LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/1137

 

15.10.2012

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 467 vom 19. September 2012

des Abgeordneten Dirk Schatz   PIRATEN

Drucksache 16/930

 

 

 

Polizeiliche Kriminalstatistik NRW vs. tatsächliche Verurteilungsrate

 

 

 

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 467 mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet.

 

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

Das Landeskriminalamt von NRW veröffentlicht jährlich Statistiken über die Kriminalitätsentwicklung in Nordrhein-Westfalen (NRW). Der Bericht enthält unter anderem Angaben über Art und Zahl der erfassten Straftaten, Informationen über Opfer sowie Alter, Geschlecht, Nationalität und andere Merkmale von Tatverdächtigen.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) NRW erfasst die der Polizei bekannt gewordenen und durch sie endbearbeiteten Verbrechen und Vergehen, einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche und der von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen. Nicht enthalten sind die Politisch Motivierte Kriminalität und Verkehrsdelikte. Im Jahr 2011 wurden somit 1.511.469 Straftaten bekannt, von denen 741.453 Fälle aufgeklärt wurden. Das entspricht einer Aufklärungsquote von 49,06 %.

Die Aussagekraft der PKS wird jedoch dadurch eingeschränkt, dass keinerlei Angaben zum Ausgang des Verfahrens gemacht wurden. Gemäß Nr. 11 Abs. 2 MiStra ist die Staatsanwaltschaft dazu angehalten, der Polizeibehörde, die mit dem Verfahren befasst war, den Ausgang des Verfahrens mitzuteilen. Inhalt und Zeitpunkt der Mitteilungen ergeben sich aus Nr. 6 MiStra. Die PKS enthält jedoch weder Informationen darüber, in welchen der aufgeklärten Fälle öffentliche Anklage erhoben wurde oder in welchen Fällen eine Einstellung erfolgte, noch in wie vielen Fällen eine Verurteilung erging.

Das Justizministerium NRW veröffentlicht jährlich eine „Strafverfolgungsstatistik“. Sie ist jedoch nicht geeignet, die Erhebungen durch die PKS widerzuspiegeln. So sind insbesondere die Erfassungszeiträume nicht deckungsgleich und die Erfassungsgrundsätze unterschiedlich. Der einzelne Fall kann durch die Justiz eine andere strafrechtliche Bewertung erfahren und häufig werden mehrere Straftaten eines Täters unter einer Haupttat subsumiert.

Im Jahr 2010 hält die PKS NRW 720.199 aufgeklärte Fälle fest. Die Strafverfolgungsstatistik 2010 verzeichnet, dass im Jahr 2010 bei 226.926 Personen eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung getroffen wurde. Außerdem wurde Anklage- und Strafbefehl gegen 250.137 Personen erlassen, Einstellung mit Auflage ist in 41.734 Fällen und Einstellung ohne Auflage in 257.337 Fällen erfolgt. Das bedeutet, dass 549.208 Verfahrenserledigungen von der Strafverfolgungsstatistik festgehalten wurden. Nicht geklärt ist damit aber die Frage nach der Differenz von 170.991 Fällen, die in der Aufklärungsquote der PKS aufscheinen. Zudem ist das Ergebnis getrübt durch die Miteinbeziehung von Straftaten im Straßenverkehr. Eine Auflistung nach Deliktgruppen nach den Grundsätzen der PKS ist hier ebenfalls nicht erfolgt. Eine wirkungsvolle Strafverfolgungsstatistik ist eng verbunden mit den Erhebungen der PKS und abhängig von deren Aufklärungsergebnis.

Im Gegensatz zur Strafverfolgungsstatistik, die sich am tatsächlichen Verfahrensausgang orientiert, gilt ein Delikt in der PKS bereits dann als aufgeklärt, wenn nach polizeilicher Einschätzung ein Tatverdächtiger mit hinreichendem Tatverdacht ermittelt wurde, unbeschadet der Frage, ob der Tatverdächtige letztlich auch von der Justiz angeklagt oder verurteilt wird. Tatsächlich kann ein Sachverhalt aber schon aufgrund der Unschuldsvermutung erst dann als aufgeklärt gelten, wenn die entsprechende Tat durch ein Gericht festgestellt wurde.

 

 

Vorbemerkung der Landesregierung:

 

In der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage wird den 549.208 Verfahrenserledigungen der Strafverfolgungsstatistik 2010 die Zahl von 720.199 aufgeklärten Fällen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2010 gegenübergestellt und nach der Differenz von 170.991 "Fällen" gefragt. Ein solcher Vergleich ist nicht möglich, da sich Verfahrenserledigungen auf Personen beziehen, in der PKS jedoch Fälle erfasst werden.

 

 

1.       Wie sieht die Polizeiliche Kriminalstatistik für die Jahre 2008 und 2009 in "bereinigter" Form aus, wenn man die Zahlen der Strafverfolgungsstatistik entsprechend gegenüber stellt  (bitte aufgelistet nach den einzelnen Deliktsschlüsselzahlen)? Eventuell noch nicht abgeschlossene Verfahren müssen dabei nicht berücksichtigt werden.

 

Eine Gegenüberstellung der über 1.100 Deliktsschlüsselzahlen der PKS mit der Strafverfolgungsstatistik ist nicht möglich, da die Ergebnisse der beiden (bundeseinheitlichen) Statistiken wegen unterschiedlicher Grundlagen nicht miteinander vergleichbar sind; hierauf weisen die Vorbemerkungen der Polizeilichen Kriminalstatistik ausdrücklich hin.

 

Die Strafverfolgungsstatistik zeigt auf, wie viele Personen im Verlaufe eines Kalenderjahres rechtskräftig verurteilt werden und bei wie vielen Personen eine gerichtliche Einstellung oder ein Freispruch erfolgt.

 

Die Polizeiliche Kriminalstatistik erstreckt sich hingegen auf

 

·         bekannt gewordene Fälle, also Delikte, denen eine polizeilich bearbeitete Anzeige zugrunde liegt

·         aufgeklärte Fälle, also Delikte, für die nach dem polizeilichen Ermittlungsergebnis ein mindestens namentlich bekannter Tatverdächtiger festgestellt worden ist

·         Tatverdächtige, also Personen, die aufgrund des polizeilichen Ermittlungsergebnisses hinreichend verdächtig sind, eine rechtswidrige Tat begangen zu haben.

 

Eine Straftat kann von mehreren Personen verübt worden sein, eine Person kann mehrere Straftaten verübt haben. Daher kann die Anzahl der Delikte nicht mit der Anzahl der verdächtigen oder verurteilten Personen verglichen werden. Eine Zuordnung des Merkmals „Delikt“ zu dem Merkmal (tatverdächtige oder verurteilte) „Person“ ist von der Anlage der beiden Statistiken her ausgeschlossen.

 

Die Anzahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesenen Tatverdächtigen lässt sich nur bedingt mit der Anzahl der mit der Strafverfolgungsstatistik ausgewiesenen Verurteilten  vergleichen.

 

Die Strafverfolgungsstatistik der Justiz weist jeden Verurteilten nur einmal aus; bei Tateinheit oder bei Tatmehrheit, d.h. bei einem Verstoß gegen mehrere Strafbestimmungen bzw. bei der Begehung mehrerer Straftaten, erfolgt dies ausschließlich nach dem mit der höchsten Strafe bedrohten Delikt. Auch die Polizeiliche Kriminalstatistik weist zwar bei den Tatverdächtigen insgesamt jede Person nur einmal aus; ist die Person jedoch verdächtig, unterschiedliche Straftaten begangen zu haben, so wird sie zu jeder dieser Deliktsarten gesondert ausgewiesen.

 

In der Strafverfolgungsstatistik der Justiz werden ausschließlich strafmündige Personen (14 Jahre und älter) erfasst. Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst hingegen auch Delikte von Kindern sowie Kinder als Tatverdächtige. Im Übrigen bleiben Schuldausschließungsgründe in der Polizeilichen Kriminalstatistik unberücksichtigt.

Die Strafverfolgungsstatistik erfasst ausnahmslos jede strafgerichtliche Entscheidung. Neben den nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches verurteilten Personen werden damit also auch solche ausgewiesen, die wegen eines Verstoßes gegen strafrechtliche Nebengesetze (z.B. die Abgabenordnung) angeklagt waren. Von der Polizeilichen Kriminalstatistik werden dagegen nicht sämtliche Deliktsarten ausgewiesen, z.B. keine Straßenverkehrsdelikte (diese machten knapp 19 % der Fälle der Strafverfolgungsstatistik 2011 aus).

 

Die Strafverfolgungsstatistik der Justiz erfasst die Verurteilten gesondert nach den einzelnen Straftaten (oder Straftatengruppen). Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst dagegen nach ausgewählten Straftaten oder Straftatengruppen und im Übrigen nach kriminologischen Kategorien (z.B. „Diebstahl aus Wohnräumen“).

 

Ob und wie ein bestimmtes Geschehen statistisch als Straftat erfasst wird, hängt von der rechtlichen Beurteilung dieses Falles ab. Nicht in allen Fällen stimmen die justizielle und die vorhergehende polizeiliche statistische Einordnung überein. Die Strafverfolgungsstatistik enthält zwangsläufig diejenigen Fälle der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht, in denen die Staatsanwaltschaft bereits das Verfahren eingestellt hat.  In der Strafverfolgungsstatistik der Justiz kann  derselbe Fall einem anderen Delikt zugeordnet sein als in der Polizeilichen Kriminalstatistik.

 

Beide Statistiken erfassen nicht nach dem Jahr, in dem das Delikt begangen, sondern nach dem Jahr, in dem der Fall von der Polizei bzw. von der Strafjustiz abgeschlossen worden ist. Das ist oft nicht dasselbe Jahr; ein großer Teil der Verurteilten eines Jahres wird insoweit in der Polizeilichen Kriminalstatistik  des Vorjahres oder noch früher (als Tatverdächtiger) ausgewiesen.

 

Eine Kompatibilität beider Statistiken wäre daher nicht ohne Verzicht auf jeweils wesentliche Erhebungskriterien und Zeitreihen-Analysen zu erreichen.

2.       Beinhalten die von der Strafverfolgungsstatistik erhobenen rechtkräftigen gerichtlichen Entscheidungen auch etwaige Berufungs- und/oder Revisionsentscheidungen?

 

Die Strafverfolgungsstatistik ist gemäß der Definition des Statistischen Bundesamtes eine Statistik der rechtskräftig abgeurteilten Personen. Sie macht bekannt, wie viele Personen im Verlauf eines Kalenderjahres verurteilt wurden und bei wie vielen Personen  eine gerichtliche Einstellung oder ein Freispruch erfolgte. Erst nach Rechtskraft eines Urteils, eines Strafbefehls oder nach sonstiger endgültiger Erledigung des Verfahrens durch das Gericht erfolgt für jede betroffene Person eine statistische Erfassung. Berufungs- oder Revisionsentscheidungen fließen in die statistische Zählung ein, wenn Strafverfahren durch sie rechtskräftig abgeschlossen wurden.

 

 

3.       Wenn ja, wie wirken sich diese in den Zahlen aus?

 

Die Strafverfolgungsstatistik differenziert nicht nach dem Instanzenzug. Sie erfasst lediglich das Ergebnis des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens, unabhängig davon, in welcher Instanz dieses erzielt wurde.