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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/101

16. Wahlperiode

17.12.2015

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101. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 17. Dezember 2015

Mitteilungen der Präsidentin. 10441

1   Der Klimavertrag von Paris: NRW beim Klimaschutz auf dem richtigen Weg

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10469

In Verbindung mit:

Das Klimaabkommen von Paris zwingt Nordrhein-Westfalen zum Handeln:

Alle bisherigen Planungen müssen auf den Prüfstand, wenn die Landesregierung die vereinbarten Klimaschutzziele ernst nimmt

Eilantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10470

In Verbindung mit:

Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen

Entwurf der Landesregierung
gem. § 6 Abs. 1 Klimaschutzgesetz
Vorlage 16/3020

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Klimaschutz,
Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksache 16/10429

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10491. 10441

Rainer Christian Thiel (SPD) 10441

Wibke Brems (GRÜNE) 10443

Rainer Deppe (CDU) 10445

Henning Höne (FDP) 10446

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 10448

Minister Johannes Remmel 10450

Josef Hovenjürgen (CDU) 10451

Frank Sundermann (SPD) 10453

Dietmar Brockes (FDP) 10454

Reiner Priggen (GRÜNE) 10455

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 10457

Minister Johannes Remmel 10457

Ergebnis. 10458

2   Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Vermittlungshemmnissen als Querschnittsaufgabe begreifen – gemeinsam Projekte entwickeln, die eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten ermöglichen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10421. 10459

Walter Kern (CDU) 10459

Daniela Jansen (SPD) 10460

Martina Maaßen (GRÜNE) 10461

Ulrich Alda (FDP) 10462

Torsten Sommer (PIRATEN) 10463

Minister Rainer Schmeltzer 10465

Ergebnis. 10466

3   Schutzsuchende mit Bleibeanspruch zügig in den Arbeitsmarkt integrieren – gesetzliche Zugangshindernisse abschaffen – auf neue Zugangshürden verzichten

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10424

In Verbindung mit:

Soziale Marktwirtschaft als Integrationsmotor – Schutzsuchende durch Ausbildung und Arbeit an unsere Wirtschafts- und Werteordnung heranführen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10425. 10466

Hendrik Wüst (CDU) 10466

Rainer Bischoff (SPD) 10468

Jutta Velte (GRÜNE) 10469

Dr. Joachim Stamp (FDP) 10471

Simone Brand (PIRATEN) 10472

Minister Rainer Schmeltzer 10473

Matthias Kerkhoff (CDU) 10475

Dr. Joachim Stamp (FDP) 10476

Torsten Sommer (PIRATEN) 10476

Ministerin Sylvia Löhrmann. 10477

Minister Rainer Schmeltzer 10478

Dr. Joachim Stamp (FDP) 10479

Ergebnis. 10479

4   Potentiale der Schulen in freier Trägerschaft verstärkt in die Beschulung von Flüchtlingskindern und -jugendlichen einbinden

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10419. 10479

Yvonne Gebauer (FDP) 10479

Renate Hendricks (SPD) 10480

Petra Vogt (CDU) 10481

Karin Schmitt-Promny (GRÜNE) 10482

Monika Pieper (PIRATEN) 10483

Ministerin Sylvia Löhrmann. 10484

Ergebnis. 10485

5   Kein Zwangseinbau von „Smart Metern“ – Wahlfreiheit und Datenschutz bei der Digitalisierung der Energiewende gewährleisten

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10420. 10485

Frank Herrmann (PIRATEN) 10486

Inge Blask (SPD) 10487

Josef Hovenjürgen (CDU) 10488

Wibke Brems (GRÜNE) 10488

Dietmar Brockes (FDP) 10489

Daniel Schwerd (fraktionslos) 10490

Minister Garrelt Duin. 10491

Ergebnis. 10492

6   Forschung und Innovationen im Mittelstand in NRW durch gezielte Maßnahmen stärken – bestehende Instrumente zur KMU-Unterstützung optimieren und ausbauen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4444

In Verbindung mit:

Neue Schwerpunkte in der Forschungsförderung – Das Innovationspotenzial kleiner und mittelständischer Unternehmen und von Hochschulen in Nordrhein-Westfalen gezielt erschließen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5749

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
Drucksache 16/10438. 10492

Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10519

Dietmar Bell (SPD) 10492

Astrid Birkhahn (CDU) 10493

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 10495

Angela Freimuth (FDP) 10496

Oliver Bayer (PIRATEN) 10497

Ministerin Svenja Schulze. 10498

Ergebnis. 10499

7   Investitionen und Unternehmensgründungen in Nordrhein-Westfalen: Subsidiarität stärken, Förderinstrumente verzahnen, Beratungsangebote an tatsächlichen Bedürfnissen der Unternehmen ausrichten!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8123

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschuss
für Wirtschaft, Energie, Industrie,
Mittelstand und Handwerk
Drucksache 16/10439. 10500

(Vertagung) 10500

8   Abschiebung in Verfolgung, Hunger, Kälte und Not stoppen – NRW muss die Abschiebung von Flüchtlingen in den Westbalkan über den Winter aussetzen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10297. 10500

Simone Brand (PIRATEN) 10500

Hans-Willi Körfges (SPD) 10500

André Kuper (CDU) 10501

Monika Düker (GRÜNE) 10502

Dr. Joachim Stamp (FDP) 10504

Minister Ralf Jäger 10505

Ergebnis. 10506

9   Integriertes Wertstoffgesetz praxistauglich und ökologisch gestalten

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10418. 10506

Norbert Meesters (SPD) 10506

Hans Christian Markert (GRÜNE) 10507

Rainer Deppe (CDU) 10508

Henning Höne (FDP) 10509

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 10510

Minister Johannes Remmel 10511

Ergebnis. 10512

10 Den Reichtum unserer Museen in Nordrhein-Westfalen durch Digitalisierung besser sichtbar machen – praxistaugliches Urheberrecht zur Digitalisierung von Museumsbeständen einführen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10422. 10512

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU) 10512

Andreas Bialas (SPD) 10513

Oliver Keymis (GRÜNE) 10514

Ingola Schmitz (FDP) 10514

Lukas Lamla (PIRATEN) 10515

Daniel Schwerd (fraktionslos) 10516

Ministerin Christina Kampmann. 10516

11 Fragestunde

Mündliche Anfragen
Drucksache 16/10440. 10517

Mündliche Anfrage 73

„Will die Landesregierung mit dem Kulturgutschutzgesetz ein Instrumentarium zur Sammlung von Informationen über den Privatbesitz und zur Legitimierung von erheblichen Eingriffen des Staates in das Privateigentum schaffen?“ 10517

der Abgeordneten
Ingola Schmitz (FDP)

Ministerin Christina Kampmann. 10518

Mündliche Anfrage 74

„Erneute Schädigung des Bildungs- und Wissenschaftsstandortes Münster durch Ministerin Schulze“ 10522

des Abgeordneten
Henning Höne (FDP)

Ministerin Svenja Schulze. 10523

12 Datenschutzkultur an Schulen verbessern!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/8635

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/10441. 10533

(Vertagung) 10533

 


Entschuldigt waren:

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft

Minister Franz-Josef Lersch-Mense

Minister Johannes Remmel      
(ab 16:00 Uhr)

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans      
(ab 15:00 Uhr)

Andreas Becker (SPD)

Guido van den Berg (SPD)

Uli Hahnen (SPD)

Helene Hammelrath (SPD)

Eva Lux (SPD)

Guntram Schneider (SPD)

Freifrau Ilka von Boeselager (CDU)

Dr. Anette Bunse (CDU)           
(ab 12:00 Uhr)

Christian Haardt (CDU
(bis 14:00 Uhr)

Theo Kruse (CDU)

Axel Wirtz (CDU)

Horst Becker (GRÜNE)

Christian Lindner (FDP)
(ab 16:00 Uhr)

Andreas Terhaag (FDP)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)      

Kai Schmalenbach (PIRATEN)

Dietmar Schulz (PIRATEN)

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle sehr herzlich zu unserer heutigen, 101. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 15 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung will ich noch einmal daran erinnern, dass alle im Landtag vertretenen Fraktionen sich bereits gestern vereinbart haben, die Beratung des ursprünglich für gestern vorgesehenen Tagesordnungspunkts 3 „Klimaschutzplan Nordrhein?Westfalen“, Vorlage 16/3020, erst heute, und zwar zusammen mit der Aktuellen Stunde und dem Eilantrag als Tagesordnungspunkt 1 zu beraten.

Damit treten wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1   Der Klimavertrag von Paris: NRW beim Klimaschutz auf dem richtigen Weg

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10469

In Verbindung mit:

Das Klimaabkommen von Paris zwingt Nordrhein-Westfalen zum Handeln:

Alle bisherigen Planungen müssen auf den Prüfstand, wenn die Landesregierung die vereinbarten Klimaschutzziele ernst nimmt

Eilantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10470

In Verbindung mit:

Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen

Entwurf der Landesregierung
gem. § 6 Abs. 1 Klimaschutzgesetz
Vorlage 16/3020

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Klimaschutz,
Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksache 16/10429

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10491

Die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben mit Schreiben vom 14. Dezember dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Die Fraktion der Piraten hat, ebenfalls mit Schreiben vom 14. Dezember dieses Jahres, fristgerecht den Eilantrag Drucksache 16/10470 zu dem genannten Thema eingebracht.

Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Thiel das Wort.

Vielleicht darf ich die Kolleginnen und Kollegen auf Folgendes aufmerksam machen: Immer dann, wenn der Plenarsaal noch nicht ganz gefüllt ist, ist die Geräuschkulisse noch intensiver. Auch leise Gespräche kommen also hier oben sehr laut an.

Rainer Christian Thiel (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Paris und der Klimaschutzplan bzw. die Klimaschutzpolitik in Nordrhein-Westfalen ist das Thema der Aktuellen Stunde, verbunden mit dem Beschluss zum Klimaschutzplan. Um es gleich vorweg zu sagen: Paris und der Klimaschutzplan und die Klimaschutzpolitik NRW passen zusammen. Mit dem Klimaschutzgesetz und dem Klimaschutzplan unterstützt NRW die Klimaziele der Bundesrepublik. Was jetzt in Paris beschlossen wurde, nämlich die Klimaerwärmung auf unter 2o zu begrenzen, ist bereits seit 2007 Grundlage deutscher Klimapolitik.

195 Staaten und die EU sind nun eingeladen, daran mitzuwirken, dieses Ziel für verbindlich zu erklären. Sie sind ermutigt und eingeladen, etwas zu tun. Bei der Frage des Weges gibt es keine Verbindlichkeit; es gibt nur Einladung und Ermutigung. Das ist bestenfalls ein Minimalkonsens. Aber gerade auf dem Weg dahin brauchen wir Verbindlichkeit und klare, faire Wettbewerbsbedingungen.

NRW ist weiter. Was wir machen, vollziehen andere erst nach. Mit dem Klimaschutzgesetz 2012 hat NRW spezifische Reduktionsziele festgelegt: eine CO2-Einsparung von 25 % bis 2020 und von 80 % bis 2050. Das folgt auch der Logik von Paris, dass Reduktionsleistungen der Leistungsfähigkeit und den Emissionen eines Landes entsprechen sollen.

NRW hat sich eigene Ziele gesetzt, die die besondere Situation des Industrielandes NRW berücksichtigen. Das bedeutet Klimaschutz ohne Strukturbruch. NRW ist ein bedeutendes Industrieland und soll es bleiben. Deshalb brauchen wir stabile, faire, globale Rahmenbedingungen. Letztlich geht es auch darum, die ambitionierten politischen Minderungsziele technisch und physikalisch zu erreichen, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden und damit auch die Fähigkeit, Wohlstand und soziale Sicherheit für unsere nächste Generation zu generieren.

(Beifall von der SPD)

„Von fairen weltweiten Wettbewerbsbedingungen für die Industrie auf dem Feld der Klimaschutzpolitik sind wir weit entfernt“, mahnt Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Er warnt insbesondere davor, dass China, weltweit größter CO2-Emittent, mit seinen Überkapazitäten die Stahlmärkte unter Druck setzt, seinen CO2-Ausstoß aber weiter erhöht, während hier die Einsparziele ambitionierter werden.

Während in Paris vereinbart wird, den Höhepunkt der globalen CO2-Emissionen möglichst bald erst erreichen zu wollen, sind wir in NRW bereits auf dem Minderungspfad. Um es klar zu sagen: Aus den Vereinbarungen der Weltgemeinschaft in Paris erwächst kein Druck, bei uns noch schneller aus der Kohle auszusteigen.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Jetzt über einen Kohleausstieg zu reden, ist so überflüssig wie ein Kropf.

(Beifall von der SPD, Hendrik Wüst [CDU] und Dietmar Brockes [FDP])

Mancher, der hier Ratschläge verteilt, sollte erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. Wie wäre es mit einem Projekt „Klimaneutraler Flughafen Frankfurt“? Dabei handelt es sich um die größte interkontinentale Dreckschleuder Deutschlands.

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Frankfurt in Nordrhein-Westfalen? – Josef Hovenjürgen [CDU]: Und was ist mit Düsseldorf?)

Flug- und Luftverkehre wurden in Paris von konkreten Reduktionsverpflichtungen ausgenommen, ebenso wie die Landwirtschaft. Warum eigentlich?

Oder Niedersachsen: Da sollte in Wolfsburg endlich einmal ehrlich an Abgaswerten gearbeitet werden. Heute Morgen konnte man es im Radio verfolgen: Selbst bei den Glühlampen für die Beleuchtung wird getrickst und manipuliert. Da stimmen die Werte hinten und vorne nicht.

Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen keine wohlfeilen Belehrungen. Wir setzen bei uns auf vorbeugenden Strukturwandel. Wir wollen die Zeit nutzen, um mit der Innovationsregion Rheinisches Revier neue innovative Arbeitsplätze zu schaffen und die Infrastruktur zukunftsfest zu machen. Dafür nehmen wir auch gerne Hilfe aus Berlin an.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Klimaneutralität – nicht Dekarbonisierung – wurde in Paris beschlossen. Weder die USA noch Russland noch die Erdölstaaten noch der Nahe Osten und erst recht nicht die asiatischen Staaten wollen auf ihre Öl-, Gas- und Kohlevorräte verzichten – übrigens auch England nicht.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Können sie auch behalten!)

In NRW wird es keine neuen Tagebaue mehr geben. Dadurch bleiben Milliarden Tonnen Braunkohle unter der Erde. Die bestehenden Tagebaue aber müssen ordnungsgemäß zu Ende gebracht werden und dürfen nicht willkürlich abgeschlossen werden. Das sind wir der Region und den Menschen schuldig.

Der Klimaschutz ist in NRW Bestandteil einer Gesamtstrategie, die sich an wirtschaftlicher Stärke, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Vernunft gleichermaßen orientiert. Wir wollen gute Arbeit schützen. Darum werden wir weiter Strukturbrüche verhindern. Unsere Wirtschaft und letztlich unsere Gesellschaft insgesamt sind auf Versorgungssicherheit angewiesen ebenso wie auf bezahlbare Energiepreise. Darum muss endlich und zügig geklärt werden, wie zukünftig Versorgungssicherheit gewährleistet wird.

Uns ist nicht geholfen, wenn im Nachbarland Belgien schrottreife Atomreaktoren wieder hochgefahren werden. Weltweit erfährt Kernenergie eine Renaissance.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir beschließen heute den Klimaschutzplan. Ökonomisch, ökologisch und sozial – das passt zu NRW. Das ist Klimaschutz made in NRW.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Keine Bevormundung, kein Überstülpen politischer Vorgaben – der Klimaschutzplan ist in einem breiten Beteiligungsprozess entstanden. Er beinhaltet für die Landesregierung einen verbindlichen und klaren Handlungsauftrag sowie zahlreiche Angebote zur Förderung, Forschung und Entwicklung, Beratung und Vernetzung zur weiteren Unterstützung der Menschen im Lande. Sie sollen für Klimaschutz aktiv werden. Das wollen wir nach vorn bringen.

Wir verstehen Klimaschutz als Fortschrittsmotor, als Chance für unseren Maschinen- und Anlagenbau, als Chance für die chemische Industrie und für die Stahlindustrie. Unsere Industrie ist Bestandteil der Lösung zum Erreichen ambitionierter Klimaschutzziele. Wirtschaft 4.0, die Digitalisierung, wird uns dabei weiterhin helfen.

Das machen wir in NRW: Energie weiterdenken und weiterentwickeln – vom virtuellen Kraftwerk bis zur Energiegenossenschaft, Ressourcen effizienter einsetzen und schonen, zum Beispiel bei stromsparender Chlorproduktion, unsere Wohnquartiere entwickeln, zum Beispiel Klimaschutz und Klimafolgenanpassung in die Stadtentwicklung integrieren, die Mobilität zukunftsgerecht ausbauen und auf Menschen mit kleinem Einkommen achten. Die soziale Ausgewogenheit der Klimaschutzziele …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Rainer Christian Thiel (SPD): … gehört im Monitoringprozess ebenso zu den Maßnahmen wie die gesamtwirtschaftlichen Wechselwirkungen und Aus-wirkungen auf Natur und Umwelt.

Wir empfehlen den Klimaschutzplan NRW zur Annahme durch den Beschluss des Entschließungsantrags. Der Eilantrag der Piraten bleibt weit hinter den Erfordernissen …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Rainer Christian Thiel (SPD): … einer ausgewogenen Klimaschutzpolitik zurück. Darum empfehlen wir Ablehnung.

Wir in NRW sehen vor allen Dingen die Chancen einer innovativen und …

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Thiel, die Redezeit.

Rainer Christian Thiel (SPD): … gut gemachten Klimaschutzpolitik. Dafür wollen wir die Menschen insgesamt begeistern. Wir wollen positiv aktivieren. Wir brauchen keine Angst als Treiber für Fortschritt. Die erfolgreiche Dialogkultur werden wir durch die Fortführung des Koordinierungskreises verstetigen.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Thiel, die Redezeit!

Rainer Christian Thiel (SPD: Ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin.

Präsidentin Carina Gödecke: Ja, aber es ist schon eine Minute überzogen.

Rainer Christian Thiel (SPD): Klimaschutz ist Gemeinschaftsaufgabe. Packen wir’s an!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Alle Rednerinnen und Redner dürfen auf die vorweihnachtliche Milde bei der Überziehung der Redezeit in dieser Runde setzen.

(Heiterkeit)

Für die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Historische Ereignisse haben es meist an sich, dass sie nur aus der Rückschau als solche erkannt werden. Das ist jedenfalls häufig so. Zu diesen Zeiten können wir aber, glaube ich, schon getrost sagen, dass wir historische Ereignisse erleben.

Eines dieser großen historischen Ereignisse ist das, was wir bei der Klimakrise und beim Klimaschutz erleben. Unser Klima verändert sich. Die Weltorganisation für Meteorologie hält es für sehr wahrscheinlich, dass 2015 das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen sein wird. Vermeintliche Rekorde überschlagen sich. Das haben wir im vergangenen Sommer und im letzten Herbst erlebt, und heute Nacht werden wir wahrscheinlich die wärmste Nacht eines 17. Dezember seit Beginn der Wetteraufzeichnungen haben.

Als historisch mag man auch das bezeichnen, was am vergangenen Wochenende in Paris passiert ist. Erstmals einigten sich die 195 teilnehmenden Staaten auf die Begrenzung der durchschnittlichen Erderwärmung auf deutlich unter 2° C. Erstmals sind Industrieländer, Schwellenländer und Entwicklungsländer zusammengekommen und haben solche Ziele vereinbart. Erstmals haben sie gemeinsam festgestellt, dass die Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2050 neutral sein müssen.

Wenn gestandene Politikerinnen und Politiker sichtlich bewegt sind, wie ich das am Samstag beispielsweise in der „Tagesschau“ sehen konnte, und Freudentränen in ihren Augen sichtbar sind, kann man getrost sagen: Dann ist etwas ganz Besonderes passiert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gleichzeitig ist jedoch klar: So historisch dieses Ereignis auch sein mag, wird es in der Rückschau erst dann als wirklicher Wendepunkt wahrgenommen werden, wenn die Staaten jetzt ihre Anstrengungen erhöhen; denn leider reichen die aktuellen Maßnahmen nicht aus, um das Ziel von Paris aktuell zu erreichen.

Daher muss auch Deutschland seine Anstrengungen massiv erhöhen, und zwar in allen Bereichen, von Strom über Wärme – wie wird eigentlich in Zukunft unsere Mobilität aussehen? – bis hin zu der Frage: Wie finden wir jetzt wirklich die Lösung für die Kohle; wie gehen wir weiter mit der Kohleverstromung um? – Da kann es aus unserer Sicht nur einen Weg geben: Wir müssen jetzt darüber reden, wann wir die Kohleverstromung hier in Deutschland beenden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Historisch – zugegebenermaßen in kleinerem Maßstab – ist für unser Land, dass wir nach Deutschlands erstem Klimaschutzgesetz, das wir vor zwei Jahren verabschiedet haben, nun den ersten Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen bekommen.

Was ist daran so einzigartig? Wir haben ihn in einem noch nie da gewesenen Beteiligungsverfahren erarbeitet. Wir haben Verbände, Unternehmen, Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger beteiligt. Alle Bereiche sind in diesem Klimaschutzplan enthalten:

In Bezug auf erneuerbare Energien treffen wir Aussagen und wie es mit dem Speichern weitergeht. Wir sagen, wie es mit der Kraft-Wärme-Kopplung in Nordrhein-Westfalen weitergeht. Natürlich gehen wir auch auf die Rolle der Industrie beim Klimaschutz ein. Es geht darum, dass wir sie mitnehmen und auf einen gemeinsamen Weg gehen.

Weitere Aussagen beziehen sich auf folgende Themen: Wie gehen wir mit der Gebäudesanierung und der Mobilität um? Welche Rolle hat die Landwirtschaft in Zukunft beim Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen? Wie können wir zu Hause effizienter sein? Eine große Rolle spielt natürlich die Vorbildfunktion. Die klimaneutrale Landesverwaltung ist einer der wichtigen Aspekte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Last, but not least beschäftigt sich der Klimaschutzplan auch damit, dass wir einen Klimawandel haben werden und uns daran anpassen müssen. Der Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen ist die Roadmap, die wir eigentlich in allen Staaten und in allen Ländern jetzt dringend benötigen, um das Ziel von Paris zu erreichen.

An dieser Stelle geht es ganz klar darum – ich habe es eben mit einem Satz erwähnt –, welche Rolle beispielsweise die Industrie und die Wirtschaft haben. Unser Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen setzt hier ganz klare Signale, wo Investitionen noch sinnvoll sind und wo Innovationen sinnvoll sind. Genau dieses Signal ist auch aus Paris gekommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

US-Außenminister Kerry sagte in seiner Rede auf der UN-Konferenz, das Abkommen von Paris könne das größte Investitionsprogramm in der Menschheitsgeschichte auslösen. In seiner Rede stellte er auch einfach einmal folgende Frage: Was wäre denn, wenn die Klimaskeptiker doch recht hätten und der Klimawandel gar nicht menschengemacht wäre, sodass alle unsere Investitionen in erneuerbare Energien und in Klimaschutz insgesamt quasi umsonst wären? – Er sagte, dass sie auch dann nicht umsonst wären. Denn was hätten wir davon? Wir hätten Millionen von neuen Jobs. Wir hätten unsere Wirtschaften stimuliert. Wir hätten Ländern, die das dringend brauchen, noch weitere Investitionen ermöglicht. Und wir hätten eine gesündere Bevölkerung und gesündere Kinder. – Das sagt US-Außenminister Kerry.

Lassen Sie mich sagen: Investitionen in Kohle, Öl und Fracking sind rückwärtsgewandt. Wir brauchen Investitionen in die neue Wirtschaft und in neue Innovationen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu guter Letzt möchte ich Arnold Schwarzenegger zitieren.

(Rainer Deppe [CDU]: Hasta la Vista! – Zurufe von Josef Hovenjürgen [CDU] und Henning Höne [FDP] – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

– Ich wusste, dass Ihnen das gefällt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich hätte selber nicht gedacht, dass ich einmal einen republikanischen Politiker zitiere, und das auch noch in einer Klimadebatte. Das muss man schon sagen.

Er sagte auf der Konferenz in einer wirklich sehr beeindruckenden Rede: Ich persönlich möchte einen Plan. Ich möchte nicht der letzte Investor in eine Videothek sein, während Netflix längst das Geschäft übernommen hat. – Er möchte also nicht mehr in Videotheken investieren, wenn die Leute Filme längst online sehen und gar nicht mehr in die Videothek fahren.

Weiter sagt er: Das ist genau das, was mit fossilen Energieträgern passieren wird. Eine saubere Energiezukunft ist eine weise Investition. Jeder, der etwas anderes sagt, hat unrecht oder lügt. So oder so würde ich deren Ratschläge für Investitionen nicht annehmen. – So Arnold Schwarzenegger!

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu guter Letzt: Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin auch ein bisschen gespannt, ob von CDU und FDP gleich etwas Neues kommt. Ich finde, dass Sie im Bereich Klimaschutz an vielen anderen Stellen eine Ja-Aber-Politik betreiben. Auch gestern haben wir es gehört. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Laschet hat sich in seiner unsäglichen Haushaltsrede darüber lustig gemacht und gesagt:

(Klaus Kaiser [CDU]: Hey! – Weitere Zurufe von der CDU)

Ich bin ja für Gleichberechtigung; aber bitte keine Genderforschung! – Ich gehe davon aus, dass Sie das heute fortsetzen und die unsägliche Litanei hier fortführen, indem Sie sagen: Wir sind ja für Klimaschutz; aber bitte nicht zu viel!

Sehr geehrte Damen und Herren, es wird Zeit, dass Sie Ihr Aber herunterschlucken, die Zeichen der Zeit erkennen und wir gemeinsam die Aufgaben, die aus diesem historischen Moment erwachsen, in Angriff nehmen. Es wird Zeit für den Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen!

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Deppe.

Rainer Deppe (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Belehrungen und Kommentierungen von Rot und Grün zu unseren Beiträgen sind wir ja schon gewöhnt.

(Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)

Nur, dass Sie schon vorher wissen, was wir sagen, das ist eine neue Qualität. Sie sollten erst einmal zuhören und dann feststellen, worum es hier wirklich geht.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, 195 Staaten haben am vergangenen Samstag in Paris mit dem globalen Klimaschutzabkommen Geschichte geschrieben.

(Zuruf von den GRÜNEN: Deutschland auch!)

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist. Die Begeisterung aus dem Konferenzzentrum in Le Bourget hat sich selbst über das Fernsehen auf die Zuschauer übertragen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nennt dieses Abkommen einen historischen Wendepunkt in der globalen Klimapolitik. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat eine schöne Formulierung gefunden: „Heute hat die Welt eine Rettungsleine bekommen, eine letzte Chance, künftigen Generationen eine stabilere Welt zu hinterlassen …“ Wir finden es richtig, wie er das ausgedrückt hat.

Als Nächstes kommt es darauf an, dass nicht nur die Ziele, wie das Zwei-Grad-Ziel oder das leider nicht verbindliche 1,5-Grad-Ziel, bis zum Ende dieses Jahrhunderts beschrieben werden, sondern dass auch tatsächlich Maßnahmen erfolgen, um diese Ziele zu erreichen.

Für uns ist es wichtig, dass es ein klares und für alle obligatorisches CO2-Minderungsregime mit möglichst wenigen Sonderwegen gibt. Dem Klimaschutz nutzt es nämlich überhaupt nichts, wenn wir in Nordrhein-Westfalen zusätzliche CO2-Minderungen teuer oder gar mit Arbeitsplatzverlusten erkaufen würden. Über das EU-Handelssystem würden dann wiederum die gleichen Mengen an Klimagasen in anderen Bundesländern oder anderen europäischen Staaten in die Luft geblasen. Das bringt keinen weiter.

Die Verschmutzung in andere Länder zu verlagern und die Arbeitsplätze gleich mit – das wäre eine Politik, die den Menschen und den Arbeitsplätzen schadet

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

und dem Klima nicht das Geringste bringt.

(Beifall von der CDU)

Für die CDU, meine Damen und Herren, sind neue Arbeitsplätze und Klimaschutz zwei Seiten derselben Medaille. Die These, Klimaschutz und Wirtschaftswachstum vertrügen sich nicht, ist längst widerlegt und zumindest für unser hoch entwickeltes Industrieland Nordrhein-Westfalen falsch. Im Jahr 2000 haben wir in Nordrhein-Westfalen 339 Millionen t Treibhausgase emittiert. Im Jahr 2013 – das sind die aktuellsten Zahlen, in dieser Woche veröffentlicht – waren es nur noch 310 Millionen t, also eine Minderung von 8,6 % in 13 Jahren. Das Bruttoinlandsprodukt in Nordrhein-Westfalen stieg im gleichen Zeitraum preisbereinigt um 9,2 %. Wachstum und Reduzierung von Treibhausgasemissionen passen also zusammen.

(Beifall von der CDU)

Wir sagen: Erst Wirtschaftswachstum, Innovationen und zeitgemäße Ersatzbeschaffungen schaffen die Spielräume, um den Treibhausgasausstoß wirksam zu begrenzen. Neue Produkte werden heute in der Regel mit erheblich weniger Ressourceneinsatz hergestellt. Sie sind effizienter, sparsamer und klimafreundlicher als ihre Vorläufer.

Stellen Sie sich doch einmal den Ausstoß an Klimagasen vor, wenn die Menschen weiter in ihre alten Fernseher schauten, ihre alten FCKW-Kühlschrän-ke weiterbetrieben oder ihre alten Autos mit hohen Kraftstoffverbräuchen weiterfahren würden. Technischer Fortschritt und die Erforschung marktreifer Innovationen sind die besten Treiber, damit sich klimafreundliche Produkte am Markt durchsetzen können.

Verbote, Vorschriften und Untergangsszenarien verursachen nur Missmut und schaffen keine Akzeptanz. Hören Sie auf, den Menschen ein schlechtes Gewissen einzureden und ihnen ständig Vorschriften machen zu wollen, wie sie zu leben haben!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir müssen Begeisterung für Innovationen auslösen und nicht ständig den Zeigefinger erheben. Klimaschutz macht Spaß, wenn er den eigenen Geldbeutel entlastet, für bessere Luft sorgt und den Anwender technisch immer auf die Höhe der Zeit bringt.

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

Gerade im Industrieland Nordrhein-Westfalen liegen die großen Chancen des Klimaschutzes. Wir in Nordrhein-Westfalen stellen die Produkte her, die die Welt und die wir selber brauchen, um effizient, modern, ressourcenschonend und klimafreundlich zu leben und zu wirtschaften.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Rot-Grün ist von Anfang an einen falschen Weg gegangen. Mit dem einerseits strikt und andererseits doch wieder unbestimmt formulierten Klimaschutzgesetz, mit der Vielzahl von Ermächtigungen, die Sie sich in das Gesetz haben hineinschreiben lassen, haben Sie Befürchtungen, Misstrauen und Ablehnung geradezu provoziert.

(Zuruf von Hans Christian Markert [GRÜNE])

Mit Ihren Drohungen für die Zeit nach der Landtagswahl 2017 geben Sie diesen Befürchtungen weitere Nahrung.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Von uns jedenfalls kommt das klare Bekenntnis zur Industrie in Nordrhein-Westfalen. Wir wollen, dass bei uns auch zukünftig benzinsparende Leichtlaufreifen, Leichtbaukarossen, robuste Schwerlastgetriebe für Windkraftanlagen, Batterien für Elektroautos und moderne Eisenbahnzüge hergestellt werden, und zwar möglichst mehr als bisher. Dazu gehört der Erhalt von nordrhein-westfälischen Wertstoffketten, beispielsweise bei Aluminium, Stahl, Baustoffen und Grundstoffen für die chemische Industrie.

Die nordrhein-westfälische Industrie hat übrigens in den letzten 13 Jahren mit 23 % die höchsten Treibhausgaseinsparungen aller Wirtschaftsbereiche erzielt. Sie hat damit nun wirklich keinen Nachholbedarf.

(Beifall von der CDU)

Investitionen, die hier unterbleiben, nützen weder dem Klima in Nordrhein-Westfalen noch unserem Wirtschaftsstandort. Dies gilt insbesondere dann, wenn die gleichen CO2-Mengen irgendwo anders in der Welt und dann aller Lebenserfahrung nach unter weniger strengen Umweltstandards ausgestoßen werden.

Das Klimaabkommen von Paris, meine Damen und Herren, bietet mittel- und langfristig beste Chancen für unsere Wirtschaft, die wir mutig wahrnehmen müssen und uns nicht ängstlich verbauen dürfen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Mehr Schwarzenegger, weniger Deppe!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Für die Fraktion der FDP spricht Herr Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ehrlich zugeben: Noch in der letzten Woche – vor 14 Tagen haben wir noch über den Klimagipfel in Paris diskutiert – wäre ich wahrscheinlich keine Wette darauf eingegangen, dass der Gipfel zu einem Erfolg wird. Umso erfreuter war ich, dass es ein Erfolg geworden ist. Mit viel diplomatischem Geschick ist ein neuer Klimavertrag zwischen 195 Staaten auf den Weg gebracht worden.

Allerdings liegt der sicherlich nicht viel einfachere Teil noch vor uns, nämlich die Ratifizierung in den einzelnen Ländern und insbesondere die Umsetzung. Dafür, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, muss die Koalition der Ehrgeizigen jetzt zu einer Allianz der Verlässlichen werden. Was braucht es für diese Verlässlichkeit? – Es muss eingehalten werden, was finanziell vonseiten der Industrieländer zum Beispiel für Frühwarnsysteme und Klimarisikoversicherungen gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern versprochen wurde. Das findet unsere Unterstützung.

Deutlich will ich an dieser Stelle aber auch sagen: Dass die Industrieländer eine besondere Verantwortung haben – und die gibt es ohne Zweifel –, bedeutet nicht, dass sich Schwellen- und Entwicklungsländer ganz aus der Verantwortung ziehen oder keine Verantwortung haben. Jeder muss seinen Beitrag leisten, und zwar so, wie er es kann.

Nach der berechtigten Freude, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf aber niemand die Hände in den Schoß legen. Es gab und gibt schließlich auch kritische Stimmen. In der „FAZ“ vom 13. Dezember sagte Herr Prof. Ockenfels zum Beispiel:

„Im Vergleich zu den Ergebnissen vorheriger Klimakonferenzen ist Paris ein Erfolgt. Gemessen an den Herausforderungen des Klimawandels ein Debakel.“

Herr Prof. Sinn sprach mit Blick auf den Vertrag von moralischen Appellen und Lippenbekenntnissen, und er sagte:

„Der Durchbruch zu einem weltweiten Emissionshandelssystem, das die einzige Lösung für das Klimaproblem sei, liege in weiter Ferne.“

Ich weiß nicht, ob ein weltweites Emissionshandelssystem die wirklich einzige Lösung ist, aber es ist auf jeden Fall ein ganz wesentlicher Bestandteil. Vor zwei Wochen habe ich das in der Unterrichtung zur Klimakonferenz auch schon erläutert.

Da wir gerade vom Emissionshandelssystem sprechen, möchte ich noch darauf hinweisen, dass es im Entschließungsantrag der regierungstragenden Fraktionen heißt, dass der Emissionshandel weiterentwickelt werden solle. Spannend wäre vor dem Hintergrund, jetzt einmal zu wissen, wie Sie diesen eigentlich weiterentwickeln wollen. Bislang haben wir von Ihnen nämlich immer nur gehört, er funktioniere nicht und wir bräuchten vor allem höhere Preise. Damit haben Sie insbesondere bewiesen, dass Sie die marktwirtschaftliche Systematik, die dahinter steckt, überhaupt nicht verstanden haben,

(Beifall von der FDP)

zumal die Mechanismen hinter dem Zertifikatehandelssystem auch vom Klimaschutzplan immerhin konsequent ausgeblendet werden.

Kritisch zu betrachten sind unterschiedliche Maßstäbe im Vertrag. Rechtlich bindende Treibhausgasreduzierungen gibt es im Abkommen so nicht. Wir meinen aber, dass wir diese ganz dringend bräuchten.

Auch hier beschreibt das Klimaschutzgesetz einen anderen Weg – mal wieder ein Sonderweg in Nordrhein-Westfalen. Darum, Herr Kollege Thiel, passen die Regelungen aus Paris und Nordrhein-Westfalen eigentlich gar nicht zusammen. Das Problem dabei ist: Für die Bürger und die Wirtschaft innerhalb der EU, also auch innerhalb Nordrhein-Westfalens, sind die Einsparungen verpflichtend, für Großemittenten wie China gilt hingegen eine freiwillige Selbstverpflichtung. Dadurch drohen große Ungleichgewichte in der wirtschaftlichen Entwicklung.

Herr Kollege Thiel, wenn Sie sagen, das sei jetzt der ungünstigste Moment, um über den Ausstieg in der Kohleverstromung zu reden und, darüber nachzudenken, wie wir Strukturbrüche vermeiden, kann ich Ihnen nur sagen: Dabei haben Sie die Freien Demokraten an Ihrer Seite. Ich kann Ihnen aber auch sagen, dass, als Sie das gesagt haben, die vorweihnachtliche Stimmung, die auf den Gesichtern der Grünen zu sehen war, komplett verschwunden ist. Das müssten Sie vielleicht innerhalb der Koalition noch einmal neu klären; denn Einigkeit besteht hier nicht.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, das Abkommen tritt erst 2020 in Kraft. Es bleibt somit viel Zeit, neue Ansätze in der Klimapolitik zu entwickeln, und wegen der gerade beschriebenen Ungleichgewichte müssen wir das unserer Meinung nach auch.

Herr Thiel, Sie sprachen gerade mit viel Engagement gern über die Rolle des Verkehrs und der Automobilindustrie. Sicherlich darf man dort nicht die Hände in den Schoß legen. Aber ich gebe Ihnen noch einmal das Rechenbeispiel vom IW Köln mit: 250 € müssen bei den Pkw investiert werden, um 1 t CO2 einzusparen. Für 15 € können Sie durch den Austausch von alten durch neue Heizungen in Privathäusern 1 t CO2 einsparen. Ich möchte keinen Stillstand bei den Pkws, aber wir bräuchten doch eine klare Priorität bei den Zielen, wo wir für das eingesetzte Geld am meisten bekommen. – Herr Thiel, Sie nicken. Warum gibt es denn dann keinerlei Priorisierungen in diesem Klimaschutzplan?

(Beifall von der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Klimaschutz muss endlich die Phase der Moral verlassen und in eine Phase der Sachlichkeit, der Effektivität und der Effizienz eintreten. Aber das ist überhaupt nicht der Fall.

Die Steigerung der Energieeffizienz bei den Gebäuden ist auch schon angesprochen worden. Wir sind seit Jahren große Fans davon. Das steht zwar auch im Klimaschutzplan, aber wer hat das eigentlich im Bundesrat blockiert?

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Von vorne bis hinten, von früh morgens bis spät abends heißt es von Rot-Grün immer, wenn wir auf die Kosten schauen wollen: Klimaschutz rechnet sich von allein. Das ist ein Innovations- und Wirtschaftsmotor.

Beim Thema „Gebäudesanierung“ haben Sie aus politischem Kalkül im Bundesrat die steuerliche Absetzbarkeit blockiert. Das ist unredlich, dass das immer noch hier drinsteht.

(Beifall von der FDP – Minister Johannes Remmel: Das stimmt doch gar nicht! Guckt nach Bayern, nicht nach Nordrhein-Westfalen! Bayern hat das blockiert! Sie müssen mal in die Protokolle gucken!)

– Wie hat Nordrhein-Westfalen denn abgestimmt, Herr Remmel? Sie haben zugestimmt? Haben Sie zugestimmt?

(Minister Johannes Remmel: Sie müssen mal in die Protokolle gucken! Bayern hat das blockiert!)

Hat Nordrhein-Westfalen zugestimmt? Das ist doch die Frage. Sie haben nicht zugestimmt, das ist der Punkt. Darum regen Sie sich doch jetzt auch so auf.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Höne, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche.

Henning Höne (FDP): Meine Damen und Herren, der Klimaschutzplan hätte Vorreiter sein können, übrigens auch bei der Frage, wie wir Emissionen bilanzieren. Das haben wir oft genug diskutiert: Produktbilanzierung oder Quellenbilanzierung?

(Wibke Brems [GRÜNE]: Ach!)

– Ja, Frau Brems kann es nicht mehr hören, weil sie weiß, wie groß der Fehler an dieser Stelle ist und wie viele Möglichkeiten Sie gehabt hätten, in dieser Hinsicht etwas zu tun.

Fakt ist, Frau Brems: Würden wir von heute auf morgen aufhören, Windräder in Nordrhein-West-falen zu produzieren, würden wir – schließlich ist die Produktion sehr energieintensiv – einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten.

(Beifall von der FDP)

Das ist doch der Punkt. Würden wir sämtliche Aluminiumhütten dichtmachen, hätten wir für den Klimaschutz etwas Positives erreicht, hätten wir mehr zu den Zielen beigetragen. Das ist doch ein Widerspruch, den der Klimaschutzplan zumindest aufzulösen hätte versuchen können. Sie haben es aber nicht getan.

(Beifall von der FDP)

Effektivität und Effizienz sind so wichtig, weil alle Länder mitziehen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben, wie ich das eben schon beschrieben habe, ohnehin zwei Geschwindigkeiten innerhalb und außerhalb der EU. Es ist von unserer Seite aus im Prinzip in Ordnung, wenn wir Lokomotive, also Vorreiter, sein wollen. Der Punkt ist bloß: Mit Ihrer Politik koppeln Sie Waggons im hinteren Bereich des Zuges ab und schwächen gleichzeitig unsere Maschine. Trotzdem wollen Sie mit allen ankommen. Wir sagen, das wird so nicht passieren. Der ganze Zug muss im Zielbahnhof ankommen – nicht nur einzelne Akteure, nicht nur einzelne Waggons.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Henning Höne (FDP): Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn des Klimaschutzplans gab es große Ankündigungen, große Ziele wurden geäußert. Es war ein riesiger Prozess, mit dem Sie sich hoffnungslos übernommen haben; das zeigt auch Ihre mehrfach über den Haufen geworfene Zeitplanung. Trotzdem gibt es im Ergebnis nur Selbstverständlichkeiten, es gibt Verweise auf andere Ebenen, viel Beratung. Manches ist sicherlich richtig, vieles davon wird aber unterm Strich nichts bringen. Fest steht vor allem: Nichts davon hätte den Klimaschutzplan gebraucht – vor allem nicht mit diesem riesen Prozess drum herum.

Dieser Klimaschutzplan, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist keine Roadmap zu einer erfolgreichen …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Henning Höne (FDP): … Vorreiterrolle im Klimaschutz. Dieser Klimaschutzplatz ist eine Loseblattsammlung mit Selbstverständlichkeiten und „Wünsch dir was“.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Herr Minister Remmel, da Sie ja sehr lange Abgeordneter waren, können Sie sich bestimmt gut daran erinnern, dass Zwischenrufe von der Regierungsbank zumindest grenzwertig sind, ein Wortwechsel aber gar nicht geht.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Für die Piraten spricht Herr Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und hoffentlich zu Hause am Stream! In der Begründung für die Aktuelle Stunde steht, dass Nordrhein-Westfalen ein Drittel der deutschen Treibhausgase emittiert, dass deshalb das neue Pariser Klimaschutzabkommen auch Auswirkungen auf NRW haben wird und dass sich der Landtag daher zeitnah damit befassen muss, welche Bedeutung das für Nordrhein-West-falen hat.

Das will ich Ihnen gerne sagen: Dass die Regierung sich hier traute, einen Klimaschutzplan ohne Rechtsverbindlichkeit und ohne Einbindung in den Landesentwicklungsplan vorzulegen und ansonsten nur eine Aktuelle Stunde mit wortkarger Begründung anzubieten hatte, zeigt, wie sehr Sie bisher geschlafen haben.

Dann stießen Sie aber auf unseren Eilantrag

(Lachen von der CDU und den GRÜNEN)

und die Ergebnisse aus Paris und sahen sich bemüßigt, einen langatmigen Entschließungsantrag nachzuschieben. Da versuchen Sie vergeblich, das Hohe Lied vom Eigenlob in Sachen Klimaschutz zu singen. Das kommt aber erbärmlich leise krächzend rüber wie eine zerkratzte Schallplatte, die mit 45 rpm aufgenommen, aber mit 33 rpm abgespielt wird. Alles im Klimaschutzplan ist nur angebotsorientiert statt rechtsverbindlich. Ansonsten schieben Sie den „Schwarzen-Kohle-Peter“ weiter an den angeblich zuständigen Bund.

Unsere relevante Kritik am Klimaschutzplan, nämlich die fehlende Verbindlichkeit und die mangelnde Einbindung in den LEP, können Sie auch mit dieser eingedickten Buchstabensuppe nicht übertünchen.

(Beifall von den PIRATEN)

Braun- und Steinkohlekraftwerke spielen beim Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen gar keine Rolle. Halleluja! Jedenfalls werden sie im Entschließungsantrag nicht erwähnt, und der Hambacher Forst – Stichwort: Biodiversität – auch nicht. Was Konflikte birgt, gibt es nicht. Ganz fest die Augen zu! Dann wird es im Kopf so schön dunkel wie in einem aufgelassenen PCB-verseuchten Steinkohlestollen, und der Klimaschutz hat gewonnen.

Dieser Entschließungsantrag ist so überflüssig wie die fossile Energieproduktion. Da steht nichts Neues drin – noch nicht mal, dass die SPD sowohl im Bund wie im Land mitregiert und so längst allerlei auf den Weg hätte bringen können und sogar gebracht hat, zum Beispiel Klimaschutz durch Hartz IV für längst abgeschriebene uralte Braunkohlekraftwerke.

Dazu passt auch, dass die grüne Kultusministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin keinen blassen Schimmer von der systematischen Indoktrination von Kindern durch RWE in Schulen hatte.

(Zurufe von den GRÜNEN)

So viel zu Ihrem Entschließungsantrag, dieser textgewordenen Peinlichkeit, und weiter zum Pariser Abkommen.

Wir haben nach Paris eine andere Situation. Ab 2020 soll ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag in Kraft treten, dessen Ziel die Begrenzung der Erwärmung auf 2 bzw. sogar nur 1,5° C ist. Das bedeutet für Nordrhein-Westfalen, der Ausstieg aus der Braunkohle muss terminiert werden, allerspätestens bis 2030 und am besten durch ein Gesetz, so wie wir es seit 2013 fordern.

(Beifall von den PIRATEN)

Die bisher von der Landesregierung geplanten Maßnahmen taugen nicht einmal für ein Drei-Grad-Ziel. Das muss die Regierung anerkennen und dementsprechend handeln, beim Klimaschutzplan und beim Landesentwicklungsplan, und vor allem muss sie die Leitentscheidung für die Braunkohle komplett überarbeiten.

Sie muss berücksichtigen, dass die nationalen Maßnahmen zur Einhaltung der Ziele ab 2023 überprüft werden, und deshalb darf sie keinesfalls für die Betreiber Rechtssicherheit über 2023 hinaus schaffen. Sie muss anerkennen, dass auch hier in Nordrhein-Westfalen ab jetzt gilt, dass schon bald der Ausstieg aus der Kohle insgesamt, speziell aus der Braunkohle, schneller kommen muss als bisher geplant.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn jetzt für RWE die Sicherheit garantiert wird, bis nach 2045 Braunkohle abbauen zu dürfen, dann wird einmal wieder der Steuerzahler zahlen müssen, wenn ein beschleunigter Ausstieg zu Schadenersatzansprüchen führt.

Aber nichts davon kommt aus der Landespolitik. Dass die Presse die mangelnden Reaktionen aus der Landespolitik auf das Abkommen monieren muss, ist ein Armutszeugnis nicht nur für die Regierung, sondern auch für die beiden anderen Oppositionsfraktionen. Enttäuschung und Schrecken müssen groß sein bei den vier anderen Fraktionen, dass international endlich mal wieder etwas Greifbares und Verbindliches herausgekommen ist.

Bei uns nicht! Denn wir Piraten zeigen als Einzige klare Kante seit unserem Einzug in den Landtag. Wir Piraten fordern ein Braunkohleausstiegsgesetz. Wir Piraten fordern ein rechtssicheres Frackingverbot. Wir Piraten fordern die Verkehrswende. Wir Piraten wehren uns gegen das Zerschlagen des EEG und der Energiewende. Wir Piraten kritisieren das Hartz IV für alte abgeschriebene Braunkohlekraftwerke. Wir Piraten sagen Ihnen seit Langem, dass Ihre Leitentscheidungen zur Braunkohle Makulatur sind. Wir Piraten fordern, Vorsorge zu treffen für die absehbaren Pleiten der Kommunen, die Aktientäusche mit RWE und Konsorten durchgeführt haben und jetzt in der Falle sitzen. Und wir rennen hier im Landtag seit fast vier Jahren gegen eine Phalanx aus Dummheit, Ignoranz, Inkompetenz und durch Parteispenden wohlgepflegte politische Landschaften an.

(Beifall von den PIRATEN)

Dennoch haben wir unseren Eilantrag absichtlich zurückhaltend formuliert. Sie können ihm ohne Gesichtsverlust zustimmen. Wir sind gespannt, ob Sie diese absichtlich niedrig gesetzte Hürde nehmen können.

Wir Piraten werden unabhängig davon den Klimaschutz weiterhin auch außerparlamentarisch unterstützen. Wir Piraten fordern weiterhin die lückenlose Aufklärung der Zusammenarbeit zwischen Polizei und RWE-Werksschutz und deren Angriffe in diesem Sommer auf „Degrowth Summer School“, das Klimacamp und „Ende Gelände“ sowie die Pressefreiheit. Wir Piraten werden uns an der kommenden Deinvestitionskampagne beteiligen. Mit Münster als Beispiel wollen wir unseren Beitrag leisten, dass den Klimakillern der Geldhahn abgedreht wird.

Was schon andere große Investoren angekündigt haben, sollen auch Kommunen, Stadtwerke und Sparkassen durchführen. Sie sollen ihr Kapital aus den Fossilen herausziehen, bevor es verbrannt ist, und sinnvoller investieren. Wer Energiewende und Klimaschutz will, verlässt sich in Deutschland besser nicht allein auf Parlamente und beeinflusste Parteipolitik.

(Henning Höne [FDP]: Ei, ei, ei! Es wird immer schlimmer, Herr Rohwedder!)

Und glauben Sie ja nicht, dass Paris ausreichend ist. Das ist erst der Anfang. Die IPCC-Expertin Tina Christensen vom Dänischen Meteorologischen Institut sagt:

„Das Pariser Abkommen alleine bringt die globale Temperatur im Jahre 2100 auf drei bis dreieinhalb Grad über die vorindustrielle Temperatur. Das Zwei-Grad-Ziel ist eine Absichtserklärung, der weitere Initiativen mit großen Reduktionen folgen müssen.“

Wenn alle so handeln wie Sie – dabei geht es um das, was Sie bisher vorgelegt haben –, dann landen wir bei 4 Grad oder mehr; denn Paris ist noch gar nicht eingepflegt. Wir sind jetzt bei einem Grad und spüren die Folgen schon massiv. Ihre bisherige Politik als Klimaschutz verkaufen zu wollen und zu glauben, eine Aktuelle Stunde mit Ihrem famosen Entschließungsantrag inklusive schönmalerischer Selbstbeweihräucherung würde Ihnen aus der Bredouille helfen, ist angesichts der Lage makaber und zynisch. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat, am 12. Dezember 2015 ist von Paris aus ein Ruck durch die Welt gegangen. 23 Jahre nach der Verabschiedung der Weltklimakonvention in Rio ist Wirklichkeit geworden, dass sich die Weltgemeinschaft zur Weltverantwortung bekannt hat. 23 Jahre, und ich habe an der Stelle kein Problem damit, an das Mitwirken des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl und des Bundesumweltministers Klaus Töpfer zu erinnern, die damals christlich-konservativ mutig an der Konvention mitgewirkt haben. Insofern stehen wir heute auf den Schultern dieser Arbeit.

In der Tat, wenn ich mir Ihre Beiträge und Reihen angucke, Herr Lindner, Herr Laschet und auch Herr Deppe, dann würde ich mir mehr Kohl und Töpfer und weniger Lindner, Laschet und Deppe wünschen, denn es geht um Mut für die Zukunft. Und den hatten die Herren damals!

(Beifall von den GRÜNEN)

Paris hat das Fenster für neues, gutes Leben weit aufgestoßen. Es geht um weit mehr als eine magische Zahl von höchstens 2 Grad oder 1,5 Grad. Es geht um weit mehr als um die 100 Milliarden €, die für ärmere Länder zur Verfügung gestellt werden sollen. Es geht weit mehr um die jährlich verabredeten Überprüfungen. Es geht, meine sehr verehrten Damen und Herren, um eine neue Musik. Dafür müssen unsere Ohren allerdings offen sein. Wir müssen hinhören zu dieser neuen Musik. Es geht dabei um eine neue Basis für Wirtschaft, Wohlstand und Beschäftigung. Um nichts mehr und um nichts weniger geht es. Es geht um besser. Es geht nicht um schlechter, sondern um mehr Zukunft. Das ist sozusagen eine Wende der Industriegesellschaft.

Wir haben seit Jahrtausenden die Tradition, alles, was wir in die Pfoten bekommen, sozusagen zu verbrennen, ums Feuer herumzutanzen. Und es geht um nichts anderes als um den Abschied vom Feuer und um die Hinwendung zu Erneuerbaren und zur kohlenstofffreien Wirtschaft. Das ist das, was als Signal von Paris ausgeht – ein neues Signal für einen neuen Aufbruch in eine neue Industriegesellschaft.

Mein Dank geht an dieser Stelle auch an die Delegation, geführt von der Bundesumweltministerin. Ihr wird bescheinigt, in Paris einen guten Job gemacht zu haben.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Jetzt kommt es darauf an, dass sich die Staaten, Regionen und Städte, dass wir alle – in Politik, Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft; die Menschen in ihren Kommunen – uns aufmachen, das umzusetzen, wo das Fenster und die Tür weit aufgestoßen worden sind.

Dann kommt immer das Argument: Warum Nordrhein-Westfalen? Warum wir? Man kann es nicht oft genug sagen: Der Emissionshandel, wie er derzeit in Europa aufgestellt ist, funktioniert jedenfalls nicht dahingehend, dass neue Investitionen entstehen. Die brauchen wir für ein System der Zukunft. Der Emissionshandel ist nicht an den Bereichen orientiert, die auch notwendig sind, um den Klimaschutz voranzubringen. Die Bereiche Mobilität und Wohnen sind vom Emissionshandel nicht erfasst.

Paris macht noch einmal deutlich, dass es ohne das Engagement der Menschen von unten – ohne einen Klimaschutz, der von unten her wächst – nicht geht. Wir haben 18 Millionen Menschen in diesem Land. Deshalb ist es doch unsere verdammte Pflicht, hier zu aktivieren, zu helfen und zu unterstützen – da, wo viele schon unterwegs sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Für mich war in diesem Jahr eine Begegnung am prägendsten, die ich im März oder April dieses Jahres mit einem Erzbischof aus Indonesien hatte. Er hat mir erklärt, er sei für eine Insel in Indonesien verantwortlich. Auf dieser Insel hat es in früherer Zeit alle zehn Jahre einen schweren Sturm gegeben. Mittlerweile gibt es dreimal im Jahr schwere Taifune mit erheblichen Zerstörungen. Er hat mir in ganz ruhiger Art erklärt, der letzte Sturm mit verheerenden Folgen im Jahr 2013 habe dort 2000 Menschen das Leben gekostet. Er sagte: Wir bauen das wieder auf, wir schaffen das. Wir helfen uns gegenseitig. Vielleicht haben wir auch eigene Fehler gemacht, indem wir zu viel Wald abgeholzt haben und deshalb die Dörfer nicht geschützt waren. Aber eines verstehe ich nicht: Warum müssen die Menschen hier in Indonesien, die nichts dafür können, dass das CO2 im Deponieraum dort oben gelandet ist, darunter leiden, wenn andere das verursacht haben?

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir eine verdammte Verantwortung, die Lösungen für die Zukunft zu liefern; denn wir haben die Kompetenz dafür. Hier gibt es die Ingenieurinnen und Ingenieure. Hier ist die wirtschaftliche bzw. ökonomische Basis. Also machen wir uns doch auf, die Lösungen für die Zukunft hier zu entwickeln und gute Rahmenbedingungen zu setzen. Es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dies zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und genau hier setzt der Klimaschutzplan an. Hier haben wir unsere Arbeit mit den Akteuren aus der Gesellschaft in den letzten drei bis vier Jahren getan. Deshalb gebührt mein Dank dieser geleisteten Arbeit, der Beteiligung, der Partizipation. Wir haben es hinbekommen, uns auf einen Plan für die Zukunft zu verständigen. Es ist eine neue industriepolitische Strategie für unser Land, ein Radar, wie wir uns zukünftig entscheiden und entwickeln müssen.

Das ist ein Tor für Nordrhein-Westfalen, eine neue Gelegenheit, eine neue Chance: Nordrhein-Westfa-len als Land der Erneuerbaren, Nordrhein-Westfa-len als Effizienzland Nummer eins, Nordrhein-West-falen als Klimaschutzland mit einer nachhaltigen Industrie. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das lassen wir uns von niemandem madig machen.

Herr Laschet, zu Ihrer wiederholten Nummer mit den Wäscheklammern:

(Henning Höne [FDP]: Wäscheleinen!)

Zum einen ist diese Maßnahme längst nicht mehr im Klimaschutzplan enthalten. Das war ein Vorschlag aus der Zivilgesellschaft. Das zeugt doch davon, dass Sie sich mit der Sache überhaupt nicht beschäftigt haben.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben offensichtlich mehr Interesse an einem billigen Populismus als an einer wirklichen Zukunft für unser Land, die darauf ausgerichtet ist, Verantwortung zu übernehmen. Letztlich ist das, was Sie an dieser Stelle machen, eine Beleidigung für alle diejenigen, die sich in Nordrhein-Westfalen engagieren. Im Übrigen ist es auch eine Beleidigung für Ihre Heimatstadt Aachen, der Stadt, in der das Erneuerbare-Energien-Gesetz geboren worden ist.

(Armin Laschet [CDU]: Ich habe daran mitgeschrieben!)

Es ist eine Beleidigung der Ingenieurinnen und Ingenieure, die von Aachen aus, die im Maschinenbau neue Konzepte für die Welt entwickeln.

(Beifall von den GRÜNEN – Unruhe)

Das alles beleidigen Sie mit Ihrer oberflächlichen Vorgehensweise.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich wünsche mir da mehr Ernsthaftigkeit und mehr Ringen darum, was die besten Lösungen für unser Land sind, anstatt billigen Populismus zu betreiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Klimavertrag von Paris steht auch für Glaubwürdigkeit. Diese Glaubwürdigkeit stellen wir her, indem wir heute ein eigenes Konzept, eine eigene Planung für die Zukunft auf den Weg bringen. Das ist gut für Nordrhein-Westfalen. Das ist gut für die kommenden Generationen.

Das Abkommen kann eine neue Wirklichkeit bedeuten, wenn alle ihren Teil dazu beitragen. Dann wird es auch unserem Industriestandort Nordrhein-Westfalen gut gehen – seit dem Klimavertrag von Paris besser denn je. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hovenjürgen.

(Zuruf von der CDU: Jetzt kommen die Fachleute!)

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Remmel, dass Sie sich auf Klaus Töpfer und Helmut Kohl berufen, ist, zumindest was die Anfänge des Klimaschutzes, die Notwendigkeit, Klimaschutz global zu sehen, betrifft, richtig. Aber Sie haben bis heute nicht begriffen – das ist das Problem –, dass wir das Klimaproblem nicht in Nordrhein-Westfalen lösen können, sondern dass wir gemeinsam international agieren müssen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Der Klimavertrag von Paris ist ein Erfolg, weil wir Klimaschutz jetzt gemeinsam weltweit auf den Weg bringen können. Es wird deutlich, dass Kleinzeiligkeit, wie Sie sie in Nordrhein-Westfalen betreiben, eigentlich keine Wirkung entwickeln kann.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Im Übrigen glaube ich, dass es eine verantwortliche Politik ist, wenn man überprüft, welche Auswirkungen das eigene Handeln sowohl auf das Klima als auch auf die Menschen und ihre Arbeitsplätze hat.

Wir müssen bei all unserem Handeln bedenken, wie es wirkt. Das beschränkt sich nicht nur auf das Klima, sondern es gilt auch zu prüfen, welche Auswirkungen unser politisches Handeln auf alle Abläufe hier im Land hat.

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir den Akteuren in diesem Rahmen Sicherheit mit an die Hand geben, damit sie sich auf die Vereinbarungen verlassen können. Das gilt für die Menschen in den Revieren. Das gilt aber auch für die Menschen, die von Umsiedlungen bedroht waren; jetzt haben diese Menschen Sicherheit.

Obwohl die Union sagte: „Wir hätten es anders gemacht“, haben wir gesagt: „Wenn es entschieden ist, ist es entschieden, weil die Menschen Sicherheit brauchen, weil Sie sich darauf verlassen können müssen, was hier im Landtag Nordrhein-Westfalen und was in den Parlamenten vereinbart wird.“

Vereinbarungen permanent infrage zu stellen, löst Unsicherheit aus. Sie sind immer wieder einer derjenigen, der dies schafft. Sie beginnen Ihre Rede mit großem Pathos, sind aber nicht einmal in der Lage, in Ihrem eigenen Ministerium die Dinge so zu klären, dass Planungssicherheit entstehen kann; ich nenne das Beispiel Windkraftanlagen.

Bis heute ist es trotz des neuen Windkrafterlasses nicht möglich, Windkraftanlagen nachvollziehbar zu planen. Vor allem diejenigen, die Sie stärken wollen – insbesondere die BürgerWIND-Bewegung –, sind unter den unsicheren Rahmenbedingungen im Rahmen der Einzelfallprüfung nicht mehr in Lage, den Menschen zu sagen, ob die Investitionen verlässlich sind. Denn am Beginn eines Vorhabens kann nicht gesagt werden, ob am Ende die Chance auf Realisierung steht.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Sie haben den Konflikt in Ihrem Ministerium bis heute nicht gelöst. Sie sollten nicht immer mit erhobenem Zeigefinger durchs Land gehen, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, die einfachsten Hausaufgaben im eigenen Ministerium zu erledigen.

(Beifall von der CDU)

Wenn ich mir die Rede von Herrn Rohwedder noch einmal vor Augen führe, stelle ich fest: Herr Rohwedder, Sie haben eindrucksvoll bewiesen, dass das Klima die Piraten nicht braucht.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Am Ende wird Klimaschutz natürlich durch politische Verantwortliche in diesem Haus geleistet. Aber die Kapriolen, die Sie hier vorgeführt haben, sind kein entsprechender Beitrag zum politischen Klima.

(Henning Höne [FDP]: Wenn er mal geleistet würde! Das ist das Problem!)

Und Sie helfen auch dem Klima weltweit nicht, wenn Sie in dieser Art und Weise auftreten.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von den Piraten: Treffer versenkt!)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir haben in Paris Historisches erlebt. Wir freuen uns, dass wir uns als Weltgemeinschaft auf den Weg gemacht haben. Jetzt gilt es, dies – es wurde hier bereits mehrfach gesagt – mit Leben zu füllen. Wir müssen es nachvollziehbar machen. Alle müssen sich jetzt an das Vereinbarte halten. Man muss sich gegenseitig prüfen und überprüfen, ob es funktioniert.

Wir müssen natürlich auch schauen, wo wir die größten Effekte erzielen können. Ich glaube, das, was vorhin vom Herrn Kollegen Deppe und von Herrn Höne von der FDP genannt wurde, ist sehr wichtig: Das sind die Ingenieursleistungen, die Nordrhein-Westfalen liefern kann, die Möglichkeiten, mit denen wir weltweit helfen können, das Klima zu retten, die Temperaturziele einzuhalten.

Wenn es gelingt, China und Indien dabei zu helfen, Stromgewinnung mit weniger alter Kraftwerkstechnologie, mit weniger Kohleverstromung auf den Weg zu bringen, dann haben wir eine große Chance, beim Weltklimaschutz voranzukommen.

Wir werden Klimaschutz natürlich auch hier im Land vorantreiben müssen. Natürlich müssen wir hier auch besser werden. Aber wir müssen auch auf die Verhältnismäßigkeit unseres Vorgehens schauen. Wir müssen darauf schauen, was mit denen passiert, die heute in unseren Regionen in verschiedenen Strukturen Arbeit finden. Wie gehen wir damit um? Wie schaffen wir Übergänge? Wie vermeiden wir Brüche? All das gehört zu einer verantwortlichen Politik.

Ich habe sehr genau beobachtet, dass während der Rede der Kollegin Brems nur wenig Euphorie bei den Koalitionspartnern ausgebrochen ist. Man hatte dort wohl gewisse Ressentiments hinsichtlich dessen, was da gesagt worden ist; denn man kennt ja die Praxis.

Frau Brems, ich sage Ihnen: Wenn wir uns auf einen Weg gemacht haben, können wir diesen Weg nicht immer wieder erneut infrage stellen. Sie haben zusammen mit Ihrem Koalitionspartner eine Leitentscheidung getroffen. Dann stehen Sie auch dazu und sagen nicht immer: Wir müssen das Paket aufschnüren.

Ich bitte wirklich darum, dass wir in Nordrhein-Westfalen gemeinsam verantwortliche Politik betreiben. Wir dürfen im Hinblick auf das Klima und die Arbeit in Nordrhein-Westfalen keine Brüche bei den Existenzen von Menschen schaffen, und wir müssen Widersprüche vermeiden. Beides muss miteinander in Verbindung gebracht werden. Das können wir gemeinsam schaffen. Wir müssen dafür sorgen, dass beides möglich ist: Ökonomie und Ökologie.

Dafür stehen übrigens Helmut Kohl und Klaus Töpfer.

(Beifall von Lutz Lienenkämper [CDU])

Sie haben sich auf den Weg gemacht, um genau das zusammenzubringen und diese Enden miteinander zu verknüpfen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Angetrieben von einer Umweltbewegung, von den Grünen!)

So sieht erfolgreiche, gesellschaftlich verantwortbare Politik aus. Dahin sollten Sie zurückfinden. Auch die Grünen möchte ich darum bitten, nicht immer ihre eigenen Standpunkte zu überhöhen, sondern auch in den Realitäten anzukommen. Es macht keinen Sinn, Ideologien in den Mittelpunkt von Politik zu stellen. Realismus und Verantwortung für die Menschen hier im Land müssen im Mittelpunkt stehen. Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hovenjürgen. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Sundermann.

Frank Sundermann (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Josef Hovenjürgen, Ihre Rede war ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass Sie von Klimaschutz bis heute nichts begriffen haben. Von Klimaschutz wissen Sie anscheinend überhaupt nichts.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will Ihnen das auch deutlich machen. Sie beginnen immer wieder mit der Diskussion: Wir können in Nordrhein-Westfalen nicht die Welt retten, sondern das müssten im Prinzip die Chinesen und die Inder tun. – Das ist völlig falsch. Sie begreifen nicht, worum es hier geht. Wenn wir nicht anfangen, werden die anderen nicht nachziehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Wir haben schon angefangen!)

Wir sind nicht nur ein Beispiel, sondern wenn wir diesen Weg nach vorne gehen, dann sind wir der Ort der Innovationen. Das wird die Arbeitsplätze in diesem Land langfristig sichern. Das werden Sie heute, morgen und auch übermorgen nicht begreifen. Aber ich sage es Ihnen heute trotzdem noch einmal.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Uns unterscheidet noch etwas ganz deutlich: Sie reden hier immer über Chancen und sagen, Klimaschutz sei wunderbar. Auch Herr Höne hat es gesagt: Klimaschutz ist wunderbar. – Aber Sie reden nur darüber. Am Ende fokussieren Sie sich in der Landespolitik immer nur darauf, über Risiken zu reden. Das ist falsch. Wir müssen die Risiken natürlich betrachten, aber wir müssen auch die Chance ergreifen, die sich aus dieser Sache für unser Land ergibt.

Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Wer Verantwortung übernimmt und wer Chancen ergreift, der ist die Regierung. Deswegen sind wir die Regierung und Sie die Opposition.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal kurz auf Paris eingehen. Es wurde ja schon öfter gesagt: 195 Staaten haben sich auf Ziele und Verfahren geeinigt. Man spürte, dass dieser Erfolg Euphorie, Emotionen und Freude verursacht hat. Ich halte dies für den weiteren Prozess für sehr wichtig; denn dieser Klimaschutz wird nur dann funktionieren, wenn wir Menschen mitnehmen und sie überzeugen. Das ist das Entscheidende an diesem ganzen Prozess.

Es wird ein langer Weg sein. Nordrhein-Westfalen hat sich auf diesen langen Weg gemacht. Ich finde es schon relativ beeindruckend und bemerkenswert, Herr Höne, dass Sie kritisiert haben, wie lange der Prozess zur Erstellung des Klimaschutzplans gedauert hat.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Hätte dieser Prozess nur ein Vierteljahr gedauert, hätten Sie sich hierhingestellt und gesagt, wir hätten die Leute nicht mitgenommen. Jetzt dauert der Prozess lange, und Sie sagen, wir seien nicht zu Potte gekommen; wir haben lange gebraucht.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Der Klimaschutzplan ist gut, und er funktioniert auch.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wenn man im Laufe eines Prozesses merkt, dass sich die Menschen zum Teil nicht mitgenommen fühlen und mehr Diskussionsraum benötigen, dann ist es richtig und nicht falsch, wenn man den Menschen diesen Raum gibt.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ganz wichtig ist, dass dieser Klimaschutzplan jetzt auch gelebt wird. Wir benötigen weiterhin diesen Dialog. Deswegen ist es aus unserer Sicht zwingend erforderlich, dass es eine vernünftige Verknüpfung zwischen dem Koordinierungskreis, der diesen Klimaschutzplan koordiniert hat, und dem Sachverständigenrat gibt.

Klimaschutz muss in den Herzen und in den Köpfen ankommen. Klimaschutz darf nämlich nicht nur ein Thema der Eliten bleiben; das wäre ein Kardinalfehler. Er muss für alle begreifbar bleiben. Deswegen spielt auch Bildung eine zentrale Rolle;

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

denn Kinder können zum Vorbild für die Erwachsenen werden. Nur über die Kinder erreichen wir nämlich auch Schichten, die wir durch unsere Debatten selbst dann nicht erreichen könnten, wenn wir sie hundert Mal führten.

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Deshalb muss NRW auch an die Schulen, ja?)

Richtig ist auch, dass der Klimaschutzplan die Auswirkungen auf soziale Fragen und auf die Beschäftigung berücksichtigt. Das ist beim Monitoring der Fall. Herr Hovenjürgen hat es bereits angesprochen: Wir müssen immer versuchen, Beschäftigung, Ökonomie und Ökologie im Gleichgewicht zu halten. In dieser Frage sind wir überhaupt nicht auseinander.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Wenn wir aber sagen: „Wir wollen vorne stehen“, dann tun wir das doch auch. Deswegen ist es ein ganz entscheidender Punkt, dies immer wieder entsprechend zu gewichten.

Ich möchte kurz auf einen weiteren Punkt eingehen. Wir haben hier sehr häufig über den Kohleausstieg geredet. Ich glaube, dass diese Landesregierung inzwischen alles dazu gesagt hat. Wir brauchen kein Kohleausstiegsgesetz. Wir bekommen kein Kohleausstiegsgesetz. Wir haben mit der auf den Weg gebrachten Leitentscheidung verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen. Insofern möchte ich über dieses Thema jetzt nicht mehr umfänglich diskutieren, sondern auf zwei andere Dinge zu sprechen kommen, nämlich auf Mobilität und Wärme.

Mobilität und Wärme leisten auch einen nicht unerheblichen Anteil an den Treibhausgasemissionen. Auch bei der Mobilität müssen wir mit Veränderungen rechnen; das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Wir bekommen Veränderungen im Individualverkehr; wir bekommen auch Veränderungen im Flugverkehr. Das heißt, wir müssen uns stärker auf E-Mobilität und auf neue Formen der Mobilität fokussieren.

Auch in dieser Hinsicht ist NRW ideal aufgestellt. Wir haben einen hohen Urbanisierungsgrad. Wir haben die Zulieferindustrie im Kraftfahrzeuggewerbe. Wir haben die Forschungsinstitute. Aachen wurde schon erwähnt. Das Unternehmen StreetScooter, das aus einem RWTH-Projekt entstanden ist, wurde mittlerweile von der Post aufgekauft und geht in Serienproduktion. Das zeigt doch, dass Ökonomie und Ökologie hervorragend zusammenpassen. Das ist aus meiner Sicht ein wunderbares Beispiel.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

An zweiter Stelle steht der Punkt „Wärme“. Den habe ich auch deshalb aufgenommen, weil wir uns in der Vorweihnachtszeit befinden.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir alle von CDU, SPD und den Grünen haben im Bereich Kraft-Wärme-Kopplung zusammen einiges erreicht. So ist zum Beispiel der Förderzeitraum verlängert worden. Ganz egal, ob Fernwärme oder Kraft-Wärme-Kopplung in einem Mehrfamilienhaus: Eine gemeinsame Nutzung von Wärme und Strom ist ein ganz entscheidender Beitrag zur CO2-Reduzierung.

Meine Damen und Herren, Klimaschutz braucht keine Zeigefinger – weder von der einen noch von der anderen Seite. Es ist notwendig, dass wir Anreizsysteme schaffen, damit der Klimaschutz erfolgreich ist. Klimaschutz braucht aber auch Innovation und Fortschritt. Klimaschutz braucht zudem Technik; das heißt, Klimaschutz braucht die Industrie.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Klimaschutz braucht überdies, Herr Hovenjürgen, Dialog. Das heißt, Sie müssen die Menschen begeistern. Sie müssen mit den Menschen reden. Klimaschutz braucht Menschen, die anpacken und handeln. Also, lasst uns anpacken! – In diesem Sinne: Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Sundermann. – Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Brockes das Wort.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ergebnis des Klimagipfels von Paris ist die Einigung auf das 2-Grad-Ziel, ein Ziel, das für uns alle hier bereits vorher galt. Die Richtschnur, die Emissionen in Deutschland und Europa um mindestens 80 %im Jahr 2050 senken zu wollen, sieht das bereits vor. Nun gilt diese Einigung von Paris für 195 Staaten.

Die Staatengemeinschaft hat sich auf dieses 2-Grad-Ziel verständigt, und das ist schon ein beachtliches Ergebnis. Aber: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Das hat mein Kollege Henning Höne bereits ausgeführt: Einen wirksamen Kontrollmechanismus wie noch im Kyoto-Protokoll gibt es leider nicht. Das Bekenntnis zu marktwirtschaftlichen Instrumenten wie dem Emissionshandel fehlt total.

Daher, Minister Remmel, stimmen wir Ihnen zu – nein, wir haben es immer schon gefordert –, dass beim Emissionshandel auch die Mobilität und die Wohnbausanierung integriert werden, damit wir einen effizienten, einen umfassenden Emissionshandel haben.

(Beifall von der FDP)

Vor allem: Eine rechtlich bindende Verpflichtung der Staaten zur Treibhausgasreduzierung gibt es leider nicht mehr. Das Klimaschutzgesetz NRW beschreibt hier bekanntlich einen ganz anderen Weg.

Genau hier liegt der Systembruch, und das Problem wird mit dem Klimaschutzgesetz noch deutlicher: Für Bürger und Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen ist das Treibhausgaskontingent gesetzlich limitiert, und für die großen Emittenten wie China und Indien gilt eine freiwillige Selbstverpflichtung.

Meine Damen und Herren, das Abkommen soll im Jahr 2020 in Kraft treten. Das gibt uns Zeit, einen neuen Ansatz in der Klimapolitik zu entwickeln. Dies ist auch dringend notwendig. Denn: Wir benötigen weniger Ideologie und mehr Vernunft.

Rot-Grün agiert ausschließlich lokal und blendet das globale Denken aus. Wir aber wollen effiziente und effektive Klimaschutzmaßnahmen.

(Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Mein Gott!)

Das bedeutet: Entwicklung von Klimaschutztechnologien! Nordrhein-Westfalen ist nicht nur das Energieland Nummer eins, sondern Nordrhein-Westfalen ist auch das Chemieland Nummer eins, und Nordrhein-Westfalen ist zudem der Stahlstandort Nummer eins in Europa. Hier liegen unsere Stärken, und die müssen wir pflegen; denn ohne die Chemieindustrie und ohne die Stahlindustrie werden wir den Klimawandel nicht aufhalten können.

Es hilft dem Klimaschutz nicht, wenn wir unsere Industrie hier in Nordrhein-Westfalen durch überteuerte Strompreise zerstören. Genau auf diesem Weg befindet sich Rot-Grün leider; das ist eben aus den Ausführungen von Frau Brems noch einmal deutlich geworden. Sie hat gesagt, dass der Klimaschutzplan vorschreibt, wo Investitionen sinnvoll sind. Damit wird gerade die Deindustriealisierung Nordrhein-Westfalens vorangetrieben,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Blödsinn!)

und das, obwohl wir bereits heute stagnierende Zahlen bei den Bruttoanlageinvestitionen und der Bruttowertschöpfung zu verzeichnen haben. Dies wird durch Ihre Politik noch einmal verstärkt. Technologischer Fortschritt ist die Lösung und nicht die Ursache für den Klimawandel. Diesen Realismus brauchen wir in der deutschen Klimapolitik.

Nordrhein-Westfalen als Industrieland hat eine besondere Verantwortung für den Klimaschutz. Dem von Bundes- und Landesregierung eingeschlagenen Weg der Emissionsreduktion durch den Verzicht auf Arbeitsplätze und auf gesellschaftlichen Wohlstand wird jedoch kein anderes Land dieser Welt nachfolgen. Es wird nämlich Länder geben, die trotz der Vereinbarung auch weiterhin in Kohlekraftwerke investieren werden. Es wird Länder geben, die auch in zehn, 15 Jahren noch neue Kohlekraftwerke bauen werden. Wieder andere Länder werden ihren Wohlstand dadurch erhalten, dass sie verstärkt auf die Kernenergie setzen. Und das sind Auswirkungen, die Sie ja eigentlich nicht haben wollen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Aber Sie!)

Herr Kollege Rüße, Sie kritisieren die Politik in Belgien, dass dort veraltete weiter Kraftwerke am Netz bleiben.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Da sind wir uns ja einig!)

Aber genau durch Ihre Vorgehensweise werden Sie diese Entwicklung in Europa leider vorantreiben. Viele andere Länder werden die alten Kraftwerke auch weiterhin am Netz lassen. Genau das ist doch der Punkt.

(Lebhafter Widerspruch von den GRÜNEN – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist schon schwer zu ertragen!)

Wir müssen aufpassen, dass wir mit der Klimaschutzpolitik nicht unsere industrielle Basis in Nordrhein-Westfalen zerstören. Wir müssen darauf achten, dass bei allem gut verstandenen Klimaschutz trotzdem die Wertschöpfungsketten im Land bleiben; denn diese brauchen wir, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen.

Der Weg muss sein, marktwirtschaftliche Instrumente wie den Zertifikathandel weltweit auszubauen. So gelingt Klimaschutz: mit dem Blick auf Kosten und Nutzen und mit dem Blick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen und Europa im Vergleich zum Rest der Welt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Brockes. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Kollege Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In Paris haben sich 195 Staaten verständigt. Das wird völkerrechtlich bindende Wirkung bekommen. Der Konsens ist damit klar: Diese Staaten haben anerkannt, dass der Klimaschutz notwendig ist, dass wir eine steigende Erderwärmung haben. Wenn wir nicht so handeln, wie es nötig ist, werden Hunderte Millionen Menschen Klimaflüchtlinge werden. Das ist der Hintergrund.

Gleichzeitig haben wir eine Bewegung der Desinvestition, bei der namhafte Unternehmen und Firmen aus Investitionen in die Kohle aussteigen. Die Allianz hat in Deutschland vor Kurzem verkündet, dass sie 4 Milliarden € abzieht. Zuvor war es der norwegische Pensionsfonds – der größte weltweit –, der gesagt hat: „Kohle hat keine Zukunft“, – meiner Meinung nach hat sie eine Gegenwart, aber keine Zukunft – und der dann seine Gelder auch abgezogen hat. Kurz vor der Konferenz von Paris war es die Rockefeller Foundation. Diese Bewegung gibt es weltweit.

Weltweit gibt es bereits im fünften Jahr mehr Investitionen in erneuerbare Energien als in konventionelle Kraftwerke. Vor diesem Hintergrund kann ich Sie, Herr Kollege Deppe und Herr Hovenjürgen, überhaupt nicht verstehen. Diese depressive Melodie: „Wir müssen gucken, dass wir in China und Indien das Klima retten“! Wenn man sich so aufstellt! Die Bundesrepublik Deutschland und Nordrhein-West-falen sind Hightechländer, sind Weltmeister im Export. Wir exportieren Technik.

Das, was im Moment passiert, sind Investitionsentscheidungen in Technologien und Märkte der Zukunft. Sich dann so aufzustellen und zu sagen: „Auf gar keinen Fall können wir uns hier schnell bewegen, weil es ja nicht die Deutschen sind, die mit ihren Emissionen entscheiden, sondern das ist die Summe weltweit“, – mit dieser Haltung gewinnen Sie auf keinem Markt der Zukunft irgendeine Karte.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es gibt ausreichend moralische Gründe, sich intensiv mit dem Klimawandel zu beschäftigen. Für ein Hightechland gibt es aber auch ausreichend ökonomische Gründe, hier ganz nach vorne zu gehen, die Technologien auszuprobieren und einzusetzen – denn wir leben davon, dass wir genau diese Technologien verkaufen.

Das heißt: Chancen wahrnehmen – das ist das Gebot der Stunde. Es gilt, die Chancen wahrzunehmen, die Märkte zu erkennen und nicht depressiv in irgendeine Defensive zu gehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Rainer Deppe [CDU])

Schauen wir uns doch mal an, was ich mir von Ihnen hier gewünscht hätte:

Der Bereich „Mobilität“. 1990 hat Ihr Bundeskanzler Kohl – das ist richtig gesagt worden – damit angefangen, uns auf Klimaziele zu verpflichten. Bislang haben alle Bundesregierungen nach Kohl – ob das Rot-Grün unter Schröder war, Schwarz-Gelb unter Merkel oder jetzt wieder die Große Koalition – an diesen Zielen festgehalten. In all diesen 25 Jahren sind die Emissionen in der Mobilität jedoch gestiegen und nicht gesunken!

Nach Paris muss es jetzt doch ein Signal geben, dass wir im Bereich der Mobilität technologisch in Richtung Elektromobilität umsteuern. Wenn nicht jetzt, wann soll es dann kommen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn ich aber weiß, dass in Deutschland 7 Millionen Arbeitsplätze von der Mobilität abhängen, dann muss doch jetzt ein entsprechendes Programm kommen. Heute Morgen habe ich getankt: 99 Cent pro Liter Diesel. Wir hatten noch nie so billige Spritpreise.

(Michele Marsching [PIRATEN]: In den 50er-Jahren war es günstiger! – Zurufe)

– Aber doch nicht in den letzten zehn, 15 Jahren. – Das heißt, jetzt müsste der Vorschlag kommen, ein Programm zur Schaffung von Elektromobilität bei Pkws, bei Bussen und bei Nutzfahrzeugen aufzulegen. Von Ihnen ist jedoch kein Wort gekommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vom Kollegen Sundermann ist die Gebäudesanierung angesprochen worden. Wir haben nie einen Dissens gehabt, was die Gebäudesanierung angeht. Aber ich sagen Ihnen: Jetzt muss ein Vorstoß kommen. Sie beide sind Vertreter des größten Landesverbandes der CDU; Ihr Fraktionsvorsitzender ist stellvertretender Bundesvorsitzender. Wir werden keine Gebäudesanierungsprogramme ohne Beteiligung des Landes hinbekommen. Darum müssen wir uns jetzt beteiligen. Wenn jetzt nicht der Vorstoß kommt, zum Beispiel 1 Cent auf die Treibstoffsteuer zu setzen und davon Elektromobilitätsprogramme und die Gebäudesanierungsprogramme mit Beteiligung der Länder zu finanzieren, dann wird das überhaupt nicht kommen.

Zum Strombereich. Sie haben angesprochen: In der Koalition gibt es Differenzen zwischen Sozialdemokraten und Grünen bei der Frage nach der Bewertung der Kohle. Ich erzähle Ihnen doch jetzt nicht, dass es die nicht gibt. Natürlich haben wir punktuell unterschiedliche Auffassungen. Wir sind ja auch zwei Parteien, die durchaus unterschiedliche Ideen haben. Die Frage ist jedoch: Kommt man zusammen, um vernünftig zusammenzuarbeiten?

Wenn das, was Sie vorgetragen haben, theoretisch ein Angebot wäre, mit dem Sie zeigen, wie Sie nach vorne gehen, dann – das muss ich Ihnen sagen – komme ich mit den Kollegen von der SPD in der Sache besser klar,

(Beifall von den GRÜNEN)

auch mit dem, was da vorhin erzählt worden ist. Denn da kann ich Punkte nach vorne definieren.

Die Sozialdemokraten haben diesen Streit auch intern. Ich bin doch in der Frage nach der Klimaschutzabgabe näher bei Sigmar Gabriel als an der NRW-SPD. Ich habe sie für richtig gehalten. Ich bin auch beim Punkt „Kohleausstiegsgesetz“ viel näher an der Bundesumweltministerin der SPD, der IG BCE-Kollegin Barbara Hendricks, weil es richtig ist – und zwar nicht in dem Sinne, dass man mit Gewalt aus irgendetwas aussteigen müsste –, hier einen verlässlichen Rahmen zu gestalten.

Die Unternehmen – Sie wissen doch, dass bei RWE und anderswo genau darüber schon diskutiert wird – werden nachher froh sein, wenn man ihnen, wie beim Steinkohleausstieg, einen verlässlichen Rahmen bietet, innerhalb dessen sie operieren können. Morgen kommt es zur Schließung der drittletzten Zeche in der Steinkohle in Deutschland. Da hat es 2007 geklappt. Danach hatten wir Ruhe, und seitdem läuft das kontinuierlich. Genauso wird es – da bin ich sicher – jetzt auch kommen.

Wenn jetzt der schwedische Staatskonzern Vattenfall die ostdeutsche Braunkohle verkaufen will, wenn er sie loswerden will, weil er deinvestiert, dann ist es doch paradox, dass ein nordrhein-westfälisches Unternehmen sie kaufen will – sechs Stadtwerke aus NRW. Da gibt es nur Schweigen bei der CDU, anstatt sich an dieser Stelle vernünftig aufzustellen.

(Henning Höne [FDP]: Wer sitzt denn in den Aufsichtsräten bei STEAG?)

– Wissen Sie was? Sie interessieren da, ehrlich gesagt, nur in der Peripherie, weil Sie alles bedienen, was an Themen da war – heute so und morgen so.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich rede jetzt mit einer ernst zu nehmenden Fraktion, weil ich es nicht richtig finde ...

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

– Ja, es ist gut. Krawallen Sie noch einen Moment rum! Dann ist es auch gut. – Ich finde nur: Dass die CDU zu diesem Thema schweigt, das darf man ihr nicht durchgehen lassen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich bin sicher, der Kohleausstieg wird kommen. Er wird diskutiert werden. Dann kommt es auf die Parameter an, wie man es sozialverträglich und vernünftig macht. Es kommt nicht auf das „Ob“ an; denn es wird kommen. Die Frage ist, wie man es gestaltet. Ich bin sicher, auch da werden wir vernünftige Lösungen finden, sodass niemand in die Arbeitslosigkeit geht, so wie es bei der Steinkohle auch der Fall war. Es ist aber ein richtiger Schritt. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Priggen. – Sie haben das Wort, Herr Kollege Rohwedder, für die Piratenfraktion. Bitte.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen und Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich stehe hier schon zum zweiten Mal und möchte ganz kurz darauf eingehen, was einige meiner Vorredner hier gesagt haben. Ich werde allerdings nicht auf das eingehen, was die Sprecher der beiden anderen Oppositionsparteien gesagt haben, weil ich darüber lieber gnädig den Mantel des Schweigens hüllen möchte.

Herr Thiel von der SPD als Eingangsredner für diese Debatte war wirklich unglaublich. Das war die strukturkonservative, die fossile SPD, wie wir sie kennen, gegen die die CSU in Passau geradezu revolutionär ist. Sie haben nichts gemerkt und nichts gelernt. Moderne Energiepolitik mit Klimaschutz und Zukunftsfähigkeit für Wirtschaft und Arbeitsplätze geht nicht mit dieser nordrhein-westfälischen SPD, die geht auch nicht ohne sie – die geht nur gegen sie.

Aus der Wirtschaft selbst kommt die massive Forderung nach entschiedenen Maßnahmen. Maßgebliche Teile der deutschen Wirtschaft forderten direkt nach dem Klimaschutzabkommen von Paris, dass wir mehr machen müssen, als wir bisher getan haben, auch mehr, als bisher geplant und in der Diskussion war. Das hat die SPD nicht mitgekriegt.

Herr Sundermann will an die Kinder ran. – Wahrscheinlich brauchen wir mehr RWE an den Schulen. Das war das, was ich seiner Rede entnommen habe.

Frau Brems von den Grünen möchte immerhin darüber reden, wann die Kohleverstromung beendet werden soll, während Herr Thiel vom Koalitionspartner SPD davon gar nichts wissen will. Es sei Zeit, die historischen Aufgaben anzugreifen, Zeit für den Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen. – Ja, Frau Brems, da müssen Sie sich jetzt mal entscheiden. Entweder ist es Zeit für die historischen Aufgaben, oder es ist Zeit für den Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen. Verbinden können Sie das nur, wenn Sie den Klimaschutzplan rechtsverbindlich machen und in den Landesentwicklungsplan aufnehmen.

(Beifall von den PIRATEN)

Der einzige Redner der anderen vier Fraktionen in diesem Landtag, der etwas gesagt hat, was in die richtige Richtung zielt, war Herr Priggen von den Grünen.

(Zurufe)

Er hat auf die Divestment-Kampagne hingewiesen, die Kapital frei machen und in die Zukunft investieren soll. Er hat das aufgegriffen, was ich hier auch schon gesagt habe. Das ist richtig.

Umweltminister Remmel sagte, es sei neu, dass Paris die Dekarbonisierung fordert. – Nein, das ist nicht neu, Herr Minister. Das ist das Ergebnis einer langen Diskussion, in der genau das schon lange besprochen und gefordert wird. Seit mindestens einem Vierteljahrhundert ist klar, dass die Dekarbonisierung kommen muss und kommen wird, weil die fossilen Energieträger endlich sind und irgendwann unweigerlich zu Ende gehen. Aus Klimaschutzgründen muss das sogar eher kommen, bevor alle fossilen Energieträger verbrannt sind. Das ist nicht neu. Wenn Sie das hier jedoch als Neuigkeit verkünden, dann zeigt das wirklich das Elend der bisherigen Klimaschutzpolitik in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rohwedder. – Nun spricht für die Landesregierung noch einmal Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn es nur ein Aperçu der Debatte war, finde ich es aber schon bemerkenswert und für das Protokoll festzuhalten, dass sich der Kollege Brockes für die FDP vor den Bröckelreaktor in Tihange gestellt hat. Das muss man hier für das Protokoll festhalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Nein! – Henning Höne [FDP]: Das ist schäbig, Herr Minister!)

Das passt auch zur Linie. Ihr Vorsitzender und Fraktionsvorsitzender hat von diesem aus Pult erklärt, dass es ein Fehler war, aus der Atomenergie auszusteigen, und dass er das rückgängig machen will.

(Henning Höne [FDP]: Verzweiflung pur!)

Da wissen wir, wo wir dran sind. Ich meine, es ist gut, dass wir das gemeinsam festhalten, was hier gesagt worden ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen noch etwas von dem berichten, was man vor Paris zwischen den Zeilen in vielen Gesprächen und auch in den Kontakten mit unseren Partnerregionen gehört hat, mit denen wir gemeinsam unterwegs sind, um uns auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. Wir bilden Netzwerke für neue Technologien, für Klimaschutztechnologien. Alle sind in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen unterwegs – Good Governance –, wenn es darum geht, Klimaschutz umzusetzen.

Da ist sehr deutlich zu spüren, dass sich die Diskussion in den letzten fünf Jahren verschoben hat. Die erneuerbaren Energien stehen in der Tat im Mittelpunkt jeder dieser Debatten. Wie können wir in all diesen Bereichen den Erneuerbaren zum Durchbruch verhelfen? Das geht deutlich in die Richtung, dass die Zukunft wesentlich deutlicher in diesen Bereichen gesehen wird und die Technologien der Vergangenheit keine Bedeutung mehr haben. Das war in Paris sehr klar spürbar. Der Zug der Zeit geht eindeutig in eine Richtung.

Insofern gilt: Nach dem Klimaschutzplan NRW ist vor dem Klimaschutzplan der Bundesregierung. Die Bundesregierung arbeitet zurzeit an einem eigenen Klimaschutzplan. Nordrhein-Westfalen ist daran beteiligt. Es ist notwendig, dass wir unsere Interessen dort einbringen, und die sind vor allem industriepolitisch motiviert.

Wir haben das Interesse, unser Bundesland zu vertreten, wenn es darum geht, den Bereich der Wärme stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Wir diskutieren die ganze Zeit über Strom, aber Wärme spielt in der öffentlichen Diskussion und auch bei der Bundesregierung eine viel zu geringe Rolle. 40 % der Energie geht in den Wärmesektor. Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, dann brauchen wir auch einen Aufbruch hin zu effizienter erzeugter Wärme und zu erneuerbaren Wärme- und Kältesystemen.

Das muss mit den notwendigen Rahmenbedingungen versehen werden. Hier fehlen, was Kraft-Wärme-Kopplung angeht, auch im aktuellen Entwurf der Bundesregierung noch deutliche Impulse. Auf dieser Strecke müssen wir noch nacharbeiten. Deshalb gab es auch die Initiativen des Landes Nordrhein-Westfalen.

Natürlich gilt das auch für den Bereich der Mobilität. Hier wird schon durch die Beratungen zum Klimaschutzplan klar: Wenn wir die Ziele bis 2050 erreichen wollen, dann müssen wir spätestens 2030 technologisch die Entscheidung getroffen haben, dass auf unseren Straßen emissionsfreie Fahrzeuge fahren. Das benötigt aber Entwicklungszeiträume von zehn bis 15 Jahren. Also müssen wir das quasi heute entscheiden. Auch hier: Fehlanzeige bei der Bundesregierung. Wir brauchen auch hierzu Leitentscheidungen für die Zukunft – für unsere Städte, für saubere Luft, aber insbesondere auch für den Klimaschutz.

Dann zu Ihrer arroganten Haltung, Herr Hovenjürgen, mit der Sie über Ihre eigene Verantwortung in der Vergangenheit einfach hinweggehen, was das Erneuerbare-Energien-Gesetz und den Ausbau der erneuerbaren Energien angeht.

Sie haben es hier fünf Jahre vor die Wand gefahren. Wir haben es langsam Stück für Stück wieder nach oben geholt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir sind jetzt wieder auf dem Level von 2002. Das muss der Wahrheit halber auch gesagt werden.

Und, Herr Hovenjürgen, wir stehen insoweit auch vor neuen Herausforderungen. Wir bewerben uns ja nicht als Vorsteher von Technikmuseen oder Landeskonservatorien. Nein, wir wollen Geburtshelfer der Zukunft sein. Deshalb braucht es Sicherheit für diese Zukunft, für Investitionen in die Zukunft und eben keine Verunsicherung. Deshalb darf man nicht alle zwei, drei Jahre neue Verunsicherung durch neue EEG-Diskussionen betreiben. Hier braucht es Sicherheit für Investoren. Da wäre Ihre Unterstützung gerade bei der aktuellen Diskussion auf Bundesebene gefordert – auch im Übrigen für nordrhein-westfälische Unternehmen.

Ich weiß nicht, ob Sie es mitgekriegt haben: E.ON hat sich anders aufgestellt. Wir haben ein grünes E.ON-Unternehmen in Nordrhein-Westfalen mit vielen Tausend Arbeitsplätzen und ein grün aufgestelltes RWE. Auch dafür wollen wir uns einsetzen. Denn es sind Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen, die es für die Zukunft zu sichern gilt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Da haben sich Gewichte verschoben. Da müssen wir uns anders orientieren. Mit Ihnen gelingt das offensichtlich nicht. Aber die Landesregierung wird klar für Nordrhein-Westfalen Position ergreifen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Meine Damen und Herren, es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich sehe auch keine Spontanmeldungen.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Wir stimmen jetzt dreimal ab.

Erstens stimmen wir ab über den Eilantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/10470. Darüber ist direkt abzustimmen. Deshalb also: Wer stimmt dem Eilantrag zu? – Die Fraktion der Piraten und der fraktionslose Kollege Schwerd. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/10470 mit breiter Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Zweite Abstimmung: der Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen Vorlage 16/3020. Der Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in der Drucksache 16/10429, den von der Landesregierung vorgelegten Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen Vorlage 16/3020 zu beschließen. Wir stimmen also über den Plan ab. Wer stimmt dem zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Piratenfraktion und von Herrn Schwerd als Fraktionslosem ist dieser Plan mit den Stimmen von SPD und Grünen beschlossen.

Drittens stimmen wir ab über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/10491. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und die Piratenfraktion. Wer enthält sich? – Es enthält sich Herr Schwerd. In seine Richtung brauche ich gar nicht mehr zu gucken. Das habe ich auch so gesehen. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/10491 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen, und wir sind am Ende des TOP 1 und rufen auf:

2   Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Vermittlungshemmnissen als Querschnittsaufgabe begreifen – gemeinsam Projekte entwickeln, die eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten ermöglichen

Antrag
der Fraktion der CDU

Drucksache 16/10421

Für die CDU-Fraktion erläutert uns den ganzen Antrag Herr Kollege Kern. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Walter Kern (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Erstens. Wir müssen die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Vermittlungshemmnissen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen. Zweitens. Durch gemeinsame Projekte und neue zusätzliche Arbeit können wir eine Win-win-Situation für alle Beteiligten und damit auch für unsere Gesellschaft schaffen. Drittens. Im Handwerk, in der Wirtschaft und in den sozialen Berufen brauchen wir heute und insbesondere in der Zukunft jede Hand, jede Arbeitskraft.

Deshalb ist die Integration von Arbeitslosen und Flüchtlingen mit Bleibeperspektive ein absolutes Muss, eine große Integrationsaufgabe. Wir müssen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Wir müssen die Menschen in Beschäftigung bringen. Ob Langzeitarbeitslose oder Flüchtlinge mit Anerkennungsperspektive: Es muss vermieden werden, dass beide Gruppen durch eine Neiddiskussion gegeneinander aufgebracht werden. Sie alle brauchen die Chance, sich erfolgreich und nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Der CDU ist es nicht egal, dass zum Beispiel Baumaßnahmen, die die Barrierefreiheit betreffen, in Nordrhein-Westfalen so schleppend vorankommen.

Es ist der CDU nicht egal, dass es in unserem Bundesland Stadtteile gibt, die drohen „urban underground“ zu gehen.

Es ist der CDU nicht egal, dass Nordrhein-Westfalen im Wirtschaftswachstum hinten liegt und mit seiner hohen Arbeitslosigkeit bundesweit als ein Negativbeispiel dasteht.

Meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer, Molière hat einmal gesagt: Man ist nicht nur verantwortlich für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der CDU: Richtig!)

Unsere Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns Lösungen. Wir brauchen eine neue Aufbruchstimmung in Nordrhein-Westfalen. Unser Bundesland braucht vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen eine Vision, die mit Optimismus und Durchsetzungskraft angegangen wird, kein Schneckentempo, nicht zögerlich, sondern initiativ. Schon Johann Wolfgang von Goethe sagte, dass Erfolg drei Buchstaben hat: Tun! – Tun!

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Ein wesentlicher Schritt dazu ist es, die Menschen mit arbeitsmarktbezogenen Vermittlungshemmnissen viel schneller zu vermitteln. Das ist die Weihnachtsbotschaft, die ihnen das Parlament heute senden sollte, dass sie durch ihrer eigenen Hände Arbeit an der Verbesserung ihres Lebensumfeldes vor Ort mitwirken können und dass durch ihre Arbeit in der Nachbarschaft oder Kommune ihre gesellschaftliche Integration und Identifikation ebenso gestärkt werden wie ihre persönliche Qualifikation und Arbeitsmarktteilhabe.

Wie können wir das schaffen? – Mittelstand und Handwerk werden die notwendige Integration von Menschen mit arbeitsmarktbezogenen Vermittlungshemmnissen nicht alleine bewältigen können, aber sie können und wollen – das sagen sie immer wieder – viel dazu beitragen, denn sie sind auf diese Arbeitskräfte zukünftig angewiesen. Auch Politik, Sozialpartner, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Arbeitslosenverwaltung müssen dazu an einem Strang ziehen.

Ziel aller Maßnahmen muss es sein, dass modulare Integrations- und Förderketten entstehen, die schrittweise durch praktische Erfahrung, durch Aus- und Fortbildung auf eine berufliche Integration in den ersten Arbeitsmarkt zielen.

Dazu müssen unter anderem die vorhandenen Fördertöpfe für Arbeitssuchende gebündelt werden, um den betroffenen Menschen die schnellstmögliche Integration in die Arbeit zu ermöglichen.

(Beifall von der CDU)

Arbeitsmarktintegration in dem erforderlichen Ausmaß kann nur gelingen, wenn wir neue zusätzliche Arbeit in und für Nordrhein-Westfalen identifizieren. Dadurch lassen sich konjunkturwirksame Effekte erzielen. Ich will einige Beispiele nennen.

Viele Stadtteile mit Erneuerungsbedarf oder, um es ehrlich zu sagen, soziale Brennpunkte bieten konkrete Chancen für Wohnumfeldverbesserungen. Der Nutzen für die Gesellschaft wird groß sein. Private und öffentliche Wohnungsbaugesellschaften stehen vor großen Investitionsstaus.

Die Inklusion und der damit verbundene Abbau von Barrieren im öffentlichen und privaten Raum rufen nach Umsetzung.

Im Umweltbereich, zum Beispiel bei der Renaturierung von Gewässern und Landschaften oder in der Landschaftspflege, liegen große und nachhaltige Beschäftigungspotenziale für Menschen mit praktischer Begabung. Hier liegen Chancen für Ausbildung, Praktika und Beschäftigung. Das Handwerk ist dort der geborene Partner.

Es gibt viele Arbeitschancen. Maßnahmen zu identifizieren, sollte kein Problem sein. Diese Arbeitschancen bringen gesellschaftlichen Nutzen. Das ist die eigentliche Win-win-Situation.

Was ist zu tun? Wie können wir das erreichen? – Die Landesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die Zugangshürden auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit arbeitsmarktbezogenen Vermittlungshemmnissen abgebaut werden. Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat dazu schon etwas gesagt.

Um neue, zusätzliche Arbeitsmarktchancen zu nutzen, müssen die Kommunen aus ihrer Marktkenntnis heraus städteplanerische, infrastrukturelle, ökologische und soziale Projekte identifizieren, die im Handwerk und im Mittelstand Beschäftigungseffekte auslösen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Die enge Zusammenarbeit mit den Kommunen ist dabei der Schlüssel zum Erfolg.

Nochmals: Die vorhandenen Mittel zur Finanzierung aus bestehenden Förderprogrammen müssen gebündelt werden. Dazu ist die Zusammenarbeit der Agentur für Arbeit, der Jobcenter, der Sozialpartner, der Kirchen und der Sozialverbände regional und sozialraumbezogen zu bündeln und ständig zu verbessern.

Meine Damen und Herren, wir müssen die Zukunft aktiv gestalten, und wir sollten damit anfangen. Die CDU ist dazu bereit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Jansen.

Daniela Jansen (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Kern, Ihr Antrag enthält genau eine richtige Forderung: Die Menschen mit arbeitsmarktbezogenen Vermittlungshemmnissen – egal, ob Langzeitarbeitslose oder Flüchtlinge – dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das war’s.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Sie stellen die Forderung nach einer Strategie des Landes, nach Aufbruchstimmung auf. Ich muss Ihnen sagen: Spätestens nach dem Gipfel zwischen Arbeitsministerium und Wirtschaftsministerium, den wir am Montag erlebt haben, gilt diese Forderung als überholt. Es gab am Montag ein Spitzentreffen zwischen all den relevanten gesellschaftlichen Akteuren. Ich glaube, dieses Punktepapier liegt Ihnen auch vor. Ich erspare es mir, einige Punkte daraus zu zitieren. Denn dann habe ich etwas mehr Redezeit für eine andere Thematik.

Einige der Überschriften in den Medien nach diesem Treffen darf ich Ihnen mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren: Firmen und Politik ziehen an einem Strang, NRW macht Tempo bei der Eingliederung.

Ich finde es ganz gut, wenn ich mal die Zeitungen für den Erfolg dieser rot?grünen Landesregierung sprechen lassen kann. Deswegen tue ich das ausgiebig.

Ich möchte weiterhin erwähnen, dass auch das Bauministerium unbürokratisch Integration fördern möchte. Da lautet eine weitere Überschrift: „Ein Projekt für alle“ oder mein Lieblingszitat – schade, dass er nicht da ist –: „Groschek macht es richtig“.

Meine Damen und Herren, es muss relativ hart sein, von der Realität überholt zu werden. Aber das ist für Sie in diesen Tagen schon ein Déjà?vu. Insofern: Tragen Sie es mit Fassung!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Forderungen, die Sie in diesem Antrag erheben, sind längst umgesetzt. Ihre Forderung 4 lautet, Gespräche etwa mit der Agentur für Arbeit, den Arbeitgebern, dem Handwerk, der Wirtschaft zu führen. – Diese Gespräche haben stattgefunden.

Herr Kollege Kern hat eine Aufbruchstimmung eingefordert. – Dafür brauchen wir zumindest keine Aufforderung durch Sie. Denn sie ist in diesem Land vorhanden, und dafür brauchen wir nicht Ihre drei kleinen Anträge, die wir heute beraten.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ganz im Gegenteil, meine Damen und Herren, Sie haben in Bezug auf die Integration von langzeitarbeitslosen Menschen wichtige Zeit verstreichen lassen.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Sie erinnern sich sicher alle an den umfangreichen Antrag von SPD und Grünen, zu dem wir eine Anhörung durchgeführt haben. Wir haben auch eine Auswertung im Ausschuss vorgenommen.

Dieser Antrag enthielt Forderungen nach substanziellen Veränderungen in der gesamten Landschaft, in der gesamten Arbeitsmarktpolitik wie zur Finanzierungsstruktur eines sozialen Arbeitsmarktes, zu einem neuen Aufbruch im Aktiv-Passiv-Transfer. Er war umfangreich und umfasste ausführliche Argumente für die Teilhabemöglichkeiten und die Schaffung von Perspektiven für langzeitarbeitslose Menschen bzw. für Menschen, die es am Arbeitsmarkt generell schwer haben. Er enthielt auch die Forderung nach nachhaltiger Finanzierung. Alles war drin.

Bei der Aussprache im Ausschuss gab es wortreiche Bekundungen aller Fraktionen, das Ziel sei wahnsinnig wichtig. Man müsse dringend zusammen daran arbeiten, und es dürfe überhaupt kein Klein-Klein in den verschiedenen Parteiprogrammen geben.

Aber leider, meine Damen und Herren, haben Sie dieser Ankündigung keine Taten folgen lassen. Ganz im Gegenteil, im Ausschuss wurde sogar behauptet, es hätte überhaupt keine Gespräche gegeben. Dieser Antrag ist leider nur mit den Stimmen von Rot-Grün und der Piratenfraktion – herzlichen Dank, das spricht für Sie – positiv beschieden worden.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Zuruf von Lukas Lamla [PIRATEN])

Nach dem Aktionsplan, den Sie vorgestellt haben – planloser Aktionismus trifft es vielleicht etwas besser –, gab es von Ihnen drei Anträge zu dem Thema, die man bestenfalls als Stückwerk bezeichnen kann. Ganz offensichtlich sind Ihnen diese Anträge noch nicht mal eine weitere Diskussion wert. Deswegen haben Sie heute direkte Abstimmung beantragt.

Trotz der Weihnachtszeit bringe ich Ihnen keine Geschenke. Deshalb ganz klar: Ihre Anträge brauchen wir nicht in der Debatte.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist ein Trauerspiel!)

Dieses Parlament und diese Landesregierung brauchen keine wolkigen Worte, und sie bringen uns auch absolut nicht weiter.

Meine Damen und Herren, Ihr Antrag ist saftlos, kraftlos, konzeptlos.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

– Hören Sie genau zu! Das lohnt sich. – Oder um es mit der deutschen Hip?Hop-Gruppe, den Orsons, zu sagen: Ihre Beats haben Bass, unsere Beats haben besser. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Jansen. – Für die grüne Fraktion spricht Frau Maaßen.

Martina Maaßen (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe CDU-Fraktion, zunächst einmal das Positive – ich habe dazu jedoch genau wie meine Vorrednerin Frau Jansen nur einen Satz –: Es ist gut, dass die CDU-Fraktion die Problemlage arbeitsloser Menschen in den Blick nimmt. – Frau Jansen hat gesagt: Das war’s. – Das nehme ich auf und sage ebenso: Das war’s.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Denn das, was Sie in Ihrem Antrag als scheinbar neue Ideen präsentieren, wird schon längst gemacht.

(Zuruf von der CDU: Dann können Sie zustimmen!)

Sie sprachen vom Tun, Herr Kern. – Wir tun, und wir tun schon lange und ganz vorn bei der öffentlich geförderten Beschäftigung, dem sozialen Arbeitsmarkt. Hier werden Menschen qualifiziert und an den Arbeitsmarkt herangeführt, auch im Baugewerbe.

Leider war es nicht möglich, im zuständigen Ausschuss eine gemeinsame Position zum sozialen Arbeitsmarkt und einen gemeinsamen Antrag auf den Weg zu bringen. Warum war das nicht möglich? – Von Ihnen kam kein Vorschlag und keine Idee zu unserem Antrag, obwohl es so verabredet war. Hier, liebe CDU, wäre ein Anknüpfungspunkt gewesen, Beschäftigung benachteiligter Menschen bei der baulichen und sozialen Quartiersentwicklung in den Kommunen zu diskutieren und die vorhandenen Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten mehr hierauf auszurichten. Sie haben dies nicht gemacht.

Denn dann wäre Ihnen schnell dargelegt worden, was nun hier im Plenum erfolgt: Landesregierung und Regierungsfraktionen sind längst einen Schritt weiter. Wir haben die CDU längt überrundet. Die operationalen Programme des EFRE, des ELER und des ESF verfolgen ressortübergreifend die städtebauliche und soziale Entwicklung im Quartier mit integrierten Maßnahmen. Das ist der bereits durchgeplante Weg von SPD und Grünen. Leider geht die CDU diesen Weg bisher nicht mit.

So werden wir der Herausforderung gerecht, Teilhabe insbesondere an Bildung und Arbeit von Menschen am Rande unserer Gesellschaft zu schaffen. Hinzu kommen weitere Programme wie die „Soziale Stadt NRW“, BIWAQ, Lohnkostenzuschüsse, Qualifizierungsmaßnahmen – unterstützt vom Bund und der BA. – Fazit, liebe CDU-Fraktion: Wir haben Sie schon lange nicht rechts, sondern links überholt.

Sie hätten beim Programm „Sozialer Arbeitsmarkt“ mitwirken können. Sie hätten im ESF-Begleitaus-schuss Vorschläge einbringen können. Sie hätten sich bei der Veranstaltung der Landesregierung vor zwei Wochen kundig machen können, als alle drei EU-Strukturförderprogramme und deren verknüpfende Maßnahmen vorgestellt wurden. Ich habe dort keine Kollegin und keinen Kollegen der CDU gesehen.

Und Sie hätten sich, wie Frau Jansen schon erwähnt hat, vor drei Tagen über die Zusammenarbeit des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums mit der BA, den Kammern, den Gewerkschaften und dem Unternehmerverband in Bezug auf Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen und Benachteiligten am Arbeitsmarkt informieren können. Die CDU war nicht da.

(Zuruf: Ach!)

Ich frage Sie, Herr Kern und Co., mit den Worten Herbert Grönemeyers:

(Walter Kern [CDU]: Was? Was? Was?)

„Was soll das?“ Sie rühren im kalten Kaffee, sind längst überrundet, bringen Ihre scheinbar neuen Ideen in den zuständigen Gremien nicht ein.

(Walter Kern [CDU]: Was?)

Mich ärgert besonders: Sie haben bisher in unserem Ausschuss keine Vorschläge zum sozialen Arbeitsmarkt gemacht, obwohl wir in der Anhörung vereinbart hatten, gemeinsam einen Antrag auf den Weg zu bringen.

Und nun kommen Sie mit einem Antrag um die Ecke, der direkt abgestimmt werden soll. Ihnen ist Populismus wichtiger als Facharbeit – schade. Ihnen ist gemeinsame Facharbeit bisher egal – schade. – Wir Grünen lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Walter Kern [CDU])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Maaßen. – Die FDP-Fraktion wird jetzt von Herrn Alda vertreten.

Ulrich Alda*) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Von mir werden Sie wenig von Goethe, Voltaire, Grönemeyer und von all denen hören, die gerade zitiert worden sind. Ich will zur Sache reden.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Frau Kollegin Jansen, seien Sie mir nicht böse, aber: Den Zusammenhang zwischen dem CDU-Antrag und dem, was vor drei Tagen war, kann ich irgendwie nicht so ganz nachvollziehen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Lesen bildet! – Zuruf von der SPD: Das liegt an Ihnen!)

Sie werden gleich hören, warum nicht.

Allerdings muss ich sagen: Aus Ihrem Vortrag sprach eine gewisse Arroganz. Das kann man sich das Jahr über erlauben, aber so kurz vor Weihnachten sollten wir hier anders arbeiten. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Vermittlungshemmnissen ist ein Thema, das uns schon lange beschäftigt. Die FDP-Fraktion hat – das wissen Sie alle in diesem Hause – bereits im September letzten Jahres erstmalig gefordert, die Betreuung und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen in NRW zu verbessern.

Die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Vermittlungshemmnissen bzw. mit geringen Qualifikationen ist auch eine wichtige Aufgabe, um diesen Menschen wieder eine Perspektive zu geben. Denn NRW ist es trotz aller Kampagnen der Landesregierung bisher nicht gelungen, die Langzeitarbeitslosigkeit zu verringern.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Liebe Martina Maaßen, Ihr seid schon lange dran, aber leider erfolglos. Das ist das Problem, um das es hier geht.

(Beifall von Susanne Schneider [FDP] – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Jeder dritte Langzeitarbeitslose in Deutschland lebt in NRW.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Das sind rund 300.000 Personen. Unser Bundesland leidet unter der hohen verfestigten strukturellen Arbeitslosigkeit wie kaum ein anderes Bundesland. Das sind immerhin 15 weitere.

In fast allen Arbeitsmarktstatistiken liegt NRW auf den hinteren Plätzen. Ich sage nur: SGB-II-Quote, Anteil der Langzeitarbeitslosen, aber auch bei der Unterbeschäftigung, die meistens überhaupt nicht erwähnt wird, weil diese Leute in den Statistiken gar nicht mehr auftauchen. Überall sind kaum Rückgänge zu verzeichnen. Das ist die Erfolglosigkeit der Landesregierung.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die Herausforderungen werden noch zunehmen, denn wir wollen auch die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge bewältigen. Darüber besteht aus meiner Sicht Einigkeit in diesem Haus. Dazu werden wir beim nächsten Tagesordnungspunkt noch debattieren. Die CDU hat bei der Pressemitteilung, die sie vor Kurzem herausgegeben hat, darauf hingewiesen, dass für sie beide Punkte im Zusammenhang stehen.

Doch wenn ich mir den vorliegenden Antrag genauer anschaue, lese ich zwar viele wohlfeile Formulierungen und optimistische Visionen, aber bei den konkreten Forderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, hätte ich mehr Substanz erwartet.

Sie fordern den Abbau von Zugangshürden. – Das ist absolut richtig, aber warum benennen Sie sie nicht? Zum Beispiel: Tariftreue- und Vergabegesetz, Mindestlohngesetz mit bürokratischen Dokumentationspflichten, eingeschränkte Dauer von Praktika zur Berufsorientierung.

(Zuruf von Minister Rainer Schmeltzer)

– Wir können im Ausschuss nach Weihnachten noch einmal reden.

Es gibt Pläne von Frau Nahles gegen Zeitarbeit und Werkverträge, und die Glocken läuten schon von Mindestgehältern in Stellenanzeigen. All das sind Sachen, die weitere Hürden aufbauen.

(Zuruf von Torsten Sommer [PIRATEN])

Diese Beispiele zeigen, wie weit schwarz-rot-grüne Politik in der Achse Berlin in Bund und Land von der Praxis weg ist. So werden die Hürden zum Einstieg in den Arbeitsmarkt künstlich erhöht. Wir brauchen aber vielmehr eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und einen flexiblen Arbeitsmarkt.

Aber zurück zum Antrag. Er beschreibt durchaus richtig das Problem fehlender Qualifikationen und insbesondere auch fehlender nachweisbarer Qualifikationen.  Qualifizierung ist tatsächlich der Schlüssel, um Menschen die Tür in die Arbeitswelt zu öffnen. Doch dann bleibt es unverbindlich bei niedrigschwelligen Angeboten und Praktika.

In unserem Antrag hatten wir hingegen konkret zum Beispiel das Instrument der Teilqualifikation gefordert. Teilqualifikationen bieten für bestimmte Zielgruppen die Möglichkeit, anstelle einer relativ langen Ausbildung einzelne Module aus Ausbildungsplänen zu absolvieren. Der Nachweis solcher Teilqualifikationen kann dann bereits als Einsatzchance in Betrieben genutzt werden.

Im Mittelpunkt Ihres Antrags stehen dann aber noch einmal Dinge, die man als konkrete Begriffe aus der rot-grünen Traumkiste bezeichnen könnte: Quartiersentwicklung, Bürgerradwege. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Und so geht es da munter weiter.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, ich könnte mich jetzt noch ein bisschen an den missverständlichen Ausführungen und Allgemeinplätzen in Ihrem Antrag festbeißen. Walter Kern hat hier aber präzisiert, was er mit den Begriffen tatsächlich meint. Er hat auch soziale Brennpunkte genannt. Darum geht es ja.

Die FDP wird sich bei diesem Antrag, der grundsätzlich eigentlich okay ist, aber mit allgemeinen Platzhaltern versehen und zu allgemein gehalten ist, enthalten. Wir als FDP-Fraktion fordern Sie definitiv auf, gemeinsam mit uns spätestens zum März-Plenum einen präzisen Antrag zu erarbeiten. Dazu fordere ich die CDU auf. – Heute wird sich die FDP enthalten.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen fürs Zuhören und wünsche allen im Hause trotz unterschiedlicher Meinungen frohe Weihnachten. – Danke sehr.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Alda. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne und natürlich im Stream! Zuerst möchte ich mich bei der CDU-Fraktion dafür bedanken, dass sie diesen Antrag hier zur direkten Abstimmung stellt. Danke, dass wir uns nur so kurz wie möglich damit beschäftigen müssen! Im Ausschuss hätte das wirklich nichts zu suchen gehabt.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Ein paar Kleinigkeiten – das ist von Frau Kollegin Maaßen und Frau Kollegin Jansen schon benannt worden – sind durchaus richtig. In NRW gibt es das Problem, dass Langzeitarbeitslose nicht schnell und gut genug in Arbeit kommen. Die Situation wird nicht besser, wenn jetzt Menschen zu uns flüchten. Das wird die Situation auf dem Arbeitsmarkt sicherlich nicht entlasten. Da muss etwas getan werden; keine Frage.

Womit können wir das verbessern? – Mit Projekten, schlägt die CDU vor. Mit genau den Projekten, die uns dahin gebracht haben, wo wir jetzt sind! Genau das ist ja die Krux an der aktuellen Arbeitsmarktpolitik: Projekte, begrenzt auf maximal zwei Jahre –

(Walter Kern [CDU]: Nein!)

egal, ob wir ein Projekt A, B, C nennen und das Alphabet bis zur Gänze durchbuchstabieren.

(Hendrik Wüst [CDU]: Nein!)

– In Ihrem Forderungskatalog stehen Projekte genau drin. – Danke.

Diese Projektgeschichten bringen gar nichts; denn sie haben uns an den Punkt gebracht, an dem wir jetzt sind. Wenn Sie einmal eine Liste aller Projekte haben wollen: Das MAIS kann bestimmt ein relativ dickes Buch mit diesen Projekten ausdrucken – gerade denen, die mit dem ESF zusammen finanziert werden. Darunter sind übrigens total tolle Projekte, auch Projekte, die richtig helfen und Menschen nachhaltig in Arbeit bringen. Dann sind sie nach zwei Jahren zu Ende, und wir fangen wieder etwas Neues an. Genau daran krankt es. Das muss man hier auch benennen.

Zweiter Punkt: Wenn Sie die Projekte, die schon gelaufen sind, einmal einzeln auswerten, werden Sie feststellen: Es liegt eben nicht daran, was man da an Kreativität hineinbringen kann, sondern es liegt grundsätzlich daran, die Menschen nachhaltig zu qualifizieren

(Walter Kern [CDU]: Ja, natürlich!)

und nachhaltig zu betreuen. Da bringen Betreuungsschlüssel von eins zu hundert oder mehr nichts. Vielmehr müssen wir hier flexible Betreuungsschlüssel haben, die wirklich bei einer Eins-zu-eins-Betreuung anfangen.

Übrigens gibt es gerade ein neues ESF-Projekt, das eben nicht die Träger der normalen Weiterbildung im Arbeitsmarkt in die Verantwortung nimmt, sondern die Träger der Behindertenausbildung. Das halte ich für einen guten neuen Ansatz. Ich glaube sogar, dass dieses Projekt richtig gut werden wird.

Und nach zwei Jahren ist es zu Ende. Dann stehen wir wieder da wie vorher. Wir haben das Problem, dass diese Projekte zu kurz greifen. Im Sinne der Nachhaltigkeit brauchen wir eine Änderung der Regelsysteme. Wenn diese Projekte gut sind und gut bewertet werden, müssen wir sie in die Regelsysteme übernehmen und auf Dauer anlegen.

Wenn wir das dann auf Dauer angelegt haben, kriegen wir auch die Unternehmen wieder dazu, wirklich dabei mitzumachen. Die Unternehmen fühlen sich jetzt völlig davon überfordert, dass sie alle Naselang ein neues Projekt lernen müssen.

Fünf Jahre, nachdem ein Unternehmen einmal jemanden mit multiplen Vermittlungshemmnissen eingestellt hat, geht es wieder zum Jobcenter und sagt: Das ist vor fünf Jahren gut gelaufen. Jetzt wollen wir das noch einmal machen. Dieses Projekt, das ihr hattet, war super. Damit würden wir gerne noch jemanden einstellen. Das können wir jetzt gebrauchen, weil es gerade gut läuft.

Dann sagt der Jobcentermitarbeiter: Erstens kenne ich Sie gar nicht; denn ich bin erst seit einem Jahr hier. Zweitens gibt es das Projekt nicht mehr, glaube ich. Jedenfalls kenne ich es nicht. Ich gucke noch einmal nach. Wir haben jetzt ein neues Projekt. Das passt bei Ihnen aber nicht. Wir können es also nicht anwenden. Das ist ein bisschen schade.

Genau das ist das Problem. Es gilt, dieses Problem zu benennen. Hier irgendwelche neuen Projekte aufzumachen, hilft gar nichts. Es geht darum, Projekte in Regelsysteme zu überführen und die Betreuungsquoten zu ändern. Das wird Arbeitslosen helfen – völlig egal, ob es Langzeitarbeitslose sind, die schon länger hier leben, oder ob es Menschen sind, die gerade zu uns geflüchtet sind.

Dann kann man auch über eine nachhaltige Qualifikation sprechen. Die Teilqualifikation, die jetzt immer genannt wird, mag zwar einem kleinen Teil der Menschen helfen; dem großen Teil der Langzeitarbeitslosen hilft sie aber nicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Preuß?

Torsten Sommer (PIRATEN): Ja. Herr Preuß darf mir immer gerne eine Zwischenfrage stellen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Aber nicht nur Herr Preuß darf Ihnen eine Frage stellen?

Torsten Sommer (PIRATEN): Nein, eigentlich nicht nur Herr Preuß. Aber wenn wir das jetzt ausweiten, weiß ich nicht, ob das mit der Tagesordnung …

Vizepräsident Oliver Keymis: Nein, ausweiten tun wir nichts. Wir haben ja eine Geschäftsordnung.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)

Herr Preuß, Sie haben das Wort.

Peter Preuß (CDU): Herzlichen Dank, Herr Kollege Sommer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sprechen die ganze Zeit von sozialem Arbeitsmarkt und zeitlich befristeten Projekten.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es sich bei dem Gegenstand des Antrags nicht um den sozialen Arbeitsmarkt in dem Sinne handelt, in dem wir ihn immer besprechen, insbesondere nicht um zeitlich befristete Projekte, sondern dass der Antrag ein – ich darf es einmal so sagen – gigantisches Investitionsprogramm und Konjunkturprogramm für Handwerk und Mittelstand initiieren soll, verbunden mit den entsprechenden Beschäftigungseffekten für die genannten Personengruppen?

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Torsten Sommer (PIRATEN): Das tut mir jetzt ein bisschen leid, Herr Preuß; aber zuerst nehme ich einmal zur Kenntnis, dass Sie mir nicht zugehört haben.

(Heiterkeit von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Ich habe nicht ein einziges Mal in meiner Rede „sozialer Arbeitsmarkt“ gesagt.

Ich weiß aber, was Sie meinen. Damit haben Sie auch völlig recht. Wir brauchen ein Konjunkturprogramm – aber ein Konjunkturprogramm, das auf Dauer angelegt ist, und nicht einzelne Projekte. Es mit einzelnen Projekten zu machen, wie Sie das als Lösung beschreiben, macht eben keinen Sinn. Das ist das, was ich gesagt habe. Ich hoffe, bei der Antwort auf die Nachfrage ist es jetzt angekommen.

Dauerhaft und nachhaltig, aber bitte auch eine dauerhafte und nachhaltige Qualifikation der Menschen! Keine Teilqualifikation, keine neuen Praktikantenplätze für drei bis sechs Monate, sondern echte Qualifikation und echte Ausbildung werden den Menschen helfen. Das, was Sie in Ihrem Antrag genannt haben, hilft leider nicht.

Wenn Sie jetzt noch ansprechen, dass man mit den Akteuren, mit den Playern vor Ort sprechen muss, dann kann ich nur sagen: Meine Güte! Sie kennen doch die Jobcenter-Beiräte. Da ist das doch alles organisiert. Die Kirchen sind dabei und auch die Unternehmensverbände vor Ort. Das funktioniert aber nur, wenn man ihnen nachhaltige, dauerhafte Projekte an die Hand gibt.

Auch das Maßnahmen- und Projektehopping hilft an der Stelle nicht. Es hilft den Geflüchteten nicht, es hilft Langzeitarbeitslosen nicht, es hilft den Mitarbeitern in den Jobcentern und bei der BA nicht, und es hilft selbstverständlich auch allen anderen Akteuren vor Ort nicht. Deshalb: Wir brauchen dauerhafte und sinnvolle Regelsysteme. Stimmen Sie uns das nächste Mal zu, wenn wir einen entsprechenden Antrag einbringen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Schmeltzer.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: : Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Kollege Walter Kern, ich möchte als Erstes festhalten: Es freut mich grundsätzlich, dass sich auch die CDU-Fraktion den Themen „Langzeitarbeitslosigkeit“ und „arbeitsmarktbezogene Vermittlungshemmnisse“ widmet. Umso bedauerlicher finde ich es, dass Ihr arbeitsmarktpolitischer Antrag vom Bundesparteitag in dieser Woche die Langzeitarbeitslosen nicht einmal anspricht. Sie sagen dann hier in Ihrer Rede, dass Ihnen das Thema nicht egal ist, und fordern uns auf, zu tun. Von den Vorrednern haben Sie schon gehört, dass das Tun in großen Teilen erledigt ist. Es wurde getan! Das sollten Sie beim Schreiben Ihrer Anträge zur Kenntnis nehmen.

Langzeitarbeitslosigkeit – das wissen wir alle – ist eine schwere Hypothek für jeden einzelnen Betroffenen. Die Folgen und Kosten von Langzeitarbeitslosigkeit und gesellschaftlicher Exklusion für den Einzelnen, die Familien und die Gesellschaft können, dürfen und wollen wir alle uns nicht leisten. Auch deshalb ist die konsequente und nachhaltige Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nach wie vor eine zentrale Herausforderung für unser Land.

Zahlreichen Initiativen – meine Vorrednerinnen und Vorredner haben schon viel angesprochen – wurden bereits ergriffen, um die Situation von Menschen mit Vermittlungshemmnissen zu verbessern und Zugangshürden auf dem Arbeitsmarkt für alle Menschen abzubauen, die einen besonderen Unterstützungsbedarf bei der Integration in Arbeit und Ausbildung haben.

Ein Punkt ist zum Beispiel die öffentlich geförderte Beschäftigung. Unsere Projekte stehen dabei sowohl den Langzeitarbeitslosen als auch den Flüchtlingen offen. Das ist ein Grundprinzip der Landesregierung: keine Sonderprogramme für Flüchtlinge, die im ungünstigsten Fall noch unseren Langzeitarbeitslosen etwas wegnehmen würden.

Sie fordern, die Landesregierung möge Projekte in den Kommunen identifizieren, bei deren Umsetzung Beschäftigungseffekte erwirkt werden könnten. Die Landesregierung ist davon überzeugt, dass in erster Linie die Kommunen selbst die Fähigkeit haben, die regionale Situation am besten zu beurteilen. Sie haben beispielsweise die Möglichkeit, sich am Aufruf „Starke Quartiere – starke Menschen“ zu beteiligen, und das, ohne dass die Landesregierung den Kommunen diktiert, welche Bedarfe sie vor Ort haben.

Die Landesregierung verfolgt bei allen Aktivitäten den Ansatz, verschiedene Ressourcen zu bündeln, alle verfügbaren Programme zu nutzen und alle beteiligten Akteure an einen Tisch zu bringen. Das ist doch eigentlich ganz in Ihrem Sinne. Das, was Sie fordern, machen wir schon längst.

Zuletzt – es ist hier schon mehrfach angesprochen worden – war das am Montag dieser Woche der Fall, als Minister Duin und ich Wirtschaftsvertreter, Gewerkschaften und Arbeitsmarktakteure zu einer Konferenz zum Thema „Integration von Flüchtlingen in Arbeit und Ausbildung“ geladen hatten. – Herr Kollege Alda, das war keine arrogante Feststellung, die eben getätigt wurde, das war Fakt. Somit ist auch Punkt 4 des Antrags der CDU eigentlich als erledigt anzusehen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sich die CDU-Fraktion heute des Themas der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit annimmt, habe ich angenommen, dass sich dies auch in den Beschlüssen des jüngst zu Ende gegangenen Bundesparteitags widerspiegeln würde. Und siehe da, wenn man in den Beschlüssen sucht, dann findet man die Arbeitslosen tatsächlich ganz prominent in der neuen Beitragsordnung vertreten.

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

An einer weiteren Stelle werden sogar die Langzeitarbeitslosen angesprochen. In dem Bericht „Zusammenhalt stärken – Zukunft der Bürgergesellschaft gestalten“ findet sich der Satz:

„Vielmehr braucht es Modellprojekte, die auch Langzeitarbeitslose in bürgerschaftliches Engagement integrieren.“

Herr Kollege Kern, schauen Sie doch mal nach Oberhausen oder nach Dortmund, wo wir Langzeitarbeitslose im Rahmen der Flüchtlingshilfe in Arbeit bringen. Dort geht es nicht um das bürgerschaftliche Engagement, sondern um Hilfe. Gleichzeitig vermitteln wir die Langzeitarbeitslosen in Arbeit. Das ist der Weg, den Sie eigentlich wollen, den Sie aber nicht ansprechen.

Die Landesregierung setzt sich intensiv dafür ein, dass auch der Bund seiner Verantwortung gerecht wird und ausreichende Mittel zur Verfügung stellt. Dies gilt für eine auskömmliche und verlässliche Finanzierung der Jobcenter ebenso wie für die Flexibilisierung der Instrumente, die den individuellen Bedürfnissen der Menschen gerecht werden. Es ist folgerichtig, dass das Kabinett des Bundes frisch entschieden hat, den Haushalt von Andrea Nahles bei den Jobcentern und bei den Arbeitsagenturen personell aufzustocken.

Meine Bitte an Sie ist: Arbeiten Sie doch gemeinsam mit uns daran, dass unsere Forderungen nach ausreichenden Mitteln und nach einem Passiv-Aktiv-Transfer endlich erfüllt werden, damit die Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt auch funktioniert! Diese Forderung, Herr Kollege Kern, müssten Sie dann allerdings an Bundesfinanzminister Schäuble richten, nicht an die Landesregierung. Dort wäre sie dann richtig verortet. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende CDU-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Von daher kommen wir zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/10421. Ich darf fragen, wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte. Den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das ist die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piratenfraktion. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die Abgeordneten der FDP-Fraktion. Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/10421 abgelehnt worden ist.

Ich rufe auf:

3   Schutzsuchende mit Bleibeanspruch zügig in den Arbeitsmarkt integrieren – gesetzliche Zugangshindernisse abschaffen – auf neue Zugangshürden verzichten

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10424

In Verbindung mit:

Soziale Marktwirtschaft als Integrationsmotor – Schutzsuchende durch Ausbildung und Arbeit an unsere Wirtschafts- und Werteordnung heranführen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10425

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Kollegen Wüst das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Hendrik Wüst (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Herr Minister Schmeltzer hat eben mehrfach beim CDU-Bundes-parteitag Anleihe genommen. Man kann den Eindruck haben, es wäre ihm darum gegangen, ein Muster dafür in die Hand zu bekommen, wie man zum Jahresende einen anständigen Parteitag macht. Das scheint nötig zu sein.

(Beifall von der CDU)

Ich kann das nur gutheißen. Weil ich ein großer Fan der Volksparteien bin, bin ich dafür, dass beide Volksparteien erfolgreich sind, die eine am liebsten etwas mehr als die andere. Aber Lesen bildet, Herr Schmeltzer.

Wir haben in diesem Jahr 300.000 Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen aufgenommen, Schutzsuchende aus aller Herren Länder. Die Kommunen sind vielfach im Krisenmodus. Beamte und Tarifbeschäftigte auf allen Ebenen arbeiten mehr, als man von ihnen erwarten könnte. Das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen ist beeindruckend, berührend und gelegentlich sogar beschämend. Es werden Sprachkurse gegeben, Begegnungen organisiert, es wird Nachhilfe veranlasst und vieles mehr.

Das wird aber im nächsten Jahre nicht aufhören, sondern es werden weitere schutzsuchendende Menschen zu uns kommen. Deswegen wird es Zeit, dass wir aus dem Krisenmodus heraus-, vor die Lage kommen und uns mit der Frage auseinandersetzen, wie wir diese Menschen praktisch integrieren.

Wir wissen – viel besser als in anderen Ländern –, dass Integration in Nordrhein-Westfalen immer dann erfolgreich ist, wenn es sich um Integration in den Arbeitsmarkt handelt. Jedenfalls gilt das bei Erwachsenen. Handwerker, Mittelständler und die Industrie sind bereit, Menschen je nach Qualifizierungsprofil in ihre Betriebe zu holen, ihnen sinnvolle Tätigkeiten zu geben, sie als Praktikanten kennenzulernen, auszubilden oder ihnen gleich Jobs zu geben. Wir wissen aber auch, dass ein Großteil – und ich will gar nicht darüber streiten, ob es 80 oder 90 % sind – kaum sofort in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren sein wird.

Deswegen haben wir mit großem Interesse den Gipfel am Montag verfolgt, zu dem sich zwei Minister mit Präsidenten und Gewerkschaftschefs getroffen hatten. Betrachtet man diesen vor der Folie, dass wir seit Wochen über die Flüchtlingskrise wahlweise als größte Herausforderung seit dem Wiederaufbau der Bundesrepublik oder mindestens größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung reden, kann man sich nur wundern, wie gering die Ergebnisse des sogenannten Gipfels ausgefallen sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es war die übliche Plauderei, ähnlich, wie bei „Runder Tisch Breitband“ oder beim Projekt „Bochum Perspektive 2022“. Wenig Konkretes, Lob – angemessenes Lob selbstverständlich –,

(Zuruf von der CDU: Eigenlob!)

Hinweise auf den Bund dazu, was er tun möge, Beschreibung von Programmen von Bund und Land, die es schon gibt, auch ansonsten viel Beschreibendes. Im Ergebnis gab es kaum Presseresonanz. Vor allen Dingen gab es aber keine Unterschriften vonseiten der Beteiligten.

Andere Bundesländer wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder Bayern haben, unabhängig von der Frage, wer dort regiert, schon vor zwei Monaten konkrete Vereinbarungen beschlossen, unter die verbindliche Unterschriften – im letzten Fall von Horst Seehofer – gesetzt wurden.

(Beifall von der CDU)

Das fehlt hier. Das fehlt inhaltlich und auch, was die Verortung im Kabinett angeht. Zwei ehrenwerte Minister waren vertreten. Alles gut, kein Problem. Aber wenn es die größte Herausforderung mindestens seit der Wiedervereinigung ist, dann muss das Thema Chefsache sein, dann muss sich Frau Kraft darum kümmern, und dann gehört am Ende auch ihre Unterschrift unter konkrete Vereinbarungen.

(Beifall von der CDU)

Und diese müssen sich mit mehr beschäftigen als mit dem, was sie bisher getan haben. Sie müssen sich auch mit den Wünschen und Forderungen der Wirtschaft auseinandersetzen, wenn es darum geht, den großen Worten auch Taten folgen zu lassen.

Schauen Sie sich die Themenvielfalt an, die wir hier vor dem Hintergrund der Flüchtlingsbewegung diskutieren. Die Klimaschützer sagen: Das ist alles wichtig, wir müssen ganz viel ändern, aber die EnEV 2016 muss kommen. Die Arbeitsmarktpolitiker sagen: Wir wollen Flüchtlingen helfen, sie müssen in Betriebe; aber was Mindestlohn, Zeitarbeit und, und, und betrifft, bleiben wir bei unserer Agenda.

Keiner von uns glaubt doch wirklich, dass wir so dieses Problem in den Griff bekommen.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Doch!)

Keiner von uns glaubt das – außer Herr Sommer.

(Zuruf von der CDU: Ja, ja, der glaubt zu viel!)

Das sei für das Protokoll vermerkt. Also, Herr Sommer, wenn Sie der Einzige sind, der mir hier widerspricht, hört sich das für mich nicht mehrheitsfähig an.

Wir brauchen Änderungen bei der Zeitarbeit, aber nicht in die eine Richtung, sondern bestenfalls in die andere. Deswegen war es gut, dass die Bundeskanzlerin ihre Ministerin Nahles auf „Halten“ gestellt hat. Wir brauchen eine Aussetzung der Vorrangprüfung. Die Sozialminister aller Länder haben dem schon vor Wochen zugestimmt – außer Nordrhein-Westfalen. Wir halten das für falsch. Darüber hinaus brauchen wir einen einfacheren Zugang – sozusagen von unten – in den Arbeitsmarkt, der für die vielen Schutzsuchenden in Deutschland einigermaßen schwierig ist, wenn sie schlecht qualifiziert sind. Wir reden hier nicht von einem Zahnarzt aus Aleppo – von dem müssen wir hier nicht reden –, sondern von den vielen schlecht Qualifizierten.

Vor dem Hintergrund aber zu sagen: „Du muss erst zwölf Monate lang arbeitslos sein, damit du im Sinne des deutschen Rechts formal Langzeitarbeitsloser bist, und dann gilt für dich die Ausnahme vom Mindestlohn für eine Praktikumsstelle, sodass du mal ein halbes Jahr in einen Betrieb hineinschnuppern kannst“, ist, glaube ich, nicht richtig. Damit werden wir dieser großen Herausforderung nicht angemessen gerecht.

Deswegen fordern wir, gering qualifizierte Schutzsuchende von Anfang an analog der Regeln für Langzeitarbeitslose zu behandeln, damit so schnell wie möglich eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration stattfinden kann. Ich würde mich freuen, wenn wir alle in unseren Fachbereichen über den einen oder anderen Schatten springen würden, damit wir bei dieser Herausforderung erfolgreich sind und die Integration zu einem Erfolg nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen machen.

Ich würde mir wünschen, dass Sie – gerne basierend auf Ihrer bisherigen Gipfelerklärung – weiter Ihre Hausarbeiten machen, die Ministerpräsidentin vor den Karren spannen und zu konkreten Verabredungen mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften in Nordrhein-Westfalen kommen. Das sind meine Wünsche, und Ihnen wünsche ich ein frohes Fest. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Bischoff das Wort.

Rainer Bischoff (SPD): Danke. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Also, Herr Wüst hat wenigstens schon mal zur Kenntnis genommen, dass es einen Gipfel gegeben hat. Herr Kern hatte das noch nicht zur Kenntnis genommen. Insofern sind wir mindestens eine halbe Stunde weiter als beim Punkt vorher; denn da hatte er, wie gesagt, noch gar nicht gemerkt, dass es am Montag einen Gipfel gab.

Für die Zuschauerinnen und Zuschauer: Ich sage das deswegen, weil in einem der Anträge der CDU die wichtigste Forderung lautet, dass ein Gipfel stattfinden möge. Das fordert die CDU. Herr Wüst hat gerade aber nicht erklärt, dass diese Forderung überflüssig geworden ist.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Dann machen Sie das mal! Erklären Sie uns das!)

Er hat auch in keinster Weise versucht, sich am Inhalt des Gipfels abzuarbeiten und darzustellen, was im Antrag der CDU längst erledigt ist. Das hat er alles nicht gemacht. Aber er fordert weiterhin, dass ein Gipfel stattfindet, hat aber festgestellt, dass der am Montag stattgefunden hat.

Sie von der CDU waren nicht da. Das muss man auch sagen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Sie auch nicht!)

– Die SPD war da. Natürlich.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Nein! Sonst würden Sie nicht so einen Unsinn erzählen!)

– Natürlich war die SPD da. Das lässt sich auch leicht anhand des Protokolls nachweisen, Herr Stamp. Die CDU konnte es nachlesen; das war der Vorteil von Herrn Wüst. Es gibt ein sechsseitiges Protokoll, also eine gemeinsame Erklärung der Sozialpartner und der beiden Minister, in der alles genau aufgelistet ist. Insofern hätten Sie es leicht gehabt, Herr Wüst, abzugleichen, welche Ihrer Forderungen längst erledigt sind; so laufen Sie in der Tat der Musik hinterher. Wir sind im Grunde genommen bei dem Punkt, bei dem wir schon vorher waren. Da hat sich nicht viel geändert.

Zweite Bemerkung – jetzt ist Herr Preuß auch noch hinausgelaufen, glaube ich –: Neuerdings stellt die Mittelstandsvereinigung der CDU die Anträge zur Arbeitsmarktpolitik, nicht mehr der Sozialflügel. Das ist auch bemerkenswert.

(Hendrik Wüst [CDU]: Zwischen Herrn Preuß und Herrn Wüst passt kein Blatt Papier!)

– Da bin ich gespannt. Das hätte ich gerne herausgefunden, aber er ist nicht mehr im Saal. Herr Kern ist auch nicht mehr anwesend. Die Vertreter der CDA sind alle abwesend. Vielleicht konnten sie es doch nicht so gut ertragen.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Sie beschäftigen sich ja ganz schön intensiv mit der CDU!)

Bemerkenswert war zum Beispiel folgender Satz, der mir als Gewerkschafter sofort auffiel: Bei der Leiharbeit wollen wir nicht in die eine Richtung, sondern in die andere Richtung gehen. – Sie haben dabei nicht erwähnt, wie die andere Richtung aussehen mag, aber ich fürchte, dass die die Richtung, in die die Mittelstandsvereinigung gehen will, nicht im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist. Spannender wäre es gewesen, Sie hätten einmal gesagt, was genau Sie wollen.

Klar ist: Sie wollen keine Verbesserungen bei der Leiharbeit, also die Bestrebungen im Bund, die Leiharbeit zum Ausnahmetatbestand und nicht zum Regeltatbestand zu machen, sondern Sie wollen in die andere Richtung. Es wäre interessant, ob ihr Redebeitrag im Protokoll in den CDU-Sozialaus-schüssen gelesen wird. Das ist eine spannende Position, die hier für die CDU vorgetragen worden ist.

Insgesamt ist es auch spannend, dass Sie als Mittelstandsvereinigung diesen Antrag stellen. Was Sie nicht erwähnt haben, war vielleicht wirklich nicht so populär. Ihnen fällt als Erstes immer der Mindestlohn ein. Also, die Flüchtlinge sollen vom Mindestlohn ausgeschlossen werden.

(Hendrik Wüst [CDU]: Wenn sie ein Praktikum machen!)

Da könnte Herr Stamp sofort auf Ihre Seite gehen; dann haben wir direkt ein paar Diskussionen hinter uns. Die FDP macht das auch. Egal, bei welchem Thema wir sind: Ihnen fällt immer als Erstes ein, dass der Mindestlohn ausgesetzt werden muss. Wahrscheinlich könnten wir auch über die Bienenzucht oder Bienenhaltung diskutieren, da würde Ihnen auch direkt einfallen, dass erst einmal der Mindestlohn ausgesetzt werden muss. Dieser Reflex wird dann wieder bedient.

Der dritte Punkt – den haben Sie nicht erwähnt, aber er steht im Antrag – sind Praktika. Auch da gibt es bestimmte Bestrebungen, dass man die Anzahl unbezahlter Praktika – also eine Praktikantenwelle, ein Praktikantenunwesen – herunterfährt. Da wollen Sie offensichtlich auch in die andere Richtung.

Fürs Protokoll: Jetzt hört mir Herr Wüst gar nicht mehr zu. Er vergnügt sich jetzt anderweitig,

(Astrid Birkhahn [CDU]: Das kann man ihm auch nicht verübeln!)

obwohl er vor mir geredet hat.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Sie erzählen ja auch nichts!)

– Ich habe mich zumindest mit dem auseinandergesetzt, was er gerade vorgetragen hat. Das gehört eigentlich auch zu einer Debatte dazu.

Damit wird klar, dass es nicht um Arbeitsmarktpolitik geht, sondern darum, bestimmte Dinge runterzufahren, die reflexartig bei der CDU stattfinden.

Darüber hinaus stehen in Ihrem Antrag diverse Forderungen zur Bildungspolitik, die zum größten Teil beim Gipfel angesprochen und abgearbeitet worden sind; darauf will ich gar nicht vertieft eingehen.

Ich werde sowieso nicht meine gesamte Redezeit darauf verwenden, zu diesem Antrag zu reden. Herr Kerkhoff kommt noch. Vielleicht kann er gleich etwas korrigieren,

(Zurufe von der CDU)

was Herr Wüst gesagt hat. Immerhin sitzt er im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

Verräterisch – das muss man vielleicht auch noch einmal erläutern – war von vornherein, dass Sie Ihren Antrag zur direkten Abstimmung stellen. Irgendein Kollege hat beim vorigen Tagesordnungspunkt gesagt, er finde das gut; denn dann müsse sich der Ausschuss nicht damit beschäftigen. Das ist wahr; das finde ich auch.

Das Bemerkenswerte ist allerdings, dass im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, dem ich auch angehöre, so ziemlich jeder Antrag mit einer Anhörung verbunden wird. Dann werden ganz viele Expertinnen und Experten eingeladen, diese geben ihre Meinung dazu ab, und dann kann man sich mit dem Thema auseinandersetzen. Das will die CDU bei ihrem Antrag vermeiden. Das wollen Sie nicht.

(Zuruf von der CDU)

Ich verstehe das gut, Herr Wüst. Denn das, was die Expertinnen und Experten zu Ihrem Antrag sagen würden, ist ziemlich absehbar. Um das zu vermeiden, stellen Sie den Antrag zur direkten Abstimmung, sodass gleich abgestimmt wird, und dann werden keine Expertinnen und Experten geladen. So haben Sie die Möglichkeit der kurzen Pressemitteilung und können sich darüber auslassen, wie großartig Sie sich für die Arbeitsmarktpolitik einsetzen und dass die bösen Mehrheitsfraktionen Ihnen hier nicht zustimmen.

Das ist das Ziel, das Sie verfolgen. Ich habe kein Interesse, mich daran zu beteiligen. Deswegen bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit, indem ich noch einmal auf Folgendes hinweisen: An dem Tag, als Sie diesen Antrag beschlossen haben, ging es laut der Berichterstattung der „Rheinischen Post“ ziemlich turbulent zu in Ihrer Fraktionssitzung, um es freundlich zu formulieren. In dieser Sitzung haben Sie wohl das Thema „Flüchtlinge“ für sich entdeckt, und Herr Laschet ist dann zuständig für die Abschiebungen; den haben Sie für die Stammtische vorgesehen.

Herr Kuper, der für die Kommunalpolitik zuständig ist, versucht, eine Neiddebatte anzuregen, indem er sagt, dass die Flüchtlinge auf die Kommunen ungerecht verteilt werden. Und jetzt haben Sie bei der Arbeitsmarktpolitik gedacht, das sei seriös. Das ist es aber nicht.

Was aber wirklich in dieser turbulenten Sitzung stattgefunden hat, möchte ich ihnen mit einem Zitat aus der „Rheinischen Post“ schildern. Dort sagte Herr Kruse – ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren –, der wie viele andere dieser Debatte bedauerlicherweise nicht folgt – wohlgemerkt, es ist die Debatte über Ihren eigenen Antrag –:

(Serap Güler [CDU]: Gucken Sie sich mal Ihre Fraktion an! – Lutz Lienenkämper [CDU]: Gucken Sie mal, wer bei Ihnen noch da sitzt!)

– Das ist Ihr Antrag, Herr Lienenkämper, den wir gerade beraten. – Herr Kruse wird jedenfalls mit dem bemerkenswertem Satz zitiert: „Wir haben überhaupt keine Strategie.“ Ich hätte Herrn Kruse, wenn er anwesend wäre, eigentlich antworten wollen: Herr Kruse, da haben Sie recht, das zeigt sich auch in Ihrem Antrag. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD – Hendrik Schmitz [CDU]: Gott sei Dank!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bischoff. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Velte.

Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mit etwas Positivem zu beginnen. Das Positive wäre, dass sich die CDU damit beschäftigt, dass die CDU versucht, die Ergebnisse aus den Anhörungen, die in den verschiedenen Ausschüssen – auch zu einem ähnlichen Thema – stattgefunden haben, zu verarbeiten, und dass die CDU das jetzt als Querschnittsaufgabe angeht.

Das alles sind Punkte, wo ich finde, dass es eigentlich ganz gut läuft. Dazu sprechen nicht die Integrationspolitiker – auch nicht die Arbeitsmarkt- bzw. Sozialpolitiker –, sondern die Mittelstandsvereinigung der CDU spricht dazu. Und das ist doch erst einmal …

(Zuruf von Hendrik Wüst [CDU] – Weiterer Zuruf von der CDU: Wo ist das Problem?)

– Entschuldigung, Herr Wüst: Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU spricht dazu. Ich finde es ja schön – Sie haben sich ja bei vielen Anträgen enthalten, und Sie haben Anträge zum gleichen Thema abgelehnt –, dass Sie sich mit dem Thema „Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten“ befassen.

Natürlich ist es schade, dass Sie bei der Konferenz mit den Arbeitgeberverbänden, den Handwerkskammern, den Gewerkschaften, den Jobcentern, den Arbeitsagenturen, den Universitäten und dem IQ Netzwerk nicht zugegen sein konnten. Das möchte ich Ihnen nicht vorwerfen. Ich möchte Ihnen aber schon so ein bisschen einen Anstoß geben, sich einmal das durchzulesen, was in dem Papier abschließend steht. Darin sind ja viele Maßnahmen enthalten, die schon durchgeführt werden und auf die Sie sich in Ihren Anträgen in keiner Form beziehen. Das wäre aber hilfreich gewesen; denn könnte man auch sehen, was in diesem Land schon alles geleistet wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es tut mir vor allem auch deswegen leid, dass Sie nicht dabei waren, weil die Themen, die Sie ansprechen – Mindestlohn und Praktika –, an der Stelle überhaupt nicht von Bedeutung waren. Thema war, dass alle Verbände – die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände, die Handwerkerschaften – dargestellt haben, mit welcher Intensität und auch mit welchem Mitteleinsatz sie in diesem Themenfeld tätig sind und wie sehr sie sich darum bemühen – dabei fühlen sie sich, was ich persönlich schon für ein großes Wunder halte, auch eingebunden –, für die Einführung der Integration Points vor Ort zu kämpfen.

In den Integration Points wird ja genau das passieren, was Sie in Teilen Ihres Antrages fordern, nämlich die Koordination und Kooperation aller vor Ort, um die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zu bewerkstelligen. Deswegen ist es schade – auch wenn das praktisch aus dem Papier trieft und es schon etliche Integration Points in diesem Land gibt –, dass Sie diesen Punkt nicht aufgreifen.

Diese gemeinsame Erklärung zeigt, dass es ein ganzes Land braucht, um mit dieser Herausforderung fertig zu werden, und dass dieses ganze Land auch dasteht, um das zu machen.

An vielen Stellen hört es sich bei Ihnen so an, als würden Sie sagen: Es liegt kein Konzept vor. Das würde ich gerne auch noch einmal mit Herrn Kruse besprechen. Also, wenn Sie keine Strategie haben, heißt das nicht, dass es kein Konzept gibt. Dieses Land hat ein Konzept. Es gibt immerhin auch sehr viel Geld aus, um diesem Konzept zu folgen.

Es gibt viele Instrumente und Möglichkeiten, von denen wir aber – und das halte ich für richtig – sagen, dass sie gut für alle sind, insbesondere wenn sie im Arbeitsmarkt zum Tragen kommen: sowohl für die Langzeitarbeitslosen, vielleicht auch für diejenigen, die den inklusiven Arbeitsmarkt suchen, vor allem aber für die Geflüchteten.

Sie reden – darüber bin ich mir jetzt nicht so ganz im Klaren – von Schutzsuchenden, die keine Erfahrung mit der beruflichen Bildung haben. Damit gehen Sie natürlich vollständig an den anderen Teilen Ihres Antrages vorbei. Denn die Geflüchteten, die zu uns kommen, haben sehr wohl Erfahrung mit beruflicher Bildung. Sie haben aber vielleicht keine Erfahrung mit dem dualen Ausbildungssystem.

Was Ihre Forderung nach Bundesratsinitiativen und anderen Dingen angeht: Es kommt mir im Moment so vor, als würden Sie in NRW Wein predigen und im Bund Wasser verordnen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE] und Simone Brand [PIRATEN])

Ich möchte Ihnen dafür zwei Beispiele nennen. Einmal geht es um die Integrationskurse, die ja in Ihrem Antrag nicht vorkommen, obwohl wir doch wissen, dass Sprache die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche berufliche Integration ist. Die Sprachkurse sollen – zumindest ist das der Vorschlag der CDU-geführten Regierungen – demnächst von den Geflüchteten wieder bezahlt werden. Das ist kontraproduktiv. Dies führt ja nicht zu einer Arbeitsmarktintegration, sondern dazu, dass hohe Hürden aufgebaut werden. An der Stelle braucht man nicht über Mindestlohn zu sprechen, sondern das sind ganz markante Hürden.

Sie fordern – das finde ich richtig, es ist auch aus der Konferenz herausgekommen – drei Jahre Ausbildung plus zwei Jahre Berufszugang. Das betrifft aber nicht Nordrhein-Westfalen – wir wollen das alle –, sondern es ist doch der Bund, der das verhindert.

Ich möchte noch darauf eingehen, dass Sie irgendwie immer Ärger mit den Berufskollegs haben. Sie möchten da multiprofessionale Teams haben. Wären Sie alle bei den Haushaltsberatungen dabei gewesen, dann hätten Sie auch gesehen, dass diese multiprofessionellen Teams schon längst auf dem Weg sind und dass fast 230 Stellen geschaffen worden sind, um genau das zu gewährleisten, was Sie mit Ihrem Antrag beabsichtigen.

Zum Schluss möchte ich auch noch auf das Thema „direkte Abstimmung“ eingehen. Ich verstehe das ja: Wir haben viel darüber geredet, und wir haben so viele Anhörungen gehabt, dass Sie sich keine weitere mehr antun wollen. Ich hätte es aber gut gefunden, wenn wir noch einmal in den Ausschüssen – auch im Integrationsausschuss – darüber hätten diskutieren können, um zu gucken, was wir an Instrumenten haben und wo wir besser werden können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, eine schöne Weihnachtszeit und ein gutes neues Jahr!

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Velte. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wissen alle – und wir müssen das auch nicht permanent wiederholen –, wie groß die Herausforderung der Flüchtlingskrise ist. Es ist auch noch nicht völlig abschätzbar, welche Dimension das hat.

Ich warne aber davor – das möchte ich an der Stelle deutlich sagen –, hier ein falsches Erwartungsmanagement gegenüber den Kommunen und auch gegenüber der Bevölkerung insofern zu betreiben, als gesagt wird: Weil die Zahlen in den letzten zwei Wochen etwas zurückgegangen sind, kann hier eine Entwarnung verkündet werden. Denn wenn sich die Zahl auf dem momentanen Niveau von 9.000 in der Woche in Nordrhein-Westfalen verstetigt und sich das auch im neuen Jahr so fortsetzt, kann das im Januar oder Februar eine andere Reaktion hervorrufen.

Das ist nicht das, was wir uns wünschen. Deswegen sollten wir damit realistisch umgehen und uns auch der Dimension bewusst sein.

(Beifall von der FDP)

Für uns, meine Damen und Herren, gilt – Christian Lindner hat das gestern hier sehr deutlich gesagt – der humanitäre Imperativ genauso. Aber wir wissen auch, dass wir Ordnung im System brauchen. Deswegen verweise ich an dieser Stelle auch noch einmal – auch wenn aus den Vorständen der anderen Fraktionen kaum noch jemand anwesend ist – auf unser Angebot einer gemeinsamen Bundesratsinitiative für einen eigenen Status für Kriegsflüchtlinge und für ein Einwanderungsrecht, das hier wieder stärker Ordnung schafft.

Wir werden aber, meine Damen und Herren, zusätzlich zu der Frage, wie wir zu einer Reduzierung der Zahlen kommen, vor einer historischen Herausforderung der Integration stehen. Einige haben sich noch nicht wirklich klargemacht, was das heißt. Wir müssen in einem ganz anderen Tempo beginnen.

Frau Jansen ist nicht mehr da. Ich weiß nicht, ob sich Herr Bischoff mittlerweile wieder im Raum befindet.

(Zurufe: Ja! – Hier ist er!)

– Da hinten ist er. Sie hatten vorhin die Abwesenheit von Herrn Wüst kritisiert. Dann sollte man auch seine eigene Anwesenheit sicherstellen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben schwadroniert, es hätte einen Gipfel gegeben. Meine Damen und Herren, das, was wir erlebt haben, war der Gipfel der Unverschämtheiten. Es war ein lästiger Pflichttermin.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Präsident, ich weiß nicht, ob mein Ausdruck unparlamentarisch ist. Ich würde sogar sagen, es war ein hingerotzter Pflichttermin.

(Unruhe bei der SPD – Zuruf: Was?)

Ich habe selten erlebt, dass zunächst mit großem Gestus eingeladen und gesagt wird: „Wir treffen uns mit den Spitzen des Landes, der Gewerkschaften, der Unternehmen“ und man anschließend im Wirtschaftsministerium im Hinterzimmer sitzt. Auch wenn die CDU zeitgleich nicht ihren Bundesparteitag gehabt hätte, hätte sie an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen können; es war nämlich gar kein Platz mehr im Raum.

Abgesehen vom Protokollarischen war es auch inhaltlich eine sehr dünne Veranstaltung. Das hat sich auch in der Medienresonanz widergespiegelt. Herr Kollege Wüst hat es schon entsprechend ausgeführt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Stamp, ich wollte Ihnen mit Ihrer Einschätzung recht geben, dass Sie einen unparlamentarischen Ausdruck verwendet haben. Aber da Sie ihn bereits selbst als einen solchen identifiziert haben, gehe ich davon, dass es sich um einen Einzelfall handelt.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident, ich nehme das zur Kenntnis und spreche fortan von einem lästigen Pflichttermin. Das ist aber – das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich – nicht nur von mir so wahrgenommen worden, sondern auch von Vertretern der Regierungskoalition und von Vertretern der Wirtschaftsverbände, die das Ganze als Unverschämtheit bezeichnet haben.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Meine Damen und Herren, wenn man so ein Bündnis für Integration schmieden möchte, dann ist man auf dem Holzweg. Wir hätten erwartet, dass wir auf der Veranstaltung präzise und konkret besprechen, wie wir der großen Herausforderung der Nachqualifizierung, der Bildung – auch von denjenigen, die als Analphabeten zu uns kommen – begegnen und darüber sprechen, wie wir den schulischen und nicht schulischen Bereich verzahnen.

Es ist übrigens auch kritisiert worden, dass die Schulministerin bei der Veranstaltung nicht anwesend war. Warum werden – wenn es medial gefordert wird – Flüchtlingsgipfel inszeniert – auch medial inszeniert–, und wenn es um die Sache geht, gibt es nur ein Beisammensein, dessen Abschlusserklärung schon am Beginn des Treffens auf dem Tisch liegt? Das ist nicht die Art und Weise, wie wir uns eine Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema vorstellen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir hätten gerne offen darüber gesprochen, warum wir die Vorrangprüfung nicht grundsätzlich abschaffen können. Wir hätten gerne darüber gesprochen – Herr Bischoff, fallen Sie jetzt nicht gleich wieder vom Stuhl oder in irgendwelche Klischees –, warum man beim Mindestlohn nicht eine stärkere Flexibilität an den Tag legen kann.

(Zuruf von Rainer Bischoff [SPD])

– Regen Sie sich nicht auf! – Es geht bei dieser Debatte doch überhaupt nicht darum, irgendwelche prekären Arbeitsverhältnisse zu schaffen; es geht auch nicht darum, Arbeit völlig als Broterwerb für die Flüchtlinge heranzuziehen. Vielmehr geht es in diesem Fall ganz entscheidend darum, dass Arbeit ein ganz wesentlicher Faktor von Integration sein muss. Wir brauchen die vollständige Flexibilität am Arbeitsmarkt für die Flüchtlinge, damit sie daran sukzessive herangeführt werden, damit wir über Arbeit möglichst viel Integration schaffen können.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD)

Manches dazu steht in dem Papier der CDU. Manches haben wir hier in ähnlicher Form bereits vor Monaten vorgetragen; das darf ich an dieser Stelle ebenfalls sagen. Manches ist auch schon in Anhörungen diskutiert worden.

Es ist völlig richtig, das alles hier noch einmal vorzutragen, zusammenstellen und darüber zu beraten. Wir hätten über die Anträge gern im Ausschuss diskutiert – das sage ich an dieser Stelle auch –, aber Sie haben sich die direkte Abstimmung darüber gewünscht. Nicht weil Weihnachten ist, sondern weil wir der Meinung sind, dass Ihre Vorschläge überwiegend in die richtige Richtung gehen, überwiegend zur Integration beitragen und es ist konzeptionell deutlich mehr ist als das, was die Landesregierung dazu bisher angeboten hat, stimmen wir Ihrem Antrag zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Piratenfraktion spricht Frau Kollegin Brand.

Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Wir diskutieren wieder einmal über Anträge der CDU zum Thema „Integration“. Zugleich liegt uns das Positionspapier „Aktionsplan Rückkehr“ von der CDU vor.

(Zuruf von der CDU)

Kollege Römer nannte das Vorgehen der CDU gestern eine „populistische Verzweiflungstat“. Wir nennen es die vertraute Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Situ-ation, eine Partei mit zwei Persönlichkeiten.

(Unruhe)

Auf der einen Seite gibt es von Ihnen vermeintlich gute Ansätze zur Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt; über die Motive und Hintergründe der CDU wird sich mein Kollege Torsten Sommer gleich noch äußern.

(Zuruf von Torsten Sommer [PIRATEN])

Meine Damen und Herren, seien wir einmal ehrlich: Das Rad wurde hier wahrlich nicht neu erfunden. Im Gegenteil: Arbeitsverbote, Vorrangprüfung haben wir bereits vor Jahren thematisiert, als noch niemand von einer Flüchtlingskrise sprach.

Auf der anderen Seite gibt es von Ihnen diesen abscheulichen „Aktionsplan Rückkehr“ – gnadenlos, unmenschlich, eben typisch CDU.

(Zurufe von der CDU: Oh! – Christina Schulze Föcking [CDU]: Das ist unverschämt!)

Aber die SPD ist ja nicht besser. Entsetzt habe ich gestern Herrn Römer mit stolzgeschwellter Brust sagen hören: Kein Bundesland hat mehr Menschen abgeschoben. – Darauf sind Sie auch noch stolz! Herzlichen Glückwunsch!

(Zuruf von der CDU)

Meine Damen und Herren, insgesamt stellt sich die Frage nach dem Warum. Warum simulieren Sie mit den Anträgen auf der Umsetzungsebene Integrationswillen? Ich sage es Ihnen. Es ist Ihr Alibi. Es ist Ihr Alibi, um nicht am großen Rad drehen zu müssen, um keine wichtigen Punkte für gelingende Integrationspolitik angehen zu müssen und um nicht über die Änderung des Aufenthaltsgesetzes nachdenken zu müssen.

Für eine Partei, die auf Bundesebene in der Regierung sitzt – ja, auch die Bundeskanzlerin gehört zu Ihrer Partei, auch wenn man das in den letzten Wochen kaum glauben wollte –, ist die Umsetzungsebene falsch. Wenn man Integration ernst nimmt, muss man doch viel höher ansetzen und darf nicht vom Fokus ablenken. Wenn Frau Merkel immer wieder sagt, wir schaffen das, dann müssen wir doch alle zusammen an der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung von Zuwanderern arbeiten. Nur Geld in die Hand zu nehmen, wie es Minister Walter-Borjans gestern äußerte, reicht nicht. Eigentlich sollten wir nicht von einem „Wir schaffen das“, sondern von einem „Wir wollen das“ reden.

Meine Damen und Herren, der Zugang zum Berufs- und Ausbildungsmarkt, zu sozialen, berufsfördernden und Familienleistungen sowie zu vielen anderen Teilhabemöglichkeiten ist noch immer vom Aufenthaltsstatus und zusätzlich von der Aufenthaltsdauer abhängig. Von Unterstützungsleistungen profitieren also nur bestimmte Zuwanderer. Anders ausgedrückt: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. – Diese perfide Statusaufteilung der Flüchtlinge verhindert Integration und klingt nicht wie ein „Wir wollen das“, sondern nach einem „Wir wollen das nicht“.

Machen Sie bitte einmal einen Realitätscheck. Fragen Sie die zig Helfer vor Ort, wie das ist, wenn in einer Unterkunft der eine Mensch einen Sprachkurs bekommt und sein Bettnachbar nicht. Das ist ungerecht und ruft Hilflosigkeit und manchmal auch Wut hervor. Das wirkt sich negativ auf alle aus: auf die Geflüchteten, auf die Helfer und letztlich auch auf die Aufnahmegesellschaft.

Ein weiteres Beispiel ist der Familiennachzug. Nur diejenigen mit dem „richtigen“ Aufenthaltsstatus dürfen irgendwann ihre Familien nachholen, alle anderen zuerst einmal nicht. Dann integrieren Sie einmal die Menschen, die Frauen und Kinder in Not und Elend zurückgelassen haben. Viel Erfolg!

Integration wird immer noch nicht richtig verstanden und gelebt. Das sieht man auch an der aktuellen Planung der Bezirksregierung Arnsberg. Hier wird nicht nur bei der Erstunterbringung, sondern auch bei den Dauerunterkünften auf Einheiten mit durchschnittlich mehr als 1.000 Menschen gesetzt. Dauerhaft in einer Massenunterkunft mit mehr als 1.000 Menschen zu leben, ist nicht der Weg, den wir uns für eine gelungene Integration wünschen. So nehmen Sie auch die Aufnahmegesellschaft mit Sicherheit nicht mit. Deutsch zu lernen ist bei dem Geräuschpegel in den riesigen Unterkünften auch nicht wirklich möglich. Aber sicher waren Sie alle schon einmal persönlich vor Ort und können das einschätzen. Ich kann es auf jeden Fall.

Meine Damen und Herren, wahre Integration hat bereits der ehemalige Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Heinz Kühn in seinem Kühn-Memorandum im Jahr 1979 definiert: Wir benötigen die volle rechtliche und tatsächliche Gleichstellung dieser Menschen in Deutschland. – Das galt damals, und das gilt heute umso mehr. Wir haben noch viel zu tun. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Schmeltzer das Wort.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: : Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Bei der Debatte fragt man sich zwischendurch, ob überhaupt noch anhand der Anträge beraten wird. Auf den einen oder anderen Punkt – insbesondere auf die unverschämten – gehe ich noch einmal im Detail ein.

Fest steht für uns, viele der zu uns flüchtenden Menschen werden definitiv längerfristig in Deutschland bleiben. Die Schutzquote für Asylsuchende von ca. 40 % beweist, wir müssen jetzt so schnell wie möglich die Integration dieser Menschen sicherstellen. Je länger mit der Integration zugewartet wird, umso schwieriger ist es letztendlich später; denn die Integration wird nicht von heute auf morgen gelingen.

Klar ist doch, die Menschen brauchen Sprache und sie brauchen Qualifikation. Dabei muss es Ziel unserer Anstrengungen sein, möglichst aufeinander abgestimmte und flexibel ausgestaltete Förderketten für die Menschen zu bilden. Sie brauchen nicht nur Qualifikation nach Sprache. Wenn erste Grundsprachkenntnisse vorliegen, benötigen sie auch Qualifikation und Sprache. Betriebliche Erfahrung und Sprache sind erforderlich. Hierfür ist ein Zusammenwirken aller Akteure erforderlich; denn die Herausforderungen setzen ein Engagement von allen voraus. Das haben wir hier in Nordrhein-Westfalen.

Erst am Montag haben mein Kollege Garrelt Duin und ich eine Konferenz mit Vertretern der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Bundesagentur für Arbeit, der kommunalen Spitzenverbände und der Hochschulen zur Integration von Flüchtlingen in Arbeit und Ausbildung durchgeführt. Herr Kollege Wüst, wenn Sie – berechtigt, entschuldigt – nicht anwesend sein konnten, sollte man sich nicht über den …

(Hendrik Wüst [CDU]: Ich war selbst nicht einmal eingeladen!)

– Aber Ihr Fraktionsvorsitzender! Dann wenden Sie sich an Ihren Fraktionsvorsitzenden.

(Hendrik Wüst [CDU]: Vielen Dank für die Klarstellung!)

– Ich sage es ja gerade. Jetzt nehme ich Sie einmal in Schutz, und Ihnen passt das nicht.

Wenn Sie berechtigterweise nicht anwesend sein konnten, sollten Sie sich aber auch nicht über einen Verlauf äußern, der definitiv so nicht stattgefunden hat, und schon gar nicht in einer Art und Weise, die Ihnen als Nichtteilnehmer nicht zukommt.

(Hendrik Wüst [CDU]: Ich lasse mir doch nicht von Ihnen den Mund verbieten! – Zurufe von der CDU)

– Das ist mir egal!

Herr Kollege Stamp, ich will die Art und Weise nicht wiederholen, um nicht selbst gerügt zu werden, aber wenn Sie hier mittels einer gerügten Aussage über eine Veranstaltung als Pflichttermin sprechen, wenn Sie darüber sprechen, dass sich Teilnehmer inklusive der Koalitionsfraktionen negativ geäußert haben, dann nennen Sie hier Ross und Reiter und lassen das nicht so unwahr im Raum stehen. Das ist eine Unverschämtheit! Die Konferenz hatte ein Papier vorliegen, über dass sich im Vorfeld alle Beteiligten aus Wirtschaft, Gewerkschaft, Industrie und Regionaldirektionen verständigt haben. Sie haben hier die Unwahrheit gesagt. Das muss an dieser Stelle deutlich herausgestellt werden!

(Beifall von der SPD)

Wir haben in dieser Konferenz festgestellt, dass in NRW von der Landesregierung, der Arbeitsverwaltung und den Sozialpartnern bereits sehr viel umgesetzt wird, und haben das in einer gemeinsamen Erklärung auch genauso festgehalten. Hier wurden mehrere Länder herangezogen, die das alle unterschrieben hätten.

Es gibt nur ein Bundesland, das eine Erklärung unterschrieben hat, und das ist in der Tat das Bundesland Bayern. Dort waren Regionaldirektion, Gewerkschaften und andere überhaupt nicht beteiligt.

Wenn man sich dieses Papier anschaut, stellt man fest, dass es aus Phrasen zusammengesetzt ist und weit hinter dem zurückbleibt, was in Nordrhein-Westfalen bereits getan wird. Das, Herr Kollege Wüst, könnten wir auch sofort unterschreiben. Es ist aber nicht unser Ansinnen, Phrasen zu unterschreiben. Vielmehr wollen wir einen weiterführenden Weg aufzeigen.

(Zurufe von der CDU)

Wir haben klar und deutlich vereinbart, dass diese Konferenz vom Montag der Beginn eines Prozesses war. Wir haben auch klar vereinbart, dass dieser Prozess Anfang des Jahres weitergeführt wird. Ebenso haben wir klar vereinbart, dass es hier um den Austausch, um praxisorientierte Handlungsempfehlungen, um Best-Practice-Beispiele gehen wird und dass alles, was auf der Arbeitsebene weiterdiskutiert wird, direkt praktisch umgesetzt wird. Das beginnt bei Sprachkursen, geht über frühzeitige Kompetenzfeststellungen bis hin zu notwendigen Qualifizierungen. Die Bedarfe der Arbeitgeber sind da. Wir werden die Menschen jetzt gut darauf vorbereiten. Aber es wird bewusst keine Sonderprogramme für Flüchtlinge geben.

Die sogenannten Regelinstrumente ermöglichen bereits viel von dem, was die CDU-Fraktion mit ihren Anträgen fordert.

Aber eines wollen wir auch nicht, nämlich die einheimischen Menschen, die schon lange arbeitslos sind, nicht beteiligen. Auch inländische Arbeitssuchende müssen weiter aktiviert, qualifiziert und dauerhaft in Beschäftigung und Ausbildung integriert werden. Das gilt insbesondere für Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte, Berufsrückkehrende und andere Gruppen, die bisher von der guten Arbeitsmarktpolitik nicht genügend profitieren konnten. Wir lassen in Nordrhein-Westfalen nicht zu, dass auf dem Arbeitsmarkt Personengruppen zulasten anderer bevorzugt werden. Das war übrigens auch Konsens auf unserer Arbeitsmarktkonferenz am Montag.

Ein Wort zum Mindestlohn, der immer wieder herangezogen wird: Ein Aufweichen des Mindestlohns wird es mit uns nicht geben. Der Mindestlohn gilt unabhängig vom Pass für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Flüchtlinge dürfen nicht als Lohndrücker gegen einheimische Arbeitskräfte instrumentalisiert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Natürlich ist für die Integration von Flüchtlingen eine gute Zusammenarbeit der zuständigen Organisationen und Behörden erforderlich. Dazu gehören Arbeitsagenturen, Jobcenter, Ausländerbehörden, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Kommunen und die Bleiberechtsnetzwerke. Hinzu kommt noch das vielfältige und absolut großartige ehrenamtliche Engagement.

Hier hat sich die Landesregierung als erstes und als einziges Bundesland in enger Zusammenarbeit mit der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit und mit den kommunalen Spitzenverbänden durch die flächendeckende Einführung der Integration Points gerade dieser Herausforderung gestellt. Im Übrigen – ich habe das auch gestern wieder in der sogenannten Haushaltsrede von Herrn Laschet gehört – habe ich diese Vereinbarung unterschrieben und auf den Weg gebracht. Das nur einmal by the way.

Im Integration Point finden die Geflüchteten für alle Arbeitsmarktfragen gut geschulte erste Ansprechpartner. Dort wird die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Stellen organisiert.

Integration findet nämlich vor Ort statt. Deshalb werden wir 2016 die Integrationskraft der Kommunen weiter stärken. Heute haben 49 unserer 54 Kreise und kreisfreien Städte ein Kommunales Integrationszentrum. 2016 werden weitere Kommunen hinzukommen. Kein Land hat eine so gut ausgebaute Infrastruktur für Integration wie Nordrhein-Westfalen. Darauf lege ich persönlich auch einen großen Schwerpunkt.

„KOMM-AN NRW“ – gestern ist der Haushalt beschlossen worden – wird in den Kommunen umgesetzt. Natürlich wird bei „KOMM-AN NRW“ ein Schwerpunkt darauf liegen – was wir alle wollen; da bin ich mir sicher –, dass auch die Wertevermittlung, insbesondere die Artikel 1 bis 20 des Grundgesetzes, an die Flüchtlinge schnellstmöglich koordiniert umgesetzt wird.

Abschließend will ich feststellen: Es passiert in Nordrhein-Westfalen schon sehr viel. Auch die von uns organisierte Konferenz mit Wirtschaft und Gewerkschaften hat gezeigt, dass Nordrhein-Westfa-len gut aufgestellt ist. Wir haben gemeinsam in diesem Papier gute Ergebnisse zusammengestellt. Wir werden schnellstmöglich daran arbeiten und uns alle auf die Umsetzung konzentrieren. Dabei tauschen wir uns kontinuierlich und mit allen Akteuren praxisorientiert aus.

(Zurufe von der CDU: Oh, oh!)

Herr Kollege Wüst, ein letzter Satz noch an Sie: Die Vorrangprüfung ist von Ihnen angesprochen worden. Hier halte ich es mit dem letzten Satz des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Norbert Römer, den Sie sich noch einmal heranziehen sollten: Nordrhein-Westfalen hat weder als einziges Land gegen einen Antrag in Sachen Vorrangprüfung auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz dagegen gestimmt, sondern es war Bayern, das sich an diesen Beschluss nicht gehalten hat. Zitieren Sie bitte die Beschlüsse ordentlich! Dann kommen wir in der Sache auch weiter. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Schmeltzer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kerkhoff.

Matthias Kerkhoff (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister Schmeltzer, zu Ihren Einstiegsbemerkungen kann man nur sagen: Nicht jeder, der aus dem Rahmen fällt, war vorher unbedingt im Bilde.

(Beifall von der CDU)

Das zeigt Ihre Aufregung an der Stelle. Natürlich hat es diesen Gipfel oder, wie Sie sagen, diese Konferenz gegeben. Aber dass diese nicht bei jedem angekommen ist, ist auch dadurch erklärbar, dass kaum darüber berichtet wurde und dass die Ergebnisse entsprechend dürftig sind.

(Beifall von der CDU)

Ich kann Ihnen auch sagen, warum Sie am Montag, kurz vor Weihnachten diese Konferenz abgehalten haben. Damit Ihnen niemand sagen kann, dass überhaupt nichts passiert, haben Sie sich kurzerhand entschlossen, sich zu dieser Konferenz zu verabreden, und sind, weil sie auch nicht ordentlich vorbereitet worden war, mit entsprechend dürftigen Ergebnissen herausgekommen. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall von der CDU)

Ansonsten kann ich nur wiederholen, was Herr Kollege Wüst eben schon gesagt hat: Die Ministerpräsidentin muss die Integration von Flüchtlingen zur Chefsache erklären. Sie muss persönlich Unternehmen, Gewerkschaften und die Agentur für Arbeit an einen Tisch bringen. Sie muss mit den genannten Beteiligten zu verbindlichen Vereinbarungen darüber kommen, wie wir die Integration bewerkstelligen wollen. Das erwarten die Unternehmer, das erwarten die Bürger, und das erwarten im Übrigen auch die Schutzsuchenden, die zu uns kommen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Schwerpunkt einer solchen Vereinbarung muss die berufliche Bildung sein. Es kommen viele junge Menschen zu uns. Es kommen viele junge Männer zu uns. Und junge Männer ohne Aufgaben kommen auf dumme Gedanken. Das war immer schon so, völlig unabhängig von ihrer Herkunft.

Integration in die Gesellschaft setzt Integration in den Arbeitsmarkt voraus. Und Integration in den Arbeitsmarkt setzt Qualifikation voraus. Hier ist genau der Punkt, bei dem wir ansetzen müssen.

Unternehmer und Handwerker haben es Ihnen am Montag gesagt: Ohne besondere Kraftanstrengung im Bereich der beruflichen Bildung werden wir bei der Integration kläglich scheitern. Es gab natürlich Forderungen und die Erwartung, auch Veränderungen im Bereich Vorrangprüfung, im Bereich Mindestlohn vorzunehmen.

Das sage ich noch einmal klar für unsere Fraktion: Wir wollen keine Diskussion über die Höhe des Mindestlohns. Was wir wollen, ist, dass die abweichenden Regelungen, die wir für Langzeitarbeitslose haben, eben auch für Flüchtlinge, die fern des Arbeitsmarktes sind, anwendbar sind. Denn es macht überhaupt keinen Sinn,

(Rainer Bischoff [SPD]: Hört, hört!)

erst jemanden in die Langzeitarbeitslosigkeit zu schicken, indem man lange Zeit nichts tut, um dann entsprechend mit dem Status eines Langzeitarbeitslosen die Abweichung vorzunehmen. Das macht doch keinen Sinn.

(Beifall von der CDU)

Die Bundesagentur für Arbeit schätzt, dass 80 % der Ankommenden über keine für den deutschen Arbeitsmarkt notwendige Qualifikation verfügen. Wir müssen daher Ausbildungsmöglichkeiten für diese Menschen schaffen. Die Handwerker und Unternehmer sind bereit, sich hier besonders zu engagieren. Aber dann müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen – Stichwort: Sprachkenntnisse. Die meisten Ankommenden verfügen über keine oder nur geringe, in jedem Fall für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nicht ausreichende Deutschkenntnisse.

Die Vermittlung von Deutschkenntnissen kann aber nicht Aufgabe der Betriebe und Unternehmen vor Ort sein. Sie kann auch nicht allein in der Verantwortung von Ehrenamtlern, wie wir es zurzeit zum Glück an vielen Stellen erleben, liegen. Und die Unternehmen erwarten deshalb verbindliche Zusagen, wie sie gewährleisten sollen, dass Schutzsuchende schnellstmöglich Deutsch in Wort und Schrift lernen.

Viele der Schutzsuchenden, die wir in den Ausbildungsmarkt integrieren müssen, sind älter als die deutschen Auszubildenden. Die Unternehmen haben es Ihnen am Montag auch gesagt: Wir brauchen für diese Gruppe den Zugang zur Berufsschule – unabhängig davon, wie alt sie sind.

Und das ist alles nicht zum Nulltarif zu haben; das ist richtig. Das kostet Geld. Da sind wir an dem Punkt, der auch gestern Teil der Haushaltsdebatte war. Präventive Finanzpolitik in einem vernünftigen Verständnis hieße, in den guten Jahren so zu wirtschaften, dass man auch in unvorhergesehenen Situationen in der Lage ist, ohne neue Schulden handlungsfähig zu sein. Und das ist das, was wir bei Ihnen vermissen.

(Beifall von der CDU)

Andere Bundesländer nehmen in dieser besonderen Situation mehr Geld in die Hand, um Integration zu beschleunigen. Sie setzen jetzt Prioritäten in ihren Haushalten. Wir haben gestern in der Haushaltsdebatte angemahnt, dass es in Ihrem Haushalt an der notwendigen Prioritätensetzung fehlt. Statt Genderforschung in angewandter Physik zu fördern, sollten Sie jetzt in die Integration von Flüchtlingen investieren.

(Zuruf von der SPD: Mach dich doch mal schlau!)

Nur nach dem Bund zu rufen, wie das auch an vielen Stellen dieses Papieres zu lesen ist, reicht nicht aus und macht im Übrigen Landesparlament und Landesregierung auch überflüssig. Dieses Land ist selber in der Verantwortung, hier Dinge zu regeln.

(Beifall von der CDU)

Diejenigen, die am Montag an der Konferenz beteiligt waren, erwarten jetzt ein klares Signal der Ministerpräsidentin. Sie muss Unternehmen, Gewerkschaften und Agentur für Arbeit an einen Tisch bringen und mit ihnen zu verbindlichen Vereinbarungen kommen. Grundlage für eine solche Vereinbarung könnte das am Montag vorgelegte Papier aus dem Handwerk sein, das sehr konkret die notwendigen Dinge beschreibt. An dieser Stelle sollten Sie weiterarbeiten im Interesse von uns allen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kerkhoff. – Für die FDP-Fraktion spricht noch einmal Herr Kollege Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! Ich möchte nur ganz kurz richtigstellen, Herr Minister Schmeltzer, dass diese Abschlusserklärungen nicht mit uns abgestimmt gewesen sind.

(Minister Rainer Schmeltzer: Das habe ich auch nicht gesagt!)

– Sie haben gesagt, es war mit allen Konferenzteilnehmern abgestimmt. Und wir waren genauso eingeladen – auf Augenhöhe – wie alle anderen Vertreter auch. Insofern erzählen Sie hier nicht die Unwahrheit! Ich erwarte, dass Sie das hier richtigstellen. Das ist unglaublich!

(Beifall von der FDP und der CDU – Ministerin Barbara Steffens: Das hat er nicht gesagt!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Stamp. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucher hier im Saal und im Stream! Danke für Ihren Antrag, Kollege Wüst. Der hat mir gut gefallen, vor allem in der Überschrift.

(Zurufe)

Das lag aber daran, dass ich das für eine kleine Zeitreise halte.

(Anhaltende Zurufe)

– Sie können Ihren Disput übrigens gerne draußen fortsetzen. Danke schön.

Ihr Antrag hat mich an einen eigenen Antrag erinnert, 10. Dezember 2013, Drucksache 16/4590 „Arbeitsverbote für Flüchtlinge abschaffen – Arbeitsmarktzugang sicherstellen“. Da haben wir beantragt, dass wir die Vorrangprüfung überprüfen. Wir haben in der Diskussion darüber gesprochen, dass der Arbeitsmarktzugang offen sein muss auch für Geflüchtete, dass es Arbeitsverbote einfach nicht geben darf.

Wir haben eine Anhörung dazu durchgeführt. In der Anhörung kam ganz klar heraus, dass die Vorrangprüfung inzwischen obsolet ist, dass man sie eigentlich nicht mehr durchführen müsste, dass sie nur behindert, dass sie bei der BA Ressourcen bindet, die woanders viel besser gebraucht werden.

Was hat die CDU-Fraktion getan? – Richtig: Sie hat unseren Antrag abgelehnt. Hervorragend! Jetzt kommen Sie mit einem eigenen Antrag. Wahrscheinlich ist er auf einem anderen Papier gedruckt, was auch immer. Dann schauen wir doch einmal, was Sie da wirklich fordern. Sie fordern nämlich nicht einfach nur, dass die gesetzlichen Regelungen geändert werden, sondern sie instrumentalisieren wieder gegen den Mindestlohn, für die Zeitarbeit, für Leiharbeit. Das ist einfach unredlich. Das gehört hier einfach gar nicht hin. Genau das ist das Aufwiegeln von Gruppen gegeneinander, das niemand an der Stelle braucht.

Im Endeffekt wollen Sie eine Ausweitung von Praktika. Warum? Sie können jetzt schon drei Monate Praktikum machen. Das auf sechs Monate oder ein Jahr zu ziehen, hilft niemandem, übrigens auch nicht den Unternehmern. Das ist totaler Quatsch.

Wir brauchen mehr Qualifikation, und zwar nachhaltige Qualifikation. Diese erwirbt man nicht durch Praktika, sondern durch Ausbildung. Diese Ausbildung müssen wir selbstverständlich fördern. In der Runde, die mehrfach angesprochen worden ist, ging es nicht darum, dass es da einen Dissens gab, dass die Ausbildung und der Berufsschulzugang erweitert werden müssten.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Achten Sie auf Ihre Redezeit, Herr Kollege.

Torsten Sommer (PIRATEN): Danke schön. – Ich komme sofort zum Ende.

Das war dort einhellige Meinung. Da muss man sich jetzt nicht auf Kleinigkeiten kaprizieren. Sie wollen nicht anpacken. Wir haben diese sinnvollen Dinge schon vor zwei Jahren gefordert. Wir instrumentalisieren keine Flüchtlinge.

Daher empfehle ich meiner Fraktion, diesem Antrag selbstverständlich nicht zuzustimmen. – Vielen Dank. Und frohe Weihnachten!

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Dinge geraderücken, weil hier ein sehr merkwürdiger Eindruck entstanden ist.

Es wird immer gefragt, wer sich um die Integration kümmern soll. Gestern lautete der Vorwurf, es hätte ein eigenes Integrationsministerium geben müssen, heute heißt es, die Ministerpräsidentin höchstselbst sollte sozusagen Integrationsministerin sein. Ich kann Ihnen für diese Landesregierung sagen, dass wir alle in unseren Ressorts die Integration zur Chefinnen- und Chefsache machen. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn wir arbeiten auf den verschiedenen Arbeitsfeldern vernetzt zusammen – und mit der Wirtschaft im Übrigen offensichtlich besser, als es der CDU in diesem Lande lieb ist.

Wir haben in der Sitzung mit dem Ausbildungskonsens bereits viele Facetten festgehalten. Diese sind dann in der vertiefenden Sitzung der beiden Kollegen noch einmal verankert und beschlossen worden.

Da gibt es eine sehr große Einigkeit, weil die meisten Menschen in diesem Land verstanden haben, dass es jetzt darauf ankommt, Integration systematisch, nachhaltig und von Anfang an anzulegen, und zwar über die Bereiche der Bildungskette, der Ausbildung und des Arbeitsmarktes hinweg – zum Wohl der Menschen, die zu uns kommen, aber auch zum Wohl aller Menschen und zum Wohl der gesamten Gesellschaft und damit natürlich auch der Wirtschaft. Das will ich hier noch einmal für die Landesregierung festhalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kerkhoff, Sie haben gesagt, andere Bundesländer machten mehr. Waren Sie gestern nicht da? Wir haben mehrfach deutlich gemacht, dass in dem Landeshaushalt, der gestern verabschiedet worden ist, 4 Milliarden € zusätzlich enthalten sind, weil wir diese Mammutaufgabe gemeinsam mit unseren Kommunen, mit den Schulen, mit den Arbeitsagenturen und mit vielen anderen Partnern stemmen wollen. 4 Milliarden € zusätzlich!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Sie dann sagen, unsere Regierung würde ständig nach dem Bund rufen, ist festzustellen, dass auch das nicht stimmt. Es haben sich alle Bundesländer und alle Ministerpräsidenten und auch alle Kultusminister – einschließlich Herr Dr. Spaenle – dafür ausgesprochen, dass die über 3 Milliarden €, die der Bund nun zahlt, ein Anfang sein müssen, und dass bei der schwierigen Aufgabe der Integration auch der Bund erneut gefordert ist. Das hat Herr Dr. Spaenle auf meine Nachfrage in der Kultusministerkonferenz noch einmal ausdrücklich bekräftigt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann stellen Sie sich hierhin und bringen zum Besten, alle jungen Männer, egal welcher Herkunft, machten Blödsinn. Ich glaube, da ist wohl noch ein Gender-Untersuchungsprogramm erforderlich, um zu klären, ob das noch mal parteispezifisch aufgefächert werden muss.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie müssen nicht von Herrn Merz und anderen auf alle jungen Männer schließen. Gerade für junge Flüchtlinge – da sind wir uns hoffentlich einig – sind berufliche Ausbildung und Erwerbstätigkeit von großer Bedeutung.

Ich will noch einmal den Bereich der Schule ansprechen. Alle schulischen Maßnahmen und alle Verstärkungsmittel, die wir im Zusammenhang mit den 5.800 Stellen gestern zusätzlich beschlossen haben – zu dieser gigantischen Zahl hat gestern keiner von der Opposition etwas gesagt –, kommen natürlich allen Schülerinnen und Schülern in allen Schulformen zugute.

Ein Teil dieser Stellen fließt selbstverständlich in die Berufskollegs, um auch hier die Ausbildungsfähigkeit zu verstärken. Das sind allein im Haushalt 2015 300 Grundstellen zusätzlich, um damit insbesondere die Tätigkeiten im Bereich der internationalen Förderklassen, der beruflichen Orientierung und Vorbereitung für Berufsausbildung sowie der Einstiegsqualifikation für die Erwerbstätigkeiten zu unterstützen.

Und auch mit den multiprofessionellen Teams, die den Berufskollegs zur Ergänzung ihrer pädagogischen Arbeit bereitgestellt werden, können engagierte Kolleginnen und Kollegen – das sind sie alle – so den Integrationsprozess zusätzlich deutlich verstärken.

Auch das will ich bei dieser Gelegenheit sagen: Der Bundesverband der Schulpsychologen hat drei Länder genannt, die bisher die Schulpsychologie in Deutschland verstärkt hätten. Das sind Hessen und Berlin gewesen, und das ist ausdrücklich auch Nordrhein-Westfalen. Das heißt, die Fachwelt sieht, welche Anstrengungen wir unternehmen, um diese Aufgabe vernünftig anzugehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das A und O für erfolgreiche Einmündung in die Erstausbildung und Erwerbstätigkeit sind natürlich Sprachkenntnisse. Neben den Anstrengungen des BAMF, der VHSen und anderer Institutionen haben wir allein den Berufskollegs 184 Integrationsstellen für die Sprachförderung zuweisen können.

Ich würde mich auch freuen, wenn Betriebe außerdem eine begleitende Sprachförderung ermöglichen würden. Mit der Zustimmung zu zwei Unterrichtsstunden mehr Berufsschulunterricht für diese sprachliche Förderung würde jeder Ausbildungsbetrieb einen weiteren wichtigen Beitrag zur Integration leisten können. Wenn die Betriebe diese Möglichkeit eröffnen, würden den Berufskollegs zusätzliche Lehrerstellen zugewiesen.

Abschließend möchte ich noch einen Aspekt ansprechen, weil er zu Recht von allen gefordert wird: die Anerkennung der erworbenen Qualifikationen außerhalb. Hierfür hat einerseits die Kultusministerkonferenz etwas getan, indem im Sekretariat die Zahl der Stellen um 16 erhöht worden ist. Aber auch unsere Landesregierung hat in den Bezirksregierungen zehn Stellen zur Anerkennung der Berufsqualifikationen vorgesehen, damit das Ganze auch hier möglichst zügig erfolgen kann; denn das ist wichtig, um in den Beruf oder in die Ausbildung einsteigen zu können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, vonseiten der Fraktionen liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Herr Minister Schmeltzer möchte noch einmal sprechen.

Herr Minister, ich möchte Sie vorab darauf aufmerksam machen, dass die Landesregierung ihre Redezeit nicht nur verbraucht, sondern sie bereits um 33 Sekunden überschritten hat. Selbstverständlich bekommen Sie das Wort, wenn Sie es möchten. Daraus ergeben sich dann zusätzliche Redezeitpotenziale für die Parlamentsfraktionen. Ich sage das, damit jeder Bescheid weiß. – Herr Minister, bitte.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich fasse mich kurz. Nur: Falschdarstellungen dürfen nicht so im Raum stehenbleiben.

Herr Kollege Stamp, in der Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales habe ich frühzeitig den Termin 14.12.2015 für die Konferenz angekündigt, zusammen mit den Vertretern der Wirtschaft, des Handwerks, der Industrie- und Handelskammern, der Gewerkschaften, der BA, der kommunalen Spitzenverbände und der Hochschulen. Auf die Rückfrage des Kollegen Sommer von den Piraten, ob denn die Fraktionen auch daran teilnehmen können, habe ich dem sofort zugestimmt und habe gesagt: Natürlich;

(Zurufe von der CDU)

es macht überhaupt gar keinen Sinn, die Fraktionen nicht dazu einzuladen. Das zum Ersten. Diese Einladungen sind zuständigkeitshalber an die Fraktionsvorsitzenden gegangen mit der Bitte, die Teilnahme zu gewährleisten.

Zweitens. Die Erklärung ist im Vorfeld natürlich mit den Adressaten abgestimmt worden, für die die Konferenz auch gedacht war: mit der Wirtschaft, mit den Industrie- und Handelskammern, mit allen Handwerksinstitutionen, mit den Gewerkschaften und mit der Bundesagentur für Arbeit. Das wurde im Vorfeld sehr intensiv über einen Zeitraum von zwei Wochen abgestimmt.

Am Freitagabend gegen 18 Uhr habe ich die Enderklärung zur Kenntnis erhalten und sofort darum gebeten, dass sie weitergeleitet wird. Herr Stamp, Sie namentlich haben die am Freitag um 18:42 Uhr per E-Mail bekommen, sodass Sie sehr frühzeitig auf dem Stand der Dinge waren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bitte Sie, noch einmal im Protokoll nachzulesen, was ich vorhin gesagt habe. Das war, von den Uhrzeiten abgesehen, nichts anderes. Von daher bitte ich, zur Kenntnis zu nehmen: Sie waren Akteur insofern, als Sie dabei waren. Sie waren – als Fraktion – nicht Akteur im Vorfeld der Abstimmung der Erklärung zwischen Landregierung und Wirtschaftsinstitutionen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Wie avisiert, hat die Landesregierung ihre Redezeit jetzt um zwei Minuten und 22 Sekunden überzogen. Das heißt, die Fraktionen könnten sich auch noch zu Wort melden. Das hat bereits getan für die FDP-Fraktion Herr Kollege Dr. Stamp. Bitte schön.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lasse das hier so nicht stehen. Wir sind in einem Einladungsverteiler gleichberechtigt eingeladen worden. Mit uns ist diese Erklärung nicht abgestimmt worden. Ich sage das deswegen hier noch einmal klipp und klar aus einem einzigen Grund: Ich möchte für diese gemeinsame Erklärung nicht in Mithaftung genommen werden.

(Minister Rainer Schmeltzer: Werden Sie ja auch nicht! Das liegt mir so was von fern!)

Wir wären, wenn wir das erarbeitet hätten, wesentlicher konkreter gewesen. Deswegen lassen wir das hier so nicht stehen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Dr. Stamp. – Ich schaue noch einmal. – Weitere Wortmeldungen, meine Damen und Herren, sehe ich nicht. Deshalb schließe ich die Aussprache.

(Unruhe)

– Liebe Kolleginnen und Kollegen, die offizielle Aussprache im Plenum ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar stimmen wir erstens ab – ich bitte um Aufmerksamkeit – über den Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/10424. Die antragstellende CDU-Fraktion hat – wie verschiedentlich erwähnt – direkte Abstimmung beantragt – zu der kommen wir nun – über den Inhalt des Antrags der CDU. Wer ist für diesen Antrag? Den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Enthält sich ein Abgeordneter der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/10424 abgelehnt.

Ich lasse zweitens abstimmen über den weiteren Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/10425. Auch hier hat die antragstellende CDU-Fraktion direkte Abstimmung beantragt. Auch hier darf ich fragen, wer diesem Antrag seine Zustimmung erteilen möchte. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Wer stimmt gegen den Antrag? – Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Enthält sich ein Abgeordneter der Stimme? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass der Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/10425 ebenfalls abgelehnt ist.

Ich rufe auf:

4   Potentiale der Schulen in freier Trägerschaft verstärkt in die Beschulung von Flüchtlingskindern und -jugendlichen einbinden

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10419

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende FDP-Fraktion Frau Kollegin Gebauer das Wort.

Bevor Frau Kollegin Gebauer das Wort an uns richtet, darf ich doch alle Kolleginnen und Kollegen, die jetzt den Saal verlassen müssen, bitten, dies zügig und möglichst geräuscharm zu tun, damit wir uns mit voller Aufmerksamkeit der Rednerin widmen können. – Bitte, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dieser doch sehr hitzigen Debatte folgen von meiner Seite jetzt ein paar ruhigere Töne zum Thema „Schulen in freier Trägerschaft“.

Bereits jetzt leisten viele Schulen in freier Trägerschaft große Anstrengungen, von der Aufnahme von Kindern bis hin zu zusätzlichen Sprachangeboten. Die Vielfalt pädagogischer Ausrichtungen dieser Schulen reicht von unterschiedlichen Schulformen über konfessionelle und nichtkonfessionelle Angebote, von Waldorf über Montessori bis hin zur beruflich-schulischen Bildung.

Frau Ministerin Löhrmann, Sie haben erklärt, dass durch den Zuzug von Flüchtlingen Klassen an öffentlichen Schulen demnächst spürbar größer werden. Nicht nur aus diesem Grund, aber eben auch aus diesem Grund ist die vielfältige pädagogische Expertise der Freien Schulen in Zukunft ein Stück weit stärker einzubinden.

Die FDP ist in letzter Zeit vermehrt von unterschiedlichen Gruppierungen und Schulen in freier Trägerschaft angesprochen worden. Dort sieht man sich eindeutig in der gesamtgesellschaftlichen Verpflichtung, einen umfassenden Beitrag bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation zu leisten. Träger und Schulen erklären explizit, dass sie ihr Engagement zur Aufnahme und zur Förderung von Flüchtlingskindern gerne ausweiten wollen. Das unterstreicht zum Beispiel auch die im Antrag angesprochene kleine – sicherlich nicht klassisch-repräsentative – Abfrage.

Verbände und Schulen berichten aber auch von verschiedenen organisatorischen Problemen, die diese Potenziale einschränken.

Die Situation unterscheidet sich von Bezirksregierung zu Bezirksregierung, von Kommune zu Kommune. Manche Bezirksregierungen leisten hervorragende Unterstützung und erteilen zum Beispiel Genehmigungen innerhalb von 14 Tagen. Andere Bezirksregierungen wiederum können oder wollen nicht einmal einfachste Nachfragen beantworten.

In einigen Kommunen besteht eine sehr gute Abstimmung und Zusammenarbeit. Es gibt hervorragende Beispiele im Zusammenspiel zwischen Freien Schulen, öffentlichen Schulen und den örtlichen Schulbehörden. Das reicht von intensiver Beratung bis zu Hospitationen und regelmäßigem pädagogischem Austausch. In manchen Kommunen wird dagegen nur erklärt, dass man aus rechtlichen Gründen keine Schüler zuweisen könne. Auch hier wären mehr Austausch und Vernetzung hilfreich.

Natürlich – wie immer im Leben – stellt die Finanzierung ein großes Problem dar. Es gibt die Möglichkeit der Aufnahme, und zudem liegt der Bewirtschaftungserlass der Landesregierung vor, den wir ausdrücklich begrüßen. Dennoch bleibt gerade in Anbetracht der Situation der ankommenden Familien in der Gesamtbetrachtung die Situation problematisch.

Uns schildern zum Beispiel Schulen, dass sie einzelne Flüchtlingskinder aus dem Engagement der anderen Eltern mitfinanzieren könnten. – Ich möchte mich ausdrücklich für dieses finanzielle Engagement bedanken. – Bei größeren Zahlen jedoch kommen diese Eltern in Bezug auf die Finanzierung an ihre Grenzen.

Die FDP-Fraktion findet, dass wir in dieser besonderen Situation generell über neue Wege nachdenken sollten. Hier wäre etwa ein Gremium für einen Austausch hilfreich. Man könnte dort zum Beispiel über Mischfinanzierungen diskutieren, über eine temporär erhöhte, vielleicht anteilige Unterstützung bei der Finanzierung oder über flexible Lösungen bei Rückzahlungsmodalitäten.

(Beifall von der FDP)

In diesem Zusammenhang sollte man auch über die stärkere Einbindung von Spenden oder über vermehrte Absprachen zwischen privaten und öffentlichen Trägern sprechen. Ein solcher Austausch zu organisatorischen und finanziellen Fragen sollte im Rahmen eines Gremiums erfolgen. In diesem Gremium sollte letztendlich ausgelotet werden, was geht und was nicht.

Ich möchte auch heute mit einem Zitat von Ihnen, Frau Ministerin Löhrmann, schließen. Sie haben einmal gesagt:

„Die privaten Schulen sind ein gleichberechtigter Teil des öffentlich verantworteten Schulsystems und bereichern die Bildungslandschaft um vielfältige Facetten.“

Genau um diese Bereicherung geht es uns. Deswegen sollten wir die jetzige Herausforderung annehmen und in dieser Angelegenheit tatsächlich tätig werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Hendricks.

Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Gebauer, manche Anträge entstehen mehr aus einem Kontext denn aus einem Content. Dieses Gefühl habe ich auch bei diesem Antrag. Denn unlängst hat der Bundesverband der Privatschulen darauf hingewiesen, dass bei der Finanzierung der Aufnahme von Flüchtlingen mehr Geld erforderlich wäre.

Nordrhein-Westfalen fördert seine Privatschulen und Ersatzschulen großzügig. Kein einziges Bundesland finanziert die Privatschulen besser als NRW. Der Bundesverband der Privatschulen hat gerade noch mal Nordrhein-Westfalen als Positivbeispiel bei der Finanzierung der Privatschulen hervorgehoben: NRW finanziert sie mit 91 %.

In dem Ranking der Bundesländer wird Nordrhein-Westfalen gefolgt von Bayern. Bayern hat nicht etwa 86 % – nein, Bayern finanziert seine Privatschulen mit 76 %. Die gezahlten Schülerkosten liegen in den übrigen Bundesländern bei 60 % bis 63 %. Wir haben uns also bei der Refinanzierung von Privatschulen wirklich nichts vorzuwerfen.

In NRW gibt es 540 genehmigte Ersatzschulen, die von ca. 240.000 Schülern und Schülerinnen besucht werden. Insgesamt bezuschusst das Land die Privatschulen mit 1,5 Milliarden €. Die Gewährung von Landeszuschüssen, Frau Gebauer, setzt voraus, dass die Ersatzschulen auf gemeinnütziger Grundlage arbeiten, und der Ersatzschulträger ist verpflichtet, die Landeszuschüsse wirtschaftlich einzusetzen.

Allerdings – das ist einer der Punkte, die Sie in Ihren Antrag aufgenommen haben – gibt es eine Schulgeldfreiheit an den Privatschulen. Mit einem Schulgeld würden sich die Privatschulen in einen Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Sonderungsverbot befinden. Deshalb kann es nicht sein, dass an den Privatschulen eine Gebühr für Flüchtlingskinder erhoben wird. Sollte das wirklich so sein, widerspricht das der Gesetzeslage.

Ich kenne das, was die Privatschulen hier tun. Aber wenn man das ausgleichen will, ist das eine Frage von Sponsoring und von Spenden und kann nicht über Landesgeld erfolgen. Das schließt dann nämlich aus, dass Flüchtlingsfamilien einen eigenen Beitrag leisten müssen.

Die gesetzliche Bindung der Ersatzschulfinanzierung an die Aufwendungen vergleichbarer öffentlicher Schulen wirkt finanzwirksam unmittelbar in die Ersatzschulen hinein. Das kann man übrigens im aktuellen Haushalt sehen. Wir haben die Förderung im Bereich des ganztägigen Unterrichts auch für die Ersatzschulen eins zu eins angehoben.

Das wird auch durch Folgendes deutlich: Wir geben Ersatzschulen, Privatschulen, in denen Flüchtlingskinder unterrichtet werden, genauso wie den öffentlichen Schulen 0,5 Stellen auf 15 Schüler.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Möglicherweise gibt es ein vorübergehendes Finanzierungsproblem, weil es keine unterjährige Stellenzuweisung geben kann. Aber das wird vom Ministerium nachgesteuert und refinanziert. Infolgedessen ist das Problem auch an dieser Stelle eigentlich nicht vorhanden.

(Zuruf von Yvonne Gebauer [FDP])

Richtig ist jedoch, dass Ersatzschulträger eine angemessene Eigenleistung erbringen müssen.

(Yvonne Gebauer [FDP]: Sie machen lieber die öffentlichen Klassen größer, anstatt die Privatschulen mehr einzubeziehen?)

– Frau Gebauer, vielleicht haben Sie die heutige Presse gelesen. Das Erzbistum Köln hat angekündigt, dass es – als gutes Beispiel – in seinen Ersatzschulen, nämlich in 750 Klassen, in erheblichem Umfang Flüchtlingskinder aufnehmen will. Hier handelt es sich auch um Privatschulen. Die tun genau das, was zurzeit einem gesellschaftlich verantwortlichen Handeln entsprechen würde.

Infolgedessen weiß ich nicht so ganz, was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich wollen. Sie möchten wohl ein Stück Klientelpolitik betreiben. Das möchten wir nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Yvonne Gebauer [FDP]: Das nehme ich gerne mit, diese Klientelpolitik! – Eva Voigt-Küppers [SPD]: Herr Präsident, wir sind doch nicht im Debattierclub!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, Sie können weitersprechen.

Renate Hendricks (SPD): Vielleicht habe ich überwiegend das Wort?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Wir hatten schon aufregendere Situationen im Landtag gehabt.

(Zuruf: Mikro benutzen!)

Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Renate Hendricks (SPD): Richtig ist jedoch, dass Ersatzschulträger auch eine angemessene Leistung erbringen müssen. Das wissen wir.

(Zuruf von Yvonne Gebauer [FDP])

Aber Ersatzschulträger haben auch Privilegien, Frau Gebauer, nämlich bei der Aufnahme von Schülerinnen und Schüler. Sie müssen nicht alle Schülerinnen und Schüler aufnehmen; sie suchen sich die Schülerinnen und Schüler aus. Sie haben Privilegien bei den Anmeldezeiten. Sie können vor den übrigen Schulen aufnehmen.

(Zurufe)

Diese Privilegien nutzen sie doch auch aus. In welchem Umfang sich Freie Schulen an der Beschulung von Flüchtlingen beteiligen, entscheiden sie übrigens selbst, so wie es jetzt auch das Erzbistum Köln entschieden hat.

Eine Arbeitsgruppe halten wir nicht für erforderlich, da die Verteilung und die Aufnahme von Schülerinnen vor Ort in der Regel ausgesprochen gut läuft und sich das Ministerium außerdem in einem regelmäßigen Austausch mit den Ersatzschulen befindet.

Wir sehen für diesen Antrag keine Notwendigkeit. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Vogt.

Petra Vogt (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Hendricks, ich weiß gar nicht, warum Sie dieses Thema so in Rage gebracht hat; denn ich glaube, die FDP hat am heutigen Tage ein gutes Anliegen vorgetragen, bei dem ich davon ausgehe, dass wir alle in diesem Raum es teilen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich glaube daher nicht, dass es Anlass bietet, sich so aufzuregen.

2016 wird das Jahr werden, das unsere Schulen vor eine der größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte stellen wird. Schätzungsweise 40.000 Kinder und Jugendliche ohne oder mit nur sehr geringen Deutschkenntnissen werden neu in unsere Schulen kommen.

Es ist eine enorme Aufgabe, diesen jungen Menschen eine gelungene Bildungskarriere in unserem Land zu ermöglichen. Dazu bedarf es größter Anstrengungen aller am Bildungswesen Beteiligter. Daher begrüßen wir den vorliegenden Antrag, der eine verstärkte Einbeziehung der Schulen in freier Trägerschaft in die Beschulung von Flüchtlingskindern vorsieht. Auch wir freuen uns, vonseiten der privaten Träger zu hören, dass sie bereit sind, sich dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu stellen.

In diesem Zusammenhang haben wir jedoch auch noch Fragen. Wir möchten gerne wissen, was die Privatschulen bisher bereits leisten. Wie viele Flüchtlingskinder haben sie jetzt schon aufgenommen? Wie viele Vorbereitungsklassen gibt es oder sind in Planung? Können die Privatschulen auch auf dafür vorgesehene Lehrerstellen und Ressourcen zurückgreifen? Können die Privatschulen auch etwas aus den Mitteln des BAMF bzw. der Bundesagentur erhalten? Das sind sicherlich für die privaten Träger wichtige Fragen, die es zu klären gilt.

(Dr. Roland Adelmann [SPD]: Die sind schon geklärt!)

Aus diesem Grund begrüßen wir den FDP-Vorschlag, ein gemeinsames Arbeitsgremium zu dieser Thematik zu bilden.

(Dr. Roland Adelmann [SPD]: Da reicht ein Anruf im Ministerium!)

Allerdings muss ich in diesem Zusammenhang ganz deutlich darauf hinweisen, dass wir in Nordrhein-Westfalen ungeachtet all der Bemühungen, die es bereits gibt, dringend ein Gesamtkonzept zur Flüchtlingsbeschulung benötigen.

(Beifall von der CDU und Ingola Schmitz [FDP])

Alle Schulen, nicht nur die in privater Trägerschaft, benötigen Orientierung und Hilfestellung bei der großen bildungspolitischen Herausforderung, die vor uns liegt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schmitt-Promny.

Karin Schmitt-Promny (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Stamp hat eben gesagt, die FDP wäre beim vorangegangen Thema in der Lage gewesen, wesentlich konkreter zu sein.

Eine solche konkrete Herangehensweise hätten wir uns auch für diesen Antrag gewünscht. Liest man nämlich den Antrag der FDP, so stellt sich die Frage, was sie denn konkret erreichen will.

Worauf bezieht sich die FDP, wenn sie sagt, dass die Potenziale der Schulen in freier Trägerschaft unzureichend eingebunden sind? Welche exemplarische, deutschlandweit an Schulen in freier Trägerschaft durchgeführte Abfrage hat dies denn gezeigt? Welche Problemlagen auch in Nordrhein-Westfalen sind jetzt konkret gemeint? Worin bestehen der deutliche organisatorische Verbesserungsbedarf und worin die Finanzierungslücke?

Immerhin: Die FDP konstatiert die gesamtgesellschaftliche Herausforderung der Flüchtlingsfrage, insbesondere im Bildungsbereich. Sie erkennt die großen Anstrengungen durch staatliche Ebenen und durch das zivilrechtliche Engagement an. Sie beschreibt, dass sich die Ersatzschulen auch in der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung sehen. Und das ist gut so.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber dann suggeriert die FDP, dass das Ministerium Hürden für Schulen in freier Trägerschaft zur Beschulung von Flüchtlingskindern und Jugendlichen aufbaue. Den Beleg dafür bleibt sie allerdings schuldig.

In NRW haben die Schulen in freier Trägerschaft ebenso wie die staatlichen Schulen die Möglichkeit, Flüchtlingskinder und -jugendliche aufzunehmen. Sie können jederzeit einzelne Schülerinnen und Schüler integrieren. Auch für sie gilt, dass sie internationale Vorbereitungsklassen einrichten können.

Der Bewirtschaftungserlass – die Kollegin Hendricks hat es schon benannt – des MSW ermöglicht, dass auch für diese Schulen – wie bei den vergleichbaren staatlichen Schulen – ein Unterrichtsmehrbedarf von einer halben Stelle bei einer Lerngruppe von mindestens 15 neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern anerkannt wird. Auch wenn die Bezirksregierungen für Schulen in privater Trägerschaft unterjährig keine Stellen zuweisen können, besteht doch die Möglichkeit, hier nachzusteuern.

Das zeigt auch ein Bericht des VDP NRW – des Verbandes Deutscher Privatschulen NRW – am Beispiel der Otto-Kühne-Schule in Bonn-Bad Godesberg.

Gemeinsames Ziel aller Schulen ist, den zugewanderten Schülerinnen und Schülern Sprachkenntnisse zu vermitteln, sie, soweit möglich, am bestehenden schulischen Angebot teilhaben zu lassen – beim Sport, beim Kunstunterricht oder in Arbeitsgemeinschaften – und sie so schnell wie möglich in den Regelunterricht zu integrieren.

Wenn im FDP-Antrag von einer Finanzierungslücke gesprochen wird, dann erwarten wir, dass auch belegt wird, worin diese denn bestehen soll. Es kann doch nicht die Übernahme des Eigenbeitrags der Schulen oder eines Elternbeitrags für das jeweilige Flüchtlingskind durch das Land gemeint sein. Diese Kosten sind von den freien Trägern zu erbringen. Es gibt Möglichkeiten – sie sind auch genannt worden: Sponsoring, Spenden –, da Unterstützung zu geben. Hier kann aber keine Vorzugsbehandlung gegenüber den staatlichen Schulen erfolgen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die verlangte Einbindung der Schulen in privater Trägerschaft kann auch nicht heißen, dass Kommunen diese Schulen in die Pflicht nehmen. Frau Gebauer, Sie wissen sehr gut, dass das nicht geht. Immerhin besteht das Prinzip der Freiwilligkeit. Vielerorts ist die Bereitschaft der Schulen bislang nicht erklärt worden. Vielleicht passiert jetzt mehr. Wir haben es gerade vom Erzbistum Köln gehört.

Für die Schulen in privater Trägerschaft, die bei der Beschulung von Flüchtlingskindern und -jugendlichen mitmachen wollen, sind die Kommunalen Integrationszentren die Anlaufstelle. Die KIs haben die Aufgabe der Erfassung und Zuordnung der Kinder übernommen. Die Schulen sind dort sicher gerne willkommen. Sie können daran gleichberechtigt teilnehmen. Ein zusätzliches Gremium scheint mir auch nicht notwendig zu sein, um diese Fragestellungen zu regeln.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Frau Vogt, ich hatte gedacht, wir kämen bei diesem Thema einmal daran vorbei. Aber nein; wieder kommt die Frage nach der Erhebung von Daten, nach dem Zählen, nach dem Zusammentragen. Man muss sich doch einmal fragen, welche Kosten ausgelöst werden, wenn wir zu jedem inhaltlichen Thema, das wir hier diskutieren, eine empirische Erhebung durchführen dürfen. Wenn wir diese Gelder anders verwenden, können wir viel mehr damit erreichen.

Ein Gesamtkonzept für die Begleitung von Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien oder von umFs, die in diesem Lande auch geleistet wird, ist hier auf einem guten Weg.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zum Antrag der FDP möchte ich abschließend feststellen, dass er ein Problem aufzeigt, das dem Grunde nach nicht existiert. Vielleicht ist das eigentliche Problem der FDP

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

– ich komme zum Schluss – ja ihre permanente Suche nach Themen, mit denen sie meint, dem Ministerium falsches Agieren nachzuweisen. Ist es das, was Schulen brauchen? Werden wir damit wirklich der Aufgabe der Beschulung von Flüchtlingskindern gerecht? Erreichen wir damit Integration? – Nein. Wir sagen Nein. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Kollegin Pieper.

Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Worüber reden wir eigentlich? Der „WAZ“ vom 16. Dezember 2015 ist zu entnehmen, dass allein an Rhein und Ruhr das NRW-Schulministerium für 2016 mit einer Verdoppelung der Zahl der schulpflichtigen geflüchteten Kinder und Jugendlichen rechnet. Aufgrund dieser Situation entwickelt sich für die Schulen eine dramatische Herausforderung.

Ich zitiere einmal aus dem Antrag:

„Die Schulen in in freier Trägerschaft haben erfreulicherweise und zu Recht betont, dass auch sie sich bei dieser großen Herausforderung ebenso wie das öffentliche Schulwesen in der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung sehen. Sie können und wollen explizit einen größeren Beitrag leisten.“

Das ist auch gut so. Erst einmal möchte ich ganz deutlich sagen: Ich finde es gut, richtig, wichtig, eigentlich selbstverständlich, dass die Privatschulen ganz genauso wie alle anderen Schulen an dieser großen Aufgabe beteiligt werden.

(Beifall von Torsten Sommer [PIRATEN])

Liebe Kollegin Hendricks, da muss ich keine Grundsatzdebatte über die Finanzierung von Privatschulen aufmachen. Darum geht es hier nämlich gar nicht. Es geht um eine ganz konkrete Situation, in der wir Hilfe brauchen. Wir müssen genau hinschauen: Wie kriegen wir das geregelt? Nichts anderes sagt der FDP-Antrag.

(Klaus Kaiser [CDU]: So ist es!)

Frau Hendricks, Sie führen aus, es müsse eine angemessene Eigenleistung aufgebracht werden. – Wir wissen doch alle, dass eine Ersatzschule dann, wenn sie einen großen Teil Schüler aufnimmt, die das nicht leisten können, an ihre Grenzen stößt.

Noch einmal: Es geht nicht um die prinzipielle Frage, sondern darum, wie wir es 2016 schaffen, dass möglichst viele Schüler in unserem System gut integriert werden und eine gute Beschulung erhalten.

(Zuruf von Dr. Roland Adelmann [SPD])

Das hier als Klientelpolitik zu stigmatisieren, finde ich völlig daneben.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP – Yvonne Gebauer [FDP]: Unsäglich!)

Frau Schmitt-Promny, das, was Sie sagen, hören wir immer wieder: Es gibt eigentlich keine Problemlage; alles ist gut; wir brauchen kein Gremium.

Nein, die FDP spricht hier auch nicht über Hürden, die die Landesregierung aufbauen will; die FDP spricht darüber, dass wir uns zusammensetzen und gucken, wie wir die Situation verbessern. Da wird kein Geld gefordert. Da werden keine konkreten Anforderungen gestellt. Ich finde es auch wirklich gut, dass man sagt: „Lasst uns doch einmal ganz offen gucken, wo noch Ressourcen sind, die wir nutzen können“; denn wir können es uns nicht leisten, irgendeine Ressource in diesem Land zu verschenken.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Uns freut, dass die Schulen in freier Trägerschaft bereit sind, bei der Integration durch Bildung einen größeren Beitrag zu leisten. Insofern finde ich es sinnvoll, wenn sich die Betroffenen einmal zusammensetzen und ausloten: Wo sind die Ressourcen? Was können wir tun, um Schüler in das System hineinzubringen?

Ich finde auch ganz gut, dass in dem Antrag noch einmal darauf hingewiesen wird, dass wir Schüler mit ganz verschiedenen Bedürfnissen haben und dass gerade die Ersatzschulen mit möglicherweise alternativen Konzepten genau die richtigen Schulen für diese Schüler sind.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Unsere Zustimmung hat die FDP; denn in der Beschlussempfehlung steht nichts drin …

(Karin Schmitt-Promny [GRÜNE]: Ja, eben! – Beifall von Dr. Roland Adelmann [SPD])

– Nein, nein. Stopp! Da steht nichts Konkretes drin. Wenn die FDP jetzt konkrete Forderungen nach soundso viel Geld gestellt hätte, dann wäre es nicht okay. In dem Antrag steht aber, dass die Ersatzschulen stärker mit einbezogen werden sollen. Dagegen kann keiner etwas haben. Außerdem steht darin, dass man sich einmal zusammensetzen und gemeinsam überlegen sollte, wie man auf diesem Feld verstärkt arbeiten und entsprechende Wege finden kann.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Mir kann niemand erzählen, in diesem Haus könne jemand etwas dagegen haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Yvonne Gebauer [FDP]: Sie von der Koalition verschließen einfach die Augen vor der Realität! – Widerspruch von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Vielleicht kann ich ja einen Beitrag dazu leisten, klarzustellen, wie sich die Dinge auf den Ebenen, auf denen sie administrativ und fachlich liegen, darstellen.

Einmal vorab – ich weiß nicht, wer das aktuell schon verfolgt hat –: Die OECD hat heute einen Bericht veröffentlicht. Herr Prof. Dr. Schleicher hat vorgetragen, mit welchen Konzeptionen man zuwandernden Jugendlichen auf dem Weg zur Integration am besten gerecht wird. – Frau Vogt, vielleicht gucken Sie sich das Konzept einmal an. Denn ich konnte feststellen, dass das NRW-Konzept dem der OECD in weiten Teilen entspricht, wir also offensichtlich ganz gut auf dem Weg sind. Vielleicht erschließt sich über diesen Umweg ja das nordrhein-westfä-lische Vorgehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum anderen, Frau Gebauer, damit sich die Dinge nicht falsch festsetzen: Ich habe nicht gesagt, dass jetzt alle Klassen überall größer werden. Sondern ich habe im Ausschuss erklärt: Es kann jetzt sein,

(Yvonne Gebauer [FDP]: Es kann sein? Es wird einfach so sein!)

dass die Klassengrößen dadurch, dass in diesem und wahrscheinlich auch im nächsten Jahr 40.000 Schülerinnen und Schüler kommen, nicht so sinken werden, wie wir uns das eigentlich vorgenommen hatten. Das ist ein bisschen was anderes; es hat nicht den alarmistischen Unterton, den Sie da hineinbringen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von Yvonne Gebauer [FDP] und Angela Freimuth [FDP])

Das ist mir sehr, sehr wichtig zu sagen.

(Yvonne Gebauer [FDP]: Sie gehen hierhin und sagen: „Da kommt noch einer dazu“!)

– Nein.

(Yvonne Gebauer [FDP]: Aber so drücken Sie das doch aus!)

– Nein, das habe ich auch so nicht ausgedrückt. Sie verstehen das ständig falsch. Ich habe allerdings den Eindruck, dass andere es richtig verstehen.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Was die Bereitschaft angeht: Wir begrüßen selbstverständlich die Bereitschaft der Ersatzschulträger, bei der Bewältigung der großen Herausforderungen mitzuwirken, die mit der steigenden Zahl von Flüchtlingskindern verbunden sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wo ist da ein Widerspruch? Wo ist da ein Dissens? Ich finde das künstlich herbeigeredet.

(Yvonne Gebauer [FDP]: Das habe ich doch gar nicht gesagt! Hören Sie doch mal zu, was ich sage!)

Ich teile ausdrücklich den Respekt, den Sie in Ihrem Antrag der Zivilgesellschaft, den Kommunen, den staatlichen Stellen entgegenbringen. Ersatzschulen genießen in Nordrhein-Westfalen Ansehen und Wertschätzung.

(Yvonne Gebauer [FDP]: Ja, darüber kann man streiten!)

Sie stehen – da haben Sie mich richtig zitiert – gleichberechtigt neben den öffentlichen Schulen. Ja, für mich sind sie Teil des öffentlich verantworteten Schulsystems. Sie werden gegenüber öffentlichen Schulen weder benachteiligt noch bevorzugt. Das gilt ganz genauso für die Beschulung von Flüchtlingskindern und -jugendlichen.

(Beifall von den GRÜNEN und Renate Hendricks [SPD])

Soweit öffentlichen Schulen infolge der Beschulung von Flüchtlingskindern von den Schulaufsichtsbehörden zusätzliche Stellen und Lehrkräfte zugewiesen werden, werden im Rahmen einer wirkungsgleichen Umsetzung auf den Ersatzschulbereich entsprechende Mehrausgaben der Ersatzschulträger bei der Bemessung der Landeszuschüsse selbstverständlich auch anerkannt. Das ist gesetzlich geregelt. Natürlich machen wir das wirkungsgleich, so wie es vorgesehen ist. Dies gilt insbesondere für einen höheren Grundstellenbedarf sowie für einen Unterrichtsmehrbedarf aufgrund der Sprachbildung und -förderung. Das haben wir bereits per Erlass geregelt, meine Damen und Herren des Hauses.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mein Haus pflegt mit den Zusammenschlüssen und Verbänden der Ersatzschulen in Nordrhein-Westfa-len sowohl auf der Leitungs- als auch auf der Arbeitsebene einen intensiven und geregelten Dialog. Wir sind ständig in Gesprächen, Frau Pieper, und brauchen nicht noch zusätzliche. In dem Rahmen können wird das beraten.

Damit Sie es mir ganz konkret glauben: Fragen Sie beim Katholischen Büro nach. Da hat gestern ein solches geregeltes Gespräch stattgefunden, und der Punkt ist noch einmal dargelegt worden. Ich will gerne heute die Gelegenheit nutzen, mich bei Kardinal Woelki ausdrücklich dafür zu bedanken, dass er für das Bistum Köln erklärt hat, pro Klasse ein Kind aufzunehmen.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva Voigt-Küppers [SPD])

Offenbar bedurfte es deswegen keines gesonderten Gesprächs, es bedurfte keiner Veränderung von Rechtsgrundlagen. Herr Kardinal Woelki hat auch nicht gesagt: Ich mache das nur, wenn du, liebe Frau Löhrmann, mir dafür noch zusätzliches Geld gibst. – Sondern es wird im geordneten Verfahren abgerechnet und vernünftig geregelt.

So möchte mein Haus das auch weiterhin tun. Ich habe den Eindruck, dass die Regierungsfraktionen das zumindest genauso sehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/10419 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

5   Kein Zwangseinbau von „Smart Metern“ – Wahlfreiheit und Datenschutz bei der Digitalisierung der Energiewende gewährleisten

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10420

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine Aussprache ist heute nicht vorgesehen. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich …

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein! – Dietmar Brockes [FDP]: Direkte Abstimmung!)

– Moment. Wir kommen zur Abstimmung.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein, Debatte!)

– Doch. Dann muss ich aber vorher etwas sagen; das gestatten Sie mir bitte. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den Antrag nicht zu überweisen, sondern direkt abzustimmen. Darf ich das sagen?

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja!)

– Danke schön. Wir kommen also zur Abstimmung

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein, Debatte! – Weitere Zurufe: Nein!)

über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/10420.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wir debattieren!)

– Dann sind meine Unterlagen hier falsch.

(Zurufe)

– Direkte Abstimmung über diesen Antrag, keine Debatte?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Mit Debatte!)

– Mit Debatte?

(Michael Hübner [SPD]: Mit Debatte!)

– Okay. Mir ist das eben anders mitgeteilt worden. Mir ist „ohne Debatte“ mitgeteilt worden. Dann findet doch eine Debatte statt. – Für die Fraktion der Piraten hat der Kollege Herrmann das Wort. Hier ist festgehalten: ohne Debatte. – Bitte schön, Herr Kollege.

Frank Herrmann (PIRATEN): Das kann ja auch mal passieren. Aber schön, dass ich noch etwas dazu sagen darf. Vielen Dank.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und zu Hause! Mit unserem Antrag „Kein Zwangseinbau von ‚Smart Metern‘ – Wahlfreiheit und Datenschutz bei der Digitalisierung der Energiewende gewährleisten“ wollen wir erreichen, dass die Menschen weiterhin frei wählen können, ob und wie sie Smart Meter einsetzen. Damit wollen wir die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger stärken.

Das Land Nordrhein-Westfalen muss sich dafür im Bundesrat klar positionieren: für Selbstbestimmung, gegen Verbots- und Bevormundungspolitik.

(Beifall von den PIRATEN)

Der am morgigen Freitag im Bundesrat vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung würde in der aktuellen Fassung die Selbstbestimmung massiv einschränken. Die Bevormundung der Bürger geht sogar so weit, dass sie tatsächliche Nachteile mit sich bringt.

So soll der Einbau der Smart Meter zwangsweise vorgeschrieben werden, auch in Fällen, in denen dies absolut unwirtschaftlich ist. Das fördert sicherlich nicht die Akzeptanz.

Pilotprojekte haben gezeigt, dass bei Verbrauchern mit weniger als 6.000 kWh Jahresverbrauch keine Energieeinsparungen zu erzielen sind. Das trifft damit auf die meisten Ein- bis Vier-Personen-Haushalte im Land zu, für die es also gar keine Energieeinsparmöglichkeiten gibt. Es scheint sich somit eher um ein Wirtschaftsförderungsprogramm für eine Handvoll Unternehmen zu handeln; denn immerhin kostet der flächendeckende Einbau von Smart Metern 45 Milliarden € – Milliarden, nicht Millionen.

Auch wenn es oft anders dargestellt wird: Laut Gesetz entscheidet der Messstellenbetreiber, ob Smart Meter eingebaut werden, und der Verbraucher muss zahlen, und zwar bis zu 90 € pro Jahr, und zusätzlichen Strom verbrauchen die Smart Meter auch noch. Mehr Belastung, mehr Stromverbrauch – das kann und sollte nicht Ziel dieses Gesetzes sein. Eine höhere Energieeffizienz lässt sich so auf jeden Fall nicht erreichen.

Aber auch in den Fällen, in denen Verbraucher vielleicht einen Vorteil daraus ziehen könnten, sollten wir sie nicht bevormunden und zu einem Einbau von Smart Metern zwingen; denn auch der Schutz der Privatsphäre findet bisher viel zu wenig Beachtung. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Erhebung von Daten im 15-Minuten-Takt ist ein erheblicher Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung und verletzt die Privatsphäre der eigenen Wohnung.

Stellen Sie sich das bitte einmal bildlich vor: Da steht jemand Fremdes in Ihrer Wohnung, führt alle 15 Minuten eine Messung durch, protokolliert, ob Sie zu Hause sind, welche Lampen oder Geräte eigeschaltet sind und verschafft sich so ein genaues Profil Ihrer Lebensgewohnheiten. Dabei könnte man sich nicht nur ausgespäht fühlen, sondern diese Informationen sind auch noch sicherheitsrelevant.

Genau zu wissen, wer wann zu Hause ist oder auch nicht, sind wertvolle Informationen für Kriminelle. Die hier im Landtag viel zitierten „Einbruchsbanden“, die professionell und organisiert vorgehen, hätten sicherlich Interesse an diesen Daten. Bevor Sie gleich sagen, die Daten seien sicher, sage ich Ihnen: Nein, das sind sie nicht. Die ersten Hacks und Sicherheitslücken sind bereits im letzten Jahr öffentlich geworden.

Wir sind deshalb der Überzeugung, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung das öffentliche Ziel, Strom zu sparen, überwiegen. Das abstrakte Ziel, Verbraucher durch mehr Informationen zum Stromsparen anzuhalten, rechtfertigt diese Grundrechtseingriffe aus unserer Perspektive nicht. Da diese Maßnahme bei Normalverbrauchern auch gar nicht geeignet ist, das Ziel der Energieeffizienz zu erreichen, kann sie auch gar nicht verhältnismäßig sein.

Wir als Land Nordrhein-Westfalen müssen uns also klar positionieren. Menschen sollen über den Einsatz und die Erfassung ihres Verhaltens und ihrer Lebensgewohnheiten selbst entscheiden dürfen. Fremdbestimmung und Eingriffe in die Privatsphäre sollten keine Instrumente der Energiewende sein. Der Einbau von intelligenten Stromzählern und intelligenten Messsystemen muss auf freiwilliger Basis geschehen, und der Datenschutz sowie der Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung müssen gewahrt bleiben.

Nur der Wechsel zu einer Opt-in-Lösung kann aus unserer Sicht dazu beitragen, die Akzeptanz von smarten Energielösungen zu steigern. Natürlich müssen die Netze intelligenter werden, aber dazu ist es nicht notwendig, den Stromverbrauch alle 15 Minuten zu messen. Jeder Fachmann wird Ihnen bestätigen, dass die Energiewende eine solche Erfassung nicht braucht.

Ich möchte Sie daher bitten, unseren Vorschlag zu unterstützen, die Landesregierung aufzufordern, am morgigen Freitag dem Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Energiewende nicht in der aktuellen Fassung zuzustimmen. Die Ausschüsse des Bundesrates haben schon viele Änderungen vorgeschlagen. Die Änderungen des Rechtsausschusses und des Ausschusses für Agrarpolitik und Verbraucherschutz gehen in die richtige Richtung. Wir hoffen, dass sich die Landesregierung entsprechend verhält und unseren Positionen zustimmen wird. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Blask.

Inge Blask (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem hier vorliegenden Antrag fordert die Fraktion der Piraten die Landesregierung auf, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass der Einbau von Smart Metern nur auf freiwilliger Basis erfolgt und hierbei der Datenschutz sowie der Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung gewährleistet werden.

Meine Damen und Herren, auch wir erkennen die Problematik. Der private Endverbraucher erhält durch die Ausstattung mit intelligenten Stromzählern zwar Informationen über seinen Energieverbrauch, büßt gewonnene finanzielle Einsparmöglichkeiten aber durch die Betriebskosten der Smart Meter eventuell wieder ein. Ebenfalls sehen wir die Risiken, die Smart Meter für den Datenschutz und die Datensicherheit darstellen können, wobei insbesondere die Gefahr von Rückschlüssen auf die Lebensgewohnheiten der Verbraucher nicht zu unterschätzen ist.

Wir sehen aber auch die Schwächen Ihres Antrags. Schließlich könnte der Gesetzentwurf einen wichtigen Beitrag zur Flexibilisierung des Gesamtsystems und für die Partizipationschancen der Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende darstellen.

Durch den Einbau von intelligenten Messsystemen, meine Damen und Herren, bietet sich die Möglichkeit, eine bessere Auslastung und Steuerung der Netze sowie eine Optimierung des Verbraucherverhaltens zu erreichen. Mit dem im Gesetzentwurf enthaltenen Messstellenbetriebsgesetz soll dabei eine Vorgabe der Europäischen Kommission umgesetzt werden, die zum Ziel hat, in den Mitgliedsstaaten 80 % der Endverbraucher mit intelligenten Messsystemen auszustatten.

Um die Kosten für den Endverbraucher hierbei möglichst gering zu halten, hat die Bundesregierung eine Kosten-Nutzen-Analyse erstellt, die berücksichtigt, dass es kein Rollout um jeden Preis geben soll und die Belastungen für die Endverbraucher nicht unverhältnismäßig sein dürfen. So enthält der Entwurf etwa Regelungen für den Einbau und die Finanzierung der Smart Meter.

Auch gibt der Gesetzentwurf einen hohen technischen Standard vor und erklärt Schutzprofile sowie technische Richtlinien für intelligente Messsysteme, um den Datenschutz und die Datensicherheit sicherzustellen. Vorgesehen ist ein mehrstufiger Einbau, bei dem zunächst der Endverbraucher mit einem Stromverbrauch über 6.000 kWh einen Smart Meter erhalten soll. Ab 2020 sollen dann optional nach Entscheidung des Messstellenbetreibers Verbraucher mit einem Stromverbrauch unter 6.000 kWh hinzukommen.

In Ihrem Antrag merken Sie an, dass es zu einem Zwang für die Endverbraucher kommen kann.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das entscheidet aber nicht der Verbraucher!)

Allerdings sieht der Gesetzentwurf vor, dass der Einbau nur dann erfolgen soll, wenn dies wirtschaftlich vertretbar ist.

Wir als rot-grüne Landesregierung wollen darauf hinwirken, dass der Verbraucher mit einem Stromverbrauch unter 6.000 kWh die Möglichkeit erhält, einem Zwangseinbau zu widersprechen. Dazu gehört auch, dass eine Deaktivierung eines vorhandenen Smart Meters ermöglicht werden soll und Smart Meter dann nur noch als einfache Zähler nutzbar sein sollen.

Wir begrüßen daher, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs dargestellt wird, dass bei Endverbrauchern mit einem Stromverbrauch unter 10.000 kWh keine Verpflichtung zur Nutzung aller Funktionen der Smart Meter bestehen soll und, anders, als in Ihrem Antrag dargestellt, hiermit der Endverbraucher die Möglichkeit erhält, den zeitlichen Verlauf des Stromverbrauchs nicht aufzeichnen zu lassen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Dann muss es im Gesetz stehen! Die Begründung allein reicht nicht!)

Den Einbau des Smart Meters allerdings einzig von der aktiven Zustimmung des Endverbrauchers abhängig zu machen, wird der Zielsetzung des Gesetzes sowie der Umsetzung der Vorgaben der Europäischen Kommission nicht gerecht.

Aus verbraucherpolitischer Sicht bieten Smart Meter zudem den Vorteil, dass es hier zum Beispiel kürzere Ablesungsintervalle geben soll. Ich kann das aus der verbraucherpolitischen Praxis nur begrüßen. Es ist natürlich sinnvoll, auch zwischendurch den Verbrauch ablesen zu lassen, um beispielsweise die Abschlagszahlungen anzupassen, damit es nicht nach einem Jahr zu einer hohen Nachforderung zum Beispiel der Stadtwerke kommt. Das kann sehr sinnvoll sein.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das kann man jederzeit beantragen! Auch heute!)

Meine Damen und Herren, Sie sehen, es gilt, Vor- und Nachteile von Smart Metern in Einklang zu bringen und für den Verbraucher sowie die Energiewende ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen.

Ich habe durchaus Sympathie für Ihren Antrag gehabt und hätte mich gefreut, wenn wir diesen auch im Ausschuss behandelt hätten. Allerdings haben Sie kurzfristig – zwei Stunden vor dieser Sitzung, glaube ich – entschieden, dass Sie eine direkte Abstimmung möchten. Dieses Verhalten können wir nicht tolerieren. Insofern werden wir den Antrag ablehnen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Die Bundesratssitzung ist halt morgen! Ja!)

Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Blask. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Blask, Sie haben schon viel Richtiges gesagt.

(Dieter Hilser [SPD]: Natürlich!)

Natürlich gibt es berechtigte Fragen, die Sie, meine Damen und Herren von den Piraten, in Ihrem Antrag stellen. Vorgesehen war eigentlich eine Beratung in den Ausschüssen, aber ich kann auch nachvollziehen, dass Sie aufgrund der Beratungsfolge im Bundesrat heute eine direkte Abstimmung verlangen. Nichtsdestotrotz führt das dazu, dass die Fragen, die sich aus Ihrem Antrag ergeben, heute nicht ausreichend diskutiert werden können. Insofern kann ich für die CDU-Fraktion sagen, dass wir diesem Antrag so leider nicht zustimmen können, obwohl berechtigte Fragen gestellt werden.

Frau Kollegin Blask hat schon zu Recht ausgeführt, dass die Fraktionen der Regierungskoalition in Berlin bereits in entsprechender Art und Weise interveniert und auf die Problemstellungen der Zwangsanschlusssituation hingewiesen haben; denn dabei geht es um wirtschaftliche Fragestellungen für den Verbraucher. All das ist schon mit eingespeist. Deswegen sehen wir mehr Chance als Risiko und sind vollsten Vertrauens, dass die Koalition in Berlin dafür sorgt, dass wir die Fragen, die noch offen sind, entsprechend behandelt wissen.

Daher können wir heute, so leid es uns tut, Ihrem Antrag in dieser Form nicht zustimmen. Es wäre gut gewesen, wenn wir das gemeinsam besprochen hätten. Ich hätte mir schließlich vorstellen können, dass wir Formulierungen gefunden hätten, die wir auch gemeinsam hätten tragen können.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wir werden noch einen eigenen Antrag dazu stellen!)

Insofern erlaube ich mir noch einmal den Hinweis: Sie stellen die richtigen Fragen, aber aus unserer Sicht ist Ihr Antrag ein bisschen zu defätistisch. Wir haben ein bisschen mehr Vertrauen in die Handelnden in Berlin als Sie. Das werden Sie uns sicher auch zugestehen. Wie gesagt, heute können wir Ihrem Antrag leider nicht zustimmen.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Hovenjürgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Digitalisierung der Energiewende ist das unterschätzte Megathema der Energiewende. Es ist die unterschätzte Herausforderung der Energiewende.

Wir reden hier im Haus immer viel über das energiepolitische Dreieck, in dem es um Umwelt- und Klimaschutz und die Vereinbarkeit mit Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit geht.

(Dietmar Brockes [FDP]: Ach, das kennen Sie doch?)

Was unterschätzt und nicht betrachtet wird, ist, dass aus diesem Dreieck mittlerweile so etwas wie ein Viereck geworden ist und wir es immer mehr mit dem Punkt der informationellen Selbstbestimmung zu tun haben, der in diesem Viereck noch mitbetrachtet werden muss.

Wenn wir einmal zurückblicken, stellen wir fest, dass die großen Energieversorger in den letzten zehn oder 15 Jahren die Energiewende, also den Ausbau der erneuerbaren Energien, leider verschlafen haben. Das rächt sich gerade bitter.

Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren leider mit dafür gesorgt, dass Deutschland die Digitalisierung der Energiewende verschlafen hat.

(Beifall von Matthi Bolte [GRÜNE])

Andere Länder in Europa oder auf der Welt sind schon viel weiter, zum Beispiel die USA. Diese Länder haben positive Erfahrungen gemacht, und sie wissen, wo die Herausforderungen beim Datenschutz liegen. Seit Jahren besteht eigentlich schon Regelungsbedarf, der durch die Europäische Union hervorgerufen wurde. Aber auch insgesamt besteht dieser Regelungsbedarf, weil das Thema nicht erst seit heute aktuell ist. Die Bundesregierung hat aber entweder nichts getan oder an unterschiedlichen Stellen den Entwicklungen Steine in den Weg gelegt.

Wie ich das in der Energiepolitik leider häufiger beobachte, ist es typisch, wie die Bundesregierung hier agiert hat: Erst nichts tun, und dann hoppla, hoppla mal eben so das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende einbringen und sehr kurze Fristen setzen, in denen sich die entsprechenden Länder einbringen können.

Der Piratenantrag geht auf einen Aspekt dieses Gesetzes ein und lässt leider andere hinten runterfallen. Sie haben eben viel über Schwierigkeiten gesprochen und dabei das Thema „Datenschutz“ erwähnt. Hier möchte ich meinen Vorrednern zustimmen: Sie haben richtige Aspekte genannt, aber wenn es darum geht, dass wir über die Schwierigkeiten sprechen, dann müssen wir auch über das Thema „Sicherheit“ sprechen.

Meine Kollegin Verena Schäffer, mein Kollege Matthi Bolte und ich haben in diesem Raum im April dieses Jahres einen großen Kongress veranstaltet und uns mit Sicherheit, Katastrophenschutz und Energieversorgung beschäftigt, also mit Aspekten, die beispielsweise im Buch „Blackout“ vorkommen und behandelt werden. Jetzt möchte ich nicht sagen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass dieses Szenario eintritt, aber es ist möglich. Daher muss man sich mit diesen Aspekten beschäftigen, und da gibt es noch einiges zu tun.

Ich möchte aber auch zu den positiven Aspekten kommen. Wir können und wollen die Digitalisierung der Energiewende auf keinen Fall aufhalten. Wir müssen bei immer mehr erneuerbaren Energien, die nun einmal fluktuierend sind, also nicht zu jedem Zeitpunkt zur Verfügung stehen, auch unterstützen, dass sich der Verbrauch der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien anpasst. Das wird eigentlich eher in der Industrie und Wirtschaft zum Tragen kommen; denn dort ist das Potenzial viel größer als in Haushalten. Aber auch in den Haushalten sollten wir für die Zukunft vorsorgen.

Deswegen wäre eine wichtige Forderung, dass es endlich wirklich lastflexible Strompreise gibt. Das würde bedeuten, dass Strom dann teurer ist, wenn wenig erneuerbare Energien im Netz zur Verfügung stehen, und günstiger, wenn viel erneuerbare Energien zur Verfügung stehen. Das Ganze hätte unterschiedliche positive Effekte zur Folge, würde beispielsweise Anreiz bieten für Speichertechnologien und deren Einsatz und mit entsprechend intelligenter Technik im Haushalt in Zukunft dafür sorgen, dass der Verbrauch zeitlich verschoben wird, und zwar weitergehend als in den Vorschlägen im Gesetzentwurf der Bundesregierung. – Solche Aspekte hätten dem Piratenantrag gutgetan.

Mit weiteren Aspekten, zum Beispiel, wie man mit größeren Verbrauchern als den Haushalten und den aus unserer Sicht zu hohen Anforderungen an Fotovoltaikanlagen umgeht, beschäftigt sich der Piratenantrag gar nicht.

Ich möchte mich meinen Vorrednern anschließen: Auch ich hätte dieses Thema gerne weiter diskutiert. Ich finde, dass es einige spannende Aspekte beinhaltet. Sie haben in den letzten Tagen leider ein Hin und Her hingelegt, wie wir nun weiter mit dem Antrag umgehen sollen. Das finde ich schade.

Wir lehnen den Antrag ab.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Brockes.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es in dem vorliegenden Antrag? Aufgrund der EU-Vorgaben sind mindestens 80 % der Messstellen mit Smart Metern auszustatten. Ein verpflichtender Smart-Meter-Rollout findet bei großen Stromverbrauchern bzw. grundsätzlich ab einem Jahresverbrauch von 6.000 kW statt. Der Einsatz intelligenter Messsysteme bei Verbrauchern, Erzeugern und Speicherbetreibern wird durch verbrauchsorientierte Tarife und den Einsatz intelligenter Produkte und intelligenter Netze künftig neue Chancen für Stromkunden und regionale Versorger eröffnen.

Nach der Digitalisierung der Wirtschaft – Thema „Industrie 4.0“ – wird die Digitalisierung auch der Energiewirtschaft grundlegende Veränderungen mit sich bringen. Der Ausgleich der fluktuierenden Erneuerbaren wird andernfalls künftig kaum gelingen. Durch digitales Lastmanagement kann insbesondere die Industrie ihren Verbrauch anpassen und so Netzstabilität gewährleisten.

Hier liegen erhebliche Potenziale brach. Die zu heben, erfordert im Übrigen weit mehr als die Umstellung auf Smart Meter. Dazu gehört, meine Damen und Herren, zum Beispiel auch die Novellierung der Netzentgeltverordnung, um Flexibilität auch entsprechend honorieren zu können. Das ist wichtig, damit man damit Geld verdienen kann und überhaupt bereit ist, dies in Kauf zu nehmen. – Diese wichtigen Zukunftsthemen verschläft die Große Koalition in Berlin. Sie beschäftigt sich stattdessen lieber mit Planspielen zum Kohleausstieg.

Meine Damen und Herren, natürlich ist der Datenschutzaspekt bei Smart-Metering extrem wichtig. Nicht zuletzt ist dies der Grund, weswegen wir noch über die Umstellung diskutieren, während andere Länder – wie zum Beispiel Italien – bereits viel weiter sind. Im Ergebnis kann man daher festhalten, dass der Datenschutzstandard bei Smart Metern höher ist als beim Homebanking über Internet. Der Dank gilt hierbei dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Die andere Seite der Medaille ist, dass deswegen die Umstellung auf Smart Meter verhältnismäßig teuer ist. Die dem Gesetz zugrundeliegende Kosten-Nutzen-Analyse ist in diesem Punkt nicht wirklich aussagekräftig.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Genau!)

Ob der kurzfristige Smart-Meter-Rollout einen ausreichenden Nutzen für Verbraucher hat, um diese Kosten auszugleichen, kann nicht entsprechend definiert werden.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Deswegen soll der Verbraucher entscheiden können!)

– Deswegen, Herr Kollege Herrmann, ist es richtig, Kosten und Nutzen abzuwägen. Und nichts ist so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte.

So sagt der Gesetzentwurf von Minister Gabriel, dass bei einem Verbrauch unter 6.000 kW eigentlich kein Rollout stattfinden soll, weil dem Verbraucher die Kosten nicht aufgebürdet werden sollten.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Eigentlich!)

Er überlässt es dann aber den Messstellenbetreibern, dies einfach anzuordnen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Genau!)

Hier bedarf es dringender Korrekturen und eines Optionsrechts für den Verbraucher – nicht für die Unternehmen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Danke!)

– Sie sehen, Herr Kollege Herrmann, insofern können wir Ihrem Antrag doch zustimmen.

(Beifall von Frank Herrmann [PIRATEN])

Darüber hinaus wird aber – das ist leider ein Punkt, den ich ansprechen muss – in Ihrem Antrag absichtlich die bewusste Unkenntnis der Menschen ausgenutzt. Sie entwerfen ein Zerrbild. Hier soll Angst vor einer drohenden Totalüberwachung verbreitet werden. Man muss sich schon fragen, inwieweit das bei Einzelstandsmessungen im Viertelstundentakt möglich ist. Mit dem Verweis auf Ablaufprotokolle wird ganz klar mit Nebelkerzen geworfen, um entsprechend Panik zu machen. Lieber Kollege Herrmann, Sie wissen doch selbst: Nutzerprofile werden heutzutage über Google, Facebook und Smart-TV erstellt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Dazu brauchen wir jetzt aber kein Neues! Wir müssen zurück!)

Dazu bedarf es keiner Stromzählerablesungen, meine Damen und Herren.

Im Übrigen ist im Gesetz auch klar geregelt, dass bis zu einem Jahresverbrauch von 10.000 Kilowattstunden keine Daten übermittelt werden, wenn es der Verbraucher nicht ausdrücklich erlaubt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das lese ich anders!)

Insofern wäre es sicherlich wünschenswert gewesen, über Ihren Antrag noch weiter zu diskutieren. Umgekehrt macht es – wenn morgen die Abstimmung stattfindet – wenig Sinn, dies auch im Ausschuss zu tun. Insofern sehen Sie uns unsere heutige Ablehnung an dieser Stelle nach. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Nun spricht der fraktionslose Abgeordnete Schwerd.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und am Stream! Das intelligente vernetzte Haus bzw. die Digitalisierung unseres Alltags bietet eine Reihe von Chancen:

Wenn der Kühlschrank immer gefüllt ist, ist das praktisch. Wenn nur die Räume des Hauses beheizt und beleuchtet werden, in denen man anwesend ist, ist das komfortabel. Und wenn eine Intelligenz aus meinem bisherigen Verhalten schließt, dass Räume aufgewärmt werden sollten, bevor ich sie betrete, und Gebrauchsgüter nachbestellt, bevor sie aufgebraucht sind, macht das mein Leben angenehmer.

Gleichzeitig kann diese Intelligenz den Ressourcenverbrauch besser planen und verteilen. Lastspitzen und Leerlauf können minimiert werden, insbesondere dann, wenn die Intelligenz mehrere Häuser kombiniert. Wenn dies zu Ressourcen- und Energieeinsparungen führt, wenn wir unsichere Atom- oder schmutzige Kohlekraftwerke deswegen abschalten können, dann ist das doch gut für uns alle.

Die Technologie, die dafür notwendig ist, schafft neue und nachhaltige Jobs. Sie sehen, ich verteufle dieses Thema nicht. Ich bin zukunftsoptimistisch. Dieser Fortschritt kann unser Leben besser machen und die Umwelt schützen. Die Weltuntergangsstimmung dieses Antrags der Piraten teile ich daher nicht.

Doch es gibt eben auch Probleme und Risiken. Und die Piraten sprechen das ganz zu Recht an. Diese Digitalisierung unseres Alltages produziert eine gigantische Menge höchst sensibler Daten. Damit kann man die Privatsphäre eines Menschen auf eine Art und Weise durchleuchten, wie es zuvor niemals möglich gewesen war. Solche Daten werden Begehrlichkeiten wecken.

Für einen Werbetreibenden ist es von Interesse, ob ein Mensch auf seinem Smartphone eine Website im Wohnzimmer, in der Küche oder im Schlafzimmer aufruft. Die Krankenversicherung interessiert sich gewiss für seine Ernährungsgewohnheiten.

Werden die Energieunternehmen, bei denen diese Daten auflaufen werden, der Versuchung widerstehen können, sie zu Geld zu machen? Daher ist es jetzt an der Zeit, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Wir brauchen ein Grundrecht, eine Grundeinstellung auf Privatsphäre. Die Daten eines intelligenten Hauses sollen grundsätzlich nicht das Haus verlassen. Wenn Daten aus dem Haus fließen, muss das in allen Einzelheiten transparent sein.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Darum geht es in unserem Antrag!)

Die Daten müssen so weit wie möglich anonymisiert werden. Doch auch danach muss gelten: Die Daten gehören den Menschen, die sie betreffen. Ohne explizite Zustimmung für jeden einzelnen Fall darf es keine Weitergabe der Daten oder Aggregationen geben.

Wir brauchen effektive Maßnahmen, mit denen die Einhaltung solcher Regeln überprüft und sanktioniert werden kann. Nur dann verliert das intelligente Haus seinen Schrecken. – Herzlichen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Josef Hovenjürgen [CDU]: Für Ihre Verhältnisse gut!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist bereits darauf hingewiesen worden: Wir stehen unmittelbar vor der Beratung des Bundesrates über den Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Energiewende. Ich bin mit einigen meiner Vorredner absolut einer Meinung, dass diesem Gesetz eine Schlüsselfunktion für eine erfolgreiche Energiewende zukommt.

Ich glaube, es war Frau Kollegin Brems, die darauf hingewiesen hat, dass dies vermutlich das am meisten unterschätzte Thema ist. Vielleicht war es auch Herr Hovenjürgen; er meldet sich gerade; ich will hier keinen zu kurz kommen lassen. Wir waren uns in diesem Punkt einig. Da gibt es zwischen uns auch gar keinen Streit.

Die Energiewirtschaft – das wissen wir – entwickelt sich rasant. Die Energiewende findet aber überwiegend im Verteilnetz statt. 97 % des Stroms aus Erneuerbaren wird in die Verteilnetze eingespeist. Mehr als anderthalb Millionen Stromproduzenten nutzen diese Option. Die Aufgabe für die regionalen Netze ist dann entsprechend groß.

Wenn wir hier diskutieren, wenn wir mit Bürgerinitiativen reden, stehen häufig aber nur die großen Stromtrassen im Mittelpunkt. Dabei findet der notwendige Ausbau der regionalen Netze wenig Beachtung. Deswegen drängen wir darauf, auch die Verteilnetze für die Integration Erneuerbarer fit zu machen. Leitungen müssen modernisiert, intelligente technische Bauteile eingesetzt werden. Dazu gehört neben modernen Ortsnetztransformatoren auch eine intelligente Erfassung des Stromverbrauchs.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Alles gut! Alles richtig!)

Nur wenn Stromeinspeiser und größere Stromverbraucher schnell informiert sind, kann das Verteilnetz optimal organisiert werden. Erzeugung und Verbrauch müssen im Einklang stehen, um zu verhindern, dass der Strom ausfällt. Nicht zuletzt erhofft man sich mit intelligenten Messsystemen ein anderes Verbraucherverhalten. Auch darauf ist in dieser Debatte bereits, zum Beispiel von Frau Blask, hingewiesen worden.

Mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende wird im Übrigen auch eine Vorgabe der Europäischen Kommission umgesetzt, die den Mitgliedstaaten aufgegeben hat, 80 % der Letztverbraucher mit intelligenten Messsystemen auszustatten.

Um zu verhindern, dass ein solcher Rollout mehr Kosten verursacht als Nutzen bringt, dürfen die Mitgliedstaaten diesen 80-%-Ansatz einer Kosten-Nutzen-Analyse unterziehen und so eine nationale Rolloutstrategie entwickeln. Von dieser Möglichkeit machte die Bundesregierung Gebrauch und ließ eine Kosten-Nutzen-Analyse erstellen, die Grundlage für den jetzt zu diskutierenden Gesetzentwurf ist.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass es keinen Rollout um jeden Preis geben darf. Es soll daher ein sachlich ausgewogener, ein individuell zumutbarer und gleichzeitig gesamtwirtschaftlich sinnvoller Rollout auf den Weg gebracht werden. Letztverbraucher und Erzeuger, bei denen die modernen Geräte eingebaut werden, dürfen nicht mit unverhältnismäßigen Kosten belastet werden.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Aber genau das steht im Gesetzentwurf!)

Zudem dürfen auch Messstellenbetreiber oder Netzbetreiber nicht zu einer betriebswirtschaftlich unverhältnismäßigen Einbaumaßnahme verpflichtet werden.

Neben den allgemeinen Anforderungen an den Messstellenbetrieb gibt der Entwurf einen hohen technischen Sicherheitsstandard vor. Er enthält ferner Regelungen zum Einbau und zur Finanzierung intelligenter Messsysteme sowie zum datenschutzrechtlichen Umgang.

Demnach kann der Rollout ab 2017 mit dem Einbau intelligenter Messsysteme für Verbraucher mit einem Jahresstromverbrauch ab 10.000 Kilowattstunden und für Erzeuger mit einer installierten Leistung zwischen 7 und 100 Kilowatt gestartet werden. Diese zeitliche Abstufung soll dazu beitragen, von den Erfahrungen der Vorreitergruppen bei der Markteinführung zu profitieren.

Meine Damen und Herren, ich begrüße grundsätzlich, dass das Gesetz die Flexibilisierung des Gesamtsystems und die Partizipationschancen der Bürgerinnen und der Bürger an der Energiewende vorantreiben wird. Der Einbau von intelligenten Messsystemen ist sinnvoll, um eine bessere Auslastung und Steuerung der Netze und ein besseres Verbrauchsverhalten zu erreichen.

Wir haben dieses Thema innerhalb der Landesregierung intensiv diskutiert. Wir werden darauf achten, dass neben den technischen und wirtschaftlichen Aspekten auch und gerade die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher berücksichtigt werden.

Dazu gehört neben dem hohen Datenschutz unserer Meinung nach auch, dass Privathaushalte mit einem Jahresverbrauch von weniger als 6.000 Kilowattstunden den Einbau eines intelligenten Messsystems ablehnen können. Den Einbau intelligenter Zähler aber ausschließlich – wie Sie, Herr Herrmann, gefordert haben – von der Zustimmung der betroffenen Verbraucher, ohne Differenzierung nach Verbrauchsgruppen, abhängig zu machen,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Genau!)

wird dem von mir eben beschriebenen Ziel des Gesetzentwurfs nicht gerecht und kommt im Übrigen auch der Verpflichtung der genannten EU-Richtlinie nicht nach.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das wäre aber echter Wettbewerb!)

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Deshalb kommen wir zu dem Ergebnis, dass wir den Inhalt Ihres Antrags ablehnen, weil er zum Teil überholt oder aus unserer Sicht zum Teil zu weitgehend ist. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Josef Hovenjürgen [CDU])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wie Sie wissen, haben sich alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen zwischenzeitlich darauf verständigt, den Antrag nicht an einen Ausschuss zu überweisen, sondern direkt darüber abzustimmen. Die direkte Abstimmung über den Inhalt des Antrags führen wir jetzt durch. Wer dem Antrag Drucksache 16/10420 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Möchte sich jemand enthalten? – Der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Antrag Drucksache 16/10420 abgelehnt worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 5 und rufe auf:

6   Forschung und Innovationen im Mittelstand in NRW durch gezielte Maßnahmen stärken – bestehende Instrumente zur KMU-Unterstüt­zung optimieren und ausbauen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4444

In Verbindung mit:

Neue Schwerpunkte in der Forschungsförderung – Das Innovationspotenzial kleiner und mittelständischer Unternehmen und von Hochschulen in Nordrhein-Westfalen gezielt erschließen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5749

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
Drucksache 16/10438

Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10519

Die Anträge der Fraktion der FDP und der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wurden gemäß § 82 Abs. 2b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung mit der Maßgabe überwiesen, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Da diese mit dem Bericht des Ausschusses vorliegt, wissen Sie, dass die Ausschussberatung abgeschlossen ist.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Kollege Bell für die SPD-Fraktion das Wort.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Anträge, mit denen wir uns heute befassen, sind zentrales Thema der Landespolitik. Ich glaube, das sind sie aus gutem Grund; denn die kleinen und mittelständischen Unternehmen in unserem Land stellen insgesamt das Beschäftigungspotenzial für rund 80 % der Sozialversicherten in unserem Lande dar. 83 % der Auszubildenden sind in kleinen und mittleren Unternehmen beschäftigt. Damit ist die Frage, wie wir diese Unternehmen in der Perspektive im globalen Wettbewerb konkurrenzfähig halten, selbstverständlich eine zentrale Aufgabe dieser Landesregierung und natürlich auch von uns als Parlament.

Diese Unternehmen werden in der Frage ihrer Innovationsleistung häufig unterschätzt. Natürlich müssen wir als Land die Rahmenbedingungen schaffen und möglichst leichte Zugänge zur Innovationsberatung und Innovationsförderung auf den Weg bringen. Diese leichten Zugänge richten sich zum einen an Fördermöglichkeiten und -programme, aber zum anderen natürlich auch an die Frage, wie man diesen Unternehmen, die häufig nicht über große Forschungsabteilungen verfügen, leichtere Zugänge zu Universitäten, Fachhochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen verschaffen kann.

Wir haben uns in den letzten zwei Jahren im Ausschuss sehr intensiv mit dieser Frage befasst. Ich will das hier durchaus sehr wertschätzend anmerken, dass wir eine sehr qualifizierte und qualitativ hochwertige Diskussion untereinander hatten. Wir haben mehrere Expertengespräche und Anhörungen durchgeführt, in denen wir uns sehr intensiv beraten haben, wie Rahmenbedingungen möglicherweise verändert werden müssen, um unsere Hausaufgaben gut zu machen.

Ich will drei Punkte benennen, die in den Gesprächen, die wir mit den Betroffenen geführt haben, immer wieder erkennbar waren.

Der erste Punkt, an dem wir besser werden müssen, ist die Schließung der Lücke im Förderangebot von EU und Bund beim Übergang von der Grundlagenforschung zur anwendungsorientierten Forschung. Diese Frage ist auch in den Anhörungen immer wieder beschrieben worden. Wir greifen diese Thematik in unserem Antrag auf, indem wir vorschlagen, das Thema mit einem neuen Programm abzudecken. Dies soll analog zum alten Programm TRAFO geschehen, allerdings auf die Universitäten ausgeweitet und nicht nur auf die Fachhochschulen bezogen. Hier gehe ich auf den Antrag der FDP ein, weil es so gemeint ist. An dieser Stelle wollen wir besser und stärker werden.

Der zweite Bereich betrifft die Innovationsbeschleunigung. Wir glauben, dass hier im Land gute Instrumente zum Einsatz kommen. Wir haben in den letzten Jahren vielfältige Möglichkeiten erprobt.

Die Frage, wie wir hier besser werden können, wird von uns so beantwortet: Wir wollen zum einen eine neue Einrichtung, die sogenannte Mittelstandsinitiative Forschungsförderung, in der wir diejenigen bündeln, die über Kompetenz in der Beratung für kleine und mittelständische Unternehmen verfügen. Gleichzeitig wollen wir die Instrumente besser ausstatten. Hier reden wir über die entsprechenden Innovationsgutscheine und die Möglichkeiten, die in der Mittelstandsinitiative vorhanden sind.

Ich will mich sehr herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen, die die Haushalte beraten haben, dafür bedanken, dass mit unserem Antrag 4 Millionen € zusätzlich zur Verfügung gestellt worden sind.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist ein starkes Signal für Nordrhein-Westfalen, dass wir dies auf den Weg gebracht haben.

Der dritte Bereich betrifft die Frage der Ausgründungen und Unterstützung von Start-ups aus dem Bereich der Universitäten. Hier hat die Landesregierung dankenswerterweise bereits die Initiative ergriffen. Die Wissenschaftsministerin hat mit dem Wirtschaftsminister ein gutes Start-up-Programm vorgelegt. Ich danke herzlich dafür, dass bereits Initiativen am Start sind, um diese Initiativen zu stärken.

Es ist aus unserer Sicht ein guter Antrag. Wir werden dem Änderungsantrag der FDP aus einem Grund nicht zustimmen. Die Kürze der Zeit hat eine sachgerechte Befassung mit dem Antrag aus unserer Sicht nicht hinreichend ermöglicht.

(Lachen von Angela Freimuth [FDP])

– Frau Freimuth, die ständige Formulierung der Frage der Technikoffenheit insistiert, wir seien bei der Frage der Fördermöglichkeiten nicht technikoffen. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Birkhahn.

Astrid Birkhahn (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Die heutige Plenardebatte beschäftigt sich mit zwei Anträgen, die am Ende eines Beratungsprozesses stehen, der eine wechselvolle Entwicklung aufgezeigt hat und insgesamt 33 Monate umfasste. Das ist selbst für parlamentarische Behandlungsvorgänge hier im Landtag eine stolze Zeit. Es waren keine Gesetzentwürfe, sondern Anträge, und damit werden wir uns nach 33 Monaten abschließend befassen.

In diesem Beratungsprozess – das hat Kollege Bell gerade schon herausgestellt – gab es zwei Anhörungen im Jahre 2014. Ich denke, diese haben sich äußerst ertragreich und hilfreich für die Positionsfindung ausgewirkt. Ich bin diesem Vorhaben persönlich verbunden, nämlich in der Weise, als ich für meine Fraktion den Anstoßantrag im März 2013 begründen durfte. Von daher ist es für mich jetzt ein Bogenschluss, wenn wir heute endlich zu einer Abstimmung kommen.

Ist es ein Beispiel für die Intensität unserer parlamentarischen Arbeit? – Ich lasse diese Frage einmal offen stehen. Die Arbeit war aber bestimmt ein Beispiel für Rituale im Umgang mit Anträgen der Opposition. Das möchte ich Ihnen noch einmal vor Augen führen

(Beifall von der CDU und der FDP)

und dabei auf die erste Plenarbehandlung zurückgreifen, in der wir den Antrag behandelt haben:

Die antragstellende Fraktion bringt den Antrag ein. Ich habe damals – Sie konnten es auch nachlesen, Herr Bell – die Bedingungen für erfolgreiches Arbeiten für Wirtschaft und Wissenschaft vorgestellt. Dann kam die Replik der SPD, die darin gipfelte, wie schlecht dieser Antrag sei, wie wenig wichtig das Thema sei, wie unglaublich viele Worthülsen in diesem Antrag stünden. Die Behandlung im Ausschuss sei ganz fürchterlich, unerfreulich, fast nicht zu ertragen. Dass nicht ein Antrag auf Schmerzensgeld gestellt wurde, hat mich damals schon gewundert.

Die Ministerin hat alle Punkte aus diesem Antrag im Grunde sehr selbstzufrieden bilanziert und gesagt: Einen solchen Antrag brauchen wir überhaupt nicht. – Damit fing die Entwicklung an, die heute nach 33 Monaten zum Abschluss kommt.

In der ersten Ausschussbehandlung haben wir dann die inhaltlichen Schwerpunkte im Detail bearbeitet, und auch dabei wurde ein Ritual deutlich. Herr Bell übernahm in der SPD die Rolle des Bad Guy und sagte: Wir brauchen den Antrag gar nicht, können sofort darüber abstimmen, eine Behandlung lohnt nicht. Auf der anderen Seite sagte deren wissenschaftspolitischer Sprecher: Den Antrag werden wir nicht schnell abstimmen, sondern daran erst einmal arbeiten; dieses Thema gilt es zu vertiefen.

Dann kamen die beiden Anhörungen ins Spiel, die sehr ertragreich waren, gute Argumente lieferten und den Denkprozess massiv beeinflusst haben. Da ist dann auf einmal nicht mehr von Worthülsen wie „Bürokratieabbau“ die Rede, sondern da wird gesagt: Wir müssen die Verfahren bereinigen, der administrative Aufwand ist zu groß; wir müssen ihn geringer machen.

Auf zwei weitere Beispiele möchte ich noch einmal abheben, zunächst auf die Technologieoffenheit. Sie haben das Thema gerade noch einmal gestreift. Die Ministerin hat damals gesagt: Wir haben in unseren Verfahren Technologieoffenheit; wir treffen selbstverständlich eine Auswahl. – Ich möchte ein Zitat von Frau Piegeler aus dieser Anhörung zu Gehör bringen und sie mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren:

„Die Politik richtet auf … sehr populäre Technologien ihr Augenmerk, hat aber nicht den Überblick über das, was in der Breite der Forschung passiert. Sie schließt damit Forschungsaktivitäten aus dem Mittelstand aktueller Art und auch aus dem Handwerk aus.“

Das ist ein Punkt, bei dem man wirklich sagen muss: Technologieoffenheit ist für die Innovationskraft und im Grunde auch für die Fortentwicklung in unseren Wirtschaftsunternehmen entscheidend.

Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Forschungsförderung: Sie muss wirklich themenoffen, weit gefasst und unbürokratisch sein.

(Beifall von Angela Freimuth [FDP])

Das ist inzwischen wirklich angekommen und findet sich in den Texten wieder. Ich meine, der Arbeitsprozess hat sich gelohnt.

Als Fazit nach 33 Monaten sage ich ganz deutlich: Der Anstoß kam aus der Opposition. Der Antrag hat weite Kreise gezogen, er hat Bewegung in die Thematik gebracht. SPD und Grüne haben sich inhaltlich mit diesem Thema vertieft auseinandergesetzt und neue Akzente einbezogen, haben FDP-Anregungen, die sehr konstruktiv gewesen sind, in ihren Antrag aufgenommen. Das Programm „Mittelstand.innovativ!“, die Forschungsförderung vereinfachen und auch die steuerliche Berücksichtigung prüfen – all das sind Dinge, die von der FDP dazugekommen sind.

Ich sage aber auch deutlich: Die CDU wird nicht zustimmen; denn wir haben – das ist nicht zu leugnen – einen Unterschied in dem Verständnis von Forschungsfreiheit.

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.

Astrid Birkhahn (CDU): Ich darf deswegen ein Zitat aus meiner Rede vom März 2013 an dieser Stelle anbringen. Darin ist wirklich alles enthalten, was für uns von Wichtigkeit ist:

„Wer erfolgreich sein und bleiben will, der muss von bürokratischen Hemmnissen im Finanzierungs- und Förderungsdschungel befreit sein, der muss frei sein, um frei zu forschen und innovativ sein zu können.“

Das ist der Punkt, an dem wir immer noch nicht zusammengekommen sind. Der hindert uns auch daran, dass wir uns diesem Antrag anschließen werden.

Eine abschließende persönliche Bemerkung als Bildungspolitikerin sei mir gestattet: Ich habe mich, Herr Bell, gerade nach Ihrer Rede heute über die Bestätigung meiner Grundüberzeugung gefreut: Menschen sind lernfähig, auch Sie. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. Das gilt dann sicherlich auch für die Überschreitung der Redezeit. – Für die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Dr. Seidl.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP! Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Sie sind herzlich eingeladen, sich unserem Antrag heute anzuschließen. Leider haben Sie sich, Frau Birkhahn, schon im Vorfeld gewunden und sich einer gemeinsamen Initiative verweigert mit der Begründung – O-Ton Herr Berger aus dem Ausschuss; ich zitiere –, „eine ganz eigene Philosophie von Mittelstandsförderung“ zu haben.

Genau damit sind Sie in der Anhörung komplett durchgerasselt, und die Sachverständigen haben kein gutes Haar an Ihrem Antrag gelassen. Das muss man zur Wahrheit hinzufügen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben mit unserem rot-grünen Antrag und der entsprechenden Verankerung im Landeshaushalt ein stringentes Förderkonzept für die Zusammenarbeit von kleinen und mittleren Unternehmen mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf den Weg gebracht. Mit dem aktuellen Wissenschaftshaushalt stocken wir die Mittel zur Förderung von Innovationen um 4 Millionen € auf. Damit stehen für den Innovationstransfer knapp 5,9 Millionen € jährlich zur Verfügung.

Wir halten diese Investition auch für notwendig. Der rasante Strukturwandel, den Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten insbesondere durch einen sich wandelnden Energiemarkt erlebt hat, zeigt doch, dass wir ein Land sind, das seine Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Entwicklung nicht auf Rohstoffvorkommen stützen kann, und wir daher vermehrt auf Innovation und Wissen angewiesen sind.

Und das Rückgrat der nordrhein-westfälischen Wirtschaft ist in der Tat der Mittelstand. 99,5 % aller Unternehmen sind sogenannte KMU. Wachstum und Innovation entstehen genau hier.

Um Kontakte mit anderen Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen aufbauen zu können, ist es besonders wichtig, kleinen und mittleren Unternehmen bei der Orientierung zu helfen. Deshalb waren wir uns auch alle einig darüber, dass vom Bund und Land aufgelegte Förderprogramme wie ZIM, Mittelstand.innovativ oder die Innovationsgutscheine als Türöffner für KMU zu den Forschungslaboren der Hochschulen besser ausgeschöpft werden müssen als bisher. Es braucht bessere Beratungsstrukturen und eine Überprüfung, ob die genannten Maßnahmen und Programme zielgerichtet funktionieren.

Vor diesem Hintergrund wollen wir unser Engagement im Hinblick auf forschungs- und entwicklungsorientierte Fördermaßnahmen verstärken und Lücken im Förderangebot von Bund und EU durch gezielte Maßnahmen schließen.

Ein erfolgversprechender Ansatz könnte dabei die Wiedereinführung und Ausweitung des Förderprogramms Transferorientierte Forschung, TRAFO, sein – es ist eben schon von Herrn Bell erwähnt worden –, mit denen von 2001 bis 2006 die anwendungsnahe Forschung an nordrhein-westfälischen Fachhochschulen in Kooperation mit KMU erfolgreich befördert wurde.

Wir schlagen darüber hinaus die Einrichtung einer Mittelstandsinitiative Forschungsförderung vor, die ein ganzes Bündel von Unterstützungsmaßnahmen für kleine und mittlere Unternehmen beinhaltet. Diese sollte getragen werden von Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen, von Hochschulen und von Multiplikatoren aus Wissenschaft und Unternehmen.

Mit unserem Änderungsantrag berücksichtigen wir die aktuelle Entwicklung, insbesondere die Tatsache, dass sich die Innovationsallianz der Hochschulen mittlerweile aufgelöst hat und dass die Landesregierung im Bereich Ausgründungen aus Hochschulen bereits aktiv geworden ist. So wurde inzwischen das Programm HochschulStart-up.NRW aufgelegt, welches gut angenommen wird und bereits positive Effekte zeigt. Insbesondere der Austausch von Wissen und Technologie zwischen Hochschule und Wirtschaft wird hierdurch forciert. Er wird schneller und effizienter.

Ich muss es jetzt auch schon vorweg sagen: Es ist ein Stück weit paradox, Frau Freimuth, dass Sie auf der einen Seite im Laufe der vergangenen Diskussionen beklagen, dass die Innovationsmittel, die wir mit dem Haushalt aufstocken, nicht ausreichen, aber auf der anderen Seite fordern, die Mittel für das Forschungsförderprogramm „Fortschritt NRW“ zu halbieren. Langfristig wollen Sie das Programm – das war ja Ihr Antrag für die dritte Lesung – sogar ganz streichen.

Das heißt aber im Klartext: Die FDP will die Forschungsförderung des Landes, die klassische Landesforschungsförderung, abschaffen. Sie wollen verhindern, Frau Freimuth, dass wir genau technologieoffene Forschung fördern, damit Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen gezielt an der Lösung gesellschaftlicher Probleme und Herausforderungen arbeiten können.

Vor diesem Hintergrund ist Ihr jetzt heute noch kurzfristig eingereichter Änderungsantrag nicht wirklich ernst zu nehmen. Bei allen Versuchen im Vorfeld – ich habe extra noch einmal nachgeguckt; wir hatten verschiedene Versuche unternommen –: Es ist einfach nicht gelungen, mit Ihnen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

(Angela Freimuth [FDP]: Sie haben die Mail vom März noch nicht einmal beantwortet!)

Von daher sind Sie nach wie vor herzlich eingeladen, unserem Antrag zuzustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Freimuth das Wort.

Angela Freimuth (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat befindet sich der Antrag der FDP nun lange im Beratungsverfahren. Es ist schlimm genug und traurig, dass er an Aktualität aber bis heute nichts verloren hat, weil wir nach wie vor die im Antrag beschriebene Ausgangslage auch heute noch verzeichnen müssen.

Wir brauchen in Nordrhein-Westfalen wieder Förderstrukturen, die sich insbesondere an den Bedürfnissen von kleinen und mittleren Unternehmen orientieren.

(Beifall von der FDP)

Die rot-grüne Landesregierung hat das Programm „Mittelstand.innovativ!“ faktisch eingemottet. Der „Innovationsassistent“ war 2014 überhaupt nicht abrufbar. Die Zahl der beantragten Innovationsdarlehen ist von 92 im Jahre 2014 auf zwei im Jahre 2015 zurückgegangen.

In ihrem Antrag haben SPD und Grüne mit Änderungsanträgen außerdem diese beiden Programmteile konsequent herausgestrichen. Es ist daher davon auszugehen, dass diese damit nun auch beerdigt werden.

Beim Innovationsgutschein hat die Landesregierung bis heute nicht bekanntgegeben, bei wem denn ab 2016 die Projektträgerschaft liegen soll. Dies muss endlich entschieden werden, denn auch beim Innovationsgutschein hat sich die Zahl der Bewilligungen rapide von 197 im Jahre 2014 auf nur noch 123 im Jahre 2015 verschlechtert.

Noch besorgniserregender ist aber die erheblich längere Bearbeitungsdauer. 2014 war ein Innovationsgutschein durchschnittlich in 41 Tagen bewilligt, 2015 hat das 107 Tage gedauert.

Meine Damen und Herren, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen ist manchmal Zeit auch Geld. Innovationsgutscheine sollten doch ein möglichst niederschwelliges und unbürokratisches Förderinstrument sein, denn genau das brauchen kleine und mittlere Unternehmen auch, denn sie können sich eben keinen Personalapparat leisten, der sich in die Antragsbürokratie zum Beispiel der EU-Förderprogramme einarbeiten kann.

Dieser Landesregierung ist es bislang zu keinem Zeitpunkt gelungen, die Perspektive innovativer Unternehmer in ihre eigene Perspektive mit hineinzunehmen, denn nur so kann es erklärbar sein, dass eine Bearbeitungsdauer von drei Monaten als – ich zitiere aus der Vorlage 16/3406 – „überdurchschnittlich schnell“ zu betrachten ist. So sieht rot-grüne Förderung aus!

Der Antrag der FDP wird heute – darauf ist vorhin schon Bezug genommen worden – beraten, weil es ausdrücklicher Wunsch der Fraktionen von SPD und Grünen war, die Anhörung etwas später zu machen, damit auch noch eine parlamentarische Initiative der Kollegen der regierungstragenden Fraktionen miteinbezogen wird. Die ist dann nicht zustande gekommen.

Wir haben erst eine Anhörung gehabt. Dann gab es die Initiative von SPD und Grünen mit einer weiteren Anhörung, die uns alle erheblich schlauer gemacht haben.

Ich habe immer wieder für die FDP-Fraktion unterstrichen, dass ich mir von diesem Parlament insgesamt ein Signal wünsche, dass wir uns auch mit den Sorgen und Nöten von kleinen und mittelständischen Unternehmen ernsthaft beschäftigen und ihnen einen verbesserten Zugang zur Innovationsförderung geben wollen.

Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten sind immer bereit, die Weichen für den Mittelstand bestmöglich zu stellen. Wir haben uns deswegen einer solchen Weichenstellung nie verschlossen.

Ich finde das schon einen dicken Hund. Wir sind aufgefordert worden, auf Ihrer Antragsgrundlage – dazu habe ich auch Ja gesagt – Änderungsvorschläge zu machen. Das haben wir dann auch gemacht. Die sind bis heute aber nicht beantwortet worden.

(Beifall von der FDP)

Jetzt sind Sie in drei wesentlichen Punkten nicht in der Lage, die Änderungen einzubeziehen. Das empfinde ich schon als Verhöhnung.

Ich will drei Punkte, die uns die wichtigsten sind, unterstreichen. Die wichtigsten Änderungen haben wir in dem Änderungsantrag aufgegriffen.

Das betrifft zum einen „Mittelstand.innovativ!“: Das muss bürokratiearm ausgestaltet werden. Wie aktuell diese Forderung ist, habe ich gerade schon dargelegt.

Die Wiedereinführung von TRAFO kann man angehen. Allerdings sollte man es, um die Förderungsmöglichkeiten nicht noch unübersichtlicher zu machen, in „Mittelstand.innovativ!“ integrieren.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Angela Freimuth (FDP): Noch wichtiger: Es soll ein Förderprogramm für KMUs werden, nicht für Fachhochschulen. TRAFO wäre deshalb auf alle Hochschulen auszuweiten.

Außerdem ist die Formulierung der Koalition zu den steuerlichen Förderungen von Forschung und Entwicklung auch sehr hasenfüßig. Sie tragen riesige Bedenken vor und strecken dann letztlich die Waffen, bevor auf Bundesebene überhaupt darüber verhandelt wurde.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Angela Freimuth (FDP): Mit dem dritten Punkt, Frau Präsidentin, komme ich zum Schluss. Dann ist hier auch noch einmal das Stichwort „Technologie und Themenoffenheit‘ zu nennen. Allein der Sachverhalt, dass Sie sich hier wie der Teufel dem Weihwasser entziehen, Technologieoffenheit in diesem Antrag tatsächlich zu verankern, macht doch deutlich, Sie verhunzen „Mittelstand.innovativ!“ lediglich zu einer weiteren politisch gefärbten Forschungsförderung, …

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): … die dann auch eine interdisziplinäre oder natürlich eine Genderausrichtung haben muss. Meine Damen und Herren, das ist Unfug. Unternehmen wissen selbst am besten, wie sie marktreife Innovationen schaffen können.

Präsidentin Carina Gödecke: Sie möchten doch nicht, dass ich Ihnen das Mikrofon abschalte.

Angela Freimuth (FDP): Das ist aber das grundsätzliche Problem dieser Landesregierung. Frau Präsidentin, das ist auch mein letzter Satz:

(Unruhe)

Sie haben immer noch nicht verstanden, was Forschungsfreiheit bedeutet.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Besucher hier und am innovativen Stream! Vorweg: Manchmal bin ich generell in der Politik nicht sicher, ob das Wort „Innovation“ überhaupt für etwas Neues steht. Oft führen Sie hier keine Debatten über Innovationen, sondern eine Standortdebatte. Die einen sagen, Nordrhein-Westfalen sei toll, die anderen sagen, NRW stehe schlecht dar. In der Forschungspolitik kommt man immer wieder auf Hochschulfreiheit zurück, egal, wo man gerade in der Diskussion steht. Das ist für mich erst einmal keine innovative Debatte. So viel kann man sagen.

Die Anhörungen hatten einen generellen Mehrwert. Dieser Aussage schließe ich mich an.

Nun aber erst einmal eine Anmerkung zur Haushaltsrelevanz des Antrages, über die unter anderem Karl Schultheis von der SPD im Ausschuss gesprochen hat. Am 15. Januar sagte er, es gäbe ein Interesse aller Fraktionen an diesem Thema. Alle hätten verbindliches Interesse an einem gemeinsamen Antrag signalisiert. – Das wurde hier schon öfter thematisiert. – Deshalb wolle man sich über die Eckpunkte eines solchen Antrages verständigen, sodass man mit dem gemeinsamen Antrag in die Plenarsitzung im März könne, weil dieser ja womöglich haushaltsrelevante Punkte beinhalte.

Das war sogar ein sehr guter Hinweis. Ein Politiker, der sein Handeln im Haushalt hinterlegt, macht mehr als Lippenbekenntnisse.

Der Änderungsantrag der FDP, der heute kam, hat auch den Ansatz, die Haushaltsrelevanz deutlich darzustellen. Jetzt haben wir nicht mehr als einen vagen Hinweis auf die Innovationsgutscheine. Bei der Bewertung der Innovationsgutscheine versus Personalressourcen schließe ich mich Frau Freimuth an.

Aber ansonsten haben wir keine Haushaltsrelevanz dieses Antrages. Das ist sehr schade. Er wird ja auch einen Tag nach Verabschiedung des Haushaltes beraten. Wir kommen in dieser Sache im Grunde zu spät ins Plenum. Das bedeutet am Ende nicht nur ein schwaches Signal, sondern sagt auch, wie ernst die Regierung die Innovationsförderung meint.

Aus einem gemeinsamen Antrag wurde ja nichts, wie wir jetzt wissen. Joachim Paul hatte damals den Vorschlag der SPD begrüßt und unsere Mitarbeit in Aussicht gestellt. Wir sagten, wenn die Signalwirkung eines gemeinsamen Antrages auf den Mittelstand nicht zustande käme, würden wir das bedauern. Dieser Antrag kam nicht zustande. Das bedauere ich auch. Das hängt natürlich zum einen damit zusammen, dass hinter der Signalwirkung Vorstellungen inhaltlicher Art auseinandergehen. Aber fraktionsübergreifende Zusammenarbeit scheitert an dieser Stelle leider in erster Linie nicht aus sachlichen Gründen.

Ein Beispiel: Im Ausschuss sagte Herr Hafke von der FDP, bevor etwas passiere, müsse inhaltlich geklärt werden, wie man neuen Technologien gegenüberstehe. Beispielsweise seien im Hochschulzukunftsgesetz viele Maßnahmen festgeschrieben worden, die eine andere Philosophie als CDU und FDP verfolgten. SPD und Grüne müssten daher klarmachen, worin die Gemeinsamkeiten bestünden. Was meint er damit?

Das ist keine sachliche Auseinandersetzung, sondern plötzlich wieder eine ideologische Debatte über das Hochschulfreiheitsgesetz. Das ist keine gute Grundlage für einen gemeinsamen Antrag. Herr Hafke ist da natürlich nicht allein. Frau Birkhahn hat eben hier die vermeintlichen Unterschiede auch noch einmal betont. Es geht im Fünf-Jahres-Rhythmus hin und her. Politik tritt auf der Stelle, wenn auch mit einem Standbeinwechsel. Aber erst, wenn alle mal den gleichen Mist gebaut haben, ist man sich vielleicht einig, dass Vergangenheit eben Vergangenheit ist und folgt den Erkenntnissen. Politische Entscheidungen sind dann in der Sache also selten innovativ. Aber Innovationen in diesen politischen Prozessen werden dringend benötigt. Dafür sind wir hier.

Weil CDU und FDP dann nicht mehr am gemeinsamen Antrag arbeiten wollten, wurde von SPD und Grünen noch schnell die InnovationsAllianz an vielen Stellen aus dem Antrag gestrichen. Bei der InnovationsAllianz hatten Mitgliedshochschulen immer einen großen Anteil der Kosten finanziert. In der Startphase hatte das Innovationsministerium von Herrn Pinkwart 2007 eine Anschubhilfe geleistet.

Natürlich trägt sich im besten Fall so ein Netzwerk selbst, aber es ist schon begründungspflichtig von Rot-Grün, dass ausgerechnet ein Projekt der Vorgängerregierung plötzlich hier unter den Tisch fällt. Also so geht jedenfalls keine Politik, die Konsens sucht.

Am Ende wurden die Anträge dann nicht einmal mehr im Wirtschaftsausschuss behandelt. Augenscheinlich lag das daran, dass auch schon zu diesem Zeitpunkt die Anträge zu lange im Ausschuss waren. Jetzt haben wir die Anträge gute zwei Jahre. Nachdem Sie im Tiefschlaf waren, sind sie auch aus unserer Sicht leider immer noch auf dem gleichen Stand.

Ich empfehle, die Anträge abzulehnen. Das hat unter anderem mit Patentverwertung und Patentvermarktung mittels PPP zu tun. Ich empfehle die Enthaltung beim FDP-Änderungsantrag.

Noch ein Hinweis – ich komme zum Schluss –: Verwenden Sie gar nicht erst das Wort „technologieoffen“! Das ist verbrannt. Vectoring ist sozusagen die Technologie, die als technologieoffen angepriesen wird. Ansonsten kann man sich wenig darunter vorstellen. Natürlich muss Wissenschaft technologieoffen in ihrem Sinne sein, aber natürlich nicht nur frei von den Vorgaben einer Landesregierung, sondern sie muss auch von Drittmitteln frei sein und vom Bedarf bestehender Geschäftskonzepte. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Dass NRW von Ideen lebt, dass es darum geht, neue Produkte, neue Technologien, neue Dienstleistungen und soziale Innovationen nach vorne zu bringen, darüber sind wir uns hoffentlich alle hier im Raum einig. Damit unsere Innovationskraft aber wirklich hervorragend bleibt, brauchen wir diesen Wissensaustausch zwischen dem, was an den Hochschulen passiert, und dem, was in Unternehmen und Gesellschaft passiert.

Die Landesregierung unterstützt diesen Austausch mit erheblichen Mitteln. Besonders wichtig sind uns natürlich die Bedürfnisse der kleinen und mittleren Unternehmen, weil insbesondere diese Unternehmen häufig Probleme haben, bei den vielen Förderprogrammen, die es inzwischen gibt, den Überblick zu behalten.

Die umfangreichen Fördermöglichkeiten sowohl in den Bundesprogrammen und in den europäischen Programmen als auch in den Landesprogrammen könnten von den kleinen und mittleren Unternehmen noch besser genutzt werden. Das wollen wir unterstützen durch professionelle Beratung, so wie sie zum Beispiel in der vom Land geförderten Einrichtung Enterprise Europe Network geleistet wird.

Darüber hinaus bringt die Landesregierung mit der Initiative HochschulStart-up auch zahlreiche eigene Programme auf den Weg. Wir zielen darauf ab, das Know-how und die Innovationen aus unseren Hochschulen für die kleinen und mittleren Unternehmen besser zu erschließen. Wir wollen Gründungen aus der Hochschule unterstützen. Wir wollen den Wissens- und Technologietransfer verbessern und die Kooperation zwischen Hochschulen und Unternehmen stimulieren.

Meine Damen und Herren, der Antrag der FDP enthält zur Forschungsförderung des Mittelstandes Behauptungen, die von der Wirklichkeit nicht gedeckt sind. Er beklagt Probleme, die es nicht gibt, und schlägt Lösungen vor, die an der Zielgruppe vorbeigehen. Das haben die beiden Anhörungen ganz deutlich gezeigt.

Der Antrag der regierungstragenden Fraktionen ist deutlich zielführender. Er stellt die Bedürfnisse von Gründungswilligen und von Start-ups, von kleinen und mittleren Unternehmen in den Mittelpunkt, und er zeigt, wie der Werkzeugkasten des Landes in Sachen Forschungsförderung für Start-ups und kleine und mittlere Unternehmen sinnvoll ergänzt und weiterentwickelt werden kann.

Ich denke zum Beispiel an die wichtige Aufgabe, Forschungsergebnisse und Erfindungen systematisch zu sichern und wirklich effizient zu nutzen. Mit dem Patentverbund der NRW-Hochschulen PROvendis und den Hochschulpatentscouts spricht der Antrag wichtige Instrumente des Landes an.

Ein weiterer Aspekt ist, das Gründungspotenzial aus der Wissenschaft besser zu erschließen. Diese Aufgabe gehen wir unter anderem mit dem Programm Start-up Innovationslabore und dem Start-up Hochschulausgründungsprogramm an. Mit der Hilfe der Förderung können Forschungsergebnisse zu einem Geschäftskonzept weiterentwickelt und durch Gründung eines Start-ups wirtschaftlich umgesetzt werden.

Eine spezielle Förderung für den forschungsaffinen Mittelstand bieten zudem die Instrumente der Initiative „Mittelstand.innovativ!“, allen voran die vielfach nachgefragten Instrumente wie zum Beispiel der Innovationsgutschein, der die Kooperation zwischen KMU und Hochschule unterstützt und dort zu einem Wissenstransfer beiträgt.

Ich freue mich, dass jetzt auch die CDU dazu kommt, zu sagen, wir müssen Technologieoffenheit haben. Das war ja eine ganze Zeit lang umstritten. Ich würde mich freuen, wenn Sie zusätzlich noch wahrnehmen, dass es nicht nur um technologische Lösungen geht, sondern auch um soziale Innovationen, um Dienstleistungen, die unsere Gesellschaft voranbringen. Wenn Sie sich jetzt auch an den Grand Challenges, an diesen Fragen, orientieren – wie das Brüssel, wie das der Bund, wie das viele andere tun –, dann müssten Sie ja eigentlich „Fortschritt NRW“ auch unterstützen und nicht permanent fordern, dass dort gekürzt wird.

Meine Damen und Herren, mit dem Änderungsantrag zum Einzelplan 06, der ja gestern insgesamt mit dem Haushalt verabschiedet wurde, haben die Fraktionen von SPD und Grünen noch einmal sehr deutlich gemacht, welche Instrumente wir da brauchen. Sie haben die Bedeutung hervorgehoben.

Das zeigt ganz deutlich, dass die Landesregierung und die sie tragenden Mehrheitsfraktionen bei der Innovationsförderung an einem Strang ziehen. Es ist ein sehr starkes Signal, das SPD und Bündnis 90/Die Grünen dort noch einmal gesetzt haben. Eine gezielte Forschungsförderung für Gründungswillige und kleine und mittlere Unternehmen stärkt die Innovationskraft unseres Landes. Dass wir die Instrumente dafür immer weiterentwickeln, dass wir sie optimieren, dass wir sie bündeln, das versteht sich quasi von selbst.

Wir werden zu diesem Thema im Gespräch bleiben mit den Unternehmen, mit den Hochschulen und natürlich auch mit Ihnen hier im Landtag. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/4444. Der Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung empfiehlt in Drucksache 16/10438 unter Nummer 1, den Antrag abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag selbst und nicht über die Nummer 1 der Beschlussempfehlung.

Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piraten. Wer enthält sich? – Die CDU-Fraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 16/4444 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Wir kommen – zweitens – zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/10519. Wer möchte diesem Änderungsantrag zustimmen? – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer möchte sich enthalten? – Die CDU und die Piraten. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/10519 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ebenfalls abgelehnt.

Wir kommen – drittens – zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/5749. Der Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung empfiehlt in Drucksache 16/10438 unter Nummer 2, den Antrag in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über Nummer 2 der Beschlussempfehlung, nicht über den Antrag.

Wer also Nummer 2 der Beschlussempfehlung zustimmen möchte, bitte ich um das Handzeichen. – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und die Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis Nummer 2 der Beschlussempfehlung Drucksache 16/10438 angenommen und der Antrag Drucksache 16/5749 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses für Innovation, Wissenschaft und Forschung angenommen.

Ich rufe auf:

7   Investitionen und Unternehmensgründungen in Nordrhein-Westfalen: Subsidiarität stärken, Förderinstrumente verzahnen, Beratungsangebote an tatsächlichen Bedürfnissen der Unternehmen ausrichten!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8123

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschuss
für Wirtschaft, Energie, Industrie,
Mittelstand und Handwerk
Drucksache 16/10439

Ich weise darauf hin – auch das ist Ihnen zwischenzeitlich bekannt gegeben worden –, dass sich alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen darauf verständigt haben, die Behandlung des Antrags der Fraktion der CDU Drucksache 16/8123 auf die nächste Plenarsitzung im Januar 2016 zu verschieben. – Da sich kein Widerspruch dagegen erhebt, verfahren wir so.

Ich rufe auf:

8   Abschiebung in Verfolgung, Hunger, Kälte und Not stoppen – NRW muss die Abschiebung von Flüchtlingen in den Westbalkan über den Winter aussetzen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10297

Ich eröffne die Aussprache. Für die Piratenfraktion hat Frau Kollegin Brand das Wort.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! NRW schiebt Jahr für Jahr gnadenlos ab – Erlasse hin oder her und völlig egal, ob in 40 Grad ohne Wasser oder in minus 20 Grad ohne Heizung und Decke. Es gibt Leute, die sagen: Jetzt ist auch alles anders als in den vergangenen Jahren. Die Welt ist im Aufbruch.

Aber für die Menschen aus dem Westbalkan ist doch alles gleich. Die Situation vor Ort hat sich für die Abgeschobenen nicht geändert. Das hat doch gerade auch Ihr Kosovo-Kongress im Winter 2012 gezeigt. Es wurde von Traumatisierungen berichtet. Ein Kind erzählte, dass es im Leben nichts Schlimmeres als die Abschiebung erlebt hat. Es wurde von Rückkehr in ungeheizte Baracken ohne fließendes Wasser berichtet. Es gibt keine Perspektive auf Arbeit, keine Zukunft, nur Hoffnungslosigkeit und dazu offene Feindseligkeiten für die Rückkehrer und noch stärkere Repressionen.

In der Kommunikation der CDU und anderer Abschiebefreunde wird uns vorgetäuscht, dass unsere Systeme mit der Abschiebung in die sogenannten sicheren Herkunftsländer entlastet würden. Dabei kommen aktuell weniger als 2 % der Flüchtenden aus dem Westbalkan. Wir haben also keine Entlastung für die Gesellschaft, aber für jeden einzelnen Abgeschobenen eine menschliche Katastrophe. Abschiebungen sind grundsätzlich immer schrecklich und abzulehnen.

(Beifall von den PIRATEN)

Noch unmenschlicher und grausam wird es aber, wenn in die Kälte des Winters abgeschoben wird.

Meine Damen und Herren, wo soll denn die Reise hingehen? Wo sehen Sie in dieser globalisierten Welt Deutschland in fünf Jahren? In einer Welt, in der jeder mit jedem kommunizieren und Handel treiben darf, nur sich frei bewegen und arbeiten darf man nicht, wie es seit vielen Jahrhunderten während der Völkerwanderung geschehen ist? Wollen Sie die Festung Deutschland? – Ich denke nicht.

Fassen Sie sich ein Herz und vergessen Sie auch in diesen Zeiten der wahrlich großen Herausforderungen nicht die Menschen, die nichts für die dramatische Situation im Rest der Welt können!

Wir haben aktuell erfahren, dass es wohl morgen, an einem muslimischen Feiertag, vom Düsseldorfer Flughafen aus Abschiebungen von Menschen in den Kosovo geben soll.

Mit diesem Ausblick wünsche ich Ihnen besinnliche und frohe Feiertage in Ihren sicherlich warmen Wohnungen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Brand, ich hatte eigentlich vor, mit der einleitenden Bemerkung zu beginnen, dass es Anträge gibt, deren Symbolcharakter einem gefällt und die man trotzdem ablehnen muss, während man sich über politische Initiativen mit einem unsäglichen Symbolcharakter ärgert, die von anderer Seite des Hauses an uns herangetragen werden.

Allerdings waren Ihre Worte – in Anbetracht der konkreten Art und Weise der in Nordrhein-Westfalen gelebten Praxis bei der Rückführung von Menschen – nach meinem Dafürhalten ein wenig unangemessen und sind dem Ernst der Lage der Menschen, denen Sie, denen wir helfen wollen, nicht gerecht geworden. Insoweit glaube ich, man muss bei aller Ernsthaftigkeit, wie man hier mit dem Thema umgeht, gerade wenn man betroffen ist, bei seiner Wortwahl etwas vorsichtiger sein. Ich fand das eine oder andere Ihres Beitrags – vorsichtig ausgedrückt – etwas übertrieben,

(Zuruf von den PIRATEN: Was kann daran übertrieben sein?)

weil wir uns in vielen Punkten durchaus mit Ihrem Anliegen, Ihren Gedanken identifizieren können. Aber wir reden nicht nur darüber, sondern in Nordrhein-Westfalen wird an der Stelle vieles getan.

Die Praxis in Nordrhein-Westfalen – in vielen Ausländerbehörden, aber auch im Bereich der Landesregierung – respektiert durchaus die humanitär schwierige Situation im Einzelfall und wird ihr in aller Regel gerecht.

Dabei gehen auch wir davon aus, dass die Lebenssituation von vielen Roma, Ashkali und Ägyptern in ihren Herkunftsländern, insbesondere in den sogenannten Westbalkanstaaten, in den Blick genommen werden muss.

Auch ich teile Ihre Ansicht, dass sich insbesondere in den Ländern Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien trotz der Klassifizierung als sichere Herkunftsländer noch dadurch besondere Schwierigkeiten bei der Rückführung für die betroffenen Menschen ergeben, als dort viele Menschen ausgegrenzt, gesellschaftlich geächtet und in einer unbarmherzigen Art und Weise von der Gesellschaft behandelt werden.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Ganz genau!)

Dies ergibt jedoch nach geltender Rechtsprechung und aufgrund unserer Rechtslage trotz und alledem noch keine dauerhafte Aufenthaltsperspektive in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb muss man im Einzelfall bei der Rückführung bzw. bei der Abschiebung mit aller gebotenen Sensibilität vorgehen.

Was von Ihnen generell als ablehnungswert empfunden wird, können wir jedoch nicht teilen. Wir haben uns gestern in einem anderen Zusammenhang über die Abschiebung als Ultima Ratio unterhalten. Auch wir ziehen alle anderen Formen der Rückkehr vor, aber das geht nicht in jedem einzelnen Fall. Daher kann ich Ihrer Ansicht nicht beipflichten, dass man Abschiebungen insgesamt ächten muss.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Sie müssen nicht abschieben!)

Man muss allerdings alle infrage kommenden humanitären Aspekte berücksichtigen. Ich bin mir sicher, dass dies in Nordrhein-Westfalen getan wird. Ich verweise in diesem Zusammenhang insbesondere auf den Sensibilisierungserlass, der bei uns immer noch geltende Praxis darstellt und der von der anderen Seite in diesem Haus vielfach diskreditiert wird.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Sagen Sie uns doch mal, wie der angewendet wird! Wir haben keine Zahlen! Nichts!)

Lassen Sie mich das zum Anlass nehmen, noch ein paar Worte zum sogenannten „Aktionsplan Rückkehr“ zu verlieren. Schon die Bezeichnung finde ich ausgesprochen schwierig. Darin wird in einer Art und Weise über humanitäre Aspekte hinweggewischt, dass man hier von Symbolpolitik – allerdings von einer sehr negativen Symbolpolitik – sprechen muss.

Ich komme auf Punkt 6 des CDU-Positionspapiers zurück. Da steht wörtlich in der Überschrift: „Landesregierung muss abschiebungshinderliche Erlasse zurücknehmen“. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, an dieser Stelle vermitteln Sie den fatalen Eindruck, als sei die Abschiebung im Landesinteresse und im Interesse der Menschen wünschenswert. Ich finde das abscheulich und ekelerregend.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Frank Herrmann [PIRATEN]: Das hat nichts mehr mit unsrem Antrag zu tun! – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich darf zum Abschluss allerdings noch darauf hinweisen, dass die Instrumente „Winterabschiebeerlasse“ und „Abschiebestopps“, wenn ich richtig informiert bin, derzeit in keinem einzigen Bundesland mehr Anwendung finden.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das erklären Sie mal den Bürgermeistern! – Simone Brand [PIRATEN]: Das ist schlimm genug!)

Selbst der thüringische Ministerpräsident Ramelow hat sich nach meinen Informationen eindeutig geäußert.

Ich bin durchaus an Ihrer Seite, wenn es darum geht, humanitäre Aspekte zu berücksichtigen, und zwar ganzjährig. Auf der anderen Seite muss ich schon aus Vernunftgründen sagen: Eine generelle Ächtung der Abschiebung als Ultima Ratio ist mit uns nicht zu machen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Im Winter schon! Nordrhein-Westfalen hat es schon gemacht und kann es wieder machen!)

Insoweit werden wir bei aller Sympathie für die Einbeziehung von humanitären Aspekten Ihrem Ansinnen leider nicht zustimmen können. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Körfges. – Als nächster Redner kommt Herr Kollege Kuper für die CDU-Fraktion zum Pult.

André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Maßnahmen im Asylrecht betreffen Menschen mit sehr unterschiedlichen Biografien und sehr unterschiedlichen Lebenswegen.

Wir werden mit dem Grundrecht auf Asyl und den Asylgesetzen vielen Menschen helfen können. Zur Wahrheit gehört aber dazu, dass dies nicht für alle gilt. „Asyl- und Flüchtlingspolitik“ heißt auch, unterschiedliche Schicksale unterschiedlich zu behandeln. Bei uns ist dies in Form eines rechtsstaatlichen Verfahrens mit mehrfacher Möglichkeit der Überprüfung absolut gewährleistet.

Genauso gehört es dazu, dass die negativen Entscheidungen in einem staatlichen und rechtskräftigen Verfahren mit der notwendigen Konsequenz umgesetzt werden. In diesem rechtsstaatlichen Verfahren wird in mehreren Stufen immer wieder überprüft, ob ein Schutzrecht vorliegt. Selbst wenn der Asylantrag abgelehnt ist, wird noch die Duldung überprüft und gefragt: Was steht einer Rückführung entgegen?

Angesichts der Dynamik der aktuellen Flüchtlingszahlen, die in diesem Jahr zwischen 1 Million und 1,3 Millionen Flüchtlingen zu uns bringt, ist es wichtig, dass diejenigen, die bei uns Schutz suchen, eine vernünftige Unterbringung bekommen. Dazu gehört es aber auch, dass schließlich Recht und Gesetz umgesetzt werden, und dass diejenigen, die einen ablehnenden Bescheid erhalten haben, wieder in ihre Heimatländer zurückgeführt werden.

Wenn Sie tagtäglich vor Ort mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen sowie den Hilfsorganisationen im Gespräch sind, wissen Sie, dass da in der Praxis gesagt wird: Rechtskräftig Abgelehnte nehmen Flüchtlingen in großer Not die wenigen noch verfügbaren Plätze weg.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das stimmt doch nicht! – Weitere Zurufe)

Das kann nicht sein, und das können wir auch nicht durchgehen lassen.

(Beifall von der SPD – Frank Herrmann [PIRATEN]: Das müssen Sie nicht unterstützen! – Zuruf von der SPD: Grober Unfug!)

Sie haben vorhin gesagt, es kämen kaum noch welche zu uns. Wenn Sie in die BAMF-Statistik hineinschauen, sehen Sie: Im Zeitraum Januar bis November dieses Jahres wurden 400.000 Menschen erfasst. Immerhin rund 110.000 Menschen sind aus dem Demokratien des Westbalkans und den sicheren Herkunftsländern zu uns gekommen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das sind aber für diese Menschen keinen sicheren Herkunftsländer! Für die Roma stimmt das nicht! Für die Ashkali auch nicht!)

Sie sind ohne eine Bleibeperspektive, weil 99 % dieser Anträge abgelehnt werden. Bei diesen immensen Flüchtlingszahlen und angesichts von Kommunen, die an der Belastungsgrenze mehr als angekommen sind – der Innenminister bekommt täglich neue Überlastungsanzeigen auf den Tisch –,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das kann kein Argument sein!)

ist es wichtig, dass alle diejenigen, die kein Recht auf Asyl oder Flüchtlingsschutz haben, in die Heimat zurückkehren. Insofern wäre in einer solchen Situation der Winterabschiebeerlass ein verheerendes Zeichen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Kuper, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

André Kuper (CDU): Ich möchte zu Ende sprechen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage, bitte.

André Kuper (CDU): Die Bundesregierung hat für diese Menschen auch legale Zuwanderungswege eröffnet, die anstelle des aussichtslosen Weges über das Asylrecht beschritten werden können.

Ich meine: Die derzeitige Lage erfordert ein Herz für alle, die Schutz und Hilfe brauchen, aber auch klaren Verstand bei denjenigen, die keine Aussicht auf Asyl haben. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Die C- Parteien! – Gegenruf von der CDU: Ja, ja, ja! – Weitere Zurufe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Kollege Kuper. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir finden auch, dass die Gründe, warum Menschen aus den Westbalkanländern fliehen, menschlich nachvollziehbar sind. Insbesondere für Angehörige von Minderheiten sind die Lebensbedingungen in den Westbalkanländern sehr schlecht. Diskriminierungen sind an der Tagesordnung. Sie sind nicht flächendeckend in die Gesellschaft integriert.

Ja, das ist alles richtig. Aber wir können diese Problemlage, die dort herrscht – das gehört auch zur Wahrheit dazu, Frau Kollegin Brand –, nicht mit unserem Asylrecht lösen. Das ist so.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP] – Simone Brand [PIRATEN]: Das habe ich nicht gesagt!)

Die Verweigerung von Realitäten und von Wahrheiten hilft diesen Menschen letztendlich auch nicht weiter. Nach unserem Asylrecht hat diese Zielgruppe so gut wie keine Chance, hier eine Anerkennung als Flüchtling zu bekommen. Ihnen zu suggerieren, das gehe schon irgendwie und klappe schon irgendwie, hilft ihnen nicht weiter.

Neulich hatte ich hier vor dem Landtag eine Begegnung mit einigen Hundert Roma-Flüchtlingen. Ich habe offen mit ihnen über die Sache gesprochen. Es ist richtig, offen mit ihnen zu sprechen und ihnen zu sagen, wie man ihre individuelle Problemlage, die ich nicht leugne, lösen kann.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Der letzte Wintererlass ist von den Grünen beantragt worden! Da hat sich anscheinend etwas geändert!)

Da haben wir im Moment drei Ansätze.

Für das, was wir Grüne parteipolitisch fordern, gibt es in diesem Land leider keine politischen Mehrheiten. In unserem Parteiprogramm fordern wir die Aufnahme eines jährlichen Kontingents von Roma aus den Balkanländern. Ich finde, dass es uns angesichts unserer Geschichte gut anstünde,

(Beifall von den GRÜNEN)

hier solche Kontingente von einigen Tausend Menschen aufzunehmen. Das ist derzeit politisch nicht umsetzbar.

Was wir aber umsetzen konnten und was gerade auch für diese Zielgruppe relevant ist, ist die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete. Gerade für diese Menschen, die zehn und teilweise über 15 Jahre in Deutschland geduldet sind, konnten wir mit den grün mitregierten Ländern eine Bleiberechtsregelung durchsetzen.

Außerdem haben wir bei dem letzten Asylkompromiss einen Einwanderungskorridor für die Westbalkanländer geschaffen. Das möchte ich hier auch nicht kleinreden; denn das ist im Grunde der Einstieg in eine gesteuerte Zuwanderung jenseits des Asylrechts, das ja diesen Menschen nicht weiterhilft. Dieser Einwanderungskorridor ist nicht befristet und nicht an eine Höhe des Verdienstes gebunden. Jeder, der einen Arbeitsplatz mit Tariflohn vorweisen kann, hat einen regulären Einwanderungsanspruch. Das ist ein Paradigmenwechsel. Hier wird in ein neues Einwanderungsrecht umgedacht.

Auf Landesebene – das möchte ich noch einmal betonen; Kollege Körfges hat schon darauf hingewiesen – haben wir mehrere Erlasse auf den Weg gebracht – nicht nur einen Erlass, sondern mehrere Erlasse; neben dem sogenannten Sensibilisierungserlass auch noch andere Erlasse –, die die Ausländerbehörden auffordern, in humanitären Einzelfällen alles zu versuchen: Abschiebehindernisse zu identifizieren, Härtefälle zu berücksichtigen, die Trennung von Familien zu vermeiden, bei Krankheiten genau hinzuschauen usw.

(Beifall von den GRÜNEN – Frank Herrmann [PIRATEN]: Wissen Sie, wie diese Erlasse angewendet werden? Wissen Sie das?)

Zielstaatsbezogene Abschiebehindernisse werden ja durch das BAMF geprüft; aber weitere Abschiebehindernisse sind hier sehr sorgfältig zu prüfen.

Außerdem haben wir – das gehört auch zum fairen Umgang mit diesen Menschen – die Rückkehrberatung ausgebaut. Ja, ich finde es richtig, dann, wenn bei Flüchtlingen von Anfang an klar ist, dass es keine Perspektive gibt, auch ganz klar zu sagen, wie wir Brücken zurück in ihre Herkunftsländer bauen, damit sie dort nicht vor nicht dem Nichts stehen und damit sie nicht zwangsweise abgeschoben werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das hat nämlich eine Wiedereinreisesperre zur Folge. Der Weg, dann mal wieder über ein Visum hier einreisen zu können, ist mit einer zwangsweisen Rückführung ja auch verhindert. Es ist also humanitär und fair, hier eine Rückkehrberatung zu finanzieren und zu organisieren.

Aus meiner Sicht ist es auch falsch verstandene Humanität, den Menschen Dinge vorzumachen, die am Ende in zig Schleifen münden, aber nicht in ein Bleiberecht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Düker, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Brand?

Monika Düker (GRÜNE): Im Moment möchte ich zu Ende ausführen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage.

Monika Düker (GRÜNE): Ein ehrlicher und fairer Umgang mit diesen Menschen und das Ausschöpfen aller rechtlichen Möglichkeiten in humanitären Einzelfällen – das ist Ziel unserer rot-grünen Politik.

An dieser Stelle möchte ich ganz klar etwas ansprechen, was im Petitionsausschuss gerade spürbar ist und was ich aktuell auch wieder mit sehr problematischen Abschiebesituationen in Verbindung bringe. Insbesondere der Landrat des Märkischen Kreises – ich nenne ihn hier auch konkret; Sie haben diesen Fall vielleicht mitbekommen, Herr Innenminister – tut sich nicht gerade damit hervor, diese Erlasse, die Sie herausschicken, dann auch anzuwenden und ernst zu nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Es kann nicht sein, dann, wenn es positive Empfehlungen der Härtefallkommission gibt und wenn der Petitionsausschuss mit total engagierten Kolleginnen und Kollegen – denen ich hier noch einmal ausdrücklich für ihren Einsatz danken möchte – Verfahren laufen hat, einfach vollendete Tatsachen zu schaffen und an diesen Gremien vorbei die Menschen ins Elend abzuschieben. Das kann auch nicht sein.

Hier fordere ich insbesondere die Landräte und die Ausländerbehörden auf, diese Erlasse ernst zu nehmen

(Beifall von den GRÜNEN und Frank Herrmann [PIRATEN])

und die Arbeit dieser Gremien ebenfalls ernst zu nehmen.

Ich bitte den Innenminister dringend, mit Nachdruck in den Kommunen vorzutragen,

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

dass es hier nicht darum geht, Menschen gar nicht abzuschieben, sondern darum, im humanitären Einzelfall auch für eine humanitäre Lösung zu stehen. Dafür haben wir Instrumente. Sie sollten dann auch angewandt werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Düker. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit dem Hinweis beginnen, dass wir uns gerade dann, wenn wir hier über ein so sensibles Thema sprechen, auch überlegen sollten, wie wir hier miteinander umgehen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wenn man weiß, wie sehr sich beispielsweise jemand wie der Kollege Kuper nicht nur hier im Land, sondern auch auf Reisen – wir waren zusammen mit der evangelischen Kirche unterwegs; er war auch an anderer Stelle unterwegs – dafür einsetzt, Lösungen zu finden, wie wir dieses sensible Thema handhaben können, dann sollte man mit allen Vorwürfen wie „rechte Ecke“, „Rechtspopulismus“ und sonst etwas ganz besonders vorsichtig sein.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir haben alle gemeinsam die Verantwortung, diese Rechtspopulisten außerhalb dieses Saales zu halten. Dafür müssen wir gemeinsam arbeiten.

Es geht hier um einen ganz sensiblen Bereich; das ist völlig richtig. Abschiebung ist immer ein ganz schwieriges Thema. Wir wissen aber auch, dass diejenigen, die abgeschoben werden, die zurückgeführt werden, vorher auch die Aufforderung bekommen haben, freiwillig das Land zu verlassen, weil ihr Bleiberechtsstatus hier nicht mehr existiert. Das heißt, es ist vorher die Aufforderung gekommen, das Land zu verlassen, und dem ist nicht Folge geleistet worden. Dann kommt es in der Folge zur Abschiebung. Dass das trotzdem, beispielsweise für Kinder, sehr hart sein kann, ist überhaupt keine Frage.

Nichtsdestotrotz wissen wir aber auch, in welcher Situation die Bundesrepublik Deutschland und wir in Nordrhein-Westfalen uns im Moment befinden. Ich habe heute bereits gesagt, dass wir weiter mit sehr hohen Zugangszahlen konfrontiert sind.

Wenn wir weiter unserer humanitären Verantwortung gerecht werden wollen, wenn wir auch weiterhin Kriegsflüchtlinge aus Syrien vernünftig unterbringen wollen, dann werden wir denjenigen, die nach unserem Asylrecht keine Bleibeperspektive haben, eben keinen dauerhaften Aufenthalt ermöglichen können. Das ist hart, aber das ist so.

Das muss dann auch konsequent umgesetzt werden. Dazu hat es Verabredungen auf Bundes- und Länderebene gegeben. Ich habe jetzt noch einmal nachgefragt, wie sich das Ganze ausgewirkt hat; vielleicht kann der Innenminister dazu gleich noch etwas sagen. Was mich, ehrlich gesagt, stört, ist, dass Sie nach wie vor nicht in der Lage sind, uns in der Mitte des jeweiligen Folgemonats zu sagen, wie viele Rückführungen es zum Beispiel im November – nach dem Bund-Länder-Kompromiss – gegeben hat. Wir möchten ja gerne wissen, wie das Ganze greift und funktioniert.

Also: Es ist ein ganz schwieriges Thema. Gleichwohl ist mir bei dem, was die Kollegin Düker vorhin im Zusammenhang mit unterschiedlichen Bleibeperspektiven und dem Einwanderungsrecht ausgeführt hat, aufgefallen, dass es sich jetzt wirklich noch einmal lohnen würde – das ist mein Appell, ich habe es heute Morgen schon erklärt –,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja, im Unterschied zu Herrn Körfges!)

die Beschlusslagen nebeneinanderzulegen und zu vergleichen.

Wenn die Bundesregierung nicht in der Lage ist, das Asylsystem – gerade mit Blick die hohen Zahlen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – in den Griff zu bekommen, wenn sie sich für den falschen Weg entscheidet – nämlich wiederum für Individualverfahren, anstatt auch Gruppen insgesamt aus den Verfahren herauszunehmen –, dann sollte das Land Nordrhein-Westfalen mit einer gemeinsamen Bundesratsinitiative vorweggehen und versuchen, hier etwas auf den Weg zu bringen. Wir sind dazu bereit. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich dem anschließen könnten.

Um noch einmal zum Anliegen der Piraten zurückzukommen: Ich weiß auch um die Situation der Roma. Ich bin erst im letzten Monat von Istanbul aus über Bulgarien und Mazedonien nach Serbien gefahren und habe mir dort verschiedene Situationen angesehen. Ich weiß um das Problem; Frau Düker hat es auch eben angesprochen.

Wir sind in der Verantwortung, dass der größten Minderheit innerhalb der EU geholfen wird. Aber das ist eine gemeinsame Anstrengung, die die EU leisten muss. Diese Hilfe ist nicht gewährleistet, wenn wir Familien suggerieren, dass es eine immer weiter fortschreitende Schleife gibt von einigen Monaten Duldung, dann vielleicht einem Winterabschiebestopp, dann geht es wieder zurück, und dann kommt der Folgeantrag.

Dass wir aus diesem Kreislauf heraus tatsächlich eine Weiterentwicklung für die Minderheit der Roma generieren könnten, wird nicht funktionieren; da muss man dann ehrlich sein. Man muss möglicherweise zu einem anderen Zeitpunkt kontingentieren; Frau Düker hat es vorhin auch erwähnt.

Es ist vor allem an der EU, sich dieser Aufgabe zu stellen und auch den Ländern des Westbalkans eine klare Ansage zu machen, dass es einen EU-Beitritt nur dann geben kann, wenn die Minderheitenrechte in den entsprechenden Ländern gesichert sind. Diesen Weg sollten wir gemeinsamen gehen, anstatt hier Dinge zu suggerieren, die wir letztendlich nicht erfüllen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Roma werden nach wie vor in vielen ihrer Heimatländer diskriminiert; das steht außer Frage. Sie sind oftmals in einer prekären Lebenssituation. Sie sind abgeschnitten von staatlichen Leistungen wie Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt, gesundheitlicher Versorgung; das ist auch ohne Zweifel. Das ist eine unbefriedigende Situation. Ich finde es unwürdig für Staaten, die Mitglied der Europäischen Union werden wollen, wie sie mit der Minderheit der Roma umgehen. Das ist unwürdig!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Liebe Frau Brand, wir sprechen mittlerweile über den vierten Antrag zu einem Winterabschiebestopp seit Ende 2013.

(Simone Brand [PIRATEN]: Die sind schon den vierten Winter hier!)

Diese Anträge haben bisher alle dasselbe Schicksal ereilt; das wird sich, glaube ich, auch heute nicht ändern. Das geschieht nicht aus mangelndem Verständnis für den Inhalt solcher Anträge – ganz im Gegenteil! Aber die mangelnde Integration der Volksgruppe Roma in die Mehrheitsgesellschaften ist eben nicht nur auf die Staaten des westlichen Balkans beschränkt. – Herr Dr. Stamp, ich gebe Ihnen ausdrücklich einmal recht: Es handelt sich um eine gesamteuropäische Problematik. Diese kann nur gelöst werden, indem sich die Lebenssituation in den Herkunftsländern nachhaltig verbessert. Nur so lässt sich das ändern.

Rechtlich ist die Situation völlig klar; ich kann mich da nur wiederholen. Die Frage der Zumutbarkeit von Lebensverhältnissen in den Herkunftsländern wird alleine durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen des Asylverfahrens geprüft. In diesem Rahmen hat jeder Asylbewerber ein Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren, das auch gerichtlich überprüft werden kann.

Unsere kommunalen Ausländerbehörden sind an die Beurteilungen des BAMF gebunden; sie dürfen die Bewertungen des BAMF nicht durch eigene Einschätzungen ersetzen. Die Ausländerbehörden prüfen aber in jedem Einzelfall, ob einer Abschiebung rechtliche oder tatsächliche Hinderungsgründe entgegenstehen. Ein solches Hindernis kann beispielsweise die nicht vorhandene Reisefähigkeit sein.

Frau Brand, wir alle wissen, dass gerade in den Ländern des Westbalkans viele Menschen gezielten Fehlinformationen von Schlepperorganisationen zum Opfer gefallen sind. Sie haben Versprechungen Glauben geschenkt, die völlig irreal waren. Sie haben zum Teil ihr letztes Geld dafür aufgewandt, ihre Reise nach Deutschland zu organisieren und zu finanzieren. Ich finde, wir sind es diesen Menschen schuldig, die keine Chance auf ein Bleiberecht in Deutschland haben, sie aufzuklären und die Unsicherheit durch klare und zügige Entscheidungen zu beseitigen.

Die Realität im Westbalkan sieht allerdings anders aus. Die Chance für Asylsuchende aus den Staaten des westlichen Balkans auf Anerkennung tendiert gegen null.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Weil wir die Länder auch zu sicheren Herkunftsländern erklärt haben, was sie nicht sind!)

Die Informationskampagnen, die die Länder und der Bund in den Herkunftsländern zwischenzeitlich geschaltet haben, zeigen Wirkung. Die Flüchtlingszahlen aus den Westbalkanländern sind gegenüber dem Frühsommer deutlich rückläufig.

Zurzeit beträgt der Anteil der Flüchltinge aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten des Westbalkans unter 2 %. Ein Abschiebestopp würde, selbst, wenn er rechtlich zulässig wäre, ein völlig falsches Signal setzen und diese Zahlen wieder deutlich erhöhen. Es würde den Menschen, die sich bereits in Deutschland befinden, im Übrigen auch die falsche Hoffnung machen, hier vielleicht doch eine Chance auf Anerkennung zu bekommen.

Ich kann daran nichts Menschliches erkennen, Flüchtlinge in ihren falschen Hoffnungen zu bestätigen und sie dann ein paar Wochen später trotzdem schnell zurückzuführen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Holger Ellerbrock [FDP]: Richtig!)

Ich finde, es ist allen Beteiligten gegenüber sehr viel ehrlicher und sehr viel fairer, wenn direkt deutlich wird, dass das Asylverfahren für diese Menschen kein erfolgversprechender Weg ist.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Wir brauchen in Deutschland ein Einwanderungsgesetz, das es diesen Menschen ermöglicht, hierher einen Zugang zu finden. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/10297 beantragt. Wer stimmt dem Inhalt des Antrags zu? – Die Fraktion der Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Die SPD, die Grünen, die CDU und die FDP. Gibt es Enthaltungen im Hohen Hause? – Enthaltungen sind nicht erkennbar. Damit ist der Antrag Drucksache 16/10297 mit breiter Mehrheit im Hohen Hause abgelehnt.

Ich rufe auf:

9   Integriertes Wertstoffgesetz praxistauglich und ökologisch gestalten

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10418

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Meesters das Wort.

Norbert Meesters (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut ein Vierteljahrhundert nach ihrer Einführung stehen wir an dem Punkt, die sogenannte Gelbe Tonne in ihrer heutigen Form neu zu bewerten.

Das Bundesumweltministerium hat im Oktober dieses Jahres einen Arbeitsentwurf für ein Wertstoffgesetz vorgelegt, der aus unserer Sicht einige gute und wichtige Punkte enthält, darunter etwa die Umwandlung der sogenannten Gelben Tonne zu einer echten Wertstofftonne. Aber dieser Arbeitsentwurf ist nicht rund. In Teilen besteht dringender Änderungsbedarf, weil zum Beispiel nicht die richtigen Konsequenzen aus der Bewertung des dualen Systems gezogen werden.

Mit dem vorliegenden Antrag haben wir als Koalitionsfraktionen dargelegt, welche Punkte aus unserer Sicht bei der Neufassung des Wertstoffgesetzes wichtig sind und was geändert werden muss. Das ist zum einen die kommunale Zuständigkeit. Die Kommunen sind die zentralen Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger bei der Abfallentsorgung. Abgesehen von der Erfassung des Verpackungsmülls sind sie schon heute für alle anderen Bereiche der Abfallentsorgung zuständig.

Die derzeit vorherrschenden Mischzuständigkeiten sorgen für Unübersichtlichkeit. Deshalb lehnen wir sie ab und setzen uns dafür ein, dass sie beim neuen Wertstoffgesetz vermieden werden. Das Ziel ist ein bürgernah organisiertes und transparentes Erfassungs- und Verwertungssystem, das Wertstoffe wie Verpackungen und stoffgleiche Nichtverpackungen gemeinsam erfasst. Wir fordern deshalb folgerichtig eine Ausweitung der Verantwortlichkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger auch für die Sammlung der Verpackungsabfälle. Bevor hier etwas missverstanden wird, füge ich noch hinzu: Die Privatwirtschaft soll weiterhin für die Sortierung und Verwertung des Abfalls zuständig sein.

Neben den organisatorischen Fragen bei den Zuständigkeiten geht es aus unserer Sicht bei der Neufassung des Wertstoffgesetzes vor allem auch um die Ressourceneffizienz. Ziel muss es sein, einen möglichst nachhaltigen Umgang mit Wertstoffen im Sinne der bekannten fünfstufigen Abfallhierarchie zu erzielen. Ich nenne die fünf Stufen in diesem Zusammenhang noch einmal: Vermeidung, Wiederverwertung, Recycling, sonstige Verwertung, zum Beispiel Verbrennung und Beseitigung.

Daher halten wir einen integrierten Ansatz für sinnvoll, der Ressourceneffizienz und damit einhergehend eine umfassende Ressourcenwirtschaft zum Leitgedanken hat, die alle Bereiche ambitioniert angeht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen mit dem Wertstoffgesetz auf Bundesebene nun vor der Möglichkeit, die Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren. Denn machen wir uns nichts vor: Das bestehende Duale System hat versagt. Es funktioniert nicht und kommt dem Ziel der Verwertung von Verpackungsmaterialien überhaupt nicht nahe. Das ist alles andere als nachhaltig im Sinne der Kreislaufwirtschaft.

Daher ist als Konsequenz die Abschaffung des dualen Systems in einem neuen Entwurf des Wertstoffgesetzes absolut notwendig. Mit dieser Schlussfolgerung stehen wir nicht allein da. Der beschlossene Entschließungsantrag von CDU, SPD und Grünen im niedersächsischen Landtag vom 14.12. dieses Jahres zu einem Antrag der CDU, der – etwas verkürzt – lautete: „Duale Systeme abschaffen ...“ geht in die gleiche Richtung. Wir müssen nun gemeinsam mit anderen Bundesländern die Gelegenheit wahrnehmen, dieser Forderung das nötige Gewicht zu verschaffen, damit sie in das Bundesrecht einfließen kann.

Ich denke, es ist klar geworden, wie wir uns ein neues Wertstoffgesetz vorstellen und welche Bedingungen es unserer Auffassung nach erfüllen muss. Ich nenne hier noch einmal die für uns wesentlichen Punkte: a) die Einführung der Wertstofftonne, b) die Organisationshoheit der Kommunen bei Erfassung und Sammlung von Wertstoffen und damit verbunden die Abschaffung des dualen Systems, c) die Einrichtung einer zentralen öffentlich-rechtlichen Stelle zu Vollzug und Kontrolle der Wertstoffsammlung; darüber hinaus eine Erhöhung der Recyclingquoten im Sinne der Ressourcenschonung mit einem integrierten Ansatz sowie eine Erweiterung der Produktverantwortung der Hersteller und Vertreiber.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, freue mich auf die weitere Beratung im Fachausschuss und wünsche Ihnen an dieser Stelle frohe Festtage. Kommen Sie gut ins neue Jahr. – Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Meesters. – Für die grüne Fraktion spricht nun Herr Kollege Markert.

Hans Christian Markert (GRÜNE): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht ganz einfach, so kurz vor dem Grande Finale, kurz vor Weihnachten, bei einem etwas drögen Thema wie dem Wertstoffgesetz Begeisterungsstürme hervorzurufen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das wird Ihnen gelingen! – Heiterkeit bei Jochen Ott [SPD])

Ich will zumindest versuchen, Ihnen die schwierige Materie ein bisschen nahezubringen. Zu Weihnachten ist es bei uns ein guter Brauch, Geschenke auszutauschen. Diese sind meistens aufwendig verpackt. Bei uns macht das meistens meine Frau, weil ich das nicht so gut kann.

(Jochen Ott [SPD]: Du gibst dir nur keine Mühe! – Minister Johannes Remmel: Du willst es bloß nicht! – Lukas Lamla [PIRATEN]: Schatz, machst du das mal? Ich kann das nicht!)

Wenn man diese schönen Geschenke ausgepackt hat, sind sie in der Regel auch noch umverpackt, und Umverpackung ist meist ein schönes Wort für Kunststoffverpackung. Diese Kunststoffverpackungen fliegen dann in den Gelben Sack oder in die Gelbe Tonne.

Seit vielen Jahren sortieren wir nun schon in Deutschland unseren Müll, waschen unsere Joghurtbecher und werfen sie dann in den gelben Sack oder in die gelbe Tonne.

Anders aber als viele Bürgerinnen und Bürger und vielleicht auch einige von Ihnen denken, wandert der Großteil von dort aus nicht in die stoffliche Aufbereitung und Wiederverwendung, sondern zu einem überwiegenden Teil in die Öfen der Müllverbrennungsanlagen; thermische Verwertung heißt das dann im Fachjargon. Dabei sehen die europäischen Abfallrechtsvorgaben doch eine Stärkung der stofflichen Verwertung, also der Kreislaufidee, vor. Längst sind unsere Abfälle – gerade auch die Abfälle mit dem berühmten grünen Punkt – als Wertstoffe wertvolle Rohstoffe der Zukunft.

Umso gespannter – nicht nur vor Weihnachten – durfte nun das Ergebnis des langen Beratungsprozesses um ein neues Wertstoffgesetz des Bundes erwartet werden. Schon die im Sommer vorgelegten Eckpunkte der Großen Koalition in Berlin bestärkten jedoch diejenigen, die den Lobbyisten des dualen Systems großen Einfluss zumindest auf Teile der Bundesregierung bescheinigten. Und das Schlimme an diesem dualen System ist, dass es eigentlich gar nicht so wundervoll dual ist. Vielmehr ist es, was die Verteilung der Mittel und vor allem die Einnahmeseite angeht, ziemlich einseitig.

Was uns nun aber der Entwurf eines neuen Wertstoffgesetzes im Oktober offenbarte, bleibt weit hinter den Erwartungen zurück.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: So ist das!)

Er ist als politisches Weihnachtsgeschenk völlig durchgefallen und eher ein Entwurf für die Altpapiersammlung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Arbeitsentwurf der Bundesregierung treibt die einseitige Privatisierung der Wertstoffentsorgung voran. Gemäß dem Entwurf sollen Sammlung, Sortierung und Verwertung von Verpackungen und stoffgleichen Nichtverpackungen vollständig den Systembetreibern übertragen werden.

Den Kommunen, die gemeinsam mit ihren öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern von den Bürgerinnen und Bürgern bei allen Fragen der Abfallentsorgung als zentrale Ansprechpartner gesehen werden, verbleiben nach dem Entwurf der Bundesregierung lediglich schwache und rechtlich kaum durchsetzbare Handlungsmöglichkeiten, und das Risiko steigender Müllgebühren liegt weiterhin bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Übrigens – Kolleginnen und Kollegen von der FDP sind ja auch noch da – lehnen auch viele private Entsorgungsunternehmen die Fortschreibung des bisherigen Systems der Verpackungsverordnung ab. Sie fordern eine einfache und effiziente Weiterentwicklung der Wertstofferfassung und setzen auf die Kooperation mit den Kommunen. Gemeinsam ließe sich auch die verpflichtende Einführung einer Wertstofftonne zur Sammlung aller wichtigen Wertstoffe unter Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten bewerkstelligen. – So die privaten Entsorger.

Die Regelungen zur Stärkung der Produktverantwortung in diesem Gesetzentwurf sind bei Weitem nicht ausreichend und haben nur appellativen Charakter. Durch die weitgehende Unbestimmtheit der Definition der stoffgleichen Nichtverpackung werden Fehlanreize gesetzt, und das Setzen von Rechtsfolgen wird erschwert. Das Festhalten am dualen System bzw. sogar dessen Stärkung macht eine zukunftsfähige und damit nachhaltige Wertstoffbehandlung unmöglich. Dieses System ist nicht reparaturfähig.

Eine stoffliche Verwertung von Verpackungsmaterialien in Verantwortung der Systembetreiber findet de facto nicht statt. Noch immer werden über 90 % der Verpackungsmaterialien thermisch behandelt. Insofern ist der Gesetzentwurf schon jetzt ökologisch gescheitert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Fazit, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir brauchen ein neues Wertstoffgesetz mit einem integrativen Ansatz, der Ressourceneffizienz und eine umfassende Ressourcenwirtschaft zum politischen Leitgedanken bei Siedlungs- und Gewerbeabfällen macht, mit der Einführung einer Wertstofftonne, um hohe Erfassungsmengen und qualitativ anspruchsvolles Recycling sicherzustellen, mit einer Erfassung und Sammlung von Wertstoffen, mit einer Organisationshoheit, die bei den Kommunen liegt, mit der Einrichtung einer zentralen öffentlich-rechtlichen Stelle auf Bundesebene zum Vollzug und zur Kontrolle der Wertstoffsammlung unter Beteiligung der Bundesländer, mit der Abschaffung des dualen Systems und einer damit einhergehenden Entbürokratisierung sowie die Erweiterung der Produktverantwortung der Hersteller und Vertreiber mit dem Ziel, dass Lizenzentgelte gestaffelt nach ökologischen Kriterien unter dem Gesichtspunkt der Recyclingfähigkeit und Nachrangigkeit der thermischen Verwertung erhoben werden.

So lauten unsere Ziele in unserem Antrag. Damit werden wir in die Fachausschussberatung gehen. Ich freue mich, im neuen Jahr mit Ihnen über diese Themen diskutieren zu können.

Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und uns allen ein friedlicheres Jahr 2016. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Jochen Ott [SPD]: Und deiner Frau, dass du dir ein bisschen mehr Mühe gibst dieses Jahr!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Markert. – Nun spricht Herr Kollege Deppe für die CDU-Fraktion.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Wertstoffgesetz verfolgt die Bundesregierung im Grundsatz das richtige Ziel, das stoffliche Recycling zu verbessern. Insofern ist es interessant, wie zumindest die Kollegen der SPD über ihre Bundesumweltministerin sprechen.

Bevor ich weiter auf dieses Thema eingehe, möchte ich einen Vorgang aufgreifen, der hier gestern und heute Morgen eine Rolle gespielt hat. Meine Damen und Herren, es geht um die Bemerkung unseres Fraktionsvorsitzenden Armin Laschet zum Klimaschutzplan und zur Kampagne „Mein Wäschetrockner ist eine Leine“. Heute Morgen hat der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz, Herr Remmel,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Guter Minister!)

hier im Plenum erklärt – ich zitiere wörtlich aus dem Protokoll –:

„Herr Laschet, zu Ihrer wiederholten Nummer mit den Wäscheklammern: … Zum einen ist diese Maßnahme längst nicht mehr im Klimaschutzplan enthalten. Das war ein Vorschlag aus der Zivilgesellschaft. Das zeugt doch davon, dass Sie sich mit der Sache überhaupt nicht beschäftigt haben.“

Herr Remmel, dieser Vorwurf war falsch. Ich möchte Ihnen hier auch darstellen, wie sich das entwickelt hat.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Es geht hier eigentlich um Recycling!)

Die ersten größeren Maßnahmen – wir haben die verschiedenen Themen ja im Ausschuss lange beraten – wurden am 10. März 2014 aufgeführt.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

– Hören Sie erst einmal zu, Herr Rüße! – Und unter dem Titel „Maßnahmenvorschläge im Bereich Klimaschutz – aus der Konzeptionsphase des Dialog- und Beteiligungsprozesses zur Erstellung des Klimaschutzplan NRW -“ wurde mit der Vorlage 16/1724 der zuständige Ausschuss informiert. In diesem Werk findet sich unter der „AG 6 – Private Haushalte“ auf Seite 156 der Maßnahmevorschlag KS-M228: „Informationskampagne ‚Mein Wäschetrockner ist eine Leine‘„.

Wir haben dann immer weiter gefragt, welche dieser Maßnahmenvorschläge die Landesregierung sich denn zu eigen macht.

(Zuruf von Norbert Meesters [SPD])

– Warten Sie erst einmal ab, Herr Meesters! – Es geht hier schon um einen ungeheuerlichen Vorgang! Das werden Sie gleich noch sehen. – Dieser Vorgang wurde am 17. Dezember 2015 mit der Vorlagennummer 16/3020 verabschiedet. In diesem Papier hat die Landesregierung Maßnahmenvorschläge aus dem Beteiligungsprozess bewertet und übernommen. Sie hat sie gebündelt, aussortiert und entsprechend mit einer neuen und eigenen Nummerierung eingearbeitet. Dieser Hinweis findet sich in der Vorlage 16/2822 in dem Anhang zum Klimaschutzplan 3.1.

Auch der Wäscheleinen-Hinweis befindet sich auf der Seite 473 mit dem Vermerk – ich kann Ihnen das hier vorlesen –: „Informationskampagne ‚Mein Wäschetrockner ist eine Leine‘. Maßnahmevorschlag ist eingegangen. Aufnahme des Maßnahmevorschlags in den Entwurf der Landesregierung: Ja, gebündelt mit weiteren.“

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Abel?

Rainer Deppe (CDU): Nein, ich will das hier erst vortragen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

– Sie können gleich eine Kurzintervention machen. Dann können wir uns weiter darüber unterhalten. – In den Maßnahmenvorschlägen KS-M228 und KS-M229 steht dann: „Gebündelt in LRKS 6 M 136. Stärkere Berücksichtigung der Suffizienzpotenziale in Informations- und Beratungsmaßnahmen des Landes.“

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Deppe, hier spricht der Präsident! Und er grüßt Sie vorweihnachtlich mit § 36 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung, nach der ich Sie zur Sache verweisen muss.

Rainer Deppe (CDU): Das können Sie gerne machen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Sonst haben wir ein Problem, weil Sie nach unserer Geschäftsordnung bitte zum Antrag sprechen müssen und nicht völlig am Antrag vorbei ein anderes Thema aufrufen können. Das ist nicht Usus bei uns. Ich bitte Sie, das auch zu berücksichtigen, lieber Herr Deppe.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident, es geht hier darum, dass wir hier über Wertstoffe und über Klimaschutz reden.

Die Landesregierung versteht offensichtlich ganz andere Dinge darunter.

(Norbert Meesters [SPD]: Wir reden über Wertstoffe, Herr Deppe!)

Ich halte fest: Die Maßnahme findet sich nicht unter dem Titel „Mein Wäschetrockner ist eine Leine“ im Klimaschutzplan. Sie findet sich aber gebündelt sehr wohl – aber unter einer neuen Titelbezeichnung – unter anderem im Titel LRKS 6 M 136.

(Lachen von Minister Johannes Remmel)

Damit ist sie – lachen Sie nicht, Herr Remmel – in den Klimaschutzplan aufgenommen worden – nur unter einer neuen Titelbezeichnung. Herr Remmel, entweder haben Sie das Parlament belogen, oder Sie wissen nicht, was in Ihrem Klimaschutzplan steht.

(Beifall von der CDU)

– Ich erwarte von Ihnen – dazu fordere ich Sie auf –, dass Sie das hier richtigstellen und dass Sie sich sowohl beim Parlament als auch bei unserem Fraktionsvorsitzenden Armin Laschet für Ihre Falschaussage hier entschuldigen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Norwich Rüße [GRÜNE]: Das war nicht ein Satz, nicht ein Wort zum Thema!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion der Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die grundsätzlichen Ziele – mehr Recycling, bessere Verwertungsquoten – besteht, glaube ich, Einigkeit. Lassen Sie mich aber, bevor ich zum Antrag selber komme, auf eines hinweisen, was ich schon spannend finde.

(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

– Nein, lieber Martin Abel, es geht nicht um Wäscheleinen. Meine Wäsche ist trocken.

(Beifall von den GRÜNEN – Jochen Ott [SPD]: Das wollen wir hoffen!)

Spannend ist aber ein anderer Punkt. Als wir vor 14 Tagen über den Haushalt debattiert haben, haben wir uns auch auf das Landesnaturschutzgesetz bezogen. Da hieß es vom Minister bzw. von den regierungstragenden Fraktionen: Halt, warum diskutiert ihr eigentlich überhaupt schon darüber, das ist ja nur ein Entwurf. Und 14 Tage später bekommen wir von Ihnen einen Antrag. Und Sie wollen über – Achtung ! – einen Entwurf diskutieren, der auf der bundespolitischen Ebene debattiert wird.

Entweder können wir hier auch schon im frühen Stadium über Themen oder Gesetzesentwürfe diskutieren – oder wir können es nicht. Hier haben Sie aber einen Widerspruch aufgemacht, den Sie nicht aufzulösen vermögen.

Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieser Antrag im Kern auch durch praktisches Regierungshandeln schon überholt. Die Landesregierung hat ja bereits im Bundesrat zusammen mit anderen Bundesländern eine entsprechende Initiative, wie Sie sie hier fordern, gestartet. Der Gegenentwurf zum Wertstoffgesetz, der da aufgemacht wurde, soll hier also offensichtlich nachträglich – man könnte das so sagen – „geadelt“ werden.

Ihr Gegenentwurf will weniger Wettbewerb und weniger Marktwirtschaft in der Abfallentsorgung. Das wird zu höheren Kosten und höheren Gebühren führen. Schon vom Grundsatz her erfährt das die Ablehnung der Fraktion der Freien Demokraten.

Sie fordern ganz konkret die Abschaffung des Dualen Systems. Dies sei – das haben Sie eben ja auch schon erwähnt – nicht reparaturfähig. Dazu kann ich nur sagen, Herr Kollege Markert: Alles im Bereich Recycling läuft im Moment so, wie es die Verpackungsverordnung vorgibt. Wenn Sie sagen, wir müssten höhere Verwertungsquoten haben, dann ist die logische Schlussfolgerung daraus nicht, das Duale System abzuschaffen. Die logische Schlussfolgerung daraus wäre, die Verpackungsverordnung zu ändern. Da hätten Sie uns übrigens an Ihrer Seite.

Fakt ist: Das Duale System ist aus einem Entsorgungsengpass heraus geboren. Seit 20 Jahren läuft dieses System. Zu Entsorgungsengpässen wie zur Gründungszeit ist es seitdem nicht mehr gekommen. Im Gegenteil, durch Wettbewerb kam es zu mehr Innovationen und zu niedrigeren Kosten. 50 % konnten eingespart werden. Das macht mindestens 50 € pro Jahr und Familie aus. Es sagt nicht nur der gesunde Menschenverstand, dass es dazu kommen muss, sondern das sagt auch das Bundeskartellamt im Rahmen der Sektoruntersuchung „Duale Systeme“ aus dem Jahr 2012.

Nun ist bekanntermaßen nichts so gut, dass es nicht noch besser werden könnte. Selbstverständlich gab es auch beim aktuellen System Krisen bzw. Schlupflöcher, die ausgenutzt wurden. Es gab da aber auch Fehlerbehebungen. Die 6. und 7. Novelle der Verpackungsverordnung seien hier an dieser Stelle genannt.

Nichtsdestotrotz: Auch eine Wertstofftonne könnte zu Verbesserungen führen, zu einer erhöhten Rückführung, zu einer erhöhten Erfassung entsprechender Wertstoffe, zu einer einfacheren Erfassung, zu mehr Transparenz, zu Klarheit, zu Übersicht und zu Verständnis vonseiten der Bürger.

Aber in Ihrem Antrag heißt es wortwörtlich, dass die

dualen Systeme ... unter Beweis gestellt haben, dass eine stoffliche Verwertung von Verpackungsmaterialen de facto nicht stattfindet.

Das ist schlicht und ergreifend falsch. Denn die Zulassung der dualen Systeme ist davon abhängig, dass die Quoten, die in der Verpackungsverordnung gefordert werden, auch eingehalten werden. Werden diese nicht eingehalten, würde ein entsprechendes System die Zulassung verlieren.

Noch einmal: Eine Anhebung der Quoten wäre gut. Das wäre über die Verpackungsverordnung zu lösen. Die Auflösung der dualen Systeme ist dazu aber schlicht und ergreifend nicht notwendig.

Trotzdem stellen Sie die Systemfrage. Sie wollen eine zentrale öffentlich-rechtliche Stelle zum Vollzug der Wertstoffsammlung schaffen. Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen – auch mit Blick auf die erste Beratung im Ausschuss –, nur sagen: Auch bei diesen Forderungen hilft ein Blick in die gerade schon angesprochene Untersuchung des Bundeskartellamtes. Darin heißt es wörtlich:

„Eine Übertragung der Verantwortung für die Vergabe der Entsorgungsleistungen auf eine ‚zentrale Stelle‘ oder die Kommunen bedeutete jedoch im Kern eine Rückkehr zu früheren DSD-Zeiten.“

Weiter heißt es darin – Herr Kollege Markert, Achtung, Sie haben ja eben von Entbürokratisierung gesprochen –:

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Das gefällt Ihnen, oder?)

„Da die Aufgaben der dualen Systeme nicht wegfielen, sondern lediglich von der zentralen Stelle übernommen würden, würde in diesem Fall eine Behörde erheblicher Größe geschaffen. ... Die zentrale Stelle selbst unterläge ... keinem Wettbewerbsdruck, sodass erhebliche Ineffizienzen zu erwarten wären.“

So die Sektoruntersuchung des Bundeskartellamtes.

Ich erinnere noch einmal daran: In der Praxis bedeutet das mindestens 50 € pro Jahr und Familie mehr an Gebühren.

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Kommt darauf an, wie man es macht!)

Bezüglich Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen wir Licht und Schatten. Wir hoffen, dass wir über die Weihnachtspause und in den Ausschussberatungen ein bisschen mehr Licht hineinbringen können.

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Macht noch ein paar Kerzen mehr an, dann habt ihr mehr Licht!)

Vielen Dank und frohe Feiertage.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Höne. – Für die Piraten-Fraktion spricht nun Herr Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen sowie Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich fühlte mich eben, als ich Herrn Deppes Beitrag hörte, ein bisschen wie bei einem Zeitsprung von der Vorweihnachtszeit zum 1. April.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe noch einen, auch wenn mir die Grünen dann vielleicht böse sind; aber ich kann es nicht liegenlassen: Meine Waschmaschine hat zwei Ohren.

(Heiterkeit von den PIRATEN und den GRÜNEN – Sigrid Beer [GRÜNE]: Können wir diesen Aspekt noch einmal ausarbeiten? – Henning Höne [FDP]: Immer, wenn man glaubt, es kann nicht mehr schlimmer kommen!)

Zum eigentlichen Thema, bevor ich zur Ordnung gerufen werde: Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung und dem vorliegenden Antrag der regierungstragenden Fraktionen soll ein kleiner Schritt hin zur Kreislaufwirtschaft gegangen werden. Eigentlich steckt dahinter einmal wieder der Druck der EU.

Wir haben uns hier schon immer für einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen ausgesprochen und begrüßen jeden Schritt in diese Richtung.

Die von den antragstellenden Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen geforderten Änderungen am Arbeitsentwurf des Bundesumweltministeriums zum Wertstoffgesetz sehen tatsächlich nach geeigneten Verbesserungen aus.

Im Antrag werden die Einrichtung einer Wertstofftonne und die Abschaffung des Dualen Systems gefordert. Der Bundesgesetzentwurf sieht lediglich eine Wertstofftonne vor, in die neben Kunststoffe auch bis zu 5 kg kleine Geräte und Metalle entsorgt werden dürfen. Das ist ganz klar nicht ausreichend.

Das Duale System soll nach dem Bundesgesetzentwurf so erhalten bleiben, wie es ist, also mit all seinen bürokratischen Hindernissen.

Das Duale System hat gezeigt, dass es nicht geeignet ist, die steigenden Ansprüche auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft zu erfüllen; das hat Herr Markert auch schon ausgeführt. Deshalb muss das System ersetzt werden. Es erscheint einfach nicht reformierbar. Das sehen wir genauso.

(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])

Die Aufgabe der Erfassung und Sammlung von Wertstoffen in die Hoheit der Kommunen zu übertragen halten wir für richtig, auch mit der Begründung, dass es sich um eine Aufgabe der Daseinsvorsorge handelt und dass damit die Bezahlung der Beschäftigten nach Tarifen Standard ist; damit liegt auch ein sozialer Aspekt vor.

Die Einrichtung einer zentralen öffentlich-rechtlichen Stelle auf Bundesebene zum Vollzug und zur Kontrolle der Wertstoffsammlung kann tatsächlich zu bundeseinheitlich besseren Standards und Verwertungsquoten führen.

Der Bund will hingegen alle Bereiche der Wertstoffsammlung und -verarbeitung bzw. des Recyclings privatisieren oder privatisiert lassen. Das gilt auch für die zentrale Stelle für die Kontrollen der Wertstoffsammlung und -verwertung. Das ist der verkehrte Ansatz, wenn es um die Daseinsvorsorge geht. Das neoliberale Mantra „Privat vor Staat“ hat in diesem Bereich noch nie funktioniert.

(Karlheinz Busen [FDP]: Ha, ha, ha!)

Wir stimmen der Überweisung des Antrags selbstverständlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen haben mir einen Antrag vorgelegt, der in der Tat mit einem Antrag der Landesregierung Nordrhein-Westfalens und der Landesregierungen von Baden-Württem-berg und Schleswig-Holstein im Bundesrat korrespondiert. Morgen wird dieser im Bundesrat behandelt.

Insofern können Sie mit Fug und Recht davon sprechen, dass die Koalitionsfraktionen und die Landesregierung Hand in Hand arbeiten; wir haben das gleiche Anliegen, nämlich das Anliegen, dass wir das erhalten, was die Bundesregierung bzw. die Große Koalition auf Bundesebene versprochen haben: ein umfassendes Wertstoffgesetz.

Der Bundesgesetzentwurf, der jetzt vorliegt, wird den Ankündigungen und den Ansprüchen – das ist jedenfalls gemeinsame Auffassung des Parlaments und der Regierung hier im Land – nicht gerecht.

Auf Bundesebene, Herr Höne, reden wir über ein anderes System. Auf Bundesebene gibt es nämlich das föderale Zusammenspiel zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Selbstverständlich ergibt es Sinn, hier frühzeitig die Haltung des Bundesrates zu reklamieren, weil der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung förmlich darauf angelegt ist, im Bundesrat zu scheitern.

Es herrscht dazu große Übereinstimmung vor. Bis hin zu konservativ regierten Landesregierungen ist klar: Ein solches Gesetz wird es mit dem Bundesrat nicht geben.

Deshalb ist es sinnvoll, hier frühzeitig zu reklamieren: Bitte ändert den Gesetzentwurf in die Richtung, in die ihr es versprochen habt. Schafft ein umfassendes Wertstoffgesetz, das über den Kanon der Verpackungsverordnung hinausgeht.

Denn Sie können heute keiner Bürgerin und keinem Bürger nach langen Jahren des Gelben Punktes erklären, was sie oder er in den gelben Sack zu tun hat und was nicht. Wertstoffgleiche Verpackungen und andere Wertstoffe landen nämlich immer wieder als sogenannte Fehlwürfe darin und verursachen Kosten, die durch entsprechende Lizenzgebühren nicht gedeckt sind.

Das System als solches musste vor Kurzem noch einmal mit der sechsten und siebten Novelle der Verpackungsverordnung stabilisiert werden, damit vermieden wird, dass es Trittbrettfahrer gibt. Um es in einen umfassenden Geltungsbereich zu bekommen und dann auch Synergien mit den kommunal Verantwortlichen zu erreichen, ist eine umfassende Novellierung notwendig.

(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])

Dieser Entwurf leistet diese umfassende Novellierung nicht. Er ist erkennbar darauf ausgerichtet, dass er im Bundesrat scheitert, weil es einen großen Widerspruch innerhalb der Großen Koalition gibt. Dieses Spiel müssten die Länder und die verantwortlichen Kommunen nicht mitmachen, sondern sie könnten frühzeitig Einspruch erheben.

Ich meine, dass wir darüber hinaus in einer gewissen Verpflichtung und Verantwortung stehen, den Bereich der Ressourcenwirtschaft umfassender zu diskutieren. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern. Aber wenn man vor zehn bis 15 Jahren mit jungen Menschen diskutiert hat, standen im Mittelpunkt von Umweltpolitik die Mülltrennung und der Abfall. Heute sind es zu Recht der Klimaschutz und die Energie.

Aber ich meine, dass die Ressourcen und die Ressourcenknappheit ein nicht minder spannendes und wichtiges Thema sind. Leider haben wir die umweltpolitische Diskussion in den letzten Jahren nicht zielführend weiterentwickeln können. Wir müssen wirklich zu einer umfassenderen Ressourcenwirtschaft kommen. Man muss relativieren, über welchen Anteil an Ressource oder Abfall wir im Zusammenhang mit dem grünen Punkt beziehungsweise der gelben Tonne reden. Es handelt sich um vielleicht zwei bis drei oder maximal 4 % des Abfallaufkommens. Der weitaus größere Teil der Ressourcen, der noch zu gewinnen wäre, liegt im Gewerbemüll.

Deshalb macht es Sinn, von einem integrierten Ansatz zu sprechen und einen integrierten Ansatz zu wollen. Die Bundesregierung hat mit sehr viel mehr Mühe aktuell eine Verordnung zum Gewerbeabfall vorgelegt. Es lohnt sich in der Tat, intensiver auf der Fachebene darüber zu sprechen. Beides miteinander zu verbinden ist ein Impuls, der aus Nordrhein-Westfalen kommt.

Er wird offensichtlich auch von den Koalitionsfraktionen unterstützt. Dafür bedanke ich mich herzlich. Ich würde mich freuen, wenn zumindest der christdemokratische Teil der Opposition in Berlin dafür sorgen würde, endlich ein an den Kommunen, aber auch an der Ressourcenwirtschaft orientiertes Wertstoffgesetz zu bekommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/10418 an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – federführend –, an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

10       Den Reichtum unserer Museen in Nordrhein-Westfalen durch Digitalisierung besser sichtbar machen – praxistaugliches Urheberrecht zur Digitalisierung von Museumsbeständen einführen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10422

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Prof. Dr. Sternberg das Wort.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute meldet die Presse die neuen Superzahlen für Museen in Deutschland. 118 Millionen Besucher! Das sind 3 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Eigentlich sind es sogar noch mehr; denn man kann ein Museum auch digital besuchen.

Vielleicht kennen Sie das Museum Kunstpalast hier in Düsseldorf. Man kann mit dem Google Art Project wie bei Street View durch die Räume gehen und sich die Kunstwerke einzeln ansehen. Es ist eine von 670 Institutionen, die Google Art Project im System hat. In Deutschland sind es allerdings nur 33 Institutionen, zwei davon aus Nordrhein-West-falen. Neben dem Kunstpalast ist es noch das Lehmbruck Museum in Duisburg.

Das heißt, ein Museumsbesuch ist heute viel leichter. Man ist nicht mehr auf Kataloge angewiesen, sondern kann sich in exzellenter Qualität Digitalisate ansehen, kann sich digitale Abbildungen ansehen. Das kann man nicht nur mit Google, sondern das kann man vor allen Dingen auch mit Wikipedia.

Wikipedia macht seit vielen Jahren ein Projekt. Die Gruppe, die das macht, heißt mittlerweile GLAM. Sie machen das mit einem sogenannten Wikipedian in Residence. So etwas gab es in Deutschland zum ersten Mal 2012 im Deutschen Archäologischen Institut. Sie haben für ein halbes Jahr einen solchen Wikipedian in Residence eingestellt. Das war Marcus Cyron. Damit ist man dem Beispiel des British Museums in London und dem Louvre in Paris sowie vielen anderen gefolgt, die sich heute beteiligen.

Aber damit sind wir bei einem heiklen Problempunkt. Wikipedia-Artikel sind grundsätzlich unter freier Lizenz. Wer etwas bei Wikipedia zur Verfügung stellt, muss es allen zur Verfügung stellen. Damit sind wir beim Urheberrecht. Das Deutsche Archäologische Institut hat 2009 die Freigabe von 100.000 ausgesuchten Fotos und 60.000 Dateien sowie von Stichen aus der Barockzeit durchgeführt. Warum? Es muss alles älter als 70 Jahre sein; denn alles, was jünger als 70 Jahre ist, unterliegt dem Urheberrecht. Das erweist sich selbst bei Objekten als Hemmnis, deren Eigentum im Museum niemand anzweifelt.

Das Problem ist schon einmal angegangen worden. Wir erinnern uns daran. Wir haben hier den Antrag der Piraten zu den verwaisten Werken debattiert. Bei den verwaisten Werken ist es angekommen. Der Bundestag hat ein Verfahren geschaffen, nachdem man bei verwaisten Werken etwas weniger Einzelfallprüfungen durchführen muss, auf Treu und Glaube abhebt und auf die Veröffentlichungszustimmung bei der Übergabe eines solchen Objekts ins Museum. Aber die rechtlichen Hürden sind trotzdem noch zu hoch.

Nun haben sich vor vier Wochen 17 namhafte Juristen und Museumsleute zusammengetan und einen kurzen Text veröffentlicht, der sich „Hamburger Note zur Digitalisierung des kulturellen Erbes“ nennt. Das war natürlich auch der unmittelbare Anlass für unseren Antrag. Damit machen sie auf rechtliche Aspekte aufmerksam.

Anforderung und Ziel ist es, die umfangreichen Rechteklärungsprozesse zu erleichtern und die digitale Zugänglichkeit von Kulturgut im größeren Umfang als bisher zu ermöglichen. Es heißt da – Zitat –: „Wenn die Chancen der Digitalisierung genutzt werden sollen, bedarf es aber gesetzlicher Rahmenbedingungen, die für alle öffentlichen Gedächtnisinstitutionen eine rechtliche Einzelfallprüfung entbehrlich machen und grundsätzlich eine Sichtbarmachung von Beständen im Internet ermöglichen.“ –

Die warnen sogar vor einer Verzerrung unseres Geschichtsbildes, wenn man das nicht machen würde.

Meine Damen und Herren, Digitalisierung findet sich sogar im Kulturfördergesetz. In § 8 Abs. 2 heißt es:

„Das Land unterstützt Kultureinrichtungen bei der Digitalisierung von analogem Kulturgut, bei der Übernahme von originär digitalem Kulturgut, bei der Bereitstellung der Digitalisate für die öffentliche Nutzung sowie bei der digitalen Landzeitarchivierung.“

Bei der Digitalisierung stehen nämlich diese Institutionen – Archive, Bibliotheken, Museen – vor technischen, administrativen und rechtlichen Herausforderungen, die einen hohen Einsatz verlangen, um dieses Kulturgut wirklich der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Wir möchten mit diesem Antrag ein Programm für die Digitalisierung im Sinne des Kulturfördergesetzes, um die Digitalisierung voranzutreiben. Wir wollen das Bemühen um praxistaugliche Anpassungen des Urheberrechtes – ganz wichtig –, und wir möchten die Träger der Einrichtungen drängen, ihre Bestände grundsätzlich kostenfrei und digital öffentlich nutzbar zu machen und schließlich den Aufenthalt von solchen Wikipedien in Residence zu fördern.

Meine Damen und Herren, vielleicht ist dann ein erstes Kennenlernen eines nordrhein-westfälischen Museums im Internet oder das Nacherleben eines Besuches etwas ganz Normales und die Arbeit an Objekten auch aus den Depots etwas ganz Leichtes und Einfaches. Vielleicht werden auch Sie sich dann, wenn Sie nicht heute oder morgen oder in den nächsten Tagen noch Gelegenheit haben sollten, im Kunstpalast vorbeizuschauen, im Internet bei Google Art Project das Bild von Schnorr von Carolsfeld „Flucht nach Ägypten“ von 1828 ansehen und damit eine Einstimmung auf unsere politischen Themen, Großthemen und auf Weihnachten zugleich haben.

Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall schöne Weihnachten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Professor Sternberg. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Zum letzten Thema in diesem Jahr erlauben Sie mir eine Tradition von Thomas Stotko fortzuführen, der am Ende des Jahres immer Rüttel-Schüttel-Reime vortrug. Das konnte er gestern nicht tun, weil er seine Rede zu Protokoll gegeben hatte. Ich darf da heute mit seinem urheberrechtlichen Zuspruch einsteigen.

Ich schaue herum im großen Raum      
Und ich denke, der ein oder andere liegt schon lang unterm Baum

Der große Raum leer, doch ich mag nicht klagen      
Am Ende vom Jahr will ich vielmehr Danke sagen

Gute Gedanken, gute Impulse,   
Auch Streit in der kulturpolitischen Runde      
Und doch oder daher ein ganz lieber Dank in der vorletzten Stunde

Und trotz allen Streits        
Der einigende Gedanke bleibt uns erhalten   
Der Kunst immer den Zukunftsrahmen gestalten

Doch allein beim Lob will ich nicht weilen       
Zum Antrag nun auch noch einige Zeilen

Die Digitalisierung hat sehr viele Seiten          
Und wir werden alle genau aufbereiten

In Bibliotheken, Theatern, Archiven, Museen 
Und andere Bereiche, wo Kunst mag drauf stehen

Werden wir alles betrachten, was wichtig fürs Netz
Denn dieses wird Schwerpunkt nach dem Fördergesetz

Was wir können tun, das werden wir sehn      
Im Plan wird Digitalisierung als Auftrag drinstehn

Auch im Bund gibt es bald eine neue Novelle
Da reden wir mit, da sind wir zur Stelle

Denn wir wollen nicht unnötig Altes verwalten          
Aber wir werden Wertschöpfungsketten für Künstler erhalten

Ja, wir wollen digital sehen und da möglichst viel     
Doch diesen Anspruch mit Respekt, Recht und Stil

Denn auch der Künstler braucht Geld und braucht Brot
Er muss auch was essen, sonst leidet er Not

Der Antrag, er mag mit uns ins nächste Jahr reisen  
Wir werden als SPD-Fraktion ihn gern überweisen

Zum Antrag lasst uns viel‘ kluge Leute einladen       
Und in dieser Runde das Thema beraden

So stehen uns neue und gute Debatten ins Haus    
Wir machen wie immer das Beste daraus

Der Tisch ist gedeckt, das Tableau ist bereit    
Es bleibt eine spannungsgeladene Zeit

An dieser Stelle darf ich Ihnen ebenfalls recht herzlich frohe Weihnachten und eine gesegnete Weihnachtszeit wünschen. – Vielen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bialas, für diese besondere Form der Rede am letzten Plenartag. – Das passt sehr gut und ist jetzt auch eine entsprechende Vorlage für Herrn Keymis von den Grünen, der jetzt sprechen wird. Mal sehen, was er daraus macht.

Oliver Keymis (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich mache es kurz: Wir stimmen der Überweisung des Antrags zu.

Ich wünsche Ihnen allen eine frohe Weihnachtszeit, einen guten Rutsch in das neue Jahr und uns allen konstruktive Beratungen in 2016. – Danke schön.

(Beifall von allen Fraktionen)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Oliver Keymis. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schmitz.

Ingola Schmitz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bialas, eine schöne, andere Form der politischen Rede – aber dennoch werden wir den Antrag der CDU-Fraktion hier unterstützen, nämlich die Forderung nach einem Konzept zur digitalen Befassung und Nutzung musealer Bestände und eine entsprechende Ertüchtigung der Museen.

In der Tat ist der kulturelle Reichtum unserer Museen unüberschaubar. Das gilt nicht nur für die zahlreichen vielfältigen und hochinteressanten Ausstellungen in nordrhein-westfälischen Museen, sondern auch für den großen Anteil von Kunstwerken im Eigentum von Museen, die der Öffentlichkeit gar nicht zugänglich sind, also auch nicht analog. Was sich nicht als Leihgabe auf Reisen befindet, ist in den Depots der Museen eingelagert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Digitalisierungsbedarf ist enorm. Selbst kleinere Museen verfügen teilweise über Sammlungen mehrerer Hundert Kunstwerke. Dafür ist der Nutzen einer stärkeren Digitalisierung auch besonders groß; denn die Digitalisierung fördert den Zugang der Öffentlichkeit zu Sammlungen und Ausstellungen der Museen. Sie fördert die Auseinandersetzung mit den Themen Kunst und Kultur, zum Beispiel auch bei jungen Menschen, die noch kein einziges Museum betreten haben. Und sie trägt zur kulturellen Bildung bei und belebt den Austausch.

Eine stärkere Prioritätensetzung beim Einsatz von vorhandenen Kulturfördermitteln zugunsten der Digitalisierung von Museen ist daher durchaus sinnvoll.

Anknüpfungspunkte und Beispiele, welche tollen Möglichkeiten mit gar nicht einmal übermäßigem technischem Einsatz bestehen, existieren bereits.

Schwenken wir nur die Kamera auf die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalens! Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen stellt einen Teil der vorhandenen Werke digital zur Verfügung.

Die kunstinteressierte Bürgerin aus dem Kreis Lippe oder die Schulklasse aus Düren muss daher nicht extra nach Düsseldorf fahren, um einmal „Die Nacht“ von Beckmann oder eine Straßenszene von Kirchner in Augenschein zu nehmen. Das geht nämlich auch online, pädagogisch aufbereitet und mit interessanten Informationen versehen.

Davon benötigen wir mehr. Klar sind dabei für uns zwei Dinge:

Erstens. Die technische und personelle Ertüchtigung von Museen wird nur mit entsprechendem finanziellem Mehraufwand zu erreichen sein. Der Kulturförderhaushalt für 2016 fällt aber nach wie vor deutlich geringer aus als 2012. Und so erweist sich die von SPD und Grünen vorgenommene Kürzung auch hier als ein Bremsklotz für die Digitalisierung der Museen.

Zweitens. Kein digitales Angebot ersetzt einen Besuch im Museum und das Auf-sich-Wirken-Lassen einer kuratierten Ausstellung. Die Digitalisierung muss also vorangebracht werden, ohne dabei die vielfältige Museums- und Kulturlandschaft in Nordrhein-Westfalen zu vernachlässigen. Dazu gehört auch, dass vorhandene Kunstbestände im öffentlichen Eigentum nicht mit Rückendeckung der Landesregierung verscherbelt werden, um mit dem Erlös marode staatliche Spielcasinos zu subventionieren.

Vielleicht überlegt die Landesregierung auch vor dem Hintergrund dieses Antrages noch einmal, ob Einkünfte aus den Warhol-Verkäufen nicht besser in analoge und digitale Kultur investiert werden als in staatliches Glücksspiel.

Wir freuen uns auf die Beratungen. – Vielen Dank und Ihnen allen auch ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schmitz. – Für die Fraktion der Piraten spricht Kollege Lamla. Herr Kollege Lamla, bitte.

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal möchte ich Dank sagen in Richtung CDU-Fraktion, Richtung Herrn Prof. Dr. Sternberg, dass Sie diesen Antrag gestellt haben. Sie bewegen sich quasi damit mit Warp-Geschwindigkeit auf das digitale Zeitalter zu.

An dieser Stelle möchte ich Herrn Dr. Joachim Paul zitieren, der mal sagte: Museen sind wie begehbare Hypertexte. – Ja, das stimmt. Das spiegelt auch dieser Antrag wieder. Wir behandeln eine sehr ernste Sache.

Der Antrag geht quasi in eine Richtung, die wir immer wieder gefordert haben. Es geht darum, die Museumsbestände, die Bestände der Archive und auch bewegliche und unbewegliche Denkmäler zu digitalisieren und sie verfügbar, sie zugänglich zu machen.

Wenn wir schon bei der erwähnten Warp-Geschwindigkeit sind, muss ich natürlich zwangsläufig an die Zukunft denken. Was ist denn, wenn in der Zukunft jemand nach Digitalisaten von nicht mehr existierenden Kunstwerken oder anderen Kulturgütern sucht? Was ist, wenn der bekannte Hobby-Archäologe Jean-Luc Picard vom Computer der Enterprise gesagt bekommt, dass die Abbildung eines irdischen Kunstwerks nicht mehr in seiner Datenbank vorhanden ist.

Er wird wahrscheinlich verärgert an seinem Earl-Grey-Tee nippen und sich denken können, woran es lag: weil man es damals im frühen 21. Jahrhundert verbummelt hat, sich rechtzeitig um eine urheberrechtliche Lösung für die Digitalisierung von Museumsbeständen zu kümmern.

Es kann nicht oft genug gesagt werden: Urheberrecht von heute kann Wissen von morgen vernichten. Damit das Wissen von heute und morgen zugänglich gemacht werden kann, müssen wir uns zwangsläufig auch hier in NRW über Urheberrechtsreformen unterhalten. Wir müssen uns unterhalten über freie Lizenzen. Die gibt es jetzt zwar schon, allerdings innerhalb eines recht kaputten Urheberrechtssystems.

Die Wikipedians in Residence, also die Wikipedianer, die für eine Institution die Online-Enzyklopädie befüllen und bearbeiten, arbeiten auf Basis von freien Lizenzen. Sie arbeiten nicht nur damit, sie fördern auch die Verwendung und Verbreitung von freien Lizenzen, denn alle Inhalte der Wikipedia sind unter Creative-Commons-Lizenzen veröffentlicht. Das ist wichtig, denn die Frage der Lizenzierung muss im Vorfeld geklärt sein. Sonst kommt es im Nachhinein zu ziemlich teuren Rechtsstreitigkeiten, so wie es jüngst bei der Stadt Mannheim und der Wikimedia Foundation der Fall war.

Die Bemühungen des Mannheimer Museums sah das Amtsgericht Nürnberg als unzulässig an. Das ist in diesem expliziten Rechtsstreit zwar gut für die Allgemeinheit gewesen, aber es zeugt davon, dass dieser Bereich relativ konfliktbehaftet ist. Was man jetzt also braucht, ist eine solide, standfeste Grundlage für die Digitalisierung von Museumsbeständen – frei zugänglich und frei lizenziert.

Es ist auch erfreulich, liebe CDU-Fraktion, dass die Hamburger Note zur Digitalisierung des kulturellen Erbes im Antrag erwähnt wird. Diese Forderungen führender Museums- und Archivverantwortlichen drücken die Situation sehr kurz und knapp und sehr präzise aus. Die urheberrechtlichen Rahmenbedingungen müssen so schnell wie möglich derart geändert werden, dass eine rechtliche Einzelfallprüfung für die Museen entbehrlich gemacht wird.

Wir haben hier nun die einmalige Chance, den Forderungen des Museums- und Archivwesens zeitnah Gehör zu geben und etwas zu tun. Wir haben auch die Chance, etwas dafür zu tun, dass in Zukunft das Geschichtsbild nicht verzerrt werden könnte, weil urheberrechtliche Schranken der digitalen Nutzung wichtiger Zeugnisse im Wege stehen.

Daher liegt uns Piraten sehr daran, dass wir uns im Ausschuss im nächsten Jahr diesem Thema mit besonderem Interesse zuwenden. Der Antrag ist im Prinzip gut, so wie er ist. Es fehlen allerdings konkrete Hinweise zu freien Lizenzen, auf die Institutionen wie zum Beispiel die Wikimedia Foundation angewiesen sind. Das ist nämlich wichtig, und das ist kein Detail, das später irgendwann geklärt werden könnte.

Wir Piraten werden daher selbstverständlich der Überweisung in den Ausschuss zustimmen. Ich persönlich freue mich auch sehr auf die Beratung. Wir sehen uns im nächsten Jahr. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Nun spricht Herr Kollege Schwerd.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und am Stream! Sehr geehrter Herr Prof. Sternberg, vielen Dank für diesen Antrag. Quasi niemand in diesem Landtag betont die Notwendigkeit häufiger, das Urheberrecht den Anforderungen der Digitalisierung von Kunst und Kultur anzupassen. Da sehen sogar die Piraten alt aus.

In diesem Antrag zeigen Sie auf, wie das Urheberrecht von gestern der Digitalisierung von Kunst, deren digitaler Bewahrung und Verbreitung im Wege steht. Sie sprechen damit den Archivaren aus der Seele, die sich täglich Sorgen darüber machen, wie sie Kunst retten und zugänglich machen können, ohne mit einem Bein im Gefängnis zu stehen.

Tatsächlich geht jeden Tag Kultur unwiederbringlich verloren, weil es keine legalen Möglichkeiten gab, sie zu konservieren. Die meiste Kunst und Kultur ist derzeit unzugänglich, weil ihre Digitalisierung und Verbreitung illegal ist, obgleich kein kommerzielles Interesse mehr vorhanden ist.

Ich denke, vielen sind die Auswirkungen dieses Urheberrechts gar nicht so klar. Ein Stück ist bis 70 Jahre nach dem Tod des letzten Menschen, der daran mitgewirkt hat, geschützt. Ein Zeitraum, den Zelluloid oder Magnetbänder oder elektronische Datenträger nicht überleben.

Manchmal lässt sich die Rechtslage überhaupt nicht klären, weil der Verbleib der Urheber unbekannt ist. Warum diese extrem langen Fristen nach dem Tod des Urhebers, wenn er längst nichts mehr davon haben kann? Warum diese hohen Hürden, auch wenn gar kein kommerzielles Interesse besteht?

Meine Damen und Herren, das ist nicht das einzige Problem, das das veraltete Urheberrecht mit der Digitalisierung hat. Kunst und Kultur könnten durch Digitalisierung viel mehr Menschen weltweit zugänglich sein. Soweit kommerzielle Interessen des Künstlers oder Autors bestehen, sind die doch nicht davon abhängig, dass jemand sein Kulturgut nur real oder eben auch digital wahrnehmen kann, soweit eben für seine Vergütung gesorgt ist.

Wir nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung für Partizipation nicht annähernd. Kunst und Kultur bauen in der digitalen Welt auch viel mehr aufeinander auf. Zitate, Satire, Remixe müssen möglich sein. Kommerzielle Interessen können gewahrt sein, indem der ursprüngliche Künstler an den Erlösen von Mashups beteiligt wird. Aber sein Einverständnis muss sehr viel einfacher zu erlangen sein bzw. innerhalb gewisser Schranken auch vorausgesetzt werden dürfen.

Wir erleben derzeit eine Illegalisierung von neuen digitalen Kunst- und Kulturbereichen, wie zum Beispiel Videos, weil dort in hohem Maße auf Bestehendes zurückgegriffen wird. Es droht ein digitaler Kulturstillstand.

Daher begrüße ich Herrn Prof. Sternbergs Initiative. Ich bin gerne bereit, an weiteren Ideen und Konzepten mitzuwirken. – Ihnen allen ein frohes Fest und vielen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Kampmann.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt bin ich gerade dann dran, wenn die CDU ihre Bescherung macht. Ich hoffe, ich komme trotzdem durch.

Ich gratuliere erst einmal Andreas Bialas zu seinem unglaublichen Talent. Ich wusste gar nicht, dass wir so etwas in der Landtagsfraktion haben. Ich bin gespannt, was da noch kommt.

Genauso begeistert bin ich darüber, dass das Thema Digitalisierung in allen Bereichen inzwischen eine so große Rolle spielt. Aber wenn es darum geht, konkrete Ansatzpunkte für die Politik aufzuzeigen, passiert es nur sehr selten. Von daher war ich geradezu euphorisch, als ich entdeckte, dass nun auch die CDU dieses Thema mit einem ganz konkreten Antrag zur Digitalisierung von Museumsbeständen für sich entdeckt hat.

Also begann ich in Erwartung eines progressiven, modernen und in die Zukunft denkenden Antrags zu lesen, um am Ende feststellen zu müssen, dass dieser Antrag genau an dem scheitert, woran gerade viele politische Initiativen zur Digitalisierung scheitern. Er beschreibt nämlich das politisch Gewollte in einer digitalen Welt, versäumt es aber, den Weg dorthin zu beschreiben. Ich finde, das konnten wir gerade auch bei der Diskussion feststellen. Wir alle sagen, das Urheber- und das Urhebervertragsrecht müssen geändert werden. Aber wie das konkret aussehen soll, diese Zielsetzungen haben mir in diesem Antrag gefehlt.

Ich denke, wir stimmen alle vollkommen darin überein, dass so etwas wie ein virtuelles Museum mehr Teilhabe gerade auch für junge Menschen schaffen kann und dass wir mit den sehenswerten Angeboten unserer Museen dadurch einem viel breiteren internationalen Publikum sichtbar werden können.

Das alles sind Ziele, meine sehr verehrten Damen und Herren, für die wir uns einsetzen sollten. Diese Ziele sollten ganz oben auf unserer kulturpolitischen Tagesordnung stehen. Aber wir brauchen dafür faire und praktikable Lösungen im Urheber- und im Urhebervertragsrecht.

Deshalb bin ich Justizminister Heiko Maas dankbar dafür, dass er genau das im Blick hat und dass er sich auf diesen Weg gemacht hat, der – darin sind wir uns wohl alle einig – mit Sicherheit nicht einfach ist. Denn wir müssen die Potenziale der Digitalisierung nutzen. Aber wir müssen gleichzeitig die Interessen der Künstlerinnen und Künstler im Blick haben. Denn diese haben ein Recht auf eine Lebensgrundlage.

Deshalb lassen Sie uns mit demselben Augenmaß an die Digitalisierung von Museumsbeständen herangehen. Lassen Sie uns das Ziel nicht aus den Augen verlieren und auch mit Nachdruck an der Umsetzung arbeiten, um gemeinsam mit den Betroffenen zu einer tragfähigen Lösung zu kommen.

Ich glaube, dass wir bei dem Novellierungsverfahren auf Bundesebene auf einem guten Weg sind. Das kann man im Übrigen auch am Statement des Deutschen Kulturrats zur Gesetzesnovelle zum Urhebervertragsrecht sehen, das am vergangenen Donnerstag veröffentlicht wurde und das ganz deutlich das symbiotische Verhältnis, die Gemeinsamkeit und die Kompromissfähigkeit zwischen Urhebern und Verwertern herausstellt. All das sind wichtige Entwicklungen und Diskussionen.

Das, was schon möglich ist, tut die Landesregierung bereits. Die Kunstsammlung NRW, das einzige Museum in unserer unmittelbaren Trägerschaft, ist bereits sehr aktiv beim Thema „Digitalisierung“. Es gibt auch eine sehr gute Museumsplattform NRW des Kultursekretariats Wuppertal, um hier nur zwei wichtige Beispiele zu nennen. Wir verpflichten uns außerdem – Herr Prof. Sternberg hat es angesprochen – im Kulturfördergesetz zur Unterstützung der Kultureinrichtungen bei der Digitalisierung. Das heißt, wir sind hier schon aktiv. Auch im Kulturförderplan haben wir das Thema „Digitalisierung“ zu einem unserer Schwerpunkte gemacht und planen dazu auch eine ganze Reihe von Aktivitäten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen die Chancen der Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen nutzen. Das sollten wir auch für Kunst und Kultur tun. Das ist auch mir persönlich wichtig. Ich meine auch, dass wir da auf einem guten Weg sind. Diesen werden wir auch in Zukunft konsequent weitergehen.

Ich wünsche Ihnen noch nicht „Frohe Weihnachten“, weil ich von Frau Schmitz noch zu einer Mündlichen Anfrage zum Kulturgutschutzgesetz eingeladen wurde. Darauf freue ich mich und hole das später nach. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/10422 an den Ausschuss für Kultur und Medien. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

11       Fragestunde

Mündliche Anfragen
Drucksache 16/10440

Mit der Drucksache 16/10440 liegen die Mündlichen Anfragen 73 und 74 vor.

Ich rufe nun die

Mündliche Anfrage 73

der Frau Abgeordneten Ingola Schmitz von der Fraktion der FDP auf:

 „Will die Landesregierung mit dem Kulturgutschutzgesetz ein Instrumentarium zur Sammlung von Informationen über den Privatbesitz und zur Legitimierung von erheblichen Eingriffen des Staates in das Privateigentum schaffen?

Am 18. Dezember 2015 berät der Bundesrat den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts.

Die Beschlussempfehlung der zuständigen Ausschüsse des Bundesrates zur Änderung des ohnehin bereits von Künstlern, Sammlern, Museen, Galerien, Kunsthändlern und anderen Vertretern der Kulturszene erheblich kritisierten Entwurfs sehen viele Experten mit großer Sorge.

So soll der im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Sachverständigenrat faktisch entmachtet werden. Mindestwertgrenzen und Verfahrensfristen, die Künstlern, Museen, Sammlern oder Händlern eine gewisse Sicherheit geben sollten, sollen ebenfalls aus dem Gesetzentwurf gestrichen werden.

Die Forderungen der Bundesländer nähren die Vermutung, dass es diesen bei dem geplanten Gesetz nicht etwa um eine Norm zum Schutz von herausragenden und einzigartigen Werken als Bestandteil des kulturellen Erbes geht, sondern um ein Instrument zur Sammlung von Informationen über den Privatbesitz in Deutschland sowie zur Legitimierung von erheblichen Eingriffen des Staates in das Privateigentum der Bürgerinnen und Bürger. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

Wie bewertet die Landesregierung die Vermutung, dass die in der Beschlussempfehlung des Bundesrates angeregten Änderungen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Kulturgutschutzgesetz vorrangig der Schaffung eines Instruments zur Sammlung von Informationen über den Privatbesitz in Deutschland sowie zur Legitimierung von erheblichen Eingriffen des Staates in das Privateigentum der Bürgerinnen und Bürger dienen sollen?

Die Landesregierung hat angekündigt, dass Frau Ministerin Kampmann – sie hat es auch gerade selber angekündigt – diese Mündliche Anfrage der Frau Kollegin Schmitz beantworten wird. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Schmitz! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie wissen, die Novellierung des Kulturgutschutzes in Deutschland dauert schon längere Zeit an. Der ursprüngliche Gesetzentwurf des Bundes wurde bereits mehrfach nachgebessert. Er liegt nun mit Stand vom 4. November vor und ist in dieser Fassung auch Gegenstand der Beratung morgen im Bundesrat.

Die FDP hat zum einen gefragt: Ist die Sammlung von Informationen über den Privatbesitz nicht ein Instrumentarium, um dieses auszunutzen? – Zum Zweiten fragt sie nach der Legitimierung von erheblichen Eingriffen des Staates in das Privateigentum.

Ich möchte zum einen darauf hinweisen, dass das kein Gesetz der Landesregierung ist, sondern ein Gesetz der Staatsministerin für Kultur und Medien. Das ist Monika Grütters von der CDU. Ich nehme aber trotzdem gerne Stellung.

Die Landesregierung sieht allerdings nicht den geringsten Anlass für die Befürchtungen bezüglich dieses Gesetzes, die die FDP in ihrer Anfrage äußert. Das bezieht sich zum einen auf die Informationsbeschaffung über Privatbesitz in Deutschland. Das bezieht sich zum anderen auch auf die Legitimierung von Eingriffen des Staates in das Privateigentum von Bürgerinnen und Bürgern.

Wir sind davon überzeugt, dass keine der Maßnahmen im Gesetz dafür vorgesehen oder in der Lage ist, tatsächlich ein Instrumentarium zur Informationsbeschaffung über Privateigentum zu schaffen. Es geht lediglich darum, die Ausfuhr dahin gehend zu kontrollieren, dass weder illegale Kulturgüter noch national besonders wertvolle Kulturgüter das Land verlassen.

Ich habe mich natürlich gefragt, wie Sie zu dieser Auffassung kommen, um Ihre Frage auch richtig zu verstehen. Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Anfrage auf einem „Welt“-Artikel vom 13. Dezember fußt. Es ist vorstellbar, dass die Ausfuhrgenehmigung für den Binnenmarkt, in dessen Rahmen eben auch Informationen zum Wert von Kulturgütern und zu Eigentümern angegeben werden müssen, als Grund für diese Befürchtungen herangezogen werden kann.

Aufgrund dieser Notwendigkeit aber von einem Instrumentarium – so wie Sie es tun – zur Sammlung von Informationen über den Privatbesitz zu reden, erscheint mir etwas weit hergeholt.

Vielleicht zielen Sie aber auch auf den ersten Referentenentwurf ab. Im ersten Referentenentwurf gab es nämlich ein Zutrittsrecht in Privatwohnungen, um Kulturgüter aufzuspüren. Das ist in dem Entwurf, über den wir heute reden, aber längst entfallen.

Der Hintergrund für die ursprüngliche Regelung war der Denkmalschutz. Da darf die öffentliche Hand Gebäude betreten, um die Einhaltung des Denkmalschutzes zu kontrollieren.

Eine weitere Frage in Ihrer Anfrage bezieht sich auf die Entmachtung des Sachverständigenrates. Davon sprechen Sie. Aber auch der Sachverständigenrat soll nicht – wie es in der Anfrage ausgedrückt wird – faktisch entmachtet werden, sondern es soll vielmehr im Benehmen mit dem Sachverständigenrat entschieden werden. Das ermöglicht nämlich, mit dem Eigentümer in Verhandlungen zu treten, um das Kunstwerk zu übernehmen, und zugleich rechtliche Schritte zu vermeiden. Denn ein Eigentümer wird in der Regel gegen eine Eintragung klagen, und das kann natürlich mögliche Verkaufsverhandlungen belasten. Der Sachverständigenausschuss bleibt aber wesentliche Instanz für die von meinem Haus zu treffenden Eintragungsentscheidungen.

Ein weiterer Punkt bezog sich auf das Thema „Mindestgrenzen und Verfahrensfristen“. Auch da kann ich sagen: Wir wollen keine Mindestgrenzen und Verfahrensfristen aus dem Gesetzentwurf streichen, wie es in Ihrer Anfrage heißt, sondern wir wollen Rechtssicherheit schaffen und wir wollen sorgfältig damit arbeiten können. Denn als Länder sind wir dafür zuständig, dieses Gesetz umzusetzen. Wir haben die Verantwortung für eine sachgerechte Umsetzung. Deshalb bezog sich ein Punkt im Bundesrat auch auf diesen Schritt.

Aber worum geht es bei der Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes überhaupt? Es geht zum einen um ein Gesetz, das drei bestehende Gesetze in ein kohärentes Gesetz zusammenführt. Das ist einmal das Kulturgutschutzgesetz. Das ist zum Zweiten das Kulturrückgabegesetz. Das ist zum Dritten das Gesetz zur Haager Konvention. Damit wird zwingend eine einschlägige EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt.

Die Ziele des Kulturgutschutzgesetzes sind zum einen die Stärkung des Abwanderungsschutzes, zum Zweiten die Verbesserung der Regelungen für die Rückgabe von unrechtmäßig verbrachtem Kulturgut und zum Dritten natürlich die Bekämpfung des illegalen Handels mit Kulturgut. Wir wissen, dass durch diesen Handel Terrorismus finanziert wird. Deutschland gilt als einer der Hauptumschlagplätze für dieses geraubte Kulturgut. Das darf nicht so bleiben. Deshalb begrüßen die Länder auch grundsätzlich das Kulturgutschutzgesetz.

Die Ziele, die ich genannt habe, sollen unter anderem dadurch erreicht werden, dass wir mit der Einführung einer Ausfuhrgenehmigungspflicht für Kulturgut bestimmte Kategorien und Wertgrenzen innerhalb der EU einhalten. Denn schon jetzt ist bei der Ausfuhr in Staaten außerhalb der EU eine entsprechende Ausfuhrgenehmigung für Kulturgut nach einheitlichen EU-Alters- und -Wertgrenzen in allen Mitgliedstaaten erforderlich. In nahezu allen Mitgliedstaaten, nämlich in 26 von 28, also allen außer den Niederlanden und Teilen von Belgien, speziell Flandern, gibt es bereits Regelungen zur Ausfuhr in EU-Staaten, also in den Binnenmarkt. Dieses soll nun auch für die Ausfuhr aus Deutschland in den Binnenmarkt geregelt werden.

Zu den Kritikpunkten der Länder: Wir begrüßen es grundsätzlich, dass wir im Rahmen dieses Gesetzesvorhabens eine breite gesellschaftliche Debatte führen, die uns den Wert von Kunst und Kultur noch einmal verdeutlicht. Trotzdem verbindet die Landesregierung mit diesem Gesetz auch erhebliche Kritik. Die Kritik bezieht sich zum einen auf das vom Bund gewählte Verfahren und zum anderen auf die Art der Kommunikation mit den Ländern und mit der Öffentlichkeit.

Der erste Referentenentwurf – daran werden Sie sich erinnern – hat konkreten und ganz erheblichen Protest ausgelöst, zum Beispiel wegen des bereits genannten Zutrittsrechts in die Häuser. Die Diskussion wäre damals wohl sachlicher gewesen, wenn ein mit den Ländern vordiskutierter Entwurf nicht schon vorher veröffentlicht gewesen wäre.

Der Bund hat die Länder zum Austausch über einen zweiten Referentenentwurf eingeladen und um Stellungnahmen gebeten, die auch eingereicht wurden. Aber der Bund hat nichts von diesen Stellungnahmen übernommen. Erst um eine Stellungnahme zu bitten, die dann keine Berücksichtigung findet, verstehen wir nicht als fairen Umgang miteinander.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat sich bei diesem Gesetzgebungsverfahren frühzeitig positioniert und die Punkte, die uns wichtig sind, klar benannt. Die wichtigsten, die auch in Länderanträge im Bundesratsverfahren eingeflossen sind, will ich benennen:

Wir lehnen zum einen die Eingriffe in landeshoheitliche Angelegenheiten, die der vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, entschieden ab. Das betrifft zum Beispiel folgenden Punkt: Der Bund kann einen Antrag stellen, dass ein Schutzverfahren eingeleitet wird. Dieses Verfahren soll er aber jetzt selbst einleiten können, ohne die Länder dabei einzubeziehen.

Eine solche Regelung geht unserer Meinung nach über ein Antragsrecht weit hinaus, greift erheblich in die Zuständigkeit der Länder ein und ist außerdem in der Praxis schwierig umzusetzen, weil dadurch ein Kompetenzwirrwarr entsteht.

Zum Zweiten glauben wir, dass die Frist von zehn Arbeitstagen für die Bearbeitung von Ausfuhrgenehmigungen für Kulturgut praxisuntauglich ist. Denn wir müssen die Möglichkeit haben, eine solche Entscheidung sorgfältig zu treffen. Deshalb wird diese Fristsetzung von den Ländern mehrheitlich abgelehnt und eine Erhöhung auf 20 Arbeitstage gefordert.

Wir glauben, dass 20 Arbeitstage ausreichend sind, um zum Beispiel Ausfuhrgenehmigungen, die eine Vielzahl von Exponaten – manchmal sind es mehrere hundert Objekte – umfassen können, seriös zu prüfen oder Nachfragen bei Experten zu stellen. Auch das ist manchmal notwendig.

Der dritte Punkt, den ich als Kritik der Länder benennen möchte, ist die einfache und genauso oft wiederholte Kritik, dass derjenige, der bestellt, auch bezahlen muss. Das gilt selbstverständlich auch für das Kulturgutschutzgesetz. Aus dem Gesetz ergeben sich erhebliche Kosten für die Länder: vor allem aus der Einführung einer Ausfuhrgenehmigung für den Binnenmarkt. Hier muss es für die Länder eine substanzielle finanzielle Entlastung geben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns wohl einig, dass das Anliegen des Kulturgutschutzgesetzes richtig ist und es deshalb auch wichtig ist, zu einer sachbezogenen Debatte zu kommen. Wir sehen allerdings für die Befürchtungen, die in der Mündlichen Anfrage thematisiert werden, keinen Anlass. – Ganz herzlichen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Kollegin Schmitz hat eine erste Frage. Bitte schön.

Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Ministerin, zunächst einmal herzlichen Dank für die ausführliche Beantwortung unserer Anfrage. Erlauben Sie mir dennoch eine weitere Nachfrage: Steht aus Sicht der Landesregierung das Kulturgutschutzgesetz in Übereinstimmung mit der einschlägigen UNESCO-Konvention von 1970?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ja, unserer Meinung nach ist das der Fall.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Kollege Nückel hat sich gemeldet.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Meine Frage lautet: Welche prozessualen Abläufe gab es bei der Landesregierung vor der am morgigen Tag anstehenden Abstimmung im Bundesrat? Wurde jemand konsultiert? Gab es ein Verfahren?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Dazu gab es zwei Besprechungen. Dabei sind unsere Anliegen nicht aufgenommen worden. Als ich ins Amt kam, gab es außerdem bei Frau Grütters eine Einladung, von der ich eben schon gesprochen habe.

Es gab eine Einladung von Frau Grütters an alle Kulturminister der Länder, bei der wir unsere Kritik vortragen konnten. Das habe ich gerade schon in meiner mündlichen Beantwortung erwähnt. Diese Kritik wurde an keiner Stelle aufgegriffen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Kampmann, Sie haben eben auf einen ausführlichen Beitrag in der „Welt“ verwiesen. Es hat auch am gestrigen Tag, also am 16. Dezember 2015, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen interessanten Artikel gegeben, in dem über Mängel, Spielräume und Unsicherheiten bei der Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes berichtet wird.

Da Sie die tatsächlichen Auswirkungen vergleichsweise entspannt sehen und das auch so dargestellt haben, ist meine Frage an Sie: Aus welchen Gründen teilt die Landesregierung nicht die ebenfalls vertretene Einschätzung, dass es im Falle einer Gesetzesverabschiedung zu einem Stillstand oder zu einer Behinderung von Forschungsaktivitäten, insbesondere im naturwissenschaftlichen Bereich, kommen kann?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, bitte schön.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Können Sie das vielleicht noch mal konkretisieren, warum es dort zu Behinderungen kommen kann?

Ralf Witzel (FDP): Der Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom gestrigen Tage stellt die Expertenmeinung dar, dass es durch neue Auflagen, die mit der Verabschiedung des Kulturgutschutzgesetzes verbunden sind, zukünftig schwieriger wird, in der Verfügbarkeit so zu verfahren wie bislang mit großen Forschungssammlungen, insbesondere im naturwissenschaftlichen Bereich, und dass hier zukünftig von Einschränkungen auszugehen ist.

Meine Frage an Sie war deshalb, ob Sie diese Befürchtung, die von Fachkreisen publiziert worden ist, teilen bzw. warum Sie die nicht teilen, wenn Sie nicht von gravierenden Auswirkungen ausgehen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Das war einfach eine Wiederholung und keine Konkretisierung.

Wir teilen diese Befürchtung nicht, sonst hätten wir das in unserer Bundesratsinitiative entsprechend aufgegriffen. Wir teilen sie auch deshalb nicht, weil die Aussage von Prof. Grütters ist, dass sich in diesem Bereich nichts ändert.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Zu einer zweiten Frage hat sich Frau Kollegin Schmitz gemeldet. Bitte schön.

Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, unter welchen Voraussetzungen sind nach Auffassung der Landesregierung naturwissenschaftliche Sammlungen als nationales Kulturgut einzustufen?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Frau Schmitz, das wird im Einzelfall entschieden. Ich denke, das wissen Sie auch. Deshalb gibt es auch den Sachverständigenrat, der Teil Ihrer mündlichen Anfrage ist. Der beurteilt im Einzelfall, und aufgrund dessen entscheidet die Landesregierung.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Zu einer Frage hat sich Frau Kollegin Freimuth gemeldet.

(Karin Schmitt-Promny [GRÜNE]: Nein!)

Angela Freimuth (FDP): Frau Kollegin, die Begeisterung ehrt mich.

(Heiterkeit von den GRÜNEN)

– Die Kollegin rief völlig euphorisch „nein“.

(Beifall von den GRÜNEN an Karin Schmitt-Promny [GRÜNE] gerichtet)

Frau Ministerin, ich möchte Ihnen eine Frage zur vorgesehenen Beweislastumkehr zulasten der privaten Sammler in Verbindung mit der parallel angekündigten Strafandrohung stellen: Wie stellt sich für die Landesregierung die aus meiner Sicht rechtsproblematische Ausgestaltung dar?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ich verteidige weiter gern das Gesetz von Frau Prof. Grütters, die sagt, dass von einer Verschärfung der Regelung für die Eintragung in das Verzeichnis als national wertvolles Kulturgut weder zulasten des Kunsthandels noch zulasten privater Eigentümer die Rede sein kann. Das ist die Aussage von Frau Grütters dazu.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Okay, vielen Dank. – Nun hat sich zu einer zweiten Frage der Kollege Nückel gemeldet. Bitte schön.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Frau Ministerin, im Bundestag wird der aktuelle Gesetzentwurf von den Grünen sehr kritisch gesehen, was insbesondere die naturkundlichen Sammlungen betrifft. Meine Frage lautet seriös formuliert: Hat die Landesregierung zum aktuellen Entwurf eine einheitliche Meinung? Oder spöttisch formuliert: Wie haben Sie den grünen Koalitionspartner auf Linie gebracht?

(Lachen von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Zum Verfahren, wie die Landesregierung zu ihrer Meinung kommt, muss ich hier keine Auskunft geben. Aber wir vertreten am Ende eine einheitliche Meinung. Ich glaube, das ist das, was für die Opposition von Interesse sein sollte.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Zu einer dritten und letzten Frage hat sich Frau Kollegin Schmitz gemeldet.

Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, aus welchen Gründen befürwortet die Landesregierung zur Behebung der Defizite nicht die Verweisung an den Vermittlungsausschuss mit dem Ziel, auf diesem Weg noch Qualitätsverbesserungen am Kulturgutschutzgesetz vornehmen zu können?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Wir sind der Meinung, dass es dafür noch zu früh ist, weil der Entwurf erst noch in den Bundestag geht. Sie kennen das Struck’sche Gesetz: Auch dort kann es noch zu Veränderungen kommen. Wir schließen das Verfahren im Vermittlungsausschuss aber nicht vollkommen aus.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Zu einer zweiten und letzten Frage hat sich der Kollege Witzel gemeldet.

(Zuruf von den PIRATEN: Zweiter Versuch! – Zuruf von der SPD: Ach nee!)

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Kampmann, Sie haben sicherlich auch in den letzten Wochen mitbekommen, dass in der Szene …

(Das Mikrofon wird abgeschaltet.)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Oh, Entschuldigung.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Marcel Hafke [FDP]: Das ist das Demokratieverständnis von SPD und Grünen! – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

Bitte schön, jetzt aber.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Jetzt ist auch wieder Saft auf dem Mikro.

Frau Ministerin Kampmann, Sie haben in den letzten Wochen sicherlich mitbekommen, dass es von betroffenen Kreisen Befürchtungen gibt, dass zukünftig im Falle der Verabschiedung des Kulturgutschutzgesetzes die Kompetenzen so erweitert werden, dass Beschlagnahmungen sehr viel leichter möglich sind, indem staatliche Kompetenzen erweitert werden.

Deshalb möchte ich Sie fragen, wie die Landesregierung zu diesem Punkt steht. Unterstützen Sie Bestrebungen, staatliche Kompetenzen im Zusammenhang mit dem neuen Kulturgutschutzgesetz so auszugestalten, dass selbst Beschlagnahmungen ohne vorherigen richterlichen Beschluss möglich sind?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Auch da können wir im jetzigen Entwurf keinen Hinweis darauf erkennen, dass Beschlagnahmungen tatsächlich einfacher möglich sein sollten, als es in der Vergangenheit der Fall war.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Es gibt eine zweite und letzte Frage der Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Ministerin, ich habe noch eine Nachfrage: Wie sieht denn die Einschätzung der Landesregierung zu den faktischen Auswirkungen des neuen Gesetzes auf den Kunst- und Antiquitätenhandel sowie auf die vorhin schon angefragte Situation der privaten Sammler aus?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Das führe ich gern noch einmal aus und gebe auch dazu gern noch einmal das wieder, was Frau Grütters sagt und dem wir uns als Landesregierung anschließen. Wir sind der Meinung, dass viele Kunsthändler und Galeristen von der Novellierung zum einen gar nicht betroffen sind, weil sie mit Objekten handeln, die außerhalb der Alters- und Wertgrenzen liegen. Wir gehen auch nicht von einer Verschärfung der Regeln für die Eintragung in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts zulasten des Kunsthandels und zulasten von privaten Eigentümern aus, weil sich an dieser Stelle im Gegensatz zur Vergangenheit nichts Entscheidendes geändert hat.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Es gibt eine Frage des Kollegen Höne.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Kampmann, wie definiert denn die Landesregierung für sich nationales Kulturgut?

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Das definiert die Landesregierung nicht für sich, sondern es gibt den Entwurf, der zu einer Definition kommen sollte. Das war das Ziel der Novellierung. Deshalb hat die Landesregierung keine eigene Definition, Herr Höne. Ich denke, das werden Sie verstehen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr hierzu vor. Damit ist die Mündliche Anfrage 73 beantwortet.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 74

des Herrn Abgeordneten Henning Höne von der Fraktion der FDP zu folgendem Thema auf:

 „Erneute Schädigung des Bildungs- und Wissenschaftsstandortes Münster durch Ministerin Schulze“

Am 18. November 2015 erschien in den Westfälischen Nachrichten ein Artikel mit der Überschrift „Wald-Zentrum verklagt Ministerium“. Im Artikel wird über die „ersatzlose Streichung“ von „Fördergelder[n] für zwei EU-Forschungsprojekte zur Mitte der Laufzeit“ durch das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung berichtet. Davon betroffen ist das Internationale Institut für Wald und Holz (Wald-Zentrum). Das Ministerium sagte die geforderten Kofinanzierungen schriftlich zu, der Staatssekretär nahm sogar für die Landesregierung an einer Auftaktveranstaltung in Münster teil. Das Wald-Zentrum hat bereits eine Klage gegen die Streichung der Mittel eingereicht.

Dazu erklärte Ministerin Schulze in der 53. Sitzung des Wissenschaftsausschusses, dass vom Wald-Zentrum getätigte Ausgaben nicht abrechnungsfähig waren.

Gemäß der Darstellung des Wald-Zentrums scheint es sich jedoch um einen Rechenfehler im Wissenschaftsministerium zu handeln. Institutsleiter Prof. Dr. Andreas Schulte: „Wegen eines eigenen Rechenfehlers hält das Wissenschaftsministerium seine rechts- und bestandskräftigen Zusagen zur Kofinanzierung der zwei EU-Forschungsvorhaben nicht ein und zahlt nichts mehr aus.“ Laut Berichterstattung in den Westfälischen Nachrichten summiert sich der Fehlbetrag auf mittlerweile mehr als 200.000 Euro. Bleibe das Ministerium bei seiner Position, drohten dem Projekt mit einem Gesamtvolumen in Höhe von 7,5 Millionen Euro das Aus. Schulte: „Das Ministerium sieht dabei zu, wie das Wald-Zentrum an Reputation verliert.“

Dieser Vorgang ist nach der Auflösung der Studienfonds und der nicht erfolgten Förderung des CARE-Instituts der dritte Streich der Wissenschaftsministerin, der dem Bildungs- und Wissenschaftsstandort Münster nachhaltig schadet. Wenn auf Förderzusagen aus Nordrhein-Westfalen kein Verlass mehr ist, wäre das ein schlechtes Signal an die europäische Forschungscommunity. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

Warum schadet die Landesregierung aufgrund selbst verursachter Rechenfehler dem Wald-Zentrum und dem Wissenschaftsstandort Münster?

Die Landesregierung hat angekündigt, dass Frau Ministerin Schulze antworten wird. Hiermit gebe ich Frau Ministerin Schulze das Wort. Bitte schön.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Höne, ich antworte natürlich gerne auf Ihre Frage, auch wenn der darin verpackte Vorwurf, ich würde dem Wissenschaftsstandort Münster, also immerhin meinem Wahlkreis als Abgeordnete, wissentlich und willentlich schaden, verzeihen Sie, wirklich nur noch als absurd bezeichnet werden kann.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich könnte es ja noch nachvollziehen, wenn Sie mir das Gegenteil vorwerfen würden, also wenn der Verdacht bestünde, für mich als Fachministerin würden lokale Interessen vor Compliance gehen, also wenn es darum ginge, dass ich Recht und Gesetz zurechtbiegen würde, um Landesgeld in meinen Wahlkreis zu schleusen. Sie drehen es hier aber um und werfen mir vor, dass ich strikt nach Recht und Gesetz handele, die Landeshaushaltsordnung anwende und für mich als Ministerin Compliance vor Wahlkreisinteressen geht. Mich dafür zu kritisieren, offenbart ein Politikverständnis, dem ich mich nicht anschließen möchte und nicht anschließen werde.

Da die vorliegende Frage sich ja im Wesentlichen auf Presseberichte stützt, will ich hier gerne auch noch einmal auf den Sachverhalt eingehen, über den wir heute sprechen.

Meine Damen und Herren, das Wissenschaftsministerium hat dem Wald-Institut 2013 Landesmittel bewilligt, damit es sich an zwei EU-Projekten beteiligen kann – interessanten Projekten, unter anderem zum Klimaschutz, an deren Sinn und Zweck bis heute kein Zweifel besteht. Die Projekte liefen an, nachdem die EU ihre Zuwendungen bewilligt hatte. Das erste Geld wurde auch vom Wissenschaftsministerium ausgezahlt.

Im Juni 2014 hat das Ministerium das Institut aufgefordert, für eines der Projekte einen aktualisierten Ausgabenplan vorzulegen. Das ist bei solchen Projekten Routine.

Im September 2014 wurde dann schließlich ein geänderter Ausgabenplan vorgelegt – allerdings mit einer Überraschung. Das Wald-Institut hatte inzwischen geänderten Bedingungen der EU zugestimmt und dies nicht mit dem Ministerium abgestimmt und bräuchte nun mehr Geld als ursprünglich bewilligt. Zahlen sollte dieses Geld das Ministerium. Das ist nicht nur höchst ungewöhnlich; genau genommen hätte das Institut die geänderten Bescheide gar nicht annehmen dürfen, ohne sich vorher um die Finanzierung zu kümmern und sich mit dem Ministerium abzustimmen.

Das Wissenschaftsministerium hat daraufhin eingehend geprüft, wie dem Wald-Institut aus dieser selbst verursachten Lage herausgeholfen werden kann. Das Ergebnis: Die Landeshaushaltsordnung ließ eine Förderung der zusätzlich angemeldeten Ausgaben nicht zu. Es waren Gemeinkosten enthalten, die so nicht gefördert werden konnten. In diesem Zusammenhang wurden auch die Bescheide von 2013 mit Blick auf die Gemeinkosten noch einmal eingehend geprüft. Die Prüfung ergab, dass auch dort die Landeshaushaltsordnung keinen anderen Weg zuließ, als den Zuwendungsbetrag zu reduzieren.

Meine Damen und Herren, jeder, der sich mit Förderverfahren auskennt, weiß, dass Anpassungen von Förderbescheiden nicht ungewöhnlich sind. Üblicherweise setzen sich die Beteiligten in solchen Fällen zusammen und finden gemeinsam eine Lösung.

Für einen solchen Dialog braucht es aber immer zwei. Wir haben hier zahlreiche Angebote gemacht, die das Institut ausgeschlagen hat. Auch fest vereinbarte Gesprächstermine wurden ohne Nennung von Gründen abgesagt.

Sie müssen das Wald-Institut fragen, warum es den lösungsorientierten Weg verlassen hat und stattdessen so schnell vor Gericht gezogen ist; denn allen Beteiligten musste klar sein: Sobald der Rechtsweg eingeschlagen ist, befinden wir uns auf einem anderen Spielfeld. Die Landeshaushaltsordnung verbietet eine Förderung von Vorhaben, deren Gesamtfinanzierung nicht gesichert ist.

Es blieb uns nichts anderes übrig, als die Auszahlungen zu stoppen und die beiden Förderbescheide rechtlich zwingend zurückzuziehen. Hier lässt die Landeshaushaltsordnung keinerlei Ermessensspielraum zu – und ich werde die Landeshaushaltsordnung weder biegen noch brechen, um einem Institut aus Münster einen Gefallen zu tun.

Dass diese Auffassung nicht ganz verkehrt ist, hat sich in dem Eilverfahren Anfang des Jahres gezeigt. Das Verwaltungsgericht hat hier zugunsten des Ministeriums entschieden. Im August 2015 hat das Wald-Institut nun auch gegen die Teilrücknahme- bzw. Teilwiderrufungsbescheide Klage erhoben. Wie in juristischen Auseinandersetzungen üblich, wartet das Wissenschaftsministerium die endgültige Entscheidung des Gerichtes ab.

Gerade für das Institut und seine unbestritten wichtige wissenschaftliche Arbeit wären eine schnelle Gerichtsentscheidung und damit Rechtssicherheit sicherlich hilfreich. Umso erstaunlicher ist, dass in den vier Monaten seit Einreichung der Klage keine Klagebegründung seitens des Wald-Institutes vorgelegt wurde – das Gericht hat sogar schon die Begründung angemahnt – und dadurch der Prozess unnötig in die Länge gezogen wird.

Stattdessen wird versucht, politischen Druck aufzubauen. Diese Melange aus Wahlkreis, Ministerin und haltlosen Vorwürfen ist wohl zu verlockend. Ich fände es dagegen deutlich hilfreicher, wenn wir die Sache juristisch sauber klären könnten und das Wald-Institut das Seine dazutäte, dass das Verfahren endlich vorankommt. – Herzlichen Dank.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Zu einer Frage hat sich der Kollege Höne gemeldet.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, in den Aufhebungsbescheiden vom 31. Juli dieses Jahres heißt es:

Weder das Ministerium noch das Institut waren sich der Tatsache bewusst, dass die Bewilligung fehlerhaft war und so nicht hätte erlassen werden dürfen. Es fällt auch nicht in den Verantwortungsbereich des Instituts, die grundsätzlich vonseiten der Bewilligungsbehörde falsch bemessene Förderquote zu erkennen, zumal sich die Bewilligungsbehörde selbst dessen nicht bewusst war.

Damit weist Ihr Haus ganz eindeutig sich und nicht dem Institut den Fehler zu.

Noch erstaunlicher ist aus unserer Sicht, dass die Erkenntnis, diesen Fehler begangen zu haben, Ihrem Ministerium bereits seit Oktober 2014 vorlag. Können Sie sich erklären, wieso zwischen dem Erkennen dieses Fehlers und dem Erlass der Aufhebungsbescheide über neun Monate vergehen konnten und das Wald-Institut erst eine Untätigkeitsklage gegen Ihr Haus einreichen musste, obwohl die mehrfach dargelegte Gefahr vorlag, NRW, das Wald-Zentrum und seine europäischen Forschungspartner massiv zu schädigen und damit die bislang eingesetzten Steuergelder zu verschwenden?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Frau Ministerin, bitte schön.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Höne, wie ich am Anfang schon deutlich gemacht habe, ist es üblich, dass es in solchen Verfahren dazu kommt, dass Förderbescheide verändert werden müssen. Das Institut hat mehr Geld von der EU angenommen. Es hat aber nicht mit uns abgestimmt, dass wir unseren Förderbescheid erhöhen. Das ist sehr ungewöhnlich.

Wir haben dem Institut dann verschiedene Brücken gebaut und mehrfach Gespräche angeboten; denn das übliche Verfahren ist – das funktioniert auch mit allen anderen in diesem Lande so –, dass man sich zusammensetzt, wenn es eine Veränderung in einem Förderbescheid gibt, und gemeinsam nach einem Lösungsweg sucht. Diese Lösungswege hat das Institut ausgeschlagen. Es hat stattdessen den Rechtsweg beschritten. Wir können Brücken bauen. Darüber gehen muss das Institut aber selber.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Herr Kollege Bombis, bitte schön.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, was auch immer jetzt die Ursache für diese Sache ist, ob es an einem Rechenfehler lag oder woran auch immer: Sie müssten dem Institut doch zumindest die bis zur Aufhebung der Bescheide, also bis zum 31. Juli 2015, im Vertrauen auf die rechts- und bestandskräftigen Mittelbescheide nachweislich bereits verausgabten Mittel und die im Vertrauen darauf eingegangenen Vermögensdispositionen erstatten.

Stattdessen streicht Ihr Haus ersatzlos und rückwirkend alle Mittel bis auf die geringen Anzahlungen, was uns und die Sachverständigen insbesondere zu dem Schluss führt, dass zumindest der Schaden für das Institut doch in Kauf genommen wird. Können Sie uns bitte eine Begründung für dieses Handeln geben?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Zunächst einmal sind nicht alle Sachverständigen, die Sie hier bemühen, dieser Meinung. Wir sind in einem Eilverfahren vor Gericht gewesen. In diesem Eilverfahren hat das Ministerium Recht bekommen.

Es gibt ein klares Verfahren in der Landeshaushaltsordnung, und da gibt es keinen Interpretationsspielraum. Das Verfahren, das wir gewählt haben, ist in der Landeshaushaltsordnung vorgegeben. Um die Bescheide zu korrigieren und ein anderes Verfahren zu wählen, hätte das Institut bereit sein müssen, mit uns gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Dazu war das Wald-Institut aber nicht bereit.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächster hat sich der Kollege Bell gemeldet.

Dietmar Bell (SPD): Frau Ministerin, Sie sprachen davon, dass versucht werde, politischen Druck aufzubauen. Was meinen Sie damit? Können Sie das belegen?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, bitte schön.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sie werden sicherlich auch viele Mails vom Wald-Institut bekommen haben. Ich habe mich schon darüber gewundert, dass das Wald-Institut nicht in der Lage ist, Gespräche mit uns zu führen, aber durchaus in der Lage ist, ganz vielen im Umfeld zu schreiben, dass sie bitte Druck ausüben sollen. Der Versuch, über – na ja – Druckausüben die Landeshaushaltsordnung zu verändern, ist schon ziemlich ungewöhnlich.

Ich hätte mir gewünscht, dass man, anstatt Mails zu schreiben, Leserbriefe an lokale Zeitungen zu schicken, die Ministerpräsidentin anzuschreiben, soziale Netzwerke zu aktivieren, einfach bereit gewesen wäre, sich an einen Tisch zu setzen und ein Gespräch zu führen. Wenn diese Bereitschaft nicht gegeben ist, finde ich schon, dass man davon sprechen kann, dass versucht wird, einen politischen Druck aufzubauen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Als Nächster hat sich der Kollege Busen gemeldet, der auf dem Platz von Dr. Papke sitzt.

Ich habe die herzliche Bitte, wenn ich das sagen darf, dass die Kollegen gerade bei Fragestunden auf ihrem Platz sitzen. Wenn sich zehn Kollegen melden, ist es, weil hier dann falsche Namen erscheinen, äußerst schwierig, alle immer passend aufzurufen. – Herr Kollege Busen, Sie haben das Wort.

Karlheinz Busen (FDP): Frau Ministerin, das Wissenschaftsministerium hat sich trotz rechts- und bestandskräftiger Mittelbescheide entschlossen, 2013 schriftlich zugesagte Projektfinanzierungen für das Forschungszentrum Wald in Münster zur Mitte der Laufzeit im Sommer 2015 ersatzlos zu streichen mit der unglaublichen Begründung, ein Ministerialrat hätte sich bei der Erstellung der Mittelbescheide verrechnet. Wörtliches Zitat in den Aufhebungsbescheiden: Die Zuwendung wurde jedoch falsch bemessen. – Das war vom 31. Juli 2015. Oder auch: Bei der Überprüfung des Zuwendungsbescheids wurde ein Fehler festgestellt. – 20. März 2015.

Die Frage: Sind Sie sich sicher, dass sich der verantwortliche Ministerialrat gleich zweimal in unabhängigen Projektbewilligungen zu verschiedenen Zeiten nur beim Wald-Zentrum verrechnet oder – in Ihrem Deutsch – die Zuwendung falsch bemessen hat? Oder passierte ihm das häufiger?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, bitte schön.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, das Zuwendungsrecht und vor allen Dingen das EU-Recht sind äußerst komplex. Dass Förderbescheide angepasst werden müssen, vor allen Dingen wenn der Antragsteller einseitig die zu fördernde Summe anhebt, ist nichts Ungewöhnliches. Normalerweise setzt man sich an einen Tisch, und dann kann man da zu einer Lösung kommen.

Das ist bei diesem Institut nicht möglich gewesen. Dann ist es nach Landeshaushaltsordnung nicht möglich, Bescheide einfach so zu korrigieren, sondern man hätte darüber Gespräche führen können.

Ich kann Ihnen das auch gerne noch mal genauer erläutern: Es ist nicht so, dass das Wissenschaftsministerium Zuwendungsbescheide einfach so zurücknimmt, sondern nach Feststellung der Finanzierungsproblematik ist zunächst einmal die weitere Auszahlung gestoppt worden. Dieser Schritt ist unumgänglich. Die Landeshaushaltsordnung lässt bei Vorhaben, deren Gesamtfinanzierung nicht gesichert ist, keinen Ermessensspielraum zu; sie sind schlichtweg nicht förderfähig.

Gleichzeitig wurde jedoch nach einer Lösung im Sinne des Wald-Instituts gesucht, indem verschiedene alternative Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten geprüft wurden. Erst nachdem das Institut für Wald und Holz juristische Schritte eingeleitet hat und zahlreiche Gesprächsangebote ausgeschlagen hat, blieb dem Ministerium nichts anderes übrig, als die Förderbescheide rechtlich zwingend zurückzuziehen.

Noch einmal: Wäre das Institut bereit gewesen, so wie es eigentlich üblich ist, mit demjenigen, der ihm das Geld gibt, einfach mal das Gespräch zu suchen, sich an einen Tisch zu setzen und nach Lösungen zu suchen, hätte man auch andere Wege gehen können.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Herr Kollege Ellerbrock hat sich zu einer Frage gemeldet.

Holger Ellerbrock (FDP): Frau Kollegin, Sie beklagten eben mangelnde Kommunikationsbereitschaft des Instituts. Jetzt habe ich gelernt: Kommunikation hat etwas mit Actio und Reactio zu tun. Stark sein heißt, auch Schwäche zeigen zu können. Wenn Sie Kommunikationsmängel beim Institut beklagen, dann frage ich mich: Warum haben Sie die Leute nicht einfach mal auf eine Tasse Kaffee eingeladen? Das ist in Mitteleuropa einfach möglich. Ich kann Ihnen aus eigener Verwaltungserfahrung sagen: Das hilft wirklich. Nur, man muss es auch machen und ehrlich wollen. Dann klappt das auch.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ist wie mit dem Klima!)

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir haben das Institut mehrfach eingeladen, auch auf unterschiedlichsten Ebenen. Auch der Staatssekretär hat noch einmal sehr darum gebeten, ein Gespräch zu führen. Wenn das Institut ohne Nennung von Gründen solche Gesprächseinladungen ausschlägt, dann bleibt einem nicht mehr viel. Man kann nur einladen. Der Eingeladene muss dann auch bereit sein, Gespräche zu führen. Und das Institut war nicht bereit, Gespräche zu führen. Wir haben mehrfach eingeladen.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Gründe! – Gegenruf von der SPD – Holger Ellerbrock [FDP]: Ach, stimmt doch nicht! Ja, da fahre ich hin, Herr Römer! Was ist daran nicht einfach? Das haben wir früher auch gemacht! Gar kein Problem!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Hafke, Sie haben das Wort.

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. Ich sitze jetzt auf meinem Platz, wo ich hinsollte.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Schön, dass Sie da sitzen.

Marcel Hafke (FDP): Danke sehr. – Frau Ministerin, es ist schon eine hochinteressante Debatte. Wir haben vor einigen Wochen und Monaten im Ausschuss erlebt, dass das CARE-Institut wahrscheinlich aus Nordrhein-Westfalen abwandern wird. Jetzt haben wir die Debatte um das Wald-Zentrum. Wir erleben hier ein Schwarze-Peter-Spiel, bei dem Sie sagen – jetzt mehrfach ausgeführt –, das Institut sei selber schuld daran. Meines Erachtens ist es doch die Aufgabe einer Ministerin, die für Wissenschaft und Forschung zuständig ist, darum zu kämpfen, dass so ein Institut überleben kann und dass es in Nordrhein-Westfalen seiner Tätigkeit nachgehen kann.

Daher möchte ich Sie noch einmal darum bitten, dem Parlament ausführlich zu berichten, was Sie denn konkret in den letzten Monaten, seitdem das juristische Verfahren eröffnet ist, gemacht haben, um das Institut hier vor Ort zu halten und die finanzielle Ausstattung des Instituts zu sichern.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Bitte schön, Frau Ministerin.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Hafke, es geht nicht um das Institut als Ganzes, sondern es geht um große EU-Projekte, die wir dort mitfinanziert haben, und bei denen wir ein Interesse daran haben, dass sie auch unter der Beteiligung von Nordrhein-Westfalen laufen; denn es handelt sich um interessante Forschungen zum Klimawandel.

Es geht nicht darum, was wir gerne möchten. Vielmehr hat das Institut den juristischen Weg gewählt und eine Klage eingereicht. Ab diesem Zeitpunkt bewegt man sich auf einem anderen Spielfeld, und dieses andere Spielfeld respektiere ich auch. Ich habe mich natürlich an die damit verbundenen Usancen gehalten und mich auf das Gerichtsverfahren konzentriert.

Wir haben dem Institut mehrfach Gesprächsangebote gemacht, wir haben mehrfach darum gebeten, sich mit uns an einen Tisch zu setzen, um gemeinsam eine Klärung herbeizuführen. Das Institut war aber nicht dazu bereit. Warum es nicht bereit war, müssen Sie bitte das Institut selber fragen.

Wir haben es gerne gefördert. Wir hätten auch darüber hinweggesehen, wenn eine höhere Förderung der EU zugesagt worden wäre, ohne dies mit uns abzusprechen. Dafür hätten wir eine Lösung gefunden, wenn das Institut bereit gewesen wäre, darüber zu sprechen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Frau Kollegin Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP): Frau Ministerin, Sie haben nun ausführlich dargelegt, dass sich das Wald-Institut mehrfach der Aufforderung widersetzt hat, Ihre Einladung anzunehmen. Nun ist der Weg der Klage beschritten, und Ihr Pressesprecher hat unter anderem geschrieben, dass mit der Klage der Weg einer zeitnahen einvernehmlichen und konstruktiven Lösung versperrt sei; Sie haben das vorhin auch noch einmal zum Ausdruck gebracht.

Können Sie uns hier einmal darlegen, wie denn eine konstruktive Lösung Ihrerseits ausgesehen hätte? Sie haben auch von anderen Wegen gesprochen. Mich würde interessieren, wir Ihr Ministerium das sieht.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Wir hätten sicherlich in Gesprächen mit dem Institut Lösungen gefunden. Schließlich handelt es sich um einen Teil der Universität. Vielleicht hätte man mit der Universität noch einmal reden können. Es gibt Möglichkeiten. Wir finden in allen anderen EU-Projekten, in denen so etwas passiert, immer individuelle Lösungen; das ist durchaus üblich.

Das Institut hat sich aber dazu entschieden, vor Gericht zu gehen. Es hat ein Eilverfahren angestrebt, und bereits da hat sich gezeigt, dass unsere juristische Sicht der Dinge nicht ganz verkehrt ist; denn wir haben in diesem Eilverfahren Recht bekommen. Es ist zugunsten des MIWF entschieden worden.

Trotzdem war das Institut nicht bereit, das Gespräch mit uns zu suchen, sondern es geht weiterhin den Weg der Klage, auch wenn die Begründung immer noch fehlt. Wenn ein Klageverfahren läuft, ist es nicht ganz einfach, weitere Gesprächsangebote zu machen und Lösungen zu finden.

Ich bin mir sicher: Wenn man sich zusammengesetzt hätte, hätte man Lösungen gefunden, so wie in allen anderen Fällen auch. Es ist absolut üblich, dass solche Bescheide sozusagen korrigiert werden, dass sich vonseiten der EU etwas ändert, dass sich im Institut etwas ändert. Das ist nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist nur, dass das Institut nicht bereit war, mit immerhin einem der Geldgeber darüber zu sprechen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich lasse mir gerade noch einmal die Antwort, die Sie vorhin auf die Frage des Kollegen Busen gegeben haben, auf der Zunge zergehen.

Die Tatsache, dass in diesem Fall das Verrechnen zweifach stattfand und die Abläufe bzw. Verantwortlichkeiten der Kontrolle zweifach wirkungslos gewesen sein sollen, ist irgendwie doch beeindruckend und fordert ein hohes Maß an Glauben. Haben Sie intern oder extern prüfen lassen, ob nicht auch gleiche oder ähnliche Rechenfehler bei anderen durch Ihr Haus kofinanzierten EU-Vorhaben aufgetreten sind?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir haben es hier wirklich mit einer sehr komplexen juristischen Materie zu tun. Das EU-Recht und die rechtlichen Grundlagen für die Landesförderung müssen beide beachtet werden; und in dieser Konstellation ist das nicht ganz einfach. Deswegen beraten wir bei solchen EU-Projekten auch und finden normalerweise gemeinsame Lösungen.

Es wurden in den ersten Bescheiden zunächst auch indirekt Gemeinkosten bewilligt, und diese Gemeinkosten dürfen nach Landeshaushaltsordnung nicht bezuschusst werden. Das ist bei einer erneuten Überprüfung der Bescheide aufgefallen. Wenn auffällt, dass das rechtswidrig ist, sind wir gezwungen, das zu korrigieren.

Es wundert mich etwas, dass Sie so intensiv nachfragen. Schließlich ist dem Land dadurch kein finanzieller Schaden entstanden, und die Projekte laufen weiter. Das ist übrigens ein entscheidender Unterschied zu den Rechenfehlern, zu denen es in der schwarz-gelben Zeit gekommen ist und aufgrund derer dem Land dreistellige Millionenbeträge – etwa in Duisburg oder Bielefeld – verloren gegangen sind.

Es gab Gemeinkosten, die geltend gemacht worden sind. Das ist am Anfang nicht aufgefallen. Wir hätten dafür Lösungen gefunden, wenn das Institut bereit gewesen wäre, darüber zu reden. Warum das Institut als eines der wenigen, die ich kenne, nicht dazu bereit ist – und das ist ungewöhnlich –, müssen Sie das Institut fragen.

(Marcel Hafke [FDP]: Da haben Sie doch einen Fehler gemacht!)

– Dass bei solchen komplexen Sachverhalten nicht immer auf Anhieb alles richtig läuft, das kommt vor. Dort sitzen Menschen zusammen. Da ist das EU-Recht, da ist die Landesförderung. Wenn man das alles in einem so großen Projekt mit so vielen Konsortialpartnern koordinieren will, kann es auch zu Fehlern kommen. Aber normalerweise ist es in einem solchen Fall ganz einfach möglich, Förderbescheide zu korrigieren. Man setzt sich an einen Tisch, man redet darüber, was passiert ist – dort sind Gemeinkosten enthalten, die nach Landeshaushaltsordnung nicht förderfähig sind –, und dann findet man eine Lösung dafür. Das geht aber nur, wenn man sich an einen Tisch setzt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Frau Ministerin, wenn ich mir erlauben darf, auch gewisse Parallelen zu der Diskussion um Care und andere Forschungsinstitute zu ziehen, dann stellt sich mir doch die Frage, warum Sie sich einfach nur auf die Position beziehen, das Institut hätte von seiner Seite aus auf Sie zukommen müssen.

In diesem Zusammenhang frage ich mich, ob Sie die Auswirkungen auf das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Wissenschaftsministerium nicht völlig verkennen.

Würden Sie zum Beispiel eine Bank weiterempfehlen, die trotz schriftlicher Finanzierungsverträge, trotz schriftlich gemachter Zusagen hinterher sagt: „Ups, alles ganz anders, wir machen das eben doch nicht“? Glauben Sie, dass Forschungsinstitute in Zukunft Ihren schriftlichen Zusagen überhaupt noch Vertrauen entgegenbringen und auf eine Bestandskraft setzen?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin, bitte.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Frau Freimuth, ich weise zunächst einmal deutlich zurück, dass ich gesagt haben soll, sie hätten dann einfach einmal kommen sollen. Vielmehr habe ich darauf hingewiesen, dass wir mehrfach Gesprächsangebote gemacht haben, dass wir Termine vereinbart haben, dass wir auf mehreren Ebenen versucht haben, mit dem Wald-Institut in ein Gespräch zu kommen, und dass diese Termine abgesagt worden sind und dass das Institut nicht bereit war, mit uns das Gespräch zu suchen. Mehr kann man nicht machen, als es mehrfach zu versuchen.

Es ist bei EU-Projekten nicht ungewöhnlich, dass es zu Änderungen in den Förderbescheiden kommt. Das ist eher die Regel. Denn es ist komplex. Schauen Sie sich die beiden Projekte einmal an. Bei RERAM ist die Rede von zwölf Projektpartnern. Wir sprechen über 1,1 Millionen € Gesamtkosten, und daran ist das Land mit 180.000 € beteiligt. Bei SIMWOOD sprechen wir über 28 Projektpartner, 7,5 Millionen €, und daran sind wir mit 95.000 € beteiligt.

Dass es nicht einfach ist, diese vielen Partner zu koordinieren, dass es nicht einfach ist, EU-Recht und Landesrecht zu koordinieren, bestreitet niemand. Deswegen haben wir ausgebildete Spezialisten im Haus, die sich mit Förderrecht auskennen, die genau wissen, wie so etwas funktioniert, und die die jeweiligen Projektnehmer beraten. Dazu war das Wald-Institut nicht bereit.

Dass die Projekte dadurch gefährdet würden, ist übrigens nicht der Fall. Das RERAM-Projekt läuft seit dem 1. Juni 2014 und wird noch etwa sechs weitere Monate laufen. Das SIMWOOD-Projekt läuft noch etwas länger. Wie gesagt, die Projekte sind nicht gefährdet. Das Wald-Institut ist einer von 12 bzw. 28 Projektpartnern, die daran beteiligt sind.

Noch einmal: Förderrecht ist kompliziert. Deshalb macht das auch nicht die Ministerin selbst, wie Sie hier vielleicht gerade unterstellen, sondern Spezialisten im Haus, die dafür ausgebildet sind. Diese Spezialisten hätten in den konkreten Fällen beraten, wenn das Institut zu einer Beratung bereit gewesen wäre.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Busen.

Karlheinz Busen (FDP): Frau Ministerin, ich bin schon sehr erstaunt darüber, was Sie hier von sich geben. Erst mal vorab: Das Institut musste die bereits bewilligten Fördergelder für das Weihnachtsbaumkulturen-Projekt in Höhe von 500.000 € zurückweisen.

Sie sagten gerade mehrfach, dass Sie oft versucht hätten, mit dem Institut Kontakt aufzunehmen und mit ihm zu sprechen. Da ich selbst das Institut besucht habe und mir dort etwas völlig anderes gesagt wurde, frage ich Sie: Wie, wann und in welcher Form haben Sie versucht, mit dem Institut Kontakt aufzunehmen? Wie oft haben Sie es versucht? In welcher Art und Weise ist Ihnen diese Kontaktaufnahme verweigert worden? Das würde mich wirklich interessieren.

Das Institut ist von der EU mit 6 Millionen € bis 7 Millionen € gefördert worden. Hier geht es um rund 100.000 € seitens des Landes. Insofern verstehe ich nicht, dass man sich nicht an einen Tisch setzen konnte. Schließlich ist das Institut daran interessiert, mit Ihnen zu sprechen. Sie sagen mir aber, dass das Institut alle Gespräche verweigert habe.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das waren jetzt eigentlich mehrere Fragen, Herr Kollege Busen. – Frau Ministerin, nun haben Sie Gelegenheit zur Antwort. Bitte.

Svenja Schulze (SPD): Herr Abgeordneter, wir haben dem Institut mehrfach Gespräche angeboten. Zunächst haben wir es auf der üblichen Ebene im Referat, dann über die Referatsleitung, schließlich über den Staatssekretär versucht, Gespräche nach vorne zu bringen. Es waren Gespräche vereinbart, die vom Institut ohne Nennung von Gründen abgesagt wurden.

Dann hat das Institut den Klageweg gewählt. Mehr, als Gespräche anzubieten, mehr, als immer wieder zu sagen: „Lassen Sie uns ins Gespräch kommen, lassen Sie uns darüber reden“ – bei dem Institut handelt es sich schließlich um jemanden, der Geld vom Land haben möchte –, kann man einfach nicht machen. Wenn diese Angebote abgelehnt und stattdessen E-Mails geschickt werden, wenn versucht wird, Druck auszuüben in der Hoffnung, dass man so die Landeshaushaltsordnung verändern kann, dann hat sich das Institut für einen anderen Weg entschieden.

Unser Weg wäre wie bei allen anderen EU-Projekten auch gewesen – das ist nämlich nicht ungewöhnlich –, die Förderbescheide zu ändern. Das machen wir an vielen Stellen, wenn man zu miteinander ins Gespräch gekommen ist. Warum das Wald-Institut dieses Gespräch nicht gesucht hat und warum es auf unsere vielen Angebote nicht eingegangen ist, kann ich Ihnen nicht erklären.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Bell.

Dietmar Bell (SPD): Frau Ministerin, Sie haben ausgeführt, dass bis zum heutigen Tag, obwohl die Klage bereits vier Monate anhängig ist, keine Klagebegründung des Wald-Instituts bei Gericht eingegangen ist. Stattdessen wurde die Kraft offensichtlich auf das Versenden von Massenmails und Öffentlichkeitsarbeit verwendet. Ist Ihnen ein solches Verfahren bisher jemals untergekommen? Und glauben Sie, dass das Institut gut beraten ist, diesen Weg zu gehen?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Abgeordneter, das ist ein sehr ungewöhnliches Verfahren. Auch wir hätten ein Interesse daran, dass – wenn schon das Institut vor Gericht zieht und diesen Weg wählt, statt mit uns zu reden – wenigstens schnell Rechtssicherheit geschaffen wird. Wir warten jetzt seit vier Monaten auf die Klagebegründung. Das ist meines Erachtens ein sehr ungewöhnliches Vorgehen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident, herzlichen Dank. – Frau Ministerin, ich möchte noch einmal auf die konstruktive einvernehmliche Lösung eingehen, nach der ich vorhin schon einmal gefragt habe. Wenn Sie doch mehrfach Gesprächsangebote gemacht haben, dann werden Sie das sicherlich nicht getan haben, ohne sich vorher Gedanken darüber gemacht zu haben, was für ein Angebot Sie dem Institut unterbreiten wollen. Genau darum ging es in meiner Frage, und deswegen stelle ich sie noch einmal: Was für konkrete Vorschläge hätten Sie denn dem Institut unterbreitet?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sehr geehrte Frau Abgeordnete, das ist eine komplexe Materie, mit der wir es hier zu tun haben.

(Lachen von der FDP)

– Das ist wirklich so. – Ich kann Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie einmal ins EU-Förderrecht, und schauen Sie sich da die Unterschiede zwischen Beteiligungen, Förderquoten, Überförderung etc. an.

Wir hätten mit dem Institut verschiedene Möglichkeiten diskutieren können. Ich kann das hier nicht im Detail darlegen, aber das kann ich Ihnen aber gerne einmal aufschreiben. Es ist aber superkomplex. Das ist eine superschwierige Materie. Wir hätten aber – wie mit allen anderen auch – Lösungen gefunden.

(Zuruf von der FDP: Welche?)

Wir hätten Förderquoten erhöhen können. Wir hätten eine andere Zuschussform wählen können. Das alles ist im Rahmen der Landeshaushaltsordnung möglich.

Um die Frage zu klären, was man konkret hätte machen können, hätte man sich an einen Tisch setzen und sich die Ausgabenplanung des Instituts genau vornehmen müssen. Man sich fragen müssen: Wie können wir diesen Posten der Gemeinkosten ersetzen? – Dazu war das Institut nicht bereit. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Wir hätten diesen Weg eingeschlagen. Das Institut wollte darüber nicht reden. Und wenn man nicht darüber reden will, dann kann man auch nicht helfen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Die nächste Frage kommt von Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Die Frage, die sich mir sofort stellte, hat der Kollege vorhin schon aufgegriffen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Okay. – Dann ist Herr Kollege Hafke dran.

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich möchte noch einmal auf das etwas grundlegendere Thema der Förderpraxis zurückkommen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

– Die Grünenfraktion ist bei dem Thema wieder ganz sachlich. Das ist immer das Gleiche. – Ich möchte zu dem grundsätzlichen Thema der Förderpraxis kommen, die wir hier auf EU- und auf Landesebene haben. Sie haben eben gesagt, dass dort voraussichtlich Fehler unterlaufen sind. Das nehmen wir jetzt einfach einmal so hin. Darauf möchte ich auch gar nicht eingehen.

Nach meinem Kenntnisstand – so, wie Sie es gerade eben ausgeführt haben – braucht man auf EU-Ebene bei den Gemeinkosten keinen Eigenanteil. Der wird für die Förderung nicht vorausgesetzt. Ist es denn auf Landesebene so, dass dieser Eigenanteil an den Gemeinkosten vorausgesetzt wird?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Gemeinkosten sind ja so etwas wie Raummiete, Strom, Heizung und Telefongebühren, die das Institut zu zahlen hat. Die Landeshaushaltsordnung sieht vor, dass wir nur direkte Ausgaben fördern können, die mit Belegen nachweisbar sind.

Gemeinkosten – das, was wir generell auch als Overhead-Kosten oder indirekte Kosten bezeichnen – sind also nicht förderbar; förderbar sind vielmehr nur direkte, belegbare Ausgaben. Das ist in unserer Haushaltsordnung festgelegt.

Das heißt: Das Institut muss uns Kosten nachweisen. Und Gemeinkosten wie Strom oder Miete, die generell in dem Institut anfallen, sind eben nicht für ein einzelnes Projekt, das dort durchgeführt wird, nachweisbar. Das sieht unsere Landeshaushaltsordnung nicht vor. Deswegen muss man das dann sozusagen anders darstellen. Man muss andere Wege suchen, um das Geld, welches für das Projekt gebraucht wird, zu finden. Gemeinkosten können wir jedenfalls in dieser Form nicht fördern.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Ellerbrock.

(Holger Ellerbrock [FDP] pustet ins das Mikrofon, wodurch ein lauter Ton entsteht. – Heiterkeit)

Holger Ellerbrock (FDP): Frau Ministerin, es ist, glaube ich, unstrittig, …

(Fortgesetzte Heiterkeit)

– Ja, Leute, wenn ich schon mal sagen will, dass die Ministerin etwas richtig gemacht hat, dann machen Sie so einen Radau. Das verstehe ich gar nicht!

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Ellerbrock, die Heiterkeit resultierte aus Ihrem üblichen Funktionstest der Mikrofonanlage.

(Ministerin Svenja Schulze: So weit ist es jetzt schon! – Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie resultierte nicht aus dem Inhalt Ihrer Frage. – Jetzt konzentrieren wir uns auf Ihre Frage. Bitte schön.

Holger Ellerbrock (FDP): Frau Ministerin, ich glaube, es ist unstrittig, was Sie gesagt haben. Sie haben gesagt, dass Förderbescheide geändert werden. Es ist Aufgabe der Ministerialverwaltung, Unmögliches möglich zu machen. Da gibt es – das ist in Ordnung – die verschiedensten Wege. Sie haben auch dargestellt, dass es verhärtete Positionen gab und eine mangelnde Gesprächsbereitschaft gibt. Das mag an der einen wie an der anderen Seite gelegen haben.

Solche Positionen sind doch im täglichen Umgang in der Verwaltung nicht neu. Ich erinnere mich an einen Minister Matthiesen und an eine Ministerin Höhn: Da hat man einen Dritten – zum Beispiel den Uni-Rektor oder -kanzler – gesucht und sich auf eine Tasse Kaffee getroffen. Dann hat man die Option dargestellt, wie man das Problem lösen will, und ist anschließend zu einem vernünftigen, gesichtswahrenden Ergebnis gekommen. Das ist tägliches Geschäft. Ist dieser Weg bei Ihnen so beschritten worden?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Ellerbrock, wir hätten diese Wege gerne beschritten. Es ist auch üblich, dass man einfach miteinander redet. Auch ist es üblich, dass man, wenn man Geld vom Land bekommen will, darüber vielleicht auch einmal spricht. Das Institut hat sich aber entschieden, eine Klage vor Gericht einzureichen. Damit ist man auf einem anderen Spielfeld, und andere Möglichkeiten sind dann einfach verstellt.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das habe ich schon einmal gehört, und zwar wortgleich! – Weitere Zurufe)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, ich bitte doch, die Antwort der Ministerin zu respektieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Jetzt hat als Nächster Herr Kollege Nückel das Wort. Zur Vorsicht weise ich ausdrücklich darauf hin: Der Nächste, der in das Mikrofon pustet, wird des Saales verwiesen.

(Heiterkeit – Zuruf: Das ist die Chance!)

Thomas Nückel (FDP): Frau Ministerin, weil es – wie Sie heute schon mehrmals betont haben – so komplex ist: Können Sie uns mitteilen, für wie viele NRW-Forschungseinrichtungen derzeit die Gefahr besteht, dass ihnen wegen Rechenfehlern die Kofinanzierung Ihres Hauses gestrichen wird?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Abgeordneter, dieses Vorgehen, dass ein Institut auch auf mehrfache Einladung nicht bereit ist, mit uns darüber zu reden, ist absolut einmalig. Ich habe langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefragt, und keiner konnte sich erinnern, dass solch ein Fall schon einmal vorgekommen ist.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Frau Ministerin Schulze, Sie haben eben selber, wenn ich es richtig mitbekommen habe, auf die Berichterstattung der „Welt am Sonntag“ Bezug genommen. Und weil Sie die Berichterstattung kennen, wissen Sie auch, dass dort über Vermerke von Ihren Ministerialbeamten berichtet wird, die nach Begutachtung der Akten von „Feindbildern“ – so das Zitat der Zeitung –davon sprechen, dass es den Beamten wohl nicht um die Sache gehe, sondern um eine – Zitat – „sehr emotional geführte Auseinandersetzung mit dem Wald-Zentrum“.

Angesichts der atmosphärischen Schwierigkeiten, die Sie ja auch heute hier im Landtag dargestellt haben, möchte ich Sie fragen: Ist bei dem Vorlauf und den Ereignissen, die bislang stattgefunden haben, aus Ihrer Sicht noch eine sachliche Herangehensweise und Vorgehensweise Ihres Hauses gegeben? Oder besteht die Möglichkeit, dass bei dem Vorlauf, den diese Angelegenheit hatte, auch das Ziel der Schwächung des Wald-Zentrums mit die Motivation für das administrative Vorgehen sein kann?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Witzel, die Unterstellung, die Sie da gerade gemacht haben, dass wir versuchen würden, EU-Projekte an NRW vorbeiziehen zu lassen und uns nicht daran zu beteiligen, weise ich in aller Deutlichkeit zurück.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir wollten diese Projekte. Wir wollten, dass sie von Nordrhein-Westfalen aus gefördert werden, weil es um das Thema „Klimaschutz“ geht. Sie wissen, dass für uns der Klimaschutz sehr wichtig ist. Wir sind das erste Bundesland, das einen Klimaschutzplan hat. Wir setzen uns bei diesem Thema sehr intensiv ein. Wir haben uns natürlich um EU-Projekte beworben. Wir unterstützen die Institute, die an EU-Projekten teilnehmen.

Woher die Geschichten in der „Welt am Sonntag“ stammen, weiß ich nicht. Das Verhältnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Projekte bearbeiten, ist sehr vertrauensvoll. Da gibt es keinerlei Verstimmungen.

Schwierig ist es, wenn man sich verklagt. Dann ist natürlich eine gewisse Zurückhaltung geboten, weil man sich dann in einem Gerichtsverfahren bewegt. Aber es gibt von keiner Mitarbeiterin und von keinem Mitarbeiter in meinem Ministerium den Versuch, irgendein Institut in NRW kaputtzumachen oder so etwas. Vielmehr sind wir daran interessiert, die Forschungslandschaft in Nordrhein-Westfalen zu stärken und sie weiter auszuweiten.

Derartige Unterstellungen weise ich mit aller Deutlichkeit zurück!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage von Herrn Kollegen Höne.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! – Frau Ministerin, wir sprachen gerade über die Klage und die Gerichtsverfahren. Die Rechtsanwälte des Instituts betonen, nach wie vor zu einer Mediation vor Gericht bereit zu sein. Ist diese Bereitschaft auch vonseiten des Ministeriums und von Ihrer Seite aus vorhanden?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Abgeordneter, wir wären auch ohne Gerichtsverfahren zu Gesprächen bereit und haben das mehrfach deutlich gemacht.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das war aber keine Antwort auf die Frage!)

Wir sind zu Gesprächen bereit. Wir waren die ganze Zeit zu Gesprächen bereit. Und wir sind auch weiterhin zu Gesprächen bereit. Wir haben mehrfach zu Gesprächen eingeladen. Was sollen wir machen, wenn diese abgesagt werden, weil die andere Seite nicht dazu bereit ist? Wir können sie nicht einbestellen und mit der Polizei zu uns bringen. „Gespräch“ bedeutet vielmehr, dass man miteinander spricht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die zweite und letzte Frage von Herrn Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Schulze, ich möchte noch einmal auf den zuletzt von mir bereits angesprochenen Sachverhalt eingehen, nämlich auf die Ihnen bekannte einschlägige und vergleichsweise ausführliche ...

(Das Rednermikrofon fällt aus.)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Herr Kollege Witzel. Drücken Sie sich bitte noch einmal ein. Ich bin hier auf die falsche Taste gekommen. – Jetzt geht es wieder.

(Ministerin Svenja Schulze: Was ist denn mit der Anlage los?)

Ralf Witzel (FDP): Frau Ministerin Schulze, ich würde gern noch einmal auf die gerade angesprochene Berichterstattung in der „Welt am Sonntag“ eingehen, die den Sachverhalt vergleichsweise detailliert und differenziert darstellt. Diese legt nämlich die Vermutung nahe, dass durch die Art und Weise des administrativen Vorgehens durchaus – ich möchte es so sagen – zumindest eine Schädigung des Forschungsinstituts – vielleicht auch von unbequemen, selbstbewussten Professoren – billigend in Kauf genommen wird.

Deshalb möchte ich Sie fragen: Welche Versuche haben Sie – wenn die Zustände so verhakt sind, wie Sie es dargestellt haben – bislang unternommen, um durch die Einschaltung von Externen mehr Neutralität und Objektivität in die Handhabung des Sachverhalts zu bekommen? Ist im Konkreten der streitige Sachverhalt auch mal fachlich extern begutachtet worden? Sind externe Moderatoren für den Prozess zwischen dem Institut und Ihrem Haus gewonnen worden?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Tendenziöses Verhalten!)

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Abgeordneter, Sie spielen darauf an, dass die Medien berichtet haben, wir hätten angeblich über eine Zerlegung des Wald-Zentrums gesprochen.

Sehr bemerkenswert ist, dass wieder ein einzelnes Wort aus einem Vermerk aus dem Zusammenhang gerissen und umgedeutet wird. Der Hintergrund ist ganz einfach: Es ist nämlich mit dem Wald-Institut über eine mögliche Grundfinanzierung gesprochen worden. Diese Idee wurde andiskutiert, um Brücken zu bauen.

Dafür muss man aber das Konstrukt des Wald-Zentrums kennen. Den gemeinnützigen wissenschaftlichen Teil, der sich unter dem Dach des Wald-Zentrums befindet, können wir fördern. Das gemeinnützige Institut haben wir auch gefördert. Unter dem Dach des Wald-Zentrums befinden sich aber auch eine Wald-Consult Ltd. und die Wald-Agentur Münster GmbH, die beide kommerziell arbeiten.

Wenn man öffentlich fördert, müssen diese Bereiche sauber getrennt werden. Das macht den Förderfall Wald-Institut um einiges komplexer als andere Grundfinanzierungen des Landes zur Standortförderung wissenschaftlicher Institute.

Wir haben auf Bitten des Institutes geprüft, dass es dazu zu einer Trennung von kommerziellem Teil und wissenschaftlichem Teil hätte kommen müssen – und zwar zu einer deutlichen Trennung, die klar belegt worden wäre. In diesem Zusammenhang wird dann auch das Wort „Zerlegung“ klarer.

Das ganze Zitat lautet – ich möchte es an dieser Stelle gerne anführen –: Dafür muss aber der derzeit eng verflochtene wirtschaftliche und wissenschaftliche Betrieb des Wald-Zentrums vollkommen entkoppelt werden, das heißt, das Wald-Zentrum wäre im Interesse einer konsequenten Trennkostenrechnung zur Vermeidung von Beihilfeproblemen zu zerlegen.

Es ging darum, das wissenschaftliche Institut eventuell für eine institutionelle Förderung aufzustellen. Dazu hätte es aber von den beiden kommerziellen Teilen des Wald-Zentrums getrennt werden müssen. In diesem Zusammenhang ist das überlegt und diskutiert worden – in keinem anderen. Es geht dem Ministerium nicht darum, ein Institut zu schädigen.

Noch mal: Wir fördern die Wissenschaftslandschaft in Nordrhein-Westfalen. Wir haben dieses Projekt möglich gemacht. Wir hätten auch gern darüber geredet, wie man es weiter möglich macht. Dazu war das Institut nicht bereit. Ich muss es hier noch einmal so deutlich sagen.

(Zurufe)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die letzte Nachfrage von Herrn Kollegen Höne. Er hat das Wort.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! – Frau Ministerin, die Bedeutung des Instituts, die Bedeutung der Arbeit des Instituts wurde von Ihnen und auch vom Staatssekretär bei der Eröffnungsfeier der entsprechenden Projekte, um die es hier geht, gelobt.

Darum frage ich: Was planen Sie aktiv und konkret zu tun, damit das Institut sowie die bestehenden und weitere Forschungsvorhaben fortbestehen können?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Das Institut ist ein Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität. Es besteht fort. Wir reden hier über die Förderung einzelner Projekte. Diese einzelnen Projekte laufen weiter. Sie funktionieren offensichtlich auch ohne eine Kofinanzierung des Landes. Deswegen ist im Moment kein Schaden erkennbar.

Wir würden mit dem Institut gerne ins Gespräch kommen. Das Institut hat die juristische Auseinandersetzung gewählt.

Deswegen werden wir schauen, was bei diesem juristischen Verfahren herauskommt, wenn die Klagebegründung eingereicht wird. Unsere Türen für Gespräche sind jederzeit offen. Das waren sie die ganze Zeit, weil wir am Klimaschutz Interesse haben.

Wenn Sie unserer Regierung eines nicht vorwerfen können, dann ist es, dass wir kein Interesse am Klimaschutz hätten. Wir machen Ihnen doch immer zu viel. Hier sehen Sie das plötzlich anders. Nein, Klimaschutz ist unser Interesse. Deswegen haben wir dieses Institut beziehungsweise diese beiden Projekte innerhalb des Instituts der Universität Münster gefördert. Das ist unser normales Geschäft als Ministerium.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Mit Ihrer zweiten und letzten Zusatzfrage kommt jetzt Frau Kollegin Freimuth zu Wort.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Frau Ministerin, Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, dass das Institut anstelle von Gesprächen mit Ihnen die juristische Auseinandersetzung gewählt hat. Deswegen erlaube ich mir die Nachfrage, ob Sie rechtsmittelfähige Bescheide erlassen haben, die das Institut möglicherweise zur Vermeidung einer Rechtskraft gezwungen haben, den Rechtsweg zu beschreiten.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Ich habe Ihre Frage ehrlich gesagt nicht verstanden. Könnte das noch einmal wiederholt werden? Ich weiß nicht, was gemeint ist.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Aber klar. Bitte noch einmal!

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Frau Ministerin, selbstverständlich erläutere ich Ihnen das gerne. Wenn ein Verwaltungsakt erlassen wird, gibt es im Verwaltungsrecht üblicherweise eine Rechtsmittelbelehrung. Danach muss der Empfänger des belastenden Verwaltungsaktes, der nach meiner Lesart in diesem Falle eine Rückgewähr der Zuwendung oder der Förderung oder im Zweifel auch eine Veränderung des Förderbescheides darstellen würde, vor einem Verwaltungsgericht Klage erheben, um die Rechtskraft dieses Verwaltungsaktes verhindern zu können. War das verständlich?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Ja, okay. Frau Abgeordnete, unser Bestreben war es, dass wir den Förderbescheid verändern und gar nichts Neues erlassen. Dafür haben wir das Gespräch mit dem Institut gesucht. Als das Institut dazu nicht bereit war, haben wir einen Bescheid erlassen müssen. Dagegen ist das Institut dann vor Gericht gezogen. Aber wir hätten und haben immer wieder versucht, den Förderbescheid zu verändern. Wenn das Gespräch zustande gekommen wäre, hätten wir von uns aus zuerst einmal keinen Bescheid erlassen. Das Institut hat aber explizit diesen Weg gewählt. Das ist eine Entscheidung, zu der nur der Institutsleiter etwas sagen kann. Wir hätten in Gesprächen auch andere Lösungen gefunden.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Herr Kollege Bell würde gerne noch einmal fragen. Er darf aber nicht; denn er hat schon zweimal gefragt. Tut mir leid.

(Zuruf von der SPD)

– Sie kennen die Spielregeln, Herr Kollege Bell.

Frau Kollegin Schmitz hat noch nicht zweimal gefragt. Sie darf noch fragen. Bitte schön.

Ingola Schmitz (FDP): Herr Präsident! Wehrte Frau Ministerin, Sie haben auf unsere Frage bezüglich der externen Sachverständigen noch nicht geantwortet. So erlaube ich mir, Ihnen noch einmal folgende Frage zu stellen: Können Sie sich wirklich voll auf Ihre Beamten verlassen, oder haben Sie hier externe Sachverständige einmal über den Verwaltungsvorgang schauen lassen?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sehr geehrte Frau Abgeordnete, das ist ein ganz normaler Fördervorgang, zu dem wir keine externen Sachverständigen hinzuziehen, sondern bei dem wir mit unserem internen Sachverstand arbeiten. Wenn wir dauernd externe Experten bezahlen würden, würden Sie uns in Kleinen Anfragen vorwerfen, dass wir dafür so viel Geld ausgeben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Da kommen wir mit unserem internen Sachverstand sehr gut klar.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor oder sind nicht mehr möglich. Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt; denn die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Höne ist damit beantwortet.

Bevor wir das Plenum endgültig auflösen, darf ich noch einen kleinen Moment um Ihre Aufmerksamkeit bitten.

Ich rufe auf:

12       Datenschutzkultur an Schulen verbessern!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/8635

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/10441

Ich weise darauf hin, dass sich alle im Parlament vertretenen Fraktionen darauf verständigt haben, die Behandlung des Piratenantrags Drucksache 16/10441 auf die nächste Plenarsitzung im Januar 2016 zu verschieben. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. – Damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung angelangt.

Wir haben wieder ein intensives Beratungsjahr im Landtag Nordrhein-Westfalen hinter uns gebracht. Ich möchte in Ihrer aller Namen allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen und der Abgeordneten für die großartige Unterstützung, die wir als Abgeordnete auch in diesem Jahr wieder erfahren haben, sehr herzlich Dank sagen.

(Beifall von allen Fraktionen)

Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber natürlich auch Ihnen allen persönlich frohe und besinnliche Weihnachtsfeiertage und einen guten Übergang ins Jahr 2016 wünschen, in dem wir uns in alter Frische und mit gewohnter Energie wieder hier versammeln.

Ich berufe das Plenum wieder ein für Mittwoch, den 27. Januar 2016, 10:00 Uhr. Ihnen alles Gute und einen schönen Abend.

Die Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen ist geschlossen.

Schluss: 17:36 Uhr