Der Landtag in den Henkel-Werken

Bericht von Ministerialrat a.D. Gerhard Eyckers (1950)

Ein Parlament und seine Verwaltung sind unterbringungsmäßig nicht mit einer normalen Behörde vergleichbar. Dass man zur Sicherung eines reibungslosen Ablaufs der Arbeit ein besonders geeignetes Haus besitzen muss, wird durch nichts besser bewiesen als durch die 2 ½ Jahre, die der Landtag in den von der Fa. Henkel in Düsseldorf-Holthausen zur Verfügung gestellten Sälen und Räumen tagte. Wenn in diesem Zusammenhang auf manchen unmöglichen Zustand hingewiesen wird, so sind die Ursachen dafür in keinem Falle bei der Fa. Henkel oder bei den zur Unterstützung des Landtagsbüros von der Fa. Henkel zur Verfügung gestellten Herren zu suchen. Ganz im Gegenteil muss gesagt werden, dass ohne die aufopfernde Hilfe der Fa. Henkel selbst und ihrer maßgebenden Herren der reibungslose Ablauf der Plenarsitzungen sehr oft gefährdet gewesen wäre.

Plenarsitzungen des Landtags im Theatersaal

Die Plenarsitzungen des Landtags fanden vom 2. bis 19. Sitzungsabschnitt im Theatersaal (Gesoleisaal) statt.

Dieser Saal diente zu gleicher Zeit den städtischen Bühnen als Operetten- und Schauspielbühne und den in den Henkelwerken stationierten Truppen der britischen Rheinarmee als Filmvorführsaal. Infolge der außerordentlichen Knappheit an Versammlungsräumen stellte die Fa. Henkel diesen gleichen Saal auch allen möglichen anderen Organisationen zur Verfügung. Es war also nur möglich, Landtagssitzungen stattfinden zu lassen, wenn vorher mit der Fa. Henkel und der britischen Militärregierung Rücksprache genommen war. In der Anfangszeit geschah es sehr häufig, dass von allen Seiten Zusagen vorlagen, dann aber der Einheitsführer der britischen Truppen eine Tagung einfach unmöglich machte, weil für seine Soldaten ein Film gezeigt werden sollte. Dies geschah häufig bei Fraktions- und Ausschusssitzungen, die in allen möglichen Gäste- und Speisezimmern abgehalten wurden. In den Protokollen kann man heute noch nachlesen, dass die Sitzung abgeschlossen werden musste, obwohl die Tagesordnung nicht abgewickelt war. Wenn ein Sitzungsabschnitt auf eine bestimmte Anzahl von Tagen festgelegt war, so konnte er in den seltensten Fällen auch nur um einen Tag ausgedehnt werden, weil für die folgenden Tage der Saal schon vergeben war. So ist es ebenfalls des öfteren vorgekommen, dass die Angestellten des Landtagsbüros nachts um 12 oder 1 Uhr die für die Landtagssitzungen besonders aufgestellten Tische, Stühle und sonstigen Möbel wegräumen und abtransportieren mussten, um den Saal für am nächsten Morgen stattfindende Tagungen frei zu machen.

Fast jede Fraktionssitzung war damals mit Schwierigkeiten verbunden. Zentrum und FDP tagten in 2 Gästezimmern im Verwaltungsgebäude der Fa. Henkel. Die CDU-Fraktion war mit ihren fast 100 Abgeordneten in einen kleinen Kinosaal gedrängt, der am anderen Ende der Henkelwerke lag. Die Abgeordneten lagerten ihre Aktentasche auf den Knien, da sie als einzige Schreibfläche diente.

Diese drei Fraktionen hatten jedoch noch so etwas wie feste Räume, aber KPD- und SPD-Fraktion führten ein fast vagabundierendes Leben: sie mussten sich mit Gastwirtschaften begnügen, die entweder in Holthausen oder sogar in Benrath lagen. Bei Fraktionssitzungen in Benrath musste zudem ein regelrechter Omnibuspendelverkehr eingerichtet werden, weil sonst die Plenarsitzungen nicht rechtzeitig hätten stattfinden können. Wie oft standen z. B. im Winter 1946/47 Fraktionstagungen auf dem Spiel, weil die Räume in den Gastwirtschaften nicht geheizt waren! Und wie oft waren die Abgeordneten besonders von SPD und KPD in dicke Mäntel eingemummt, während sie ihre mehrstündigen Fraktionssitzungen in eiskalten Räumen abhielten!

Um überhaupt zu gewährleisten, dass Sitzungen in den Wintermonaten der Jahre 1946- 1948 stattfinden konnten, musste das Landtagsbüro den Gastwirten die Kohlen per Lastwagen zustellen. Das ging natürlich nur zentnerweise. Jede unvorhergesehene Ausschuss- und Fraktionssitzung verursachte größte Aufregung, weil dann fast mit Sicherheit ein Kampf um den notwendigen Raum begann. Wenn alles versagte, zogen sich die betreffenden Ausschuss- und Fraktionsmitglieder in eine Ecke der großen Speisesäle der Fa. Henkel zurück.

Doch nun zurück zum sogenannten Plenarsaal. Um den Saal einigermaßen in einen Sitzungssaal zu verwandeln, wurde er vom Werbeamt der Stadt Düsseldorf und vom Städtischen Gartenamt mit Fahnen, Blumen und anderem Grünschmuck versehen. Aber wenn man ein wenig hinter die Dekoration schaute, ergaben sich doch ganz andere Perspektiven. Ein intensives Verfolgen der Verhandlungen war den Abgeordneten praktisch unmöglich, weil sie ihre sämtlichen Unterlagen, Landtagsdrucksachen usw. auf den Knien halten mussten. Dabei waren die Knie ja bereits mit der Aktentasche beladen, die einfach anderweitig nirgendwo unterzubringen war. Bei den großen Fraktionsblocks (CDU und SPD) standen 6 bis 10 Kinoklappstühle nebeneinander. Ein Verlassen der Stuhlreihe war also nur unter beträchtlichem Rumoren und Gepolter möglich. Zudem war das Sitzen mit angezogenen Knien kaum länger als eine Stunde zu ertragen.

Im Plenarsaal herrschte eine andauernde Unruhe und ein stetes Kommen und Gehen, weil sich Abgeordnete, Minister, Presse, Regierungsbeamte, Präsidium, Stenographen, Beobachter der Militärregierung und Personal durch einen Eingang bewegen mussten und praktisch ohne Schranken nebeneinander saßen. In den Stenographischen Berichten kann nachgelesen werden, wie oft der Präsident gezwungen war, um Ruhe zu bitten. Man darf aber nicht vergessen, dass in diesem verhältnismäßig kleinen Saal fast 450 bis 500 Menschen untergebracht waren.

Wenn nun die Abgeordneten oder Besucher den Saal verlassen wollten, um sich nach stundenlangem eingeklemmten Sitzen die Beine zu vertreten, dann traten neue Schwierigkeiten auf.

Eine Wandelhalle war nicht vorhanden; sie wurde durch eine kleines Vestibül und die Kleiderablage ersetzt. Eine Ausweichmöglichkeit war die Straße. Erfrischungen waren selbst in den heißen Sommermonaten der Jahre 1947/48 nicht verfügbar oder sie waren so gering bemessen, dass sie in wenigen Minuten restlos ausverkauft waren.

Aber auch Verpflegung und Unterkunft der aus dem ganzen Lande kommenden Abgeordneten waren Probleme, die man heute, 2 Jahre nach der Währungsreform, kaum noch verstehen kann. Im Umkreis von mehreren Kilometern von der Tagungsstätte gab es kein Restaurant, in dem vier- bis fünfhundert Menschen hätten zu Mittag essen können. Selbst wenn eine Möglichkeit vorhanden gewesen wäre, so hätte dies nicht geschehen können, weil dann die Vollsitzungen jeweils für mehrere Stunden hätten unterbrochen werden müssen. Dazu kam noch, dass in den Hungerjahren 1946 bis 1948 in der näheren Umgebung niemand, selbst für Geld und Marken, Essen bekommen hätte. Die wenigen Speisewirtschaften, die auch Essen verabreichten, lagen mitten in der Stadt.

Da sprang die Fa. Henkel ein, die über einen leistungsfähigen Kuchenbetrieb verfügte. Aber auch da gab es immer wieder Schwierigkeiten zu überwinden, weil die Küche noch rund 2000 Werkangehörige zu versorgen hatte. Als eines Tages der Betriebsrat der Fa. Henkel eingriff und sich weigerte, weiter für den Landtag zu kochen, waren die Tagungsmöglichkeiten des Landtags in Frage gestellt. Nach versöhnenden Verhandlungen wurde auch diese Klippe überwunden.

So war jede Landtagssitzung mit Spannungen geladen, weil jeden Augenblick etwas passieren konnte, was niemand vorausgesehen hatte und auch niemand voraussehen konnte. Die technische Seite bestand nur aus Improvisation. Dazu zählte auch z.B. die Unterbringung der Abgeordneten, die aus den entferntesten Stellen des Landes per Eisenbahn kamen, und derjenigen Abgeordneten, die zwar über einen Wagen verfügten, aber wegen Benzinmangels nicht jeden Tag nach Hause fahren konnten. Wenn die wenigen vom Verkehrsverein der Stadt Düsseldorf zur Verfügung gestellten Hotel- und Privatquartiere vergeben waren, dann gab es große Not.

Die Abgeordneten mussten dann in irgendwelchen Räumen der Henkelwerke übernachten, die Aktentasche als Kopfkissen und den Mantel als Decke; oder sie verbrachten die Nacht sitzenderweise in umliegenden Gaststätten. Die Glücklicheren fanden dann noch einen in Düsseldorf oder Umgebung wohnenden Kollegen, der sie beherbergte, oder einen Angehörigen des Landtagsbüros, der eine Schlafgelegenheit zur Verfügung stellte.

Und bei all diesen Schwierigkeiten setzte sich das Landtagsbüro einschließlich der Stenographen, Schreibkräfte und Boten aus nur 15 Personen zusammen. Das Landtagsbüro war bis zur Einweihung des jetzigen Landtagsgebäudes im ehemaligen Mannesmannhaus in 6 Räumen untergebracht. Stenographenbüro mit 5 Kräften und Archiv mussten sich mit einem ca. 20 qm großen Raum begnügen. Bezeichnend für die Raumknappheit war z.B. die Tatsache, dass die in den Jahren 1947/49 in der Entstehung begriffene Bibliothek nicht weiter ausgebaut werden konnte, weil der eine zur Unterbringung der Bücher zur Verfügung stehende Schrank voll war und ein weiterer weder beschafft noch untergebracht werden konnte. Eine Vermehrung des Personals war ebenfalls nicht möglich, weil kein Platz vorhanden war, um einen weiteren Schreibtisch aufzustellen. Das Vorzimmer des Landtagspräsidenten war gleichzeitig Buchhaltung und Kasse.

Bei jeder Landtagssitzung zog das gesamte Landtagsbüro per Omnibus mit allen nur möglichen Unterlagen und Büromöbeln in die Henkelwerke. Die zur Ausstattung des Plenarsaals erforderlichen, von der Landesregierung zur Verfügung gestellten Möbel folgten diesem Transport. Hilfskräfte aus den einzelnen Ministerien mussten einschließlich der Schreibmaschinen nach Henkel befördert werden.

Ein Stenograph diktiert einer Schreibkraft

Im einzigen Raum, der dem Landtagsbüro zur Verfügung stand, diktierten 10 Stenographen 10 Schreibkräften die Stenogramme in die Maschinen. Hier wurden die übertragenen Stenogramme redigiert, kontrolliert und an die Abgeordneten weitergeleitet. In diesem Raum spielte sich der gesamte Besucherverkehr ab mit der Ausgabe der damals üblichen Essenkarten, Quartierscheine usw.

Tausende von Drucksachen wurden abgezogen, zusammengeheftet und verteilt. Aber auch die Abgeordneten hatten keine andere Wahl, als in diesem Raum ihre Anträge und Briefe zu diktieren. Gekrönt wurde dieser ewige Lärm durch 4 Telephonanschlüsse, die ohne Unterbrechung in Betrieb waren. Außerdem hielten sich in diesem Raum noch eine Reihe von Boten auf, die bei den räumlich weit auseinanderliegenden Sitzungssälen und -räumen unentbehrlich waren.

In der Zeit zwischen den Landtagssitzungen fanden die Ausschusssitzungen hauptsächlich im ehemaligen Mannesmannhaus(dem jetzigen Haus der Landesregierung), im Sitzungssaal des Kabinetts oder in der Kantine statt. Wenn mehrere Sitzungen an einem Tage abzuhalten waren, mussten die jeweiligen Ministerien die Sitzungsräume stellen, obwohl diesen meist auch nur ein Raum zur Verfügung stand.

Ein geordneter Ablauf der Arbeiten des Landtags konnte bei dieser Unterbringung auf Dauer nicht gewährleistet werden. Ein industrielles Werk ist nun einmal selbst unter günstigsten Voraussetzungen nicht für die Tagungen eines Parlaments geeignet. Der Ruf nach einem eigenen Landtagsgebäude wurde aus den Sitzungen des berufenen Landtags Ende des Jahres 1946 laut.

Was lag da näher, als das 1943 durch Luftangriff zerstörte, inmitten herrlicher Parkanlagen gelegene Ständehaus, die ehemalige Tagungsstätte des Rheinischen Provinzlandtags, wiederaufzubauen? Ein beschleunigender Faktor für die ersten Schritte , die vom ersten Präsidenten dieses Landtags, dem inzwischen verstorbenen Wiederaufbauminister Ernst Gnoss, unternommen wurden, war außerdem der stetig zunehmende Verfall des Gebäudes und dessen Ausschlachtung für andere Bauvorhaben, sowie die seinerzeit auftretende Gefahr, die vonseiten der britischen Rheinarmee drohte, dieses Gebäude als Durchgangsheim für Urlauber wieder aufzubauen. Landtagspräsident Gnoss ergriff sofort die Initiative und nahm die Verhandlungen mit den Baubehörden und der Militärregierung auf, die zu dieser Zeit noch die Verteilung von Baustoffen allein verfügte. In der Sitzung des Hauptausschusses am 29.11.1946 trug Landtagspräsident Gnoss seine bis dahin geführten Verhandlungen vor, und erhielt den einstimmigen Auftrag, das Ständehaus seinem ursprünglichen Zweck wieder zuzuführen und dem Landtag Nordrhein-Westfalen ein würdiges und zweckmäßiges Heim zu schaffen.

Auch der Präsident des 2. Abschnittes der Ernennungsperiode, Dr. Dr. Robert Lehr, setzte die von Landtagspräsident Gnoss eingeleiteten Maßnahmen um den Aufbau des Ständehauses fort. Jedoch nahmen die inzwischen aufgenommenen Enttrümmerungs- und Abbrucharbeiten nur einen schleppenden Gang, weil das Arbeiter- und Materialproblem fast unüberwindlich war. Eine bezeichnende Schilderung dazu gibt der als Sonderbeauftragte des Wiederaufbauministeriums für die technische Beratung, Materialbeschaffung und Zeitplan eingesetzte Oberbaurat Beckmann in einem anlässlich der Einweihung des Landtagsgebäudes ausgegebenen Expose:

Die Bauausführung litt wie allgemein der Baumarkt vor der Währungsreform unter dem außerordentlichen Mangel an Baustoffen und Arbeitskräften. Handwerker und Unternehmer konnten nur mühsam herangezogen werden und fanden sich dann meist erst zur Mitarbeit bereit, wenn ihnen tatkräftige Unterstützung in der Beschaffung von Materialien, Geräten, Maschinen, Transportmitteln und Arbeitskräften zugesichert wurden. Auswärtige Kräfte waren mit Unterkunft und Einrichtung, Kleidung und Verpflegung zu versehen. Es gab bekanntlich für Unternehmer, Handwerker und Arbeiter unter den damaligen Verhältnissen bei den Schwarzbauten und auf dem Schwarzen Markt viel lohnendere Tätigkeiten. Die Zahl der an der Baustelle Beschäftigten stieg aber vom Frühjahr 1947 bis Juni 1948 von 8-10 auf 60-75 Mann und zeigt deutlich, dass sich Männer fanden, die unter wirtschaftlichem Druck und Opfer den beruflichen Verpflichtungen nachkamen und ehrliche Arbeit höher einschätzten als den ungerechtfertigten Gewinn.

Der wesentliche Teil des Wiederaufbaus des Ständehauses fiel jedoch in die Zeit der 1. Wahlperiode. Durch die Zeitumstände bedingt, sollten anfänglich nur Teile des Gebäudes wiedererrichtet werden. Die Währungsreform schaffte auch hier eine gründliche Wandlung: die Zahl der Beschäftigten stieg beträchtlich und der Gesamtaufbau des Ständehauses konnte in Angriff genommen werden.

Die Fraktionen im Landtag NRW