsstrategie für Vorkommnisse wie in Köln. Es gibt kein funktionierendes Krisenmanagement in einem trudelnden, in einem instabilen Land, in einer instabilen Situation.

Der Innenminister hat keine Strategie. Er hat es gerade selbst gesagt. Ich nehme es generalisierend. Wir haben es schon häufiger gesagt: Der Innenminister fährt auf Sicht. Dabei bräuchten wir eine Strategie, und zwar genau jetzt und nicht erst mit einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

(Beifall von den PIRATEN)

Das Land ist destabilisiert. Der Zustand sollte durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht aufrechterhalten werden, sondern wir sollten jetzt einen Schnitt machen. Statt eines Untersuchungsausschusses benötigen wir einen Innenminister mit Rückgrat. Ich nennen Ihnen ein schönes Zitat, Herr Jäger, das Sie gerne nutzen dürfen. Frau Düker hat gerade auch mein Zitat benutzt, wonach Sie Teil des Problems und nicht der Lösung sind.

Ich schlage Ihnen vor, Sie sagen: „Ich, der Innenminister, mache meinen Stuhl frei, und zwar nicht, weil ich persönliche Fehler gemacht habe, sondern um Schaden vom Land und vom Amt des Innenministers abzuwehren. Ich mache den Stuhl für eine Person frei, die Integrationsfigur ist, die eine Krisen-Taskforce einsetzt, die das Land wieder stabilisiert, die eine Integrationsfigur gerade in Zeiten ist, in denen viele Geflüchtete im Land ankommen, und die sich an die Spitze einer interministeriellen Zusammenarbeit des Innenministeriums, des Integrationsministeriums und des Gleichstellungsministeriums setzt.“

(Beifall von den PIRATEN)

Punkt. Aus. Staatsmännischer Abgang. Das wäre großartig.

Ich sage es noch einmal: Wir benötigen keinen PUA als Wahlkampfmittel auf dem Rücken der Opfer. – Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss stellt auch nicht das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder her. Das Vertrauen in den Rechtsstaat herzustellen und zu erhalten ist Aufgabe einer Regierung, ist Aufgabe eines Innenministeriums.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir lehnen diesen Untersuchungsausschuss ab. Wir können dem nicht zustimmen. Wir werden uns bei der Abstimmung aber enthalten; denn wir achten die Minderheitenrechte in diesem Parlament. Natürlich können und werden Sie den Untersuchungsausschuss einsetzen. Entgegen dem, was der Kollege Bolte gerade sagte, werden wir Piraten natürlich auch in diesem Ausschuss mitarbeiten. Sie werden nicht drum herumkommen, dass wir Ihnen immer wieder sagen, wie Sie dieses wichtige Instrument für Ihren Wahlkampf missbrauchen.

Wir werden stattdessen die Opfersicht einnehmen. Wir werden Aufklärung der konkreten Vorkommnisse fordern. Wir werden fragen, wie es mit den Hilfen für die Opfer und mit der Verhinderung ähnlicher Straftaten in Zukunft aussieht.

Seien Sie sicher: Die Opfer werden eine Stimme haben – diejenigen, die echte Aufklärung der Straftaten wollen und die keine weiteren Bauernopfer suchen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Marsching. – Nun spricht der fraktionslose Abgeordnete Schwerd.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Tribüne und an den Bildschirmen! An der politischen Verantwortung für dieses Desaster, für dieses vollkommene Staatsversagen in der Silvesternacht ändert auch ein Untersuchungsausschuss nichts. Die politische Verantwortung dafür tragen die obersten Dienstherren der Polizei: die Innenminister von Land und Bund, Jäger und de Maizière. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Dennoch ist dieser Untersuchungsausschuss dringend nötig. Aufklärung dieses ungeheuerlichen Vorgangs tut bitter not. Wir müssen erfahren, warum zu wenig Beamte vor Ort waren, warum sie so hilflos waren, warum keine Verstärkung kam. Wir müssen wissen, warum die Kommunikation während des Einsatzes und danach so katastrophal war, und wir müssen daraus die entsprechenden Lehren zur Verstärkung der Polizei und zur Verbesserung von Planung und Organisation ziehen.

Die einfache Lösung in Form von mehr Überwachung hat sich jedenfalls als unwirksam erwiesen. Mehr davon nützt eben nicht mehr.

Doch all das hilft den Opfern der Silvesternacht herzlich wenig, und das kommt mir in der öffentlichen Debatte deutlich zu kurz. Man konzentriert sich auf die mutmaßliche Herkunft der Täter. Das wird dann für miese Stimmungsmache gegen geflüchtete Menschen verwendet. Die Opfer sind diesen Scharfmachern doch total egal. Die Opfer müssen den Eindruck bekommen, niemand interessiere sich für sie.

Auch im Antrag auf den Untersuchungsausschuss kommt mir die Perspektive der Opfer ganz deutlich zu kurz. Dabei sollte das ein Hauptaugenmerk unserer Bemühungen sein.

(Beifall von den PIRATEN)

Wie kann man Opfern der sexualisierten Gewalt effektiv helfen? Was müssen wir für die Verbesserung ihrer Situation veranlassen? Haben wir genug Angebote dafür? Sind sie schnell genug verfügbar? Werden Betroffene ernst genug genommen? Was können wir weiter tun, um sexualisierte Gewalt zu verhindern? Wie kann man die öffentliche Aufklärung und die öffentliche Debatte befördern? Was für Strafbarkeitslücken haben sich offenbart?

Ein ganz krasses Beispiel ist der Verlauf der Anzeigenaufnahme in der Polizeiinspektion 1. Um 23:30 Uhr standen etwa 30 bis 50 Personen, die Anzeige erstatten wollten, gerade einmal zwei Beamte zur Anzeigenaufnahme gegenüber. Wie lange hätten die Opfer denn warten sollen, bis sich jemand um sie kümmert? Kein Wunder, dass man sich da im Stich gelassen fühlt.

Daher habe ich hier einen Änderungsantrag zu diesem Einsetzungsantrag vorgelegt, der neben einer Reihe von ungeklärten Detailfragen des Einsatzes vor allen Dingen einen Schwerpunkt auf die Perspektive der Betroffenen legt. Es ist schade, dass ein gemeinsamer Antrag mit den vier Fraktionen von den vier Fraktionen nicht gewünscht worden war. Wenigstens auf meine Bitte hätten Sie antworten können. Das wäre fairer Umgang gewesen. – Aber das ist kein guter Stil von Ihnen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Guter Stil! Das sagt gerade Daniel Schwerd!)

Ich denke, wir müssen unsere Untersuchungskapazität sinnvollerweise auch dafür verwenden, wie man Opfern sexualisierter Gewalt wirklich helfen kann, wie man sexualisierte Gewalt im Vorfeld eindämmt und nicht für Wahlkampfgetöse nutzt. Daran würde ich gerne mitarbeiten, und dafür bitte ich um Ihre Unterstützung. – Herzlichen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schwerd. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Altenkamp.

Britta Altenkamp (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine unserer wichtigsten Aufgaben in diesem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wird es sein, die Haltung des Parlaments hinsichtlich des Opferschutzes und hinsichtlich der Perspektive der Opfer deutlich zu machen. Deshalb, Herr Marsching – das muss ich Ihnen sagen –, ist der Beitrag, den Sie gerade geleistet haben, überaus missbräuchlich und anmaßend.

(Beifall von der SPD)

Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Sie seien jetzt sozusagen der Arm der Opfer in diesem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss,

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ja, Sie sind es nicht! Sonst hätten Sie es reingeschrieben!)

dann ist das ein erneuter Missbrauch der Opfer. Das ist ein erneuter Missbrauch.

(Beifall von der SPD – Michele Marsching [PIRATEN]: Wo stehen die Opfer denn in dem Antrag?)

Sie kochen Ihre Suppe auf dem Rücken der Opfer, und das ist unerhört! Die Opfer brauchen Ihre Unterstützung wirklich nicht.

(Zurufe von den PIRATEN: Wo stehen denn die Opfer im Antrag? Wo stehen sie? Wo haben Sie sie erwähnt? – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Die brauchen Ihr Wahlkampfgetöse nicht!)

Die Opfer brauchen die Unterstützung

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Unglaublich!)

von Beratungsstellen, von Menschen, die ihnen in ihrer akuten Situation Verständnis entgegenbringen und die ihnen helfen, die Vorkommnisse des Abends mit ihren persönlichen Konsequenzen zu überwinden.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Was für eine überhebliche Arroganz!)

Ganz sicher brauchen sie Ihren Missbrauch und Ihre erneute Demütigung in diesem Haus nicht.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Unsere Demütigung? – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist eine Frechheit! Absolute Frechheit!)

Es darf eben nicht der Eindruck entstehen, dass die Opfer der Übergriffe in der Silvesternacht erneut nur das Vehikel für Parteienauseinandersetzungen sind.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Aber so ist es doch! – Marc Olejak [PIRATEN]: Sie nutzen doch das PUA-Gesetz des Landes für Wahlkampfgetöse!)

Das nämlich ist exakt das, was Sie heute geliefert haben, indem Sie es auch noch angekündigt haben.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Genau das ist es! Tun Sie nicht so scheinheilig! – Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Heuchlerin!)

Heute ist die zentrale Fragestellung auch noch einmal vom WDR gestellt worden: Wer wusste wann was? – Ich will es deutlich sagen: Das ist nicht die zentrale Fragestellung, die wir für uns als Parlamentarier der SPD in diesen Untersuchungsausschuss einbringen wollen.

(Zuruf von den PIRATEN: Nämlich?)

Vielmehr wollen auch wir daran mitwirken, dass diese Vorkommnisse so aufgearbeitet werden können, dass ähnliche in Zukunft wirksam verhindert werden können. Deshalb ist der Fragenkomplex, der sich mit den Opfern der sexualisierten Gewalt in der Silvesternacht beschäftigt, ganz entscheidend.

Insofern, Herr Schwerd, können wir all die Fragen, die Sie haben, in diesen Fragenkomplex aufnehmen und intensiv behandeln. Ihre Fragen sind berechtigt; daran ist nichts verkehrt. Daher haben wir sie in den Teil, in dem es um die großen Fragestellungen geht, mit aufgenommen und berücksichtigt, sodass Sie sicher sein können, dass wir diese konkreten Fragen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss klären werden.

In diesem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss muss es auch darum gehen, dass es nicht klug ist, weiterhin sexualisierte Gewalt zu kulturalisieren oder zu ethnisieren. Es kann nicht sein, dass am Ende der Eindruck entsteht, sexualisierte Gewalt sei ein Phänomen der anderen. Das ist das eine.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Zum anderen kann es nicht sein, dass sexualisierte Gewalt hierarchisiert und in ein Verhältnis mit anderen Gewaltdelikten gesetzt wird, wie zum Beispiel Gewalt gegen Polizisten. Auch deshalb sind wir, glaube ich, gut beraten, über diese Dinge sehr intensiv zu sprechen und sie zu klären.

Zudem müssen wir uns sehr intensiv mit der Frage des Opferschutzes und der Prävention solcher Taten auseinandersetzen. Ich glaube außerdem, dass wir es mit einem für uns ziemlich neuen Phänomen zu tun haben. Geeignete Maßnahmen dafür zu ergreifen ist das eine. Zum anderen muss auch geklärt werden, ob die Maßnahmen und Angebote, die uns heute zur Verfügung stehen, um solche Dinge zu verhindern, tatsächlich ausreichen.

Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass das eine spannende Arbeit wird, auch wenn ich mich sehr darüber ärgere,

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Dummes Gefasel!)

dass immer wieder Versuche unternommen werden, um über diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Themen in der Opposition zu klären, die in diesem Haus eigentlich auf anderem Weg geklärt werden könnten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Altenkamp. – Nun spricht Frau Scharrenbach für die CDU-Fraktion.

Ina Scharrenbach (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute Morgen ist schon viel über den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Silvesternacht geredet worden. Aber es gibt einen Punkt, der mir persönlich deutlich zu kurz gekommen ist. Ich meine das, was die vielen Frauen in der Silvesternacht nicht nur in Köln, sondern auch an anderen Bahnhöfen in Nordrhein-Westfalen erfahren haben.

In der Silvesternacht haben sie erleben müssen, dass ihre Freiheit und ihr Lebensgefühl angegriffen wurden. Sie haben erleben müssen, dass sie Hilfe bei Staatsbediensteten gesucht, sie aber nicht bekommen haben. Was muss das für ein unglaubliches Gefühl sein, in seiner solchen Situation hilflos zu sein und zu merken, dass auch der Staat hilflos ist angesichts der Ereignisse, die dort passiert sind!

Deshalb – Herr Körfges, da gebe ich Ihnen recht – geht es in der Tat um die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates. Aus diesem Grund ist es richtig, dass dieser Untersuchungsausschuss eingesetzt wird; denn die Opfer der Silvesternacht haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer denn die Verantwortung trägt. Sie haben auch ein Recht darauf, zu erfahren …

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist okay! – Zuruf von den PIRATEN: Aber das steht nicht drin! – Michele Marsching [PIRATEN]: Genau!)

– Doch, das steht drin. Das steht drin. Lesen Sie es! – Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer die Verantwortung trägt. Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer in der Landesregierung die Verantwortung trägt, nämlich das Innen- und das Justizministerium und die Ministerpräsidentin. Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer vonseiten der Bundespolizei und des BKA die Verantwortung trägt.

Das aufzuklären ist unsere Aufgabe in diesem Untersuchungsausschuss, und zwar in Verantwortung für die Opfer dieser Silvesternacht. Das ist etwas, was Kollegin Altenkamp gerade formuliert hat.

(Beifall von der CDU)

Wir werden übrigens auch zu klären haben, Herr Bolte – schließlich haben Sie sehr auf das Bundeskriminalamt und die Zuständigkeiten des Bundesministeriums für die Vorkommnisse im Bahnhof in Köln abgehoben –,

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Das habe ich so nicht gesagt!)

welche Verantwortung das LKA für die Vorkommnisse trägt. Denn das LKA – und das wissen Sie – hat die relevanten Informationen über Erscheinungsformen und Entwicklung von Kriminalität in Nordrhein-Westfalen zusammenzuführen und die entscheidenden Stellen darüber zu informieren.

Sie wissen, dass schon im September 2014 im Innenausschuss über die Erscheinungsformen von Kriminalität nordafrikanischer Gruppen berichtet und diskutiert wurde. Deshalb wird es auch um die Frage gehen: Wer hat was nicht erkannt? Wer hat warum nicht die entscheidenden Maßnahmen ergriffen, sodass hier in Nordrhein-Westfalen so etwas wie in der Silvesternacht passieren konnte?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Kollateralschäden aufgrund der Ereignisse in der Silvesternacht – das wissen Sie aus den vielen Gesprächen, die Sie alle führen – sind die, dass Mädchen und Frauen zum Teil gar nicht mehr Zug fahren, weil sie Sorgen haben; ob diese berechtigt oder unberechtigt sind, werden wir zu klären haben. Sie gehen nicht mehr allein weg und schränken sich in ihrer Lebensweise ein. Das ist etwas, was wir als Vertreter des Parlamentes, als Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen, nicht hinnehmen dürfen.

Am Ende dieses Untersuchungsausschusses – das ist das, was ich mir persönlich wünsche – muss stehen, dass wir den Opfern und allen Frauen in Nordrhein-Westfalen das Lebensgefühl und die Freiheit wiedergeben, die dieses Land verdient. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Scharrenbach. – Für die Piratenfraktion hat sich noch Frau Kollegin Brand zu Wort gemeldet.

Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Frau Altenkamp, ich weiß nicht, ob Sie Herrn Marsching wirklich zugehört haben. Er hat es Ihnen ganz deutlich erklärt. Wahrscheinlich haben Sie auch nicht den Einsetzungsbeschluss des Untersuchungsausschusses gelesen. Bei den aktuellen Fragestellungen geht es noch nicht um Opfer, Schutz und Hilfe.

(Widerspruch bei Matthi Bolte [GRÜNE] – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht!)

Das so darzustellen, als brauchte der Herr Marsching dies jetzt – und ausgerechnet von der SPD, die auf dem letzten Drücker auf den Antrag draufgesprungen ist, damit sie auch noch gegen Herrn de Maizière etwas sagen kann und ihren Minister Jäger in Schutz nehmen kann –, das ist einfach unerhört. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von den GRÜNEN: Das war unseriös!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Damit kommen wir erstens zur Abstimmung über den Änderungsantrag des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd Drucksache 16/10884. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? – Herr Schwerd, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP. Wer enthält sich? – Die Piratenfraktion. Also ist der Änderungsantrag Drucksache 16/10884 bei Enthaltung der Piratenfraktion mit den Stimmen von SPD, Grünen, CDU und FDP abgelehnt.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 16/10798 – Neudruck. Auch hier ist von allen Fraktionen, die den Antrag gestellt haben, direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt diesem Antrag zu? – SPD, Grüne, CDU, FDP und Herr Schwerd, fraktionslos. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Niemand. Wer enthält sich? – Es enthält sich, wie angekündigt, die Piratenfraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 16/10798 -– Neudruck – einstimmig beschlossen.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich Herrn Abgeordneten Rohwedder eine Frage stellen. Herr Rohwedder, stehen Sie zu dem Ausdruck, den Sie eben dazwischengerufen haben?

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Was habe ich denn gesagt?)

– “Heuchlerin“ haben Sie gerufen. Stehen Sie dazu?

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Ja!)

– Sie stehen dazu. Dann wird das gerügt. Ich rufe Sie zur Ordnung, weil dieser Ausdruck im Hohen Hause nicht in Ordnung ist.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Das ist aufmerksamen Zuhörerinnen hier oben aufgefallen – mir, ehrlich gesagt, nicht. Das lässt mich darauf schließen, dass ich einmal zum Ohrenarzt gehen müsste. Aber immerhin: Wir hier hören alles. Das sollten sich alle merken. Herr Rohwedder, nehmen Sie es zur Kenntnis.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

4   Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV und Wahl der Vorsitzenden/des Vorsitzenden

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10869

Eine Aussprache ist hierzu nicht vorgesehen.

Damit kommen wir direkt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag Drucksache 16/10869. Wer stimmt diesem Wahlvorschlag zu? – SPD, Grüne, CDU, FDP und die Piratenfraktion. Das sind alle Fraktionen. Wer ist dagegen? Der fraktionslose Abgeordnete Schwerd ist gegen diesen Wahlvorschlag. Wer enthält sich? – Es gibt keine Enthaltungen. Also ist der Wahlvorschlag Drucksache 16/10869 bei einer Gegenstimme des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd mit großer Mehrheit hier im Hohen Hause angenommen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

5   Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. #Ausnahmslos.

Antrag
des Abg. Schwerd (fraktionslos)
Drucksache 16/10800

In Verbindung damit

Opfer nicht aus dem Blick verlieren – Täter ermitteln und bestrafen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10787

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10881

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10885

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Schwerd, fraktionslos, das Wort. Bitte schön.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Tribüne und an den Bildschirmen! Wir bemühen uns heute hier im Plenum darum, Lehren aus den Verbrechen der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof zu ziehen. Ich bin sehr froh über die Initiative ausnahmslos.org, die das Augenmerk auf die Opfer von Gewalt legt, und zwar auf alle Opfer; denn sexualisierte Gewalt gibt es nicht nur in dunklen Bahnunterführungen oder an verlassenen Orten. Es gibt sie überall – in allen Schichten, in Familien und Ehen, am Arbeitsplatz genauso wie auf der Straße. Es gibt eine regelrechte Kultur der Gewalt gegen Frauen, die sich im alltäglichen Sexismus äußert.

Die Autorinnen der Initiative ausnahmslos.org bemühen sich, diese Debatte vom Rassismus zu trennen, den die vermutliche Herkunft der Täter ausgelöst hat. Das ist auch dringend nötig.

Wenn sich jetzt Bürgerwehren aus dem Rocker-, Nazi-, Hooligan- oder Türstehermilieu auf der Straße bilden, wollen die doch nicht unsere Frauen schützen. Ausgerechnet die! Denen sind die Frauenrechte doch total egal. Ich glaube, die meisten Frauen können auf diese Art Schutz sehr gut verzichten. Eine andere Art Schutz ist nötig.

(Beifall von den PIRATEN)

Vergangenes Jahr – an einem durchschnittlichen Donnerstagabend auf dem Oktoberfest – griff ein junger Deutscher einer amerikanischen Besucherin unter den Rock. Diese drehte sich um und zog dem Typen einen Maßkrug über den Schädel. „Geschieht ihm recht“, möchte man fast sagen. Das Ganze endete mit einer vierstelligen Geldstrafe – allerdings für die Frau, nicht für den Mann.

Der Wiesn-Report der Polizei sprach von einem „spaßig gemeinten“ Griff unter den Rock, den der „kecke Bursche“ gemacht habe. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen. Ich finde den Griff an die Geschlechtsteile eines Menschen ohne dessen Zustimmung nicht spaßig. Ich persönlich bin über die Verharmlosung dieses sexuellen Übergriffs stocksauer.

Gerichte haben derzeit ein Problem damit, sexuelle Übergriffe zu ahnden, die ohne eine aktive Widerstandshandlung des Opfers stattfinden – etwa weil sie so schnell passieren. Das zeigt doch ganz klar eine Strafbarkeitslücke auf. Ich finde, niemand muss es hinnehmen, ohne seinen Willen angefasst zu werden. Wer sich zu spät wehrt, macht sich sogar strafbar. So kann das nicht bleiben. Ein Nein muss immer ein Nein sein. Mehr noch: Kein Ja ist auch ein Nein.

Bei dem vorliegenden Antrag habe ich mich bei den Abschnitten eins und zwei mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen beim Text der Initiative ausnahmslos.org bedient und einige politische Forderungen daraus abgeleitet. Die Arbeit der Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt muss gestärkt werden. Therapieplätze müssen in ausreichender Zahl und ausreichend schnell verfügbar sein. Schutzlücken bei sexueller Nötigung müssen auf Bundesebene geschlossen werden. Jetzt wäre die Zeit, wo sich die Landesregierung dafür aktiv einsetzen kann. Das Problembewusstsein ist jetzt da.

Polizei und Justiz müssen sensibel mit den Opfern umgehen und eine angemessene Strafverfolgung einleiten. Die Pädagogik muss in unserem Land geschlechtersensibel problembewusst sein. Es muss auch und gerade gegen die Stigmatisierung von Opfern sexueller Gewalt eine öffentliche Debatte geführt werden.

Den Aufruf von ausnahmslos.org unterstützen dankenswerterweise schon eine ganze Reihe Kolleginnen und Kollegen dieses Landtags aus ganz verschiedenen Parteien. Dafür möchte ich ihnen ganz herzlich danken.

Lassen Sie uns also einen gemeinsamen Beschluss fassen und als Parlament diesen Aufruf unterstützen. Ich fände, das wäre ein schönes Zeichen – gerade auch dafür, dass wir uns der Verantwortung für die Opfer stellen.

Es ist sehr schade, dass wir keinen gemeinsamen Antrag hinbekommen haben. Aber geben wir dem Ganzen noch eine Chance! Ich habe beantragt, dass dieser Antrag gemeinsam mit den anderen vorliegenden Anträgen in die Ausschüsse überwiesen wird, sodass wir noch die Gelegenheit haben, möglicherweise zu einem gemeinsamen Vorgehen zu kommen. Machen Sie etwas daraus! Jedenfalls sind alle drei Anträge dem Grunde nach gut und unterstützenswert. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schwerd. – Als nächste Rednerin spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Jansen.

Daniela Jansen (SPD): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Präsident! Mit Ihrer Erlaubnis beginne ich mit einem Zitat.

„Ich trage seitdem auch nur noch Hosen. Ich habe mich gewehrt, aber er war nicht leicht abzuwehren. Der Täter hat danach siegessicher gegrinst.“

Dieses Zitat stammt aus einem Artikel der „Aachener Nachrichten“ und schildert einen sexuellen Übergriff. So oder so ähnlich lauten auch viele Berichte von der Silvesternacht in Köln. Dieses Zitat stammt allerdings von einer heute 74-jährigen Frau, die vor über 30 Jahren einen sexuellen Angriff durch einen Nachbarn erleben musste.

Die heutigen Schlagzeilen führen zu Retraumatisierungen bei Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, und sei sie auch noch so viele Jahre her. Sexuelle Gewalt ist kein neues Phänomen. Neu ist allerdings die Form, wie sie in der Silvesternacht Hunderten von Frauen widerfahren ist. Ich glaube, das Ausmaß dieser Abscheulichkeit hätte sich niemand vorstellen können. Eine bandenmäßige Verabredung zu sexuellen Übergriffen oder auch nur zu Diebstählen ist ein neues Phänomen für Deutschland. Diese Taten sind abscheulich. Den Opfern ist unsägliches Leid widerfahren. Und nicht nur das: Auch ein Gefühl der Ohnmacht stellt sich ein; denn im öffentlichen Raum befindet sich – anders als sonst – kein ausreichender Schutz durch die Polizei.

Dieses Phänomen der verabredeten Übergriffe und der Organisiertheit ist neu. Alt ist leider die Erfahrung vieler Frauen mit sexueller Gewalt. Jahr für Jahr werden bei der Polizei zwischen 7.000 und 8.000 Anzeigen wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung aufgenommen. 40 % aller Frauen erleben körperlich sexuelle Übergriffe.

Eine Analyse im Auftrag des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe ergab: Das deutsche Strafrecht schützt, zumindest gegenwärtig, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung der Frau nicht. Werden Frauen belästigt, begrapscht und an Geschlechtsteilen angefasst, gehen die Täter zumeist straflos aus.

Heute sieht die Rechtslage wie folgt aus: Wenn der Täter das Opfer an einen Ort verbringt, an dem es keine Hilfe erwarten kann und angesichts seiner hilflosen Lage auch keine Verteidigung für sinnvoll hält und vor Schrecken starr den sexuellen Übergriff über sich ergehen lässt, handelt es sich um eine objektiv schutzlose Lage. Da wir nicht alle Juristen sind, erkläre ich Ihnen kurz, was das bedeutet: Der Tatbestand der Nötigung fällt weg, und es kommt in den meisten Fällen noch nicht einmal zur Erhebung einer Anklage oder zur Eröffnung des Verfahrens.

Wir benötigen deshalb sehr dringend eine Reform der §§ 177 und 179 Strafgesetzbuch, um diese Schutzlücke zu schließen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Wir Frauenpolitikerinnen fordern: Unser Ja zur Novellierung des Gesetzesbedeutet: Nein heißt nein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Das komplette Ausmaß der Übergriffe rund um den Kölner Hauptbahnhof ist erst nach und nach deutlich geworden. Das liegt auch daran, dass viele Frauen erst durch diese öffentliche Debatte den Mut hatten, eine Anzeige zu erstatten.

Jetzt komme ich zu den negativen Seiten dieser Debatte, die es leider auch gibt. Es melden sich Menschen, egal ob Politiker, Bürgerwehren oder Populisten, zu Wort, die sich, zumindest bis zu dieser Silvesternacht, noch nie für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau interessiert haben.

Deshalb sage ich Ihnen an dieser Stelle ganz klar: Wir brauchen keine selbsternannten feministischen Lautsprecher, die früher eher Leisetreter waren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Situationsfeministinnen brauchen wir genauso wenig wie Rechtspopulisten, die versuchen, aus den Geschehnissen politisches Kapital zu schlagen.

Herr Kollege Schwerd hat es schon angedeutet. Es gab schon 2013 eine Debatte unter dem Hashtag „#aufschrei“, die jetzt mit dem Hashtag „#ausnahmslos“ ihre Fortführung findet. Erst wenn die Opfer verstehen, dass sie nicht die Einzigen sind, die Erniedrigung und Entwürdigung ertragen mussten, finden viele den Mut, darüber zu sprechen.

Aus diesem Grund legen wir den Antrag vor – mit vielen Punkten, die Sie dem Antrag noch einmal entnehmen können.

Ich finde es sehr schön, dass auch die FDP mit einem Entschließungsantrag deutlich gemacht hat, dass der Punkt „Gendersensibilität“ nicht völlig fremd in ihrem Wortschatz ist.

(Lachen von Susanne Schneider [FDP])

Wir freuen uns sehr darüber und stimmen selbstverständlich der Überweisung zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Jansen. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal möchte ich anmerken, dass ich es ein bisschen schade finde, dass ein derart wichtiger politischer Punkt doch so wenig Publikum und leider auch wenig mediales Interesse hat.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Denn wenn wir, wie ich gerade höre, die Opferperspektive mehr in den Blick nehmen wollen, wäre es schön, wenn das auch in der Diskussion mehr Widerhall fände und auch durch mehr Anwesenheit goutiert würde.

Aber zum Thema: Die Ereignisse der Silvesternacht in Köln und anderen Städten haben uns zutiefst schockiert. In Düsseldorf, in Bielefeld, in Hamburg, in Stuttgart und auch in anderen Städten Nordrhein-Westfalens und Deutschlands ist es zu Übergriffen gekommen, die die Menschen verunsichert haben und ihr Sicherheitsgefühl erschüttert haben.

In dieser Nacht sind wir nicht in der Lage gewesen, insbesondere Frauen vor sexualisierter Gewalt und vor Übergriffen zu schützen. Öffentliche Räume, wie es Bahnhofsvorplätze und andere belebte Plätze nun einmal sind, sind in dieser Silvesternacht zu Angsträumen geworden. Das dürfen und das werden wir in Zukunft nicht zulassen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Die massenhaften Angriffe waren widerlich. Sie dürfen sich nicht wiederholen. Die Täter müssen verfolgt und bestraft werden. Das sind wir nicht zuletzt den Opfern schuldig. Im Übrigen ist das auch keine Frage von Herkunft; denn Straftäter sind Straftäter.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Trotzdem müssen die Hintergründe der Taten und die Tätergruppen genau analysiert werden. Daher ist es wichtig, dass die Frage der sexualisierten Gewalt auch ein zentraler Bestandteil der Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sein wird, den wir gerade gemeinsam eingesetzt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, laut Bericht des Innenministeriums vom 21. Januar 2016 sind allein in Köln 821 Straftaten angezeigt worden. 359 Anzeigen davon erfolgten wegen Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Die große Anzahl der Anzeigen zeigt ein bisher unvorstellbares Ausmaß. Auch in anderen Städten – ich habe es gerade erwähnt – ist es zu Übergriffen gekommen.

Offensichtlich ist das öffentliche Interesse maßgeblich dafür gewesen, dass Frauen endlich den Mut gefasst haben, sexuelle Übergriffe gegen sie auch zur Anzeige zu bringen. Das ist wichtig; denn es ist wichtig, dass Frauen diesen Mut haben und auch das Vertrauen haben, dass Übergriffe, die gegen sie gerichtet passieren, auch ernst genommen werden.

Die bundesweiten Ereignisse in und nach der Neujahrsnacht haben sexualisierte Gewalt ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Das ist wichtig; denn üblicherweise ist sexualisierte Gewalt leider eine Straftat mit einem sehr großen Dunkelfeld.

Die meisten Taten kommen nicht einmal zur Anzeige – aus Angst, aus Scham, aus dem Gefühl heraus, dass man eventuell nicht ernst genommen wird oder dass man gar noch selbst beschuldigt wird: „Sie hat es doch auch gewollt“ oder „Was sieht sie denn so aus?“ und „Sie ist doch selber schuld“, oder weil die Frauen – und das finde ich das Schlimmste – selber das Gefühl haben, es sei nicht schwerwiegend genug oder es sei noch nicht einmal strafwürdig, und das, obwohl sie darunter oftmals für den Rest ihres Lebens nachhaltig leiden.

Doch steht fest: Sexualisierte Gewalt ist und darf kein Kavaliersdelikt sein. Leider ist es auch kein neues Phänomen. Die aktuell aufgeheizte Debatte darf nicht den Blick darauf verstellen, dass sexualisierte Gewalt in Deutschland ein alltägliches Phänomen ist, das keine Schicht und keine Herkunft kennt.

In den meisten Fällen ist es eine Tat im sozialen Nahfeld. Jede vierte Frau in Deutschland wird im Laufe ihres Lebens Opfer sexualisierter physischer und/oder psychischer Gewalt, und zwar, weil sie eine Frau ist.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik in Nordrhein-Westfalen weist für das Jahr 2014 10.138 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung aus sowie allein 1.814 Vergewaltigungen und Fälle besonders schwerer sexueller Nötigung. 96,5 % der Opfer einer Vergewaltigung sind Frauen. Drei Viertel kannten den Tatverdächtigen zumindest flüchtig.

Diese Zahlen beschreiben nur das sogenannte Hellfeld. Eine aktuell veröffentlichte Dunkelfeldstudie des LKA Niedersachsen macht in erschreckendem Ausmaß deutlich, wie klein der Anteil der tatsächlich angezeigten Straftaten ist; denn laut dieser Studie werden nur knapp 6 % aller Sexualstraftaten angezeigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Polizei ist in der Silvesternacht nicht in der Lage gewesen, die betroffenen Frauen vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Diese Vorfälle haben der Debatte über die Verschärfung des Sexualstrafrechts zu Recht eine neue Dynamik verliehen; denn die aktuelle Gesetzgebung ist nicht in der Lage, Frauen ausnahmslos vor sexualisierter Gewalt zu schützen.

Frauen, die in dieser Nacht angegrapscht wurden, können sich nicht auf den Schutz des Rechtsstaates verlassen; denn Grapschen ist bislang kein Straftatbestand. Das deutsche Recht suggeriert durch diese Schutzlücke, ein bisschen Grapschen sei schon okay. Es unterstützt damit eine sexistische Kultur in dieser Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Frauen müssen aber durch das Recht in ihrer sexuellen Selbstbestimmung geschützt werden, ausnahmslos und voraussetzungslos. Nein heißt Nein. Das muss endlich auch in unserem Strafrecht gelten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die jetzt von Bundesjustizminister Maas vorgelegte Reform ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich finde es beschämend, dass es erst Hunderte Opfer in der Silvesternacht geben musste, bis die Union ihre Blockadehaltung zu diesem Thema aufgegeben hat.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich appelliere aber jetzt trotzdem sehr deutlich an die Bundesregierung: Es ist Zeit! Sexuelle Selbstbestimmung ist nicht relativierbar. Sie ist auch nicht verhandelbar. Es gilt, sie jetzt endlich voraussetzungslos und ausnahmslos zu schützen. Deswegen muss sich im Strafrecht niederschlagen: Nein heißt Nein. – Nicht mehr und nicht weniger erwarten wir jetzt vom Bundesgesetzgeber.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gäbe noch viel zu diesem Thema zu sagen. Sexismus ist der Nährboden für sexualisierte Gewalt. Dieser Sexismus ist ganz sicher nicht aus Nordafrika in unsere Gesellschaft eingewandert.

Wir Frauen verwahren uns gegen die Instrumentalisierung unserer sexuellen Selbstbestimmung und generell unserer Selbstbestimmung. Wir wollen auch nicht von irgendwelchen marodierenden Männerhorden und Bürgerwehren beschützt werden. Wir wollen eine offene und ehrliche Debatte über den alltäglichen Sexismus in unserer Gesellschaft. Wir fordern ein Sexualstrafrecht, das unsere sexuelle Selbstbestimmung schützt – ausnahmslos.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Paul. – Für die CDU-Fraktion steht nun Frau Scharrenbach am Pult.

Ina Scharrenbach (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Im Nachgang zur gerade geführten Debatte zum Untersuchungsausschuss passen diese Anträge heute ganz gut zu der Fragestellung, wie es weitergeht. Wie gehen wir in Zukunft insbesondere mit Fragen der Prävention um, kriminalpräventiv, aber auch in anderen Punkten, und – das ist für die CDU ein besonderer Schwerpunkt – wie gehen wir repressiv mit den Tätern um, um mögliche Folgetaten zu vermeiden?

Sie wissen: Frauen sind angreifbarer und verwundbarer. Das wissen Frauen aus der langen Geschichte der Menschheit heraus. Nichtsdestotrotz hat die Silvesternacht hervorgebracht, dass wir uns in der Bundesrepublik Deutschland und in Nordrhein-Westfalen doch wieder intensiver damit beschäftigen müssen, wie wir sexualisierte Gewalt in Zukunft verhindern und in bestimmte Gruppen hinein sehr deutlich machen, was eben nicht geht.

Deshalb, Frau Paul: Das Bundeskabinett wird sich heute mit einer Verschärfung des Sexualstrafrechts befassen. Sie haben, denke ich, dem Entschließungsantrag der CDU entnommen, dass wir dies sehr befürworten und gleich sogar die Landesregierung dazu auffordern – wie Sie auch –, sich für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts einzusetzen.

(Heike Gebhard [SPD]: Das hat lange genug gedauert!)

In einem anderen Antrag, der Ihnen ja vorliegt, steht noch „gegebenenfalls“. Insofern ist die CDU in Nordrhein-Westfalen klar aufgestellt.

Die Frage für uns ist im Besonderen: Wie können wir in der Zukunft vermeiden, dass Frauen zu Opfern werden? Wir haben uns im Frauenausschuss vielfach mit Fragestellungen der Bekämpfung von häuslicher Gewalt sowie von Gewalt gegen weibliche Menschen mit Behinderung und mit dem Thema „Cyberkriminalität und Frauen“ beschäftigt. Aber das Phänomen in der Silvesternacht war Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum. Das ist eine Besonderheit, auch in der Massivität, die wir hier landesweit und auch bundessweit erlebt haben.

Deswegen haben wir Ihnen mehrere Vorschläge unterbreitet, wie sich die CDU vorstellen kann, bei diesem Thema weiter voranzugehen. Dieser Antrag wird mit überwiesen. Wir freuen uns, dass es hier zu einer breiten Debatte kommen wird.

(Zuruf von Gerda Kieninger [SPD])

Wir haben Ihnen schon am 20. Januar dieses Jahres – Frau Kieninger, Sie werden sich erinnern – vorgeschlagen, dass wir uns im Frauenausschuss mit der Umsetzung der Istanbul-Erklärung auseinandersetzen, auch wenn sie noch nicht durch den Deutschen Bundestag ratifiziert ist, und vorab schauen, was wir denn daraus sinnvollerweise auf Nordrhein-Westfalen übertragen können.

Wir brauchen aber dringend – und dazu fordern wir auf – die Fortschreibung des Landesaktionsplans zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, der ja nun in den vergangenen Jahren sehr intensiv beraten und vorbereitet wurde. Die Ankündigung vom Herbst letzten Jahres war, dass man in diesem Jahr in der Lage sein wird, ihn vorzubereiten. Deshalb bin ich sehr gespannt, Frau Ministerin, ob Sie uns gleich einen Vorschlag bzw. einen Zeitplan unterbreiten können.

Wir haben aber auch einen konkreten Punkt aufgenommen, der in Ihrem Antrag, in dem Antrag von SPD und Grünen, nicht enthalten ist. Er betrifft die Frage: Wie gehen wir mit Angsträumen, insbesondere in Bahnhöfen und im Umfeld von Bahnhöfen, um?

Eine Erkenntnis und Folge der Silvesternacht muss doch sein, dass die Landesregierung jetzt zusammen mit den Behörden des Bundes, aber auch der betroffenen Städte und Gemeinden sehr dezidiert in die Analyse geht und versucht, die Frage, wie wir Angsträume an Bahnhöfen vermeiden können, zu beantworten. Was müssen wir umsetzen, welche Mittel müssen wir einstellen, um wieder zu einem erhöhten Sicherheitsgefühl in Einrichtungen des schienengebundenen Personennahverkehrs zu kommen?

Wir haben ferner sehr deutlich in unseren Antrag geschrieben, dass wir uns Kampagnen oder Programme in Zusammenarbeit mit dem Landesintegrationsrat und der LAG kommunaler Frauenbüros in Nordrhein-Westfalen vorstellen können, weil es – das möchte ich betonen – bestimmte ethnische Gruppen gibt, in denen unverändert sehr traditierte Rollenbilder vorhanden sind, die dem Grunde nach mit der Gleichberechtigung und der Gleichstellung von Frau und Mann in der Bundesrepublik Deutschland schwer vereinbar sind.

Wir wollen mit dem Landesintegrationsrat darüber sprechen, welche Möglichkeiten es gibt, hier intensiver dafür zu werben, dass Frauen und Männer in der Bundesrepublik gleichgestellt sind, und deutlich machen, dass man bestimmte Handlungen und mögliche Ehrverletzungen, die in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert werden, hier nicht zulässt und es auch nicht akzeptiert, wenn das in bestimmten Gruppen gelebt wird.

(Beifall von der CDU)

Summa summarum: Wir haben jetzt eine breite Antragslage aller Fraktionen vorliegen, die es sich zu diskutieren lohnt. Es wäre wirklich schön, wenn wir am Ende zu einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen in dieser Angelegenheit kommen könnten, um ein breites Signal aus diesem Parlament in die Bürgerschaft zu senden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Scharrenbach. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Kölner Silvesterereignisse haben nicht nur mich und meine FDP-Fraktion, sondern unsere gesamte Gesellschaft erschüttert. Hunderte von Frauen wurden bestohlen, begrapscht, erniedrigt und auch vergewaltigt – Frauen, die einfach nur mit Freundinnen Spaß haben und in das neue Jahr hinein feiern wollten.

Ein ganzes Land schwankt zwischen Schock und Entrüstung, zwischen der Suche nach den Schuldigen und der Suche nach Antworten – Antworten auf Fragen, von denen wir alle glaubten, sie seien längst geklärt. Zur Klärung dieser Fragen kann ich persönlich nicht viel beitragen.

Meine Tochter Paula fragte mich gestern: Was kannst du tun? – Ich sagte: Ich kann fragen. Ich kann fragen, wie es diesen Frauen geht, wie sie sich fühlen. Ich kann den Frauen, die bereits Anzeige erstattet hatten, die den Mut hatten, diese schrecklichen Erlebnisse öffentlich zu machen, aber auch den Frauen, die das nicht können, deren Verletzungen zu tief und deren Scham zu groß ist, deren Leid aber nicht vergessen werden darf, zuhören.

(Beifall von der FDP)

Denn niemand, egal woher er kommt und wer er ist, hat das Recht, jemanden gegen dessen Willen anzufassen. Darin, dass dieser Satz heute überhaupt noch einer Bekräftigung bedarf, liegt ein Skandal, der weit über die schrecklichen Vorkommnisse hinausreicht. Was muss also geschehen?

Einerseits muss das geschehen, was vielen hier als das Naheliegendste erscheint und was die öffentliche Diskussion beherrscht: Die Straftaten müssen restlos aufgeklärt werden, und die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Frauen müssen das Gefühl haben, von der Justiz ernst genommen zu werden.

Jenseits dieser Forderungen, welche lauthals vorzutragen die wenigsten sich scheuen, herrscht aber viel zu oft Schweigen und Ratlosigkeit. Dieses Schweigen muss gebrochen werden, und zwar nicht nur hier im Parlament, sondern überall. Nach Silvester noch zu sexueller Gewalt zu schweigen, wäre ignorant, wäre undemokratisch, wäre den Opfern gegenüber höhnisch.

(Beifall von der FDP)

Ernsthaft geredet und diskutiert wird viel zu wenig. Es wird geschrien, gepöbelt, gepoltert; es werden Schuldige hergezerrt und Parolen herbeizitiert – am unerträglichsten auch vom Innenminister unseres Landes.

Seit ich diesem Parlament angehöre, habe ich hier schon einiges erlebt. Aber der Auftritt des Ministers in der vergangenen Woche im Frauenausschuss sucht seinesgleichen. Er berichtete in epischer Breite über Technisches, über die Polizei, über dieses und jenes – nur über eines nicht: über die Opfer. Da ließ er dann jegliche Empathie, jegliche Anteilnahme vermissen und trat mit einer Arroganz und Wurstigkeit gegenüber den Abgeordneten auf, dass es mir und mancher Kollegin schwer fiel, ruhig zu bleiben.

Zum Thema „Opfer“ ließ er dann schließlich seinen Abteilungsleiter berichten. Als ich mich in den sozialen Netzwerken, wie es sich für eine Oppositionspolitikerin gehört, an diesem erbärmlichen Verhalten störte, fand er fast unverzüglich die Zeit, meinen Tweet in diesem Ausschuss vorzulesen. Aber nachzufragen, wie es den Opfern gehe, konkrete Maßnahmen anzubieten? Da vermisst meine Fraktion leider noch einiges vonseiten der Landesregierung.

(Beifall von der FDP)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir haben nachgefragt. Ich habe sehr zeitnah eine Kleine Anfrage dazu gestellt. Meine Fraktion hat nicht nur eine Sondersitzung in diesem Haus beantragt, sondern auch sehr früh konkrete Maßnahmen in einem Entschließungsantrag gefordert.

Ich bekomme inzwischen starke Bauchschmerzen, wenn ich an die nächsten gesellschaftlichen Großereignisse in unserem Land denke. Wie wollen Sie eigentlich die innere Sicherheit während der Tage des Karnevals managen? Sollen die Frauen da zu Hause bleiben? Für alle Bürger in unserem Land hoffe ich sehr, dass der Minister hier souveräner und besser ist als in der letzten Frauenausschusssitzung.

Ich komme noch einmal zum Thema „Opferhilfe“. Die negativen und traurigen Ereignisse während der Silvesternacht haben uns verdeutlicht, dass es wirklich überfällig ist, hierüber zügig zu debattieren und zu einer zufriedenstellenden Lösung zu kommen. Dieses Thema dürfen wir nicht mehr auf die lange Bank schieben. Es ist doch ein Treppenwitz, dass Tierschutzvereine jährlich mehr Geld bekommen als der Weiße Ring für Opferhilfsmaßnahmen.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Ich fordere Sie alle hier im Haus auf, an dieser Stelle unserer Entschließung zu folgen. In der Vergangenheit gab es im Frauenausschuss stets heftige Diskussionen beispielsweise zum Genderwahnsinn. Doch bei einem Thema herrschte immer wieder Konsens: beim Thema „Gewalt gegen Frauen“.

Daher fand ich es ausgesprochen schade, dass die Kolleginnen von Rot-Grün hier einen eigenen Antrag gebastelt haben, der uns heute vorliegt. Sehr gerne hätte meine FDP-Fraktion Sie dabei unterstützt. Das wollten Sie aber anscheinend nicht. Daher liegt Ihnen von uns nun ein Entschließungsantrag vor.

Da es uns um die Opfer geht, ist Ihr Antrag in weiten Teilen optimiert. Lassen Sie uns gemeinsam gegen sexuelle Gewalt kämpfen. Das dürfen die vielen verunsicherten Menschen in unserem Land von uns erwarten. An uns Freien Demokraten soll das nicht scheitern. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und Regina van Dinther [CDU])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Olejak.

Marc Olejak (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab eine kurze Anmerkung: Frau Schneider, was diese Sache mit den Entschließungsanträgen betrifft, hege ich die große Hoffnung, dass wir es am Ende der Debatte, nach der Ausschussbehandlung, schaffen, diese Entschließungsanträge komplett in die Tonne zu kippen und stattdessen einen Änderungsantrag aller Fraktionen im Plenum zu behandeln. Das wäre in meinen Augen ein richtiger Ansatz, statt das direkt am Anfang der Debatte mit extrem verfestigten Positionen ins Leere laufen zu lassen.

Frau Jansen, eine kurze Anmerkung zu der Bezugnahme auf die Leisetreter, die sich in diesem Zusammenhang in Form der Gründung von Bürgerwehren engagieren: Ich möchte es hier ganz einfach einmal so formulieren: Männer, die der Meinung sind, dass Frauen Objekte sind, die man nach Gutdünken behandeln und jetzt vielleicht auch missbrauchen kann, indem man sie als Opfer herhalten lässt, um die eigenen politischen Interessen nach vorne zu bringen, braucht dieses Land nicht.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Frau Schneider, zu Ihrem Ansatz, dass die Frauen das Gefühl haben müssen, von der Justiz ernst genommen zu werden, muss ich sagen: Das stimmt schon; aber bezüglich des Sicherheitsgefühls sind wir Piraten sehr, sehr vorsichtig. Ich würde sagen: Die Justiz muss die Belange der Opfer und die Opfer selber ernst nehmen. Das gilt nicht nur für die Justiz, sondern auch die Polizei und das Innenministerium – jedes Ressort dieses Landes – müssen die Opfer ernst nehmen.

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Paul, eine kurze Anmerkung dazu, dass die CDU so lange gebraucht hat, um zu reagieren: Wir erinnern uns, dass es, als es um die sexualisierte Gewalt in der Ehe ging, auch bis weit in die 80er-Jahre gedauert hat, bis die CDU reagierte. Von daher – immerhin. Manche Dinge brauchen eben, wie in diesem Fall, länger. Aber dann kommt doch noch etwas.

Jeder Punkt, der heute hier grob eingebracht worden ist, zeigt in die richtige Richtung. Wie gesagt, ich erweitere das noch einmal, gerade in Bezug auf Silvester – wir haben hier jetzt auch den PUA, das wurde von Ihnen so beschlossen –: Ich werfe hier noch ein, dass ein Deeskalationskonzept das ist, was im Hinblick auf die Opfer und ihre Belange nicht nur in der Silvesternacht, sondern auch bei vielen anderen Veranstaltungen eindeutig fehlte. Bei solchen Großveranstaltungen muss es im Sinne der Prävention von vornherein ein Deeskalationskonzept geben. Das gibt es einfach nicht. Es fehlt ein Deeskalationskonzept; das muss her. – Punkt eins.

Punkt zwei. In der Ausbildung und Fortbildung im Innern – bei der Polizei – ist eine Sensibilisierung der Beamtinnen und Beamten im Umgang mit der Öffentlichkeit und in der Behandlung von Opfern erforderlich. Das muss hier noch mit hinein.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn wir uns das Ganze noch einmal im Gesamten angucken – großartig –: Da sind ein Antrag der regierungstragenden Fraktionen und ein Antrag des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd. Sie sollen an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation – federführend – überwiesen werden. Das ist ein Aspekt, der bedeutet, dass man von dort aus interfraktionell und interdisziplinär etwas anschieben kann. Wir würden uns wünschen, dass von vornherein nicht nur das Innenministerium Erkenntnisse daraus ziehen könnte, die einzubeziehen sind, sondern dass mehr oder weniger von Anfang an auch das Integrationsministerium daran beteiligt ist. Herr Minister Schmeltzer, das Integrationsministerium wird dabei nach wie vor zu wenig hereingeholt. Auch da können wir zusehen, dass wir eine deutliche Verbesserung hinbekommen.

Ganz ehrlich: Ich freue mich auf die Behandlungen im Ausschuss und danke Ihnen im Vorfeld.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat noch einmal Frau Kollegin Jansen um das Wort gebeten, das sie selbstverständlich auch bekommt.

Daniela Jansen (SPD): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte nur noch ganz kurz auf zwei Punkte eingehen. Wir haben in unserem Antrag das Ziel formuliert, Gewaltschutzkonzepte in Flüchtlingseinrichtungen zu etablieren, da Mädchen und Frauen gerade dort oftmals sehr bedrängt werden, auch aufgrund der räumlichen Situation. Genauso wichtig ist uns – das haben wir auch aufgenommen –, dass geflüchtete Menschen umfassend über die in Deutschland grundgesetzlich verankerte Gleichberechtigung von Mann und Frau aufgeklärt werden müssen. Das ist völlig richtig.

Deswegen ist mir, liebe Kollegin Scharrenbach, der Punkt, den Sie unter II angeführt haben, besonders wichtig:

„Die Gründe für die sexuellen Übergriffe in einem solchen Ausmaß müssen genau analysiert werden. Erst dann kann man spezielle Maßnahmen zur Verhinderung von sexualisierter Gewalt durch eine besondere Gruppe von zugewanderten Männern ergreifen.“

Ich glaube, dass dieser Satz in die Irre führt, denn dann haben wir genau das Problem der Ethnisierung von Gewalt und der Zuschreibung von sexueller Gewalt an bestimmte Männer- oder Tätergruppen, und genau das wollen wir nicht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. Wenn Sie noch einen kleinen Moment bleiben: Vor Ende Ihrer Rede hatte Frau Kollegin Scharrenbach den Wunsch geäußert, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. Ich vermute, Sie lassen sie zu?

Daniela Jansen (SPD): Gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, bitte.

Ina Scharrenbach (CDU): Frau Jansen, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Diese genaue Analyse der Vorkommnisse mit Ableitung spezieller Maßnahmen ist, offen gesagt, aus dem Bericht des Innenministeriums von letzter Woche übernommen. Wenn Sie also dem Bericht des Innenministeriums an dieser Stelle widersprechen wollen, können Sie das jetzt gern tun.

(Zurufe von der SPD: Wo ist die Frage?)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Auch ich sehe das Fragezeichen im momentan noch nicht, Frau Kollegin.

(Heiterkeit)

Oder ich sehe eines, aber …

Ina Scharrenbach (CDU): Möchten Sie dem Innenminister damit widersprechen?

Daniela Jansen (SPD): Vielen Dank für die Frage, Frau Kollegin Scharrenbach. Ich möchte dem Innenminister an dieser Stelle selbstverständlich nicht widersprechen. Aber der Zusammenhang, den Sie in Ihrem Feststellungskatalog hergestellt haben, wobei Sie als letzten Punkt die Maßgabe wählen, dass man zunächst einmal gucken muss, warum es in einer bestimmten Gruppe zugewanderter Menschen eigentlich Gewalt gibt, scheint uns hier völlig fehl am Platz zu sein. – Danke.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Jansen, noch einmal danke. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Steffens zu uns.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass meine Stimme während meiner Rede noch durchhält. Ich finde diese Debatte nämlich unglaublich wichtig.

Vorab möchte ich sagen, dass die Übergriffe von Köln – das haben alle Vorrednerinnen und Vorredner gesagt – natürlich verabscheuungswürdig sind und dass wir dem Problem der neuen Qualität der Übergriffe und der neuen Qualität der sexualisierten Gewalt, nämlich dass es in so großer Anzahl und durch solch große Mengen von Angreifern vor einem sehr großen Publikum und trotz Polizeipräsenz dazu gekommen ist, nachgehen müssen. Das ist heute mehrfach gesagt worden und auch, dass das zutiefst bedauert wird.

Ich möchte aber eines sagen, was mir ganz wichtig ist. Ich möchte all denjenigen Frauen ganz herzlich danken, die Opfer geworden sind und die sich entschieden haben, Anzeige zu erstatten unabhängig davon, ob die Täter gefunden werden, und unabhängig davon, ob die Anzeige Erfolg hat. Durch diesen Mut, durch diesen Schritt, den Weg zur Anzeige zu gehen – auch erst Tage danach –, ist ein Teil in dieser Gesellschaft sichtbar geworden und ist eine Diskussion so geworden, wie sie heute ist, was sie ohne den Mut zur Anzeige nicht geworden wäre.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir wissen, dass gerade bei sexualisierter Gewalt das Dunkelfeld so hoch ist und gerade diejenigen, die sich seit Jahren damit auseinandersetzen und frauenpolitisch für andere Strukturen, Veränderungen und gesetzliche Regelungen kämpfen, dieses Dunkelfeld immer wieder begründen müssen und immer wieder die Diskussion aufkommt: Es sind doch gar nicht so viele. Es ist doch gar nicht so schlimm. Es sind doch nur Einzelfälle. Zum ersten Mal wird ein so dramatisches Ereignis wie in Köln durch den Mut der Frauen sichtbar gemacht. Dafür bin ich unglaublich dankbar.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ich finde es gut und richtig, wenn wir zwei Ebenen aus Köln als Konsequenzen ziehen. Das eine ist – und das ist das Wichtige, was bei den ganzen Analysen der Vorgänge notwendig ist –, zu fragen: Welche Folgen und welche Konsequenzen hat das für die Zukunft zur Vermeidung? Welche Präventionsmaßnahmen sind notwendig? Das Zweite ist, dass wir neben der Verfolgung der Täter und neben den Hilfsstrukturen für die Frauen eine grundsätzliche Frage stellen müssen: Welche Veränderungen brauchen wir in dieser Gesellschaft, damit wir einen Umgang mit sexualisierter Gewalt haben, der der Würde der Frauen gerecht wird und wo das Nein auch wirklich ein Nein bedeutet und Konsequenzen für die Täter hat?

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Sexualisierte Gewalt ist seit Langem in dieser Landesregierung und in Nordrhein-Westfalen ein wichtiges Thema. Wir haben seit 1997 Förderprogramme für Fraueninitiativen gegen sexualisierte Gewalt. Mittlerweile haben wir in Nordrhein-Westfalen eine fast flächendeckende Fraueninfrastruktur und Frauenhilfestruktur. Auch da finde ich es wichtig, dass wir uns darüber im Klaren sind …

Es kann nicht sein mit der Zeit hier.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Doch. Tempus fugit, Frau Ministerin. Die Zeit verfliegt.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Ja, okay. Ich hatte das Gefühl, dass die Redezeit sehr viel später begonnen hat als die Minuten, die mir eigentlich laut Vereinbarung zustehen. Aber okay.

Wir haben bei dem Thema schon seit Langem innerhalb der Landesregierung umfassende Konzepte. In Nordrhein-Westfalen gibt es mittlerweile nur noch sechs Kommunen, in denen wir keinen Frauennotruf haben. Deswegen haben wir eine sehr umfangreiche und sehr intensive Struktur, die wir auch in den letzten Jahren massiv aufgestockt haben.

Wir haben die Diskussion um die anonyme Spurensicherung und wollen bedarfsgerechte Programme und bedarfsgerechte Angebote ausweiten. Wie auch im Antrag steht, sind wir mit einer Bestandsaufnahme und mit der Auswertung schon sehr weit. Wir sind in der Arbeit zum Landesaktionsplan, was gerade angesprochen worden ist, und werden diesen intensiv im Ausschuss diskutieren. Trotzdem glaube ich, dass aus den Ereignissen und den Diskussionen weitere Notwendigkeiten sichtbar werden.

Wir bräuchten eine Struktur, in der gerade die Notrufe noch mehr auch innerhalb der Kommunen an Aktivitäten entfalten können: das Sichtbarmachen von Angsträumen, das Beschreiben von Veränderungsbedarfen, die Aufklärung im Vorhinein. Es gibt viele Bereiche, in denen wir sehr viele Bedarfe haben, die durch das Sichtbarwerden des Dunkelfeldes wirklich zum Tragen kommen werden.

Ich bin froh über den Hashtag „#ausnahmslos“, weil es gezeigt hat, dass es Frauen auch jenseits der üblichen Strukturen im Internet, in den neuen Medien in einer so schnellen Zeit mit einer so breiten Kampagne geschafft haben, Flagge zu zeigen und Pflöcke einzuschlagen. Deswegen finde ich es wichtig, dass solche Aktivitäten zu diesen Themen weiterhin nach vorne gebracht werden und dass die Frauen sie in der Breite in die Gesellschaft tragen.

Wir werden genauso intensiv – das sind die beiden letzten Punkte, die notwendig sind, anzusprechen – über das Verständnis des Rollenbildes innerhalb der Gesellschaft diskutieren müssen. Wir werden denjenigen, die zu uns kommen, das Rollenbild, das in dieser Gesellschaft eigentlich herrschen sollte, deutlich vermitteln müssen. Wir werden Frauen, die als Flüchtlinge hier herkommen, klar machen müssen, welche Rechte sie in dieser Gesellschaft und welche Chancen sie haben. Wir sind auch da an vielen Punkten dran, dieses zu bearbeiten, und werden da genauso – wie der auch eben angeworfene Aspekt des Gewaltschutzes für Frauen in den Flüchtlingsunterbringungen – gemeinsam mit dem Innenministerium in Nordrhein-Westfalen wesentliche Schritte nach vorne gehen.

In dem Sinne freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss. Ich hoffe, dass in dieser Diskussion die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede im Vordergrund stehen werden. Denn die Frauen in diesem Land brauchen die Gemeinsamkeiten und den Schutz durch uns alle sowie die Veränderung der Strukturen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Debatten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung erstens über den Antrag des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd, Drucksache 16/10800. Der Kollege Schwerd hat zwischenzeitlich eine Überweisung des Antrags an folgende Ausschüsse beantragt, und zwar an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation – federführend –, an den Rechtsausschuss sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer für diese Überweisungsempfehlung ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Ist jemand dagegen oder enthält sich? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/10787. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags einschließlich der Entschließungsanträge Drucksache 16/10881 und Drucksache 16/10885 an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation, wiederum federführend, an den Rechtsausschuss sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. – Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Ist jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Enthält sich jemand der Stimme? – Auch das ist nicht der Fall. Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

6   Schluss mit 'gefühlter Sicherheit' – Keine Ausweitung der Videoüberwachung in NRW

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10785

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Herrmann das Wort. Bitte.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Auch heute prägen die Ereignisse von Silvester wieder die Debatte hier im Hohen Haus. Man muss feststellen, dass das Jahr wirklich nicht gut angefangen hat.

Aber anstatt eine tiefergehende Analyse der eigenen Versäumnisse zu starten, wurde für das Sonderplenum vor zwei Wochen schnell ein 15-Punkte-Plan aus dem Hut gezaubert. Unter anderem wurde ein Ausbau der Videoüberwachung angekündigt. Etwas mehr Demut und die Übernahme der politischen Verantwortung wäre unserer Meinung nach das bessere Zeichen gewesen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wann hört es endlich auf, dass immer dann, wenn Überfälle, Übergriffe, Anschläge irgendwo auf der Welt vorkommen, eine verstärkte Videoüberwachung im öffentlichen Raum gefordert wird? 80 Kameras am Kölner Hauptbahnhof: Haben die zu Silvester irgendetwas gebracht? – Nein. Die Menschen haben ihnen aber, haben der „gefühlten Sicherheit“ vertraut.

Frau Kollegin Scharrenbach, zu den Angstträumen, die Sie eben angesprochen haben: Wir sind überzeugt, Videokameras helfen da nicht. Mit Kameras wird suggeriert, man würde etwas für die Sicherheit tun, aber das stimmt nicht. Im besten Fall tut man etwas für die Aufklärung der Taten. Aber das hilft den Opfern nicht.

Die Landesregierung plant jetzt, unter anderem auf den Kölner Ringen mehr Videoüberwachung einzusetzen. An keiner Stelle wurde bisher hinterfragt, wozu diese Maßnahme genau dienen soll und ob sie überhaupt geeignet ist, ein Ziel zu erreichen. Sie schreiben nur, dass Straftäter abgeschreckt werden sollen. Aber ich bitte Sie: Nennen Sie mir eine einzige Studie, die belegt, dass Videokameras eine abschreckende Wirkung auf Straftäter haben! Die gibt es nicht. Kameras verhindern eben keine Straftaten.

Wenn nachts Betrunkene Taten im Affekt begehen, dann macht die Kamera nichts. Die Kamera greift nicht ein, kommt nicht zur Hilfe, sie ist Zaungast und liefert die Bilder für die Schlagzeilen. Aber das darf nicht das einzige Ergebnis ihres Einsatzes sein. Kameras sind eben kein Sicherheitskonzept, sie sind weiße Salbe, sie sind ein Placebo.

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, die öffentliche Sicherheit von Straßen und Plätzen ist eine ureigene Aufgabe der Kommunen in Kooperation mit der Polizei. Die vielen kommunalen Präventionsprojekte können viel besser auf lokale Gegebenheiten und Bedürfnisse vor Ort eingehen, als das ein Kameraprogramm, zentral aus der Staatskanzlei gesteuert, jemals leisten könnte. Die sichere Gestaltung öffentlicher Plätze durch offene Räume und durch gute Beleuchtung verhindert Straftaten.

Wir wollen hier einmal mehr davor warnen, in der Videoüberwachung die Lösung von gesellschaftlichen Problemen und auch von Problemen bei der Strafverfolgung zu sehen. Mit jeder Kamera geben wir ein Stück Freiheit auf und gewinnen keine Sicherheit. Jetzt, wo die technischen Möglichkeiten da sind, viele Kameras zusammenzuschalten und zentral zu steuern, braucht es eine politische Richtungsentscheidung, damit wir uns auch zukünftig frei und ungehindert bewegen können.

Wenn jeder Schritt gefilmt wird, jeder Weg zum Arzt, zur Kirche, zur Moschee, zu Freunden und Bekannten, zu einer Demonstration oder zur Arbeit, wenn jeder Schritt überwacht wird, dann hat das einen Einschüchterungseffekt auf die Menschen zur Folge. Die aktuelle Situation der staatlichen Überwachung muss in ihrer Wirkung ganzheitlich und vollständig betrachtet werden.

Die kumulierten Grundrechtseingriffe durch die Vorratsdatenspeicherung, die Bestandsdatenauskunft und das Ausmaß der Videoüberwachung im öffentlichen Raum haben ein erschreckendes Maß erreicht. Hier muss gegengesteuert werden, und das machen wir bereits mit unserem Antrag zur Vorlage einer Überwachungsgesamtrechnung, der gerade im Innenausschuss behandelt wird.

Wir müssen dazu übergehen, Maßnahmen genau zu evaluieren und Kameras nur dann einzusetzen, wenn sie tatsächlich geeignet sind, zu helfen, und keine flächendeckende Überwachung gewährleisten. Die bisherige Evaluation der Landesregierung – das wissen Sie genau wie ich – ist mangelhaft. Sie ist mangelhaft durchgeführt worden und blieb ohne eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung.

Mit unserem Antrag heute und hier wollen wir nicht mehr und weniger, als dass sie uns vor einem weiteren Ausbau der Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen belegen, dass die bisherigen Maßnahmen wirksam waren. Denn wir brauchen keine weiße Salbe, kein Globuli in Form von Videoüberwachung an jeder Ecke. Wir brauchen Polizistinnen und Polizisten, die erreichbar sind, auch auf der Straße, die helfen und eingreifen können, da, wo es sinnvoll und notwendig ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Vor allem brauchen wir weniger Angstmacherei und keinen sinnlosen Aktionismus. Und wenn Sie das auch nicht wollen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu und legen die Berichte vor, die wir fordern! – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Herrmann. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Bialas das Wort.

Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, in der Tat, es gibt nach tragischen Ereignissen immer schnell einen geforderten Instrumentenkasten an Maßnahmen, der dann schnellstens umgesetzt werden soll – Maßnahmen, die man schon immer gefordert hat, Maßnahmen, die das Ungewünschte verhindert hätten und/oder in Zukunft verhindern werden, Maßnahmen, von denen man weiß oder annimmt, dass sie tauglich sind.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Kameras können nichts verhindern!)

Wir werden an dieser Stelle morgen ja auch noch einmal über Bodycams sprechen. Nach tragischen Ereignissen fehlt diese Debatte nie. Man muss bemüht sein, hier in der Tat keinen Hype entstehen zu lassen.

Dennoch muss man bedeutsame strafrelevante Ereignisse zur Kenntnis nehmen, gerade die Ereignisse in Köln aufgrund des immensen Ausmaßes sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen, aber auch aufgrund der damit verbundenen hohen Emotionalität, die geeignet ist, die Stimmungslage in vielen Bereichen unserer Gesellschaft zu vergiften. Man muss dies ernst nehmen. Man muss genau, sachlich, ruhig und nüchtern betrachten, welche Maßnahmen geeignet sind.

Mehr Überwachung ist nie ein guter Weg. Wir würden uns wünschen, dass wir ganz ohne diese auskommen könnten, ganz ohne friedlich miteinander leben könnten. Die Realität ist leider eine andere. Wir leben in keinen idealtypischen Räumen, sondern wir leben in einem realen Alltag. Und dieser ist auch dadurch gekennzeichnet, dass diese Räume nicht immer und überall für alle und gerade nicht für Frauen sicher sind. Daher können wir auch keine idealtypischen Antworten geben, sondern alltagstaugliche.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Warum fordern Sie dann jetzt schon mehr Überwachung?)

Wir können keine absolute Sicherheit gewähren, aber weitestgehende haben wir sicherzustellen. In der Tat umfasst das Recht auf informationelle Selbstbestimmung das Recht eines jeden, sich in der Öffentlichkeit frei und ungezwungen bewegen zu dürfen – ohne zum Objekt einer Videoüberwachung gemacht zu werden.

Richtig ist aber auch, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Person umfasst das Recht einer Frau, sich an jeder Örtlichkeit jederzeit frei und ungezwungen bewegen zu können. Dieses Recht wird ihr nicht vom Staat streitig gemacht; aber der Staat hat hierfür die Gewähr zu tragen. Ausnahmen kann er nicht vermeiden. Dauerhafte Destabilisierung hat er zu verhindern.

Unsere Menschenrechte, niedergelegt in den Artikeln unserer Verfassung, sind einzeln nie abschließend. Sie stehen untereinander in einem Spannungsverhältnis, im günstigsten Fall ergänzen sie sich, oftmals konkurrieren sie.

Videoüberwachung ist nach unserem Polizeigesetz bereits heute möglich. Es ist bei der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und bei der beweissicheren Strafverfolgung ein mögliches zur Verfügung gestelltes Mittel. In jedem Einzelfall muss entschieden werden, ob es sinnvoll ist.

Dabei sei auch auf die sogenannte Wirksamkeit eingegangen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wie ist das entschieden worden? Genau das möchten wir gern wissen!)

Wenn sich Menschen an unterschiedlichen Orten zu verschiedenen Zeiten unwohl fühlen, sich ängstigen, mag das mitunter nicht den objektiven Rahmenbedingungen einer realen gefährlichen Situation entsprechen. Die Angst aber ist real und ernst zu nehmen. Insoweit ist insbesondere das subjektive Sicherheitsempfinden eine entscheidende Größe und immer mit einzubeziehen.

Videoüberwachung ist keine Wunderwaffe. Auf die Frage, ob ich mir englische Verhältnisse wünsche, würde ich eher mit Nein antworten.

Auch ist es richtig, dass Daten geeignet sind, in der Hand eines bösen, gefährlichen Staates und einer schlechten Führung Verheerendes anzurichten. Wir kennen unsere Geschichte, und wir sind auch nicht blind gegenüber den Geschehnissen in anderen Staaten. Sicherheitsmaßnahmen können Freiheiten behindern, fehlende Sicherheitsmaßnahmen leider auch.

Sicherheit ist auch ein notwendiger und Freiheit erst mit ermöglichender Wert. Wenn wir es zulassen, dass sich Bürgerinnen und Bürger in unserem Land nicht mehr sicher fühlen oder zum Teil an verschiedenen Orten tatsächlich nicht mehr sicher sein sollten, muss Videoüberwachung als ein Mittel zur Beseitigung dieses Zustandes ernsthaft und konsequent geprüft werden. Diesem Gedanken verschließen wir uns nicht.

Daher lehnen wir den Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bialas. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Schittges das Wort.

Winfried Schittges (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Antrag der Piratenfraktion darf ich zuerst sagen, dass der Abschied von der gefühlten Sicherheit genau das ist, was in Nordrhein-Westfalen zurzeit passiert. Als das Thema „Kölner Silvesternacht“ in den Medien allgegenwärtig war, gehörte beim Internethändler Amazon Pfefferspray zu den zehn meistverkauften Artikeln im Bereich Sport und Freizeit.

In verschiedenen Kommunen – das wissen Sie alle – schlagen sich die Verwaltungen derzeit mit neu gegründeten Bürgerwehren herum. Dem kann man entgegenhalten, dass die Zahl der sexuellen Übergriffe und der angezeigten Vergewaltigungen seit gut einem Jahrzehnt quasi unverändert ist.

Die Wahrnehmung in einem Teil der Bevölkerung ist eine andere – nicht erst seit Silvester. Viele Menschen sind besorgt und reagieren darauf in der geschilderten Weise. Das kann und darf nicht in unserem Interesse sein. Dem Gewaltmonopol des Staates laufen Ereignisse wie an Silvester dramatisch entgegen. Aber auch eine Selbstbewaffnung sogenannter rechtschaffener Zeitgenossen widerspricht unserem Verständnis vom rechtschaffenden Staat.

Vieles an der derzeitigen Debatte ist, wie wir alle wissen, irrational – ohne Frage. Aber ich kann Menschen verstehen, die ein krasses Missverhältnis zwischen der Zahl der Täter, die an Silvester unterwegs waren, und der Zahl der ermittelten Verdächtigen beklagen. Natürlich haben die Menschen die Bilder im Fernsehen gesehen, aufgenommen von den vielen Handykameras und Smartphones, schlecht belichtet und verwackelt, auf deren Basis man kaum einen Verantwortlichen identifizieren kann. Deshalb – das haben Sie alle den Medien entnommen – arbeiten sachverständige Mitarbeiter des Landes Nordrhein-Westfalen sich jetzt bei Scotland Yard ein.

Die Piratenfraktion beantragt nun, nach tragischen Ereignissen keine schnelle Lösung zu verlangen. – Dem stimme ich ausdrücklich zu. Aber wir als CDU rufen auch nicht urplötzlich nach der schnellen Lösung. Vielmehr setzen wir uns schon seit Jahren gegen alle Widerstände – auch ohne ein unmittelbares tragisches Ereignis – für eine Ausweitung der Videoüberwachung ein.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Frank Herrmann [PIRATEN]: Warum? Auf welcher Grundlage?)

Insbesondere die Politiker wissen von den Praktikern der Polizei, dass der Einsatz von Videogeräten auf öffentlichen Plätzen zu einer Reduzierung der Straftaten führt – in dramatischem Umfang.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das ist durch nichts belegt! Das stimmt doch gar nicht!)

– Das mag, Herr Herrmann, bei sogenannten Affekttaten weniger ausgeprägt sein; da gebe ich Ihnen recht. Aber das, was wir in Köln und anderswo erlebt haben, waren keine Taten aus dem Affekt heraus. Nein, das war geplant und organisiert, wie wir meinen und immer wieder sagen.

(Zuruf von Frank Herrmann [PIRATEN])

Gerade gegen solche Verbrechen hat sich der Staat als wehrhaft zu erweisen.

Zeugenaussagen helfen im Übrigen bei solchen Fällen wenig, wenn die Täter zahlreich sind, dem Opfer unbekannt, wenn es dunkel ist und bei den Betroffenen Panik ausbricht. Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen stellt keine anderen Informationen bereit als jene, die die Leute auch gewinnen können, denen ich auf der Domplatte oder anderswo begegne.

Ich gebe dem Kollegen Bialas völlig recht: Videoüberwachung ist keine Wunderwaffe. Da kann ich Sie nur unterstützen.

Der Antrag der Piraten, zunächst einmal wissenschaftlich zu ergründen, ob Videoüberwachung etwas bringt oder nicht, führt also nicht weiter. Die wissenschaftliche Evidenz ist erstens längst gegeben, und zweitens geht es Ihnen – bei allem Respekt gegenüber verschiedenen Kollegen Ihrer Fraktion – auch nicht um Wissenschaft, sondern um die Verzögerung der Einführung von Maßnahmen, die Ihrer ideologischen Position entgegenlaufen.

Wir als CDU-Fraktion sind immer und wollen immer wieder geschlossen für eine Ausweitung der Videoüberwachung für mehr gefühlte Sicherheit eingetreten, ohne die es tatsächliche Sicherheit auf Dauer nicht geben kann.

Wir lehnen den Antrag der Piratenfraktion selbstverständlich ab. – Danke schön.

(Beifall von der CDU – Marc Olejak [PIRATEN]: Das ist wie mit dem Christentum!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schittges. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Düker das Wort.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die gesetzliche Grundlage in Nordrhein-Westfalen, auf der die Polizei Videoüberwachung im öffentlichen Raum durchführen darf, gibt in ihrer jetzigen Form – mit kleinen Änderungen – seit 2003.

Seinerzeit habe auch ich an diesem Gesetz mitgewirkt. Uns war damals wichtig, mit der Videoüberwachung im öffentlichen Raum nicht eine Scheinsicherheit zu schaffen. Wir wollten aber auch nicht eine gesetzliche Grundlage für eine flächendeckende Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen schaffen.

In unserem Polizeigesetz ist geregelt, dass Videobeobachtung nur an Kriminalitätsbrennpunkten, die tatsächlich nachgewiesen sind, eingesetzt werden darf; dass die Straftaten, die dort begangen werden, auch an den Ort gebunden sind und dass es nicht zu Verdrängungseffekten kommt. Zudem muss eine Prognose über weitere Straftaten vorliegen. Nur dann – und nur dann! – darf Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen durch die Polizei in öffentlichen Räumen durchgeführt werden.

Die Polizeipräsidenten in unserem Land sind sehr sparsam damit umgegangen. Ich glaube, Polizeipräsidenten – Praktiker – sind oftmals weiter als die Politik. Es gibt derzeit nur in Mönchengladbach und in Düsseldorf eine polizeiliche Videoüberwachung, eine Videobeobachtung im öffentlichen Raum.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, entschuldigen Sie, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Herrmann zulassen?

Monika Düker (GRÜNE): Ja.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade die Voraussetzungen erwähnt, unter denen ein Ausbau bzw. ein Einsatz der Videoüberwachung laut Polizeigesetz möglich ist. Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir mit dem Antrag die Vorlage eines Berichts erwirken wollen, und zwar auf der Grundlage des Beschlusses, wie er jetzt für die Kölner Ringe gefasst wurde? Diese Berichte möchten wir gerne vorliegen haben. – Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das der einzige Inhalt dieses Antrags ist?

Monika Düker (GRÜNE): Das nehme ich gerne zur Kenntnis. Aber dann hätten Sie hier einen solchen Antrag nicht zu stellen brauchen, wenn das so ist. In § 15a Abs. 5 PolG NRW – ich zitiere – steht nämlich:

„§ 15a tritt am 31. Juli 2018 außer Kraft. Die Auswirkungen dieser Vorschrift und die praktische Anwendung werden durch die Landesregierung unter Mitwirkung einer oder eines unabhängigen wissenschaftlichen Sachverständigen geprüft. Die Landesregierung berichtet dem Landtag über das Ergebnis der Evaluierung.“

Ich gehe mal davon aus, dass sich die Landesregierung auch an dieses Gesetz hält. Dafür brauchen wir jetzt hier Ihren Antrag nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Von daher nehme ich das – das ist klar – gerne zur Kenntnis.

Ich würde aber gerne noch einmal darauf abstellen – weil das jetzt oftmals in den Medien so dargestellt wird, warum wir die Videoüberwachung ausbauen wollen –, was sie nicht kann und was sie auch nicht darf. Das ist wichtig, das noch einmal zu erwähnen.

Die Polizei darf sie gar nicht präventiv zur möglichen Beweissicherung einsetzen. Vielfach heißt es ja – ich habe es heute Morgen erst wieder in einem Kommentar, ich glaube, in der „Rheinischen Post“ gelesen –: Warum macht ihr das nicht? Man kann damit nachher doch die Täter fassen!

Dem entgegne ich: Nein, das dürfen wir nicht. Das Bundesverfassungsgericht nimmt hier sehr klar – das ist in der Tat schwer vermittelbar – die Abgrenzung vor, was wir überhaupt dürfen und was wir nicht dürfen. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen darf präventiv mit der Begründung der Beweissicherung – falls dort irgendetwas passieren sollte – keine Plätze überwachen. Diese Begründung steht dem Verfassungsrecht entgegen. Das will ich noch einmal ausdrücklich sagen, weil auch GdP-Vorsitzende in diesem Land dies immer wieder als Begründung anführen. Da sollte man jedoch redlich sein. Diesem Landtag sollte das Selbstverständnis innewohnen, dass sich die Legislative selbstverständlich an Verfassungsvorgaben hält.

Zweiter Punkt. Was kann Videoüberwachung das denn überhaupt leisten? Wenn etwas passiert – das ist, wie ich finde, die wesentliche Voraussetzung für den Einsatz dieser Kameras –, muss die Polizei schnell vor Ort sein und helfen. Denn ansonsten ist das eine Scheinsicherheit für die Opfer, die sich sicher fühlen; wenn dann aber etwas passiert, ist die Polizei nicht da, um ihnen zu helfen.

Das ist eine wichtige Voraussetzung. Denn dies erfordert dann wiederum nicht nur das Personal, das die Bildschirme überwacht, sondern auch frei verfügbare Kräfte, die sehr schnell vor Ort sein können.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Videoüberwachung – das haben aber bis jetzt auch alle gesagt – nicht als Allheilmittel betrachten und sie nicht überall zur Sicherheit einsetzen können oder sollten, weil ansonsten Scheinsicherheit suggeriert wird.

Dieses Problem ist in Düsseldorf gut gelöst. Dort sind diese Voraussetzungen erfüllt. Der Kriminalitätsbrennpunkt ist tatsächlich an die Örtlichkeit gebunden. Da trifft man sich am Wochenende, vor allem nachts, um Straftaten zu begehen. So ist das einfach.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, es gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage; diesmal von Herrn Olejak. Lassen Sie sie zu?

Monika Düker (GRÜNE): Ja, immer gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Düker, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. Sie erwähnten gerade, dass ein ausschlaggebendes Argument die Erreichbarkeit des möglichen Tatortes für die Polizei ist. Da stellt sich mir eine andere Frage. In Düsseldorf ist ja die Polizeiwache – ich als Düsseldorfer weiß das – …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, stellen Sie bitte Ihre Frage!

Marc Olejak (PIRATEN): … in der Altstadt direkt 50 m in Reichweite. Wie weit ist denn die nächste Polizeiwache von den Kölner Ringen überhaupt entfernt? Kann man das da überhaupt rechtfertigen?

Monika Düker (GRÜNE): Ich gehe umgekehrt heran, Herr Kollege. Wenn Videoüberwachung eingesetzt wird, müssen – damit es nicht zu einer Scheinsicherheit führt – diese Voraussetzungen gegeben sein oder eben geschaffen werden.

In Düsseldorf – das ist richtig – sind sie gegeben. Die Polizeiwache ist um die Ecke;

(Marc Olejak [PIRATEN]: Also wollt ihr eine neue Wache bauen?)

sie ist innerhalb von einer Minute zu erreichen. Das ist hier der Gewinn dieser Kameras. Die sind ja auch nicht ständig im Einsatz, sondern dann, wenn dort – ich sage mal – die Post abgeht, nämlich nachts an Wochenenden. Dann schafft es die Polizei, in weniger als einer Minute vor Ort zu sein und größeren Schaden zu verhindern. Wenn eine Schlägerei anfängt, kann die Polizei sofort da sein, bevor es in eine Massenschlägerei ausartet.

Das Düsseldorfer Konzept können wir vor Ort – auch ich als Grüne – und für das Land absolut mittragen, weil hiermit tatsächlich ein Sicherheitsgewinn verbunden ist.

Das ist für mich – ganz nüchtern betrachtet – die wesentliche Voraussetzung. Das Gesetz haben wir. Wir entscheiden nicht parteipolitisch, wo jetzt Videokameras aufgebaut werden, weil das gerade gut in meinen Wahlkreis passt, sondern wir halten uns an die gesetzliche Grundlage: Es muss geeignet sein. Es muss erforderlich sein. Es muss ein Brennpunkt nachgewiesen werden. Die Polizei muss vor Ort sein können, wenn etwas passiert, und sie muss die Bildschirme beobachten können. Dann – und nur dann – trägt das Ganze zu mehr Sicherheit bei.

Herr Schittges, Sie haben vorhin mal eben aus dem Ärmel geschüttelt: Wenn wir das alles hätten, dann wäre die Sache in Köln nicht passiert. – Das ist leider falsch.

(Winfried Schittges [CDU] schüttelt den Kopf.)

Das kann Videoüberwachung nicht leisten. So ehrlich sollten wir sein. Die Abschreckungswirkung im Bahnhof von Köln war offenbar nicht gegeben; denn dort hängen überall Kameras. Der ganze Bahnhof wird massenhaft von Kameras überwacht. Trotzdem haben diese Taten dort leider stattgefunden.

Das heißt: Wenn wir den Menschen mit dem Installieren der Videokameras tatsächlich mehr Sicherheit bieten können – ich bin dafür, wenn genau das funktioniert –, dann müssen wir dies entlang dieser Kriterien tun. Denn ansonsten – da bin ich wieder bei dieser Symbol- und Aktionismuspolitik – erreichen wir am Ende nichts.

Wir dürfen als Antwort auf diese schrecklichen Vorfälle von Köln keine Scheinlösungen anbieten, um politische Geländegewinne zu erzielen. Wenn die Opfer am Ende nicht merken, dass mehr Sicherheit vorhanden ist und dass sie besser geschützt werden, dann verlieren wir Vertrauen.

Wir Grüne stehen für einen ehrlichen und pragmatischen Umgang mit diesem Instrument, und genauso werden wir zukünftige mögliche Standorte für Videoüberwachung bewerten. Dann wird auch mehr für die Sicherheit in diesem Land dabei herauskommen. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Lürbke das Wort.

Marc Lürbke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorwegzuschicken: Wir Freie Demokraten wünschen uns statt Debatten über mehr Videokameras grundsätzlich eher Debatten über mehr Personal für Polizei und Justiz.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Ich auch, ja! – Zuruf von der SPD: Da hat die schwarz-gelbe Regierung gekürzt!)

Das ist aber auch nichts Neues. Damit wäre der Sicherheit im Lande deutlich mehr

(Marc Olejak [PIRATEN]: Geholfen!)

gedient.

Genau das ist der eigentliche Knackpunkt, und den haben wir hier schon oft genug erläutert. Ohne flankierende und ergänzende Maßnahmen kann Videobeobachtung keine Wirksamkeit entfalten. Ansonsten diskutieren wir tatsächlich über Scheinsicherheiten. Ansonsten ist es Aktionismus, dem auch wir eine Absage erteilen.

Deswegen – auch Frau Düker hat es gerade gesagt –: Videoüberwachung ist an Gefahrenpunkten so – und auch wirklich nur so – einzusetzen, dass Polizeikräfte dort unverzüglich eingreifen können. Denn klar ist doch: Die Kamera an sich verhindert keine Straftaten; das können nur die eingesetzten und physisch tatsächlich anwesenden Polizeibeamten. Fehlt es daran, wird es schon rechtlich schwierig. Frau Düker hat das eben schon dargestellt; das brauche ich an dieser Stelle nicht zu wiederholen. Das ist so weit auch bekannt.

Fakt ist aber auch: Nordrhein-Westfalen verfügt gegenwärtig über eine vergleichsweise zurückhaltende gesetzliche Regelung zur präventivpolizeilichen Videobeobachtung. § 15a Polizeigesetz lässt die öffentliche Videoüberwachung lediglich an Kriminalitätsbrennpunkten zu, übrigens stets befristet. Damit unterliegt sie auch einer Evaluierungspflicht.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Einer ständigen im Übrigen auch!)

– Im Fünfjahresrhythmus, okay. Das nächste Mal dann im Jahr 2018.

Insofern erschließt sich mir nicht ganz genau diese Forderung nach dem wissenschaftlichen Bericht. Wissenschaftlicher und ein bisschen unabhängiger – das geht immer; aber an dieser Stelle sehe ich nicht die zwingende Notwendigkeit.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Die Genehmigung ist auch immer nur für ein Jahr!)

Uns Freien Demokraten geht es um eine sinnvolle Austarierung zwischen Freiheit und Sicherheit in Nordrhein-Westfalen. Ich glaube: Wie so oft und in vielen anderen Politikbereichen darf man das nicht schwarz-weiß malen. Das hilft an dieser Stelle nicht weiter.

Wir stehen für eine vernunftgeleitete, größtmögliche Abwägung von Freiheit und Sicherheit. Als Richtschnur gilt: So viele Maßnahmen zur Sicherheit wie nötig und so wenige Beschränkungen bürgerlicher Freiheiten wie möglich.

Ihr Antrag bringt uns an dieser Stelle leider nicht weiter und nimmt sich dieser Problematik auch nicht richtig an. Deswegen können auch wir ihm leider nicht zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und Hans-Willi Körfges [SPD])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Ich sage eines direkt vorweg: Videobeobachtung im öffentlichen Raum ist kein Allheilmittel. Sie kann nur ein Baustein sein, um insbesondere in begrenzten Bereichen für zusätzliche Sicherheit zu sorgen.

Um auch das klar zu sagen, Herr Herrmann: Eine solche Videobeobachtung im öffentlichen Raum ist auch nur dann sinnvoll, wenn sie – das sagt § 15 Polizeigesetz mit aller Deutlichkeit – in Kriminalitätsschwerpunkten eingesetzt wird. Es sollte keine Verdrängung in andere Bereiche stattfinden. Wichtig ist außerdem: Die Polizeibeamtinnen und ?beamten müssen das Geschehen vor Ort sozusagen live beobachten können. Man muss in der Lage sein, kurzfristig Polizeikräfte zuzuführen, um Straftaten zu unterbinden oder zumindest zu mildern.

Bevor es überhaupt so weit kommt, muss eine Kreispolizeibehörde in den engen Grenzen unseres Polizeigesetzes – das gut ist, weil es solche engen Grenzen setzt – prüfen, ob die Voraussetzungen für eine solche Videobeobachtung im öffentlichen Raum überhaupt gegeben sind. Ich sage noch einmal ganz deutlich: Es muss ein Raum sein, in dem regelmäßig Straftaten stattfinden.

Diese Entscheidung, ob eine Beobachtung im öffentlichen Raum stattfindet, trifft die Behördenleitung, also der Polizeipräsident, oder der Landrat bzw. die Landrätin vor Ort. Von dieser Möglichkeit des § 15a Polizeigesetz machen zurzeit nur zwei Behörden Gebrauch, nämlich in Düsseldorf und in Mönchengladbach. Frau Düker und Herr Bialas haben schon darauf aufmerksam gemacht, wie erfolgreich diese Videobeobachtung im öffentlichen Raum gerade hier an der Bolkerstraße in der Altstadt ist.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, entschuldigen Sie. Würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Herrmann zulassen?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ja, gerne.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie betrifft exakt den Punkt; da geht es nämlich um die Düsseldorfer Altstadt. Frau Düker hat das eben ausgeführt, und Sie sagen auch, das sei erfolgreich.

Sicherlich kennen Sie Ihren eigenen Evaluationsbericht, in dem es heißt, dass die Zahl der Straftaten seit Jahren schwankend ist. Es ist aber kein Rückgang zu verzeichnen, sondern teilweise sogar eine Steigerung.

Insofern frage ich: Wo ist der Sinn der Videoüberwachung in Düsseldorf, wenn die Zahl der Taten in der Summe nicht zurückgeht?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Herrmann, Sie müssen diesen Evaluierungsbericht ganz lesen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Haben wir!)

Es geht nicht nur um die Quantität, sondern vor allem auch um die Qualität.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Leichter geworden! Anzahlmäßig gestiegen, aber leichter!)

Wir haben an der Bolkerstraße insbesondere an den Wochenenden die Situation, dass angetrunkene Personen zu Körperverletzungen neigen und das dann unter der Kamera ausüben bzw. ausleben. Natürlich ist es im Rahmen der Gefahrenabwehr Aufgabe der Polizei, dann unmittelbar einzuschreiten.

Unabhängig davon, ob Zahlen steigen oder nicht steigen – sie sind in der Tat schwankend –, geht es vor allem darum, Dritte vor größeren Verletzungen oder größeren Übergriffen zu schützen. Das geht nur dann, wenn beispielsweise durch eine Videobeobachtung, die nur ein Mosaikstein in einem solchen Raum ist, die Polizei Kenntnis von diesen Straftaten bekommt und dann unmittelbar einschreiten kann.

Wären Sie vielleicht einmal Betroffener in der Bolkerstraße und würden angegangen – was ich Ihnen wirklich nicht gönne, Herr Herrmann –, dann wären Sie froh, dass durch diese Videobeobachtung unmittelbar Polizeikräfte zugeführt werden können.

Wenn es eine solche Entscheidung einer Polizeibehörde zur Videobeobachtung im öffentlichen Raum gibt, wird regelmäßig der oder die Landesbeauftragte für Datenschutz in die Entscheidungsfindung einbezogen.

Entscheidend ist darüber hinaus, dass eine solche Einrichtung nur für ein Jahr gilt; sie darf nur auf ein Jahr begrenzt sein. Die Behörde ist nach unserem Polizeigesetz dazu verpflichtet, diese Maßnahme zu dokumentieren, und sie muss jeweils eine Verlängerung um ein Jahr aussprechen. Herr Herrmann, ich finde, diese Befristung ist wichtig. Es ist erforderlich, dass in regelmäßigen Abständen die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit sowie der Erfolg einer solchen Maßnahme evaluiert werden müssen.

Damit erfüllt diese Videobeobachtung tatsächlich ihren Zweck, nämlich die Gefahrenabwehr, dass die Polizei bei drohenden oder begangenen Straftaten unmittelbar einschreiten kann. Das ist im nordrhein-westfälischen Polizeigesetz mit klaren Kriterien und mit einem engen Korridor gut angelegt. Diesen Korridor wollen wir jetzt zusätzlich nutzen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/10785 beantragt. Dazu kommen wir jetzt. Wer stimmt für den Antrag der Piratenfraktion? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Ich stelle fest, dass der Antrag der Piratenfraktion Drucksache 16/10785 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der Piratenfraktion mit großer Mehrheit abgelehnt worden ist.

Ich rufe auf:

7   Sofortprogramm Sicherheit in Bussen und Bahnen – Die Landesregierung ist gefordert

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10794

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10886

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Kollegen Rehbaum das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Henning Rehbaum (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe – Glocke)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie, Herr Kollege. Ich darf die Kollegen der spontanen Gesprächsrunde dort vorne doch bitten! – Danke schön. – Bitte, Herr Kollege!

Henning Rehbaum (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Pöbeleien gegen das Personal im Niers-Express“, heißt es in der „Rheinischen Post“ vom 24. Januar 2016. „Schaffner werden von Schwarzfahrern aufs Übelste beschimpft“ schreibt die „Rheinische Post“ vom 24. Januar 2016. „Versuchte Vergewaltigung im Regional-Express“ steht in der „Westdeutschen Zeitung“, ebenfalls vom 24. Januar 2016. Hinzu kommen diverse Berichte über Diebstähle in S-Bahnen.

Das sind Schlagzeilen der vergangenen Tage. Ich könnte noch weiter zurückgehen und Hunderte Schlagzeilen der letzten Monate über Kriminalität im Umfeld des ÖPNV zitieren. Aber dann würden die fünf Minuten Redezeit sicherlich nicht ausreichen.

Fakt ist, dass die Lage für Fahrgäste und Personal in nordrhein-westfälischen Bussen und Bahnen unsicherer geworden ist. Bereits 2014 hat die GDL, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, eine Warnmeldung herausgegeben und von rund 1.000 Angriffen auf Zugbegleiter pro Jahr in Nordrhein-Westfalen gesprochen.

Meine eigenen Erfahrungen als Vorgesetzter einer Dienstgruppe von Zugbegleitern decken sich damit: Es gibt Beschimpfungen, das Bespucken von Zugbegleitern, auch Angriffe – das komplette Programm. An dieser Stelle ist es gut und richtig, dass wir den Zugbegleitern einmal dafür danken, dass sie trotz dieser Umstände ihren Dienst stets besonnen und professionell durchführen.

(Beifall von der CDU und Minister Michael Groschek)

Die Zugbegleiter stehen oft ziemlich alleine da. Deswegen fordern wir Verstärkung, Unterstützung und mehr Respekt für die Zugbegleiter in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Etwa 6 Millionen Menschen nutzen jeden Tag Busse und Bahnen. Sie sind auf die Verlässlichkeit des Verkehrsangebotes ebenso angewiesen wie auf die Sicherheit während der Beförderung. Das bedeutet: Fahrgäste, Zugbegleiter und Fahrpersonal brauchen das gute Gefühl der Sicherheit in den Verkehrsmitteln. Dies zu gewährleisten, ist eine gemeinsame Aufgabe und grundsätzliche Verpflichtung des Staates und der Verkehrsunternehmen.

Ich betone: Es ist eine gemeinsame Aufgabe. Keine Seite darf sich hier zurücknehmen. Die Verkehrsunternehmen müssen jedoch finanziell in die Lage versetzt werden, für die Sicherheit in den Bahnen zu sorgen.

Laut Bundespolizei ist in vielen Fällen das Wissen der Täter, unbeobachtet und anonym zu sein, ein begünstigender Tatauslöser. Jeder weiß, dass Videoüberwachung in Bus und Bahn abschreckend wirkt und bei der Aufklärung von Straftaten hilft. Das kann im Grunde auch jeder Geschäftsführer eines Verkehrsunternehmens bestätigen, der Videoüberwachung in seinen Zügen und Bussen eingeführt hat. Wer also hier die Videoüberwachung ablehnt – wir hatte gerade die Debatte –, der sollte seine Meinung im Hinblick auf Bus und Bahn doch noch einmal sehr genau überdenken.

Außerdem muss die Videoüberwachung verstärkt an Haltestellen und Bahnhaltepunkten nachgerüstet werden, und zwar nicht nur an den großen Bahnhöfen, sondern auch an den kleinen Bahnhaltepunkten im ländlichen Raum. Dies dient nicht nur der Abschreckung und Aufklärung, sondern gibt den Fahrgästen ein subjektives Sicherheitsgefühl; denn auch hier liegt Nordrhein-Westfalen sehr weit hinten.

Es gab eine Untersuchung der „Allianz pro Schiene“. In dieser Untersuchung steht Nordrhein-Westfalen beim Punkt „Subjektives Sicherheitsempfinden an Bahn- und Bushaltepunkten“ auf dem 14. Platz von 16, und damit weit hinter den Stadtstaaten, bei denen man das eigentlich erwarten würde.

Darüber hinaus benötigen wir eine verstärkte persönliche Präsenz von Sicherheitskräften in Bussen, Bahnen und Bahnhöfen. Wichtig ist, dass uniformiertes Personal in den Verkehrsmitteln vorhanden ist, das den Fahrgästen auch nach Anbruch der Dunkelheit ein besonderes Gefühl der Sicherheit vermittelt. Wenn man die Zugbegleiter selbst fragt, sagen diese, das Wichtigste für sie wäre eine Doppelbesetzung während der Nachtstunden.

Leider haben in den letzten Jahren auch Busfahrer zunehmend mit Gewaltattacken zu tun. Auch hier muss dringend gehandelt werden. Wir schlagen ein Testprogramm mit Fahrerschutzkabinen in Schwerpunktgegenden vor. Ich weiß, das wird im Kreis Unna bereits ausprobiert.

Flankierend benötigen wir in Nordrhein-Westfalen ein Sicherheitskonzept für den ÖPNV in Gänze, welches auch die neuen Herausforderungen im Bereich der inneren Sicherheit abdeckt und ihnen gerecht wird. Ein solches Konzept sollte die Landesregierung zügig gemeinsam mit den Zweckverbänden erarbeiten.

Die Landesverkehrswacht Nordrhein-Westfalen hat die „Vision Zero“. Das heißt, kein Mensch soll zukünftig mehr im Straßenverkehr ums Leben kommen. Dies liegt in weiter Ferne und ist noch unerreichbar. Ein ähnliches Ziel wünsche ich mir jedoch für den ÖPNV: Kein Mensch soll mehr in Bussen, Bahnen, S-Bahnen, U-Bahnen und Straßenbahnen überfallen werden. Es lohnt sich, auch an dieser Vision zu arbeiten. Wir alle wollen erreichen, dass mehr Menschen vom Auto auf den ÖPNV umsteigen, aber das wird nur gelingen, wenn man sich in Bus und Bahn sicher fühlt.

Fahrgäste, Zugbegleiter und Fahrpersonal in Nordrhein-Westfalen erwarten von der Landesregierung schnelle Maßnahmen für mehr Sicherheit in Bus und Bahn. Bitte übernehmen Sie Verantwortung und tragen Sie unseren Antrag mit. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Löcker das Wort.

Carsten Löcker (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus einem VRR-Bericht aus dem letzten Jahr geht hervor, dass die Anzahl der Gewalttaten in Bussen und Bahnen nicht zugenommen hat, dass die Übergriffe aber durchaus hier und da brutaler geworden sind. Trotzdem fühlen sich die Fahrgäste – so ist es nachzulesen in dem Bericht aus dem letzten Jahr – relativ sicher.

Die Anzahl der Übergriff im ÖPNV ist im vergangenen Jahr stabil geblieben; auch das kann man nachlesen. Einige Beispiele: In Essen kamen im Jahre 2015 auf 120 Millionen transportierte Fahrgäste 200 Straftaten. Wir sind uns einig, dass es 200 zu viel sind; das ist völlig klar.

Die „Kooperation östliches Ruhrgebiet“, also Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG, Dortmunder Stadtwerke und weitere, mit über 370 Millionen transportierten Fahrgästen im Jahr 2015 – spricht auf Anfrage von einem zunehmend raueren Klima. Entgleisungen und Respektlosigkeiten gegenüber Fahrgästen und auch Personal sind an der Tagesordnung. Insgesamt spricht die „Kooperation östliches Ruhrgebiet“ in ihrem Bericht aber auch davon, dass Vorfälle von Vandalismus und die Zahl der Übergriffe zurückgegangen sind.

Somit stellt sich die Frage: Warum ist das so? Es lohnt sich ein Blick in die entsprechenden Geschäftsberichte der Unternehmen.

Das Prinzip „Der Fahrgast soll sich betreut und potenzielle Täter beobachtet fühlen“ ist schon lange Alltag in den Verkehrsunternehmen, in den Bussen, Bahnen und Straßenbahnen. Der kontrollierte Vordereinstieg, Videoanlagen in allen Bussen und Bahnen, die sogenannte Überfalltaste, Herr Rehbaum, die Livebildschaltung bei Übergriffen in die entsprechenden Leitstellen, das zertifizierte Deeskalationstraining mit der Polizei und den Polizeipräsidien vor Ort für alle Fahrerinnen und Fahrer zur Konfliktvermeidung sind Alltag in den Unternehmen. Ich erwähne auch die Ausbildung von Beschäftigten, die Schaffnerinnen und Schaffner werden können,

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

und das Begleitpersonal. All diese Aktivitäten kann man in den Geschäftsberichten nachlesen.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Was bleibt also von Ihren Vorschlägen als sogenanntes Vorsorgeprogramm für mehr Sicherheit in Bussen und Bahnen?

Jetzt kommen Sie mit Ihrem Vorschlag zum Einbau geschlossener Fahrerschutzkabinen hinzu. Da sage ich: Hätten Sie sich lieber mal in den Verkehrsunternehmen informiert. Da ist die Bochum-Gelsen-kirchener Straßenbahnen AG nach zehn Jahren Einsatz von Fahrerschutzkabinen bereits weiter. Weniger Sicherheit für Fahrerinnen und Fahrer und auch für Fahrgäste, und daher wurde das Ganze wieder abgeschafft.

Im Jahr 2008 hat das Land das KompetenzCenter Sicherheit mit eigenen Mitteln auf den Weg gebracht. Das KompetenzCenter Sicherheit ist Dienstleister für die Verkehrsunternehmen, für alle, die mitmachen und die Akteure sind. Es berät die Unternehmen dahin gehend, dass ihre Programme auch Wirkung zeigen. Ich denke, die Mittel des Landes für das KompetenzCenter als Wissensbörse sind gut angelegt. Wir merken: Es wirkt.

Dennoch sage ich hier klar und deutlich: Mehr ist möglich und mit Blick auf die Entwicklung auch nötig. Sicherheit in Bussen und Bahnen ist aber vor allem Aufgabe der kommunalen Verkehrsunternehmen und der Deutschen Bahn, je nachdem, wer Akteur ist. Wenn die Deutsche Bahn mehr Videokameras auf Bahnsteigen installieren will, dann muss sie das sagen und auch dafür sorgen. Es ist politisch gut gemeint, wenn das hier vorgeschlagen wird. Meiner Meinung nach geht es jetzt darum, diese Aktivitäten im KompetenzCenter Sicherheit zusammenzubringen.

Im nächsten Jahr und darüber hinaus wird mehr Geld dafür zur Verfügung stehen, dass wir schwerpunktmäßig die Überwachung ausbauen. Das muss doch das Prinzip sein. Es kann doch nicht sein, dass wir landesweit flächendeckend überall entsprechende Anlagen aufstellen und meinen, damit hätten wir unseren Job erledigt. Vielmehr müssen wir mehr miteinander reden.

Einer Überweisung in den Fachausschuss hätten wir gerne zugestimmt, Herr Rehbaum. Das sage ich Ihnen offen; denn ich glaube, dass die Diskussion nötig und richtig ist. Aber dafür waren Sie heute leider nicht zu gewinnen. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Löcker. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Beu.

Rolf Beu (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele Faktoren tragen zu einem gelingenden öffentlichen Personenverkehr bei. Dafür braucht es eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur. Verkehrsverbünde brauchen Informationen über das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer, um attraktive Angebote anbieten zu können. Wir brauchen einen funktionierenden Wettbewerb der Verkehrsunternehmen.

Derzeit reden wir im Verkehrsbereich viel über weitergehende Zusatzleistungen für die Kundinnen und Kunden. Aber es ist noch mehr: DB AG und GDL verdanken wir die nicht neue Erkenntnis, dass das Wetter und das Personal, dass die Kolleginnen und Kollegen auf der Lok und am Lenkrad, im Stellwerk und an den Gleisen für das Gelingen des Fahrbetriebs essenziell sind.

Doch es braucht vor allem eines: Geld. Denn alles steht und fällt mit einer auskömmlichen Finanzierung des öffentlichen Personenverkehrs. Hier will ich die Aufzählung beenden, auch wenn ich weit von Vollständigkeit entfernt bin. So viele Faktoren braucht es für einen guten öffentlichen Personenverkehr.

Nun haben die Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion einen zweifelsohne sehr wichtigen Punkt aus dieser großen Vielzahl herausgepickt und dazu einen Antrag gestellt. Als regelmäßige Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Verkehrs ist den Damen und Herren der antragstellenden CDU-Fraktion die dortige Sicherheit ganz besonders wichtig. Dies kann ich durchaus nachvollziehen.

Das ist jedoch ein altes und nicht per Verordnung lösbares Problem. Ich persönlich kann mich noch gut an eine Heimfahrt von einem Fußballspiel eines rheinischen Vereins erinnern, der damals noch auf europäischer Ebene gegen einen Klub aus Schottland spielte. Damals flogen nicht nur Scheiben aus der KVB-Bahn. Das Ganze ist aber 35 Jahre her.

Es verwundert schon ein wenig, dass die antragstellende Fraktion gerade jetzt das Thema wieder in den Fokus stellt. Wie bereits gesagt, ist die Sicherheit in öffentlichen Verkehrsmitteln ein immerwährendes, ernstzunehmendes und wichtiges Thema sowohl für die Fahrgäste als auch für das Personal.

Schauen wir uns also die vier Forderungen im Einzelnen an.

Da wäre erstens ein „Sofortprogramm für mehr Sicherheitspersonal“.

Die Ausstattung mit und der Einsatz von Sicherheitspersonal im Schienenpersonenverkehr werden seit vielen Jahren von den Zweckverbänden in den Vergabeverträgen mit den Verkehrsunternehmen vertraglich festgeschrieben. Das ist zudem laut Gesetz eine Aufgabe der kommunalen Hoheit. Sollen wir als Landesgesetzgeber die kommunale Selbstständigkeit vom Tisch fegen und etwas von oben herab flächendeckend anordnen? Das würden sich zuerst Ihre Parteifreundinnen und Parteifreunde lautstark verbitten. So kenne ich sie zumindest in den Gremien der Aufgabenträger.

Anders verhält es sich lediglich bei Anlagen der Deutschen Bahn. Durch die unterlassene Unterhaltung etlicher Bahnhöfe und Bahnsteige durch das Bundesunternehmen in NRW – an manchen Orten kann man fast von Verwahrlosung sprechen – entstanden erst die zu kritisierenden Angsträume. Gleichzeitig wurde das Bahnpersonal flächendeckend zurückgezogen.

In diesem Zusammenhang könnte man auch die Rolle der Bundespolizei erwähnen, welche für die Sicherheit an den Bahnhöfen zuständig ist. Das blendet die CDU hier aus; vielleicht weil Antworten auf die Frage nach der Personalausstattung der Bundespolizei die Bevölkerung verunsichern könnten.

Die zweite Forderung ist ein „Sicherheitskonzept für den ÖPNV in NRW“. Da haben wir die gleiche Situation. Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt die Verkehrsverbünde und fördert das KompetenzCenter Sicherheit, das gute Arbeit macht. Hier werden Daten von Verkehrsunternehmen über sicherheitsrelevante Vorfälle zusammengeführt. Anhand derer können die Sicherheitspartner vor Ort adäquat auf Probleme reagieren und diese lösen. Damit ist eigentlich auch die Forderung der FDP nach Unterstützung von Ordnungspartnerschaften landesseitig bereits erfüllt. Vielleicht wäre es hilfreich, die Verkehrsunternehmen und kommunalen Aufgabenträger noch einmal gesondert auf diese Möglichkeiten hinzuweisen.

Bei der dritten Forderung nach einem „Testprogramm für Fahrerschutzkabinen“ fühlt man sich gedrängt zu fragen, ob der CDU das Wohl der Fahrgäste weniger schützenswert erscheint als das der Fahrerinnen und Fahrer.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Boah!)

Um aber bei der Sache zu bleiben, möchte ich hinzufügen: Fahrerschutzkabinen sind ein Thema, das wir schon verschiedentlich diskutiert haben. Das ist auch eine Aufgabe, die die Arbeitgeber, nämlich die Verkehrsunternehmen, nach § 618 Abs. 1 BGB selber lösen müssen. Sie haben darüber dann in Gesprächen mit den Betriebsräten und auch den anderen Playern vor Ort jeweils im Einzelfall zu entscheiden, und das wollen und werden wir hier auch nicht zentral landesweit regeln. Ich möchte wiederum feststellen, dass es keine Lösung von oben herab gibt, die für alle passt und die man verordnen kann.

Kommen wir zum nächsten Thema.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Beu, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Rehbaum würde Ihnen gern eine Frage stellen.

Rolf Beu (GRÜNE): Ja, wenn die Zeit angehalten wird, gern.

Präsidentin Carina Gödecke: Ja, die wird immer angehalten. Das ist gar keine Frage.

Henning Rehbaum (CDU): Vielen Dank, dass ich diese Frage stellen darf. – Die Aussage, wir könnten von oben herab nichts anordnen, die Sie schon mehrfach getroffen haben, passt natürlich nicht zu dem, was Sie ansonsten alles gern von oben, von Landesseite, anordnen. Es geht an dieser Stelle auch nicht um eine Anordnung, sondern um die Möglichkeit

(Dietmar Bell [SPD]: Frage!)

– ja, ja –, zum Beispiel ein Testprogramm für Fahrerschutzkabinen oder zusätzliches Zugbegleitpersonal zu finanzieren. Sind Sie sicher – jetzt stelle ich die Frage –, dass die Verkehrsunternehmen ausreichend vom Land finanziert sind, um zusätzliche Sicherheit zu schaffen?

Rolf Beu (GRÜNE): Sie wissen doch selber, Herr Rehbaum, dass die entsprechenden kommunalverfassten Aufgabenträger selber bestimmen können, was sie mit den durchgereichten Regionalisierungsmitteln anfangen.

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Sie hätten letztendlich auch die Möglichkeit, in den Ausschreibungen entsprechendes Sicherheitspersonal nicht nur für die Abendstunden – das wird schon heute in den meisten Verkehrsverbünden praktiziert –, sondern auch für andere Zeiten vorzugeben. Dass sie dann unter Umständen nur Angebote bekommen, die ungünstiger sind als die heutigen, muss in den zuständigen Gremien diskutiert werden. Das heißt, Gelder stehen im Prinzip zur Verfügung.

(Henning Rehbaum [CDU]: Genug!?)

Wie die Gelder eingesetzt werden, Herr Rehbaum, ist dann Sache der Aufgabenträger. Das ist gesetzlich auch so geregelt.

Die vierte Forderung schließlich erledigt sich von selbst, denn sie ist bereits heute erfüllt. Wir haben schon heute eine „Förderung der Videoüberwachung im ÖPNV“ durch das Land NRW. Auch die Verkehrsunternehmen sind großflächig aktiv geworden. Sie haben in Kameras und Videoanlagen für Bahnen und Busse, Bahnsteige und Aufzüge investiert. Wir konnten vor Ort selbst feststellen, dass trotzdem die Privatsphäre und der Datenschutz gewährleistet sind. Dies funktioniert. Ich sage nur zur Erinnerung: Maßnahmen der Sicherheit sind nach dem ÖPNV-Gesetz NRW explizit förderungsfähig.

Die Erhöhung der Sicherheit im Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel, auch der subjektiven, ist und bleibt eine permanente Aufgabe. Der beantragte Förderungskatalog ist dabei aber genauso wenig hilfreich wie der Entschließungsantrag der FDP-Fraktion. Wir fordern, dass wir das tatsächlich im Konsens behandeln, …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Rolf Beu (GRÜNE): … und zwar alle gemeinsam, mit gegenseitigem Respekt, im Verkehrsbereich und überall in diesem Lande. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Beu. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Rasche.

Christof Rasche (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit den Ereignissen der Silvesternacht in Köln ist das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit, in den Rechtsstaat und in die Landesregierung erschüttert. Deshalb kommt ja auch zum jetzigen Zeitpunkt dieser Sicherheitsantrag der CDU-Fraktion.

Die Sicherheitslage in Bussen und Bahnen, an Haltestellen und in Bahnhöfen ist seit vielen Jahren ein Thema in diesem Hohen Haus, unter anderem auch in einem Antrag der FDP-Fraktion aus dem Jahr 2011. Dazu hat es damals eine umfangreiche Anhörung gegeben, und in dieser Anhörung haben alle Fachleute – Polizei, Sicherheitskräfte, Nahverkehrsverbünde – geschildert, wie notwendig es ist, sich in diesem Bereich höhere Ziele zu setzen und diese auch zu erreichen. Das ist bisher nicht geschehen. Wir haben eine gemeinsame Aufgabe, die aber eigentlich mit Köln und Silvester nichts zu tun hat.

(Carsten Löcker [SPD]: Den Zusammenhang haben Sie doch hergestellt!)

Den Antrag der CDU prägen drei Stichworte: Videoüberwachung, mehr Sicherheitspersonal und Finanzierung.

Zum ersten Stichwort: Videoüberwachung. Wenn irgendwo etwas passiert, und zwar auch so etwas Schlimmes wie in Köln, dann kommt immer dieser typische CDU-Reflex zum Vorschein, möglichst viel oder sogar alles zu überwachen. Die FDP ist im Gegensatz dazu für eine rationale Abwägung zwischen Freiheitsrechten auf der einen Seite und Sicherheitserfordernissen auf der anderen Seite.

(Jochen Ott [SPD]: Aha!)

Einer solchen Debatte verschließen wir uns niemals. Aktionismus hilft in diesem Bereich allerdings nicht.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Zweites Stichwort: Sicherheitspersonal. Für uns steht fest: Die Nahverkehrsbranche kann diese Forderung der CDU keinesfalls allein erfüllen. Nach Auffassung der FDP brauchen wir in diesem Bereich zusätzlich absolute Profis, also die Polizei. Das ist möglich, wenn der Innenminister den Abschlussbericht der Expertenkommission mit der Forderung nach mehr Polizei auf der Straße umsetzt. Das ist der richtige Weg, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Das dritte Stichwort: Finanzierung. Wir haben doch schon heute die Situation, dass viele Züge völlig überfüllt sind – der Minister spricht oft von „Ölsardinen“ – und nicht mehr verlässlich fahren. Ähnlich ist es auf vielen Strecken auch in den Bussen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass zu wenig Geld vorhanden ist – also zu wenig Regionalisierungsmittel des Bundes. Das hat im Übrigen auch die CDU in zahlreichen Ausschüssen auch aktuell kritisiert. Jetzt will sie die Mittel für Bahn- und Busverkehr reduzieren, um eigentlich rechtsstaatliche Aufgaben zu finanzieren.

Meine Damen und Herren, im Antrag der CDU steht, die Entwicklung der Regionalisierungsmittel würde demnächst den Spielraum eröffnen, um einerseits – das muss man ja voraussetzen – den Verkehr verlässlich zu finanzieren und auf der anderen Seite noch Personal für Sicherheit zu bezahlen. Meine Damen und Herren, das ist ein Widerspruch zu Ihrer bisherigen Haltung.

Wenn ich jetzt für den Kollegen Beu korrekt auf die Mündliche Anfrage von Herrn Rehbaum antworten darf: Natürlich reichen die Mittel nicht einmal, um den Verkehr vernünftig zu organisieren. Dann reichen sie schon gar nicht für zusätzliches Sicherheitspersonal, meine Damen und Herren.

Aus diesem Grund – weil es so nicht finanzierbar ist – werden wir uns enthalten. Wir haben Ihnen einen Entschließungsantrag der FDP vorgelegt, der auf der Diskussion im Jahr 2011 basiert. Er kommt dem Ziel wesentlich näher als der Antrag der Kollegen der CDU. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Fricke.

Stefan Fricke (PIRATEN): Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger zu Hause oder unterwegs! Gerade eben haben wir schon einen Antrag zum Thema „Videoüberwachung“ behandelt. Er wurde natürlich abgelehnt. Aber wofür wäre dieses Hohe Haus noch gut, wenn es nicht immer wieder ausführlich über die gleichen Dinge diskutieren müsste?

Daher hier noch einmal ein paar Fakten, die von meinem Kollegen Herrmann nicht erwähnt wurden: Bereits vor ziemlich genau zehn Jahren begann in unserer Bundeshauptstadt genau so ein Projekt, wie es die Kollegen der CDU heute fordern. Darüber wurde im selben Jahr eine Studie erstellt, die derart verheerend ausfiel, dass sie versteckt wurde und die Veröffentlichung gerichtlich eingeklagt werden musste.

Ganz kurz gefasst lautet das Ergebnis dieser Studie wie folgt: Videoüberwachung bringt keinerlei zusätzliche Sicherheit, eher das Gegenteil. Denn die Bürger verzichten a) darauf, selber aktiv zu werden, weil sie sich auf die Kameras verlassen, und b) erstatten Angestellte mit einer deutlichen zeitlichen Verzögerung Anzeige, weil auch sie sich auf die Kameras verlassen. Die Kameras sind – wie bereits ausgeführt – zur Vermeidung oder gar Verhinderung von Straftaten sinn- und nutzlos, weil die Bilder so gut wie nirgendwo in Echtzeit beobachtet, sondern überwiegend nur aufgezeichnet werden.

Allerdings haben wir ausgerechnet in Köln ein sehr seltenes Beispiel für den Nutzen der Videoüberwachung. Eine Fahndung aus dem Februar 2015, die im April 2015 von der Kölner Polizei mit Bildern aus der Videoüberwachung in die Fahndung gegeben wurde, war erfolgreich. Nach Auskunft der zuständigen Stelle der Polizei Köln konnte ein Tatverdächtiger aufgrund der Lichtbilder erkannt werden. Dieser wurde bei der Polizei Köln als Intensivtäter geführt. Ein weiterer Täter wurde ebenfalls ermittelt. Beide Täter sind rechtskräftig zu Jugendstrafen auf Bewährung verurteilt worden. – Wir freuen uns natürlich, dass die Ausnahme von der Regel auch einmal funktioniert hat.

Dazu möchte ich jedoch ein Zitat eines bundesweit bekannten Experten und Kollegen aus dem schleswig-holsteinischen Landtag vortragen, der sich auch schon vor längerer Zeit mit diesem Thema befassen musste. Patrick Breyer – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin – sagte am 2. August 2014:

„Nach Angaben der Landesweiten Verkehrsservicegesellschaft (LVS) wurden 2012 in den Nahverkehrszügen in Schleswig-Holstein insgesamt knapp 53 Millionen Fahrgäste befördert. Die Bundespolizei zählte im gleichen Jahr 64 Gewaltdelikte in Schleswig-Holsteins Zügen. Also liegt das Risiko, hierzulande im Zug Opfer einer Gewalttat zu werden, bei 1:800.000. Das entspricht etwa der Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden.“

Fairerweise muss ich zugestehen, dass die Wahrscheinlichkeit in NRW wohl höher wäre. Sie läge bei etwa 1:750.000.

Das aber ist noch lange nicht alles. Die verfügbaren deutschen Statistiken – unter anderem aus Bayern – zeigen die Ineffizienz der Videoüberwachung. Eine Studie des britischen Innenministeriums, die 13 verschiedene öffentliche Videoüberwachungssysteme in Großbritannien abdeckte, ergab, dass nur in einem einzigen Fall die Videoüberwachung zu einem signifikanten Rückgang der Kriminalität im überwachten Bereich führte. In London stieg die Kriminalitätskurve sogar trotz oder wegen der Überwachung stetig, weil einige Gruppen von Tätern Wert auf Selbstdarstellung legen.

Wiederum in Schleswig-Holstein waren Wirtschaftsunternehmen – die traditionelle Klientel der CDU –, die im ÖPNV aktiv sind, wesentlich intelligenter als die sie vertretende Partei. Sie haben aufgrund der rechtlichen Probleme sowie der Sinnlosigkeit darauf verzichtet, in neu eingeführten Verbindungen überhaupt Überwachungstechnik einzusetzen.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung klar formuliert, dass der Schutz vor lückenloser Überwachung zur deutschen Verfassungsidentität gehöre, die selbst im europäischen Einigungsprozess nicht aufgegeben werden dürfe.

All das ist aber klar erkennbar völlig spurlos nicht nur an den werten konservativen Kollegen vorbeigegangen, sondern auch an den Herren der FDP, die sich mit dem Entschließungsantrag auf das populistische Trittbett geschwungen haben. Trotzdem: In dem FDP-Antrag liegt der Schwerpunkt auf mehr Sicherheitspersonal. Das entspricht auch unserer Forderung. Deswegen werden wir uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten. Den CDU-Antrag lehnen wir ab. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Sicherheit ist soziales Grundrecht, und deshalb ist natürlich öffentliche Sicherheit auch im öffentlichen Personennahverkehr bestmöglich zu garantieren

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

An einem Punkt, Herr Rehbaum, haben Sie recht. Wir müssen durchsetzen: null Toleranz bei Gewalttätigkeiten und Respektlosigkeiten den Staats- und Stadtbürgern in Uniform gegenüber. Das ist ein Teil vom Gewaltphänomen, das uns alle trifft. Denn die Uniform wird gegen uns angegriffen und nicht wegen des Individuums, das in dieser Uniform steckt.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es reicht heute bis hin zu den Rettungsassistenten, und man ist sprachlos ob dieser Übergriffe.

Zweite Anmerkung. Ich will jetzt kein Schwarzer-Peter-Spiel eröffnen, doch mich macht nachdenklich, wenn im Sicherheitsbericht des VRR 2014 unter anderem diese Passage steht:

Eine komplette Lageabbildung war nicht gewährleistet, weil die Bundespolizei ob ihres zu knappen Personals nicht dazu in der Lage war, alle Vorfälle zu melden.

Deshalb zieht der VRR jetzt die Konsequenz und vereinfacht das Meldeverfahren, weil die Personalsituation nicht besser geworden ist, sondern durch das Binden an den Außengrenzen in Süddeutschland noch weniger Personal bei der Bundespolizei verfügbar ist.

Dritte Anmerkung. Was die Videobeobachtung angeht, ist es, glaube ich, vor allen Dingen ein psychologisches Plus für die Fahrgäste, die sich beobachtet fühlen und wissen, dass damit auch ein potenzieller Straftäter beobachtet wird. Dieses subjektive Sicherheitsgefühl drückt sich auch in Schulnoten aus. Wenn wir zur Kenntnis nehmen dürfen, dass die Kunden des öffentlichen Personennahverkehrs tagsüber ihr Wohlbefinden und ihr Sicherheitsbefinden mit den Schulnoten eins und zwei und abends und nachts immerhin noch mit Schulnoten zwischen zwei und drei zensieren, dann ist das so schlecht nicht, gemessen an dem, was die Berichterstattung über Zustände in Nachtstunden manchmal abliefert.

Ich glaube, wir waren gut beraten, dass in den Schienenfahrzeugen diese Videoüberwachung perfektioniert wurde und damit auch der öffentliche Personennahverkehr mit seinen Fahrzeugen nicht per se ein Angstraum ist. Das ist ein erheblicher Gewinn und führt dazu, dass sich Menschen in den Fahrzeugen relativ wohlfühlen.

Worüber sprechen wir, wenn wir über Zunahme oder neue Phänomene von Gewalt und Straftaten sprechen? Dazu sagt der letzte verfügbare Bericht:

Es nehmen Taschendiebstähle zu. Die Zunahme von Taschendiebstählen im öffentlichen Personennahverkehr korrespondiert mit der Zunahme von Taschendiebstählen an den bekannten Orten außerhalb des ÖPNV.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Und mit der Zunahme von Kameras im öffentlichen Nahverkehr!)

Wir erleben ein Mehr an Brutalität von Gewalt. Die Gewalttaten selbst stagnieren, aber diese Stagnation in der Anzahl von Übergriffen korrespondiert mit einem erschreckenden Ausmaß an Brutalität gegenüber dem Fahrpersonal. Das führt dazu, dass festgestellt werden kann: Meist alkoholisierte oder unter Drogen gesetzte Fahrgäste sind diejenigen, die Kontrolleure, die Zugbegleiter, die Fahrpersonal brutal angreifen.

Ein besonderes Phänomen ist die Gewalt von „Fußballfans“. Fan-Gewalt wird bei uns ja für ganz Deutschland durch unsere Fanzug-Projekte vorbildlich kanalisiert, die wir gemeinsam mit dem DFB finanzieren. Von diesen Projekten soll es künftig mehr geben. Wir wollen, dass ganz Deutschland dieses Projekt übernimmt, um ein wichtiges Feld von Gewalt einzudämmen.

Vielleicht noch einen Hinweis zum RRX. Beim RRX wird es ein vorbildliches Sicherheitspersonal als Ausschreibungsbedingung geben. Deshalb können die Fahrgäste sicher sein, dass über das heute schon vorhandene Maß die künftigen Regionalexpresslinien mit einer tollen Sicherheitsbestreifung ausgestattet sein werden – also auch ein Komfortplus bei der Sicherheit.

Mit Herrn Husmann vom VRR – zuständigkeitshalber VRR – bin ich verabredet, dass wir am 25. April eine große Landessicherheitskonferenz mit allen Beteiligten einschließlich Bundespolizei und Landespolizei veranstalten, um zu überlegen: Wie können wir das Maß an Sicherheit, das wir heute schon erworben haben, weiter verstetigen und intensivieren? Deshalb hätte ich es gut gefunden, hätten Sie sich auf eine Überweisung eingelassen.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Groschek, …

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Beu, Herr Löcker haben ansonsten die Ablehnungsgründe breit skizziert. Jetzt darf selbstverständlich Herr Rehbaum noch seine Frage stellen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, dass Sie das schon erledigt haben. – Bitte schön.

Henning Rehbaum (CDU): Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen, Herr Minister. – Sie haben erwähnt, dass in RRX-Linien in Zukunft ein besseres Sicherheitskonzept greifen wird. Danach haben Sie gesagt: in Regionalexpresslinien. – Ist das eine abschließende Aufzählung, oder wird in Regionalbahnen, in den RB-Linien, auch ein verbessertes Sicherheitskonzept greifen, und ab wann greift es?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Auch da. Weil die die Regierung tragenden Fraktionen, also Rot-Grün, Sicherheit als soziales Grundrecht begreifen, hat Rot-Grün natürlich auch bei den Regionalbahnen ein optimiertes Videobeobachtungsprogramm gefördert. Das ist in 2015 abgeschlossen worden.

Seit 2006 gibt es per se bei den Fahrzeugbestellungen immer nur jeweils technisch optimale Videobeobachtungsausstattungen. Seitdem Rot-Grün regiert – ab 2011 faktisch nachprüfbar –, gibt es nur eine einzige Ausschreibung von regionalem Schienenverkehr, wo darauf verzichtet wurde, qua Ausschreibung hohe Personalsicherheitsstandards vorzuschreiben. Das heißt, seitdem Rot-Grün regiert, können die Menschen abends und nachts sicherer den öffentlichen Personennahverkehr nutzen, weil bei den Ausschreibungen darauf geachtet wurde, dass Bestreifungspersonal zwingend vorgeschrieben ist. Das ist ein Sicherheitsplus. Darauf könnten wir eigentlich gemeinsam stolz sein und alle applaudieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Da das so bleibt, schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 7.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/10794. Die antragstellende Fraktion, die CDU-Fraktion, hat direkte Abstimmung beantragt, die wir jetzt durchführen. Wer dem Inhalt dieses Antrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piraten. Wer enthält sich? – Das ist die FDP-Fraktion.

(Unruhe)

Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist trotz der bilateralen Gespräche quer durch den Raum der Antrag der CDU Drucksache 16/10794 damit abgelehnt.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/10886. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Das sind die Piraten und die CDU-Fraktion. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/10886 abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 7 und rufe auf:

8   Mammographie für alle Altersschichten: Prävention stärken, Altersdiskriminierung verhindern

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/8460

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/10810

Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10906

Der Antrag der FDP-Fraktion wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b) unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales überwiesen mit der Maßgabe, dass Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgen. Beschluss-empfehlung und Bericht liegen vor.

Ich eröffne die Aussprache. Frau Kollegin Jansen von der SPD-Fraktion hat jetzt das Wort.

Daniela Jansen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer einmal einen geliebten Menschen durch Brustkrebs verloren hat, der weiß, wie wichtig das Thema „Früherkennung“ ist. Derzeit erkrankt eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Im Jahr 2014 sind in NRW mehr als 18.000 Frauen an Brustkrebs erkrankt, 4.233 Frauen daran verstorben. Deswegen ist das Thema des FDP-Antrags sehr wichtig.

Die Anhörung, die wir dazu durchgeführt haben, hat aber ein durchaus zwiespältiges Bild ergeben; denn die Mammografie ist nicht unumstritten.

Eine der Expertinnen, Prof. Mühlhauser, sagte, dass einzelne Frauen sicherlich durch das Screening gerettet werden könnten, aber es bestehe durchaus auch die Gefahr von Überdiagnosen.

Prof. Heindel sagte, dass die festgestellten fortgeschrittenen Tumorstadien zurückgingen. Das heißt, wenn eine Frau im Laufe ihres Lebens an einigen Untersuchungen teilgenommen hat, dann besteht natürlich die Chance, dass ein Tumor schneller entdeckt wird, insofern noch nicht so groß geworden ist und auch schneller behandelt werden kann.

Prof. Ertan betonte, dass das Screening-Programm erfolgreich sei, aber sicherlich nicht die beste Methode und durchaus Schwächen aufweise.

Dennoch betonen beide letztgenannten Experten, dass es aktuell keine bessere Methodik gebe.

Das Problem ist, dass die Erfassung der Effekte des Screenings für die Bevölkerung sehr lange dauert. Diese Ergebnisse sollen jedoch bald vorliegen.

Dem Antrag der FDP jedoch können wir selbst bei Korrektur durch den Änderungsantrag, der uns auch vorliegt, nicht zustimmen. Ich sage Ihnen ganz detailliert, warum nicht.

Punkt 1: Es ist sicherlich ganz sinnvoll, die Teilnahmequote zu steigern. Es gibt aber hierzu eine sehr interessante Untersuchung der Gesundheitsexpertinnen Verena Vogt und Leonie Sundmacher. In Regionen mit mindestens einem Mammografie-Zentrum ist die Teilnahmequote vielleicht höher, aber es zeigt sich auch: Je höher das Haushaltseinkommen einer Frau und je höher der Bildungsstand, desto geringer ist die Teilnahmequote.

Das bedeutet also auf der anderen Seite, dass sich Frauen sehr genau über Vorteile und Nachteile dieser Untersuchung ihr Bild machen und dann eine sehr sorgfältige Entscheidung treffen, die häufiger dazu führt, an einem Mammografie-Screening nicht teilzunehmen. Dieses Ergebnis würde der Forderung, die Werbemaßnahmen zu steigern, widersprechen.

Punkt 2: Anhebung der Altersgrenze von Mammografie über 69 Jahre hinaus. In Fällen, in denen bei Frauen bereits vorher mehrere Risikofaktoren für Brustkrebs festgestellt worden sind, können die Untersuchungen auch jetzt schon durch die Krankenkassen übernommen werden. Das ist ein Punkt, den Sie, liebe Frau Schneider, im Antrag selbst so beschrieben haben.

Punkt 3: Werbemaßnahmen für individuelle Tastuntersuchungen. Das – muss ich ehrlich gestehen – steht für mich in nur schwer erkennbarem Zusammenhang mit diesem Antrag.

Deswegen muss ich insgesamt sagen: Wir danken sehr für das Befassen mit dem Thema, auch für die sehr interessante Expertenanhörung, die wir durchgeführt haben, aber dem Antrag können wir leider nicht zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Jansen. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Birkhahn.

Astrid Birkhahn (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Meine Herren, meine Damen! Die Krebserkrankung ist eine Geisel unserer Zivilisationsgesellschaft und nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache. Jeder vierte Todesfall in unserer Gesellschaft ist auf eine Krebserkrankung zurückzuführen.

Bei Frauen ist Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung. Wir haben ungefähr 75.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Gewiss – Frau Jansen hat gerade darauf hingewiesen – gibt es Risikofaktoren, die aus der Lebensweise kommen, es gibt aber auch genetische Dispositionen.

Insgesamt muss man aber sagen: Gesellschaftlich gesehen haben wir eine hohe Betroffenenquote. Angesichts der Anzahl an Krebserkrankungen ist Brustkrebs auch eine häufige Todesursache. Daher ist das Thema des Antrags der FDP ganz wesentlich. Es ist wichtig, genau darauf zu achten.

Es gibt Fortschritte in der Forschung, bei der Früherkennung und bei der Therapie. Diese Fortschritte erhöhen die Überlebenschancen. Das muss man ganz deutlich sehen. Es geht nicht um Vorsorge und Schutz, sondern wirklich darum, dass man früh erkennt, damit man dann auch entsprechend früh handeln kann.

Das Mammografie-Screening-Programm ist eine Maßnahme der Früherkennung. Das macht deutlich, dass man so früh wie möglich flächendeckend und bei hoher Qualität, weil es wirklich von Experten und Expertinnen durchgeführt wird, Früherkennungsmaßnahmen durchführen kann. Die Grundlage, auf der das Programm gestartet wird, ist die Krebsfrüherkennungs-Richtlinie.

Jetzt kommen die Kosten ins Spiel. Die Krankenversicherung sagt: Wir übernehmen alle zwei Jahre die Kosten für eine Untersuchung, aber wir beschränken den Personenkreis auf 50- bis 69-Jährige. – Das ist eine Setzung, die sicher auch etwas mit finanziellen Erwägungen zu tun hat. Ich sage ganz deutlich: Angesichts einer älter werdenden Bevölkerung ist es völlig unverständlich, diese Grenze einzuziehen.

Denn wir müssen Folgendes wissen: Zwar treten 50 % der Tumore in den Lebensjahren 50 bis 69 auf. Im Umkehrschluss bedeutet das aber, dass die anderen 50 % nach dem 69. Lebensjahr auftreten. Da frage ich mich wirklich, mit welchem Recht man sagt: Hier spielen die Früherkennung und eine möglichst schonende Therapie, die sich daraus ergibt, keine Rolle mehr.

Diese Zeit ohne kostenlose Untersuchungen für alle, die zu diesem Personenkreis gehören, bedeutet für mich eine Gefährdung, der ich nicht zustimmen kann. Da sehe ich auch wirklich eine Altersdiskriminierung.

Wir bleiben dabei: Früherkennung kann Leben retten. Statistisch kann man sagen, dass man 16,5 Jahre durch Früherkennung und frühzeitige schonende Behandlung gewinnen kann.

Daher plädieren wir wie auch die FDP dafür, dass die Angebote für Vorsorgeuntersuchungen beibehalten werden müssen. Wir sind gegen Beschränkungen und finden den Antrag insofern richtig, als dass man diese Begrenzung für die Untersuchung in der Tat aufheben sollte.

Dem Änderungsantrag der FDP stimmen wir genauso zu wie dem Antrag, den wir im Ausschuss schon behandelt haben. Daher werden wir diesem Antrag unsere Stimme geben.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Birkhahn. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anhörung hat ein durchaus differenziertes Bild dieser wichtigen Thematik gezeichnet. Es gilt individuell, aber vor allem auch politisch, das Für und Wider der Mammografie-Screenings genau abzuwägen.

Selbstverständlich gibt es auf der Pro-Seite einige Faktoren, die wir auch überhaupt nicht negieren. Da waren wir uns in der Anhörung auch so weit einig. Natürlich geht es hier um die möglicherweise frühere Erkennung und damit bessere und schonendere Behandlung von Tumoren. Das heißt, dass Chemotherapien häufiger verhindert werden können bzw. weniger häufig notwendig werden und dass die Brust bei Operationen häufiger erhalten werden kann. Ziel der Früherkennung ist natürlich auch, die Mortalität zu senken und Brustkrebs besser behandelbar zu machen.

Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass es auch gilt, die Kontra-Seite in den Blick zu nehmen. Verdächtige Befunde können Frauen massiv beunruhigen und verunsichern. Diese Belastungen darf man an dieser Stelle auch nicht außer Acht lassen; denn durch diese Mammografie-Screenings kommt – das ist in der Anhörung von allen Expertinnen und Experten betont worden – keine geringe Anzahl an sogenannten falsch positiven Befunden zustande, die dann erst durch eine weitere Gewebeentnahme abgeklärt werden können.

Der AKF, der Arbeitskreis Frauengesundheit, hat durch seine Expertin noch einmal darauf hingewiesen, dass Frauen auch durchaus überdiagnostiziert und sogar krank gemacht werden, indem bei ihnen Tumore behandelt werden, die ihnen im Laufe ihres Lebens niemals gesundheitliche Probleme verursacht hätten.

Außerdem können Mammografie-Screenings – darauf möchte ich auch noch hinweisen – die regelmäßige Abtastuntersuchung, also das Untersuchen der eigenen Brust, nicht ersetzen. Frauen sollten mit jeder Veränderung, die sie an ihrer Brust bemerken, zu ihrem Arzt oder zu ihrer Ärztin gehen. Neben den Mammografie-Screenings ist es mir wichtig, genau darauf immer wieder hinzuweisen und Frauen in die Lage zu versetzen, an dieser Stelle auch selber auf sich aufzupassen.

Die Wirksamkeit der Screenings kann nur durch eine Evaluation wirklich beurteilt werden. Das können wir im politischen Raum nicht so herausarbeiten. Diese Evaluation wird derzeit erarbeitet. Sie braucht aber auch einen bestimmten Zeitraum; denn erst nach einem Zeitraum von zehn Jahren können wir ernsthaft absehen, ob die Mortalität tatsächlich gesenkt werden konnte und ob erfolgreichere und schonendere Behandlungen durch die Screenings befördert werden konnten. Warten wir doch zunächst einmal diese Evaluation ab, die im Moment erfolgt und die, wenn ich richtig informiert bin, überhaupt erst im Jahre 2022 abgeschlossen sein wird.

Zentral ist aus meiner Sicht die Information der Frauen; denn wichtig ist doch, dass die Frauen in die Lage versetzt werden müssen, eine informierte Entscheidung darüber zu treffen, ob sie an diesen Screenings teilnehmen wollen oder auch nicht. Für diese informierte Entscheidung sollten sie auch wissen, welche weiteren Vorsorgemaßnahmen und welche weiteren frühdiagnostischen Maßnahmen es gibt. Außerdem ist es wichtig – ich habe es gerade schon erwähnt –, sie darauf hinzuweisen, die eigene Tastuntersuchung konsequent durchzuführen.

Die überarbeiteten Einladungsschreiben, die ab diesem Jahr versandt werden, und die ihnen beigefügten Merkblätter werden diesem Anspruch schon sehr viel besser gerecht. Das ist ja auch Gegenstand der Anhörung gewesen.

Jetzt komme ich dazu, warum wir diesem Antrag im Endeffekt nicht zustimmen können. Dem differenzierten Austausch, den wir sowohl in der Anhörung als auch in der Auswertung hatten, wird der Antrag der FDP nämlich nach wie vor nicht gerecht. Wenn die einzige Erkenntnis, die aufseiten der FDP nach dieser Anhörung bleibt, ist, dass es sich bei den Mammografie-Screenings nicht um ein Mittel der Prävention, sondern um ein Mittel der Früherkennung handelt, ist das zwar immerhin erfreulich; denn Sie haben sich korrigiert und haben die offensichtlich falsche Annahme, die schon Bestandteil Ihrer Überschrift war, berichtigt. Einzig und allein die Überschrift zu ändern, ist uns aber doch zu undifferenziert. Dementsprechend können wir diesem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben gerade vonseiten der Grünen wieder viele ideologisch motivierte Bedenken gegenüber der Mammografie gehört. Aus Sicht der FDP sollten wir uns aber viel mehr an den Fakten orientieren und an dem, was zum Wohl der Patientinnen sinnvoll ist.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Sie haben bei der Anhörung nicht zugehört! Gar nicht!)

Brustkrebs ist ein Thema, mit dem sich jede Frau auseinandersetzen sollte. Jedes Jahr erkranken in Deutschland über 70.000 Frauen daran. Mit 17.500 Sterbefällen im Jahr ist Brustkrebs eine der häufigsten Todesursachen bei Frauen in Deutschland. Darüber hinaus handelt es sich um die mit Abstand am häufigsten vorkommende Krebsart bei Frauen – noch deutlich vor Lungen- und Darmkrebs.

Trotz gestiegener Neuerkrankungszahlen sterben heute aber weniger Frauen an Brustkrebs als noch vor zehn Jahren.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schneider, entschuldigen Sie, dass ich Sie so schnell unterbreche. Frau Kollegin Kopp-Herr würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Susanne Schneider (FDP): Ja.

Regina Kopp-Herr (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Frau Schneider, dass Sie die Frage zulassen. Es geht auch ganz schnell. Halten Sie die von Frau Paul mehrmals erwähnte und beschriebene Selbstuntersuchung der weiblichen Brust für eine grüne ideologische Maßnahme?

Susanne Schneider (FDP): Liebe Frau Kopp-Herr, die Selbstuntersuchung der Brust stellt die FDP überhaupt nicht infrage. Darüber informieren wir. Schließlich sagt Ihnen jeder Frauenarzt, dass das regelmäßig erfolgen sollte.

Auch dem, was Frau Paul hinsichtlich der Selbstbestimmung der Frauen gesagt hat, widerspreche ich nicht. Wir haben nirgends geschrieben, die Frauen müssten sich mammografieren lassen. Wir möchten, dass die Frauen dieses Angebot bekommen und nicht gezwungen werden, zu ihrem Arzt zu gehen, der dann einen unklaren Tastbefund diagnostiziert, was dazu führt, dass die Frauen sowieso eine Mammografie bekommen. Das ist unsäglich. Das ist auch der Frauen nicht würdig.

(Beifall von der FDP)

Ich erwähnte gerade, dass die Zahl der Todesfälle zurückgeht. Fortschritte bei Früherkennung und Therapie haben die Überlebenschancen deutlich verbessert. Das Mammografie-Screening-Programm trägt seinen Teil dazu bei; denn es gilt: Je früher Brustkrebs behandelt wird, desto besser und vor allem desto schonender für die Patientin lässt er sich behandeln.

Ich kann die anfängliche Skepsis gegenüber dem Screening Programm durchaus nachvollziehen, bei der es darum ging, ob es bei einer Reihenuntersuchung nicht zu viele falsch positive Verdachtsfälle gäbe, die die Frauen verunsichern. Aber, liebe Damen, seien wir doch einmal ehrlich: Was ist uns denn lieber, ein übersehener positiver Befund oder ein falsch-positiver Befund, bei dem wir ein paar Tage später hören, dass doch nichts war? – Das dürfen Sie selber entscheiden.

Es sollte doch klar im Vordergrund stehen, dass Frauen durch rechtzeitig erkannte Tumore deutlich bessere Überlebenschancen haben. Ihre Brust kann öfter erhalten werden. Sie werden auch weniger durch Chemotherapie belastet.

In der Anhörung haben sich die Experten dazu eindeutig geäußert. Ich möchte nur Prof. Dr. Heindel zitieren, der die ersten Studienergebnisse von Auswertungen des Screeningprogramms vorgestellt hat. Er sagt:

„Das heißt, wenn eine Frau erkrankt und sie wiederholt am Screening teilgenommen hat, dann ist ihre Chance, dass der Tumor, der gefunden wird, ein günstigeres Stadium hat, signifikant besser, als wenn sie nicht teilgenommen hätte.“

Das ist die entscheidende Aussage: weniger fortgeschrittene, metastasierende Tumorstadien und damit bessere Heilungschancen durch das Mammografie-Screening.

(Beifall von der FDP)

Ein Teil der Landesregierung scheint das auch so zu sehen. So gratulierte erst im November letzten Jahres die SPD-Wissenschaftsministerin Schulze dem Referenzzentrum Mammographie Münster für zehn Jahre Mammografie-Screening in NRW und betonte dabei die Relevanz der wissenschaftlichen Begleitung und den belegten Nutzen für die Teilnehmerinnen. Dabei hat sie auch dazu aufgerufen, noch mehr Frauen vom Mammografie-Screening zu überzeugen.

Diese Position teilen wir. Das Mammografie-Screening ist die wissenschaftlich am besten evaluierte Methode zur Früherkennung. Wir wollen in Nordrhein-Westfalen für das Screening-Programm eine Teilnahmequote von 70 %. Wir wollen aber auch die individuelle Vorsorge fördern, zum Beispiel die Vorsorgetastuntersuchung, selbst oder durch den Frauenarzt vorgenommen. Die gewonnene Lebensqualität der betroffenen Frauen ist alle Anstrengungen wert.

Wir wollen aber auch ältere Frauen nicht länger vom Screening ausschließen. Mithilfe einer Aufhebung der Altersgrenze wollen wir auch Frauen über 69 Jahren die Teilnahme ermöglichen. Das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, ist für Frauen ab 70 Jahren signifikant höher als für Frauen im Alter von 50 Jahren. In der Anhörung haben sich die Professoren Heindel und Ertan beide dafür ausgesprochen, die Altersgrenze auf mindestens 74 Jahre anzuheben.

Unser Lebensbild geht davon aus, dass Frauen auch mit über 70 Jahren ihr Leben selbstbewusst gestalten und Einschränkungen ihrer Lebensqualität durch Krankheit oder gar einen frühzeitigen Tod aufgrund eines zu spät erkannten Tumors vermeiden wollen.

Sie aber verweigern sich diesen Frauen. Gegen die Mehrheitsmeinung der Experten und gegen die Position der Wissenschaftsministerin haben sich in der Koalition die innovationsfeindlichen Grünen durchgesetzt, wenn Sie unseren Antrag ablehnen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP – Lachen von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt Herr Kollege Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schneider, es ist schon erstaunlich, dass Sie sich hier vorne hinstellen, den Grünen irgendetwas von ideologischen Verbohrtheiten vorwerfen und dann eine Rede abliefern, die an ideologischer Verbohrtheit wirklich kaum mehr zu überbieten ist. Schade!

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Ich kann mich relativ kurz fassen. Frau Kollegin Paul hat vorhin in der Tat schon das Wesentliche zu diesem Thema gesagt. Sie, liebe FDP-Fraktion, haben, wie Frau Paul eben erwähnt hat, aus der Anhörung offenbar etwas gelernt, nämlich, dass das Mammografie-Screening keine Prävention, sondern Früherkennung ist. Ein Lob dafür!

Schade ist allerdings wirklich, dass die anderen wesentlichen Erkenntnisse aus der Anhörung nicht in den Antrag eingeflossen sind. An dieser Stelle möchte ich auch kurz erläutern, warum wir Ihren Antrag ablehnen werden.

Sie sprechen bei Ihren Forderungspunkten von Werbemaßnahmen, die durchgeführt werden sollten. In der Anhörung ist einhellig festgestellt worden, dass Werbemaßnahmen, also irgendwelche Flyer, Poster etc. pp., uns an dieser Stelle in keiner Form irgendein Stück weiterbringen. Aufklärung ist gefragt. Dafür müssen gegebenenfalls die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden.

Was die Altersgrenze angeht, ist eben auch schon gesagt worden, dass noch nicht ausreichend evidenzbasierte Erkenntnisse vorliegen, ob der Nutzen einer Erweiterung der Altersgruppe den möglichen Schaden – Überdiagnostik etc. – wirklich übersteigt.

Frau Paul hat eben erwähnt, dass es bei den Frauen zu psychischen Problemen kommen kann, wenn falsch positive Diagnosen gestellt werden. Auch das war in unserer Anhörung ein sehr umstrittener Punkt. Jedenfalls gab es keine deutliche Stellungnahme dahin gehend, dass die Altersgruppe auf jeden Fall zu erweitern ist. Das heißt: Nach heutigem Stand ist das nicht das, was wir hier als Politik umsetzen sollten. – Das sind die beiden wesentlichen Punkte.

Der Punkt 3 – ich weiß nicht, wer es vorhin gesagt hat – passt gar nicht richtig in den Gesamtantrag. Das ist aber egal. Die beiden anderen Forderungspunkte machen den Antrag eben so schlecht.

Der Änderungsantrag, mit dem Prävention richtigerweise zu Früherkennung gemacht wird, hilft an dieser Stelle leider nicht. Wir können den Änderungsantrag und infolgedessen auch den eigentlichen Antrag nur ablehnen.

Frau Kollegin Schneider, nichtsdestotrotz bedanke ich mich für die Antragstellung an sich; denn das Thema ist aktuell. Es ist wichtig, dass wir im Ausschuss darüber diskutiert haben. Wir haben hier eine sehr interessante Anhörung verfolgen können. Insofern herzlichen Dank! Leider geht die Zielsetzung des Antrags in die falsche Richtung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 2004 existiert das Mammografie-Screening-Programm in Deutschland als derzeit einziges Früherkennungsprogramm mit organisiertem Einladungssystem und Einladungswesen. Es ist Bestandteil der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früherkennung von Krebserkrankungen, der sogenannten Krebsfrüherkennungs-Richtlinie. Es wird in dieser Form bundesweit recht einheitlich durchgeführt.

Die Altersspanne von 50 Jahren bis 69 Jahren – in diesem Alter erhalten Frauen eine Einladung zum Screening – ist in dieser Richtlinie normativ festgelegt. Das heißt: Die Altersspanne ist nicht für jedes Bundesland und für jeden flexibel wählbar.

Diese Altersspanne wurde nicht ohne Grund gewählt; denn die wissenschaftlichen Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Brustkrebserkrankungen zu 75 % und nicht zu 50 % bei Frauen dieses Alters auftreten. Dementsprechend ist die wissenschaftliche Bewertung über den konkreten Nutzen des Mammografie-Screenings angesichts aktueller Studien aus anderen Ländern durchaus auch umstritten. Eine abschließende Bewertung dazu obliegt aber wiederum dem Gemeinsamen Bundesausschuss auf Bundesebene. Bis dahin ist der aktuell gültige Rechtsrahmen weiter zu beachten.

Eine wissenschaftliche Evaluierung des bundesweiten Mammografie-Screening-Programms ist begonnen worden und befindet sich zurzeit in der Phase der Machbarkeitsstudie. Damit ist offensichtlich, dass der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion auch in seiner nachgebesserten Fassung untauglich ist und deshalb abzulehnen ist.

Unabhängig von der Festsetzung der Altersgrenze gibt es aber sehr wohl eine Debatte über die Vor- und Nachteile des Mammografie-Screenings. Bei jeder Frau fällt die persönliche Bilanz aus Vor- und Nachteilen sehr unterschiedlich aus. Deswegen ist es wichtig, dass wir eine umfassende Information für die Frauen haben, und zwar eine Information, auf deren Grundlage sie eine solche Entscheidung für sich treffen können. Bei Frauen mit besonders vielen Risikofaktoren werden die Vorteile in vielen Fällen offensichtlich sehr viel deutlicher als bei Frauen, die nur geringe Risikofaktoren haben.

Was einige Vorredner schon gesagt haben, möchte auch ich noch einmal betonen. Für die Teilnahme am Screening sprechen in der Tat einige Faktoren. So kann eine frühere Erkennung von Brustkrebs dazu führen, dass Teilnehmerinnen vor dem Tod bewahrt werden. Das ist ein nicht unbeträchtlicher Wert – nicht nur für diese Frauen, sondern auch für das Programm. Außerdem sind bei früherer Erkennung von Brustkrebs oft sehr viel schonendere Behandlungsmethoden möglich. So ist eine Chemotherapie seltener nötig und bei Operationen kann die Brust oft erhalten werden.

Trotzdem kann man nicht allein, weil wir hier eine positive Bewertung für einen Teil haben, sagen, das gesamte Programm sei positiv; denn es gibt auch eine Reihe von Aspekten, die gegen eine Teilnahme am Screening sprechen. Ich möchte die beiden Bereiche und die beiden Zielgruppen auch gar nicht gegeneinander ausspielen.

Einen verdächtigen Befund zu haben, kann für Frauen zu massiven Beunruhigungen und zu Angst führen und komplette Familien auf den Kopf stellen, auch wenn die Verdachtsfälle dann unbegründet sind, weil sich der erste Verdacht aufgrund einer Gewebeentnahme irgendwann als unbegründet herausstellt. Diese Situation stellt für eine Frau auch eine massive Belastung dar, wie eben schon gesagt wurde. Das sind die „falsch-positiven“ Befunde.

Wir haben aber nicht nur diese. Untersuchungen und Studien zeigen nämlich, dass wir auch Diagnosen haben, die zu Behandlungen von Tumoren führen, die so langsam wachsen, dass sie bei der Frau in der noch verbleibenden Lebenszeit überhaupt nicht zu einem Problem führen können. Die dann durchgeführte Therapie führt bei diesen Frauen aber zu einer sehr großen Verschlechterung der Lebenssituation. Auch diese Situationen von Frauen kann man nicht außen vor lassen.

Manchmal wird beim Screening auch ein Tumor in einem bereits unheilbaren Stadium entdeckt. Das führt dazu, dass betroffene Frauen mit dieser Diagnose und mit diesem Wissen mit ganz anderen Problemen durchs Leben gehen. Diese Frauen wollten das vielleicht lieber gar nicht wissen.

Außerdem gibt es Tumore, die bei der Mammografie überhaupt nicht erkannt werden. Dabei handelt es sich um rasch wachsende Tumore, die zwischen den Screeningintervallen entstehen. Das sind die sogenannten Intervallkarzinome, die oft dadurch, dass man sich in der Sicherheit wiegt, am Screening teilgenommen zu haben, nicht mehr durch ein Tasten erkannt werden.

Auch diese Probleme gibt es also. Wer diese Probleme einfach ausblendet und sie als Ideologie abtut, wird der Situation und der Diskussionsnotwendigkeit, die man rund um das Mammografie-Screening hat, überhaupt nicht gerecht.

Belastbare Zahlen der gesamten Untersuchung und der Evaluierung werden 2022 zu erwarten sein.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Spätestens dann werden wir uns auch hier mit diesem Thema wieder intensiv beschäftigen müssen. Bis dahin gilt: Zwar hat diese Diskussion noch einmal viel an Information über das Screening hervorgebracht. Eine Handlungsnotwendigkeit gibt es hier dafür aber nicht. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion erhält nun noch einmal Frau Kollegin Jansen das Wort.

Daniela Jansen (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da wir heute über die Beschlussempfehlung des Ausschusses abstimmen und ansonsten keine Gelegenheit mehr haben, zu diesem Thema etwas zu sagen, würde ich gerne noch dem Vorwurf von Frau Schneider begegnen, dass wir uns als Fraktionen der SPD und der Grünen den Frauen verweigerten, die älter als 69 Jahre sind. Das ist definitiv nicht so.

Wenn Sie sagen, dass zwei Drittel der Experten Ihrer Meinung waren, dann muss man auch sagen: Es waren auch nur drei Experten da.

(Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)

Das heißt: Zwei von drei Experten vertreten die Meinung, dass das Screening ausgeweitet werden sollte.

(Zuruf von der FDP)

Es ist ganz genau so, wie die Frau Ministerin gerade gesagt hat: Die Wahrscheinlichkeit, daran zu versterben, nimmt mit zunehmendem Alter ab. Ich darf hier einmal die Expertin zitieren, die nicht Ihrer Meinung war:

„Von 100 Frauen, die heute in Deutschland sterben, sterben etwa drei an Brustkrebs und 20 an einer anderen Krebserkrankung. …“

Zwischen dem 70. Lebensjahr und dem 79. Lebensjahr versterben etwa 18 von je 100 Frauen, davon eine an Brustkrebs. Insofern sollte man meines Erachtens, was die Zahlen betrifft, die Kirche im Dorf lassen.

Diesen Vorwurf, dass wir uns den Frauen verweigerten, möchte ich aber keinesfalls so stehen lassen. – Danke.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Jansen.

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 8.

Wir kommen erstens zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/10906. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der FDP und die Fraktion der CDU. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktion der SPD, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der Piraten. Gibt es Enthaltungen im Hohen Haus? – Keine. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/10906 der Fraktion der FDP mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/8460. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 16/10810, den Antrag abzulehnen. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die FDP-Fraktion und die CDU-Fraktion. – Wer stimmt dagegen? – Das sind die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/8460 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.

Ich rufe auf:

9   Gesetz zur Änderung des WDR-Gesetzes und des Landesmediengesetzes Nordrhein-West-falen (15. Rundfunkänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9727

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 16/10811

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10882

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10883

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10905

Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10908

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10909

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 9. Herr Kollege Vogt von der SPD-Fraktion hat jetzt das Wort.

Alexander Vogt (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der WDR ist wichtig für unser Land und unsere Medienlandschaft. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Westdeutschen Rundfunks leisten seit Jahrzehnten einen hervorragenden Beitrag für die publizistische Vielfalt. Wir wollen den Sender für eine immer digitaler werdende Zukunft richtig aufstellen und seine Akzeptanz stärken. Gleichzeitig wollen wir die Medienvielfalt in NRW sichern. Hierzu beraten wir das neue WDR-Gesetz.

Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der deutlich zeigt: Der WDR wird transparenter, und die Beteiligung der Gremien wird gestärkt. Das abzustimmende Gesetz beinhaltet eine Reihe von Weiterentwicklungen, die durch eine Onlinekonsultation benannt wurden und in vielen Diskussionen, Gesprächen und Anhörungen erarbeitet wurden. Auch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum ZDF-Staatsvertrag wurden berücksichtigt.

Wenn wir in die verschiedenen Bundesländer schauen, können wir ganz selbstbewusst sagen: Das, was hier vorliegt, ist das modernste Mediengesetz in Deutschland. Der WDR wird gestärkt. Er erhält auch im Telemedienbereich, also im Internet, einen klaren Auftrag. Dies sichert die Zukunft im digitalen Zeitalter. Auch Kooperationen mit privaten Dritten und anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden in diesem Gesetz geregelt.

Meine Damen und Herren, wichtige Gremien des WDR sind der Rundfunkrat und der Verwaltungsrat. Unsere Gesellschaft verändert sich aber zunehmend schneller. Das erlebt jeder von uns. Um dieser Veränderung gerecht zu werden, sieht das neue Gesetz vor, dass neue Gruppen in den Rundfunkrat aufgenommen und zusätzliche Organisationen und auch Einzelpersonen benannt werden können.

Jetzt gibt es Kritik im Ausschuss seitens der Opposition, der neue Rundfunkrat sei zu groß. Da möchte ich daran erinnern, dass FDP und CDU auch in ihrer Regierungszeit Änderungen am Rundfunkrat und seiner Besetzung vorgenommen haben. Sie haben, wie man sieht, wenn man genau hinschaut, natürlich auch eine Vergrößerung vorgenommen. Auch in Anhörungen mit Experten wurde klar, dass diese Größe ähnlich wie beim ZDF-Fernsehrat durchaus gut arbeitsfähig ist.

Wir haben gleichzeitig mit diesem Gesetzentwurf die Staatsferne ausgebaut. Bisher waren 31 % der Mitglieder staatsnah. Ihr Anteil sinkt auf 22 %. Die Kulturbank wurde gestärkt, und dem wichtigen Thema Europa wird auch eine Stimme im Rundfunkrat verliehen.

Der Rundfunkrat tagt öffentlich. Es kommt zu mehr Transparenz und mehr Information. Beschlüsse müssen veröffentlicht werden – nach unserem Willen auch maschinenlesbar im Sinne von Open Data.

Der Verwaltungsrat wird professionalisiert und soll eine stärkere Rolle bei der Kontrolle des 1,4 Milliarden € großen Etats des WDR haben. Wir haben also eine Stärkung von Rundfunk und Verwaltungsrat.

Eine Änderung des Gesetzes wird derzeit auch medial sehr groß diskutiert. Es geht um die Regelung, in welchem Umfang der WDR Werbung in seinen Hörfunkprogrammen senden darf. Neben der grundsätzlichen Frage der Akzeptanz müssen wir hierbei auch die Hörfunklandschaft in NRW in den Blick nehmen.

Wir haben in NRW eine Radiolandschaft, die wir in keinem anderen Bundesland vorfinden. Wir haben bei uns die sechs Wellen des WDR, die landesweit berichten und senden, und die 45 Lokalradios, die jeweils beschränkt auf ein bestimmtes Gebiet ausstrahlen. Wir wollen diese Vielfalt, die es nur hier gibt, aufrechterhalten. Alle im Landtag vertretenen Parteien haben sich dazu positioniert, dass sie grundsätzlich für eine Reduzierung von Werbung sind.

Wenn wir uns die Vorschläge genau angucken, sehen wir, dass FDP und Piraten eine Komplettabschaffung von Werbung fordern. Eine Komplettabschaffung ist aus unserer Sicht und auch aus Sicht von allen Experten nicht sinnvoll, weil dann der Werbedruck insgesamt für nationale Kampagnen zu gering ist.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Deswegen würde eine Komplettabschaffung der Werbung hier insgesamt das Radiosystem in Nordrhein-Westfalen und auch die Lokalradios gefährden.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Schauen wir uns dann einmal an, was die CDU bisher gefordert hat. Es war doch so, dass von der CDU immer eine Reduzierung oder eine Abschaffung von Werbung gefordert wurde – bis zur letzten Woche. Dann kam Herr Laschet, der sich wahrscheinlich einen vermeintlichen Vorteil davon verspricht.

Jetzt ist die Situation so, dass die beiden medienpolitischen Sprecher, Herr Sternberg und Herr Schick, …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Alexander Vogt (SPD): … einen Brief an die Verantwortlichen bei den Lokalradios geschrieben haben, in dem steht, dass jetzt keine Reduzierung von Werbung stattfinden soll, aber im Regierungsprogramm 2017. Nach der Regierungsübernahme soll es im WDR eine Abschaffung von Werbung geben. Das haben Sie in der letzten Woche so geschrieben. Von daher …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Alexander Vogt (SPD): … sind sich die Parteien hier im Landtag grundsätzlich einig, dass es im Sinne von Medienvielfalt in unserem Land eine Reduzierung von Werbung geben soll.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Vogt.

Alexander Vogt (SPD): Es gibt also unterschiedliche Ansichten zu der Ausgestaltung. Wir sind davon überzeugt, dass es mit dem von uns vorgelegten Vorschlag eine maßvolle Reduzierung gibt, die zeitlich gestreckt ist.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Vogt.

Alexander Vogt (SPD): Dabei haben wir auf der einen Seite die WDR-Mitarbeiterinnen und ?Mitar-beiter im Blick und auf der anderen Seite die lokale Radiolandschaft in diesem Land.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt.

Alexander Vogt (SPD): Damit komme ich zum Ende.

(Heiterkeit)

Wir werben für eine Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Ich will das erklären. Die Redezeit wurde um eine Minute und 20 Sekunden überschritten. Das ist bei fünf Minuten schon erheblich. Diese Zeit bekommen natürlich auch die folgenden Rednerinnen und Redner dazu. – Herr Kollege Prof. Dr. Dr. Sternberg hat für die CDU-Fraktion das Wort.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Kollege Alexander Vogt, herzlichen Dank für die Zeiterweiterung. – Ich beginne aber ein klein wenig anders. Lassen wir das Wortgeklingel, was dieses Gesetz alles sein soll, einmal dahingestellt sein. Denn das ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts betrifft den WDR kaum. Es gibt nämlich auch mit dem gegenwärtig geltenden Gesetz und mit dem Rundfunkrat kaum Probleme einer zu großen Staatsnähe. Mit Staatsnähe ist wohl vor allen Dingen die politische Einflussnahme auf Aufsichtsgremien des WDR gemeint.

Aber Einfluss, meine Damen und Herren, kann man nicht allein über die von den Landtagsfraktionen Gewählten nehmen. Einfluss kann man auch über die politische Ausrichtung der Verbandsvertreter nehmen. Wir erleben hier ein Stück Medienpolitik als Macht- und Personalpolitik.

(Beifall von der CDU)

Unvergessen ist die 28-seitige Tischvorlage mit der Absetzung des LfM-Direktors Brautmeier.

Was geschieht hier? – Der Rundfunkrat wird vergrößert. Wir haben uns von Anfang an gegen diese Aufblähung klar ausgesprochen. Die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen legen da noch zwei drauf und erhöhen die Zahl der Mitglieder von jetzt 47 auf 60, also mehr als ein Viertel mehr. Dass das allein mehr als 1.000 € Vergütung für die Mitglieder und 500 € für die jeweiligen Stellvertreter kostet zuzüglich aller sonstigen Kosten wie Fahrt- und Übernachtungskosten, ist offenbar völlig egal. Es geht ja schließlich darum, den Rundfunkrat irgendwie politisch auf die Linie zu kriegen.

Da werden nicht sachgerechte Zusammenfassungen in einem fraglos richtigen Fall aufgelöst: Bühnenangehörige und Filmbüro haben nicht wahnsinnig viel miteinander zu tun. Aber die freien Berufe – Anwälte, Architekten, Ärzte, Ingenieure, Apotheker – mit immerhin 274.000 Betrieben und 730.500 Beschäftigten in unserem Land müssen sich künftig einen Sitz teilen. Das haben sie davon, wenn sie zumindest bisher einen CDU-nahen Vertreter im Rundfunkrat hatten. Das ist die Strafe dafür. Künftig haben die nur noch einen halben Sitz.

(Beifall von der CDU)

Ordnungspolitisch wird dabei überhaupt nicht mehr gedacht. Denn eigentlich wäre die Frage: Welche gesellschaftliche Gruppe muss einer Vertretung der Gesellschaft angehören? Wie wird der Querschnitt der Gesellschaft am besten gespiegelt? – All das zählt nicht mehr. Stattdessen machen wir künftig hier im Landtag einen Vergabewettbewerb für alle, die an die Futtertröge des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems wollen: eine große Zahl von Muslimen in Nordrhein-Westfalen – egal, im ZDF?Fern-sehrat hat man das übrigens geschafft –, Vertreter von neuen Medien und deren Organisationen – egal –, weitere Vertreter von Jugendorganisationen, weil das ein großes Problem im WDR ist – egal. Rundfunkratsmitgliedschaft wird zu einem Spiel um Pfründe und zu einem SPD-Personalgeschacher.

(Beifall von der CDU)

Dass die Grünen dieses durchsichtige Spiel mitmachen, wundert mich sehr.

Die Kompetenzen im Verwaltungsrat höher anzusetzen, ist richtig. Bei einem Unternehmen mit 1,4  Milliarden Bilanzsumme braucht man eine fachlich versierte Aufsicht. Aber so wie im Gesetz? Über Formalqualifikationen werden ungeliebte Mitglieder rausgeworfen.

(Inge Howe [SPD]: Was?)

Nach diesen Anforderungen können nicht nur viele Mitglieder dieses Hauses, sondern auch Vorstandsvorsitzende deutscher DAX-Konzerne nicht Mitglied des Rundfunkverwaltungsrates werden.

Aber jetzt zum Thema „Werbung“, das der Hauptstreitpunkt war: Da greift uns der Fraktionsvorsitzende der Grünen gestern in einer Presseerklärung massiv an, wir hätten uns einem Konsens verweigert. Dabei war das ein besonders mieses Spiel. Ich habe das schon im Ausschuss sehr deutlich gesagt. In allen strittigen Punkten zieht man ohne jede Rücksicht und ohne Nachfrage die eigene Position durch. Nur in der einen etwas heiklen Frage soll es die Opposition richten.

(Norbert Römer [SPD]: Die muss gar nichts richten!)

Ob Werbereduzierung Ja oder Werbereduzierung Nein, immer soll es die Opposition gewesen sein. Offenbar sollen wir den Koalitionsfraktionen ein Alibi für fehlenden Gestaltungswillen verschaffen und ihnen helfen, den eigenen Koalitionsvertrag umzusetzen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Aber wenn man ein WDR-Gesetz verabschiedet, muss die zweite Säule unseres Rundfunksystems mit bedacht werden. Die 45 Lokalradios in diesem Land stehen unter einem enormen Kostendruck, der bis an die Grenze des Überlebens reicht. Für diese sind die zunehmend regional ausgerichteten Werbezeiten des WDR ein erhebliches Problem.

Wir stehen für den lokalen Rundfunk wie für den WDR ein. Wir stehen für die Werbefreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein. Dabei folgen wir den grundsätzlichen Bemerkungen von Paul Kirchhof in seinem Gutachten zur Umstellung vom Gebühren- aufs Beitragssystem, nachdem der Bezahlrundfunk sich durch diese Einnahmeart vom werbefinanzierten privaten Rundfunk absetzen soll. Wir haben Konzepte dafür, wie das ohne übermäßige Belastung unseres WDR möglich ist. Aber bitte erwarten Sie nicht von uns, dass wir Ihnen die Kohlen einer nach da oder da unpopulären Maßnahme aus dem Feuer holen!

Und nun das: gestern Nachmittag die Pressemitteilung der Fraktionsvorsitzenden und heute Morgen hier in der Sitzung nach Sitzungseröffnung endlich der Antrag. Wir kennen das schon vom Landesmediengesetz. In letzter Minute kommen die spannendsten Sachen auf den Tisch. So sieht Kooperation nicht gerade aus. Seit gestern sieht man: Geht doch! Sie müssen als Regierungsfraktion liefern und das verantworten, was Sie mit Ihrer Mehrheit beschließen.

Wir werden unsere Position für Werbefreiheit in unser Wahlprogramm für 2017 aufnehmen und werden es nach der Landtagswahl im nächsten Jahr umsetzen.

(Beifall von der CDU)

Sicherlich wird die heutige Regelung nach dem NDR Folgewirkungen für andere Landesmediengesetze haben. Ganz zu lösen ist die Frage nur über einen Rundfunkstaatsvertrag, auf den dann auch das Gremium für die Ermittlung der Finanzzuweisungen, die KEF, reagieren kann.

Meine Damen und Herren, Ihr Antrag hinterlässt neben der Eile der Einbringung auch Fragen. Wie soll die Reduzierung auf welche Wellen des WDR aussehen? Können die Wellen jährlich oder auch noch öfter gewechselt werden?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Entscheidet über die Festlegung der Rundfunkrat? Es bleiben einige Fragen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Aber weil Ihr Antrag durchaus einen gangbaren Weg aufweist, werden wir diesen Antrag nicht ablehnen, sondern uns enthalten.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Meine Damen und Herren, ich schließe: Ich freue mich auf die Abstimmung nachher und auf weitere Beratungen hier. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Sternberg. – Für die Fraktion der Grünen spricht der Abgeordnete Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sternberg, das war natürlich eine Steilvorlage für die, die noch sprechen dürfen, und zwar erstens, weil wir ja etwas mehr Zeit haben, und zweitens, weil Sie gesagt haben, dass Sie nichts davon wussten, was geändert werden soll. Jetzt müssen wir die Karten auf den Tisch legen.

Am 12. Januar – ich meine, um ca. 20:10 Uhr – haben wir alle eine Mail bekommen aus der SPD-Fraktion mit dem Vorschlag dieser Werbereduzierung und der Frage, ob wir uns dazu hier gemeinschaftlich als Fraktionen verhalten. So war das. Dann kann man darüber diskutieren. Das wollten wir auch. Wir hatten vorher eine Aussprache dazu, und zwar in unserem Ausschuss. In der Aussprache haben wir uns darüber auseinandergesetzt, ob das, was wir in der Anhörung gehört haben, unter anderem auch zum Thema „Werbereduzierung“, für uns noch zu einer Veränderung führt oder nicht. Das ist die Debatte, die wir im Grunde seit der Anhörung schon geführt haben, koalitionsintern und spätestens seit der Ausschusssitzung auch mit Ihnen.

Aber wir wissen ja noch mehr. Wir wissen, dass auch vorher schon miteinander geredet wurde. Das sollen auch ruhig alle wissen, weil natürlich Politik nicht so verläuft, wie Sie das hier schematisch darstellen, nach dem Motto: Niemand redet mit einem und dann wird einfach beschlossen. Es wird immer miteinander diskutiert und beraten über Wochen und Monate hinweg.

Das begann beim WDR-Gesetz mit einem Onlinekonsultationsverfahren seitens der Landesregierung. Also: Viel mehr Transparenz geht nicht. Deshalb sollten Sie sich eigentlich dieses Hinterherkaten an einer Stelle, an der Sie nicht glaubwürdig agieren, sparen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich wusste auch nicht, Herr Sternberg, dass die freien Berufe in Nordrhein-Westfalen alle der CDU nahestehen. Das ist mir neu. Ich glaube auch nicht, dass das so ist, sondern ich glaube, dass auch diese Gruppierung wie andere auch die Möglichkeit hat, sich über die sieben noch zu vergebenden Plätze im Rundfunkrat durchaus ihren Platz zu verschaffen. Insofern können wir natürlich schon, weil wir ja das Gremium vergrößert haben, es nicht noch um viele Plätze mehr vergrößern. Sie hätten ja Ihren Vorwurf noch verstärkt, dass wir etwas aufblähen. Also musste irgendwann eine Grenze gezogen werden. Die ist gezogen. Ich finde es gut, dass immerhin noch im Rahmen der Möglichkeiten, die wir jetzt haben, Leuten die Möglichkeit geboten wird, nachzumelden, zu sagen, sie wollen mitmachen, sie wollen mitarbeiten.

Dabei geht es, Herr Sternberg, nicht um Futtertröge der öffentlich-rechtlichen Gremien. Wenn Sie so ein Bild in der Öffentlichkeit erzeugen und dann sagen, Sie stehen für den WDR, dann glaubt Ihnen das auch keiner.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie fordern muslimische Vertreterinnen und Vertreter im Rundfunkrat. Sie wissen aber wie wir, dass es bisher keinen Verband in Nordrhein-Westfalen gibt, der körperschaftsrechtlich anerkannt ist, wie es bei der Evangelischen Kirche, der Katholischen Kirche und bei der Jüdischen Gemeinde der Fall ist. In der Folge konnten wir dieses nicht so regeln, wie Sie es fordern. Das wissen Sie auch. Deshalb ist Ihre Forderung, wie ich finde, umso scheinheiliger, weil es sich eigentlich nicht gehört, etwas zu fordern, was wir aus gut erwogenen rechtlichen Gründen derzeit so nicht umsetzen können. Gibt es einen solchen rechtlich anerkannten Verband, wird das sicher schnell nachzuregeln sein.

Sie sagten, die Opposition solle es richten. Das habe ich überhaupt nicht verstanden. Sie werden gleich sehen, wir beschließen mit Mehrheit das, was wir uns vorgenommen hatten, zu tun. Wir haben lange überlegt, wie wir es am besten machen. Wir sind zu einem Kompromiss gekommen, der den WDR natürlich in die Pflicht nimmt, der aber gleichzeitig die Lokalradios in Nordrhein-Westfalen ein Stück dessen versichert, was wir ihnen in Sonntagsreden immer versprechen, nämlich dass wir auf das duale System in Nordrhein-Westfalen stolz sind, auf diese besondere vielfältige privat und öffentlich-rechtlich organisierte Radiolandschaft in Nordrhein-Westfalen.

Sie müssen nichts richten. Sie können sich wie sonst auch verweigern oder sich enthalten, ganz wie Sie wollen, oder auch zustimmen, wenn Sie das am Ende noch möchten. Aber Sie müssen hier nichts richten. Wir sind gewählt mit einer Mehrheit, die das tut. Wir werden diese Entscheidung – so wie wir es uns miteinander vorgenommen haben – hier gleich treffen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die wohlfeilen Worte, die schon gefallen sind, brauche ich nicht zu wiederholen. Ich finde, wir haben viel erreicht. Wir haben ein modernes Gesetz geschaffen dank einer guten Vorlage der Regierung. Wir haben Veränderungen vorgenommen seitens des Parlaments, ganz so wie es sich gehört. Das Ganze ist in einem langwierigen, offenen und weitestgehend transparenten Verfahren – soweit man das überhaupt machen kann – ermöglicht worden. Es konnten sich alle beteiligen, die Verbände, und in Anhörungen alle, die damit zu tun haben.

Wir haben eine breite Palette von Änderungen vorgenommen, die der Kollege Vogt im Einzelnen in seiner Rede ja schon dargestellt hat. Wir haben Vielfalt gesichert, Transparenz hergestellt und mehr Teilhabe organisiert. Ich glaube, dass der WDR stark und tragfähig in die Zukunft gucken kann.

Wir akzeptieren ganz besonders die Bemühungen des Intendanten Tom Buhrow. Das wird ihm in persönlichen Gesprächen genauso gesagt wie hier öffentlich vom Pult aus. Er bemüht sich nämlich darum, den Westdeutschen Rundfunk zu sanieren. Das ist nicht einfach. Ich weiß, dass das auch mit schmerzhaften Entscheidungen im Hause verbunden ist. Einige von uns hier wissen genau, worüber wir da reden.

Umso wichtiger ist es, dass wir uns gleichwohl unabhängig von all diesen Einflüssen politisch frei für das entscheiden, was wir gleich tun werden. Das machen wir, indem wir das WDR-Gesetz hier mit Mehrheit, vielleicht mit sehr breiter Mehrheit beschließen.

Auf jeden Fall glaube ich, dass es ein gutes Gesetz sein wird. Es wird sich bewähren, und es wird zeigen, dass alles, was jetzt hinterher gerufen wird, am Ende nicht trägt.

Auch das, was jetzt Herr Nückel dazu sagen wird, trägt nicht. Da wir das schon wissen, hören wir ihm geduldig zu und beschließen dann so, wie wir es für richtig halten. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Vogt begann seine Rede mit den Worten: Der WDR ist wichtig für die Vielfalt im Land. – Ich sage: Alle Medien, alle Sender, alle Zeitungen sind wichtig für die Medienvielfalt in unserem Land.

(Beifall von der FDP und der CDU)

SPD und Grüne halten aber zu unserem großen Bedauern an einem eingeschlagenen Weg in der Medienpolitik fest. Das ist der Weg der größeren Einflussnahme. Das WDR-Gesetz ist sicher nicht der große Wurf für das digitale Zeitalter, nicht das, was uns die Redner der Koalition jetzt in ihrer jeweiligen Laudatio versprochen haben. Den WDR machen Sie damit nicht wirklich fit.

Mein Eindruck ist, dass das Motto bei Ihren Aktivitäten, insbesondere beim Thema „Werbung“, eher lautete: Der langsame Wurm überlebt den Vogel.

(Heiterkeit von den PIRATEN – Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

Das stimmt aber nur, wenn der Wurm nicht aus dem Boden schaut.

(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)

Die vorgelegte Novelle ist ein Zeugnis des immer wieder mehr als durchschimmernden Drangs der rot-grünen Koalition, dem Medienbereich die Zügel anzulegen, kurzum: den eigenen Einfluss auszubauen.

Aber wenn mehr politische Einflussnahme auf die Medien und die Durchsetzung eigener Interessen in den Gremien im Vordergrund stehen, gehen wir eine große Gefahr ein, denn dabei werden schwere Schäden für das Rundfunk-, Presse- und Mediensystem bewusst in Kauf genommen.

Wohin das führt, konnte man in diesen Tagen im Südwesten der Republik beobachten. Die skandalöse Einflussnahme von SPD und Grünen, wie sie ein CDU-Generalsekretär zu Recht genannt hat, hat ein Trümmerfeld hinterlassen. Es ist überflüssig, den schweren Schaden zu betonen, den allein schon der Eindruck der politischen Einflussnahme verursacht.

(Nadja Lüders [SPD]: Oh!)

Die Geschädigten sind dabei nicht nur das Ansehen der und das Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Medien; das ist auch ein Verlust von Ansehen der und Vertrauen in die Politik.

(Beifall von der FDP)

Die Ministerpräsidentin hat sich in dieser Frage fürs Fähnchen im Wind entschieden. Nun, was sind die medienpolitischen Rahmenbedingungen in diesem Land? Es gibt leider einen Trend bzw. eine Tendenz einer ungebremsten Expansion gebührenfinanzierter Inhalte im Internet durch intransparente Beteiligung und Kooperation sowie durch zu viel Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das sind Unwuchten im Mediensystem, die entstanden sind und die behoben werden müssen.

Denn diese Unwuchten schaden nicht nur den Lokalradios, sie schaden allen privaten Anbietern von Presse- und Mediendiensten.

(Beifall von der FDP)

Denn sie verstärken den Druck des WDR als Konkurrent zu Angeboten privater Medienhäuser im Onlinebereich und sogenannten presseähnlichen Erzeugnissen.

Zur Meinungsvielfalt – ich möchte das noch einmal wiederholen – gehören aber private und öffentlich-rechtliche Medienangebote. Sie müssen zusätzlich zum Rundfunk als gleichberechtigte Säulen nebeneinanderstehen.

Deshalb sind am Gesetzentwurf der Landesregierung Änderungen notwendig. Die haben wir in unserem Änderungsantrag skizziert, den wir heute zur Abstimmung stellen. Bestandteil davon ist ein echter Einstieg in die Werbefreiheit im öffentlich-rechtlichen Hörfunk, wie sie von SPD und Grünen ihn auch in den resolutionshaften Beschlüssen im Sommer des letzten und im Oktober des vorletzten Jahres gefordert und versprochen haben.

Die jetzigen Trippelschritte, die Sie in diesem Rückzugsgefecht gegen die Werbefreiheit in einem durch Beiträge hochfinanzierten Sender machen, und das, was Sie hier abliefern, ist den bisherigen Debatten und Ankündigungen nicht würdig. Ihre Verrenkungen sind bemerkenswert.

In der Ausschusssitzung der vergangenen Woche – insofern muss ich Prof. Sternberg völlig recht geben – haben SPD und Grüne noch behauptet, dass ihr Wortbruch in Sachen Werbung die Schuld der CDU sei, die nicht Mitantragsteller sein wolle. Okay, ich kann das verstehen: Sie wollten lieber Hähnchen im kuscheligen Korb als Hähnchen auf dem Grill sein.

Jetzt reichen Sie im letzten Moment doch noch einen Änderungsantrag mit einer – nüchtern betrachtet – doch eher kosmetischen Anpassung ein. Sie tun so, als würden nun die Werbeakquisiteure der Lokalradios damit eine Suppenkelle in der Hand halten. Es kommt aber gar kein Suppentopf bei Ihrer Lösung hervor, sondern allenfalls eine halbvolle Espressotasse.

(Heiterkeit und Beifall von der FDP)

Der Lokalfunk leidet an der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz bei der Akquise. Ihm wird finanziell die Luft zum Atmen genommen.

Bestandteil unseres Änderungsantrages ist darüber hinaus aber eben auch die Abwehr des offensichtlichen Versuchs von SPD und Grünen, mehr Einfluss in den Aufsichtsgremien zu bekommen. Der Rundfunkrat wird aufgebläht und ein wenig mehr auf Rot-Grün gebürstet.

Bei den Änderungsanträgen haben wir uns gerade gegen die Aufblähung des Rundfunkrats und die deutlich ersichtliche Versorgung der mit – ich sage es jetzt einmal vorsichtig – rot-grün-befreundeten Organisationen beschäftigt. Es geht dabei freilich um den Versuch der Koalition, größeren Einfluss zu bekommen – sicherlich auch im Hinblick auf die Wahl eines Rundfunkratsvorsitzenden.

Ein Punkt ist mir noch wichtig: Das Landesmediengesetz ist ein bisschen versteckt als Artikelgesetz bei der WDR-Gesetz-Novelle angetackert. Aber auch im LMG ist wieder dieses Gängelband zu spüren. Ein unliebsamer Direktor wird mit dem letzten Beschluss zum Landesmediengesetz entsorgt, indem man für einen medienpolitischen Spitzenjob die Anforderung auf eine Befähigung zum Richteramt verengt. Es geht einfach darum, unliebsame Personen zu entsorgen.

Ich glaube: Mindestens hier wäre eine Korrektur notwendig, denn die Menschen merken, wenn es Parteien eben nicht um die Stärkung von Vielfalt, sondern einfach um knallharte Machtpolitik geht. – Danke sehr.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Lamla.

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren hier auf der Tribüne und zu Hause im Stream!

„Zugleich werden wir uns dafür einsetzen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf Werbung und Sponsoring verzichtet. Werbung und Sponsoring sollten ausschließlich der Finanzierung kommerzieller Medienangebote dienen.“

Kommt das jemandem hier bekannt vor?

(Zustimmung von Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU])

Zumindest einigen müsste es bekannt vorkommen, denn so zumindest hieß es im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen, und auch so wurde im Wahlkampf dafür getrommelt.

Werbeverzicht – genau das aber findet jetzt nicht statt. Es wurde ein fauler Kompromiss gefunden, bei dem Werbung bis 2019 schrittweise von 90 auf 60 Minuten reduziert wird. Was heißt das in Zahlen? – Würde man tatsächlich die komplette Werbefreiheit herstellen, würde das für den WDR ein Minus von ca. 3 % des Gesamtbudgets bedeuten. Diese 3 % würden weder die Existenz des WDR gefährden, noch zu Massenentlassungen führen. So etwas wird allerdings in der einen oder anderen Stellungnahme suggeriert.

Ich habe an dieser Stelle wirklich den allerhöchsten Respekt für gewerkschaftliche Arbeit und auch für die Personalverantwortung des Intendanten. Aber ich wünsche mir auch an dieser Stelle ein bisschen mehr verbale Abrüstung.

Wir Piraten stehen für einen unabhängigen und starken öffentlichen Rundfunk. Um diesen zu erreichen, müssen wir uns allerdings von den Werbeeinnahmen und Sponsoringverträgen befreien, meine Damen und Herren.

(Beifall von den PIRATEN)

Mit einem komplett werbefreien öffentlich-recht-lichen Rundfunk würden wir zudem die Akzeptanz der Haushaltsabgabe erhöhen; denn ich kann wirklich keinem Rundfunkbeitragszahler erklären, warum er trotz einer Haushaltsabgabe mit Werbung bedudelt wird. Diese aktuelle Mischform aus öffentlich-rechtlichem Rundfunk mit Werbezeiten ist ein kaputter Zustand. Es erfordert sichtlich einer politischen Entscheidung, um dies zu reparieren. Leider ist man seitens der rot-grünen Regierungsfraktion nicht bereit, diesen mutigen Schritt zu gehen, versteckt sich hinter faulen Kompromissen und schiebt die Zuständigkeit wie so oft hier im Landtag plötzlich und scheinheilig auf die Bundesebene.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich bin davon überzeugt, dass es unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk locker mit Netflix und anderen neuen Teilnehmern an der Medienlandschaft aufnehmen könnte. Dazu bedarf es aber eines Ausbaus der Onlinemediatheken. Die Archive müssen geöffnet und den Menschen, die die Inhalte bereits schon bezahlt haben, rund um die Uhr online und werbefrei zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn sie für etwas bezahlen, möchten die Menschen die Werbefreiheit genießen. Sie möchten einen Unterschied erleben. Sie möchten die Möglichkeit bekommen, zwischen Programmen mit und ohne Werbung wählen zu können. Diese Möglichkeit bekommen sie jetzt nicht. Dazu bedarf es einer klaren und offensichtlich mutigen Entscheidung, zu der die Mehrheit im Landtag allerdings nicht fähig ist.

Ich gehe noch ein bisschen weiter in die Zukunft. Wenn wir es jetzt nicht schaffen, für klare und werbefreie Verhältnisse zu sorgen, gefährden wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Allgemeinen; denn Netflix und Co. sind in ihrer Entwicklung und Marktdurchdringung nicht etwa am Ende. Sie sind erst am Anfang. Ich würde Ihnen ungern in einigen Jahren sagen, wir Piraten haben es Ihnen doch gesagt. Ich könnte an dieser Stelle noch so viele andere Dinge sagen und auf so viele andere Punkte eingehen. Allerdings wird mir die Zeit dazu fehlen.

Sitze für die Vertreter von neuen Medien, NGOs und Gruppen oder Organisationen aus diesem Bereich im Rundfunkrat? Fehlanzeige! Jetzt können Sie natürlich sagen, diese können sich auf die paar Sitze bewerben. Wie gut das geklappt hat, haben wir bei der Landesmedienkommission gesehen. Die Liste mit den Vorschlägen der Vertreter der neuen Medien wurde hier im Landtag von der Mehrheit einfach weggestimmt. Jetzt sitzt in der Kommission kein Vertreter. Super! Was sollen wir mit solch einer Regelung?

Eben wurde das Onlinekonsultationsverfahren angesprochen. Das Onlinekonsultationsverfahren hat ergeben, dass Werbefreiheit gut ist. Es war eine Forderung daraus. Was haben wir jetzt? Nichts! Das war kein Onlinekonsultationsverfahren, sondern es war eine Beteiligungssimulation, meine Damen und Herren.

Ich fasse zusammen: Dieses Gesetz ist nichts. Noch einmal neu, bitte! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die Landesregierung spricht Herrn Minister Lersch-Mense.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der digitalen Medienwelt ist mit Blick auf seinen Auftrag, seine Struktur und seine Finanzierung immer wieder zu überprüfen und neu zu bestimmen. Dies haben wir mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung getan.

Es ist unsere Aufgabe, den WDR als größte Landesrundfunkanstalt und als Garanten für demokratische Informationsvermittlung und Meinungsbildung zu stärken, seine Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zu sichern und ihn zukunftssicher aufzustellen. Zugleich tragen wir die Verantwortung für unsere duale Medienordnung. Ich bin davon überzeugt, dass es uns mit dieser Novelle gelungen ist, ein Gesamtkonzept zur Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zur Vielfaltssicherung in Nordrhein-Westfalen vorzulegen, das den veränderten Bedarfen und den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung trägt. Leitmotive sind hierbei Transparenz und Partizipation.

Bereits der Entwurf der Landesregierung steigert die Effizienz der Aufsichtsstrukturen. Er stärkt die Gremien insgesamt und auch in ihrer Unabhängigkeit. Er wirkt dem Risiko einer Versteinerung durch Dynamisierung entgegen. Eine effiziente Medienaufsicht, starke Gremien und transparente Strukturen sind die besten Voraussetzungen für einen erfolgreichen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Unseren Bürgerinnen und Bürgern sind Transparenz und Teilhabe bei ihrem WDR besonders wichtig. Das hat die große Beteiligung an der Onlinekonsultation gezeigt.

Die regierungstragenden Fraktionen haben nun Änderungsanträge vorgelegt, die diese Bestrebungen noch weiter unterstützen und den Entwurf fortentwickeln. Zentral sind folgende sechs Punkte:

Der WDR erhält im Telemedienbereich, also im Internet, einen klaren Auftrag. Das sichert seine Zukunft im digitalen Zeitalter und in der digitalen Medienwelt. Der Programmauftrag wird entsprechend ergänzt, wie dies bereits im Rundfunkstaatsvertrag der Fall ist. Damit ist klar, dass der WDR auch einen Auftrag für digitale Angebote hat.

Der Rundfunkrat tagt in Zukunft öffentlich. Der Verwaltungsrat wird zu einem fachlich professionalisierten Gremium weiterentwickelt.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Dies stärkt die binnenplurale Kontrolle und schafft mehr Transparenz und Partizipation. Der Verwaltungsrat wird künftig mehr Verantwortung und Aufsichtsaufgaben in Rechts- und Finanzfragen übernehmen. Auch dem Rundfunkrat wachsen neue Aufgaben zu, etwa wenn es um die Zustimmung beim Erwerb von Programmbeiträgen durch Tochterunternehmen geht. Der Anteil der staatlichen Akteure im Rundfunkrat sinkt von knapp 31 auf 22 %. Darauf ist hingewiesen worden.

Es wurde gefordert, noch weitere Gruppen, insbesondere muslimische Religionsgemeinschaften, zu beteiligen. – Herr Prof. Dr. Sternberg, Sie wissen, dass wir in einem Prozess des Dialogs mit diesen Religionsgemeinschaften sind, um die Frage zu klären, ob sie als Religionsgemeinschaft anerkannt werden können. Wenn diese Anerkennung vorliegt, sind alle dafür offen, auch muslimische Organisationen in den Gremien zu berücksichtigen.

Der WDR kann in Kooperation mit anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern und privaten Dritten zusammenarbeiten. Programmbeschaffungen von Tochtergesellschaften des WDR unterliegen künftig ab einer bestimmten Höhe einer Gremienkontrolle. Ab 2017 – und das ist der kontroverse Punkt der Diskussion hier – soll die Hörfunkwerbung im WDR schrittweise reduziert werden. Wir glauben, dass dies die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stärkt.

Meine Damen und Herren, wir in Nordrhein-Westfalen haben im Vergleich zu anderen Ländern eine besonders vielfältige Radiolandschaft. Da ist auf der einen Seite ein erfolgreicher WDR mit 1LIVE, WDR 2, 3, 4 und 5 sowie Funkhaus Europa, auf der anderen Seite das erfolgreiche Zweisäulenmodell im Lokalfunk mit 45 Lokalradios und dem Rahmenprogrammveranstalter radio NRW. Diese duale Hörfunklandschaft ist in ihrer gesamten publizistischen Vielfalt einzigartig in unserem Lande. Sie gilt es zu erhalten, auch als Garanten für viele journalistische und weitere Arbeitsplätze.

Auch auf Folgendes ist hingewiesen worden: Der Gesamtetat des WDR beträgt etwa 1,4 Milliarden €. Mit der Umstellung auf das Beitragssystem hat der Landtag dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine zuverlässige Finanzperspektive gesichert, eine Entwicklungsgarantie eingeschlossen.

Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang ein Zitat von Herrn Prof. Kirchhof aus einem Gutachten zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Kenntnis geben. Herr Prof. Kirchhof sagt:

„Würde der Gesetzgeber sich entscheiden, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gänzlich – vor dem Hintergrund der gebotenen Aufkommensneutralität auch schrittweise – ohne Werbung und Sponsoring zu finanzieren, wäre die Identität der Rundfunkanstalten und des Rundfunkprogramms – ein Programmablauf ohne jegliche Werbeunterbrechung – in eindrucksvoller Weise hervorgehoben. Die Notwendigkeit des Rundfunkbeitrags wäre für jedermann ersichtlich, weil er sich mit dem erneuerten Rundfunkbeitrag u. a. die Werbefreiheit dieses Programms erkauft.“

Wir machen nun einen ersten Schritt in diese Richtung. Wir wollen, dass es für die Einnahmeausfälle eine Kompensation gibt. Wir sind zuversichtlich, dass dies im Rahmen des aktuell laufenden KEF-Verfahrens grundsätzlich erreicht werden kann. Die Landesregierung wird sich jedenfalls dafür einsetzen.

Ich bitte um Ihre Zustimmung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 27 Sekunden überschritten. Gibt es noch Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar erstens über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Das ist die Drucksache 16/10882. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/10882 der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU, der FDP und der Fraktion der Piraten angenommen.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Das ist die Drucksache 16/10883. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Änderungsantrag Drucksache 16/10883 mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der CDU-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion der Piraten angenommen.

Ich rufe drittens auf den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten. Das ist die Drucksache 16/10905. Wer dem seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/10905 gegen mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion der Piraten abgelehnt.

Ich rufe viertens auf den Änderungsantrag der Fraktion der FDP. Das ist die Drucksache 16/10908. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/10908 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der Piraten bei Enthaltung der CDU-Fraktion abgelehnt.

Ich lasse fünftens abstimmen über den Gesetzentwurf. Das ist die Drucksache 16/9727. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in Drucksache 16/10811, den Gesetzentwurf Drucksache 16/9727 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen.

Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/10811 in der soeben geänderten Fassung und nicht über den Gesetzentwurf. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU, der FDP-Fraktion und der Fraktion der Piraten angenommen.

Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/10811 in der soeben geänderten Fassung angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/9727 in der geänderten Fassung in zweiter Lesung verabschiedet.

Wir kommen sechstens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP. Das ist die Drucksache 16/10909. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/10909 mit  den Stimmen der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der Piraten bei Enthaltung der CDU-Fraktion abgelehnt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende des Tagesordnungspunkt 9, und ich rufe auf:

10       Gesetz zur Errichtung des Pensionsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9568

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/10432

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10887 

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10891

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Gebhard das Wort.

Heike Gebhard (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend den Gesetzentwurf zur Einrichtung eines Pensionsfonds. Darüber beraten wir seit August letzten Jahres. Ich glaube, im gesamten Hause herrscht Einigkeit darüber, dass es Sinn macht, darauf zu achten, dass öffentliche Haushalte durch Pensionslasten nicht überfordert werden. So ist es für Laien vielleicht unverständlich, wieso wir bisher zwei unterschiedliche Systeme in Nordrhein-Westfalen haben.

Dies ist der Historie geschuldet, sodass wir einerseits bereits seit den 90er-Jahren eine Versorgungsrücklage haben und seit dem letzten Jahrzehnt zusätzlich einen Versorgungsfonds. Meiner Meinung nach ist es der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr vermittelbar, dass wir nach 2017 – nur bis dann wird die Versorgungsrücklage befüllt – möglicherweise in die Situation kommen werden – natürlich nach entsprechender gesetzlicher Ermächtigung –, aus dem einen Topf Geld zu entnehmen, während wir zugleich zusätzlich Geld in den anderen Topf einführen. Dies ist nicht gerade ein leicht verständliches und transparentes System.

Infolgedessen sind wir, glaube ich, gut beraten, nun einen gemeinsamen Versorgungsfonds für die Zukunft zu schaffen, der genau das leisten soll, nämlich deutlich zu machen, wie die öffentlichen Haushalte besser ausgestattet werden können, um zukünftige Pensionslasten zu bewältigen. Dass wir sie schultern müssen, ist natürlich völlig unumstritten. Schließlich liegt den Pensionen von Beamtinnen und Beamten ein Rechtsanspruch zugrunde. Das heißt, sie können in keiner Weise infrage gestellt werden.

Insofern ist klar: Der Haushaltsgesetzgeber hat – daran gibt es überhaupt keinen Zweifel – die Pensionen zu zahlen. Hier geht es also nicht um das Ob oder um das Wie, sondern es geht vielmehr um die Frage, wie es haushaltstechnisch organisiert werden kann, dass nicht ein spezielles Haushaltsjahr überfordert wird.

Eines möchte ich noch ergänzen: Mit diesem Gesetzentwurf tangieren wir in keiner Weise beamtenrechtliche Besoldungs- oder versorgungsrechtliche Regelungen. Es ist in der Tat ein haushaltstechnischer Vorgang. Wenn wir 2017 die Zusammenführung dieser beiden Fonds, wie in diesem Gesetz verankert, vorgenommen haben, werden wir Ende 2017 den Fonds mit 10,6 Milliarden € befüllt haben. Das heißt, der Vermögensbestand ist so hoch, dass auf absehbare Zeit keine Notwendigkeit für eine höhere als die jetzt im Gesetz vorgesehene Zuführung besteht.

Selbst für das Jahr, in dem im nächsten Jahrzehnt der Höchststand an Versorgungsempfängern erwartet bzw. erreicht wird, liegt der Bestand des Fonds mit fast über 5 Milliarden € deutlich über dem dann erforderlichen Bedarf. Das heißt, von einer chronischen Unterfinanzierung, wie im Sommer letzten Jahres noch befürchtet, kann überhaupt nicht die Rede sein.

Selbstverständlich ist – das ist notwendige Voraussetzung –, dass mit diesem Fonds auch vernünftig, also sicher, rentabel und nachhaltig umgegangen wird. Das bedeutet – und das ist eindeutig auch mit festgelegt –: Eine Privatisierung dieses Fonds ist ausdrücklich ausgeschlossen.

Gleichwohl haben wir die Hinweise der Expertinnen und Experten, insbesondere der Betroffenen, im Laufe des Beratungsverfahrens sehr ernst genommen und haben als rot-grüne Koalition deshalb zusätzlich in die Beratung zu diesem Gesetzentwurf die Aufnahme eines Beirates eingebracht, der grundsätzlich über die Verwaltung und Anlage der Mittel beraten soll und auch die Konzeption und langfristige Strategie des Sondervermögens erörtert. Auch die Zusammensetzung dieses Beirates ist nach unserer Vorstellung so vorzunehmen, wie wir es in unserem Antrag formuliert haben, und wie es zurzeit auch in zwölf anderen Bundesländern etabliert ist.

Gleichzeitig wollen wir sicherstellen, dass haushaltspolitische Spielräume entstehen. Uns soll es beispielsweise möglich sein, den Fonds in einem Jahr, in dem uns mehr Mittel zur Verfügung stehen, zusätzlich zu befüllen, und zwar unter Belassung des zusätzlichen Zinsgewinns, um im nächsten Jahr gegebenenfalls eine entsprechende Minderung im Zuführungsbeitrag vornehmen zu können. Ich glaube, das sollte man klar …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin!

Heike Gebhard (SPD): … und deutlich sagen. – Herr Präsident, ich habe es gesehen.

Ich komme zum Schluss. – Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass dieser Gesetzentwurf gemeinsam mit den Betroffenen erarbeitet worden ist. Wir können zudem feststellen, dass der Beamtenbund in seiner letzten Pressemeldung in der vorigen Woche bestätigt hat, dass er mit dieser Regelung nicht nur gut leben kann, sondern auch sehr einverstanden ist. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist kein Wunder!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebhard. – Die SPD-Fraktion hat ihre Redezeit um 47 Sekunden überschritten. – Ich erteile für die CDU-Fraktion dem Kollegen Schmitz das Wort.

Hendrik Schmitz (CDU): Herr Präsident, vielen Dank für die Ankündigung. – Frau Gebhard, vielen Dank dafür, dass wir noch ein wenig Zeit haben, um über dieses Thema zu reden. Es muss nicht sein, aber man kann es tun.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, der bisherige Versorgungsfonds bedeutet in etwa 30 bis 40 Jahren einen vollständigen Wechsel von der umlagefinanzierten zur kapitalgedeckten Versorgungsleistung. –´Das findet unsere uneingeschränkte Zustimmung; denn so entlasten wir die Zukunft.

Diese Sätze stammen nicht von mir, sie stammen aus der Vergangenheit, aus dem Jahr 2005, und ist von Herrn Minister Groschek, der damals Sprecher im Unterausschuss Personal war. Wenn Sie diesen Satz: „Wir entlasten die Zukunft“ hören, Herr Groschek, müssten Sie eigentlich vom Stuhl springen und sagen: So, wie ihr es vorhabt, könnt ihr das hier nicht machen. – Herr Borjans, Herr Groschek wird Ihnen im Kabinett bestimmt etwas dazu gesagt haben. – Wir glauben jedenfalls, dass man sich auch immer an der Vergangenheit messen lassen muss.

Damals haben wir fraktionsübergreifend Einigkeit darüber erzielt, dass wir pro Monat 500 € für jeden eingestellten Beamten zurücklegen und diesen Betrag zusätzlich noch einmal dynamisieren wollen. Trotz dieser Dynamisierung auf heute sogar fast 600 € pro Monat reichen die Beiträge nicht aus. Deswegen haben wir uns auch hier wieder gemeinsam darauf verständigt, zumindest auf eine Kapitaldeckung von 70 % zu kommen.

Dieser Konsens hat ganze zehn Jahre gehalten. Jetzt haben ihn die Landesregierung und mit ihr leider auch die regierungstragenden Fraktionen aufgekündigt. Das alles geschieht nur, damit Sie, Herr Finanzminister, die vorgebliche Null im Haushalt 2019 zumindest kommunikativ aufrechterhalten können. Deswegen haben Sie die „Operation Pensionsfonds“ – wie ich sie einmal nennen will – gestartet. Unter diesem Deckmantel kürzen Sie die jährlichen Zuführungen an den Versorgungsfonds drastisch. Das läuft darauf hinaus, dass Sie allein von 2017 bis 2025 insgesamt 9 Milliarden € weniger in den Versorgungsfonds einzahlen werden. 9 Milliarden €!

Herr Finanzminister, Ihre gesamte Finanzplanung bis zum Jahr 2019 beziehungsweise 2020 beruht darauf, den letzten Rest einer präventiven Finanzpolitik aufzugeben. Das muss man an dieser Stelle deutlich sagen.

(Beifall von der CDU)

Denn dabei steht der Konsum auf Kosten zukünftiger Generationen wieder im Mittelpunkt Ihrer Politik. Das sieht man an diesem Beispiel deutlich.

Wenn Sie in Ihrer Einbringungsrede zu diesem Gesetz von Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit sprechen, kann man das unter diesen Voraussetzungen wirklich nicht ernst nehmen. Denn wenn wir uns auf der einen Seite einmal anschauen, wie viele Beamte momentan zusätzlich wegen der hohen Flüchtlingszahlen beziehungsweise der Sicherheitslage richtigerweise eingestellt werden, kann man doch auf der anderen Seite die Rücklagen gerade an der Stelle nicht so zusammenstreichen, wie Sie das vorhaben.

(Beifall von der CDU)

Hier kann von Nachhaltigkeit nicht die Rede sein. Wenn man allein bis zum Jahr 2019 plant, ist die Generationengerechtigkeit ausgehöhlt. Dann ist Nachhaltigkeit nur noch eine Worthülse. Das werfen wir Ihnen hier vor.

Rot-Grün kommt heute mit einem Entschließungsantrag um die Ecke und philosophiert über nachhaltige Investitionen. Anstatt aber erst einmal dafür zu sorgen, dass man überhaupt investieren kann, reden Sie schon jetzt darüber, wie man das dann anlegt.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

– Ja, lieber Herr Zimkeit, das ist der Unterschied: Erwirtschaften kommt vor Verteilen – nicht umgekehrt, so wie Sie das in diesem Fall machen!

(Beifall von der CDU)

Ich hätte auch gedacht, dass Rot-Grün hier vehement widersprechen würde; denn Sie lösen nicht nur den Konsens von 2005 auf, sondern auch den, den wir in der Enquetekommission „Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte“ – zumindest mit vier Fraktionen – hergestellt haben. Denn damals haben wir gesagt, dass wir transparente Haushaltspolitik haben wollen.

Wir hatten Einigkeit darüber erzielt, dass wir die Versorgungsrücklage zumindest in der Höhe der kalkulatorischen Beitragssätze weiterhin befüllen wollen. Darüber bestand Einigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb verstehe ich Ihr aktuelles Handeln umso weniger.

Jetzt wird dieser Konsens – dabei geht es um zwei Konsensbereiche, die wir hier im Landtag zusammen erarbeitet haben – aufgekündigt. Ich stelle hier auch fest: Sie pfeifen da auf die Einigkeit, und Sie pfeifen auch auf Nachhaltigkeit in Ihrer Haushaltspolitik – und nur deshalb, weil Sie hier kommunikativ vorne sein wollen.

Es ist an dieser Stelle auch noch einmal wichtig, zu erwähnen, dass Sie die Schuldenbremse nur durch Tuning und Trickserei im Haushalt erreichen. Das ist die Realität.

(Beifall von der CDU)

Damit nehmen Sie jeder zukünftigen Regierung – egal welcher Farbe sie auch angehört – jeglichen Handlungsspielraum in dieser Frage. Deswegen haben wir uns als Fraktion konstruktiv damit auseinandergesetzt und mit einem Änderungsantrag unseren Beitrag dazu geleistet. Darin steht – im Gegenzug zu Ihrem Vorschlag –, wie wir das Pensionsfondsgesetz ändern wollen.

Dabei sind drei Punkte ganz wichtig:

Erstens. Wir wollen, dass es bei den bisherigen Zuführungen für jede neu eingestellte Beamtin bzw. jeden neu eingestellten Beamten in Höhe von 622 € pro Monat bleibt. Das hat – diejenigen, die anwesend waren, werden das wissen – auch die Anhörung gezeigt.

Zweitens. Wir wollen an der Dynamisierung über die Vorlage eines versicherungsmathematischen Gutachtens festhalten; denn nur so können wir garantieren, dass Veränderungen der Beamtenschaft, die Inflation – die dazukommt – sowie eventuelle Besoldungsanpassungen entsprechend berücksichtigt werden.

Drittens. Wir fordern, den zu gründenden Beirat unabhängiger zu gestalten. Herr Minister, es reichen doch wohl drei Ministerien, die im Beirat sitzen. Vor allem aber müssen ein unabhängiger Finanzwissenschaftler und der Ersteller dieses versicherungsmathematischen Gutachtens darin vertreten sein, um die Belange entsprechend vertreten zu können.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Kollege, Ihre Redezeit.

Hendrik Schmitz (CDU): Meine Redezeit ist zu Ende. – Ich möchte Sie gerne noch auffordern, den Konsens, den wir hier so lange – zehn Jahre lang – hatten, und den Sie jetzt aufzukündigen versuchen, beizubehalten. Wir haben unsere Vorschläge gemacht und würden uns freuen, wenn Sie dem zustimmen könnten. Ihrem Änderungsantrag stimmen wir nicht zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Martin-Sebastian Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident Eckhard Uhlenberg! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmitz, es gab ja mehr oder weniger perfide Versuche – in der Presse gab es auch schon mal plumpere Versuche; insofern war es gar nicht so schlecht –, Botschaften zu senden, die wie folgt lauten: Das, was ihr jetzt macht, reicht nicht aus. – Einige Kollegen gehen sogar so weit, infrage zu stellen, ob aktive Beamte später überhaupt eine Pension bekommen werden. Deswegen will ich Ihnen drei Punkte nennen.

Erstens. Hören Sie auf, so zu tun, als wenn die Versorgung von Landesbediensteten irgendwie in Gefahr wäre. Die Verfassung schützt die Versorgung für jeden aktiven Beamten. Die Bundesrepublik als Gesamtverbund haftet.

(Ralf Witzel [FDP]: Nicht der Höhe nach!)

Wir können – das müssen wir auch – darüber streiten. Ich werde gleich auch etwas zu der Höhe der Rücklage und dazu sagen, ob sie – auch im Vergleich zu anderen Bundesländern – ausreichend ist. Jeder aber, der sich auch nur fünf Minuten mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, weiß, dass die Zukunftsvorsorge unserer Beamtinnen und Beamten durch das Grundgesetz und die Stabilität des Gesamthaushaltes gesichert ist. Sie wissen das auch. Hören Sie auf, hier auch nur zu suggerieren, dass das irgendwie anders wäre.

Zweitens. Die Rücklage in Nordrhein-Westfalen ist im Vergleich zu anderen Bundesländern vorbildlich. Ich nehme als Referenz Ihr Lieblingsbeispiel, wenn es um Ländervergleiche geht, nämlich Bayern. Schauen wir uns doch einmal die Zahlen von Bayern an. Wenn wir NRW als Vergleichsmaßstab nehmen, dann hätte der Freistaat Bayern im letzten Jahr rund 172 € und in diesem Jahr 190 Millionen € zusätzlich in die Versorgungsrücklage packen müssen. Das sind also mal eben 362 Millionen €, die in Bayern nicht verwendet wurden. Wer dann weiterhin, meine Damen und Herren von der Opposition, von der Schuldenfreiheit Bayerns im Jahr 2030 träumt, der ist nicht nur im Karneval sehr nah an Ludwig II. Also: weniger blau-weißes Lametta!

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein Blick auf die Zahlen zeigt außerdem: Wir streben mit der Zuführung von 200 Millionen € in 2018 ein Vermögen von mehr als 10,3 Milliarden € an. Auch mit dieser Zahl liegen wir im Vergleich der Länder vorne. So viel zu Ihrem Punkt: erst erwirtschaften, dann ausgeben.

Damit möchte ich auf unseren Entschließungsantrag kommen, der Ihnen vonseiten der Koalitionsfraktionen vorliegt. Wir wollen die Mittel aus dem Pensionsfonds fair und nachhaltig investieren. Deswegen wollen wir ethische Grundsätze und Nachhaltigkeitskriterien einziehen. Die Landesregierung wird darin aufgefordert, dafür einen Katalog mit ethischen Anlageregeln zu entwickeln. Im Rahmen einer Berichterstattung soll der Ausschuss regelmäßig informiert werden – so viel auch zum Thema „Transparenz“, Herr Kollege Schmitz –, wo das Geld angelegt wird.

Wir wollen, dass auch öffentliche Gelder gezielt aus klimaschädigenden Investitionen herausgezogen werden und im Gegenzug der Ausbau von erneuerbaren, von ökologisch und sozial nachhaltigen Investitionen gestärkt wird.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Wir sind hier Vorreiter. Wir schließen uns an. Unter anderem hat auch die Stanford University damit begonnen, mehrere Pensionsfonds aus dem skandinavischen Raum tun das bereits, und zuletzt nenne ich als prominentes Beispiel die Rockefeller Foundation. In diese Gesellschaft reihen wir uns gerne ein. Hören wir auf, die Klimakrise mit unserem Geld weiter voranzutreiben.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Die Zukunft ist erneuerbar. Deswegen ist es richtig, dass wir auch hier ein wichtiges Signal setzen und nach vorn gehen mit einem Pensionsfonds, der in absehbarer Zeit die 10-Milliarden-Euro-Grenze überschreitet. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und von Stefan Zimkeit [SPD])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Versorgungslasten des Landes Nordrhein-Westfalen sind eine riesige Herausforderung für unser Bundesland in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Das dürfte in dieser Runde allgemein bekannt sein.

Wir haben es zu tun mit einer stark wachsenden Anzahl von Versorgungsempfängern auf der einen Seite und mit einer demografischen Entwicklung auf der anderen Seite, sprich: dem erfreulichen Umstand des längeren Lebensalters, was letztlich auch neue Anforderungen für die Absicherung desselbigen bedeutet.

Dieses Gesetz ist bei Weitem nicht so harmlos, wie es hier von SPD und Grünen präsentiert wird. Als konstruktive Opposition, die wir immer sind, machen wir im Einzelfall eine sachgerechte Bewertung aller einzelnen Punkte.

Deshalb will ich ausdrücklich zu Beginn sagen: Für sich genommen ist die Zusammenlegung zweier Pensionssysteme grundsätzlich sinnvoll und unterstützenswert. Das bietet die Möglichkeit, Synergien bei der Administration, aber auch bei Anlagekonditionen zu heben. Dieser Punkt war in den Beratungen auch mit uns als Opposition nicht strittig.

Des Weiteren ist von SPD und Grünen darauf hingewiesen worden, dass selbstverständlich das Alimentationsprinzip gilt, es auch Versorgungsempfänger mit einschließt und deshalb auch keine Panik dahin gehend verbreitet werden sollte, es gebe zukünftig keine Pensionen mehr. Das haben wir, wie Sie von den Koalitionsfraktionen ehrlicherweise einräumen werden, auch niemals behauptet.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Aber angedeutet!)

Wir sagen nur sehr klar, dass bei der Konkretisierung dieses abstrakten Prinzips der Teufel im Detail steckt.

Erinnern wir uns doch einmal wenige Monate zurück. Da haben Sie hier bei der Besoldung der aktiv im Dienst Stehenden einen Wortbruch begangen. Sie haben für bestimmte Besoldungsgruppen zwei Jahre in Folge Nullrunden vorgesehen. Und nur, weil wir als Opposition dagegen geklagt haben und das Verfassungsgericht uns recht gegeben hat, ist der abstrakte Anspruch dann auch in Entscheidungen konkretisiert worden. Erst aufgrund der Gerichtsentscheidung war der Finanzminister bereit, eine grundlegende Kurskorrektur einzuleiten. Das hat er doch nicht freiwillig gemacht, sondern weil er bei der Konkretisierung dieses abstrakten Anspruchs die richterlichen Entscheidungen akzeptieren musste.

Deshalb ist es doch mehr als verständlich, dass die Landesbediensteten nach den Erfahrungen, die sie mit dieser rot-grünen Landesregierung und dem Mangel an Verlässlichkeit gemacht haben, sagen: Je größer der etikettierte Teil ist, der vorab für Versorgungsaufwendungen der nächsten Jahre reserviert ist, umso wohler fühlen wir uns, wenn man bei der konkreten Entscheidung über die Bemessung der Höhe einer Pension auch entsprechend würdig und adäquat mit dem Thema umgeht, und man sich nicht alles auf dem Rechtswege wird erstreiten müssen.

Wenn Sie den Verweis auf andere Bundesländer als Vergleich bemühen, hinkt dieser natürlich. Sie haben Süddeutschland genannt. In Süddeutschland haben wir es mit mehreren Bundesländern zu tun,

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Bayern haben wir genannt!)

die keine neue Verschuldung in ihren Haushaltsplanungen haben, die umgekehrt sogar über Strategien verfügen, den Schuldenberg abzutragen,

(Beifall von der FDP)

der in den letzten Jahren dort angehäuft worden ist. Da verbessern sich die realen Bedingungen der öffentlichen Finanzen so, dass der Druck auf die Finanzierbarkeit von Versorgungslasten der nächsten Jahre dort nicht mehr so groß sein wird. Das muss man an dieser Stelle auch ganz klar in die Überlegungen einbeziehen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Die Wahrheit ist doch eine etwas andere. Frau Gebhard hat es in bemerkenswerter Offenheit gerade auch eingeräumt, als sie gesagt hat: Es geht hier nicht um die Frage des Alimentationsprinzips, sondern hier geht es …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Witzel, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Abel zulassen?

Ralf Witzel (FDP): Ja, selbstverständlich; immer doch.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Da Sie eben über Süddeutschland hinweggegangen sind, meine konkrete Nachfrage: Würden Sie mir zustimmen, dass, wenn Bayern dieselben Kriterien – also Relation von Beschäftigten und Rücklagen wie in Nordrhein-Westfalen mit diesem Gesetz geplant – anlegen würde, dort bereits jetzt eine Lücke von über 300 Millionen € entstanden wäre?

Ralf Witzel (FDP): Herr Kollege, Sie haben völlig recht. Wenn man isoliert den Aufwuchs des Modells Pensionsfonds betrachtet, ist es zutreffend, was Sie sagen. Dann müsste Bayern im laufenden Haushalt mehr tun, als es gegenwärtig getan hat und für die nächsten Jahre beabsichtigt.

(Zuruf von Dietmar Schulz [PIRATEN])

Deshalb habe ich Sie darauf hingewiesen: Es geht nicht nur um den Pensionsfonds, zu dem Sie gerade Zutreffendes zur Berechnung gesagt haben, sondern es geht immer um die Gesamtaufstellung der öffentlichen Finanzen.

Anders herum formuliert: Es ist umso mehr notwendig, etwas für die Vorsorge zu reservieren und einen Pensionsfonds zu bilden, wenn es Zweifel gibt, ob die Leistungsfähigkeit des allgemeinen Haushalts das aufgrund des Schuldenberges abdeckt.

Wenn Sie jedoch das Geld nutzen, um den Schuldenberg in den nächsten Jahren abzutragen – wie zum Beispiel in Bayern –, dann gewinnen Sie de facto von Jahr zu Jahr mehr Handlungsfähigkeit, um auch die Aufgabe der Pensionen erfüllen zu können. – Ich glaube, das ist die ganzheitliche Sicht der Dinge,

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Also, minus mal minus ergibt plus?)

die wir hier vornehmen müssen, weil der Haushalt und das Sondervermögen immer zusammen betrachtet gehören.

Dass Sie das auch machen, Herr Kollege Abel – nämlich den Landeshaushalt und das Sondervermögen gemeinsam zu betrachten –, hat Frau Gebhardt gerade in entwaffnender Offenheit dargelegt, als sie gesagt hat: Es handelt sich hier nicht um den Kern des Alimentationsprinzips, sondern es handelt sich um einen haushaltstechnischen Vorgang. – Das haben Sie gerade gesagt.

(Heike Gebhard [SPD]: Dazu stehe ich auch!)

– Dazu stehen Sie auch.

(Stefan Zimkeit [SPD]: War von Anfang an so!)

Dann hätten Sie doch in Wahrheit sagen sollen, dass es um etwas anderes geht, nämlich um einen Verschiebebahnhof für den Landeshaushalt. Denn das haben Sie doch gerade vor wenigen Wochen, Ende des Jahres 2015, so praktiziert.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Sie hätten das Gesetz mal lesen sollen! Das würde helfen!)

– Herr Kollege, gucken Sie sich Ihre Nachtragshaushalte für 2015 und den Beschluss zu dem neuen Haushalt 2016 an.

(Michael Hübner [SPD]: Ja, und? Was ist damit?)

Die Haushaltszahlen des Jahres 2016 sind um über 600 Millionen € geschönt. Der Finanzminister hat uns noch am Montag in einer Sondersitzung des Haushalts- und Finanzausschusses gesagt, er hätte gerne in noch größerem Umfang – jetzt nickt er, er stimmt mir ausdrücklich zu – als den 600 Millionen € schon im letzten Jahr Zahlungen geleistet, um das laufende Jahr entsprechend zu entlasten.

Das zeigt doch eigentlich: Dieser Pensionsfonds ist bei Ihnen zu einem Buchungsvehikel geworden,

(Michael Hübner [SPD]: Es geht darum, Begriffe einzuführen? Ach so!)

einem Instrument zur Verschleierung der tatsächlichen Neuverschuldung, dem Sie je nach Kassenlage Gelder zuführen oder eben weniger zuführen – der Finanzminister nickt und bestätigt das wieder –,

(Minister Dr. Norbert Walter-Borjans: Ja!)

bei dem es aber gerade nicht um die sachlich-fachliche Bewertung dessen geht, was hier eigentlich an Versorgungsrücklage zu leisten ist, was an entsprechenden Vorkehrungen zu treffen ist.

Deshalb haben Ihnen sowohl der Landesrechnungshof als auch das Institut der deutschen Wirtschaft in umfangreich kritischen Stellungnahmen ins Stammbuch geschrieben, dass das nicht der richtige Ansatz ist, mit welchen Unsicherheiten Sie es hier zu tun haben und dass Sie das Gesetz in dieser Form nicht verabschieden sollten. Die Stimmen der FDP-Landtagsfraktion werden das heute auch nicht tun. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Ja, Herr Kollege Abel, Sie haben natürlich vollkommen recht: Die Bundesrepublik Deutschland haftet letztendlich. Und ja, die Pensionszusagen des Landes Nordrhein-Westfalen sind aus dem Haushalt zu erfüllen, in der Regel aus dem laufenden Haushalt.

Da müssen wir einfach festhalten: Nicht der jetzt zur Beratung anstehende Pensionsfonds steht zunächst einmal für die Pensionszahlungen ein – das ist nichts anderes als eine Absicherung –, sondern der laufende Haushalt. Allerdings geht es darum, in dem Pensionsfonds auch die Zukunftslasten zu sichern.

Zunächst einmal, was den Gesetzentwurf und auch den entsprechenden Änderungsantrag von Rot-Grün angeht: Die Versorgungsrücklage des Landes NRW und der Versorgungsfonds sollen zusammengeführt werden zum Sondervermögen Pensionsfonds des Landes NRW. Das ist eine positive Entwicklung, die wir vonseiten der Piratenfraktion durchaus begrüßen. Ich glaube, auch alle anderen Fraktionen sagen zumindest Ja zu diesem Aspekt, auch was die Transparenz betrifft.

Negativ allerdings – das hat die Anhörung ergeben, das haben die Sachverständigen dort geäußert – sind die jährlichen Zuführungen an den neuen Pensionsfonds in Höhe von – man höre und staune – lediglich 200 Millionen €. Es können auch – man höre und staune weiter – mal mehr und mal weniger sein, je nachdem, wie es die Haushaltslage gerade zulässt. Das soll ab 2018 gelten.

Das ist vonseiten der Sachverständigen als viel zu gering eingestuft worden. Man sprach davon, dass sinnvollerweise mindestens 500 Millionen € pro Jahr zugeführt werden sollten. Ich komme gleich zu dem Grund, warum selbst das, was die Sachverständigen außerordentlich moderat und konservativ angenommen haben, wahrscheinlich nicht ausreicht, um die Pensionslasten der Zukunft tatsächlich abzufedern.

Der im Gesetzentwurf gezogene Vergleich mit Bayern bezüglich der Höhe der Zuführungen – auch Kollege Abel hat das eben getan – ist wenig zielführend, da das Bundesland Bayern einen wesentlich geringeren Schuldenstand als NRW aufweist.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Was hat das denn mit diesem System zu tun?)

– Das hat eine ganze Menge damit zu tun; das werde ich Ihnen gleich noch sagen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das glaube ich nicht!)

– Doch, das werde ich Ihnen noch sagen.

Generell gilt: Die Kosten für die Beamtenpensionen werden in den nächsten Jahren, wenn die Babyboomer aus dem Staatsdienst ausscheiden, zur enormen Belastung für die kommenden Generationen, insbesondere für die öffentlichen Haushalte, vor allem auch für den Haushalt Nordrhein-Westfalens. Für diese Belastungen werden heute nicht ausreichende Rücklagen gebildet, auch nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf nicht.

Die Pensionszusagen, um die es hier letztendlich geht, zeigen das wahre Ausmaß der Staatsverschuldung Deutschlands und auch des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Hans-Böckler-Stiftung hat ermittelt: Würde der Staat ernsthaft Vorsorge bis 2050 treffen, müsste er dafür rund 970 Milliarden € zurücklegen – konservativ gerechnet. Für Nordrhein-Westfalen bedeutete dies nach der Berechnung ungefähr einen Betrag von 175 Milliarden € bis 2050. Hinzu kommen, was die Staatsverschuldung des Landes Nordrhein-Westfalen angeht – das ergibt die wirkliche Belastung –, die rund 140 Milliarden €, die wir heute haben.

Rechnen wir das einmal zusammen. Damit möchte seit Jahren und Jahrzehnten niemand in der Politik konfrontiert werden, um dieses Problem tatsächlich einmal anzugehen und aufzugreifen. Dafür reichen weder die 200 Millionen €, die jetzt jährlich in den Pensionsfonds eingezahlt werden sollen, noch die 500 Millionen €, die die Sachverständigen empfohlen haben. Es wäre wahrscheinlich ein Betrag nicht unter einer Milliarde notwendig, um die Lasten der Zukunft ab dem Jahr 2050 und auch schon in dem Zeitraum zwischen 2030 und 2050 tatsächlich abzufangen.

Stattdessen gibt es kluge Versorgungsberichte, aber nur wenige Konsequenzen, auch nicht im Lande Nordrhein-Westfalen, auch nicht durch das heute beratene Gesetz. Das gilt schleichend bis 2020, da haben wir noch das Problem der Schuldenbremse. Wie wir hörten, ist das ein Haushaltsproblem. Die Pensionen müssen aus dem Haushalt geleistet werden. Und der Pensionsfonds reicht eben nicht aus, um die Lasten dafür zu tragen, vielleicht für ein Jahr, vielleicht für anderthalb Jahre.

Abgesehen davon fehlt es noch – und auch das haben die Sachverständigen in der Anhörung eindeutig festgestellt – an einem Entnahmegesetz für diesen Pensionsfonds. Wir wissen heute gar nicht, was der Gesetzgeber, der dann 2019 oder 2020 am Schalthebel sitzt, mit diesem Pensionsfonds macht. Er könnte quasi ein Gesetz erlassen und den Pensionsfonds mit seiner Mehrheit auflösen und sagen, dass er dies für den laufenden Haushalt braucht, was möglicherweise aufgrund der dann gelten Pensionslasten des Landes Nordrhein-Westfalen vielleicht auch notwendig wird.

Insgesamt wird man sagen müssen: Weder das Gesetz ist aus Sicht der Piratenfraktion zustimmungsfähig noch der Entschließungsantrag der SPD, der heute vorgelegt wird. Da ist von Nachhaltigkeit die Rede. Da muss ich ganz einfach bei dem bleiben, was der Kollege Witzel gesagt hat: Von Nachhaltigkeit kann hier überhaupt keine Rede sein.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP] und Christian Möbius [CDU])

Das Jonglieren mit irgendwelchen Beiratsbesetzungen reicht auch nicht. Es wird auch nicht ausreichen, einen Versicherungsmathematiker in irgendein Gremium zu setzen. Die Hausaufgaben müssen gemacht werden, bevor ein solches Gesetz eingebracht wird, bevor ein Gesetz durchberaten ist und hier zur abschließenden Entscheidung ansteht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Hinsichtlich des Änderungsantrags der CDU werden wir uns enthalten, ebenso bezüglich des Entschließungsantrags der SPD. Das Gesetz wird die Piratenfraktion insgesamt ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zu Beginn dieser kurzen Debatte noch daran geglaubt, dass es hier und da vielleicht nur einen Denkfehler bei der Opposition gibt. Aber das, was heute gesagt worden ist, zeigt, dass hier auf die Denkfehler anderer oder das Denk-Unvermögen derer vertraut wird, die sich diese Argumente anhören sollen.

Ich versuche, das klarzustellen. Herr Witzel, ja, es stimmt. Man muss die Gesamtheit sehen. Deswegen ist es vollkommen uninteressant, ob Bayern durch das Weglassen der Zuführungen zu einem Fonds in den Tilgungsbereich kommt oder nicht. Jede Milliarde, jede 500 Millionen €, die man entweder tilgen kann oder nicht aufnehmen muss, haben die gleiche Wirkung, dass sie nämlich den Zinsaufwand entlasten. Deswegen ist es vollkommen egal, ob die damit unter die Nulllinie oder über dieser Linie sind. Alles andere ist Unsinn.

Es geht darum – und da haben Sie, was die Nachhaltigkeit angeht, recht –: So lange man Schulden hat, und zwar nicht neue, sondern bestehende – und die hat Bayern –, so lange ist das Aufnehmen von Krediten oder das Nichttilgen natürlich eine Verschiebung von Lasten in die Zukunft. Man legt damit aber auch etwas zur Seite, um Lasten der Zukunft zu mindern. Das ist wirklich „linke Tasche, rechte Tasche“, und zwar unabhängig davon, ob Sie an der Nulllinie sind oder nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das hören Sie nicht gerne. Deswegen ist nach den Kriterien des Stabilitätsrats die strukturelle Kreditaufnahme, auch um die Zuführungen zu den Rücklagen zu vermindern. Das bedeutet, dass Nordrhein-Westfalen schon heute nur noch wenige Hundert Millionen wirklich strukturelle Neuverschuldung hat statt der unverminderten Zahl, die Sie und auch wir bisher ausweisen. Das eine ist der Betrag, den wir vom Kreditmarkt nehmen – die strukturelle Neuverschuldung ist deutlich geringer.

Ihre zweite Hoffnung auf einen Denkfehler bei anderen ist, dass Sie sagen: Die merken gar nicht, dass die Versorgungsrücklage für etwas völlig anderes da war als der Versorgungsfonds. Die Versorgungsrücklage endet 2017, und zwar nicht, weil wir das so beschlossen haben, sondern weil es das Bundesgesetz so vorgesehen hat. Sie ist da, weil aus ihr von 2017 an Geld entnommen werden kann. Weil das die Länder mittlerweile selber entscheiden dürfen, machen andere Länder das auch jetzt schon, wir eben nicht. Wir machen weiter auf der Linie, wie die Bundesgesetzgebung es vorgegeben hat, und zahlen sogar noch ein.

Jetzt gehen wir hin und übertragen diesen gesamten Bereich mit einem Volumen von 6 Milliarden € in den Versorgungsfonds und machen daraus einen Pensionsfonds mit der Folge, dass nicht mehr 4 Milliarden € zur Verfügung stehen, um spätere Pensionen haushaltstechnisch abzudecken, sondern 10 Milliarden; die Garantie haben die Beamten aus der Verfassung und nicht aus dem Versorgungsfonds. Damit wird dieser Versorgungsfonds von 4 auf 10 Milliarden € erhöht; das ist das Fünffache von Bayern. Es werden jährlich 200 Millionen € hinzugefügt; das ist das Doppelte von dem, was Bayern macht. Und das beschreiben Sie als nicht nachhaltig. Ich denke, das spricht alles für sich selbst.

(Beifall von der SPD und von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]

Ich finde in Ordnung, dass es eine Erweiterung, eine Ergänzung dahin gehend gibt, dass man erstens sagt: Ja, natürlich hat das auch etwas mit Haushaltsbuchungen zu tun. – Wenn wir in einem Jahr Ermächtigungen, die wir haben, nicht ausschöpfen müssen und solche Belastungen auf uns zukommen sehen wie im nächsten Jahr, und wir die Möglichkeit schaffen, das, was wir für die Beamten zurücklegen wollen, schon ein Jahr vorher zurückzulegen, frage ich mich, was denn das Verwerfliche daran ist. Das ist doch völlig in Ordnung, das zu machen. Natürlich können wir das im nächsten Jahr weniger einzahlen. Das ist sinnvoll.

Dass man jetzt hingeht und auf den Beirat verweist, der mit darauf achtet, wie das Geld, das da zurückgelegt worden ist, angelegt wird, ist auch in Ordnung. Aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es sich hier nicht um einen Fonds zur Garantie der Pensionen für Beamtinnen und Beamte handelt, sondern es geht darum, die Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen, um sie zu späterer Zeit dämpfend abrufen zu können. Dazu noch eine Kleinigkeit: Wenn Sie die später abrufen, dann dürfen Sie die auch nicht von der Nettokreditaufnahme abziehen. Deswegen ist es auch so, dass die Rücklagen zur strukturellen Kreditaufnahme gar nicht dazugehören.

Wir sorgen damit für Transparenz. Wir sorgen damit dafür, dass aus der Versorgungsrücklage nichts entnommen wird, dass wir mehr zuführen als Bayern und dass wir einen fünfmal so hohen Betrag für unsere Beamtinnen und Beamten zurückgelegt haben. Ich meine, dazu muss man nichts Weiteres sagen. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. Sie bleiben bitte am Pult. Wie Sie schon an unserer Anzeige gesehen haben, gibt es eine vom Herrn Kollegen Witzel von der FDP-Fraktion angemeldete Kurzintervention. Herr Kollege Witzel, Sie haben nun eine Minute und 30 Sekunden.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Dr. Walter-Borjans, zu zwei Dingen müssen Sie noch etwas sagen. Zum einen haben Sie eben auf ökonomische Zusammenhänge rekurriert. Es gibt schon etwas, was in den letzten Jahren geglückt ist – Sie können das gerne „ökonomisches Paradoxon“ nennen –, nämlich dass in Zeiten, als es noch einen Zinsmarkt gab, durch den Pensionsfonds Geld verdient worden ist. Da ist Kapital gemehrt worden, denn obwohl das Geld vom Kapitalmarkt aufgenommen wurde, war es für den Staat aufgrund der Verzinsung rentierlicher, es anzulegen.

Wenn das Modell in der jetzigen Niedrigzinsphase nicht mehr so funktioniert, könnten Sie sich verpflichten, den Schuldenberg in der Höhe abzubauen, in der Sie nicht mehr durch den Pensionsfonds Vorsorge treffen. Aber auch solche Verpflichtungen für die nächsten Jahre wollen Sie nicht eingehen. Warum nicht?

Zum Zweiten möchte ich Sie mit dem Urteil namhafter Sachverständiger konfrontieren. Wenn Ihnen der Landesrechnungshof sagt, es fehlt in Ihrem Gesetzentwurf die Konkretisierung für zukünftige Mittelverwendungen, und es um eine Bedarfsspitzenabdeckung in der Gesamtheit beider Fonds im Jahr 2027 geht; wenn der Landesrechnungshof dringend empfiehlt, erst dann größere Entnahmen zu tätigen und bis dahin weiter adäquat aufzubauen; und wenn das Institut der deutschen Wirtschaft – IW – sagt, die Versorgungslasten im Jahr 2027 seien bereits nach heutigen Erkenntnissen sehr viel höher, als es bei der Prognosegrundlage für die Daten zu erwarten ist, die Sie heute zugrunde legen, frage ich Sie:

Wie soll das alles mathematisch reichen, damit die eigentlich versprochene Haushaltsentlastung auch bis 2027 noch wirkt?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann nur bei dem ansetzen, was ich am Anfang gesagt habe: Bei jeder Milliarde, die Sie einzahlen und die Sie deshalb als Kredit aufnehmen müssen oder nicht tilgen, ist das nur eine Umbuchung von der einen in die andere Größe. Es geht nicht darum, ob Sie im Tilgungsbereich sind oder nicht. Dann werden die Zinsgewinne auf der einen Seite durch die Zinsverluste auf der anderen Seite aufgefressen.

Deswegen ist es ehrlicher und klarer, zu sagen: Wir verzweieinhalbfachen jetzt den Umfang dessen, was wir zurückgelegt haben. Wir entnehmen es nicht, wie andere Länder, der Versorgungsrücklage, und wir führen zu. – Ich glaube, das ist der richtige Weg. Das ist der Weg, den wir hier vorgeben und für den wir uns auch eine Zustimmung erhoffen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Damit sind wir am Ende der Beratung zu diesem Punkt.

Wir kommen zur Abstimmung. Zuerst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/10887 ab. Wer stimmt diesem Änderungsantrag der CDU-Fraktion zu? – Die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD und Grüne stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Es enthalten sich die Piratenfraktion und die FDP-Fraktion. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/10887 mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.

Zweitens stimmen wir über den Gesetzentwurf Drucksache 16/9568 ab. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Drucksache 16/10432, den Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Kommen wir also zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung in Drucksache 16/10432. Wer stimmt dem so zu? – SPD und Grüne stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und Piraten stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen die Beschlussempfehlung Drucksache 16/10432 angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/9568 in der Fassung der Beschlussempfehlung in zweiter Lesung verabschiedet.

Drittens stimmen wir ab über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/10891. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP. Wer enthält sich? – Es enthält sich die Piratenfraktion. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/10891 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.

Wir rufen auf:

11       Gesetz über die klinische und epidemiologische Krebsregistrierung sowie zur Änderung des Gesundheitsdatenschutzgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9518

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/10812

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10903

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10904

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Lück das Wort.

Angela Lück (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute stimmen wir über den Gesetzentwurf der Landesregierung über die klinische und epidemiologische Krebsregistrierung sowie zur Änderung des Gesundheitsdatenschutzgesetzes ab. Für uns in NRW ist die Krebsbekämpfung eines der vorrangigen Gesundheitsziele. 218.000 Todesfälle pro Jahr infolge einer Krebserkrankung und die Tatsache, dass Krebs damit die zweithäufigste Todesursache in Deutschland ist, zeigen uns den Handlungsbedarf.

Obwohl es bereits erhebliche Fortschritte in der Krebsbehandlung gibt, stehen wir weiterhin vor wachsenden Herausforderungen bei der Krebsbekämpfung. Mit der Einrichtung des Krebsregisters, das die klinische und die bereits bestehende epidemiologische Krebsregistrierung zusammenführen wird, werden die Bemühungen beim Kampf gegen diese schwere und meist tödlich verlaufende Krankheit verstärkt.

Durch die verpflichtende Meldung der behandelnden Ärzte über die Häufigkeit, die regionale Verbreitung, die Überlebensraten und den Erfolg von Behandlungsmethoden wird eine umfangreiche Datenbasis geschaffen. Mithilfe dieser Daten und deren Analyse wollen wir eine Verbesserung der Prävention, der Versorgung und der onkologischen Behandlung Krebserkrankter erreichen sowie der wissenschaftlichen Forschung gerecht werden, um die Qualität der Tumortherapie zu heben.

Im Ausschuss haben wir uns intensiv mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung über die klinische und epidemiologische Krebsregistrierung beschäftigt. Insbesondere die Expertenanhörung hat uns wertvolle Erkenntnisse geliefert.

Mit dem gemeinsamen Änderungsantrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP wurden die Ergebnisse der Expertenanhörung und der Beratungen im Ausschuss aufgegriffen.

Darin wird die Frage der regionalisierten Arbeitsweise des Krebsregisters präzisiert und die Größe des Fachbeirates erhöht, damit alle betroffenen Verbände und Krankenkassen vertreten sein können. Es werden eine Berichtspflicht gegenüber dem Landtag festgeschrieben, der Zeitpunkt des Inkrafttretens auf den 1. April 2016 festgelegt und noch einige redaktionelle Änderungen vorgenommen.

Die wissenschaftliche Verarbeitung, Auswertung und Erforschung der im Landeskrebsregister gesammelten Daten sind für die betroffenen Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen, aber auch für die behandelnden Ärztinnen und Ärzten von großer Bedeutung.

Mit unserem Entschließungsantrag wollen wir die Patientenorientierung des Landeskrebsregisters stärken. Die Arbeit des Krebsregisters ist für die breite Öffentlichkeit von hoher Bedeutung. Wir wollen ausdrücklich darauf hinwirken, dass vor allem die breite Öffentlichkeit über die Arbeit, die Entwicklung und die Forschungsergebnisse in zielgruppenspezifischen Veröffentlichungen verständlich informiert wird und diesbezüglich abrufbare Instrumente und Publikationen zur Verfügung gestellt werden.

Wir sind überzeugt, dass der Antrag der Fraktion der Piraten nicht ausreichend ist, da öffentliche Sitzungen der Beiräte für die Allgemeinheit nicht verständlich und nur für Fachpublikum nachvollziehbar wären.

(Zuruf von den PIRATEN: Oh!)

Bereits in der Anhörung hatten sich das Krebsregister und auch die Ärztekammern dazu bereit erklärt, die Arbeit, Entwicklungen und Forschungsergebnisse auch für medizinische Laien und die interessierte Öffentlichkeit aufzubereiten. Die Bereitschaft dazu ist da. Deshalb laden wir die Fraktion der Piraten ein, unserem Entschließungsantrag zu folgen.

Insgesamt werden die Änderungen zum Gesetzentwurf von der Fachebene außerordentlich begrüßt. Ich lade alle Fraktionen ein, dem Gesetzentwurf mit den angesprochenen Änderungen heute in der zweiten Lesung ihre Zustimmung zu geben. Damit kommen wir in Nordrhein-Westfalen in der Krebsbekämpfung einen guten Schritt vorwärts. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Lück. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Birkhahn.

Astrid Birkhahn (CDU): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine Herren, meine Damen! Wir stimmen heute in zweiter Lesung über einen Gesetzentwurf ab, den Frau Lück gerade schon sehr richtig umrissen hat. Wir haben heute zum zweiten Mal das Thema Krebsbekämpfung auf der Tagesordnung des Plenums. Deswegen kann man es sehr holzschnittartig darstellen.

Es ist ein vorrangiges Gesundheitsziel in Nordrhein-Westfalen, dass Krebs bekämpft wird. Die Vorgaben, die jetzt durch das SGB V aufgestellt worden sind, das epidemiologische Register und das klinische Register zusammenzuführen, sind ein Weg, um dieses Landeskrebsregister zu einer Grundlage für die Verbesserung der Situation der Erkrankten zu machen.

Was erwarten wir von diesem Landeskrebsregister? Es ist zum einen die Hoffnung auf die Verbesserung der onkologischen Versorgungsqualität. Wir hoffen, dadurch Therapien bewerten zu können. Wir hoffen, dadurch die Therapien vor Ort besser einschätzen zu können. Wir hoffen auch, dass wir Informationen über die Wirksamkeit von Früherkennungsprogrammen erhalten können. Zudem bietet so ein Landeskrebsregister eine ganz fundierte und umfassende Grundlage für Forschung und Wissenschaft.

An dieser Stelle ist die Meldepflicht sehr hilfreich. Da steht die CDU-Fraktion gegen den Antrag der Fraktion der Piraten, wonach man im Grunde eine Zustimmung einfordern muss. Wir brauchen eine breite Datengrundlage, um die Schlussfolgerungen ziehen zu können.

Insgesamt kann man sagen: In der Sache gibt es im Grundsatz keine Streitigkeiten. Es gibt eine positive Einschätzung dieses Anliegens. Wir hoffen sehr, dass auch der Ertrag dieses Registers für die Erkrankten von großer Bedeutung sein wird und den Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen stärken wird.

Die CDU-Fraktion hat aber an drei Punkten Bedenken, die ich kurz skizzieren möchte.

Der eine Punkt ist – das ist auch in der Anhörung sehr deutlich geworden – die Regionalisierung, die im Gesetz, so würde ich es sehen, sehr schwach formuliert wird. Gewiss, das SGB V lässt dem Land Ausgestaltungsfreiraum. Aber auch in der Anhörung ist deutlich geworden, dass der Erfolg der Regionalisierung steht und fällt mit dem Engagement und mit der Vernetzung der handelnden Personen. Das aber ist außerordentlich vage. Das Prinzip Hoffnung trägt, aber es ist nicht fest umrissen, wie wir da wirklich sicher zum Erfolg kommen können. Meines Erachtens muss man so etwas erst einmal anlaufen lassen. Die Evaluation möchte ich aber schon gern abwarten.

Die zweite Unwägbarkeit ist mir heute beim Entschließungsantrag wieder aufgefallen. Auch da werden die Berichterstattung und die Zusammenfassung der Ergebnisse in Aussicht gestellt. In welchen Strukturen das geschehen soll, bleibt aber relativ offen. Da wünschten wir uns doch eine größere Klarheit und Verbindlichkeit.

Zwei weitere Gedanken: Eine Schwäche in der Formulierung möchte ich im Zusammenhang mit dem Zugriff auf Daten aufgreifen. Da steht: Forschungsvorhaben können auf die Daten zugreifen. – Das ist auch wichtig, damit die Forschung und die Wissenschaft nach vorn arbeiten können. Sie müssen sie aber unverzüglich löschen, wenn die Arbeit abgeschlossen ist. Da muss man doch einmal genau hinschauen, wie die Überprüfbarkeit des wissenschaftlichen Arbeitens sichergestellt ist, wenn die Datengrundlage nicht mehr da ist. Das ist eine Ungenauigkeit, die uns sehr stark bewogen hat, an dieser Stelle nicht vorbehaltlos zuzustimmen.

Letztlich frage ich mich als Münsterländerin, wie das mit der Registerführung an fünf Stellen sein soll. Wir haben eine Datenannahmestelle, eine Kontrollnummernstelle, eine Datenvalidierungs- und -spei-cherstelle, eine Datenauswertungsstelle und eine Geschäftsstelle. Bei all diesen Stellen ist es notwendig, dass man sie in Bochum zusammenführt und den Stellenwert des epidemiologischen Registers in Münster als Struktur zerstört, dass man es unbrauchbar macht? Da müssen Sie mir als Münsterländerin zugestehen, zu fragen: War es denn nicht möglich, die Stelle in Münster zu erhalten?

(Zuruf von Serdar Yüksel [SPD])

Diese Bedenken wollte ich äußern. Danke, dass Sie mir zugehört haben. Das war wirklich sehr schön. – Wegen dieser Bedenken werden wir den Anträgen und auch diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Birkhahn. – Für die Fraktion der Grünen spricht nun Herr Kollege Ünal.

Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Meine Vorrednerinnen haben dargestellt, dass Krebs heutzutage die zweithäufigste Todesursache in der Bundesrepublik ist. Dadurch ist es dringend notwendig, dass wir auf der Landesebene die Krebsregistrierung noch einmal verabschieden. Deswegen war es erforderlich, neben dem epidemiologischen Krebsregister ein klinisches Krebsregister zu errichten.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch dem Geschäftsführer des epidemiologischen Krebsregisters, Dr. Heidinger, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr herzlich für ihre gute Arbeit danken. Wir haben in NRW mit 8,5 Millionen Meldungen europaweit das beste epidemiologische Krebsregister. Das ergänzen wir jetzt noch einmal mit dem klinischen Krebsregister. Damit wollen wir die onkologische Versorgung der an Tumoren erkrankten Menschen verbessern.

Meine Damen und Herren, wir haben sowohl in der Anhörung als auch im Ausschuss mehrmals darüber diskutiert. Trotzdem kommen diese Bedenken von der CDU.

Die Verlagerung des epidemiologischen Krebsregisters von Münster nach Bochum ist 2009 beschlossen worden. Mehrmals haben wir auch im Aufsichtsrat darüber diskutiert, wie diese Verlagerung sozialverträglich gestaltet werden kann. Heutzutage ist dies weder bei den Mitarbeitern noch bei der Fachöffentlichkeit ein Thema. Deswegen bitte ich Sie, noch einmal darüber nachzudenken, ob diese Bedenken tatsächlich Sinn machen oder nicht.

Mit dieser Neuregelung wollen wir nicht nur die Verteilung bestimmter Krebserkrankungen erfassen, sondern Behandlungsmethoden und Behandlungsverläufe festhalten. Wir hoffen, dadurch eine bessere Versorgung zu bekommen, damit sowohl behandelnde Ärztinnen und Ärzte als auch Patientinnen und Patienten selber von diesen Behandlungsmethoden profitieren können.

Bei unserem Änderungsantrag haben wir auch die in der Anhörung erwähnten Regionalisierungen in Betracht gezogen. Darin sagen wir, dass wir in NRW fünf verschiedene Regionen bilden werden. In der Anhörung habe ich aber – vielleicht erinnern Sie sich daran – die Experten selber gezielt gefragt, ob diese Regionalisierung unbedingt fünf verschiedene Geschäftsstellen benötigt oder ob sie im Gesundheitscampus angesiedelt sind und bestimmte Teams für diese Regionen zuständig sind. Alle Expertinnen und Experten in der Anhörung haben zugestimmt. Mit dieser Lösung können sie leben. Insofern ist diese Regionalisierung mit unserem Änderungsantrag erledigt. Darüber gibt es keine Diskussionen mehr. Alle beteiligten Fachreferenten haben diesem Modell zugestimmt.

Mit unserem jetzigen Antrag wollen wir auch die Öffentlichkeit daran teilnehmen lassen. Wir haben sehr großes Interesse, dass die Ergebnisse der Krebsregister nicht nur den Behandelnden, sondern auch den Patientinnen und Patienten zielgruppenspezifisch zukommen. Deswegen haben wir in unserem Entschließungsantrag gefordert, die Öffentlichkeit verständlich zu informieren und ihr zielgruppenspezifische Informationen zukommen zu lassen.

Diese Anhörung hat gezeigt, dass die Beratung über dieses Krebsregister sehr konstruktiv und beteiligungsfreudig abgelaufen ist. Alle Experten haben gesagt: Wir diskutieren seit Monaten mit der Ministerin bzw. mit den Fachabteilungen darüber, wie wir diese Krebsregistrierung in NRW besser gestalten können.

Meiner Ansicht nach sind alle offenen Fragen, die in der Anhörung thematisiert wurden, damit erledigt. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, im Interesse der Patientinnen und Patienten in NRW diesem Krebsregister zuzustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Frau Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits 1982 forderte die Gründerin der Deutschen Krebshilfe, Dr. Mildred Scheel, den Aufbau von klinischen Krebsregistern. Der FDP-Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr hat mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung und zur Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister im April 2013 die flächendeckende Einrichtung klinischer Krebsregister auf den Weg gebracht.

Ich freue mich – wir haben schon sehr viel gehört –, dass sich die Beratungen im Ausschuss an der Sache orientierten und nicht nur von Ideologie geprägt waren.

Die Anhörung war für uns Anlass, gezielte Korrekturen, auch gemeinsam mit der Regierungskoalition, umzusetzen. So haben wir eine Reihe von Anregungen aufgenommen, zum Beispiel eine stärkere Verankerung der Regionalisierung oder eine ausgewogene Zusammensetzung des Beirates.

Der FDP-Fraktion war es besonders wichtig, im § 13 die Informationspflicht gegenüber den Patientinnen und Patienten nicht nur auf die Ärzte zu beschränken, sondern auch eine Delegation an qualifiziertes nichtärztliches Personal zu ermöglichen. Hier geht es nicht um medizinisch-diagnostische Aufklärung, sondern um die Erläuterung eines technischen Meldevorgangs mit rechtlichen Folgewirkungen, wie uns insbesondere von Ärztekammern und Krebsgesellschaft dargestellt wurde.

Insofern sollten Ärzte entscheiden können, ob sie die Informationen aus zeitlichen oder organisatorischen Gründen auch anderem Personal übertragen. Sie wissen: Unsere Ärzte haben alle genug zu tun.

Mit diesem Krebsregistergesetz sind wir definitiv auf einem richtigen Weg. – Ich danke Ihnen fürs Zuhören. Meine FDP-Fraktion wird hier zustimmen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Nun spricht Herr Düngel für die Piratenfraktion.

Daniel Düngel (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ging schneller als erwartet, Frau Kollegin Schneider; aber so ist das manchmal.

(Christof Rasche [FDP]: Hoffentlich ist es jetzt nicht umgekehrt!)

– Ja. Ich kann die zweieinhalb Minuten jetzt ja noch obendrauf packen, oder? Schließlich gibt es eine ganze Menge zu sagen.

Vorweg folgende Nachricht, die Sie nicht ganz überraschen wird, weil wir uns im Ausschuss auch entsprechend verhalten halten: Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern ihn ablehnen. – Warum, erkläre ich gleich. Wir haben dazu einen Änderungsantrag eingereicht.

Auch der rot-grüne Entschließungsantrag, der uns heute vorliegt, wird nicht unsere Zustimmung finden. Ich werde auch darauf eingehen, warum das in logischer Konsequenz so ist.

Wir haben diverse Kritikpunkte und Änderungsbedarfe an dem Gesetzentwurf angemeldet. An dieser Stelle muss ich das aufgreifen, was Herr Kollege Ünal eben gesagt hat. Am Beratungsverlauf im Ausschuss ist schon ein bisschen Kritik angebracht; denn beraten haben wir diesen Gesetzentwurf im Ausschuss tatsächlich nicht umfänglich. Er ist in Obleuterunden beraten worden. In der letzten Ausschusssitzung sind schlicht die Anträge abgestimmt worden, ohne dass zum Beispiel meine Fraktion die Gelegenheit hatte, sich noch dazu zu äußern.

Selbstverständlich hat eine umfangreiche Anhörung stattgefunden, aus der wir entsprechende Erkenntnisse gewonnen haben.

Die Piratenfraktion hat zwei wesentliche Kritikpunkte:

Erstens: Transparenz. Wir wollen – das haben wir im Wege einer gemeinsamen Antragstellung voranzutreiben versucht –, dass die Sitzungen des Beirats und des wissenschaftlichen Fachausschusses transparent sind und öffentlich stattfinden. Sie sollen öffentlich angekündigt werden und unabhängig von Inhalt und Komplexität interessierten Bürgern zugänglich gemacht werden.

Inhalt und Komplexität einer Sitzung – das ist ein wichtiger Punkt. Uns steht es nicht zu, zu bewerten, ob Otto Normalverbraucher draußen versteht, was in einer solchen Sitzung beraten wird. Es ist ein Weg, Informationen transparent zur Verfügung zu stellen, wenn wir sagen: Die Sitzungen sollen grundsätzlich öffentlich sein.

Wir haben als Piratenfraktion dazugelernt und wissen selber, dass nicht alle Punkte immer öffentlich beraten werden können. Insofern haben wir in unserem Änderungsantrag auch berücksichtigt, dass diese Gremien selbstverständlich datenschutzrelevante Punkte auch nichtöffentlich zu beraten haben. Der nichtöffentliche Teil ist dann eben nicht so nachvollziehbar wie der öffentliche Teil.

Zweitens. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ich einer Sache widersprechen muss oder ob ich ihr zustimmen muss. Wir Piraten sind der Auffassung, dass die sogenannte Opt-in-Lösung immer die richtige ist. Wir wollen also erreichen, dass sich die Patienten freiwillig dazu bereit erklären, Daten zur Verfügung zu stellen, damit sie weiterverarbeitet werden können.

Selbstverständlich ist das, was jetzt im Gesetzentwurf steht und gleich verabschiedet werden wird, die einfache Lösung der Politik. Die Politik sagt: Wir nehmen alle Daten, die wir irgendwie bekommen können, und werten sie aus. – Diese Dinge zu erfassen und auszuwerten, mag auch wissenschaftlich sinnvoll sein. Aus Sicht der informationellen Selbstbestimmung eines Patienten ist es aber nicht sinnvoll.

(Zuruf)

– Das habe ich nicht verstanden. Aber es ist wahrscheinlich auch egal.

Wir kommen zum rot-grünen Entschließungsantrag. Beide Punkte – das will ich in Erinnerung rufen – sind nicht aufgegriffen worden. Ich weiß auch nicht, warum; denn wir haben nicht weiter darüber beraten. Ich kann nur die Vermutung anstellen, dass es, wie ich gerade erwähnt habe, die bequeme Lösung ist.

Warum geht der Entschließungsantrag fehl? Ich würde den beiden Punkten, die Sie aufgreifen, dann zustimmen, wenn Sie unserem Änderungsantrag zustimmen. Denn wenn ich den ersten Schritt gehe und solche Sitzungen öffentlich abhalte, kann ich den zweiten Schritt gehen, solche Sitzungen für eine Öffentlichkeitsarbeit vernünftig aufzubereiten und die Ergebnisse zielgruppenorientiert zur Verfügung zu stellen – genauso wie die wissenschaftlichen Auswertungen. Das kann nur funktionieren und ist nur dann Transparenz, wenn die Sitzungen vorher schon öffentlich stattgefunden haben.

Das ist nicht in Ihrem Interesse; das ist schade. – Herr Präsident, ich komme zum Ende; ich sehe die Redezeit blinken.

Ich darf dennoch noch einmal versuchen, Sie zu motivieren, unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Wenn Sie das tun, wird auch der Entschließungsantrag von SPD und Grünen unsere Zustimmung finden. – Ansonsten herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Düngel. – In Vertretung von Frau Ministerin Steffens spricht nun Herr Minister Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend in zweiter Lesung das Gesetz über die klinische und epidemiologische Krebsregistrierung sowie zur Änderung des Gesundheitsdatenschutzgesetzes. Darüber freut sich Frau Kollegin Steffens besonders. Darüber freut sich aber auch die gesamte Landesregierung. Denn das Gesetz ist ein Meilenstein zur besseren gesundheitlichen Versorgung in Nordrhein?Westfalen – gerade für jene Patientinnen und Patienten, die aufgrund schwerer Erkrankungen oft einem besonderen Leidensdruck ausgesetzt sind.

Das Gesetz ist das Ergebnis eines konstruktiven, stetigen Dialogs zwischen allen wesentlich Beteiligten. Dabei konnten wir in Nordrhein-Westfalen auf eine bereits bestehende, gut ausgebaute Infrastruktur der Registrierung zurückgreifen. Ich meine das epidemiologische Krebsregister in Nordrhein-West-falen, das EKR NRW, das am 10. November des vergangenen Jahres schon sein zehnjähriges Bestehen feierte.

Die jetzt per Gesetz eingeleitete Erweiterung des EKR um ein klinisches Register zu einem Landeskrebsregister ist eine wichtige Ergänzung in der nordrhein-westfälischen Versorgungslandschaft.

Klar ist, meine Damen und Herren: Durch die Alterung der Gesellschaft wird das Thema „onkologische Versorgung“ zunehmend an Bedeutung gewinnen. Krebs ist eine Erkrankung, die in einer Gesellschaft des langen Lebens viel häufiger auftritt, viel häufiger auftreten wird. Daher ist es gut und wichtig, dass wir jetzt über ein modernes Landeskrebsregister verfügen, das hilft, die Versorgung der Betroffenen kontinuierlich zu verbessern und so den Krebs zu bekämpfen.

So ist die onkologische Qualitätssicherung als zentrales Ziel im Gesetz fest verankert. Wir wollen, dass die Patientinnen und Patienten in unserem Land die bestmögliche Versorgung erhalten – gerade dann, wenn sie in besonderer Art und Weise auf Unterstützung angewiesen sind.

Meine Damen und Herren, am 21. Oktober vergangenen Jahres haben alle wesentlichen Akteurinnen und Akteure sowie die hinzugezogenen Sachverständigen den Entwurf im Ausschuss erörtert. Die Anhörung hat gezeigt: Der Entwurf umfasst alle relevanten Aspekte. Lediglich einige Nachschärfungen von bereits vorgesehenen Regelungen sowie einzelne redaktionelle Änderungen waren erforderlich. Ein Änderungsantrag der Regierungsfraktionen hat sie hinzugefügt.

Bei uns in Nordrhein-Westfalen herrscht Einigkeit darüber, dass die Versorgung bei Krebs bestmöglich ausgestaltet sein muss und dass wir diesem Ziel durch das neue Gesetz wesentlich näher kommen werden.

Endlosschleifen von bereits abgelehnten Anträgen sind allerdings nicht hilfreich. Konkret meine ich den eben noch einmal eingebrachten Antrag der Piratenfraktion. Ich möchte hier nicht noch einmal auf die Einzelheiten dazu eingehen, sondern nur so viel sagen: Das neue LKR ist in ein umfassendes Datenschutzkonzept mit Widerspruchsrecht der Patientinnen und Patienten eingebettet. Es gelten hohe technische Standards. So erfolgen die Meldungen ausschließlich auf elektronischem Wege.

Aber eine viel wichtigere Aufgabe wird es aus meiner Sicht zukünftig sein, für Akzeptanz des neuen Gesetzes bei den Anwenderinnen und Anwendern zu werben, etwa durch Informationen, aber auch durch ganz konkrete Schulungsmaßnahmen vor Ort.

Es gilt, vorhandene Datenstrukturen weiterzuentwickeln und für das neue Register auszubauen. Oberstes Gebot ist und bleibt die Sicherstellung des Datenschutzes für die Betroffenen und darüber hinaus, meine Damen und Herren, die Qualitätssicherung in der onkologischen Versorgung. Das neue Landeskrebsregister ist dafür ein wichtiger Beitrag. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Kutschaty. – Wir sind am Ende der Beratung.

Damit kommen wir zur Abstimmung, und zwar erstens über den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/10903. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – Die Fraktion der Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, CDU, Grüne und FDP stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Es enthält sich Herr Schwerd, fraktionslos. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/10903 mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe den zweiten Abstimmungsgegenstand auf, nämlich den Gesetzentwurf selbst, Drucksache 16/9518. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in der Drucksache 16/10812, den Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Stimmen wir also über die Beschlussempfehlung ab! Wer stimmt ihr zu? – SPD, Grüne und FDP. Wer stimmt dagegen? – Die Piratenfraktion stimmt dagegen. Wer enthält sich? – Das war, glaube ich, auch so angekündigt: Die CDU-Fraktion enthält sich zusammen mit dem fraktionslosen Abgeordneten Herrn Schwerd. So ist entschieden. Die Mehrheit hat die Beschlussempfehlung Drucksache 16/812 angenommen. Damit ist das Ergebnis klar. Der Gesetzentwurf Drucksache 16/9518 ist in der Fassung der Beschlussempfehlung in zweiter Lesung verabschiedet.

Drittens stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/10904 ab. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – Die Piratenfraktion. Wer enthält sich? – Es enthalten sich die CDU, die FDP und Herr Schwerd, fraktionslos. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/10904 mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

12       Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10247

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/10813

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Yüksel das Wort.

Serdar Yüksel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Statistisch sterben in Deutschland jeden Tag drei Menschen, die vergebens auf ein neues Organ gewartet haben. Derzeit stehen alleine in unserem Land 10.200 Menschen auf der Transplantationsliste und warten auf ein Organ oder sogar auf mehrere Organe.

2015 gab es deutschlandweit nur knapp 880 Organspender. Davon kamen 186 aus Nordrhein-Westfalen. Noch fünf Jahre zuvor hatten sich noch knapp 1.300 Menschen entschieden, ihre Organe nach ihrem Tod zu spenden, davon 256 in Nordrhein-Westfalen.

Durch eine Organtransplantation kann es gelingen, kranken Menschen zu helfen, deren eigene Organe aufgrund von Unfällen, Infektionen oder Tumorerkrankungen versagen. Eine Organspende ist häufig die einzige Chance, das Leben dieser Menschen zu retten oder wie im Fall von Dialysepatienten ihre Lebensqualität deutlich zu erhöhen.

In Deutschland herrscht jedoch akuter Organmangel. Die Anzahl der Spender reicht bei Weitem nicht aus, um den Bedarf auch nur annähernd zu decken. Es muss also unser Ziel sein, die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen, insbesondere in Nordrhein-Westfalen.

Umfragen zeigen, dass gut informierte Bürgerinnen und Bürger sich eher für eine Organspende entscheiden und diese Entscheidung auch in ihrem Ausweis festhalten. Bisher haben dies allerdings nur 35 % der Bevölkerung getan.

Um die dokumentierte Spendenbereitschaft zu erhöhen, hat der Bund 2012 die bisherige erweiterte Zustimmungslösung durch die Entscheidungslösung ersetzt. Die Bürgerinnen und Bürger sollen in Zukunft ihre Bereitschaft zur Organspende auf Grundlage umfassender Informationen prüfen und schriftlich dokumentieren, zum Beispiel mit einem Spenderausweis. Die Krankenkassen stellen ihren Versicherten dazu alle zwei Jahre Informationsmaterial und einen Ausweis zur Verfügung.

Mit der Novellierung des Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes in Nordrhein-West-falen reagiert die rot-grüne Landesregierung auf die Änderungen im Transplantationsgesetz. Um die Anzahl der Spender auch in Nordrhein-Westfalen zu erhöhen und die Abläufe der Transplantation zu unterstützen, müssen neue Regelungen umgesetzt und Begrifflichkeiten konkretisiert werden. Auch für die Bürgerinnen und Bürger soll eine größtmögliche Transparenz über die Prozesse sichergestellt werden. Gerade in der Vergangenheit gab es ja auch Ereignisse, die die Spendenbereitschaft nicht gerade gesteigert haben.

Im überarbeiteten Gesetzestext haben wir daher klare und nachvollziehbare Zuständigkeiten für die Aufklärung der Bevölkerung getroffen. Eine Konkretisierung der Aufgaben hilft den Bürgerinnen und Bürgern und schafft eine Handlungssicherheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen.

Neben der Klärung von Zuständigkeiten optimieren wir den gesamten Prozess der Organspende. Eine wichtige Rolle werden dabei in Zukunft die Transplantationsbeauftragten spielen.

Diese begleiten den Spendenablauf und sind Ansprechpartner für die Angehörigen in dieser schwierigen Situation. Sie sollen ihre Aufgaben unabhängig wahrnehmen und können von allen weiteren Verpflichtungen in den Krankenhäusern freigestellt werden.

Gleichzeitig stellen wir mit unserem Gesetzentwurf sicher, dass sie für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben über die notwendigen fachspezifischen und fächerübergreifenden Qualifikationen verfügen. In Zukunft gibt es daher eine verpflichtende Regelung zum Nachweis einer Fortbildung zum Thema „Organspende“.

Auch die Kosten der Entnahmekrankenhäuser für die Bereitstellung von Transplantationsbeauftragten, die in der Vergangenheit immer ein Thema waren, werden in der Novellierung mit einem Pauschalbetrag berücksichtigt. Die Höhe der Mittel wird von den Vertragspartnern auf Bundesebene noch festgelegt werden.

Die Transparenz und der Zugang zu Informationen sind gerade bei einem so hochsensiblen Thema wie Organspende wichtig – sowohl zum Treffen von Entscheidungen als auch für die politische Planung. Die Entnahmekrankenhäuser sind deshalb in Zukunft dazu verpflichtet, dem Gesundheitsministerium zu verstorbenen potenziellen Spenderinnen und Spendern sowie zur Zusammenarbeit mit den Koordinierungsstellen und zu den Organentnahmen schriftlich Auskunft zu erteilen. Diese Information soll an zwei Stichtagen im Jahr und im Abstand von sechs Monaten erfolgen.

Kolleginnen und Kollegen, mit dem Vorhaben der rot-grünen Landesregierung schaffen wir die Voraussetzungen für ein transparentes Organspendesystem. Ich bin mir sicher, dass dies einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Spenderzahlen in NRW leisten wird. Deshalb ist dem Gesetzentwurf zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Burkert.

Oskar Burkert (CDU): Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Yüksel hat gerade sehr deutlich gesagt, dass wir zwar in medizinischer Hinsicht hervorragende Kenntnisse und in der Forschung rasante Fortschritte haben. Allerdings enden diese Fortschritte dort, wo wir Organe benötigen.

Herr Prof. Dr. Dueck hat auf dem Hauptstadtkongress 2015 in Berlin gesagt, dass wir in einigen Jahren Organe im 3D-Drucker werden drucken können. Das kann eine Vision sein. Aber noch ist es nicht so weit.

Sehr viele Menschen warten auf ein Organ. Viele erreichen die Operation zur Transplantation nicht mehr, weil sie vorher versterben. Herr Yüksel hat die Rückläufigkeit der Zahlen genannt. Hier ist es besonders wichtig, dass wir die Menschen aufklären und dass wir der Bevölkerung sagen, wie wichtig es ist, Organe zu spenden.

Die Umfragen, die in den letzten Jahren immer wieder durchgeführt worden sind, sagen eindeutig, dass die Menschen in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern wie Österreich oder Spanien bereit sind, Organe zu spenden.

Allerdings muss auch untersucht werden, warum die Zahlen so deutlich zurückgegangen sind. Warum sind dann, wenn die Spendenbereitschaft vorhanden ist, so wenige Organe entnommen worden? Wir hatten im Jahr 2011 mit 11.024 den höchsten Stand in den letzten zehn Jahren. Im Jahr 2015 – das sind die neuesten Zahlen – hatten wir nur noch 877. Das ist ein deutlicher Rückgang. Hier harmonieren Aussagen zur Bereitschaft von Bürgern nicht mit den Aussagen der tatsächlichen Zahlen.

Ich fordere für die CDU-Fraktion die Landesregierung auf, eine intensive Öffentlichkeitsarbeit zu machen, wie wir das schon einmal in der Zeit von 2005 bis 2010 hatten,

(Beifall von Walter Kern [CDU])

um die Menschen zu überzeugen, damit die Bereitschaft vorhanden ist, Organe zu spenden.

Herr Yüksel hat auch schon gesagt: Wir müssen aufklären, damit wir den vielen Menschen, die auf ein Organ warten, helfen können. – Das ist ein ganz wichtiges Ziel. Wir müssen bei dieser Aufklärung den Menschen die Angst nehmen, die teilweise immer wieder in die Welt gesetzt wird, etwa durch Horrormeldungen, die an uns gelangt sind, vor allen Dingen im letzten Jahr, nachdem die Organspendenskandale bekannt wurden, in denen es hieß, dass Menschen, die noch nicht verstorben waren, Organe entnommen wurden. Hier ist sehr wichtig, dass ein weiterer Arzt in der Gegenkontrolle untersucht, ob ein Patient wirklich den Hirntod erlitten hat, bevor die Organe entnommen werden können.

Ich fordere deshalb noch einmal alle Fraktionen im Landtag auf, gemeinsam dafür zu kämpfen und sich dafür einzusetzen, Aufklärung zu betreiben. Ich hoffe, dass die Gesundheitsministerin zusammen mit den Krankenkassen entsprechende Mittel bereitstellt, um die Menschen aufzuklären, damit wir genügend Organe für diejenigen haben, die lebensnotwendig darauf angewiesen sind.

Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall von der CDU und Arif Ünal [GRÜNE] – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Burkert. – Herr Ünal spricht nun für die grüne Fraktion.

Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich kann es wirklich sehr kurz machen. Meine Vorredner haben anhand der Zahlen dargelegt, wie wichtig das ist.

Wie Sie wissen, sind auf der Bundesebene am 1. August 2012 das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes und am 1. November 2012 das Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz in Kraft getreten. Wichtigste Regelungen waren in diesem Zusammenhang die Umsetzung der Entscheidungslösung, zum Beispiel die Aufklärungsmaßnahmen und die verpflichtende Bestellung von Transplantationsbeauftragten sowie die Regelung der wesentlichen Aufgaben, Pflichten und Qualifikationen der Transplantationsbeauftragten.

Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes vorzulegen, um die Regelungen des Transplantationsgesetzes auf der Landesebene umzusetzen und einige Punkte zu konkretisieren.

Wir haben im Ausschuss öfters über den Rückgang der Spendenbereitschaft diskutiert. In diesem Zusammenhang haben wir die organisatorische Dreiteilung des Organtransplantationsprozesses immer begrüßt. Sie lautet: Organentnahme, Organvermittlung und die eigentliche Transplantation.

In diesem System spielt die Organentnahme natürlich eine wesentliche Rolle. Deshalb ist es dringend notwendig gewesen, Regelungen zu treffen, um die Organentnahme und damit auch insgesamt den Organtransplantationsprozess zu unterstützen. Wir hoffen, dass damit die Bereitschaft der Bevölkerung zunimmt und Zehntausende Menschen, die auf ein Organ warten, behandelt werden können.

Im vorliegenden Gesetzentwurf werden besonders die Sicherstellung der Qualifikation der Transplantationsbeauftragten sowie die Sicherstellung des Erfordernisses nach aktuellen Daten und Transparenz geregelt.

Meine Damen und Herren, in der Verbändeanhörung gab es keine großen Änderungsvorschläge zum Gesetzentwurf. Deshalb haben wir im Fachausschuss einvernehmlich auf eine Anhörung verzichtet und dem Gesetzentwurf zugestimmt. Von daher gehe ich davon aus, dass wir diesen Gesetzentwurf heute einstimmig verabschieden werden. Ich hoffe, dass dadurch mehr Organe gespendet werden und Menschen geholfen werden kann, die seit Jahren auf ein Organ warten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ünal. – Die FDP-Fraktion wird nun von Frau Schneider vertreten.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Transplantationsausführungsgesetz haben wir jetzt schon viel Richtiges gehört. Ein wichtiger Punkt darin ist natürlich das Thema „Organspende“, das durchaus etwas mehr Aufmerksamkeit verdient.

Organspende kann Leben retten. Die Transplantation von Organen Verstorbener ist bei etlichen Krankheiten die einzige mögliche Therapieform. Doch die Zahlen der Unterversorgung mit Organen sind ernüchternd. Bundesweit stehen mehr als 10.000 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste für eine Transplantation. Immer noch warten viele vergebens. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation sterben statistisch gesehen täglich drei von ihnen, weil für sie nicht rechtzeitig ein passendes Organ verfügbar ist.

Oft kann eine Organentnahme nicht erfolgen, weil die Zustimmung nicht rechtzeitig geklärt werden kann. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wären zwar 74 % der Deutschen grundsätzlich zu einer Organ- und Gewebeentnahme nach dem Tod bereit, allerdings besitzen nur etwa 35 % einen Organspendeausweis. So liegt die Entscheidung über eine Organspende meist bei den Angehörigen, weil der Verstorbene seine Entscheidung nicht dokumentiert hat. Dies ist für viele Angehörige in einer ohnehin schon sehr schwierigen Situation sehr belastend.

Wir wollen deshalb, dass mehr Menschen einen Spenderausweis bei sich tragen. Dazu benötigen wir eine umfangreiche Aufklärung über den Ablauf der Organspende und über die möglicherweise bestehenden Bedenken. Wir dürfen nicht zulassen, dass die unverantwortlichen Manipulationen von Wartelisten durch einzelne wenige Ärzte dazu führen, dass die Bereitschaft zur Organspende sinkt.

Der Deutsche Bundestag hat 2012 mit den Stimmen der FDP die Verpflichtung eingeführt, dass alle Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren regelmäßig von ihren Krankenkassen per Post angeschrieben, über die Organspende informiert und zum Ausfüllen eines Organspendeausweises aufgefordert werden. Dies lässt natürlich jedem die Möglichkeit offen, der Organspende auf dem Ausweis zu widersprechen oder gar keine Entscheidung zu treffen. Es ist aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Ich möchte heute gerne für diese Organspende werben. Ich selbst habe einen Organspendeausweis. Und Sie? – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die gute Nachricht vorweg: Wir werden nicht ablehnen. – Wir werden uns allerdings enthalten. Zustimmen können wir dem Gesetzentwurf nicht. Ich kann die Begründung dazu relativ kurz machen. Inhaltlich möchte ich nichts weiter ausführen. Die vier Vorrednerinnen und Vorredner haben gerade schon gesagt, wie wichtig das Ganze ist. Dazu werde ich am Ende noch einen Satz nachlegen.

Natürlich müssen wir die Akzeptanz steigern, was Organspenden, Transplantationen etc. angeht. Was uns an dem Gesetzentwurf missfällt, ist die Tatsache, dass sich die Landesregierung aus unserer Sicht hier völlig aus der Verantwortung zieht. Das Mindeste wäre gewesen, dass sich die Landesregierung in der Verantwortung sieht, zum Beispiel Informationen aufzubereiten oder eine zentrale Homepage zur Verfügung zu stellen. All das ist nicht der Fall und wird anderen Beteiligten überlassen. Das ist für uns zu wenig bzw. fehlt uns im Gesetzentwurf, sodass wir unter dem Strich nicht zustimmen können.

Abschließend habe ich noch eine Bitte. Wir haben jetzt in mehreren Reden gehört, wie wichtig das Thema für die Landesregierung, für den Landtag und so weiter und so fort ist. Ich möchte Sie fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer denn hier im Hause Organspender bzw. Organspenderin ist. – Ich sehe jetzt ein paar Hände. Das habe ich gar nicht unbedingt erwartet. Ich biete Ihnen Folgendes an: Ich bringe morgen 237 ausgedruckte Organspendeausweise mit. Diese lege ich hier vorne bei mir auf den Tisch. Wer möchte, kann sich einen Ausweis abholen. Einfach nur ausfüllen, fertig! Dann gehen wir als Landtag mit gutem Beispiel voran. – Herzlichen Dank dafür.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Düngel. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung von Frau Ministerin Steffens Herr Minister Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Düngel, ich habe meinen Organspendeausweis gleich mitgebracht.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich freue mich daher ganz besonders, dass ich Frau Kollegin Steffens heute bei diesem Punkt vertreten darf und wir diesen Gesetzentwurf heute abschließend beraten.

Sie alle wissen, am 1. August 2012 ist das Bundesgesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes und am 1. November 2012 die Regelung zur Entscheidungslösung in Kraft getreten.

Wichtige neue Regelungen sind insbesondere Maßnahmen zur Aufklärung der Bevölkerung über die Themen „Organspende“, „Organentnahme“ und „Organtransplantation“, aber auch die Pflichten der Entnahmekrankenhäuser, die verpflichtende Bestellung von Transplantationsbeauftragten und die Festlegung ihrer wesentlichen Aufgaben.

Der Bundesgesetzgeber hat außerdem festgelegt, dass die Länder Näheres zur Qualifikation, organisationsrechtlichen Stellung und Freistellung der Transplantationsbeauftragten von sonstigen Aufgaben bestimmen können. Insbesondere war es notwendig, die im Transplantationsgesetz getroffenen Regelungen auf Landesebene umzusetzen bzw. zu konkretisieren. Daher war eine Anpassung des Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes, das jetzt zur Schlussberatung vorliegt, erforderlich.

Außerdem haben wir durch neue Regelungen unser wichtiges Anliegen umgesetzt, den Organspendeprozess zu unterstützen und zu befördern. Dabei geht es zum Beispiel um die Sicherstellung der Qualifikation der Transplantationsbeauftragten, aber auch um die Sicherstellung des Erfordernisses nach aktuellen Daten und größter Transparenz hinsichtlich der Aktivitäten der Kliniken zum Thema „Organspende“.

Zum Verfahren: Die Verbändeanhörung zu dem Gesetzentwurf verlief unproblematisch. Seitens der beteiligten Verbände bzw. Institutionen wurden keine substanziellen Änderungswünsche vorgelegt. Der Ausschuss kam in seiner ersten Beratung am 9. Dezember zum weiteren Vorgehen darin überein, keine Anhörung zum Gesetzentwurf durchzuführen, und hat in seiner Sitzung am 20. Januar eine entsprechende Beschlussempfehlung für das heutige Plenum ausgesprochen.

Welche neuen Änderungen gibt es nun konkret? –  Lassen Sie mich folgende Punkte besonders gerne hervorheben:

Da ist zum einen der neue § 1 zu nennen. Darin werden die nach Landesrecht zuständigen Stellen zur Aufklärung der Bevölkerung über die Themen „Organspende“, „Organentnehme“ und „Organtransplantation“ benannt.

Zum anderen werden im ebenfalls neuen § 5 die Krankenhausträger verpflichtet, dem für Gesundheit zuständigen Ministerium oder dessen Beauftragten auf Verlangen schriftlich Auskunft zu erteilen. Damit wird dem Erfordernis nach aktuellen Daten und Transparenz Rechnung getragen. Bisherige Erfahrungen zeigen nämlich leider, dass nicht alle Kliniken der Aufforderung nachkommen, über ihre Maßnahmen zur Förderung der Organspende zu berichten. Aktuelle Daten sind aber für die Planung eine ganz wesentliche Voraussetzung.

Drittens. Ergänzende Regelungen zur Qualifikation, organisationsrechtlichen Stellung und Freistellung von den Transplantationsbeauftragten in Entnahmekliniken werden getroffen.

Viertens enthält § 4 außerdem die neue Regelung, dass Transplantationsbeauftragte innerhalb von drei Jahren nach ihrer Bestellung die Teilnahme an einer kurrikulären Fortbildung zum Thema „Organspende“ nachweisen müssen. Damit wollen wir, meine Damen und Herren, sicherstellen, dass sie für die Wahrnehmung ihrer Aufgabe über die notwendigen Qualifikationen verfügen, und dafür sind, wie Sie wissen, besondere fachspezifische und interdisziplinäre Kenntnisse und Fertigkeiten im Bereich Organspende unerlässlich.

Mit diesen Maßnahmen wollen wir die Organspendebereitschaft in der Bevölkerung steigern, aber auch gleichzeitig die Abläufe zur Organspende in den Krankenhäusern verbessern. Schon allein diese Maßnahmen werden einen ganz entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass die Organspendebereitschaft in der Bevölkerung gesteigert werden kann.

Aber die Landesregierung ist sich auch bewusst, dass wir möglichst früh die jungen Generationen auf dieses Thema aufmerksam machen wollen. Deswegen sind wir stolz darauf, dass es innerhalb der Landesregierung zu einem gemeinsamen Projekt zwischen Gesundheitsministerium und Schulministerium kommt. Ab sofort wollen wir schon im Schulunterricht für das Thema „Organspende“ werben.

Ich glaube, wir sind, was dieses Thema anbelangt, in Nordrhein-Westfalen auf einem guten Weg und gut aufgestellt. Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 16/10813, den Gesetzentwurf Drucksache 16/10247 unverändert anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf Drucksache 16/10247 mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Enthaltung der Piratenfraktion und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet ist.

Ich rufe auf:

13       Gesetz zum Bürokratieabbau in den Kommunen – Kommunales Bürokratieabbaugesetz

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8649

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/10814

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Koschorreck das Wort.

Elisabeth Koschorreck (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den vorliegenden CDU-Gesetzentwurf haben wir in den Ausschüssen ausführlich und intensiv inhaltlich diskutiert. Deshalb beschränke ich mich in meiner Rede auf drei konkrete Punkte; alles andere ist schon besprochen worden.

Erstens. Wenn man überregulierte Bürokratie abbauen will, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, ist es unbedingt notwendig, zu differenzieren. Der CDU-Gesetzentwurf enthält viel Allgemeines. Er lässt offen, wie Sie sich Bürokratieabbau in den Kommunen konkret vorstellen. Auch in den Beratungen sind Sie ziemlich wage und unbestimmt geblieben.

Zweitens. Sowohl die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände als auch die Stadt Bielefeld begrüßen zwar in ihrer Stellungnahme die Zielsetzung Ihres Gesetzentwurfs, haben aber erhebliche Bedenken, dass diese umgesetzt werden kann.

Mein Kollege Christian Dahm hat bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfs die Frage gestellt, wie Sie sich denn in der Praxis vorstellen, dass Kommunen auf Antrag im Einzelfall von landesrechtlichen Standards befreit werden können. Die Antwort auf diese Frage sind Sie uns leider auch in den Ausschüssen schuldig geblieben.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Es kann doch hoffentlich nicht Ihr Ziel sein, dass wir in Nordrhein-Westfalen zukünftig unterschiedliche Auslegungen oder möglicherweise eine unterschiedliche Aufgabenwahrnehmung haben. Das werden Sie doch wohl mit Ihrem Gesetzentwurf nicht gewollt haben.

Je nachdem, welches Problem man angehen möchte, benötigt man unterschiedliche Instrumente. Nicht überall liegen die Problemlösungskompetenzen bei den Ländern. Hier muss man auch die Bundes- und europäische Gesetzgebung beachten. Hierauf haben die kommunalen Spitzenverbände ebenfalls hingewiesen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, sehr verwundert waren wir über Ihren Hinweis, den Sie im Gesetzentwurf unter den Begriff „Problem und Regelungsbedarf“ gestellt haben. Sie weisen diesbezüglich darauf hin, dass im Jahr 2006 der erste Versuch mit dem Gesetz – damals Standardbefreiungsgesetz genannt – gemacht wurde. Im gleichen Atemzug sagen Sie, dass dieses 2011 wieder außer Kraft gesetzt wurde.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung rufen, warum das Standardbefreiungsgesetz außer Kraft gesetzt wurde. Die Erfahrungen mit dem Gesetz waren äußerst ernüchternd. Die Kommunen haben kaum Gebrauch davon gemacht.

Nun erwarten Sie von uns, liebe Kollegen, dass wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen. Dies ist uns aber aus Gründen, die ich eben genannt habe, nicht möglich.

Gehen Sie doch einmal in die Kommunen und fragen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen, wie es in der Praxis aussieht. Diese werden Ihnen bestätigen, dass bereits jetzt regelmäßige Evaluationsverfahren und Abstimmungsgespräche zwischen Landesregierung, Landesverwaltung und den Kommunalverwaltungen stattfinden. Es findet also ein regelmäßiger Austausch auf Augenhöhe statt.

In der Gemeindeordnung sind vielfältige Experimentierklauseln vorgesehen. Wenn also eine Kommune eine gute Idee hat – auch das haben wir schon in Ausschüssen vorgetragen –, wie sie die Aufgaben besser, kürzer und effektiver erledigen kann, dann wird dies durch die Gemeindeordnung ausdrücklich gestattet.

Sehr verehrter Herr Kollege Nettelstroth, Sie haben bei der Einbringung des Gesetzentwurfes gesagt – Sie erinnern sich vielleicht –:

„Wer von Ihnen perfekt ist, der kann unseren Gesetzentwurf ablehnen.“

Dazu kann ich Ihnen heute nach intensiver Diskussion sagen: Wir nehmen nicht für uns in Anspruch, perfekt zu sein. Gleichwohl nehmen wir für uns in Anspruch, kommunalfreundlich zu sein, zu handeln und das Ohr ganz nah an den Kommunen zu haben. In diesem Sinne muss ich Ihnen mitteilen, dass wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Koschorreck. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Nettekoven das Wort.

Jens-Peter Nettekoven (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine lieben Kollegen! Der Gesetzentwurf zum Bürokratieabbau in den Kommunen – Kommunales Bürokratieabbaugesetz der CDU-Fraktion – jetzt werden die SPD-Kollegen bestimmt klatschen – ist nicht die Lösung aller Probleme unserer Kommunen.

(Minister Ralf Jäger: Wenn es das wäre, dann würden wir uns freuen!)

– Genau. – Das Ziel unseres Gesetzentwurfes ist es, neue Maßnahmen zum Bürokratieabbau zu erproben, auszuwerten und erfolgreiche Modelle für eine landesweite Übernahme zu prüfen. Zu diesem Zweck sollen, sofern die Mehrheit des Hohen Hauses dem zustimmt, für einen begrenzten Zeitraum Abweichungen von Rechtsvorschriften zugelassen werden, um den kommunalen Körperschaften Aufgabenerledigung zu ermöglichen, sie im Einzelfall von kommunalbelastenden, landesrechtlichen Stan-dards zu befreien und zu testen, ob damit Verwaltungsverfahren beschleunigt, vereinfacht und kostengünstiger für die Unternehmen, die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Verwaltung gestaltet werden können.

Sie haben es eben schon gesagt: Ein erster Versuch, diesen rechtlichen Rahmen zu schaffen, erfolgte im Jahr 2006. Das sogenannte Standardbefreiungsgesetz trat am 31. Dezember 2011 außer Kraft. Das MIK urteilte damals, dass die entsprechenden Erfahrungen ernüchternd gewesen seien. Die Kommunen hatten, wie Sie gerade bereits gesagt haben, nur in einem geringen Umfang von den Möglichkeiten des Gesetzes Gebrauch gemacht.

Sie haben eben im Zusammenhang mit den Anhörungen zwei schriftliche Stellungnahmen erwähnt, sind auf die eine aber nicht weiter eingegangen. Sie können sich vorstellen, dass ich aus dieser auch gerne zitieren möchte. Es hat mich sehr gefreut, dass in der schriftlichen Stellungnahme nachdrücklich erwähnt wurde, dass die Verringerung des Bürokratieaufwandes unterstützt wird.

Ich möchte Ihnen noch ein paar Auszüge aus der Stellungnahme vortragen, die Sie eben nicht erwähnt haben. Dabei handelt es sich um die Stellungnahme des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommern.

Der Verband hat von den Erfahrungen mit dem Standarderprobungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern berichtet, welches durch den Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpom-mern angeregt wurde, der auch die Überarbeitung dieses Gesetzes positiv begleitet hat. Ich glaube, allen Anwesenden ist klar, dass das Gesetz nicht der Königsweg für die Entbürokratisierung ist.

Als der Gesetzentwurf eingebracht wurde, wurden zunächst die verschiedenen Flaggen gehisst. Diese sind in Dortmund dann doch nicht im Mai hochgehangen worden, weil man nichts zu feiern hatte. Insofern möchte ich Ihnen von ein paar Beispielen aus Mecklenburg-Vorpommern berichten. In Mecklenburg-Vorpommern konnten durch das Gesetz zum Beispiel bei den Bürgermeisterwahlen verkürzte Wahlzeiten von 9 bis 17 Uhr und andere Erleichterungen in der Wahldurchführung beantragt und auch durchgesetzt werden. Damit konnte insbesondere der Aufwand für das Hauptamt und das Wahlehrenamt reduziert werden, ohne dass die Wahlbeteiligung sank.

Ich möchte Ihnen ein weiteres Beispiel aus diesem wunderschönen Bundesland nennen, auch wenn es sich nur um eine Kleinigkeit handelt. Ich denke aber, dass es auch ein gutes Beispiel ist. Den übergreifenden Zweckverbänden wurde die Möglichkeit gegeben, dem schriftlichen Umlaufverfahren zuzustimmen, womit Sitzungs- und Fahraufwand eingespart wurden. Auch wenn Mecklenburg-Vorpom-mern nicht mit dem schönsten Bundesland NRW zu vergleichen ist, so können wir anhand der positiven Beispiele sehen, dass ein solches Gesetz gut für unser Land und unsere Bürgerinnen und Bürger sein kann.

Wie ich bereits zu Beginn meiner Rede sagte, ist das Gesetz nicht die Lösung aller Probleme in den Kommunen. Das hat die spärliche Inanspruchnahme der Regelung durch die Kommunen in der Vergangenheit gezeigt. Es bietet aber Optionen, von Standards abzusehen und damit kostengünstige, unbürokratische und innovative Lösungen umzusetzen, die sonst das Recht nicht zulässt.

Frau Kollegin, Sie haben eben gesagt, wir sollten Vorschläge machen. Ich denke, Sie haben den Gesetzentwurf gelesen. Darin steht, dass die Kommunen Vorschläge unterbreiten sollen. Ich bin übrigens auch Fraktionsvorsitzender, und zwar in der kleinsten, aber schönsten kreisfreien Kommune Nordrhein-Westfalens, Remscheid bzw., wie Thorsten Legat sagen würde, Remscheid.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in zwei Ausschüssen haben die regierungstragenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen unseren Gesetzentwurf abgelehnt. Die Piraten haben sich enthalten. Mein gestriger Besuch aus Lennep, Herr Brockmann, würde diesem Antrag heute zustimmen. Ich bitte Sie daher, noch einmal darüber nachzudenken. Im Namen der CDU-Landtagsfraktion bitte ich Sie um die Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Herr Nettekoven, es dürfte Ihnen – nach den Beratungen im Finanzausschuss bzw. im zuständigen Fachausschuss, dem Kommunalausschuss – klar sein, wie die Entscheidung ausfallen wird.

Gerne will ich noch einmal auf das Verfahren und auf das eingehen, was vorgetragen worden ist. Wir hatten miteinander eine schriftliche Anhörung vereinbart. Es gab – da haben Sie recht – drei Stellungsnahmen.

Eine kam vom Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern. Interessant fand ich den Hinweis in dieser Stellungnahme: Der vorliegende Gesetzentwurf hat viele Elemente aus Mecklenburg-Vorpommern übernommen. – Andere würden sagen: Es wurde abgeschrieben. Aber egal. Sie erklären, dass der Städte- und Gemeindebund Mecklenburg-Vorpommern dieses Gesetz angeregt hat. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass der vorliegende Gesetzesentwurf vom Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern ausdrücklich begrüßt wird.

Anders sieht es bei der Stadt Bielefeld aus. Der Kollege, der neben Ihnen sitzt, kommt ja aus Bielefeld. In Bielefeld wird ganz deutlich gesagt: Es wird davon abgeraten, dem Vorschlag zu folgen. Bereits jetzt gibt es schon hinreichende Gelegenheiten, Standards zu hinterfragen. Aus Bielefeld wird vorgetragen: Es ist nicht gut, wenn Standards im Nachgang hinterfragt werden. Es ist besser, wenn man es am Anfang macht. Solche Regelungen greifen normalerweise zu spät. Sie bemängeln unter anderem die Darlegungspflicht, die Sie in § 2 Nr. 1 vorgeschlagen haben. Und Sie verweisen auf die bestehende Clearingstelle, die schon jetzt gut funktioniert und wo entsprechende Vorschläge und Erfahrungen aus dem kommunalen Raum eingebracht werden können.

Schauen wir einmal etwas näher – meine Vorvorrednerin hat es schon getan; aber ich will noch einmal tun – auf die Stellungnahme aller drei kommunalen Spitzenverbände. Die sagen ganz deutlich: Nicht die Kommunen, sondern das Land sollte hinterfragen, inwieweit die gesetzten Standards angemessen sind oder auch nicht. Das heißt: Delegiere nicht Verantwortung nach unten. – Sie führen weiterhin aus: Es sollten mehr Selbstverwaltungsaufgaben pflichtiger Art den Kommunen übertragen werden, ohne im Detail zu regeln, wie es ausgeführt wird. Das heißt: weniger Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung.

Sie verweisen darauf, dass der Eindruck, der geschaffen worden ist, unzutreffend ist, dass eine Vielzahl von Landesgesetzen in diesem Zusammenhang überhöhte Standards enthalten, und weisen darauf hin, dass viele Vorgaben nicht der Landesgesetzgeber, sondern der europäische Gesetzgeber oder der Bundesgesetzgeber bestimmt.

Die Entscheidungskompetenz – dabei geht es um die Frage, wie man mit entsprechenden Vorschlägen umgeht, wenn man denn Ihrem Gesetzesentwurf folgt – soll das zuständige Fachministerium treffen. Dazu sagen der Städte- und Gemeindebund, der Städtetag und der Landkreistag: Das, was sie in § 2 Abs. 2 geregelt haben, kann doch wohl nicht wahr sein. Diejenigen, die diese Standards formuliert haben, sollen anschließend entscheiden, inwieweit diese Standards beibehalten werden.

Da gibt es eine ganz klare Interessenkollision – insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass diese Standards im Regelfall im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens im Landtag beschlossen worden sind. Insofern gibt es vermutlich auch keine große Bereitschaft, hier entsprechende Abweichungen vorzunehmen.

Insgesamt wird dieses Vorhaben von allen Beteiligten – mit Ausnahme des Initiators des Gesetzesentwurfes, des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommern – abgelehnt. Die Erfahrungen aus 2006 sind hier bereits vorgetragen worden.

Das Anliegen, was Sie hiermit verfolgen, nämlich Standards zu reduzieren, teilen wir durchaus. Der Weg aber, den Sie hier beschreiten wollten, ist nicht richtig. Er führt nicht zum Ziel. Daher auch die ablehnenden Stellungnahmen und auch unsere ablehnende Einschätzung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Nückel das Wort.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Forderungen nach Normenkontrolle und Bürokratieabbau werden sicher so alt sein wie unsere Verwaltungsstrukturen selbst. Je dichter das Netz von Regulierungen ist, die den Alltag strukturieren, desto lauter sind natürlich auch die Forderungen nach Einfachheit.

Es ist schon ein bisschen paradox, dass wir in einer Gesellschaft leben, die einerseits mit hoffnungslos verschuldeten öffentlichen Haushalten hadert, andererseits aber ständig neue Aufgaben, Pflichten und Standards mit hohen Folgekosten erfindet. Wenn wir es also mit der Konsolidierung der Haushalte ernst nehmen wollen, bleibt uns nur, den Teufelskreis zu durchbrechen.

Lippenbekenntnisse gibt es freilich genug. Manchmal werden auch vollmundige Bürokratieabbauinitiativen gestartet. Leider kommt bei solchen Top-down-Vorgängen nur selten etwas Nützliches heraus. Im Rahmen großer Reformprojekte findet sich ja immer jemand, dessen Pfründe in Gefahr sind und der bis ins kleineste Detail darlegen kann, warum gerade sein Standard keinesfalls angetastet werden darf. Diese Erfahrung zeigt: Es ist sinnvoll den entgegengesetzten Weg zu gehen und auf Veränderung von unten zu setzen. Für eine solche Bottom-up-Entwicklung liegt uns heute ein Gesetzentwurf zur Abstimmung vor.

Was die CDU vorgelegt hat, ist nicht ganz frisch, vielleicht auch alter Wein in neuen Schläuchen. Guter Wein reift aber auch mit dem Alter. Die Union reaktiviert gewissermaßen den Vorschlag einer guten Initiative aus der 14. Wahlperiode und vergisst dabei auch nicht, Erfahrungen, die damals in der Anwendungsphase gemacht worden sind, in ihrem Entwurf zu berücksichtigen.

Im Kern geht es natürlich um die Frage: Müssen bestimmte kommunale Aufgaben zwingend überall auf die gleiche Art und Weise erledigt werden? Ist es nicht sinnvoll, gemeindeindividuelle Lösungen zuzulassen, solange der jeweilige Normenzweck erfüllt wird? – Wir Freien Demokraten sind davon auf jeden Fall überzeugt.

(Beifall von der FDP)

Wir sind oft mit einem Wust von fachlichen Regelungen konfrontiert. Vieles ist bis ins kleinste Detail vorgegeben. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet deshalb nicht zuletzt auch einen Beitrag zur Revitalisierung der kommunalen Selbstverwaltung.

Aber – das wurde hier schon erwähnt – niemand ist so naiv, zu glauben, dass sich alles auf einen Schlag in idealer Weise verändert. Denn vieles, was unsere Städte und Gemeinden bei der Art und Weise ihrer Leistungserbringung handlungsleitend strukturiert, findet seine Vorgabe in bundes- und europarechtlichen Vorgaben. Aber ich glaube, der erste Schritt in die richtige Richtung ist getan.

Kreative Überlegungen, welche Aufgaben sich auf alternativem Wege erledigen lassen könnten, sind nicht immer leistbar. Deshalb stellt die nicht zum Standard gehörende Antragstellung sicherlich eine Barriere für einige Kommunen dar. Aber eine beratende Funktion der kommunalen Spitzenverbände, gepaart mit einem stellvertretenden Antragsrecht, kann hier Abhilfe schaffen. Die regelmäßige Prüfungs- und Beitragspflicht rundet den Gesetzentwurf, wie wir finden, ab. So hat der Landtag Gelegenheit zum Nachjustieren oder für flankierende Hilfestellung.

Entscheidend ist nur, was die Kommunen daraus machen. Proaktive Beratungsangebote und die begleitende Beseitigung bundesgesetzlicher Hemmnisse für den Standardabbau müssen dann natürlich einen Beitrag leisten. Wir stimmen deswegen dem Gesetzentwurf zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer und Zuschauerinnen auf der Tribüne und natürlich im Livestream! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der CDU-Fraktion möchte man Deregulierung und Bürokratieabbau Vorschub leisten. Das ist ein hehres Ziel. Kollege Nückel hat gerade schon ausgeführt, wie oft das eigentlich eher zum Scheitern neigt als zum Gelingen des Ganzen.

Trotzdem muss man das Ziel weiterverfolgen. Da kann es auch ein Weg sein, dass man mehr Erprobung zulässt oder auch mal den einen oder anderen Standard aussetzt. Man kann es vielleicht auch nur kommunal – örtlich sehr begrenzt, aber vom Land begleitet – und dann über eine genormte Berichtspflicht an die Landesregierung greifbar machen, dass man eine einzelne Lösung von vor Ort eventuell auf das ganze Land umleiten kann.

Das alles sind gute Ziele, und ausprobieren kann man vieles. Allerdings haben die Stellungnahmen der eben schon angesprochenen kommunalen Spitzenverbände und auch das andere Gutachten gezeigt, dass der Plan der Entbürokratisierung mit diesem Gesetzentwurf wahrscheinlich so einfach nicht zu erreichen ist.

Das Ziel kann man unterstützen, aber das Wie wird hier nicht wirklich zielgerichtet dargestellt. In einem ersten Schritt müssten verschiedene Standards überprüft werden. Das soll eigentlich das Land machen. Das steht im Gesetzentwurf aber noch nicht drin; das hätte man zumindest hineinschreiben müssen.

Dann müsste man auch sehr deutlich machen, mit welchem Standard man anfangen will. Man kann nicht sagen: Wir öffnen das jetzt und schauen mal, was die Kommunalen machen. – Man hätte sich für eine solche Erprobung vielleicht eine Sache heraussuchen und sagen müssen: Das testen wir jetzt in drei verschiedenen Kommunen und schauen, ob es Sinn macht, einen Standard zu verändern. Um es an einem solchen Best-Practice-Beispiel zu sehen, macht eine generelle Öffnungsklausel Sinn. Auch das lässt der Gesetzentwurf vermissen.

Mehr Handlungsfähigkeit und Gestaltungskompetenz bei den Kommunen anzusiedeln – da sind wir gern dabei. Das halten wir für extrem sinnvoll. Nirgendwo ist man so gut und so sicher aufgestellt wie bei unseren Kommunen, wenn es darum geht, passende Lösungen vor Ort zu erarbeiten. Das sehen wir vielfach bei der Zusammenarbeit, zum Beispiel in den Jobcenterbeiräten. Das funktioniert mit den Unternehmen und den Jobcentern vor Ort erheblich besser, als wenn wir jetzt etwas über das ganze Land kippen würden.

Wir stehen also gerade in den Kommunen hinter dieser individuellen Lösung. Doch in Ihrem Gesetzentwurf ist da zu wenig Fassbares. Sie machen den Vorschlag, bestimmte Dinge zu ermöglichen, und an die Landesregierung müssten genormte Berichtspflichten vollführt werden. Aber welchen Tatbestand oder welchen Standard Sie genau meinen, das sparen Sie aus; da sind Sie zu wenig konkret. Deshalb sagt selbst der kommunale Spitzenverband aus Mecklenburg-Vorpommern: Dieser Gesetzentwurf – der ja von dort stammt – ist nicht der Königsweg.

Ich finde die Intention grundsätzlich gut, aber die Umsetzung ist nicht ganz so gut. Ich glaube, das können Sie besser. Wenn Sie das Gesetz aus Mecklenburg-Vorpommern genommen und wirklich konkret mit den Erfahrungen von dort überarbeitet hätten, dann wäre es vielleicht eine Chance gewesen, für Nordrhein-Westfalen eine Lösung anzubieten.

So kann ich der Intention gut folgen, finde ich auch klasse, nur die Umsetzung ist nicht so gut. Von daher kann ich meiner Fraktion nur eine wohlwollende Enthaltung ans Herz legen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Landesweite Standards festzulegen, ihre Notwendigkeit, ihre Verhältnismäßigkeit immer wieder neu zu prüfen, sie neu zu beschließen, das ist die Aufgabe des Gesetzgebers. Dieses Recht sollten sich kein Landtag und keine Landesregierung nehmen lassen. So sehen das auch die kommunalen Spitzenverbände, die große Bedenken haben, die Prüfung auf die Kommunen zu übertragen.

Insofern schließt sich die Landesregierung dem Votum der Ausschüsse an. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt in Drucksache 16/10814, den Gesetzentwurf Drucksache 16/8649 abzulehnen.

Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dann stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf Drucksache 16/8649 mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU und FDP bei Enthaltung der Piratenfraktion und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd abgelehnt und damit in zweiter Lesung endgültig behandelt ist.

Ich rufe auf:

14       Gesetz über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen (Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen-gesetz – FwKatsEG – NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8933

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/10815

zweite Lesung

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich darauf verständigt, ihre Reden  zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 1)

 

Wir kommen somit unmittelbar zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 16/10815, den Gesetzentwurf Drucksache 16/8933 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/10815 und nicht über den Gesetzentwurf. Wer der genannten Beschlussempfehlung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass die Beschlussempfehlung Drucksache 16/10815 mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und Piratenfraktion bei Enthaltung des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/8933 in der Fassung der Beschlussempfehlung in zweiter Lesung verabschiedet ist.

Ich rufe auf:

15       Gesetz zur Änderung des Landesbeamtenversorgungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10493

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort. Bitte, Herr Minister.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will es kurz machen. Wir haben, glaube ich, gemeinsam für das Jahr 2015, aber auch für das Jahr 2016 eine Menge getan, um im Haushalt Vorsorge dafür zu treffen, dass Menschen, die auf der Flucht zu uns kommen, versorgt und untergebracht werden können, dass wir etwas für Integration tun können. Aber dazu ist nicht nur Geld im Haushalt notwendig, dazu sind auch Strukturen notwendig.

Es gibt eine unglaubliche Bereitschaft von Menschen, die im Ehrenamt ihre Hilfe anbieten und sich zur Verfügung stellen. Mit ebenso guter Erfahrung können wir feststellen, dass sich auch viele Personen aus der Landesverwaltung gemeldet haben, um ihre Kompetenz im Organisieren, im Strukturieren mit einzubringen. Gerade das Zusammenspiel aus hohem Engagement und hoher Hilfsbereitschaft, der Kenntnis von Strukturen und dem Kontakt zu Behörden ist genau das, was diese Initiativen auf den richtigen Weg bringen können.

Nun gibt es das Problem, dass Pensionäre, die bereit sind, sich mit einzubringen, ihr zusätzliches Einkommen nur dann behalten können, wenn sie etwas für einen privaten Veranstalter machen. Die Hinzuverdienstmöglichkeiten werden ihnen aber ab einer gewissen Grenze abgeschnitten, wenn sie in einer Landes- oder einer kommunalen Einrichtung tätig sind.

Das Gesetz, das wir jetzt einbringen, ist zeitlich befristet und ausschließlich auf das Ziel der Hilfe im Zusammenhang mit der Unterstützung von Flüchtlingen beschränkt. Es ist eine Aufweitung der Hinzuverdienstmöglichkeiten, und zwar schlicht und ergreifend dergestalt, dass die Einkünfte, die bis zum Ende des Jahres 2017 im Zusammenhang mit der Hilfe in und für Flüchtlingseinrichtungen erzielt werden, nicht als Erwerbseinkommen zählen. Ansonsten wird alles so behandelt, wie es bisher auch der Fall ist. Dafür bitten wir um die Unterstützung des Landtags. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen. Wir kommen somit unmittelbar zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/10493 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Innenausschuss. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Ist jemand dagegen oder enthält sich der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

16       Gesetz zur Änderung wasser- und wasserverbandsrechtlicher Vorschriften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10799

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Landesregierung Herrn Minister Remmel das Wort. Bitte, Herr Minister.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Anfang meiner Einführung zur parlamentarischen Beratung des Landeswassergesetzes und der wasserverbandsrechtlichen Vorschriften steht eine schlechte Nachricht. Die Bundesregierung hat über den Stand der erreichten Ziele der Wasserrahmenrichtlinie berichtet. Bundesweit wurde in 82 % der Oberflächenwasserkörper der gute ökologische Zustand nicht erreicht. Dies haben wir in der letzten Woche auch ausführlich im Umweltausschuss diskutiert.

Mit dem Entwurf des Landeswassergesetzes legt die Landesregierung eine aus verschiedenen Gründen – gerade auch dem unzureichenden Zustand unserer Gewässer geschuldet – dringend erforderliche grundlegende Überarbeitung des Landeswassergesetzes vor. Die Neuordnung des Bundeswasserrechtes im Jahr 2010 – nach der Föderalismusreform 2006 – erfordert zwingend eine vollständige Neuordnung des Landeswassergesetzes.

Vieles, was wir in der Vergangenheit in guter Tradition gelebt haben und was sich bewährt hat, wird – manchmal leicht modifiziert selbstverständlich – weitergeführt. Nordrhein-Westfalen – das möchte ich an dieser Stelle unterstreichen – war immer ein Land mit einem anspruchsvollen Wassergesetz, und zwar über alle Fraktionen und politischen Parteien hinweg. Denn Nordrhein-Westfalen unterscheidet sich in vielen Dingen von anderen Bundesländern, so auch in den Rahmenbedingungen der Wasserwirtschaft.

So dicht wie in Nordrhein-Westfalen lebt – mit weitem Abstand – keine Bevölkerung in einem anderen Bundesland; wir sind das am dichtesten besiedelte Bundesland. Das hat Folgen. Die Konflikte bei der Nutzung der Flächen sind in Nordrhein-Westfalen weit größer als in anderen Ländern. Der Druck auf die Fläche ist hoch; wir haben es mehrfach diskutiert.

18 Millionen Menschen brauchen aber eben auch eine intakte Umwelt, ein lebendiges Gewässer, und nicht nur Möglichkeiten zur Versorgung sowohl der Produktion als auch der Wirtschaft.

Nordrhein-Westfalen hat aber zugleich doppelt so viele Betriebe, die mit relevanten Umweltschadstoffen umgehen, wie Bayern, und anderthalb mal so viele wie Baden-Württemberg. Entsprechend hoch ist die Anzahl der in Gewässer einleitenden Betriebe mit erheblich belasteten Abwässern.

Gleichzeitig gewinnen wir – und das ist auch eine Besonderheit für die Bundesrepublik – in Nordrhein-Westfalen unser Trinkwasser zu 60 % aus Oberflächengewässern; das ist weit mehr als sonst in der Republik. Deshalb gibt es hier auch die Notwendigkeit, das Ganze besonders zu schützen; denn es geht darum, das wichtigste Lebensmittel, das wir haben – unser Trinkwasser – auch zukünftigen Generationen in einem guten Zustand zu überlassen.

(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])

Das Gleiche gilt natürlich für das Reservoir, das im Boden enthalten ist: unser Grundwasser. Hierauf gilt es unser besonderes Augenmerk zu richten, wenn Einleitungen getätigt werden, die zu einer dauerhaften Belastung unseres Grundwassers führen, wie wir an einigen Messstellen feststellen können.

Diese Erkenntnisse haben alle Landesparlamente und Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten geleitet und zu entsprechenden Regelungen geführt. Es muss eine ausreichende gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die Gewässer in Nordrhein-Westfalen darüber hinaus wieder lebendig zu machen, die in der Vergangenheit – teilweise jedenfalls – industriepolitisch überformt und zum Teil auch deformiert worden sind.

Es geht also darum, unsere Lebensadern – und das sind die Gewässer, weil sie verschiedene Biotope miteinander verbinden und dadurch Austauschmöglichkeiten gewährleisten – als wichtigen Lebensraum für Flora und Fauna wieder dauerhaft zur Verfügung zu stellen. Um es weniger prosaisch auszudrücken: Es gibt eine europarechtliche Anforderung, die genau das formuliert, und zwar die Wasserrahmenrichtlinie, an die sich auch das Land Nordrhein-Westfalen halten muss. Zentral ist dabei, die Gewässer wieder in einen guten ökologischen Zustand zu führen.

Mittlerweile haben wir schon 15 Jahre in diesem Rahmen gelebt. Aber offenkundig verläuft die Umsetzung der Bewirtschaftung zur Erreichung dieser Vorgaben ausgesprochen schleppend. Das hat viele Ursachen. Einigen jedenfalls wollen wir mit neuen gesetzlichen Grundlagen entgegenwirken, um hier eine Verbesserung zu erreichen.

Auch die Sicherung des Standards der kommunalen Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung bedeuten ein wichtiges Themenfeld mit immer neuen Herausforderungen. Hier ist als wichtige Regelung die Ermächtigung zum Erlass einer Landesverordnung zum Standardsetzen im Hinblick auf Wasserschutzgebiete zu nennen. Da haben wir immer mit landesweit unterschiedlichen Standards gearbeitet. Ich denke aber, dass es besser ist, diese zu vereinheitlichen, weil die Anforderungen an die Gewässer überall gleich zu formulieren sind.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ihre Redezeit, Herr Minister.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Meine sehr verehrte Damen und Herren! Umfangreiche Arbeiten, auch im Rahmen der Verbändeanhörung, liegen hinter uns. Jetzt ist das Parlament an der Reihe zu beraten. Ich hoffe auf eine gute Beratung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Meesters.

Norbert Meesters (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserem Koalitionsvertrag steht sozusagen als Überschrift zum Landeswassergesetz: NRW lebenswert erhalten – natürliche Ressourcen schützen.

Der Schutz des Wassers – unseres Grundwassers, unseres Trinkwassers – hat in der öffentlichen Diskussion eine hohe Priorität. Viele Menschen sorgen sich um die Qualität ihres Trinkwassers. Es wächst der Druck auf uns, auf die Politik, für sauberes, für gesundes Wasser zu sorgen. Die Menschen in NRW fordern uns auf, endlich zu handeln – und das mit Recht.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Mit einer Novelle des Landeswassergesetzes wollen wir deshalb die landesrechtlichen Handlungsspielräume, die uns der Bund dort lässt, zur Verbesserung der Wasserqualität nutzen.

Wir diskutieren bald noch ein weiteres Gesetz an: das Naturschutzgesetz. Es gibt in der bisherigen Diskussion einen Unterschied, den ich zum Naturschutzgesetz sehe. In den Gesprächen mit den Verbänden erkenne ich nur wenige Knackpunkte. Es gibt eine grundsätzliche Akzeptanz, dass der Landesgesetzgeber seine Spielräume nutzt. Die meisten der Anpassungen und Regelungen, die der Minister gerade summarisch aufgeführt hat, sind relativ unstrittig. Ich werde bei der Einbringung jetzt auch gar nicht weiter darauf eingehen, werde aber im Laufe des Verfahrens die wertvollen Hinweise, die wir noch bekommen werden, aufgreifen und das eine oder andere einbringen.

Auf zwei umstrittene Regelungen will ich jedoch etwas ausführlicher zu sprechen kommen, weil sie wichtig sind, wenn wir über gutes Trinkwasser reden, und weil sie zeigen, dass wir das Ganze vernünftig und praktikabel geregelt haben.

Der eine Punkt betrifft die Gewässerrandstreifen in § 31, wo wir als Land grundsätzlich abweichende Regelungsmöglichkeiten haben. Zweck ist die Erhaltung und Verbesserung der ökologischen Funktionen oberirdischer Gewässer, vor allem der Verminderung von Stoffeinträgen aus der Landwirtschaft.

Der Bericht „Nitrat im Grundwasser“, den wir alle kennen, zeigt, dass in den landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten in Nordrhein-Westfalen die Nitratkonzentrationen seit über 20 Jahren gleichbleibend hoch oder sogar steigend ist. Wir können sagen: Für 40 % der Gewässer gilt: Kein guter Zustand, kein gutes ökologisches Potenzial, kein guter chemischer Zustand. Das ist eben auch die Grundlage, warum wir es für erforderlich halten, hier entsprechende Regelungen zu treffen.

Maßgeblich sind dabei Daten und Fakten, jedoch keine Ideologie. Deswegen gibt es ab 1. Januar 2022 die Gewässerrandstreifen mit erhöhten Anforderungen auf fünf Metern bei den Fließgewässern, die die Umweltqualitätsnormen verfehlen. Da müssen wir etwas tun, und das betrifft ca. 0,8 % der landwirtschaftlichen Fläche in NRW.

Noch einmal: Wichtig ist, dass die Regelungen nur da greifen, wo die Bewirtschaftungsziele verfehlt werden. Diese Übergangsfrist bis zum Jahr 2022 gibt eben die Möglichkeit, das „NRW-Programm Ländlicher Raum 2014 – 2020“ zu nutzen. Die Förderung von Agrarumweltmaßnahmen gibt auch den Landwirten eine reelle Chance auf positiv wirkende Umstellung der Bewirtschaftung.

Als zweiten Punkt möchte ich die Wasserschutzgebiete ansprechen, und hier insbesondere den § 35. Hier sollen – der Minister sagte es bereits – allgemeine landesweite Schutzgebietsstandards definiert werden. Dazu gehört auch das Verbot der oberirdischen Gewinnung von Bodenschätzen – Kies, Ton, Quarz, Sand und Kalk –

(Beifall von Dagmar Hanses [GRÜNE])

als vorsorgender Schutz der Wasserversorgung, und zwar als einheitliche Grundregelung für NRW. Es ist auch gut so, das einheitlich zu regeln.

Trotzdem wird die Rohstoffgewinnung in Nordrhein-Westfalen weiterhin möglich sein; denn in Zukunft wird die Praktikabilität des Verbotes durch Ausnahme- und Übergangsregelungen gewährleistet sein: Fachlich begründete Ausnahmeregelungen werden wie bisher durch die zuständige Wasserbehörde im Rahmen einer Wasserschutzgebietsverordnung ge-währleistet.

Befreiungen sind im Einzelfall also nach einer Prüfung und mit guter Begründung möglich, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist. Die Sicherung des rechtlichen Besitzstandes wird im § 125 gewährleistet, sodass die derzeitigen Regelungen in den Wasserschutzgebietsverordnungen fortwirken, und zwar in den BSAB-Gebieten bei bereits genehmigten und in Genehmigung befindlichen Abgrabungen.

Noch einmal: Ich habe diese beiden Regelungen erwähnt, weil sie wichtig sind, und auch, weil sie aufzeigen, dass wir in diesem Gesetz nichts kaputtregeln, sondern praktikable Lösungen finden, um ein Problem, das wir im Bereich „Trinkwasser“ haben, vorsorglich und verantwortlich anzugehen.

Über alle weiteren Dinge werden wir im Fachausschuss beraten. Ich freue mich nun auf das weitere Verfahren und die Beratungen dort und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Meesters. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Deppe.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wasser ist die Grundlage des Lebens auf unserem blauen Planeten. Es ist Lebensmittel und Lebensraum, und es ist in unserem Bundesland landschaftsprägend. Nicht zuletzt ist Wasser auch ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Der Rhein direkt vor diesem Hohen Hause ist eine der wichtigsten Wasserstraßen in Europa.

H2O ist auch ein wichtiger Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Bundeslandes. Der vorliegende Entwurf für ein Landeswassergesetz versucht, zumindest einigen dieser unterschiedlichen Funktionen gerecht zu werden, greift aber gleichzeitig erheblich in verschiedene Bereiche ein. Der Gesetzentwurf ist ein weiterer Baustein für mehr Staat, mehr Dirigismus und für nordrhein-westfälische Sonderwege, und vor allem ist er wiederum die Grundlage für den Erlass neuer Verordnungen.

(Beifall von der CDU)

Bei der Lektüre der 541 Seiten fragt man sich, warum die Mehrheitsfraktionen eigentlich nicht direkt alle Zuständigkeiten an den Umweltminister abgeben. Die Fülle der Verordnungen, die ohne Zustimmung des Parlaments erlassen werden können, ist wirklich erstaunlich.

Wie wenig Sie auf die Bewertung anderer Wert legen, zeigt der erneute Umgang mit der Clearingstelle Mittelstand. Der Wirtschaftsminister ist leider nicht da. Herr Duin, meinen Sie nicht – ich hoffe, es wird ihm ausgerichtet –, es sei an der Zeit, sich dagegen zu wehren, dass Ihnen der Umweltminister ständig die Butter vom Brot nimmt?

(Beifall von der CDU)

Dieses Gesetz ist eindeutig mittelstandsrelevant, und deshalb gehört es auch in die Clearingstelle.

(Beifall von der CDU)

Einen weiteren Verdacht sollten Sie schnellstens ausräumen: Im Landesentwicklungsplan wurden mühsam ein paar der schlimmsten Auswüchse relativiert. Jetzt dürfen diese Dinge nicht über den Umweg von Fachgesetzen wieder hineinkommen. Das ist dann nicht in Ordnung.

Erneut können Sie dem Versuch nicht widerstehen, den Staatsanteil an Grund und Boden weiter zu vergrößern. Auf erhebliche Kritik stößt die erneute Ausweitung des Vorkaufrechts für die öffentliche Hand. Man hat den Eindruck, Sie schaffen neue Gebietskategorien, um die Gebiete anschließend günstig in das Eigentum des Landes überführen zu können. Im Einzelfall mag der Kauf von Grundstücken für öffentliche Zwecke sinnvoll sein – aber bei jedem See, jedem Ufergrundstück und jedem Überschwemmungsgebiet die Hand auf das private Eigentum zu legen, das geht entschieden zu weit!

(Beifall von der CDU)

Noch leben wir in einem Bundesland, in dem das private Eigentum Vorrang vor Staatsbesitz hat.

Entgegen dem Bundesrecht verdoppeln Sie die Breite der Randstreifen an den Gewässern. 23.800 km Fließgewässer und 25 Seen wären von dieser Regelung betroffen. Nach Ihren Angaben wären das weitere 24.000 ha landwirtschaftlicher Fläche. Umgerechnet auf Ihr Ziel von 5 ha Flächeninanspruchnahme pro Tag dürften 13 Jahre lang keine weiteren Flächen in Anspruch genommen werden – so viel einmal zur Größenordnung der von Ihnen beabsichtigten Maßnahme.

Im Vergleich zu anderen Bundesländern schädigen Sie die betroffenen nordrhein-westfälischen Landwirte sogar doppelt: Sie nehmen ihnen nicht nur die Fläche weg, sondern auch noch die Fördermöglichkeit aus der zweiten Säule. Herr Remmel, Ihre Beteuerungen aus der Biodiversitätsstrategie sind schon nach Jahresfrist nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind.

(Beifall von der CDU)

Diesen tiefgreifenden Eingriff in das Eigentum lehnen wir entschieden ab.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, die Kommunen beklagen die erneute Zunahme von Bürokratie. Sie warnen vor einer wahren Konzeptflut, vor neuen Plänen und – wörtlich – vor einer rot-grünen Datensammelleidenschaft.

Laut Ihrem Gesetzentwurf gehört zum Wasserkreislauf beispielsweise auch das Geschehen außerhalb von Gewässern. Nehmen Sie die Kommunen nach dem Katzenzählen jetzt auch noch für das Zählen von Regenwolken in Anspruch?

(Norbert Meesters [SPD]: Da fällt mir kein Zwischenruf mehr ein!)

Wir brauchen mehr Hochwasserschutz und mehr Umsetzung statt neuer Bürokratie!

(Beifall von der CDU)

Bei allen berechtigten Anliegen des Gewässerschutzes müssen die Kosten für Bürger, Wirtschaft und Staat im Rahmen bleiben. Sechs Seiten Ihres Einführungstextes widmen Sie den Kosten. Dabei gibt es da keine einzige Zahl, sondern nur unklare Aussagen. Entweder schreiben Sie: „Der Aufwand wird durch Gebühren abgedeckt“, oder: „Die Kosten können noch nicht abgeschätzt werden.“ Die Vermutung bleibt: Am Ende wird es für die Gebühren- und Steuerzahler wieder richtig teuer werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Markert. Bitte schön.

Hans Christian Markert (GRÜNE): Lieber Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Menschengedenken wird kulturübergreifend nicht daran gezweifelt, dass Wasser ein absolut bedeutendes Element ist. Es war der griechische Philosoph Thales von Milet – ich habe das hier schon einmal gesagt –, der Wasser als den „Ursprung aller Dinge“ bezeichnet hat.

Herr Deppe, Sie haben zumindest am Anfang Ihrer Rede darauf hingewiesen und damit im ersten Augenblick die Hoffnung genährt, dass wir uns da einig werden könnten. Ich komme darauf aber gleich zurück. Die Hoffnung wurde leider wieder einmal enttäuscht.

Wasser ist deswegen so bedeutend, weil es in unserem Leben eine Funktion hat, die unser Überleben sichert. Neben der Temperatur ist es der entscheidende Faktor, das wissen wir heute, für das Überleben der Menschheit.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir dem Schutz des Wassers eine so hohe Bedeutung beimessen. Wasser ist nämlich zugleich gefährdet. Das ist bedauerlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir jeden Tag anderthalb bis zwei Liter Trinkwasser zu uns nehmen sollten, um gesund zu leben. Wir brauchen also gesundes Trinkwasser.

Der Minister hat vorhin in seinen Ausführungen darauf hingewiesen: In Nordrhein-Westfalen gewinnen wir zum Teil aus Grundwasser, aber zu einem großen anderen Teil auch aus den Oberflächengewässern – nämlich zu 60 % – unser Trinkwasser.

Deswegen ist es aller Mühe wert, sich den Herausforderungen zu stellen. Das will dieser vorgelegte Gesetzentwurf. Er will sich den modernen Herausforderungen beim Gewässerschutz stellen. Er will zugleich allerdings auch darauf hinweisen und ermöglichen, die Handhabbarkeit der heutigen Gesetzgebung zu vereinfachen. Jeder, der einmal mit den Wassergesetzen – mit dem Landeswassergesetz, mit den Durchführungsverordnungen – zu tun gehabt hat, weiß, was für ein Wälzer das ist. Deswegen ist es für diejenigen, die damit tagtäglich umgehen müssen, gut, wenn die Lesbarkeit befördert wird.

Ich möchte aber ausdrücklich noch ein paar Stichworte nennen. Wir werden uns in den nächsten Wochen und Monaten in den Fachberatungen damit auseinandersetzen:

Auf den ersten Blick sind unsere Flüsse, unsere Gewässer ähnlich rein wie dieses Glas voll Wasser. Man kann durchschauen. Auf den zweiten Blick wissen wir aber, dass wir moderne, neue Herausforderungen zu bewältigen haben. Denken Sie an die Belastungen durch Mikroplastik. Der Film „Plastic Planet“ – ich habe gerade noch mit Sigrid Beer darüber gesprochen – veranschaulicht das ganz hervorragend: Mitten irgendwo auf dem Pazifik ein Segelschiff. Es wird eine Wasserprobe genommen. Das Meer sieht von oben betrachtet blau aus, so, wie wir unseren Planeten aus dem All gern sehen. Dann wird dieses Planktonnetz herausgezogen, und hinten können wir ein Glas voll Wasser mit ganz vielen Kunststoffabfällen sehen.

Unsere Kläranlagen sind nicht in der Lage, diese Plastikabfälle herauszufiltern. Sie müssen modernisiert werden. Am besten fangen wir nicht erst am Ende der Aufbereitung an zu schützen und zu klären, sondern wir müssen vermeiden. Wir müssen bei den Ursachen anfangen. Mir erschließt sich nicht, warum in vielen Kosmetika, in vielen Reinigungs- und Hygieneartikeln heute Plastikpartikel als Scheuermittel enthalten sein müssen. Sieben Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika haben das übrigens inzwischen verboten.

Die zweite große Herausforderung ist die Medikamentenbelastung. Übrigens, wenn wir allein an die 600 Tonnen pro Jahr an Antibiotika denken, die in unserem Wasser landen und die wir auch herausfiltern müssen, müssen wir uns auch vergegenwärtigen, dass diese 600 Tonnen Antibiotika aus der Humanmedizin noch um das Dreifache übertroffen werden durch die Einführungen und Einträge von Antibiose aus der industrialisierten Landwirtschaft. Annähernd 1.800 Tonnen pro Jahr prophylaktische Tierversorgung! Das hat eben auch seine Konsequenzen: die Nitrateinträge, die Düngereinträge aus der industrialisierten Landwirtschaft, auch aus den Biogasanlagen.

Wir haben gerade in diesen Tagen einen Skandal – Herr Deppe, wir haben das im Umweltausschuss behandelt – an der Emmer, in die tagelang Einträge über einen landwirtschaftlichen Abwasserkanal hineingeflossen sind. Die Emmer ist auf anderthalb bis zwei Kilometern biologisch einfach tot. Das können wir nicht ignorieren. Da müssen wir anpacken.

Deswegen ist es auch richtig, uns den Themen beim Landeswassergesetz zu stellen – ambitioniert zu stellen – und die Gewässerrandstreifen zu diskutieren. Das ist eine Chance für den ländlichen Raum. Die 130.000 Angler, die da auch leben, warten darauf, dass wir hier Lösungen finden. Die Menschen, die da Erholung suchen, warten darauf, und die Menschen, die jeden Tag einen guten Schluck Trinkwasser aus der Leitung trinken wollen, warten auch darauf. Stellen wir uns also diesen Herausforderungen.

Herr Deppe, weil Sie eben von Eigentum gesprochen haben – Herr Präsident, ich komme zum Ende –: Eigentum verpflichtet auch. Wer Landwirtschaft betreibt, sollte sie in Zukunft auch so betreiben, dass wir unser Trinkwasser weiterhin genießen können. – Herzlichen Dank und gute Beratungen im Ausschuss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Markert. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Busen das Wort.

Karlheinz Busen (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Wassergesetz ist etwas gelungen, was bei anderen Gesetzen von Herrn Minister Remmel nicht gelungen ist. Der Druck von den Industrieverbänden, von den Gewerkschaften und auch von der FDP hat zu einem Einlenken der Landesregierung geführt.

(Zuruf von der FDP: Sehr gut! – Zuruf von der SPD: Was die FDP geleistet hat!)

Der Bestand der Rohstoffindustrie in Nordrhein-Westfalen konnte durch die Änderung von § 35 damit gesichert werden. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Erfolg für den Wirtschaftsstandort in Nordrhein-Westfalen, der seit Jahren unter dem rot-grünen Verbots- und Regulierungswahn beim Klimaschutz, beim Naturschutz oder bei Infrastrukturmaßnahmen leidet.

Trotzdem wird das neue Landeswassergesetz auch nach dem vorliegenden Entwurf zu erheblichen Bewirtschaftungseinschränkungen führen, etwa bei der Ausweitung – das ist hier mehrmals angesprochen worden – der Gewässerrandstreifen, der Beschränkung des Eigentümer- und Anliegergebrauchs, der Schaffung von Vorkaufsrechten, einem grundsätzlichen Abgrabungsverbot in Wasserschutzgebieten sowie der grundsätzlichen Befristung von Genehmigungen. Das sind ein weiterer Ausbau an Bürokratie, Bevormundung und ein bereits seit längerem feststellbarer mangelnder Respekt vor dem Eigentum, zum Beispiel bei den Gewässerrandstreifen.

Die Gewässerrandstreifen sollen von 5 m auf 10 m ausgeweitet werden. Wen trifft diese Maßnahme am härtesten, Herr Minister? Das sind die kleinen Betriebe, die Familienbetriebe, die Sie angeblich immer besonders stützen und schützen wollen. Wenn bei einem kleinen Hof von ungefähr 20 Hektar dadurch nur ein Hektar wegfällt, kann das schon richtig wehtun. Damit bleiben Sie weiterhin leider der Totengräber der kleinen bäuerlichen Familienbetriebe.

(Beifall von der FDP – Zuruf: Oh!)

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Busen. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem neuen Landeswassergesetz haben wir jetzt eine lohnende Herausforderung vor uns. Die europäische Wasserrahmenrichtlinie vereinheitlicht das europäische Wasserrecht und setzt den Mitgliedstaaten ein klares Ziel. Die Gewässer sollen innerhalb festgelegter Fristen bestimmte Umweltziele und den guten ökologischen Zustand erreichen. Eine Verschlechterung des Zustands ist zu vermeiden. Dabei verfolgt die Richtlinie einen ganzheitlichen Ansatz. Flüsse, Seen, Küsten, Gewässer und Grundwasser sind als zusammenhängende Gewässersysteme zu betrachten und sollen grenzüberschreitend geschützt werden.

Dabei soll der gute ökologische und chemische Zustand aller natürlichen Oberflächengewässer, Grundwässer sowie der künstlichen und natürlichen, aber auch der erheblich veränderten Gewässer in der EU erreicht werden. In allen Gewässern sollen wieder möglichst naturnahe Strukturen herrschen, wenig Schadstoffe vorkommen und damit auch die typischen Tiere und Pflanzen dort wieder leben können.

Das Wasserrecht, das bundesdeutsche Wasserhaushaltsgesetz, wurde durch diverse Änderungen, zuletzt durch eine Verordnung 2015 geändert. Daher muss das Landeswassergesetz in Nordrhein-Westfalen an das neue Wasserhaushaltsgesetz angepasst werden. Und das enthält jetzt zahlreiche Regelungsoptionen und Öffnungsklauseln für die Länder. Dadurch ermöglicht es ergänzende oder abweichende Landesregelungen.

Diese Möglichkeiten müssen mit dem Landesgesetz zur Konkretisierung und Verbesserung zum nachhaltigen Gewässer- und Grundwasserschutz jetzt genutzt werden. Denn der gute ökologische Zustand wird bisher nur im einstelligen Prozentbereich erreicht. Der gute chemische Zustand wird flächendeckend verfehlt. Man betrachte die Nitratbelastung: Deutschland hat nach Malta die höchste Nitratverschmutzung des Grundwassers innerhalb der EU.

In Nordrhein-Westfalen können deshalb bereits aus rund 40 % aller Grundwasservorkommen ohne entsprechende Aufbereitung kein Trinkwasser mehr gewonnen werden. Auch mehrere Tausend Hausbrunnen in Nordrhein-Westfalen überschreiten den EU-Grenzwert von 50 mg Nitrat pro Liter und können deshalb nur eingeschränkt genutzt werden.

Ein weiteres Beispiel ist die flächendeckende Überschreitung der Quecksilber-Umweltqualitätsnorm. Die Hauptquelle ist bis heute die Kohleverbrennung. Da auch sämtliche anderen Technologien zur Gewinnung fossiler Energieträger, darunter Erdgas aus Fracking, mit schädlichen Einträgen ins Oberflächengewässer und in das Grundwasser verbunden sind – zwangsläufig und unvermeidlich –, muss ein eindeutiges gesetzliches Frackingverbot ins Landeswassergesetz. Und es braucht einen schnellen Kohleausstieg.

(Beifall von den PIRATEN)

Es ist unsere Pflicht als nordrhein-westfälischer Landesgesetzgeber, über gesetzliche Regelungen im Landeswassergesetz bestimmte Benutzungstatbestände, Erdaufschlüsse, unterirdische Anlagen und weitere entsprechende Aktivitäten zu untersagen. Da hilft es dann auch, dass durch die 7. Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Ökologie und des Klimaschutzes ausdrücklich aufgenommen wurden.

Die größte Herausforderung ist die Integration der Umweltziele in die verschiedenen Politikbereiche – Landwirtschaft, Forst, Raum- und Bauleitplanung, Verkehr, Naturschutz usw. Denn nur dadurch kann der Schutz der Oberflächengewässer, des Grundwassers und der Flüsse und letzten Endes damit auch der Meere wirksam erreicht werden.

Wir stimmen dieser Überweisung zu und freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Rohwedder. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/10799 an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – federführend – sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Inzwischen haben sich die Fraktionen darauf verständigt zu empfehlen, den Antrag auch mitberatend an den Ausschuss für Kommunalpolitik zu überweisen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

17       Neunzehnter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Neunzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag)

Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung
zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/10719

Herr Minister Lersch-Mense hat für die Landesregierung mitgeteilt, die Einbringungsrede  zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 2).

(Beifall)

Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.

Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/10719 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kultur und Medien. Wer ist dafür? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

18       Verfahren über die Anträge

1. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung ist verfassungswidrig.

2. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung wird aufgelöst.

3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen.

4. Das Vermögen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung wird zugunsten der Bundesrepublik Deutschland für gemeinnützige Zwecke eingezogen.

Antragsteller: Bundesrat, vertreten durch den Präsidenten des Bundesrates, Leipziger Straße 3 - 4,10117 Berlin, Bevollmächtigte: 1. Prof. Dr. Christoph Möllers, c/o Bundesrat, Leipziger Straße 3 - 4, 10117 Berlin, 2. Prof. Dr. Christian Waldhoff, c/o Bundesrat, Leipziger Straße 3 - 4, 10117 Berlin –

Antragsgegnerin: Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), vertreten durch den Bundesvorsitzenden Frank Franz, Berlin, Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Peter Richter, LL.M., Birkenstraße 5, 66121 Saarbrücken –

2 BvB 1/13
Vorlage 16/3556

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10816

Eine Aussprache ist heute nicht vorgesehen, sodass ich über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses abstimmen lasse, an dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht nicht teilzunehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung Drucksache 16/10816 folgen will, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

19       Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Behauptung der Städte Münster und Blomberg sowie der Gemeinde Hellenthal, § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2015 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2015 – GFG 2015) vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. 2014 Nr. 43, S. 929 – 968) verletzte die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung

VerfGH 17/15
Vorlage 16/3576

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10817

Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen, sodass ich über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses abstimmen lassen kann, in dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof keine Stellungnahme abzugeben. Wer möchte dieser Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses folgen? Handzeichen bitte. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/10818 einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

20       Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Behauptung der Stadt Bonn, der Gemeinde Much und der Stadt Velbert, §§ 8 Ab. 3 Satz 2 und 3, 27 Abs. 3 Satz 1 und 2 des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2015 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2015 – GFG 2015) vom 18. Dezember 2014 (GV. NRW. S. 933 ff.) i. V. m. Anlage 3 zu diesem Gesetz verletzten die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung

VerfGH 18/15
Vorlage 16/3620

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10818


Eine Aussprache ist wiederum nicht vorgesehen.

Ich lasse über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses Drucksache 16/10818 abstimmen, in dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof keine Stellungnahme abzugeben. Wer ist dafür, dieser Beschlussempfehlung zu folgen? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/10818 einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

21       Nachwahl eines stellvertretenden Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses III (NSU)

Wahlvorschlag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10852

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen direkt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag Drucksache 16/10852. Wer für diesen Wahlvorschlag ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Es gibt weder Gegenstimmen noch Enthaltungen. Damit ist der Wahlvorschlag Drucksache 16/10852 einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

22       Nachwahl eines ordentlichen Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II (WestLB)

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/10880

Eine Aussprache ist wiederum nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Wahlvorschlag Drucksache 16/10880. Wer ist für diesen Wahlvorschlag? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand der Stimme? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist auch der Wahlvorschlag Drucksache 16/10880 angenommen.

Ich rufe auf:

23       In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 37
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 16/10819

Die Übersicht 37 enthält vier Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung an einen Ausschuss zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden, sowie einen Entschließungsantrag. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen entsprechend der Übersicht 37 abstimmen. Wer diese Bestätigung vornehmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Neinstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit stelle ich fest, dass die Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse in Drucksache 16/10819 vom Landtag Nordrhein?Westfalen einstimmig bestätigt sind.

Ich rufe auf:

24       Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/39
gem. § 97 Abs. 8 GO

Mit der Übersicht 16/39 liegen Ihnen Beschlüsse zu Petitionen vor.

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Offensichtlich nicht. Damit stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass damit die Beschlüsse des Petitionsausschusses bestätigt sind.

Meine Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung angelangt.

Ich berufe das Plenum für morgen früh, Donnerstag, den 28. Januar 2016, 10 Uhr, ein. Ihnen allen wünsche ich einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 18:19 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 


Anlage 1

Zu TOP 14 „Gesetz über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen (Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichengesetz – FwKatsEG – NRW)“ – zu Protokoll gegebene Reden

Thomas Stotko (SPD):

Vorliegend behandeln wir nach dem sehr umfangreichen Gesetzgebungsverfahren zum BHKG Ende letzten Jahres ein weiteres Gesetz, welches sich mit den Feuerwehren und den Hilfsorganisationen beschäftigt.

Mit dem Gesetz über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen vereinheitlichen wir endlich all das, was zur Würdigung von Verdiensten im Brand- und Katastrophenschutz vorgesehen ist.

Besonderer Erwähnung bedarf, dass ab dem 1. April nicht nur zukunftsfähige Rahmenbedingungen für die Würdigung des ehrenamtlichen Engagements auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr geschaffen werden, sondern die Ehrenzeichen für die Feuerwehren und die im Katastrophenschutz mitwirkenden Hilfsorganisationen einheitlich sind.

Damit entsprechen wir auch den neuen Regelungen des BHKG, die ausdrücklich ein Miteinander der Hilfskräfte beim gemeinsamen Einsatz erfordern.

Ich weise noch kurz auf den gemeinsamen Änderungsantrag der Regierungsfraktionen hin, wonach wegen des langen Beratungsverlaufes das Inkrafttreten für den 1.4.2016 vorgesehen werden muss. Aufgrund der vorgehenden positiven Beratungen im Innenausschuss freue ich mich für meine Fraktion auf eine breite Zustimmung durch das Parlament.

Kirstin Korte (CDU):

Viele Tausend Haupt- und Ehrenamtliche leisten in unseren Feuerwehren und Rettungsorganisationen Dienst. Sie verrichten hochmotiviert und engagiert ihren Einsatz- und Übungsdienst.

Leider – und da müssen wir den Tatsachen ins Auge sehen – wird es immer schwerer, Menschen dafür zu gewinnen, beruflich oder in ihrer Freizeit zum Wohle der Allgemeinheit ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

Umso wichtiger ist es, den Einsatz unserer Rettungskräfte zu würdigen.

Die rechtliche Grundlage dafür ist dieses Gesetz, das unter anderem ein Ehrenabzeichen mit einheitlichem Erscheinungsbild für die Feuerwehren und im Katastrophenschutz mitwirkende Hilfsorganisationen, eine Einsatzmedaille, vorsieht.

Eine Vereinheitlichung der bestehenden Regelungen zur Würdigung von Verdiensten im Brand- und Katastrophenschutz ist zu befürworten.

Einem Gesetzentwurf, der das Haupt- und Ehrenamt im Katastrophenschutzwesen stärkt und fördert, können wir als CDU-Fraktion nur zustimmen.

Verena Schäffer (GRÜNE):

Eine Vielzahl von ehren- und hauptamtlichen Feuerwehrleuten leistet einen besonderen Dienst in unserem Gemeinwesen. 81.500 ehrenamtliche Feuerwehrleute, 19.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer der anerkannten Hilfsorganisationen im Katastrophenschutz und 13.200 hauptamtliche Feuerwehrleute in Nordrhein-Westfalen stehen unter Einsatz von Leib und Leben für unser aller Sicherheit ein. Ihnen gelten unsere Anerkennung und unser Dank für ihre Arbeit.

Das Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichengesetz, wie es heute beschlossen werden soll, dient eben dieser Anerkennung besonderer Rettungstaten und besonderer Verdienste im Brand- und Katastrophenschutz. Es handelt sich erstmalig um ein für die Feuerwehr und die im Katastrophenschutz mitwirkenden Hilfsorganisationen einheitliches Ehrenzeichen.

Wir lösen damit die in Aufbau und Umfang uneinheitliche gesetzliche Regelung des noch gültigen Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehren-zeichengesetzes ab, die durch die rein redaktionelle Zusammenführung des Gesetzes über die Stiftung eines Feuerwehr-Ehrenzeichen und dem Katastrophenschutz-Ehrenzeichengesetz im Jahre 2011 entstanden ist.

Damit einher geht auch eine notwendige Anpassung an aktuelle Entwicklungen, die sich durch das zum Januar 2016 in Kraft getretene Gesetz über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz ergeben haben.

Wir wollen, dass Einsatzkräfte weiterhin ein sichtbares Zeichen unserer Wertschätzung für ihr besonderes Engagement erhalten.

Marc Lürbke (FDP):

Die ehren- und hauptamtlichen Feuerwehren in unserem Land stehen für Gemeinschaft, Kameradschaft, Solidarität, Hilfe und Verlässlichkeit. Und nicht selten setzen die zahlreichen ehren- und hauptamtlichen Feuerwehrkräfte ihr Leben bei Feuer und Katastrophen aufs Spiel. Die Würdigung von Verdiensten und der Dank auf diesen Gebieten kann aus Sicht der Freien Demokraten deshalb nicht groß genug ausfallen – vor allem auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen und den vermehrten Angriffen auf unsere Rettungskräfte. Hier muss neben der Würdigung und Anerkennung der Leistung unserer Rettungskräfte auch ein Umdenken in der Gesellschaft vollzogen werden.

Seit der Zusammenführung des Gesetzes über die Stiftung eines Feuerwehr-Ehrenzeichens vom 23.11.1954 (FwEG-NRW) und des Gesetzes über die Stiftung eines Ehrenzeichens für besondere Verdienste im Katastrophen-, Zivilschutz oder Rettungswesen von 15.02.2005 in einem einheitliches Gesetz im Jahr 2011, nämlich dem Gesetz über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen (FwKatsEG-NRW), ergeben sich nun notwendige Anpassungen an aktuelle Entwicklungen.

Darüber hinaus ist es aus Sicht der Freien Demokraten grundsätzlich notwendig, die Förderung und Stärkung insbesondere des ehrenamtlichen Engagements fortzuführen und auszubauen. Nur so können Brand- und Katastrophenschutz langfristig sichergestellt werden.

Die Begründung des Gesetzes verweist zum einen vollkommen richtig auf die Möglichkeit, dass durch das Hinausschieben von Altersgrenzen ein fünfzigjähriges Jubiläum in der Feuerwehr noch im aktiven Dienst zu erreichen ist und zum anderen auf die Häufung von Naturereignissen, die eine enorme Hilfe durch die Feuerwehren erfordern. Die Ehrung herausragender Leistungen der Einsatzkräfte auf diesen Gebieten soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ermöglicht werden.

Wir Freien Demokraten werden dem vorliegenden Gesetzentwurf daher zustimmen und möchten diese Gelegenheit nutzen, uns an dieser Stelle für das große Engagement der ehren- und hauptamtlichen Feuerwehrkräfte und ihren täglichen unermüdlichen Einsatz zu bedanken.

Frank Herrmann (PIRATEN):

Der vorliegende Entwurf des Gesetzes über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen nimmt notwendige und wünschenswerte Anpassungen an die aktuellen rechtlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf und führt eine neue Ehrung ein, für die nun mögliche 50-jährige Dienstangehörigkeit. Weitere Änderungen sind eher redaktioneller Natur.

Meine Damen und Herren, die Kräfte der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes nehmen eine für die Gesellschaft besonders ehrenwerte und wichtige Aufgabe wahr. Bei Bränden, Verkehrsunfällen, Flutkatastrophen, bei der Beseitigung von Sturmschäden oder bei der Bewältigung humanitärer Notlagen: Die Gesellschaft und die öffentliche Hand können sich auf die Frauen und Männer verlassen.

Die Vielfalt und die Vielzahl der Aufgaben und Einsätze zeigen, dass es auch öffentlicher und offizieller Anerkennung und Danksagung bedarf. Die offizielle Anerkennung dieser Leistungen wird unter anderem in den Ehrenzeichen der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes ausgedrückt. Dabei ist immer wieder hervorzuheben, dass es nicht das Zeichen alleine ist, welches vergeben wird, sondern damit verbunden ist, dass die einzelne Leistung und der einzelne Einsatz aufgefallen, bemerkt und anerkannt wurden.

Mit einer neu eingeführten Ehrung können zukünftig zudem auch herausragende solidarische Leistungen besonders ausgezeichnet werden. Wir denken, dass damit die Dankes- und Anerkennungskultur für die Leistungen der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes in einem wichtigen Teil verbessert werden kann und stimmen diesem Gesetzentwurf zu.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

NRW verfügt über einen leistungsstarken Brand- und Katastrophenschutz. Die Basis dafür bildet die enge Kooperation aller Rettungskräfte. Das ist nicht erst seit dem Inkrafttreten des BHKG zu Beginn dieses Jahres der Fall, sondern seit Jahren gelebte Realität in zahlreichen Einsätzen.

Helfer der freiwilligen Feuerwehren wie auch der Berufsfeuerwehren arbeiten Hand in Hand mit den Hilfsorganisationen, damit gefährliche Situationen entschärft und im Ernstfall Leben gerettet werden. Wir alle sehen das Ergebnis dieser guten Zusammenarbeit vor allem bei großen Schadensereignissen, z. B. beim Sturm „Ela“ oder bei den Hochwassern an Elbe und Oder. Aber auch alltägliche Einsätze, die es nicht in die großen Nachrichtensendungen schaffen, erfordern ein außerordentliches Engagement.

Oft genug setzen die Einsatzkräfte ihre eigene Gesundheit auf’s Spiel, um das Leben anderer zu retten. Das verdient Respekt und Anerkennung. Um beides auszudrücken und zugleich zukunftsfähige Rahmenbedingungen zur Würdigung dieser besonderen Leistungen zu setzen, gibt es die im Gesetzentwurf vorgesehenen Ehrenzeichen:

Sie sollen diejenigen in den Vordergrund stellen, die sich im Einsatzdienst besonders verdient gemacht haben – sowohl im Haupt- wie auch im Ehrenamt, und sowohl im Brand- wie im Katastrophenschutz.

Dieser Gesetzentwurf wird von den kommunalen Spitzenverbänden, dem Verband der Feuerwehr und den Hilfsorganisationen mitgetragen.

In den parlamentarischen Beratungen wurde seitens der Fraktionen keine Kritik geäußert. Es gibt deshalb keinen Grund, ihm heute nicht zuzustimmen. Eine breite Zustimmung dieses Parlaments wäre ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung.


Anlage 2

Zu TOP 17 „Neunzehnter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Neunzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag)“ – zu Protokoll gegebene Rede

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien:

Dieser Staatsvertrag besteht aus sechs verschiedenen Elementen, auf die in der Anschlussberatung im Einzelnen eingegangen werden kann.

Das wichtigste Element ist nach meiner Meinung die Beauftragung von ARD und ZDF mit einem gemeinsamen Jugendangebot für die Zielgruppe junger Menschen. Dieses Angebot wird – entsprechend der Zielgruppe – nur im Internet angeboten. Es soll erreichen, dass das Gesamtangebot von ARD und ZDF zukünftig im größeren Umfang als derzeit generationsübergreifend genutzt wird.

Zugleich werden zwei Fernsehspartenprogramme, EinsPlus und ZDFkultur-Kanal, eingestellt; die Aufwendungen für das Jugendangebot werden auf 45 Millionen € jährlich begrenzt. Für die Beitragszahlerin und den Beitragszahler entstehen also keine zusätzlichen Kosten.

Das zweite Element ist die gesetzliche Umsetzung der Evaluierung des Rundfunkbeitrags. Dazu hatte die Landesregierung dem Landtag häufig berichtet. Die wichtigsten Einzelpunkte in diesem Teil des Staatsvertrages sind die Entlastung der Kommunen und die Entlastung der Wirtschaft bei Firmen, die besonders viele Teilzeitbeschäftigte aufweisen.

Wegen der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit gehe ich auf die übrigen vier Elemente nur summarisch ein:

Die Änderung des Jugendmedienschutz-Staats-vertrages dient dazu, das System des Jugendmedienschutzes an die Entwicklungen der Medienkonvergenz und das damit einhergehende veränderte Nutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen anzupassen.

Der für die ARD neu geforderte Produzentenbericht soll die Transparenz in diesem Bereich deutlich erhöhen.

Die Übermittlung von Rechnungshofberichten wird vereinheitlicht.

Schließlich ist noch die Zusammenarbeit der Rundfunkanstalten modifziert worden, um zusätzliche umsatzsteuerliche Belastungen nicht eintreten zu lassen.

Alle Details sollten wir in den zuständigen Landtagsausschüssen diskutieren.

Ich bitte deshalb um Überweisung an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kultur und Medien.