LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/13476

 

17.11.2016

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 5270 vom 20. Oktober 2016

des Abgeordneten Marc Lürbke   FDP

Drucksache 16/13237

 

 

Die „Reichsbürger“ in Nordrhein-Westfalen – Welche Handlungsnotwendigkeiten sieht die Landesregierung? 

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

 

Seit den tödlichen Schüssen auf einen Polizeibeamten in Bayern werden die sogenannten „Reichsbürger“ in der Öffentlichkeit stärker thematisiert. Es handelt sich dabei um einzelne Gruppierungen mit unterschiedlichen Ideologien. „Ihr Gedankengebäude besteht aus rechtsextremistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologie, Verschwörungstheorien oder esoterischen Weltbildern.“ (vgl. Spiegel online vom 19.10.2016 „Wer sind die „Reichsbürger“ – und was wollen sie?“). Die Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Gruppen ist, dass sie die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht anerkennen. „Denn, so behaupten sie, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort, sei aber von den Alliierten besetzt und werde von ihnen ausgebeutet.“ (vgl. Spiegel online vom 19.10.2016). Das hat zur Folge, dass die Reichsbürger staatliche Verwaltungsakte, wie die Forderung von Steuern zum Beispiel, nicht anerkennen.

 

„Der mutmaßliche Täter ist Jäger. Er besitzt 31 Lang- und Kurzwaffen. Von den Behörden wurde er als nicht mehr zuverlässig eingestuft. Deshalb sollten ihm seine Waffen entzogen werden. Zuvor hatten die Behörden seinen Jagdschein und seine Waffenbesitzkarte als ungültig erklärt.“ (vgl. Stern online vom 20.10.2016 „Von «Reichsbürger» angeschossener Polizist gestorben“). Der Bayerische Innenminister hat nach den tödlichen Schüssen auf den Polizisten in Bayern angekündigt, die „Reichsbürger“ noch stärker zu überwachen. „Unser Ziel ist es, allen Reichsbürgern, die legal eine Waffe besitzen, die Waffenerlaubnis zu entziehen. Wer unsere Rechtsordnung ablehnt, bietet keine Gewähr, ordnungsgemäß mit Waffen umzugehen.“ (vgl. Westfalen-Blatt vom 20.10.2016).

 

Auch in Nordrhein-Westfalen soll es unterschiedlichen Berichten zufolge eine „Reichsbürgerszene“ geben. So berichtet das Westfalen Blatt in seiner Ausgabe vom 20. Oktober 2016 im Artikel „Staatsgegner mit Hang zu Waffen“, dass der Verfassungsschutz in NRW schätzt, dass die Szene hier weniger als 1.000 Menschen umfasst, die jedoch nicht unbemerkt bleiben. „In Porta Westfalica wurde das „Königreich Preußen“ ausgerufen, in Löhne sammelten sich „Reichsbürger“ unter dem Namen „Justiz-Opfer-Hilfe“. Diese Organisation gründete 2009 die „Volksstämme der Germanhumanen und der Germaniten“. Sie stellte ihren Mitgliedern Fantasieausweise aus und eröffnete in Löhne die „Botschaft Germaniten“.“ (vgl. Westfalen-Blatt vom 20.10.2016). Auch in Köln ereignete sich kürzlich ein Fall, den der Kölner Stadt-Anzeiger in einem Bericht darstellte: „So wurde etwa vor einem Monat bei Köln ein Autofahrer von der Polizei gestoppt, weil er mit dem Kennzeichen eines "Freistaats Preußen" herumfuhr.“ (vgl. Kölner Stadt-Anzeiger vom 20.10.16 „Wie „Reichsbürger“ Gesetze missachten“).

 

Gegenwärtig gibt es zahlreiche Verfahren gegen die sogenannten „Reichsbürger“. „Wie das Verwaltungsgericht in Minden wird auch die Paderborner Behörde mit Eingaben und Beschwerden von „Reichsbürgern“ überschüttet. Meyer: „In unserer Abteilung für politische Straftaten verwendet einer der Staatsanwälte 20 Prozent seiner Arbeitszeit nur auf Reichsbürger.“ (vgl. Westfalen-Blatt vom 20.10.2016).

 

 

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5270 mit Schreiben vom 17. November 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet.

 

 

1.      Welche konkreten Kenntnisse besitzt die Landesregierung über die „Reichsbürger“ in Nordrhein-Westfalen?

 

Seit dem Jahr 2014 kommt es auch in Nordrhein-Westfalen zu einer zunehmenden Anzahl von Vorkommnissen mit sogenannten „Reichsbürgern“ bzw. „staatlichen Selbstverwaltern“. Anhänger der „Reichsbürgerbewegung“ stellen dabei öffentlich oder bei ihren Kontakten mit staatlichen oder kommunalen Ämtern und Behörden die Behauptung auf, dass noch immer das Deutsche Reich mit seinen Grenzen der 1930er Jahre  bestehe und somit die Bundesrepublik Deutschland und ihre Institutionen weder existierten noch eine rechtliche Legitimation hätten.

 

Die heterogene Reichsbürgerbewegung besteht aus einer Vielzahl von Kleinstgruppierungen, die zum Teil miteinander kooperieren, zum Teil aber sich auch scharf voneinander abgrenzen. Neben kleinen, sektenartigen Gruppen mit hohem Organisationsgrad gibt es ebenso lose strukturierte Gruppierungen sowie Einzelpersonen, die nur im Internet aktiv sind bzw. sich an Behörden wenden. Die Szene befindet sich in einem steten Wandel.

 

Im Internet finden sich zahlreiche Webseiten und Facebookprofile von verschiedenen Gruppen, die sich als "Reichsbürger" bezeichnen. Hier finden sich oftmals auch Musterformulare, mit denen "Reichsbürger" die Ämter und Behörden beschäftigen wollen. Einige Personen nutzen die Musterformulare und Handlungsempfehlungen von "Reichsbürgern", um staatlichen Zahlungsforderungen zu entgehen, ohne dass sie sich in entsprechenden Gruppen organisieren.

 

Idealtypisch lassen sich die „Reichsbürger“ derzeit in drei Gruppen unterteilen:

 

1.           Verschwörungstheoretiker,

2.           Rechtsextremisten,

3.           Personen, die nach Argumenten suchen, ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Staat zu bestreiten.

Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass das Personenpotential in Nordrhein-Westfalen derzeit bei etwa 200-300 „Reichsbürgern“ liegt. Die Zahl kann sich durch die weitere Aufhellung des Dunkelfelds allerdings noch erhöhen.

 

 

2.      Wie viele Verfahren gibt es aktuell gegen „Reichsbürger“ in Nordrhein-Westfalen?

 

Weder das polizeiliche Vorgangsbearbeitungssystem IGVP noch die statistische Erfassung im Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) sieht ein Schlagwort für die Reichsbürgerbewegung bzw. deren Ableger vor. Auch in den Justizstatistiken und im staatsanwaltschaftlichen Registrierungssystem MESTA sind „Reichsbürger“ nicht erfasst.

 

Eine in den polizeilichen Vorgangs- und Auskunftssystemen durchgeführte Recherche hat 67 registrierte Straftaten ergeben, bei denen die Tatverdächtigen zumindest im Verdacht stehen, den sogenannten „Reichsbürgern“ anzugehören oder entsprechendes Gedankengut vertreten zu haben.

 

Im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem wurde mit Datum vom 28.10.2016 das Schlagwort „Reichsbürger“ eingeführt.

 

 

3.      Wie viele der bekannten „Reichsbürger“ in Nordrhein-Westfalen besitzen legal Waffen?

 

Der Landesregierung sind derzeit 14 Personen bekannt, die über waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen und den „Reichsbürgern“ zugerechnet werden. Diese werden von den zuständigen Behörden überprüft.

 

 

4.      Welche Handlungsnotwendigkeiten sieht die Landesregierung bei Personen, die offenkundig "unsere Rechtsordnung ablehnen", die Waffenerlaubnis zu entziehen?

 

Waffen gehören nicht in die Hände von Personen, die offenkundig unsere Rechtsordnung ablehnen.

 

Das Waffengesetz bietet die Möglichkeit, den Personen, die nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne des Waffengesetzes verfügen, die Waffenerlaubnis zu entziehen. Soweit Erkenntnisse aufkommen, dass Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse Angehörige der „Reichsbürgerszene“ sind, wird in jedem Einzelfall eine solche Entziehung geprüft.

 

 

5.      Wie wird Nordrhein-Westfalen künftig gegen „Reichsbürger“ vorgehen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Bayrische Innenminister umfangreiche Maßnahmen gegen diese Gruppierungen angekündigt hat?

 

Die Landesregierung wird weiterhin das geltende Recht auch gegenüber „Reichsbürgern“ konsequent durchsetzen.

 

Im Übrigen verweise ich auf den mündlichen Bericht der Landesregierung zu TOP 1 der Sitzung des Innenausschusses am 27.10.2016 zum Thema „Reichsbürger“.