August Halbfell (1889-1965)

August Halbfell, Arbeiterkind aus dem Ruhrgebiet, erlebte den unwahrscheinlichen Aufstieg zum ersten Arbeitsminister Nordrhein-Westfalens. Es zeichnete ihn aus, dass er Zeit seines Lebens den Kontakt zu den sogenannten „kleinen Leuten“ hielt, mit denen er früher gemeinsam unter Tage arbeitete.

August Halbfell wurde am 4. Juli 1889 in Linden bei Bochum geboren. Bereits sein Vater war Bergmann und engagierte sich gewerkschaftlich. Sohn August besuchte die katholische Elementarschule und beendete sie 1903 mit ausschließlich sehr guten Noten. Er begann daraufhin eine Buchdruckerlehre, die er jedoch abbrach. Über diesen Schritt war sein Vater überaus verärgert und das nicht nur, weil der Abbruch der Lehre eine Konventionalstrafe von 50 RM mit sich brachte, die Halbfells Vater letztlich aufbringen musste. Das Buchdruckerhandwerk galt innerhalb der Arbeiterschaft als angesehener Berufszweig und war dementsprechend begehrt – dass sich Sohn August demgegenüber für den gefährlichen und gesundheitsschädlichen Bergmannsberuf entschied, konnte der Vater nicht nachvollziehen.1

Zunächst arbeitete Halbfell in der Schachtanlage Zentrum 4/6 in Bochum. Zudem trat er dem gewerkschaftlichen „Verband zur Wahrung und Förderung der bergmännischen Interessen in Rheinland und Westfalen“, kurz „Alter Verband“ bei. Halbfell schien Engagement bei seiner Arbeit zu zeigen, denn von 1911 bis 1913 durfte er einen Lehrgang für Grubensteiger an der Bergschule Bochum besuchen, den er wiederum mit einem guten Zeugnis abschloss. Als Steiger wechselte er zur preußischen Staatszeche Scholven in Buer. Zu den beruflichen Veränderungen gesellten sich private Entwicklungen. Halbfell heiratete im August 1914 Maria Rehling, die als Dienstmädchen gearbeitet hatte. Das Paar bekam vier Kinder, wobei eines bereits nach wenigen Monaten verstarb.2

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges meldete sich August Halbfell freiwillig zum Militär. Daraufhin wurde er als Soldat an der Westfront eingesetzt, wo er schwer verwundet wurde. Die Zeit der Rekonvaleszenz nutzte er u.a. um zahlreiche Vorträge über Steinkohlebergbau zu halten. Das deutsche Militär machte sich seine Expertise im Bergbau zu Nutze und schickte ihn erst nach Serbien und dann ins Osmanische Reich, um die dortigen Bergbaubetriebe zu leiten. In einer türkischen Braunkohlegrube war er sogar für weit über 1.000 Arbeiter zuständig. Zudem reiste er für die Geologische Landesanstalt Berlin umher, um komplizierte geologische Untersuchungen durchzuführen. Kurz vor Ende des Krieges erhielt Halbfell für seine Verdienste als Gefreiter des Waffenamts in Konstantinopel das Eiserne Kreuz II. Klasse. Bei Ende des Krieges floh er vor den anrückenden britischen Soldaten über Russland schließlich wieder nach Deutschland.3

Zurück in der Heimat begann Halbfell wieder auf der Zeche in Buer zu arbeiten und engagierte sich dort schon bald im Betriebsrat. Noch im Jahr 1918 wurde er Mitglied der SPD sowie Mitglied des „Bundes der technischen Angestellten und Beamten“ (Butab) im „Allgemeinen freien Angestelltenbund“ (AfA-Bund). 1922 wurde er im Butab Vorstandsmitglied und damit auch Mitglied im Vorstand des Angestellten-Bundes sowie zudem ständiger Sachverständiger im Enquete-Ausschuss zur Untersuchung der Deutschen Wirtschaft. Noch im gleichen Jahr wurde er darüber hinaus Mitglied des Aufsichtsrates des Reichskohlensyndikates und schließlich Mitglied des Reichskohlenrates in Berlin. Für die SPD wurde er Stadtverordneter in Buer und Gelsenkirchen (nach der Vereinigung der beiden Städte). Neben dieser enormen Ämterfülle fand Halbfell noch Zeit, mehrere Fachartikel und Denkschriften zum Bergbau und den dort herrschenden Arbeitsbedingungen zu verfassen. Und schließlich war Halbfell von 1928 bis 1933 Direktor des Arbeitsamts von Gelsenkirchen. Dieses Amt war für Halbfell besonders herausfordernd, da in Folge der Weltwirtschaftskrise zirka ein Drittel der Gelsenkirchener Bevölkerung erwerbslos wurde.4

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Halbfell von seinem Amt suspendiert. Auch von seinen anderen Positionen wurde er entbunden. Bereits im März 1933 wurde er für kurze Zeit in Schutzhaft genommen und um Ostern desselben Jahres wurde Halbfells Haus verwüstet, sodass er sich gezwungen sah, zu fliehen. Die Kriminalpolizei, an die er sich wendete, nahm ihn abermals in Schutzhaft und verfrachtete ihn schließlich in das KZ Esterwegen, wo er schwer misshandelt wurde. Nach seiner Entlassung im Jahr 1934 zog die Familie von Gelsenkirchen nach Essen, auch weil sie weitere Diskriminierungen befürchtete. Aus Geldnot waren die Halbfells genötigt, Teile des Mobiliars sowie das Haus in Gelsenkirchen zu verkaufen. In Essen wurde die Familie weiterhin überwacht, doch es gab auch positive Entwicklungen: Halbfell wagte den Schritt in die Selbstständigkeit und eröffnete eine Feinkostfabrik, die wirtschaftlich prosperierte und u.a. Kaufhäuser mit Mayonnaise und Heringssalat belieferte sowie Bratheringe sogar in die USA exportierte. Die Fabrik überlebte den Zweiten Weltkrieg und wurde in der Bundesrepublik von seinen drei Söhnen geleitet. August Halbfell versuchte augenscheinlich, sich mit dem NS-Regime zu arrangieren, wurde 1936 Mitglied der NS-Volkswohlfahrt5 und spendete Geld an NS-Organisationen. Dennoch wurde er 1944 – nach dem gescheiterten Hitler-Attentat – abermals kurzzeitig verhaftet, auch weil er weiterhin den Kontakt zu seinen ehemaligen Parteifreunden gehalten hatte.6

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs trieb Halbfell wieder die gewerkschaftliche Arbeit voran. So beteiligte er sich an der Gründung des „Industrieverbands Bergbau“, der 1948 in „Industriegewerkschaft Bergbau“ umbenannt wurde. Zudem wurde er durch Anordnung der britischen Militärregierung für kurze Zeit Direktor des Essener Arbeitsamts und darauffolgend Präsident des Landesarbeitsamts Westfalen-Lippe mit Sitz in Münster. Darüber hinaus wurde Halbfell in der westfälischen Provinzialregierung Generalreferent für Arbeit und damit quasi Arbeitsminister von Westfalen.7

Am 29. August 1946 wurde Halbfell schließlich der erste Arbeitsminister Nordrhein-Westfalens. In seiner Amtszeit setzte er sich gegen die Demontagepolitik der britischen Militärregierung ein sowie für eine fruchtbare Beziehung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Sein Herzensthema blieb jedoch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Bergbau. Hierbei ging es nicht nur um die Sozialisierung des Bergbaus oder die Forderungen nach höheren Löhnen für die Bergarbeiter (was angesichts des damaligen Arbeitskräftemangels im Bergbau mehr als geboten schien), sondern auch um die Schaffung des Bergmannversorgungsscheins. Dieser Schein wurde durch das entsprechende Gesetz, welches 1948 in Kraft trat, eingeführt und garantierte, dass Bergmänner, für den Fall, dass sie ihren Bergmannsberuf nicht mehr ausüben können, bei der Suche nach einer anderen Stelle bevorzugt zu behandeln sind. Des Weiteren erreichte er, dass Bergarbeiter, die an der schweren Bergmannskrankheit Silikose (Quarzstaublungenerkrankung) litten, als Schwerbeschädigte eingestuft wurden und entsprechende Unterstützung erhielten. Für derartiges Engagement wurde ihm viel Anerkennung zuteil. Kritisiert wurde allerdings seine Personalpolitik, bei dem ihm von Seiten der CDU und Teilen der Öffentlichkeit vorgeworfen wurde, Arbeitsamtsdirektoren mit entsprechenden Parteibüchern bevorzugt bzw. benachteiligt zu haben. Bei aller berechtigten Kritik hatte Halbfell jedoch besonders darauf geachtet, diese Positionen mit NS-Unbelasteten zu besetzen.8

Nachdem die KPD-Minister aus dem Landeskabinett ausgeschieden waren, wurde Halbfell 1948 für zwei Monate zusätzlich geschäftsführender Wiederaufbauminister. 1950, nach der Bildung einer Landesregierung ohne Beteiligung der SPD, musste er sein Amt als Arbeitsminister aufgeben. Er blieb allerdings Landtagsabgeordneter. Von da an engagierte sich Halbfell vor allem im Arbeitsausschuss des Landtags und dort als Vorsitzender in der Kommission für den Bergmannversorgungsschein. Bei der Landtagswahl 1954 trat er nicht noch einmal an, sondern zog sich mit 65 Jahren aus der aktiven Politik zurück. Untätig blieb er nicht, sondern wurde stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Rheinstahl Eisenwerke Gelsenkirchen und der Heinrich Bergbau AG. 1959 erhielt er für seine Verdienste als Minister das Große Bundesverdienstkreuz. Am 20. Januar 1965 starb August Halbfell in Essen an den Folgen eines Herzinfarktes. Seine Frau hatte er bereits bei einem Verkehrsunfall verloren.9

Endnoten
1 Vgl. Schulentlassungszeugnis von August Halbfell vom 05.08.1903, in: Landearchiv NRW. Abteilung Rheinland. Nachlass Halbfell, August (Sig.: RWN 0039); Goch, Stefan: „Die Sozialisierung des Bergbaus … muß als Ziel haben, die Wohlfahrt der Allgemeinheit zu fördern.“ – Der erste nordrhein-westfälische Arbeitsminister August Halbfell (1889-1965) und der Wiederaufbau im Steinkohlenbergbau, in: Westfälische Zeitschrift. Zeitschrift für Vaterländische Geschichte und Altertumskunde, 153 (2003), S. 121-152, hier S. 121-122 sowie o.V.: Steiger August Halbfells Lebensrezept. Eine Viertelstunde früher aufstehen – Der Arbeitsminister wird sechzig, in: Rhein-Echo vom 02.07.1949.
2 Vgl. Halbfell, August: Lebenslauf o.D., in: Landesarchiv NRW. Abteilung Rheinland. Nachlass Halbfell, August (Sig.: RWN 0039); Zeugnis August Halbfell der Bergschule zu Bochum vom 26.7.1913, in: Landesarchiv NRW. Abteilung Rheinland. Nachlass Halbfell, August (Sig.: RWN 0039) sowie Goch: Die Sozialisierung des Bergbaus, S. 122-123.
3 Vgl. Ausweis August Halbfell über den Besitz des Eisernen Kreuzes 2. Klasse vom 04.08.1918, in: Landesarchiv NRW. Abteilung Rheinland. Nachlass Halbfell, August (Sig.: RWN 0039); Zeugnis August Halbfell Kohlegrube Ajasma vom 1.7.1918, in: Landearchiv NRW. Abteilung Rheinland. Nachlass Halbfell, August (Sig.: RWN 0039); Goch: Die Sozialisierung des Bergbaus, S. 123-124 sowie o.V.: Steiger August Halbfells Lebensrezept.
4 Vgl. Halbfell, August: Lebenslauf o.D.; ders.: Personalien o.D., in: AdsD. Bestand Sammlung Personalia (Sig.: 6/SAMP003929); Goch: Die Sozialisierung des Bergbaus, S. 124-130; o.V.: Steiger August Halbfells Lebensrezept sowie Haunfelder, Bernd: Nordrhein-Westfalen. Land und Leute 1946-2006. Ein biographisches Handbuch, Münster 2006, S. 186.
5 Die Mitgliedschaft verschwieg er allerdings in dem Entnazifizierungsfragebogen. Siehe Halbfell, August: Entnazifizierungsakte, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Entnazifizierungsakten (Sig.: NW 1005-G22-2367).
6 Vgl. Brief August Halbfell an die Geheime Staatspolizei vom 25.08.1944, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Gestapoakten (Sig.: RW 0058-48975); Halbfell, August: Lebenslauf o.D.; Goch: Die Sozialisierung des Bergbaus, S. 131-134; o.V.: Steiger August Halbfells Lebensrezept; Haunfelder: Nordrhein-Westfalen, S. 186 sowie o.V.: Minister a D. Halbfell gestorben. Im Kabinett Arnold – 1946 Leiter des Essener Arbeitsamtes, in: Westdeutsche Allgemeine vom 21.1.1965.
7 Vgl. Halbfell, August: Lebenslauf o.D.; Goch: Die Sozialisierung des Bergbaus, S. 135-137 sowie o.V.: Halbfell, August, in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000001257 (abgerufen am 1.10.2019).
8 Vgl. Brief August Halbfell an den Herrn Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 05.02.1948, in: AdsD. Bestand Fritz Henßler (Sig.: FHAC000026); Halbfell, August: Lebenslauf o.D.; Goch: Die Sozialisierung des Bergbaus, S. 139-150
9 Vgl. Halbfell, August: Lebenslauf o.D.; Brief Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen an den Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen vom 03.07.1959, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Bestand Ordensakten (Sig.: NW O 3637); Goch: Die Sozialisierung des Bergbaus, S. 139, 151-152 sowie o.V.: Minister a D. Halbfell gestorben. Im Kabinett Arnold – 1946 Leiter des Essener Arbeitsamtes, in: Westdeutsche Allgemeine vom 21.1.1965.

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