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  • Dr. Paul, Joachim (PIRATEN)
    Im Interview: Dr. Joachim Paul (Piraten).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 26.06.2013

    Herr Paul, Anfang Juni sind Sie als Fraktionschef wiedergewählt worden. Glückwunsch dazu - aber: Warum mussten Sie sich überhaupt in Ihrem Amt bestätigen lassen?

    Dahinter steckt eine Piraten-Strategie der Vorsicht. Wir sind 2012 zum ersten Mal in den Landtag gewählt worden, kannten uns nur aus dem Wahlkampf. Nach einem Jahr sollte die Fraktion deshalb bewerten, ob’s mit dem Vorstand klappt. Schließlich kann jemand ein toller Wahlkämpfer sein und sich trotzdem in seiner neuen Rolle als Fraktionsvorstand als nicht ganz funktionsfähig entpuppen.

    Und im kommenden Jahr steht diese Bestätigung erneut an?

    Unsere Satzung sieht eine jährliche Wahl des Fraktionsvorstands vor. Das mag unserer etablierten Konkurrenz ungewöhnlich vorkommen. Trotzdem halte ich eine solche Bestätigung im Amt für durchaus sinnvoll. Unseren unorthodoxen Charme werden wir behalten - und auch die Fehler, die dazu gehören.

    Welche Fehler?

    Wir haben in der Partei bisher zu viele Personaldebatten und zu wenige inhaltliche Diskussionen geführt. Reibungspunkte gibt es aber auch in der Fraktion immer wieder. Wir versuchen, die in kreative politische Energie umzusetzen. Aber das fällt nicht so leicht, wie wir uns das vorgestellt haben. Da hat uns die Realität eingeholt.

    Inwiefern?

    Wir haben schmerzhafte Erfahrungen mit den Medien machen müssen. Natürlich haben die Piraten einige weniger schöne Nachrichten geliefert ...

    ... die Dortmunder Abgeordnete Birgit Rydlewski hat im Internet Details ihres Sexuallebens ausgebreitet, und der Krefelder Dietmar Schulz hat ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag Twitter-Meldungen abgesetzt, die viele als antisemitisch aufgefasst haben.

    Was natürlich nicht so gemeint war. Mit dem Einzug von 20 Piraten in den größten Landtag der Bundesrepublik sind viele einfach hellhörig geworden. Schließlich könnte sich das Parteiensystem in Deutschland insgesamt verschieben. Deshalb stehen wir zwangsläufig unter genauer Beobachtung. Das ist der mediale Gegenwind, den wir aushalten müssen. Da steht unsere Fraktion in der Beweispflicht der politischen Leistungsfähigkeit.

    Davon ist derzeit nicht viel zu sehen. Den Wiedereinzug in den Landtag würden Sie aktuell nicht schaffen: In NRW liegen die Piraten irgendwo zwischen zwei und drei Prozent.

    Wir sind als Partei von vielen Medien aufgeblasen worden - und jetzt versucht man, uns die Luft rauszulassen. Der Hype mit Stimmenanteilen von 13 oder 14 Prozent war genauso überzogen wie die zwei bis drei Prozent jetzt.

    Bis zur Bundestagswahl sind es nur noch drei Monate. Wie wollen Sie aus diesem Stimmungstief herauskommen?

    Wir setzen natürlich stark auf die neuen Medien, auf Social Media im Internet. Aber auch im Straßenwahlkampf sind wir richtig gut. Inhaltlich werden wir mit einem klaren Bekenntnis zu Europa und zur sozialen Gerechtigkeit punkten. Die Piraten verstehen sich als internationale Bewegung. Populistische "Weg mit den Euro-Parolen" haben bei uns keine Chance. Die Austeritätspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnen wir ab: Sie zeigt nicht nur in den Mittelmeerländern verheerende Wirkung, sondern wird uns über wegbrechende Absatzmärkte auch in Deutschland treffen. Deshalb wollen wir die Verwerfungen der wirklich sehr harten Agenda 2010 mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle Bürger bekämpfen.

    Aber zur Höhe dieses Grundeinkommens sagen Sie nichts?

    Sinnvoll wäre ein Betrag zwischen 1.000 und 1.200 Euro. Nur so wären vom ökonomischen Abstieg bedrohte Bürgerinnen und Bürger in der Lage, auf Druck der Arbeitsagenturen nicht mehr jeden noch so mies bezahlten Job annehmen zu müssen. Angesichts eines auch durch Umweltfragen begrenzten Wachstums bei steigender Produktivität jedes einzelnen Arbeitnehmers ist das Ziel der Vollbeschäftigung utopisch geworden. Gute Arbeit für alle ist eine Illusion, der leider gerade die SPD noch immer anhängt. Wir müssen über den Übergang von der Arbeits- in die Tätigkeitsgesellschaft nachdenken.

    Klingt nach weiteren neuen Schulden. Wie soll ein solches Grundeinkommen finanziert werden?

    Zumindest teilweise durch die Finanztransaktionssteuer, also die Umsatzsteuer auf Kapitalgeschäfte. Europaweit könnte das 270 Milliarden Euro jährlich einbringen. Natürlich streben auch wir Piraten ausgeglichene Haushalte an. Klar ist aber: Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik waren die Steuereinnahmen höher als in den vergangenen Jahren. Leider ist das Geld nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen - geflossen ist es in die Rettung der Banken.

    Und mit welchen Themen wollen Sie hier in NRW punkten?

    Wir arbeiten an einer ganzen Palette - vom Ende der zentralen Energieversorgung durch Großkraftwerke bis hin zu intelligenten Verkehrskonzepten: Unser Ziel ist ein umlagefinanzierter ticketloser Nahverkehr, der mindestens so attraktiv sein soll wie die Fahrt mit dem Auto.

    Und damit kommen die Piraten in den Bundestag?

    Das werden wir sehen. Ich persönlich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Kämpfen ist angesagt.
    Andreas Wyputta

    ID: LI130622

  • Lindner, Christian (FDP)
    Im Interview: Christian Lindner (FDP).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 15.05.2013

    Was bedeutet heute liberale Politik, wofür tritt der politische Liberalismus ein?

    Wir wollen, dass jeder etwas aus seinem Leben machen kann. Deshalb sind Liberale für Selbstbestimmung und ein Verantwortungsgefühl, das nicht sofort an den Staat abgeschoben wird. Für faire Chancen und die Akzeptanz der Vielfalt, die sich aus Freiheit und Leistung ergibt. Und in der Konsequenz für einen Staat, der bei den großen Lebensrisiken die Menschen nicht im Stich lässt, aber im Alltag in Ruhe.

    Ist die Freiheit des Einzelnen durch den Staat und seine Organe stärker bedroht als durch Wirtschaftsmacht oder organisiertes Verbrechen?

    Da will ich mich nicht auf eine Seite schlagen. Der Staat ist nicht per se Bedrohung der Freiheit, aber durch falsche Politik wird er es. Freiheit ist bedroht, wenn wir unter dem Machtdiktat anderer stehen. Wenn der Staat nicht Schiedsrichter ist, sondern uns bevormundet wie neuerdings zu oft in Nordrhein-Westfalen. Und wenn der Markt nicht geordnet ist, sondern durch die Ballung von wirtschaftlicher Kraft der faire Wettbewerb ausgehebelt wird. Es kommt eben auf die richtige Balance an.

    Wie wehren Sie sich gegen das Vorurteil, politischer Liberalismus bediene in Wirklichkeit nur die Interessen der Wirtschaft, der Gutsituierten und Wohlhabenden?

    Solche Angriffe kommen von denjenigen, die private Initiative und die Vielfalt des Lebens durch ihre ideologischen Blaupausen ersetzen wollen. Von der Sozialen Marktwirtschaft profitieren Millionen Menschen, die einen sicheren Arbeitsplatz haben. Der Erfolg der Agenda 2010 hat das erneut gezeigt. Wir eröffnen durch ein leistungsorientiertes, aber faires Bildungssystem allen Aufstiegschancen. Aber Liberale geben eben keine Garantie gleicher Ergebnisse ab, sondern stehen für Leistungsgerechtigkeit.

    Sie gelten als Hoffnungsträger der FDP bundesweit, der große alte Mann der FDP, Hans- Dietrich Genscher, schätzt Sie und fördert Sie nach Kräften - belastet Sie das?

    Ich sehe mich als Verantwortungsträger. Mich beschäftigen die Etiketten, die mir von außen aufgeklebt werden, nicht sehr.

    Bedrückt Sie das, zumindest in den Medien ständig als potenzieller Nachfolger des jetzigen Parteivorsitzenden gehandelt zu werden?

    Es ist eher lästig, weil es von den Themen ablenkt, die mir wichtig sind. Wir haben einen Parteivorsitzenden. Philipp Rösler und Rainer Brüderle haben sich gefunden, und ich unterstütze die beiden nach Kräften. Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich meine Rolle in Nordrhein-Westfalen sehe. Hannelore Kraft und ihre Regierung im Landtag zu jagen, das verfolge ich mit Leidenschaft. Nach dem Verfassungsbruch beim Haushalt und dem Wortbruch bei der Beamtenbesoldung beginnt ja auch der Lack zu bröckeln.

    Sie haben sowohl den Bundestag wie den Landtag als Abgeordneter erlebt. Wie unterscheiden sich die Arbeitsweise, der Stil, der Umgang miteinander, in beiden Parlamenten?

    Die Debatten im Landtag empfinde ich als intensiver, weil es in unserem Plenarsaal eine dichtere Atmosphäre als im Reichstag gibt. Nach meiner Rückkehr nach Düsseldorf musste ich im Vergleich allerdings feststellen, dass im Landtag wesentlich öfter die Person und ihre angeblichen Charaktereigenschaften attackiert werden als im Bundestag. Das ist vor allem eine Masche der Grünen. Als Debattenredner lege ich auch mit Schärfe Verantwortung offen, aber bei solchen Attacken möchte ich nicht mitmachen.

    Sind Bundestagsabgeordnete höher qualifiziert als Landtagsabgeordnete, ist das ein Unterschied wie zwischen Bundesliga und Regionalliga?

    Tempo, Komplexität und Termindichte sind im Bundestag spätestens seit der Euro-Krise höher. Der Landtag ist dafür viel enger verbunden mit der Kommunalpolitik, der Fachverwaltung und den Alltagssorgen vieler Menschen. Die Themen erfordern daher oft viel Detailwissen. Die Landtagsabgeordneten sind zudem Transmissionsriemen zwischen den unterschiedlichen politischen Ebenen. Der Landtag ist keine zweite Bundesliga, er ist ein anderer Sport.

    Stimmt mein Eindruck, dass die Themen im Landtag oft näher an den praktischen Problemen der Menschen sind als die Bundestagsthemen?

    Ja, weil es oft ganz praktische Konsequenzen gibt. Wenn Rot-Grün beispielsweise die Probleme der Gymnasien ignoriert, dann verschlechtern sich ganz konkret die Förderbedingungen. Der Mittelstand spürt unmittelbar die Bürokratie des Tariftreue- und Vergabegesetzes. Die Wohlstands- und Wachstumslücke im Vergleich zu anderen Bundesländern kann man in Euro und Cent angeben: 1.000 Euro haben die Menschen an Rhein und Ruhr weniger an jährlicher Kaufkraft. Und durch die von den Grünen diktierte Energie- und Industriepolitik wird die Lücke nicht kleiner, sondern größer.

    Wieviel Freizeit lässt Ihnen die Arbeit im Parlament und in der Partei? Ein bisschen habe ich schon noch. Meine Frau und ich laden gerne und sehr oft Freunde nach Hause ein. Oder ich lese vor dem Kamin.

    Träumen Sie manchmal von einem Leben ohne Politik?

    Nein. Dann würde ich etwas anderes machen. Ich habe aber dafür gekämpft, meine Überzeugungen in der Politik einbringen zu können. Für mich ist es die faszinierendste Aufgabe. Bei welcher Sportveranstaltung kann man Sie am ehesten an einem Wochenende antreffen? Aktuell beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring. Die Atmosphäre ist einmalig, die Fans campen und grillen Würstchen, dazu hört man Motoren in allen Tonarten. Ich habe generell ein Faible für Sportwagen, aber insbesondere für klassische. Die aktuellen sagen mir nicht so viel.
    Peter Jansen

    ID: LI130521

  • Priggen, Reiner (Grüne)
    Im Interview: Reiner Priggen (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 4 - 24.04.2013

    Herr Priggen, von 2005 bis 2010 waren die Grünen in der Opposition, dann zwei Jahre Minderheitsregierung, seit gut einem Jahr eine komfortable Mehrheit mit der SPD, vor 2005 Koalitionen mit Johannes Rau, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück. Welche Zeit war die schwierigste für den langjährigen Landesvorsitzenden und Fraktionschef seit 2010?

    Ich erlebe jetzt die vierte Koalition mit der SPD, das heißt, ich bin eine Art Koalitionsfossil. Jede Zeit hatte ihren Reiz, wir haben in jeder Phase unglaublich viel gelernt. Aber jetzt haben wir einen ganz anderen Umgang miteinander, das war schon in der Minderheitsregierung unter Hannelore Kraft so und hat alle Beteiligten Respekt auch vor den anderen Fraktionen gelehrt. Es geht jetzt nicht mehr mit dieser alten Arroganz zu. Nach dem Motto: Wir haben sowieso immer Recht, und selbst wenn die anderen mal einen guten Gedanken haben, dann entkernen wir den und dann ist das unser Gedanke. Wir bemühen uns, diesen positiven Ansatz beizubehalten, auch wenn es uns die anderen Fraktionen nicht immer einfach machen.

    Worauf führen Sie diese traute Zweisamkeit zwischen SPD und Grünen zurück?

    Traute Zweisamkeit ist Unfug. Wir arbeiten konzentriert an den schwierigen Aufgaben, die vor uns liegen. Diese Zeiten sind schon aufgrund der Haushaltssituation nicht einfach, und diese Bundesregierung ist eine Plage. Wir versuchen deshalb, vernünftig miteinander umzugehen. Das heißt auch, eine gute Landesregierung zu bilden und sich nicht unnötig öffentlich zu streiten. Und wenn mal einer verbal etwas über die Stränge schlägt wie unser neuer Wirtschaftsminister, dann gehen wir in aller Gelassenheit damit um.

    Gibt es denn überhaupt noch Meinungsverschiedenheiten zwischen SPD und Grünen?

    Natürlich. Wir sind zwei Parteien, und wir werden mit Sicherheit nicht fusionieren. Es gibt in Sachfragen immer wieder unterschiedliche Ansätze. Aber wir haben durch den Koalitionsvertrag ein klares Gerüst. Wo Fragen offen sind, kann man die diskutieren. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden, die Umgangsweise ist vernünftig, und ich wünsche mir, dass das im Herbst in Berlin auch klappt.

    Mit welchen Fragen und Problemen ist denn Landespolitik zurzeit spannend?

    Zurzeit wird alles von der Haushaltslage bestimmt. In den vergangenen Jahrzehnten wurden - egal unter welcher Regierung, im Land und im Bund - Schulden gemacht. Diese Berge drohen uns zu erdrücken, das müssen wir anpacken, das ist eine ganz große Herausforderung.

    Sind SPD und Grüne bei dieser Frage auf demselben Kurs?

    Wenn Sie alle Ministerien fragen, wo gespart werden kann, dann werden Ihnen alle Ministerien, egal, ob rot oder grün, antworten: Wir haben schon gespart, bei uns geht nichts mehr. Egal, was man macht, in Zeiten der gut organisierten Lobby-Apparate gibt es überall Widerstand. Auf der Beifallsseite wird es ganz dünn, da braucht man schon ein ziemlich breites Kreuz. Ich bin ganz froh, dass mein Vorsitzendenkollege bei der SPD, Norbert Römer, das ganz ähnlich sieht.

    Waren Sie eigentlich jemals in Versuchung, Ihrer Partei einen anderen Koalitionspartner als die SPD zu empfehlen?

    Ich bin schon dafür, dass die Grünen alle Koalitionen eingehen können, die die SPD auch eingehen kann. Die SPD koaliert problemlos mit der CDU, dem kann nicht eine grüne Partei gegenüberstehen, die sagt, wir können nur mit der SPD. Hier in NRW hat sich die konkrete Alternative nicht ergeben, und ich muss auch sagen, ich bin gut zufrieden und sehe keinen Veränderungsbedarf.

    Sie sind seit Jahrzehnten in der nordrheinwestfälischen Landespolitik aktiv. Hat es Sie nie gelockt, in die Bundes- oder Europapolitik zu wechseln?

    Nein, das liegt einfach daran, dass ich ein bodenständiger Familienmensch bin. Meine Frau war vor mir neun Jahre im Landtag, wir haben zwei Kinder bekommen, und ich habe immer zugesagt, dass ich meinen Teil an der Erziehungsarbeit leiste, und das bedeutete, dass man, soweit es geht, bei der Familie ist und sich auch um die Kinder kümmert. Das wäre mit Berlin nicht gegangen und im Europaparlament mit den Arbeitsorten Brüssel und Straßburg auch nicht. Ich finde es aber auch wirklich schön, Landespolitik zu machen und sich um das Land zu kümmern. Ich habe nie das Bedürfnis gehabt zu wechseln.

    Sie sind in Niedersachsen geboren, im Münsterland aufgewachsen, haben in Aachen studiert, anschließend in Ostwestfalen-Lippe gearbeitet, wohnen jetzt in Aachen und haben Ihren Schreibtisch in Düsseldorf. In welchem Teil von NRW fühlen Sie sich am wohlsten?

    Ich finde NRW in seiner ganzen Vielfalt faszinierend. Landschaftlich hat es mir wunderbar in Lippe gefallen, ich finde aber auch das Ruhrgebiet faszinierend, mit seiner Kultur, mit seiner Geschichte, mit seinen industriellen Wurzeln. Ich mag dieses Land mit seinen vielen Facetten.

    Stimmen denn die Vorurteile von den immer fröhlichen Rheinländern und den sturen Westfalen ....

    ... und den geizigen Lippern, um das nicht zu vergessen. Es ist schon etwas dran, aber es macht auch Spaß, die unterschiedlichen Typen zu erleben und zu genießen, egal, ob Münsterländer, Rheinländer, Aachener oder Siegener.

    Auch bei den Getränken geht eine Grenze durchs Land: Pils in Westfalen, Kölsch und Alt im Rheinland. Was schmeckt Ihnen besser?

    Pils.
    Peter Jansen

    ID: LI130422

  • Laumann, Karl-Josef (CDU)
    Im Interview: Karl-Josef Laumann (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 3 - 21.03.2013

    Herr Laumann, haben Sie Schulden?

    Ich habe in meinem Leben natürlich Schulden gemacht. Zum Beispiel als ich vor 26 Jahren gebaut habe. Aber die konnte ich gut überblicken, und natürlich gab es einen klaren Tilgungsplan. Wenn der Staat so finanziert wäre wie ich, hätte er keine Sorgen.

    Sie gehörten 15 Jahre dem Bundestag an und sind seit 2005 Landtagsabgeordneter. In dieser Zeit hat sich die Verschuldung Nordrhein-Westfalens von 50 Milliarden Euro auf über 130 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Sind Politiker dieser Schuldenspirale ohnmächtig ausgeliefert?

    Wir haben uns daran gewöhnt, dass die öffentlichen Hände seit Jahrzehnten mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen. Ich habe auch Haushalten zugestimmt, die mehr Ausgaben als Einnahmen vorsahen. Es gibt nur eine Ausnahme in vier Jahrzehnten, auf die ich stolz bin: das Jahr 2008. Damals hat es die schwarz-gelbe Landesregierung geschafft, dass weniger ausgegeben als eingenommen wurde. Wir müssen die nächsten Jahre nutzen und den Teufelskreis durchbrechen, um nach mehr als einer Generation des Schuldenmachens endlich zu ausgeglichenen Haushalten zu kommen.

    Warum sind Ausgabensteigerungen zur Gesetzmäßigkeit geworden?

    Das liegt auch dran, dass der Staat immer neue Aufgaben übernimmt. Die Schule verändert sich vom Halbtags- zum Ganztagssystem. Es ist sinnvoll ausgegebenes Geld. Da wird der Staat zu Recht stärker. Aber dann muss sich auf der anderen Seite strukturell etwas verändern. Wir haben in der schwarz-gelben Landesregierung umstrukturiert, Behörden aufgelöst. Wir haben 8.000 neue Lehrer eingestellt und dennoch im Gesamtsaldo Landespersonal abgebaut. Die CDU-Fraktion hat für die Haushaltsberatungen 2013 konkrete Vorschläge für Effizienzsteigerungen gemacht mit günstigeren Assistenzkräften in Schulsekretariaten und Polizeibehörden. Rot-Grün dagegen hat per Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie staatliche Strukturen nicht verändern wollen. Sie nehmen das alles von Gott gegeben hin. Damit verwirken sie ihren Regierungsanspruch, wenn sie nichts verändern oder verbessern wollen.

    Die Frage nach einer Schuldenbremse in der Landesverfassung ist ein Dauerthema: Wie ernst meint es die rot-grüne Koalition?

    In Interviews wird gesagt, dass man die Schuldenbremse haben wolle. Aber wenn man Haushalte mit steigenden Ausgaben und Schulden vorlegt, kann ich den Weg nicht erkennen. Neuerdings beklagt ja jedes Regierungsmitglied in seinen Reden, dass Berlin an allem schuld sei und mehr Geld bereitstellen solle. Was ist eine Landesregierung noch wert, die nur noch auf den Bund schimpft? Sie bringt das Land und den gesamten Föderalismus in Misskredit. Andere Bundesländern nutzen ihren Gestaltungsspielraum.

    Ist NRW womöglich als Bundesland nicht beherrschbar, weil das soziale und wirtschaftliche Gefälle zu groß ist?

    Die unterschiedlichen Regionen mit ihren Stärken und Schwächen können das eigentlich gut ausgleichen. Wir haben positive Entwicklungen im westfälischen und rheinländischen Landesteil, aber auch im Ruhrgebiet, um den Strukturwandel in den Griff zu kriegen. Wir sind ein starkes Industrieland. Die Größe des Landes ist ein Vorteil, die Strukturprobleme anzugehen.

    Also keine Vergeblichkeitsfalle, sondern Versagen und Unvermögen?

    In NRW werden 60 Prozent aller bundesweiten Kredite aufgenommen, obwohl wir nur 22 Prozent der Bevölkerung sind. Wir haben rund 50 Prozent aller kurzfristigen Kassenkredite der Kommunen in Deutschland. Wir haben ein Land, das die Verschuldung steigert, wir haben Kommunen, die die Verschuldung steigern, während anderswo schon konsolidiert wird. Sieben Bundesländer machen keine neuen Schulden mehr und die Kommunen haben bundesweit einen Überschuss von mehr als zwei Milliarden Euro zu verzeichnen. Das zeigt doch, dass es in NRW falsch läuft. Dieses Land muss strukturell erneuert werden. Frau Kraft verhält sich genauso abwartend wie Johannes Rau und traut sich nicht, strukturelle Veränderungen vorzunehmen. Sie sagt, sie wolle "kein Kind zurücklassen". Aber sie packt den Kleinen einen wachsenden Schuldenberg in den Tornister.

    Wird es eine Schuldenbremse in der Landesverfassung geben?

    Das hängt davon ab, wie sie formuliert ist. Eine Schuldenbremse, die nur dazu gemacht ist, mehr Spielräume für neue Schulden zu eröffnen, werden wir niemals mittragen. Es muss eine Schuldenbremse sein, die genauso hart formuliert ist wie auf Bundesebene.

    Das Verfassungsgericht in Münster hat der rot-grünen Landesregierung zum dritten Mal einen Verstoß gegen Haushaltsrecht nachgewiesen. Wie vertrauenswürdig ist der Finanzminister?

    Jetzt ist juristischer Fakt, dass die so genannte präventive Finanzpolitik von Ministerpräsidentin Kraft endgültig gescheitert ist. Rot-Grün bricht jedes Jahr die Verfassung. Das hat nichts mehr mit Fahrlässigkeit, sondern schlichtweg mit Vorsatz zu tun. Frau Kraft und ihr Finanzminister offenbaren ein katastrophales Staatsund Rechtsverständnis: Sobald die Verfassung der rot-grünen Verschuldungsorgie im Weg steht, wird sie einfach beiseite gewischt. Das ist unverantwortlich und beschädigt die Kultur unseres Rechtsstaates. Sie verstößt auch gegen die Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Gerechtigkeit. Sie nimmt den kommenden Generationen sämtliche Gestaltungs- und damit Zukunftschancen. Das ist schlichtweg unmoralisch.
    Kristian Frigelj

    ID: LI130321

  • Römer, Norbert (SPD)
    Im Interview: Norbert Römer (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 27.02.2013

    Herr Römer, Ihre Heimat ist das Ruhrgebiet, Ihr Vater war Bergmann. Sie haben Jahrzehnte für die Gewerkschaft Bergbau und Energie gearbeitet. Sind Sie der Prototyp des nordrheinwestfälischen Sozialdemokraten?

    Den prototypischen Sozialdemokraten gibt es gar nicht. Dazu vereint die SPD zu viele Menschen unterschiedlichster Herkunft. Was stimmt: Ich bin im Ruhrgebiet, in Herne-Sodingen geboren worden. Als ich fünf Jahre alt war, sind meine Eltern ein paar Kilometer weiter nach Castrop- Rauxel gezogen - und da lebe ich heute noch. Also hat Sie das Revier geprägt?

    Klar. Ich bin in einer Zechenkolonie groß geworden. Das Zusammenleben mit vielen anderen - nicht nur auf dem Sportplatz, das hat mich geprägt. Ich hoffe, dass ich mir den schnörkellosen Umgang und die freundliche Offenheit bis heute bewahrt habe, dass ich zuhören und spontan reagieren kann.

    Und zur SPD hat das Ruhrgebiet Sie auch gebracht?

    Ich hatte doch gar keine andere Chance (lacht). Mein Vater, meine Mutter waren in der Partei. Meine Eltern hatten eine Zeit lang eine Gaststätte. In der traf sich auch der SPD-Ortsverein Obercastrop-Ost. Ich bin einfach in die Partei hineingewachsen.

    Heute sind Sie Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag. Die 13 Millionen Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen gelten als wahlentscheidend. Wie hart wird der Bundestagswahlkampf?

    Der wird hart, anstrengend und schweißtreibend. Ich bin aber sicher, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hier den Grundstein für den bundesweiten Erfolg der SPD legen werden.

    Was heißt das für die Arbeit im Landtag?

    Wir machen zielorientiert unseren Job. Thema Nummer eins ist und bleibt für uns, die SPD, die soziale Gerechtigkeit. Gerade in unserer schnelllebigen Zeit, die allen viel abverlangt, wollen die Leute, dass es gerecht zugeht. Mit dem Konzept "Kein Kind zurücklassen" etwa versuchen wir, Chancengleichheit für alle herzustellen, unabhängig vom Einkommen des Elternhauses. Wir sehen unseren Auftrag darin, die Lage der Menschen zu verbessern.

    Dazu müssen neue, gut bezahlte Jobs entstehen ...

    ... und deshalb steht im Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein klares Bekenntnis zur Industriepolitik als Grundlage unseres Wohlstands. Vor der Wirtschafts- und Finanzkrise haben doch viele - auch Journalisten - gemeint, industrielle Produktion sei ein Auslaufmodell und Finanzdienstleistungen die Zukunft. Pustekuchen.

    Und heute?

    Heute ist klar: Eine starke mittelständisch geprägte Industrie sichert Berufsperspektiven und bietet Arbeitsplatzchancen, also gute Arbeit an. Wir haben hier starke Gewerkschaften. Mit denen zusammen werden wir die Verwerfungen von Leiharbeit und Zeitarbeit zurückdrängen. Das ist ausgeartet und vernichtet reguläre Arbeitsverhältnisse zugunsten von Minijobs oder immer neuer Praktikantenverträge. Das muss wieder auf ein normales Maß zurückgefahren werden. Die anständigen Betriebe dürfen am Ende nicht die Dummen sein. Aber werfen viele Wähler der SPD nicht vor, prekäre Beschäftigung mit den Hartz-Reformen selbst forciert zu haben? Viele Teile der Reformen waren gut und richtig. Frau Merkel erntet heute, was die Regierung Schröder gesät hat. Allein die 2,77 Millionen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger bundesweit, die bis dahin keine Chance auf qualifizierte Arbeitsförderung und -vermittlung hatten, haben von den Reformen profitiert. Uns ist aber auch klar, dass die Arbeit der Jobcenter noch besser werden muss. Die schwarz-gelbe Bundesregierung muss endlich damit aufhören, die Eingliederungsmittel für die wichtigen Qualifizierungsmaßnahmen beständig zu kürzen! Die harten Auseinandersetzungen in meiner Partei will ich gar nicht leugnen. Viele haben uns verlassen - das hat geschmerzt, keine Frage. Deshalb gibt es für die SPD nichts Wichtigeres, als immer am Einsatz für soziale Gerechtigkeit festzuhalten. Wegen unserer sozialpolitischen Kompetenz unterscheiden wir uns von anderen. Ja, es hat auch Fehlentwicklungen gegeben, was die Ausweitung etwa von Minijobs, Leiharbeit angeht Das muss korrigiert werden. Und wir brauchen endlich einen gesetzlichen Mindestlohn. Vollzeit erwerbstätige Menschen müssen von dem, was sie rausbekommen, auch leben können.

    Vor Ihrer Zeit als Fraktionsvorsitzender war die Energiepolitik Ihr Fachgebiet. Wie sehr schmerzt das von den Grünen mit durchgesetzte Ende der Steinkohle?

    Ich halte die Entscheidung, den Bergbau 2018 endgültig zu beenden, für falsch. Aber die politischen Mehrheiten im Bund und in Nordrhein- Westfalen waren nun einmal so. Umso wichtiger ist, dass kein Bergmann ins Bergfreie fällt, dass es also keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Jetzt müssen wir daran arbeiten, den ehemaligen Bergbauregionen neue wirtschaftliche Perspektiven zu eröffnen, wie es - um nur einige Branchen zu nennen - mit der Logistik, der Chemieindustrie oder der Gesundheitswirtschaft schon teilweise gelungen ist.

    Sie verstehen aber, dass sich viele über Ihr demonstrativ gutes Verhältnis zum grünen Fraktionschef und erklärten Kohlegegner Reiner Priggen wundern?

    Ich habe Reiner Priggen gerade erst ein Ständchen zum 60. Geburtstag gesungen - in Begleitung des Ruhrkohle-Chors. Als Fraktionsvorsitzende sorgen wir dafür, dass SPD und Grüne sich nicht aneinander abarbeiten, sondern vertrauensvoll und aufgabenorientiert zusammenarbeiten. In der ersten Auflage unserer Koalition bis 2005 war das nicht immer so. Beide Parteien haben dazugelernt. Aber gerade deshalb kann unsere Zusammenarbeit ein gutes Beispiel für Berlin sein. Ich sage unserem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück immer wieder: Schau‘ Dir das hier an!
    Andreas Wyputta

    ID: LI130223

  • Düngel, Daniel (Landtagsvizepräsident)
    Im Interview: Landtagsvizepräsident Daniel Düngel (PIRATEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 23.01.2013

    Herr Düngel, Sie stammen aus einer sozialdemokratisch geprägten Familie in Oberhausen. Was machen Sie bei den Piraten?

    Früher habe ich meine Kreuzchen oft bei der SPD gemacht, stimmt. Auf die Piraten bin ich 2009 über das Politikberatungsprogramm Wahl-O-Mat gestoßen - da lag meine Partei an erster Stelle. Damals gab es in Oberhausen nur drei Piraten. Mit einem habe ich einen Partei- Stammtisch ins Leben gerufen und dabei meinen Mitgliedsantrag ausgefüllt. Wenig später arbeitete ich bei der Betreuung der Bundespresse mit dem damaligen Bundesparteichef Jens Seipenbusch zusammen - denn Themen wie Vorratsdatenspeicherung, Internetsperren und verstärkte Bürgerbeteiligung interessieren mich seit langem.

    Seit neun Monaten sind Sie Mitglied des Landtags. Hat das Mandat Sie verändert?

    Ich hoffe und glaube das nicht. Verändert hat sich mein Tagesablauf. Als Leiter eines Versicherungsbüros war ich zwar seit Jahren in einer verantwortlichen Position. Trotzdem arbeite ich jetzt länger - auch wegen meiner Aufgaben als Vizepräsident.

    Da Sie vorher in keinem anderen Parlament oder Rat saßen: Was hat Sie an der Arbeit im Landtag am meisten überrascht?

    Wie stark das Denken in Richtung Fraktionszwang und Parteidisziplin wirklich ist. Ich hatte lebendigere Diskussionen und mehr Kompromissbereitschaft erwartet.

    Wo beispielsweise?

    Etwa beim Nichtraucherschutzgesetz. Da haben sich rund 20 SPD-Abgeordnete kritisch geäußert. In einem freieren politischen System hätten die vermutlich mit Nein gestimmt oder sich enthalten. Nur durch den Fraktionszwang ist das Gesetz des rot-grünen Kabinetts im Parlament durchgedrückt worden. Auch unser Antrag, die E-Zigarette weniger restriktiv zu behandeln, hatte deshalb von Anfang an keine Chance. Das ist schon ein bisschen frustrierend.

    Kernthema der Piraten ist das Internet als globales Medium. Warum haben Sie für ein regionales Parlament wie den Landtag kandidiert?

    Wir wollen den Landtag verändern - schließlich unterscheiden wir uns von den etablierten Parteien auch durch unseren Blick auf die parlamentarische Demokratie. Wir wollen weg von starren, über Jahre bestehenden Koalitionen. Die herrschende Fraktionsdisziplin behindert sachorientierte Lösungen. Piraten glauben, dass Entscheidungen themenbezogen in den Parlamenten getroffen und nicht unter parteipolitischen Gesichtspunkten von den Regierungen vorweggenommen werden sollten.

    Wie sollen sich dann stabile Regierungen bilden?

    Die Behauptung, ohne Parlamentsmehrheit könne nicht regiert werden, ist doch Quatsch. Gezeigt hat das nicht zuletzt das rot-grüne Minderheitskabinett, mit dem Hannelore Kraft von 2010 bis 2012 hier in Nordrhein-Westfalen regiert hat: Gerade der Zwang, partei-, koalitions- und sogar lagerübergreifende Lösungen suchen zu müssen, hat Kompromisse erst möglich gemacht, etwa im Streit um das Schulsystem - auch wenn wir eine viel individuellere Förderung der Schülerinnen und Schüler einfordern.

    Eine ihrer Fraktionskolleginnen hat dagegen geklagt, die Arbeit im Landesparlament sei langweilig und ermüdend.

    Grundsätzlich sind die Arbeitsbedingungen im Landtag super. Allerdings dauern manche Plenarsitzungen bis zehn Uhr abends - und nichts anderes wollte die Kollegin kritisieren. Von den 237 Abgeordneten sind dann zeitweise nur 30 bis 40 anwesend. Wir müssen uns fragen, ob das den wichtigen Entscheidungen, die wir hier treffen, wirklich angemessen ist. Vielleicht muss die Zahl der Plenartage erhöht werden.

    Den Piraten ist vorgeworfen worden, sich unangemessen zu kleiden. Auch ihre exzessive Computernutzung im Plenum gilt als problematisch.

    Ich selbst habe als Versicherungskaufmann 17 Jahre jeden Tag im Anzug gearbeitet. Trotzdem finde ich diese Debatte sehr skurril: Wichtig sind doch die politischen Inhalte, nicht die Kleidung. Ein Abgeordneter in Jeans und T-Shirt kann viel authentischer sein als jemand, der sich mit einem Sakko verkleidet. Das Verbot von Laptops bleibt für uns problematisch, auch wenn wir immerhin Tablets benutzen dürfen. Für uns sind Rechner Arbeitsgeräte, mit denen wir uns ein schnelles Feedback unserer Basis holen wollen - wir daddeln im Plenarsaal nicht "World of Warcraft".

    Abgeordnete mit langer Parlamentserfahrung beklagen die Beschleunigung des Politikbetriebs durch das Internet als nie stillstehende Nachrichtenmaschine. Dadurch fehle Zeit zur Meinungsbildung. Können Sie das verstehen?

    Sicher. Niemand sagt, dass das Internet nur schöne Seiten hat. Das Netz beschleunigt das Leben allgemein und die Politik ganz besonders, bietet aber auch immense Vorteile: Immer mehr Informationen sind viel schneller verfügbar, als das vor 20 Jahren überhaupt vorstellbar war. Als Parlament sollten wir deshalb schneller auf öffentliche Debatten reagieren, etwa durch außerordentliche Plenarsitzungen. Die digitale Revolution kann niemand zurückdrehen.
    Andreas Wyputta

    ID: LI130123

  • Dr. Papke, Gerhard (Landtagsvizepräsident)
    Im Interview: Landtagsvizepräsident Dr. Gerhard Papke (FDP).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 12 - 12.12.2012

    Herr Papke, haben Sie nach dem Wechsel vom Fraktionschef zum Landtagsvizepräsidenten Entzugserscheinungen von der Tagespolitik?

    Nein, ich verspüre keinen Phantomschmerz. Ich habe viele Jahre Politik mit durchgedrücktem Gaspedal gemacht. Wenn man dann operative Verantwortung abgibt, ist diese Situation zugegebenermaßen schon neu. Aber ich habe mit Christian Lindner den idealen Nachfolger gefunden und bin froh, dass er wieder nach NRW zurückgekehrt ist. Außerdem bekleide ich jetzt ein anderes wichtiges Amt, das auszuüben mir viel Freude bereitet.

    Welchen Tribut muss man als Politiker an vorderster Front zollen?

    Sie sind als Fraktionsvorsitzender extrem eingebunden ins tagesaktuelle Geschehen. Sie müssen sich mit allen relevanten Themen und politischen Vorgängen befassen und gucken, wo es Interventionsbedarf gibt. Das ist ein sehr spannender und intensiver Prozess. Sie dürfen auch die vielfältige Binnenwirkung nicht unterschätzen. So eine Fraktion ist ein lebendiger Organismus, und glauben Sie nicht, dass das in kleineren Fraktionen anders ist. Sie müssen mit jedem Abgeordneten eng zusammenarbeiten, damit er sein fachpolitisches Potenzial entfalten kann. Das ist eine multifunktionale Aufgabe, deren geringerer Teil öffentlich sichtbar wird.

    Ist Politik schneller geworden? Wird man stärker getrieben?

    Ja, das gilt für Politiker genauso wie für Journalisten. Das Tempo hat in den letzten zehn Jahren gewaltig zugenommen. Das hat schlichtweg mit den neuen Medien, dem Internet zu tun. Neue Nachrichten werden 24 Stunden lang generiert. Der Newsflow kommt nie zum Erliegen. Das ist aus Sicht des Parlaments nicht nur von Vorteil, weil sich viele Diskussions- und Entscheidungsprozesse außerparlamentarisch vollziehen und die emotionale Aufladung der Berichterstattung häufig dazu führt, dass die schnelle Schlagzeile wichtiger wird als das ruhige Nachdenken. Politik wird immer mehr gefordert, ganz schnell scheinbar perfekte Antworten zu geben. Das ist leider nicht möglich. Aus diesem Dilemma kann sich Politik nur noch schwer befreien.

    Vermissten Sie die Möglichkeit, sich mit einem Thema mal in Ruhe zu befassen?

    Jeder Politiker in Führungsverantwortung ist gezwungen, in erheblichem Maße aus der Substanz zu leben, weil man nicht mehr wie neben einem normalen Beruf Zeit und Möglichkeit hat, die Batterien intellektuell aufzuladen. Das geht häufig nur im Urlaub oder spät in der Nacht, wenn die Termine abgearbeitet sind. Das empfindet man gerade dann als unbefriedigend, wenn man selber als Politiker von den Inhalten her kommt.

    Sie sind es ja gewohnt, wissenschaftlich zu arbeiten. Kommt Ihnen diese Lebensphase im Rückblick unwirklich vor?

    Das sind sehr unterschiedliche Welten. Ich habe schon gelegentlich Probleme, mich an mein Leben zu erinnern, als ich Zeit hatte, Bücher zu schreiben. Aber es gab in den vergangenen Jahren durchaus Momente, in denen ich gedacht habe, es muss paradiesisch gewesen sein. Ich will mich jedoch wahrlich nicht beklagen. Viel spannender und intensiver hätte meine bisherige Zeit als Abgeordneter kaum sein können: viele Höhen, aber auch belastende, sogar schlimme Momente, wie etwa der Tod von Jürgen Möllemann, der sich im nächsten Jahr schon zum zehnten Mal jährt. Fünf Jahre konnte ich in unserer Regierungszeit an vorderster Front mitgestalten und meine Überzeugungen einbringen. Auch die Zeit der rot-grünen Minderheitsregierung war ja bekanntlich äußerst spannend, von ihrem Ende ganz zu schweigen. Und wer weiß, was noch kommt. Ich war immer Parlamentarier aus Leidenschaft und arbeite deshalb mit Freude in meinem neuen Amt.

    Gibt es eine Lösung, aus der Knochenmühle herauszukommen? Müsste es mehr Ruheräume für Politiker geben?

    Man hat immerhin in der Sommerpause und in der Weihnachtspause mehr Zeit, aber die braucht man dann auch, um wieder Kraft zu schöpfen. Wir werden in Zukunft häufiger erleben, dass Politiker sehr konsequent für sich persönlich entscheiden, dass sie nicht immer neue Ämter anstreben wollen. Roland Koch in Hessen, Ole von Beust in Hamburg und vielleicht auch Frank-Walter Steinmeier zeigen, dass Politiker, die schon viel geleistet haben, an einen Punkt kommen, an dem sie sagen, das reicht mir jetzt, ich greife nicht nach jedem Amt, oder ich mache nochmal etwas ganz anderes. Das scheint uns jetzt noch außergewöhnlich, ist aber auch eine Antwort darauf, dass Politik immer radikaler Besitz von den Menschen ergreift, die sich ihr verschrieben haben.

    Ist es zu bedauern, dass Politik zu einem Lebensabschnitt wird und nicht mehr lebenslange Berufung?

    Vor diesem Hintergrund sicherlich nicht. Es ist immer weniger möglich, sich Freiräume neben der politischen Laufbahn zu bewahren. Das war früher leichter. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, da war ich Mitarbeiter im Deutschen Bundestag, als es noch keine Mobiltelefone und kein Internet gab. Da wurden Briefe statt EMails geschrieben und Presseerklärungen per Fax in die Redaktionen geschickt. Wenn Redaktionsschluss war, wurde politisch gearbeitet, aber in anderer Form. Das wird so nicht wiederkommen. Wenn das Privatleben nur noch eine sehr untergeordnete Rolle spielt und man sich keine Rückzugsmöglichkeiten sichern kann, sagen sich einige, dann begrenze ich das eben auf der Zeitachse. Man sollte als Abgeordneter ohnehin nie aus dem Blick verlieren, dass man nur auf Zeit gewählt ist.

    Was machen Sie mit Ihren neuen Freiräumen?

    Ich mische nach wie vor kräftig mit, wenn auch stärker im Hintergrund. Ich bin in vielen Gesprächen und lerne mehr denn je interessante Menschen kennen, ohnehin eines der großen Privilegien, die einem die Politik eröffnet. Ich schaue voller Neugier auf das, was vor uns liegt. Der Landtag ist bis 2017 gewählt. Aber wenn wir etwas gelernt haben in diesem Jahr, dann ist es, wie extrem schnell sich die politische Lage verändern kann. Wer vor zwölf Monaten vorhergesagt hätte, dass wir uns hier unterhalten würden, im Büro des Landtagsvizepräsidenten, den hätte ich für verrückt erklärt.
    Kristian Frigelj

    ID: LI121222

  • Keymis, Oliver (Grüne) (Landtagsvizepräsident)
    Im Interview: Landtagvizepräsident Oliver Keymis (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 11 - 28.11.2012

    Herr Keymis, Sie sind ein in Düsseldorf geborener Rheinländer. Lassen Sie uns über Westfalen reden.

    Keymis: Gern!

    Was mögen Sie an Westfalen?

    Die Landschaft, die Leute, die Wurst (lacht). Vor allem gefällt mir die Art der Menschen: Westfalen sind zurückhaltend, zuverlässig. Sympathisch eben.

    Trotzdem geht in Westfalen die Angst um: Manche haben das Gefühl, vom Rheinland abgehängt zu werden. Können Sie das verstehen?

    Das ist historisch bedingt. Der Rhein war immer ein Verkehrsweg, ein Kommunikationskanal. Da zogen die Völker durch, ließen sich nieder. Deshalb ist diese Region immer die stärker belebte und besiedelte gewesen. Aber: Nur besondere Menschen haben es gewagt, sich in Westfalen und in Lippe ein Leben jenseits des großen Stroms aufzubauen. Daraus speist sich ein starkes Selbstbewusstsein. In der Wirtschaft stehen dafür Weltunternehmen wie Miele oder Oetker, der breite Mittelstand, die Möbelindustrie - und in der Kultur etwa das Picasso-Museum in Münster oder die ‚Wege durch das Land‘, das Literaturund Musikfest in Ostwestfalen-Lippe.

    Gerade im Kulturbereich spielt die Musik im Rheinland. Deutlich wird das an Ihnen selbst: Als Regisseur und kulturpolitischer Sprecher Ihrer Landtagsfraktion engagieren Sie sich ehrenamtlich etwa bei der Kunstsammlung NRW mit Düsseldorf oder der Kunsthochschule für Medien in Köln.

    Natürlich gibt es in den Großstädten zwischen Dortmund und Köln ein viel größeres kulturelles Angebot als im Münsterland und in Lippe. Und natürlich haben viele Kultureinrichtungen ihren Sitz in der Landeshauptstadt Düsseldorf oder in der größten Stadt NRWs, in Köln. Und es stimmt: Ein Großteil der Anträge auf Kulturförderung stammen aus dem Rheinland. Trotzdem versuchen wir, Unterstützung gleichmäßig zu verteilen - das macht die Kunststiftung genauso wie die Landeskulturförderung.

    Spöttisch wird Nordrhein-Westfalen gern das ‚Bindestrich-Bundesland‘ genannt - erfunden von den Alliierten zur Zerschlagung Preußens. Trifft das noch?

    Die Alliierten haben Nordrhein-Westfalen als künstliches Gebilde geschaffen. Mittlerweile sehe ich aber eine Einheit in der Vielfalt.

    Inwiefern?

    Es gibt Lipper und Westfalen, und der Niederrheiner unterscheidet sich vom Bonner nicht nur im sprachlichen Singsang. Darin liegt der kulturelle Lebensreichtum unserer Regionen. Als Land binden wir das zusammen. So funktioniert unsere Republik. Zwischen Bayern und Hamburg ist das ähnlich. Überhaupt: Regionale Vielfalt in einem einheitlichen Europa - ist doch der Plan, nach dem wir zusammenleben sollten.

    Getrieben durch die Finanzkrise wird Europa wichtiger, verlieren die Nationalstaaten an Macht. Nicht zuletzt aus Geldgründen fragen Kritiker bereits: Brauchen wir noch Bundesländer?

    Das ist für mich eine Demokratiefrage. Politische Teilhabe muss von der Basis aus organisiert sein: Vom kleinen Dorf, der Stadt, den Kreisen, den Regionen - bei uns organisiert über die Landschaftsverbände - über die nationale auf die europäische Ebene. Die Kostenfrage sehe ich nicht. Der Landtag kostet jeden Bürger 5 Euro 60 - pro Jahr.

    Trotzdem: Welche Rolle spielen deutsche Bundesländer in einem vereinten Europa?

    Eine sehr wichtige! Ziel der Grünen sind die Vereinigten Staaten von Europa, getragen von einer Vielfalt von Regionen. In Brüssel wird das schon so gesehen: Von dort gefördert werden Regionen wie das Baskenland, Katalonien oder eben NRW.

    Unterstützt das nicht separatistische Tendenzen? In Katalonien haben im September mehr als eine Million Menschen für eine Unabhängigkeit von Spanien demonstriert. Ähnliches ist doch auch im Baskenland, in Schottland, in Südtirol zu sehen?

    Diese Tendenzen sind nicht neu. In den 60er,- 70er-, 80er-Jahren waren sie viel stärker. Europa hat schon jetzt mehr Einigkeit verbreitet. Diese Bestrebungen haben doch zwei Quellen: Eine ist materielle Ungleichheit. Die zweite ist die kulturelle Autonomie, Eigensprachlichkeit, Identität. Das geht vom Kulinarischen über Musik, Tänze bis zu speziellen Sportarten. Diese verschiedenen Identitäten aber machen den kulturellen Reichtum Europas aus. Eigenstaatlichkeit mit Abschottung, Protektionismus, eigener Gewalthoheit dagegen bleibt ein Problem: Das ist nicht im Sinne eines geeinten Europas.

    Zurück nach NRW, in die größte Metropole unseres Landes ... Köln!

    Nein, in die Metropole Ruhr. Mit dem Begriff Metropole habe ich mich immer schwer getan: Dabei denke ich an Städte wie Paris, Istanbul, Peking. Für mich ist das Ruhrgebiet eine Metropol- Region mit verschiedenen städtischen Agglomerationen. Mit seinen knapp sechs Millionen Einwohnern ist die Metropolregion Ruhr das stärkste Stück Deutschland, das wir haben - nicht nur durch die kulturelle und industrielle Kraft, sondern auch durch seinen republikweit einzigartigen Charakter als multikultureller Schmelztiegel.

    Wenn das Ruhrgebiet einzigartig ist: Ist die Verwaltungsstruktur, die das Revier in drei Regierungsbezirke und zwei Landschaftsverbände zerschneidet, noch zeitgemäß?

    Das wird man prüfen müssen. Wäre es nicht besser, in NRW gäbe es nur drei Verwaltungseinheiten: Westfalen-Lippe, das Ruhrgebiet und das Rheinland? Die Grünen haben das einmal gefordert.

    Im Prinzip finde ich den Gedanken nicht schlecht - gerade in einem Europa der Regionen. Die Metropolregion Ruhr wäre sicher gut beraten, sich mit einer einheitlichen Verwaltung einen Namen zu machen. Leider herrscht an der Ruhr aber noch oft Kirchturmdenken: Wenn die eine Stadt ein Konzerthaus, ein Einkaufszentrum bekommt, will die andere nur wenige Kilometer weiter auch eins. Das muss vor Ort überwunden werden.
    Andreas Wyputta

    ID: LI121116

  • Uhlenberg, Eckhardt (Landtagsvizepräsident)
    Im Interview: Landtagsvizepräsident Eckhard Uhlenberg (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 07.11.2012

    Herr Uhlenberg, 16 Bundesländer, 16 Landtage, 16 Landesregierungen - wozu brauchen wir das?

    Ich glaube, dass wir in Deutschland mit der föderalistischen Struktur gut gefahren sind. Das zeigt der Vergleich mit anderen europäischen Ländern, die eher zentralistisch organisiert sind. Aufgabe der Politik ist es, gleiche Lebensbedingungen im gesamten Staatsgebiet herzustellen. Das geht mit einem Mittelbau, also den Ländern zwischen der nationalen Regierung und den Kommunen, sehr viel besser. Die Landespolitik ist viel näher vor Ort als die Bundespolitik.

    Wäre ein Zentralstaat wie in Frankreich nicht billiger?

    Nein, was heißt hier auch billiger? Das kann man nicht in Euro und Cent messen. Im Zentralstaat besteht die große Gefahr, dass manche Regionen, vor allem ländliche Räume, vernachlässigt werden. Das ist am Ende nicht billiger als unser System, sondern teurer.

    Was ist in Ihren Augen das Besondere an Nordrhein-Westfalen?

    Nordrhein-Westfalen ist ein Land mit unterschiedlichen Strukturen und unterschiedlichen Mentalitäten. Wir haben im Kernbereich das Ruhrgebiet mit über fünf Millionen Menschen, der größte Ballungsraum Europas, wir haben das Münsterland mit Münster als Zentrum, Ostwestfalen mit den Oberzentren Bielefeld und Paderborn, wir haben die jüngste europäische Region Südwestfalen, von der vor ein paar Jahren noch niemand gesprochen hat, und schließlich haben wir das Rheinland, das reicht vom Niederrhein bis Düsseldorf, Köln und Bonn. Diese Vielfalt in Nordrhein-Westfalen, große Städte und ländliche Räume, das macht das Besondere aus.

    Und die harmonieren auch?

    Im Großen und Ganzen harmonieren die unterschiedlichen Landesteile und Regionen. Das gilt natürlich nur, wenn Landesteile bei bestimmten Entscheidungen nicht vernachlässigt werden. Dann muss man sich schon mal deutlich zu Wort melden.

    Sie sind bekennender Westfale, was mögen Sie an den Rheinländern?

    Als Umweltminister habe ich viel mit Organisationen zusammengearbeitet, in denen die Landesteile eine große Rolle gespielt haben. Als Westfale bin ich immer gerne zu den Rheinländern gefahren. Die Menschen haben dort eine andere Mentalität, denen geht vieles leichter von der Hand. Die Westfalen sind etwas grundsätzlicher. Aber ich finde, dass sie sich gegenseitig bereichern. Das hat ja auch in den letzten Jahren dazu geführt, dass es immer mehr nordrhein-westfälische Organisationen gibt und nicht Organisationen der einzelnen Landesteile.

    Welche Eigenschaft schätzen Sie an Ihren westfälischen Landsleuten weniger?

    Da fallen mir keine ein.

    Herr Uhlenberg, Sie waren in Ihrer langen landespolitischen Karriere Mitglied der CDU-Fraktionsführung, Mitglied der Landesregierung, Präsident des Landtags und jetzt Vizepräsident - welche Aufgabe hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?

    Das politisch wichtigste Amt war die Aufgabe des Umwelt- und Landwirtschaftsministers. In dieser Rolle kann man am meisten gestalten, das habe ich auch fünf Jahre sehr gern getan und hätte es gerne länger gemacht. Als ich dann zum Landtagspräsidenten gewählt wurde, habe ich das nicht als Abstieg angesehen, schließlich ist vom Protokoll her der Landtagspräsident die Nr. 1 in Nordrhein-Westfalen. Aber natürlich war es eine große Enttäuschung, als wir 2010 nach fünf Jahren nicht wiedergewählt wurden.

    Was sagen Sie jungen Leuten, warum sie sich für Landespolitik interessieren sollen?

    Ich sage ihnen eher allgemein, sie sollen sich für Politik interessieren, sie sollen sich möglichst engagieren in den Jugendorganisationen der Parteien. Wenn ich Schulklassen besuche, sage ich immer zum Schluss, wenn wir unsere parlamentarische Demokratie behalten wollen, wenn wir sie nicht rechten oder linken Extremisten überlassen wollen, dann ist das politische Engagement der Bürger notwendig. Ich rate ihnen nicht, sich jetzt speziell für Landespolitik zu interessieren. Sie sollen sich die Politik ansehen, sie sollen sich die Parteien ansehen, alles andere kann sich daraus ergeben. Wenn Sie sich die Landtagsabgeordneten angucken, dann sind das meistens Leute, die ihre ersten politische Erfahrungen in der Kommunalpolitik gemacht haben.

    Ihnen liegt besonders die Schaffung eines "Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen" am Herzen. Wozu brauchen wir das?

    Wir brauchen dieses Haus dringend, weil wir den Zusammenhalt in Nordrhein-Westfalen weiter stärken können und sollen, weil wir Vorurteile abbauen können. Der Landtag hat in jedem Jahr über 70.000 Besucher, darunter viele Schulklassen. Ihnen können wir in einem solchen Haus die 66-jährige Geschichte des Landes präsentieren, und wir können ihre Identifikation mit ihrem Heimatland stärken. In diesem Haus könnten wichtige Debatten für die Landesgeschichte, etwa über den Strukturwandel im Ruhrgebiet, wichtige Entscheidungen der Landespolitik, aufgearbeitet und wiedergegeben werden. Der Abstand zu den Gründerjahren wird immer größer, die Menschen haben nur wenig Gelegenheit, sich über wichtige Etappen der Landesgeschichte zu informieren. Deshalb wäre ein solches Haus eine sehr gute Ergänzung der jetzigen Öffentlichkeitsarbeit.

    Wie realistisch ist Ihr Vorhaben?

    Als Landtagspräsident habe ich dieses Thema aufgegriffen. Wir haben eine Reihe von Fachgesprächen geführt, mit Experten, mit den Landtagsfraktionen, mit Ministerpräsidentin Kraft. Das Echo war durchgehend positiv. Als Erster Vizepräsident werde ich dieses Thema in den nächsten Wochen im Präsidium des Landtags wieder ansprechen und dann werden wir sehen, wie es weitergeht.
    Das Interview führte Peter Jansen

    ID: LI121024

  • Portrait: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 8 - 12.09.2012

    In einem unbedachten Augenblick verpasst Hannelore Kraft den direkten Weg zur Macht. Die soeben wiedergewählte und vereidigte Ministerpräsidentin bedankt sich in einer kurzen Ansprache ans Parlament und kehrt vom Redepult in die Reihen der SPD-Landtagsfraktion zurück. Diesen unüblichen Weg kommentiert Landtagspräsidentin Carina Gödecke an jenem 20. Juni mit einem dezenten Hinweis: "Frau Ministerpräsidentin, Sie dürfen natürlich jederzeit im Kreis der Landtagsabgeordneten mitten im Plenum Platz nehmen, aber wenn Sie mögen, dürfen Sie nun auch auf den Platz der Ministerpräsidentin." Fröhliches Lachen im Plenum, selbst bei der Opposition, und Frau Kraft geht zu den verwaisten Regierungsbänken und setzt sich ganz rechts auf ihren angestammten Platz.
    Es gibt bei ihr immer noch solche Momente der Machtvergessenheit, in denen sie auf Außenstehende besonders menschlich wirkt. Doch sie werden seltener. Denn längst ist Hannelore Kraft in ihrem Amt angekommen und wird davon vereinnahmt. Die Sozialdemokratin ist zur Landesmutter Nordrhein-Westfalens herangewachsen; sie ist unter den populärsten deutschen Politikern die Zweitbeliebteste, knapp hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie ist die Kandidatenhoffnung der SPD im Bund, für was auch immer. Man erinnert sich kaum mehr daran, dass sie 2010 auch nicht den direkten Weg zur Macht einschlug und nach einem unklaren Landtagswahlergebnis und unerquicklichen Sondierungsgesprächen zunächst lieber in der Opposition bleiben wollte.
    Sie kann noch leicht die Arbeitertochter aus dem heimatlichen Stadtteil Dümpten in Mülheim an der Ruhr sein - das zeigen ihre Stadionbesuche bei Borussia Mönchengladbach. Sie sitzt jetzt zwar in der VIP-Loge und fügt sich, anfangs noch widerstrebend, den Sicherheitsrichtlinien für Spitzenpolitiker, aber sie benimmt sich wie früher auf den einfachen Sitzplätzen. Wenn Gladbach Tore schießt, springt sie auf, umarmt Sitznachbarn, klatscht Hände ab, wenn es schlecht läuft, mosert sie. Als die 51-jährige nach ihrer Wiederwahl zur Ministerpräsidentin gefragt wird, was sie zuerst "anpacken" wolle, sagt sie: "Meinen Mann." Als die Opposition sie einmal im Plenum allzu zu sehr piesackt, ruft sie: "Butter bei die Fische" und "Reden wir mal Tacheles." Wenige Schnörkel, etwas Schminke, mehr Kanten. Längst ist dieser im Ruhrgebiet gewachsene Klare-Kante- Charakter zum zentralen Element einer politischen Glaubwürdigkeitsstrategie geworden. Ihr Mantra lautet "versprochen, gehalten".

    Authentisch

    Kraft ist damit das Kunststück gelungen, eine politische Minderheit in eine neue rot-grüne Mehrheit zu verwandeln. Und auch sonst steht ihre politische Karriere in Kontrast zu den sozialdemokratischen Verläufen in Nordrhein- Westfalen. Sonst war es für die SPD in Nordrhein-Westfalen zur Tradition geworden, dass sie ihre Zugpferde in der Regierung nach Heinz Kühn im Lauf wechselte und eine dynastische Ad-Hoc-Erbschaftsfolge etablierte. Die Nachfolger kündigten sich meist früh an, drängten als Kronprinzen. Kraft hingegen kam aus der Opposition.
    Sie besitzt keinen politischen Masterplan hin zur Spitze, als sie 1994 in die SPD eintritt und sechs Jahre später als Direktkandidatin erstmals in den Landtag kommt. Es ist ein unbekannter Weg mit ungewisser Richtung, unbekannten Abzweigungen. Die Parlamentsnovizin hat auch Glück, bekommt seltene Chancen, nutzt günstige Gelegenheiten. Ministerpräsident Wolfgang Clement gerät in personelle Not, als sich sein Europaminister 2001 wegen einer Steueraffäre zurückziehen muss. Die damals 39-jährige Kraft hingegen ist ein Vorbild an Transparenz, sie zeigt ihre Einnahmen im Internet; die kluge Mülheimerin wirkt obendrein frisch, geradeaus, unerschrocken. Sie übernimmt später das gewichtigere Wissenschaftsressort. Vier Jahre gehört sie zum Kabinett, und wäre es wohl auch weiter geblieben, wenn nicht die Abwahl der SPD nach 39 Regierungsjahren gekommen wäre.
    Sie wird nicht für den Niedergang der alten Regierungspartei verantwortlich gemacht, es müssen andere weichen. Kraft wird zur SPD-Fraktionsvorsitzenden gewählt, zur Oppositionschefin. In dieser Zeit wird der Grundstein für eine langfristige Strategie gelegt. Zwei Jahre später übernimmt sie den vakanten SPD-Landesvorsitz und reserviert sich die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2010. Altvordere in der SPD betrachten sie mit Skepsis, sie die erste Frau an der Spitze, wirkt nicht wie ein political animal, ein ungewohnter Kontrast zu legendären Leitwölfen. Sie wird unterschätzt. In geselligen Runden erzählt Kraft bisweilen, dass sie einigen auf die Füße getreten sei. Jemand, der sie in kritischen Momenten weit hinter den Kulissen erlebt hat, sagt: "Sie kann ganz schön die Krallen ausfahren." Natürlich fragt man sich, wohin das alles führen wird. Die stellvertretende Parteivorsitzende Kraft zerschlägt sehnliche Erwartungen in der SPD, sich demnächst um die Kanzlerkandidatur zu bewerben. Sie hat dies für 2013 ausgeschlossen, ebenso für 2017. Kategorisch klingt ihre Absage, ungewöhnlich für einen Politiker, logisch für eine Authentizitätsmeisterin. Keiner weiß, was passiert, wenn die SPD nicht mehr so stillhält wie in diesen Tagen, wenn sie aus allen Ecken laut zu rufen beginnt. Vielleicht kann Hannelore Kraft bestimmen, wann die Partei rufen soll. Sie macht zumindest den Eindruck, als könnte sie entscheiden, wie ihr Weg entlang der Macht verläuft.
    Kristian Frigelj

    ID: LI120817

  • Portrait: Landtagspräsidentin Carina Gödecke (SPD).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 7 - 05.07.2012

    Das Büro neben dem Plenarsaal ist größer als manche Zwei-Zimmer-Wohnung in ihrer Heimatstadt Bochum, von der Fensterflucht hat man einen schönen Blick auf den träge vorbeifließenden Rhein. Manchmal kann es Carina Gödecke, die neue Landtagspräsidentin, noch nicht wirklich fassen, dass sie, Tochter einer Arbeiterfamilie aus dem Ruhrgebiet, jetzt hier ihren Arbeitsplatz hat, dass sie zur obersten Repräsentantin von 237 Abgeordneten gewählt ist, zur Vorgesetzten von rund 300 Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, dass die Ministerpräsidentin und deren Kabinettsmitglieder vor ihr den Eid auf die Verfassung ablegen mussten.
    "Ich bin nicht mehr nur Carina Gödecke, 53 Jahre alt und Großmutter von fünf Enkelkindern", sagt sie dann, um sich selbst ihrer Rolle immer wieder zu vergewissern, "ich bin zu einer Institution geworden."
    Mehr Veränderung will sie allerdings nicht zulassen, die Menschen sollen sie so erleben, wie sie ihnen im Wahlkampf begegnet, offen, unkompliziert, ohne Allüren. In vielen Punkten weist ihre Laufbahn verblüffende Parallelen mit dem Werdegang von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auf, der Tochter einer Straßenbahnerfamilie aus dem wenige Kilometer entfernten Mülheim/Ruhr. Gödecke spricht, obwohl in Hessen geboren, die Sprache des Ruhrgebiets. Sie ist nicht eitel und statusbewusst, sie muss nicht in der ersten Reihe sitzen, obwohl ihr oft gar nichts anderes übrig bleibt. Sie macht, wie sie es selbst in der Sprache ihrer Heimat ausdrückt, "kein Gedöns". Dabei kommt ihr ihre Herkunft aus einer durch und durch sozialdemokratisch geprägten Familie zugute. Der Vater, ein Opel-Arbeiter, hatte schon in ihrer Geburtsstadt Groß-Gerau für die SPD im Rat gesessen, die Mutter war in der IG Metall engagiert. Nach dem Umzug nach Bochum Anfang der 1960er-Jahre, wo Vater Gödecke das neue Opel-Werk mit aufbaute, wurden beide Elternteile in den Rat der Ruhrstadt gewählt. Tochter Carina war das erste Familienmitglied, das ein Gymnasium besuchen konnte, eine Art Lyzeum für die höheren Töchter der Stadt. Das war für das Arbeiterkind nicht immer ganz einfach: "Ich wurde nicht mit der Bratsche in der Hand geboren. Bei uns wurde ‚Brüder, zur Sonne, zur Freiheit‘ gesungen."
    Doch das zierliche blonde Mädchen biss sich durch, wie sie überhaupt zu ihren wichtigsten Eigenschaften "Steherqualitäten" zählt. Es blieb nicht aus, dass sie schon früh im Elternhaus mit praktischer Politikarbeit konfrontiert wurde, da wurde am Esstisch über Kommunalpolitik und den nächsten Wahlkampf diskutiert, da halfen die Kinder auch mal mit und steckten Flugblätter der SPD in die Briefkästen in ihrem Viertel. Als junges Mädchen stand für Carina Gödecke fest, dass sie selbst nie in eine Partei eintreten würde, "die nimmt einem ja die Eltern weg", klagte sie bei ihren Freundinnen. Doch mit 16 hatte sie sich anders entschieden, da wollte sie ein eigenes Parteibuch. Ihr Vater stimmte zu, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Schule absoluten Vorrang hat. "Erst machst du das Abitur, bevor du eine Funktion übernimmst", gab er seiner Tochter mit auf den Weg.

    Zur rechten Zeit am rechten Ort

    Carina Gödecke hielt sich dran und absolvierte nach und nach die Ochsentour der Parteikarriere. Erst übernahm sie die Aufgaben, die niemand machen wollte, sie kassierte die Beiträge, sie führte in den Vorstandssitzungen Protokoll. Dann wurde sie erst zur stellvertretenden, dann zur Ortsvereinsvorsitzenden gewählt, 1989 - da war sie gerade 31 Jahre alt - als drittes Mitglied der Familie auch in den Rat der Stadt. Ihre Wahl in den Landtag verdankt sie der Neuordnung der kommunalen Führungsebene: Weil der damalige Bochumer Oberbürgermeister Ernst- Otto Stüber als Stadtoberhaupt nicht mehr dem Landtag angehören konnte, wurde ein Wahlkreis frei und Carina Gödecke konnte antreten.
    Viele Zufälle hätten bei ihrer politischen Karriere eine Rolle gespielt, sie sei halt immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Dass sie mit Kompetenz, Einsatz und Intelligenz auch meist das Richtige gemacht hat, verschweigt sie aus Bescheidenheit. Als sie nach ihrer Wiederwahl im Jahr 2000 beim damaligen Fraktionsvorsitzenden Edgar Moron vorstellig wurde und verlangte, jetzt müsse eine Frau aus dem Bezirk Westliches Westfalen auf einen Stellvertreterposten gewählt werden und die Parlamentarierinnen hätten sie vorgeschlagen, hatte sie keinen Erfolg. Moron hatte anderes mit ihr im Sinn: Carina Gödecke wurde Parlamentarische Geschäftsführerin und blieb auf diesem Posten zehn Jahre - so lange wie niemand vorher und, wie sie glaubt, auch niemand nach ihr.
    Nach den ersten Sitzungswochen als Landtagspräsidentin ist von Lampenfieber nichts mehr zu spüren. Souverän, freundlich, aber auch bestimmt, wies sie Kraft nach ihrer Wiederwahl zur Ministerpräsidentin darauf hin, dass es ihr selbstverständlich frei stünde, auf ihrem Abgeordnetenstuhl Platz zu nehmen, dass sie sich jetzt aber wieder in der Regierungsbank neben dem Präsidentenpodest niederlassen könne. Gödecke wirbt für ein selbstbewusstes Parlament und verweist auf zahlreiche Entscheidungen oberster Gerichte des Bundes und der Länder, die die Position von Bundestag und Landtagen gegenüber den jeweiligen Regierungen deutlich gestärkt haben. Als langjährige Gewerkschafterin hat sie dafür ein Beispiel aus der Arbeitswelt: So wie es für jede Unternehmensführung gut ist, wenn ihr ein starker Betriebsrat gegenübersteht, so ist es für jede Regierung gut, wenn sie ein starkes Parlament als Gegenüber hat.
    Mit etwas mehr Freizeit, von denen sie nach den zehn arbeitsintensiven Jahren als Parlamentarische Geschäftsführerin geträumt hat, wird es in diesem Jahr wohl nichts mehr werden. Das sieht man, wie sie sorgenvoll gesteht, mittlerweile ihrem Garten an, den sie zwar sehr liebt, in dem es aber derzeit ganz schlimm aussieht. Vielleicht können dann die Enkelkinder - das älteste ist sieben - beim Unkraut jäten helfen.
    Peter Jansen

    ID: LI120715

  • Porträt: Bernhard Recker (CDU).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 5 - 15.05.2012

    Noch ist die neue Freiheit ohne vollgestopften Terminkalender für Bernhard (Berni) Recker gewöhungsbedürftig. Als der CDU-Politiker letzte Woche wie immer um 6.30 Uhr aufwachte, schoss ihm durch den Kopf: "Du hast Zeit, kaum Termine." Mit dieser plötzlichen Freizeit gut umzugehen, müsse er noch lernen, gesteht der 72-jährige Christdemokrat. Als ältestes Mitglied des NRW-Landtags beendet der CDU-Landtagsabgeordnete aus dem westfälischen Ahlen nach 17 Jahren seine Abgeordnetenkarriere. So wie Bernhard Recker verzichtet nach dem "Aus" der rot-grünen Minderheitsregierung und dem daraus folgenden abrupt frühen Ende der 15. Legislaturperiode ein rundes Dutzend der Landtagsabgeordneten - darunter Ex-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und Ex-Justiz- und Innenminister Fritz Behrens (SPD) - auf eine erneute Kandidatur.
    "Ich habe meine Arbeit im Parlament mit Leidenschaft und Liebe geleistet, aber irgend wann ist Schluss", stellt Schulpolitiker Recker fest. Das Aufhören gilt allerdings nur für seine Parlamentariertätigkeit. Längst sind die Weichen für anderweitige Aufgaben gestellt. Als ehemals aktiver Handballer mischt Recker auch heute noch als Leiter der Handballabteilung in der Ahlener Sportgemeinschaft (ASG) kräftig mit. Sein größter Stolz ist jedoch der 2008 von ihm gegründete "kgv - keiner geht verloren - e.V.". Ziel des Vereins ist es, möglichst vielen leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern durch soziale und fachliche Förderung zu einem qualifizierten Schulabschluss zu verhelfen. Für 30 Jugendliche hat das bislang schon geklappt. Das Fördermodell war so erfolgreich, dass jetzt mit den Jugendlichen ein Film darüber gedreht wird. Und Recker erwägt unter dem Titel "... und es geht doch" seine Erfahrungen über erfolgreiche Jugendförderung in einem Buch zusammenzufassen.
    Reckers Engagement für die Jugendlichen erklärt sich aus eigener Erfahrung. Nach dem frühen Tod seines Vaters erkämpfte er sich Schulausbildung und Pädagogikstudium in Münster unter schwierigen Umständen. Als Lehrer blieb er immer basisnah und versuchte, die Schüler aus ihrer Situation heraus zu verstehen. Dazu dienten seine Hausbesuche. Mindestens einmal im Jahr ging er zu Eltern und Schülern. "Vor Ort ist am besten zu sehen, wie Probleme gelöst werden können", sagt Recker. Diesem Vorgehen blieb er treu. "Ich besuche die Menschen gern, das überzeugt und schafft Vertrauen", weiß der CDU-Politiker. Auch als Landtagsabgeordneter hat er auf diese Weise vielen Mitbürgern helfen können. Stets war sein Motto: "Geht nicht, gibt es nicht." Und tatsächlich fand sich auch bei zunächst aussichtslosen Fällen fast immer eine Lösung.
    Zur Politik fand Recker relativ spät. Erst als er sich im Beruf durchgesetzt hatte, reizte ihn die Politik. "Wenn man kritisiert, muss man auch bereit sein, etwas zu verändern, und das geht am besten, wenn man politisch tätig ist", erkannte Recker. Also trat er in die CDU ein, die seinen politischen Überzeugungen am meisten entsprach. Nach einer Karriere als Kommunalpolitiker zog Bernhard Recker 1995 in den NRW-Landtag ein und engagierte sich dort im Schul- und Sportausschuss. Von 1997 bis 2000 war er schulpolitischer Sprecher, von 2000 bis 2010 Vize-Fraktionschef.
    Richtig froh stimmte den Christdemokraten der gelungene Schulkonsens in NRW. "Damit haben wir ein faires Übereinkommen, die unendlichen Strukturdebatten sind beendet", bilanziert der CDU-Mann. Allerdings hätte er sich gewünscht, dass man die Einigung schon vor der Landtagswahl 2010 erreicht hätte. Die "nicht sehr ausgeprägte Kompromissbereitschaft" des damaligen Ministerpräsidenten hätte das "ein Stück weit" verhindert, räumt Recker ein und sieht darin auch einen Grund für die CDU-Wahlschlappe 2010. Recker: "Wir hatten kein positives Angebot auf die demographische Entwicklung." Deshalb sei es "super", dass mit dem Schulkonsens vom Oktober 2011 eine breite Parlamentsmehrheit gefunden worden sei.
    Trotz des schulpolitisch versöhnlichen Ausklangs empfindet Recker bei seinem Abschied ein wenig Wehmut. "Das war schon eine prima Truppe hier", resümiert der CDU-Mann. Er habe tolle Kumpel und Freunde gefunden und über die Parteischranken hinweg gute Drähte zu anderen Abgeordneten geknüpft. "Sicher werde ich es vermissen, dass ich nicht mehr an Entscheidungen mitwirken kann und auch der phantastische Blick aus meinem Abgeordnetenfenster auf den Düsseldorfer Hafen wird mir fehlen."
    Gerlind Schaidt

    ID: LI120507

  • Porträt: Axel Wirtz (CDU).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 3 - 14.03.2012

    Dass Axel Wirtz, der Vorsitzende des Sportausschusses im Landtag, aus der Gegend von Aachen kommt, ist unüberhörbar. Der 54-jährige ehemalige Verwaltungsbeamte an der Technischen Hochschule spricht den typischen Aachener Dialekt, und er ist in der Region um die alte Kaiserstadt fest verwurzelt, hier hat er auch seine politische Heimat. Zur Politik kam Wirtz durch einen Freund seines Vaters und Vater eines Freundes, Bürgermeister und CDU-Vorsitzender in seiner Heimatgemeinde Gressenich, die seit der kommunalen Neugliederung zu Stolberg gehört. Weil er spannend und interessant fand, was man als Politiker in dem Ort mit damals rund 12.000 Einwohnern bewegen konnte, schloss er sich schon mit 14 Jahren der Jungen Union an und trat zwei Jahre später der CDU bei. Um Politik ging es dem jungen Sportler, spannend fand er auch die Reisen und die gesellschaftlichen Veranstaltungen, die von der Parteijugend organisiert wurden.
    Weil Wirtz, ein kräftiger, freundlicher, hochgewachsener Mann, sich in seinem Heimatort vom Sportverein bis zur Pfarrgemeinde nahezu überall engagierte, blieb es nicht aus, dass ihm immer neue Ämter und Funktionen angetragen wurden, die er dann auch annahm: Parteivorsitz erst in Stolberg und seit 1999 im Kreisverband Aachen, Mitglied im Rat von Stolberg und im Kreistag Aachen und seit 1999 im Landtag in Düsseldorf.
    Die Verankerung in den politischen Gremien seiner Heimat ist für Wirtz von ganz besonderer Bedeutung. Er will die Bodenhaftung nicht verlieren, er weiß, was es für kleine Dörfer und große Städte bedeutet, wenn im Landtag kommunalpolitische Entscheidungen getroffen werden. Einen Wechsel in die Bundes- oder Europapolitik hat er nie in Betracht gezogen, was in Berlin oder Brüssel beraten und entschieden wird, ist ihm viel zu abstrakt. Er will weiter unmittelbar vor Ort tätig bleiben, wo er sich um die konkreten Probleme der Menschen in der Region kümmern kann. Weil er von Düsseldorf bis in seine Heimat gerade mal eine Stunde unterwegs ist, lässt ihm die parlamentarische Arbeit im Landtag noch genügend Zeit und Spielraum für sein Engagement in Gressenich, Stolberg und Aachen.
    Dazu gehört neben der Politik auch sein Einsatz für den Sport. Wirtz ist Vorsitzender der SG Stolberg, einem Fußballverein mit 350 Mitgliedern. Wenn es eben geht, ist er bei den Spielen der ersten Mannschaft dabei, die in der Kreisliga A antritt. Im Stolberger Rat sitzt er seit 15 Jahren dem Ausschuss vor, der sich unter anderem um den Sport kümmert, er ist Mitglied des sportpolitischen Beirats des Landessportbunds. Da blieb es nicht aus, dass er nach dem Eintritt in den Landtag 1999 in den Sportausschuss ging, dem er seit 2005 vorsitzt. Die Arbeit in dem Gremium, das eher selten im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen steht, schätzt er nicht zuletzt wegen der kollegialen Atmosphäre. Die meisten Mitglieder waren oder sind selbst sportlich aktiv, sie gehen auch sportlich fair miteinander um. "Der Sportausschuss ist die sechste Fraktion im Landtag, das ist keine Palaverbude", sagt Wirtz, ohne damit anderen Ausschüssen zu nahe treten zu wollen. Zu tun gibt es im Ausschuss genug. Er achtet darauf, dass die 170 Millionen Euro, die das Land im Landessportplan ausgibt, möglichst gerecht verteilt werden. Dabei gilt es, die Balance zu wahren zwischen Spitzensport und Breitensport. "Der Profisport, das sind die Leuchttürme", sagt Wirtz. Er setzt sich aber auch dafür ein, dass die Interessen der kleinen Vereine, wie er selbst einen leitet, nicht zu kurz kommen. Da geht es um die weniger spektakulären Dinge wie die Förderung des Schulsports, die Verbindung zwischen Schulsport und Sport in den Vereinen, den Kontakt zum Landessportbund und den Fachverbänden und nicht zuletzt um eine gute Ausbildung der Übungsleiter. Für Wirtz ist dabei entscheidend, dass er die Probleme nicht nur aus Akten und der Tätigkeit am Schreibtisch kennt, sondern aus eigener Erfahrung in den vielen Funktionen, die er übernommen hat.
    Angesichts der Fülle der Aufgaben, die jeden Tag auf ihn warten, müssen eigene sportliche Aktivitäten meist zurückstehen, was er nicht nur beim Blick auf die Waage gelegentlich bedauert. Mehr als gelegentliches Joggen ist aber schon aus zeitlichen Gründen nicht drin. Dafür setzt er alles daran, zwei oder drei Mal im Winter eine Woche Ski-Urlaub einzulegen, am liebsten mit der ganzen Familie. Das ist auch sein größter Wunsch: mehr Zeit zu haben, um auch einmal länger seinem Hobby nachzugehen.
    Peter Jansen

    ID: LI120321

  • Porträt: Daniela Schneckenburger (Grüne).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 2 - 08.02.2012

    Sie war Ratsfrau in Dortmund, dort auch Fraktionschefin, und von 2006 bis 2010 Landesvorsitzende der Grünen in Nordrhein-Westfalen - doch in die Politik gebracht hat Daniela Schneckenburger nicht die Ökologie, sondern die Frauenbewegung. Schon während ihres Studiums Ende der 70er-Jahre in Heidelberg habe sie nicht nur für bessere Studienbedingungen, sondern auch für Gleichberechtigung gekämpft, erzählt die 51-Jährige: "Nicht nur die Seminare waren überfüllt - auch weibliche Dozentinnen fehlten völlig."
    Nach dem Abschluss sei für sie nur ein Engagement bei den gerade frisch gegründeten Grünen in Frage gekommen, sagt Schneckenburger: "Schließlich war ich auch in der Anti- Atom-Bewegung und in der Friedensbewegung aktiv." Ins Ruhrgebiet gezogen ist die Mutter eines Jungen und eines Mädchens dann "der Liebe wegen". An einer Gesamtschule in Herne unterrichtete sie 14 Jahre die Fächer Deutsch und Religion - und profilierte sich in Dortmund als Sozialpolitikerin: "Es ist die Gerechtigkeitsfrage, die einen in die Politik bringt", sagt sie.
    Noch heute wehrt sich Schneckenburger deshalb gegen eine Reduzierung ihrer Partei auf die Kernkompetenz Umwelt. "Die ökologische Frage ist zentral, doch die Sozialpolitik ist genauso stark vertreten." Schon bei ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden hatte die Dortmunderin, die zum linken Parteiflügel gezählt wird, damit geworben, "Verteilungsgerechtigkeit und Klimaschutz" gemeinsam auf die Agenda bringen zu wollen und die Grünen als "Motor der sozial-ökologischen Debatte" zu positionieren.
    Seit ihrer Wahl zur Landtagsabgeordneten arbeitet die Grüne deshalb als wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, betreut zusätzlich das Politikfeld Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung. Sie interessiere, wie sozialer Ausgleich, wie neue Arbeitsplätze geschaffen werden können, sagt Schneckenburger - deshalb habe sie das Politikfeld Wirtschaftspolitik in der auf 23 Abgeordnete angewachsenen Landtagsfraktion gern übernommen.
    "Ich bin keine Lobbypolitikerin für Arbeitgeberinteressen", betont sie aber auch. Die wachsende soziale Kluft, die immer stärker werdende Polarisierung in arm und reich sei eine "gesellschaftliche Bedrohung". Zwar sei die im grünen Programm verankerte starke Betonung möglichst guter Bildungsabschlüsse für möglichst viele richtig - doch die Parteilinke betrachtet auch die auf dem Nürnberger Parteitag beschlossene Grundsicherung, mit der das Arbeitslosengeld II für Langzeitarbeitslose auf 420 Euro monatlich angehoben werden soll, als ebenso wichtigen Erfolg.
    Zukunftsfähig seien nur Unternehmen, die "ressourceneffizient" arbeiteten, die angesichts des absehbaren Endes des Ölzeitalters auf erneuerbare statt auf fossile Energieträger setzten, sagt die Dortmunderin nicht nur mit Blick auf die Autoproduktion von Opel im benachbarten Bochum. Vor Augen geführt habe ihr das nicht zuletzt eine Reise mit dem Wirtschaftsausschuss des Landtages nach Indien: "China und Indien mit ihrer Milliarden zählenden Bevölkerung können nicht einfach unseren Lebensstil mit seiner immensen Verbrennung fossiler Energie übernehmen - das wäre nicht nur das ökologische, sondern auch das ökonomische Ende."
    Gerade in Fragen der Effizienzsteigerung suche sie den Dialog zu den Gewerkschaften, wirbt Schneckenburger um neue Bündnispartner: "Einsparungen müssen nicht immer zu Lasten der Arbeitnehmer gehen." Ebenso wichtig ist ihr der Städtebau. Über 460.000 Wohnungen in Nordrhein-Westfalen seien in der Hand von Finanzinvestoren, empört sich die einstige Sozialpolitikerin. Nicht umsonst habe der einstige SPD-Chef Franz Müntefering diese als Heuschrecken" bezeichnet: "Wo seriöse Wohnungsbauunternehmen mit 3 bis 5 Prozent Rendite rechnen, erwarten die 10 bis 15."
    "Die Folge seien zu geringe Investitionen in die Substanz. Viele Bestände, die von den Fondsmanagern vor dem Kauf nur mit Hubschraubern überflogen worden seien, zerfielen. "Verslumungstendenzen" drohten. Sollten die Fonds wegen der Finanzkrise selbst in Finanznöte geraten, wirbt Schneckenburger für einen Kauf etwa durch kommunale Wohnungsunternehmen oder durch Wohnungsgenossenschaften. Keinesfalls aber dürften Töchter der öffentlichen Hand die Gewinne der Heuschrecken finanzieren, betont sie. "Wenn zurückgekauft wird, dann nur zum Verkehrswert." Andreas Wyputta

    ID: LI120218

  • Porträt: Dr. Fritz Behrens (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 25.01.2012

    Fritz Behrens erinnert sich noch genau an den Tag, als ihn die Polizei suchte. Es war Anfang Juli 1995, und er, der designierte NRW-Justizminister, war mit seiner Familie zum Campingurlaub aufgebrochen, obwohl die Regierungsbildung nach der Landtagswahl noch nicht abgeschlossen war. Johannes Rau tat sich schwer mit dem Personaltableau für sein neues Kabinett, weil er auch die Grünen berücksichtigen musste.
    Familie Behrens aber wollte weg. Auf der A 61 hörte sie, wie der Verkehrsfunk im Radio das Kennzeichen ihres Autos durchgab und bat, sich bei der Polizei zu melden. Dann schwebte ein Hubschrauber über seinem Wagen mit dröhnendem Megaphon. Behrens fuhr raus und wurde an die Staatskanzlei verwiesen. Dort erfuhr er, dass Rau sich entschieden hatte. "Wir haben dann Familienrat gehalten, mit Frikadellen auf der Raststätte", erzählt Behrens. Er versprach seiner Frau und seinen beiden Kindern, dass sie eine Woche später in Urlaub fahren würden. Rau war freilich dafür bekannt, sich gern Zeit zu lassen. Aber am 17. Juli bekam der angehende Minister seine Ernennungskurkunde und eilte in den Urlaub.
    Fritz Behrens kann viele solcher Anekdoten erzählen, aus denen sich einiges lernen lässt: über die Beharrlichkeit und Ungeduld von Behrens, über die Entscheidungsfreude von Rau und welche großen Hebel mitunter die Politik in Gang setzt, um etwas zu erreichen. Der 63-jährige Neusser ist früh mit diesen Hebeln in Berührung gekommen. Zunächst schien er als Student der Rechts- und Staatswissenschaften wegen exzellenter Noten prädestiniert zu sein für eine Karriere als Richter. 1976 promovierte er zum Zukunftsthema "Rechtsgrundlagen der Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaften". Auf den ersten Blick sah man ihm seinen Werdegang nicht an, weil er einen verwegenen dichten Bart trug. "Ich sah aus, als ob ich bei den ,Saints’ Beatmusik machen würde", erzählt Behrens. So hieß damals seine Band, in der er den Bass zupfte.
    Neben der Juristerei lockte ihn die Politik immer stärker. Bereits mit 23 Jahren trat Behrens in die SPD ein. Der gebürtige Göttinger lernte in seinem Referendariat die Staatskanzlei der niedersächsischen Landesregierung unter Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) kennen. Dann stieß er auf eine Stellenanzeige der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, deren politische Ausrichtung ihm entsprach. Gleich nach seinem zweiten Staatsexamen wechselte Behrens in die Abteilung für Ressortkoordination und politische Planung nach Düsseldorf.
    Zum damaligen Chef der Staatskanzlei Herbert Schnoor entwickelt er ein besonderes Vertrauensverhältnis. Behrens wurde dessen persönlicher Referent und wechselte mit ihm ins Innenministerium. Rau berief Behrens dann 1983 zu seinem Büroleiter. 1986 wurde er zum Düsseldorfer Regierungspräsidenten und 1995 zum Justizminister ernannt. Als Clement drei Jahre später die Nachfolge von Rau antrat, übernahm Behrens eine unter Verfassungsrechtlern umstrittene Ressortkombination: Er wurde Minister für Inneres und Justiz, freilich nur für wenige Monate, weil der Verfassungsgerichtshof NRW nach einer CDU-Klage monierte, dass der Landtag bei dieser wichtigen Entscheidung hätte miteinbezogen werden müssen. Behrens übernahm das Innenressort, ein Krisenjob, wie sich bald herausstellte. Das Jahr 2000 ist ihm in besonderer Erinnerung: ermordete Polizisten, Bombenexplosion an der S-Bahn-Station Düsseldorf-Wehrhahn, Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge, Castortransporte, die Debatte um das NPD-Parteiverbot. Behrens absolvierte Sondersitzungen mit den Amtskollegen und musste Oppositionskritik abwehren. "Das Ministerium kümmert sich intensivst um die Sicherheitslage in diesem Lande", betonte er damals im Landtag. Auch künftig werde man "bei Schutzmaßnahmen aller Art, auch den schärfsten, Anschläge nicht ausschließen können". Kaum ein Jahr später geschahen die Terroranschläge des 11. September.
    Zugleich verschlechterte sich die Lage für die SPD. Behrens ahnte früh, dass die Landtagswahl 2005 schlecht für seine Partei ausgehen wird. Nach der Niederlage kam er über die Landesliste in den Landtag. Er konzentriert sich nun auf den Vorsitz des Kulturausschusses und die Aufgabe als Präsident der Kunststiftung NRW. Eine wichtige Entscheidung hat Behrens für die nächste Legislaturperiode getroffen: Er wird nicht noch einmal für den Landtag kandidieren. Er will die anwaltliche Beratung noch ausbauen und kann sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen: "Mein Terminkalender ist voll wie zu Ministerzeiten" - sein Smartphone unterstreicht dies während des Gesprächs immer wieder mit leisem Zirpen.
    Kristian Frigelj

    ID: LI120120

  • Porträt: Christina Schulze Föcking (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 13 - 21.12.2011

    Ihr berufliches Ziel war es nie, Politikerin zu werden. "Wenn Sie mich vor zwei oder drei Jahren gefragt hätten, ob wir uns mal im Landtag treffen, hätte ich mit Sicherheit Nein gesagt", sagt Christina Schulze Föcking und lacht. In der Tat hatte die 35-jährige Landwirtin aus Steinfurt auch ohne Plenar-, Ausschuss-, Fraktions- und Arbeitskreissitzungen, ohne Aktenstudium und Bürgersprechstunden in dem weitläufigen Wahlkreis im nördlichen Münsterland genug zu tun. Gemeinsam mit ihrem Mann bewirtschaftet sie den Hof, der seit dem 14. Jahrhundert der Familie gehört, und ist zudem Mutter von Luc und Ben, den sieben und fünf Jahre alten Jungen. Doch weil sie sich zu Hause in Steinfurt in verschiedenen Bereichen ehrenamtlich engagiert hatte, weil sie, der Familientradition entsprechend, schon immer zu den Schwarzen gehörte und weil das Auge von Karl-Josef Laumann, einflussreicher CDU-Mann aus dem benachbarten Riesenbeck, heute Fraktionschef im Landtag und damals Parteichef im Kreis Steinfurt, mit Wohlgefallen auf der engagierten und beliebten jungen Frau und Mutter ruhte, wurde sie schließlich gefragt, ob sie nicht die Nachfolge von Hannelore Brüning antreten wollte, der langjährigen Wahlkreisabgeordneten, die 2010 nicht wieder antrat. Mit fast 50 Prozent der Stimmen holte sie am 9. Mai eines der besten Ergebnisse für ihre Partei.

    Mit der Heimat verbunden

    Im Landtag kümmert sich Christina Schulze Föcking natürlich in erster Linie um die Sorgen und Probleme der Bauern. Im Plenum hat sie sich bislang ausschließlich zu agrarpolitischen Fragen geäußert. Doch sie versteht sich nicht ausschließlich als Lobbyistin der Agrarwirtschaft, die einseitig die Interessen der Landwirte vertritt. "Ich möchte eine Art Sprachrohr sein für die Menschen aus meiner Heimat", sagt sie, hält deshalb viele Bürgersprechstunden in den Gemeinden ihres Wahlkreises ab und ist, wenn sie nicht in Düsseldorf sein muss, ständig zwischen Steinfurt, Greven, Horstmar, Neuenkirchen und Wettringen unterwegs.
    Dort erfährt sie, was die Menschen bewegt, sie wollen wissen, ob die Schule im Dorf bleibt, und sie sorgen sich, ob das Land die Schuldenkrise tatsächlich in den Griff kriegt.
    Und weil sie die Sorgen der Menschen ernst nimmt, hat sie sich auch darüber geärgert, als jüngst bekannt wurde, dass Hähnchenmäster offenbar massenhaft Antibiotika einsetzen. "Antibiotikaeinsatz hat als Standard in der Tierhaltung nichts zu suchen", befindet sie klipp und klar. "Verbraucherschutz hat oberste Priorität." Dabei weiß Schulze Föcking, wovon sie redet. Zum Familienbetrieb gehört neben Ackerbau auch die Schweinehaltung.
    Sie kann sich auch gut vorstellen, sich im Landtag auf anderen Feldern als der Agrarpolitik zu engagieren. Sie interessiert sich für Schulpolitik und ist stellvertretendes Mitglied im Schulausschuss, außerdem vertritt sie ihre Fraktion im Petitionsausschuss. Diese Arbeit ist ihr gerade als junge Abgeordnete, die zum ersten Mal dem Landtag angehört, besonders wichtig, weil hier Probleme aus allen Lebensbereichen angesprochen werden und sie unmittelbar mit den Sorgen und Nöten der Menschen konfrontiert wird.
    Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat Christina Schulze Föcking zu ihrer vollen Zufriedenheit gelöst. Ihre Eltern leben auf dem Hof, und wenn die beiden Jungen aus Schule und Kindergarten nach Hause kommen, kümmern sich die Großeltern um ihre Enkel. Für Hobbys bleibt der jungen Politikerin nicht viel Zeit. An Wochenenden begleitet sie Luc und Ben zu den Spielen ihrer Fußballmannschaften und feuert die beiden an. Und wenn es eben geht, zieht sie sich die Laufschuhe an und joggt in den Wäldern ihrer Heimat, um den Kopf wieder ganz frei zu kriegen. "Ich bin gerne in der Natur", sagt die junge Bäuerin, "da spüre ich die Verantwortung, die wir dafür tragen." Und einmal im Jahr verbringt die Familie Schulze Föcking ihren Urlaub auf der Nordseeinsel Norderney: "Das muss sein."
    Peter Jansen

    ID: LI111320

  • Porträt: Özlem Alev Demirel (Linke).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 12 - 07.12.2011

    Für andere engagiert hat sich Özlem Alev Demirel früh: "Schon in der dritten Klasse war ich Klassensprecherin", erzählt die 27-Jährige und lacht. Heute ist sie die jüngste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundesrepublik: Seit Juni managt Demirel das Tagesgeschäft der Fraktion der Linken im Landtag - und ist so mit unter 30 bereits beratendes Mitglied im Ältestenrat.
    Ihr Vorgänger Ralf Michalowsky habe für einen "Generationswechsel" plädiert: So begründet Demirel ihren Aufstieg in den Fraktionsvorstand nur ein Jahr nach Einzug der Linken in das Düsseldorfer Parlament. Doch in Zeiten, in denen SPD und Grüne beim "Schulfrieden" mit der CDU und beim "Stärkungspakt" für klamme Kommunen mit der FDP regiert, die Linke aber gegen die späte Verabschiedung des Landeshaushalts klagt, steht die Kölnerin auch persönlich für das Ende der faktischen Tolerierung der Minderheitsregierung von SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft durch die Linkspartei: Demirel sympathisiert mit der Parteiströmung der "Antikapitalistischen Linken" (AKL). Bei den Grünen wäre sie früher "Fundi" genannt worden.
    "Antikapitalismus ist als Position innerhalb der Linken wichtig", sagt Demirel, die sich selbst als Marxistin begreift. Eine Mitarbeit bei SPD oder Grünen sei für sie deshalb nie in Frage gekommen: Die SPD betrachte sie spätestens seit der Hartz-Gesetzgebung als "Ex-Arbeiterpartei". Und die Grünen? "Die waren ‚mal eine Friedenspartei", schnaubt Demirel, die an der Universität Bonn Politik, Komparatistik und Verfassungs-, Wirtschaftsund Sozialgeschichte studiert hat und gerade an ihrer Magisterarbeit schreibt, mit Blick nicht nur auf den Jugoslawien-Einsatz der Bundeswehr.
    "Ich habe sehr jung erfahren, dass man sich wehren muss", sagt Demirel: Schon vor ihrer Geburt im türkischen Malatya 1984 sei ihr Vater als Kommunist politischer Verfolgung durch die putschenden Militärs ausgesetzt gewesen. 1989 zog die Familie nach Deutschland - zunächst nach Bielefeld, wo bereits der Großvater in einer Lederfabrik arbeitete. Neun Jahre später zog sie mit ihrem Vater und den beiden älteren Brüdern nach Köln. Ihr Abitur machte sie dort 2004 - die drei Generationen der Familie Demirels, deren Großvater Analphabet war, stehen für eine Bildungskarriere par excellence.
    Der diskriminierungsfreie Zugang zu möglichst hohen Bildungsabschlüssen sei eine Frage der Gerechtigkeit, findet die Linke - und doch noch immer eine Illusion: "Noch heute landen die Kinder von Arbeitern und Migranten auf der Hauptschule, aus Akademikerfamilien dagegen standardmäßig auf dem Gymnasium", klagt sie. Überhaupt, Gerechtigkeit: "Die Ungerechtigkeit zu bekämpfen, faire Lebensbedingungen für alle Menschen zu schaffen, ist meine Motivation", schreibt Demirel schon auf ihrer eigenen Homepage im Internet. Immer wieder begründet die kommunalpolitische Sprecherin der Linksfraktion ihr politisches Engagement mit diesem Motiv - und definiert Gerechtigkeit mit Marx: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen." Wegen der "ökonomischen Voraussetzungen", also der Verteilung von Eigentum und Vermögen, seien die Menschen eben nicht gleich. "Die Freiheit, die uns propagiert wird, ist keine", glaubt sie.
    Schon fünf Jahre vor dem Abitur saß Demirel deshalb im Landesvorstand der LandesschülerInnenvertretung. In Köln organisierte sie Demonstrationen gegen Rechtsextreme ebenso mit wie den Bildungsstreik gegen Studiengebühren oder Blockaden des sogenannten "Anti-Islamisierungskongresses" der Rechtspopulisten von "Pro Köln". Über eine offene Liste wurde sie 2004 Mitglied der Linksfraktion im Rat der Domstadt - Parteimitglied war sie da noch nicht: Während des Vereinigungsprozesses von WASG und PDS sei sie in beide Parteien eingetreten, erzählt sie: "Ich wollte so deutlich machen, dass hier etwas wirklich Neues entsteht."
    Umso genervter reagiert Demirel, die sich selbst als "Deutsche mit kurdischen Wurzeln aus der Türkei" beschreibt, auf Fragen nach der DDR-Vergangenheit der Linken: "Absurd" sei eine solche Argumentation, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin, die nach dem Mauerfall eingeschult wurde - schließlich stammten alle Abgeordnete ihrer Fraktion aus Nordrhein-Westfalen: "Was zum Teufel haben wir noch mit der DDR zu tun?"
    Andreas Wyputte

    ID: LI111221

  • Porträt: Ralf Witzel (FDP).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 11 - 16.11.2011

    Parteifreunde wundern sich längst nicht mehr, wenn nachts um zwei Uhr eine E-Mail einläuft. Der Absender ist bekannt: Ralf Witzel, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Landtagsfraktion, macht die Nacht gern zum Tag, wenn es eilt. "Ich bin vor Arbeit nicht fies", fällt der gebürtige Essener in die Sprache des Ruhrpotts. Witzel versteht sich - ganz "Ruhri" - als fleißiger Malocher, der sich voll reinhängt, um Polit-Projekte voranzutreiben.
    Der 39-jährige Liberale ist seiner Heimatstadt als Kind des Reviers stets treu geblieben. Aufgewachsen in einem Essener Hochhaus, Schule, Studium der Betriebswirtschaft mit Abschluss Diplom-Kaufmann, ab 2000 einziger FDP-Landtagsabgeordneter im Ruhrgebiet. Seit 2005 organisiert Witzel die Arbeit der FDP-Fraktion und gilt gemeinhin mit seinem Vorsitzenden Gerhard Papke als schärfster Kritiker einer staatlichen Bevormundungspolitik. "Es treibt mich um, dass die Freiheit durch Vorschriften und Verbote der Tabuwächter zentimeterweise stirbt", setzt Witzel das Modell des mündigen Bürgers dagegen. Argumente statt Verbote.
    Der FDP-Politiker spricht gern Klartext. Damit hat er sich beim politischen Gegner über die Jahre hinweg wenig Freunde gemacht. "Ich bin nicht gerade als linkes Schreckgespenst bekannt", schmunzelt Witzel. Er wirbt für eine Politik, die auf Leistung und bildungspolitische Chancengerechtigkeit setzt. Beim jüngsten Schulkonsens hat sich die FDP verweigert. Witzel fürchtet, dass mit der neuen Sekundarschule der Leistungsgedanke auf Dauer weiter Schaden nehmen wird. Bessere Bildung und Betreuung standen für den überzeugten Bildungspolitiker schon in der schwarz-gelben Koalition in NRW ganz oben auf der Agenda.
    Auch wenn den Liberalen derzeit bundesweit der Wind heftig ins Gesicht weht, pocht Witzel auf den Markenkern der FDP. "Wer morgens aufsteht, muss es besser haben." Soziale Gerechtigkeit als Leistungsgerechtigkeit - diese Botschaft wird sich aus Sicht des Liberalen auf Dauer wieder durchsetzen. "Es ist ein Klischee, dass die FDP die Partei der Superreichen ist." Dass es in der Vergangenheit "kommunikative Fehler" gegeben hat und die Landespartei unter dem schlechten Bild der Berliner leidet, räumt Witzel unumwunden ein.
    In NRW haben die Liberalen nach dem Regierungswechsel und einer gewissen Anlaufzeit ihre Rolle in der Opposition angenommen. "Jede Rolle hat ihren Reiz", betont Witzel. Das Land brauche eine funktionsfähige Opposition, um den "Schönsprech" der rot-grünen Minderheitskoalition Krafts zu hinterfragen. Zuletzt hat die FDP allerdings überrascht, als sie Rot-Grün eine mögliche Zustimmung zum kommunalen Rettungspakt in Aussicht stellte. Witzel sieht darin keinen Strategiewechsel oder gar die Öffnung für eine spätere rot-gelb-grüne Ampelkoalition. Wenn sich aber die Chance biete, dass die FDP eigene politische Ziele durchsetzen könne, müsse die Partei diese auch nutzen. "Wir sind keine Ampelmänner. Es wäre aber ein strategischer Fehler, wenn wir uns einseitig auf alle Zeiten limitieren würden."
    Witzel lobt das weiterhin ungetrübte Verhältnis zu den Kollegen der CDU. Der FDP-Geschäftsführer freut sich aber über das erkennbare Bemühen der SPD um persönlich-menschliche Kontakte. Die Distanz zu den Grünen sei allerdings relativ groß, schon weil die Lebensstile oft sehr unterschiedlich sind. Witzel setzt unbeirrt auf die Philosophie der FDP - Privat vor Staat. Da scheiden sich die Geister von Rot-Grün und Liberalen.
    Ob der Rund-um-die-Uhr-Politiker überhaupt noch Zeit für Persönliches findet? Der ledige Liberale hat sein Hobby zum Beruf gemacht. In der knapp bemessenen Freizeit besucht er Freunde, Familie oder geht ins Theater. Und wenn mal überraschend keine Termine am Wochenende anstehen, holt Witzel das Rad aus der Garage und strampelt eine Runde um den idyllischen Essener Baldeneysee.
    Einen persönlichen Grundsatz pflegt der Liberale: kein Doppelmandat. Um sich nicht zu verzetteln, sitzt Witzel parallel zum Landtag nicht auch noch im Essener Stadtrat. Ralf Witzel ist ein typischer homo politicus. Schon mit 14 Jahren zog es ihn zu den Jungen Liberalen - von 1994 bis 2003 war er deren Landesvorsitzender. Für seine Überzeugungen lasse er sich gern beschimpfen, demonstriert Witzel Willensstärke. In Plenum wie Landtagsausschüssen gehört der stets gut vorbereitete Ruhrpöttler laut Protokoll zu den emsigsten Fragestellern. "Die Politik im Parlament muss transparent sein", wirbt Witzel für einen offenen Streit über den richtigen Weg. "Politik wird langweilig, wenn alles weichgespült wird." Diese Gefahr besteht beim überzeugten Ordnungspolitiker sicher nicht.
    Wilfried Goebels

    ID: LI111122

  • Porträt: Sigrid Beer (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 19.10.2011

    Irgendwann, als das Gespräch mit Sigrid Beer schon längst vorüber ist, beginnt das Wort "quer" plötzlich zu schimmern, wie eine diskrete Hintergrundbeleuchtung in ihrer Biografie. Sigrid Beer hat es nur einmal benutzt, als sie sagte, sie sei eine "politische Quereinsteigerin" gewesen. Doch dieses "quer" steht noch für mehr. Sie ist als Andersdenkende in einer Heimstatt des zweifachen Konservativismus groß geworden, in Paderborn, Erzbistum der katholischen Kirche und Hochburg der Christdemokratie. Sie ist das glatte Gegenteil eines Paderborner Klischees und sie kokettiert gekonnt damit: "Ich bin typisch für Paderborn - Frau, grün, evangelisch", sagt sie lächelnd.
    Die 55-Jährige kennt sich aus in der Opposition und in der Minderheit. Deshalb entbehrt es nicht der Tragikomik, dass Sigrid Beer 2005 erstmals per Grünen-Landesliste in den Landtag kam, just als CDU und FDP ihren Wahlsieg errangen. Sie blieb in der Opposition. Fünf Jahre später reicht es nach der Landtagswahl gerade eben für eine rot-grüne Minderheitsregierung. Doch als allzu machtlos oder instabil empfindet sie das Bündnis nicht: "Wir haben bisher für alle wichtigen Projekte die notwendige Mehrheit bekommen." Obendrein scheint Beer als parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen- Fraktion mit diesem strapaziösen Zustand gut zurechtzukommen. "Ich fühle mich so langsam richtig ausgelastet", sagt sie und wirkt nicht einmal angestrengt dabei.
    Eine Kümmererin ist die Ostwestfälin, eine Quergängerin zwischen den Fraktionen, eine Vermittlerin, die keine Scheu zeigt vor den Linken, der FDP - und vor der CDU sowieso nicht. Sie kennt ihre Stärken: "Mediation" und "Moderation". Die gläubige Protestantin sagt, dass sie über einen ruhigen Schlaf und stabile Nerven verfüge, von Natur aus, "ohn’ all Verdienst und Würdigkeit, allein von Gnaden", sagt sie in Erinnerung an den Katechismus. Sie spricht über Verlässlichkeit wie eine Tugend. Darauf legt sie großen Wert, wenn man sie auf die verpatzte erste WestLB-Abstimmung Ende Juni anspricht. Da möchte sie für die damals dilettierende SPD nicht in Mithaftung genommen werden. Insgesamt lobt sie das "gute Binnenverhältnis" in der Koalition: "Die Chemie stimmt." Es klingt nicht einmal zweckdiplomatisch, sondern zufrieden.
    Die herausfordernde Aufgabe einer PG seit dem Regierungswechsel 2010 hat sich gut gefügt mit der familiären Situation. Ihre drei Kinder sind zwischen 25 und 32 Jahren alt, sonst wäre es nicht möglich gewesen, sagt sie. In der Woche übernachtet sie im Gästehaus des Landtags, donnerstags fährt sie gen Ostwestfalen, sonntags kehrt sie zurück. Eine Politikerin auf Montage, die ausgestattet ist mit vielen Mitgliedschaften und Ehrenämtern, sei es im Förderverein einer Gesamtschule, der Stadtbibliothek oder als nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen.
    Erst Mitte der 90er-Jahre wurde sie richtig politisch aktiv, als "Quereinsteigerin", wie sie selbst sagt. Sie stritt mit einer Bürgerinitiative für die Gründung einer Gesamtschule in Paderborn. Sie wurde sachkundige Bürgerin in einem Bezirksausschuss; 1999 trugen die Grünen ihr die Mitgliedschaft und ein Ratsmandat an. Zwei Ansinnen rechnet Beer den Grünen hoch an: "Bildungsgerechtigkeit" und "Bewahrung der Schöpfung".
    In der Fraktion hat sie sich auf Bildungsund Schulpolitik spezialisiert. Sie hat Erziehungswissenschaften studiert, dazu noch Psychologie, Soziologie und Theologie. Die Diplom-Pädagogin war selbstständig in der Schulberatung und Schulentwicklung tätig, auch an der Universität Paderborn. Diese Expertise nutzt sie in der Fraktion als Sprecherin im Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Sie mag sich nicht allein aufs Organisatorische einer PG beschränken.
    Wenn sie über die Arbeit im Landtag spricht, dann hebt sie einen Ausschuss besonders hervor: "Da sehen sie die Lebenswirklichkeit der Menschen." Sigrid Beer meint ein Gremium, das meist in der Öffentlichkeit unbeachtet bleibt. Im Petitionsausschuss muss sie sich um Bitten verzweifelter Menschen kümmern. Da geht es nicht abstrakt ums große Ganze, sondern um das Schicksal Einzelner. Einmal hat sie im Parlament betont, das Petitionsrecht sei ein "besonderes Grundrecht" aller Menschen in Nordrhein-Westfalen. Und die Ausschussarbeit sei hilfreich, "sich zu erden", sagt Sigrid Beer im Gespräch. Sie achte auf die Balance zwischen Himmel und Erde.
    Kristian Frigel

    ID: LI111021

  • Porträt: Marc Herter (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 9 - 28.09.2011

    Es waren außergewöhnliche Umstände, die dazu geführt haben, dass Marc Herter nach nur einem Jahr Mitgliedschaft im Landtag plötzlich in das Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion gewählt wurde, eine der wichtigsten Funktionen im Parlament. Nach dem Eklat um die geplatzte Pairingabsprache mit der CDU hatte seine Vorgängerin Britta Altenkamp ihren Rücktritt erklärt, und innerhalb weniger Tage schlug der SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Römer den 37-Jährigen aus Hamm vor, Vorsitzender der Ratsfraktion in seiner Heimatstadt, von 2000 bis 2004 Chef der Jusos in NRW und seit 2010 stellvertretender Landesvorsitzender und in der Fraktion zuständig für Kommunalpolitik.
    Die Empörung und die Aufregung, die Altenkamps Fauxpas im Sommer ausgelöst hatten, haben sich mittlerweile gelegt. Nachwirkungen in der SPD-Fraktion sind nicht zu spüren, sagt Herter, und er ist auch überzeugt, dass sich die Beziehungen zu den anderen Fraktionen wieder normalisiert haben. Zugute kommen ihm dabei seine herausragendsten Eigenschaften: seine stets gleich bleibende Freundlichkeit und Verbindlichkeit.
    Angst vor der neuen Aufgabe als oberster Fraktionsmanager hatte Herter nicht, aber Respekt, gerade weil er noch Neuling im Parlament ist. Dieser Respekt schützt ihn davor, die Arbeit hemdsärmelig anzugehen, ist er überzeugt. Neuling ist er auch nur im Landtag, nicht in der Politik. Langjähriges Engagement in der SPD-Nachwuchsorganisation und zehn Jahre an der Spitze der SPD-Ratsfraktion in Hamm waren eine harte Schule. Zudem hat Herter, wie ihm schon seine Mutter bescheinigte, "Nerven wie Drahtseile". Ihn bringt so schnell nichts aus der Ruhe und unter Zeitdruck "werde ich sogar ruhiger", hat er den Eindruck. Inhaltlich fühlt er sich ebenfalls gewappnet. "Ein Parlamentarischer Geschäftsführer muss nicht auf jedem Gebiet ein Fachmann sein", sagt Herter, "aber die zentrale Botschaft, den Kern des Problems, das sollte er schon draufhaben."
    Politisiert wurde Herter durch die Friedensdemonstrationen Anfang der 90er-Jahre. Aus Protest gegen den Golfkrieg marschierte er im kalten Winter mit vielen Gleichgesinnten durch die Innenstadt von Hamm. Er nahm sich vor, selber etwas zu tun, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, und weil er in der Friedensdemonstration die Fahne der örtlichen Jusos entdeckt hatte, schloss er sich dieser Gruppierung an. Bis er sich dann auf der ersten Ortsvereinssitzung sehen ließ, dauerte es noch einmal rund zwei Jahre, seitdem geht er aber regelmäßig zu seinen Parteisitzungen. Seine Eltern waren zwar politisch interessiert, tolerant und gesellschaftlich eher liberal, aber nicht parteipolitisch gebunden. Als wichtigste Maxime gaben sie ihm schon als Schüler mit auf den Weg, niemanden zu verachten, weil er wenig Geld hat und sich keine Markenklamotten leisten kann.
    Herter ist mit Leib und Seele Landespolitiker. "Landespolitik wird weithin unterschätzt", bedauert er, dabei nehme ihre Bedeutung eher zu. Als Beispiele nennt er die Bildungspolitik und die Politik für die Kommunen. "Hier fallen wichtige Entscheidungen, die unmittelbaren Einfluss auf das Leben vor Ort haben." Natürlich sei jedes Land auch auf den Bund angewiesen, aber jedes Land habe viele Schaltstellen, um Politik selbst zu gestalten und gerade ein großes Bundesland wie NRW könne überall mitreden und in vielen Fällen auch mitentscheiden.
    Als sein größtes politisches Ziel in der Landespolitik bezeichnet es Herter, die Kommunen finanziell so auszustatten, dass sie wieder selbstständig handeln und gestalten können, "da komme ich aus meiner kommunalpolitischen Haut nicht heraus". Dabei ist die Hilfe für die Kommunen in seinen Augen nicht nur eine materielle Frage, "da geht es darum, wie wir die Demokratie in den Kommunen stärken". Daneben steht für das Kind des Ruhrgebiets, das eine der letzten noch arbeitenden Zechen jeden Tag vor Augen hat, "die immerwährende Herausforderung Strukturwandel in NRW, das gilt seit mehr als 40 Jahren". Die Landespolitik müsse Motor dieses Wandels sein. Als Beispiele für Handlungsfelder nennt er die Industriepolitik und die berufliche Qualifikation junger Menschen.
    Für Hobbys bleibt seit der Übernahme des Geschäftsführerjobs noch weniger Zeit als früher. Wenn es eben geht, setzt sich Herter am Wochenende auf sein Rennrad und tankt beim Radeln wieder Kraft für die nächste Arbeitswoche.
    Peter Jansen

    ID: LI110922

  • Porträt: Armin Laschet (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 8 - 20.07.2011

    Armin Laschet ist ein Unikat. Als wahrscheinlich einziger Politiker in Deutschland hat der Aachener Christdemokrat in allen Parlamenten gearbeitet: 15 Jahre Stadtrat, vier im Bundestag, sechs im Europa-Parlament, fünf Jahre als NRW-Integrationsminister in Kabinett und Bundesrat und seit 2010 Landtagsabgeordneter in Düsseldorf. Als Jürgen Rüttgers dem damals 44-jährigen Europapolitiker 2005 das Amt des bundesweit ersten Integrationsministers andiente, erkannte der agile Laschet seine Chance. Es brauchte nicht lange, da war Senkrechtstarter Laschet ein gefragter Gast in den abendlichen TV-Talkshows.
    "Ich bin in die Politik gegangen, um etwas zu verändern", beschreibt Laschet sein Credo. In der eigenen Partei hat der Unionspolitiker mit seinen Thesen zur Integration der Zuwanderer zunächst dicke Bretter bohren müssen. Nach der Integration der Vertriebenen und der Wiedervereinigung steht für Laschet aber die Integration der Zuwanderer weit oben auf der Agenda. In der Europa-Ausgabe der türkischen Zeitung "Hürriyet" schreibt Laschet eine wöchentliche Kolumne, in der er den Alltag der Menschen beschreibt - bis hin zum rheinischen Karneval.
    Das letzte Jahr verlief für den höhenerprobten Armin Laschet nicht ohne Tiefen. Nach der Abwahl der Regierung Rüttgers bewarb sich der Rheinländer erfolglos um das Amt des Oppositionsführers. Am Ende hatte Karl-Josef Laumann knapp die Nase vorn. Auch Laschets Kandidatur für den CDU-Landesvorsitz gegen seinen Parteifreund Norbert Röttgen ging nach einer spannenden Bewerbertour hauchdünn gegen Laschet aus. Der Aachener wurde mit dem Amt des 1. stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden entschädigt.
    In der Politik hält er es im Prinzip mit dem Motto des SPD-Urgesteins Franz Müntefering: "Opposition ist Mist". Die Oppositionszeit biete allerdings die Möglichkeit, die eigene Programmatik deutlich zu machen und einen Gegenentwurf zur Regierung zu entwickeln. "Wir dürfen nicht so tun, als ob wir ein bisschen Mitregierung sind", warnt Laschet seine Partei vor einem Kuschelkurs gegenüber der rot-grünen Minderheitsregierung.
    Der karrierebewusste Polit-Stratege hat seinen eigenen Kopf. Von 1994 bis 1998 zählte der Jurist im Bundestag zum Kreis der "Jungen Wilden", die im Gegensatz zum damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl schon früh für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts eintraten. Laschet gilt als Verfechter einer schwarz-grünen Option der CDU und pflegt intensive Kontakte zu grünen Politikern. In Aachen hob Laschet als CDU-Kreisvorsitzender gemeinsam mit seinem Freund Reiner Priggen eine schwarz-grüne Koalition aus der Taufe.
    Laschet, 1961 in der Kaiserstadt geboren, ist überzeugter Aachener. Nach dem Abitur ging Laschet zum Jurastudium nach Bonn und München. Beim Bayerischen Rundfunk absolvierte der Rheinländer eine Ausbildung zum Journalisten und arbeitete als freier Journalist. 1991 wurde Laschet Chefredakteur der Aachener Kirchenzeitung und 1995 Verlagsleiter. Als Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken pflegt der Christdemokrat seine langjährigen Kontakte zur Kirche. Seit 1999 ist Laschet zudem Lehrbeauftragter an der RWTH Aachen im Bereich Europapolitik. In der CDU übt Laschet seit November 2010 das Amt des stellvertretenden Landesvorsitzenden aus, bereits seit 2008 sitzt er im CDU-Bundesvorstand.
    Block E 04, Reihe 27, Platz 5 - wer den vielbeschäftigten Armin Laschet am Samstag treffen will, findet ihn häufig bei Heimspielen der schwarz-gelben "Kartoffelkäfer" im Tivoli beim Fußball-Zweitligisten Alemannia Aachen. Gemeinsam mit seinen Söhnen verpasst Laschet möglichst keinen Auftritt der Kicker.
    Natürlich sitzt der prominente Politiker aus dem Drei-Länder-Eck im Direktorium zur Verleihung des Internationalen Karlspreises. Daneben ist der Intellektuelle Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaft und Künste in Salzburg. Dass Laschet das Querdenken schon in jungen Jahren nicht fremd war, macht eine seiner ersten beruflichen Stationen deutlich. Parallel zu den journalistischen Anfängen arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der reformfreudigen Präsidentin des Deutschen Bundestags, Rita Süssmuth (CDU). Seitdem wirbt der liberale Modernisierer und Vertreter der Großstadt-CDU für die Öffnung der Partei hin zu einem zeitgemäßen Konservatismus.
    Wilfried Goebels

    ID: LI110824

  • Porträts: Bärbel Beuermann und Wolfgang Zimmermann (Linke).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 29.06.2011

    Als Bärbel Beuermann sich 1999 entschloss, in Herne nicht nur für die PDS für den Stadtrat zu kandidieren, sondern auch gleich der Partei beizutreten, da wurde sie nicht nur von Kollegen, sondern auch von ihren Vorgesetzten gefragt, ob sie es sich genau überlegt habe, in welcher Partei sie da Mitglied geworden war. Doch die damals 44-jährige beamtete Lehrerin an einer Förderschule ließ sich nicht irritieren. Sie hatte die linke Partei bei Mahnwachen der Friedensbewegung gegen den Krieg auf dem Balkan kennen und schätzen gelernt.
    Beuermann kommt aus einem politisch bewussten Elternhaus. Ihre Mutter machte in Friedensgruppen der Kirche mit, ihr Vater war Gewerkschaftsmitglied. Sie erinnert sich noch, wie sie während eines Streiks mit ihrer Mutter zum Betrieb des Vaters fuhr, um ihm das Essen bringen. Die Maxime, nicht nur zu nörgeln, sondern selbst etwas zu unternehmen, hatte ihr ihre Großmutter mit auf den Weg gegeben. Wenn sich die kleine Bärbel beim sonntäglichen Mittagessen im Familienkreis über Ungerechtigkeiten in der Schule oder im Freundinnenkreis beklagte, sagte die Oma streng: "Maul nicht, mach was."
    In der Arbeit im Landtag sieht Beuermann die konsequente Fortsetzung ihres kommunalpolitischen Engagements in Herne, wo sie noch heute dem Rat angehört, und im Regionalrat der Bezirksregierung Arnsberg. Weil ihr schon in Arnsberg die Verkehrspolitik nicht passte, sitzt sie heute im entsprechenden Fachausschuss des Landtags. Weil sie schon im Regionalrat erfuhr, wie tief Regeln und Vorschriften aus Brüssel in unser Leben eingreifen, ist sie Mitglied im Ausschuss, der sich um Europafragen kümmert.
    Im Landtag sieht sie die Rolle der kleinsten Fraktion vor allem darin, "der Stachel im Fleisch der anderen Parteien" zu sein. Dabei denkt sie in erster Linie an SPD und Grüne. Sie achtet darauf, was versprochen worden ist und was gehalten wurde, "ich sehe mich als Mahnerin und dabei kommt mir mein Elefantengedächtnis zugute."
    In der wenigen Freizeit geht Beuermann gerne schwimmen oder fährt mit dem Motorrad durch die Gegend. Einen Traum möchte sie sich noch erfüllen: eine Reise nach Samoa. 2001 war es fast so weit, doch dann erkrankte sie an Krebs und musste alle Reisepläne zurückstellen.

    Wolfgang Zimmermann, einer der beiden Fraktionssprecher der Linken im Landtag, ist ein klassischer Vertreter der 68er- Generation der alten Bundesrepublik. Politisiert wurde er durch den Kampf gegen die sogenannten Notstandsgesetze. Als Schüler in Düsseldorf und später als Student engagierte er sich in Initiativen gegen den Vietnamkrieg und für Solidarität mit Chile ebenso wie in Gruppen, die mit der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc sympathisierten und gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann und Rudolf Bahro aus der DDR protestierten. 1974 trat er in die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ein. Wenige Jahre später nahm er seine Tätigkeit als Diplom-Sozialarbeiter an der Klinik Langenfeld des Landschaftsverbands Rheinland auf und wechselte in die damals noch existierende Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), die 2001 zu Verdi wurde.
    Nach vielen Diskussionen im Freundeskreis schloss sich Zimmermann Ende der 90er-Jahre der PDS an, die damals im Westen Deutschlands Fuß zu fassen begann. Im Jahr 2005 trat er der Wählerinitiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) bei, die aus Protest gegen die Sozialpolitik der damaligen rot-grünen Bundesregierung entstanden war, und wurde gleich NRW-Landesvorsitzender. Zwei Jahre später betrieb er den Zusammenschluss von PDS und WASG zur neuen Partei "Die Linke". Auch hier übernahm er den NRW-Landesvorsitz. Seit der Landtagswahl 2010 und dem erstmaligen Einzug der neuen Partei ins Landesparlament konzentriert sich Zimmermann auf den Fraktionsvorsitz.
    Dass die Neuen und Linken im Landtag anfangs überaus argwöhnisch beäugt wurden, ist Zimmermann nicht verborgen geblieben. Aber er hat den Eindruck, dass sich der Umgang mit der fünften Fraktion im Landtag zusehends normalisiert. "Im Plenarsaal wird noch manchmal ‚Ihr Kommunisten‘ gebrüllt, aber in der Arbeit der Ausschüsse werden wir und unsere Argumente ernst genommen", meint der Fraktionssprecher.
    In der wenigen Freizeit, die ihm verbleibt, liest Zimmermann, der nur wenige Schritte vom Landtag entfernt zu Hause ist, gerne Krimis und treibt Sport. Am Wochenende ist er, wenn keine Parteitermine entgegenstehen, bei den Spielen von Fortuna Düsseldorf anzutreffen.
    Peter Jansen

    ID: LI110723

  • Porträt: Dr. Gerhard Papke (FDP).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 19.05.2011

    Eigentlich müsste Gerhard Papke, der Vorsitzende der FDP-Fraktion im NRW-Landtag, einer der glühendsten Verfechter des deutschen Steinkohlebergbaus sein. Er ist, wie er selber sagt, "auf Kohle geboren", in Recklinghausen, und wuchs in der Kohlestadt Erkenschwick am Nordostrand des Ruhrreviers auf. Seine Eltern haben sich durch den Bergbau kennengelernt. Die Familie seines Vaters war wegen der Arbeitsmöglichkeiten in den Bergwerken an die Ruhr gezogen, seine Mutter war Buchhalterin auf der Zeche "Ewald Fortsetzung". Und Papke selbst hat als Schüler seinem Großvater, ebenfalls ein Bergmann, dabei geholfen, die Kohlen von der Straße in den Keller zu schaffen.
    Doch als Papke als junger Abgeordneter seine erste Rede im Landtag hielt und sich dabei vehement für das Ende der Subventionierung des Steinkohlebergbaus einsetzte, da guckten ihn die Abgeordneten von SPD, CDU und selbst den Grünen an, als käme er aus einem anderen Universum. "Das war ein regelrechter Kulturschock, ein absoluter Tabubruch", erinnert sich Papke an seine Jungfernrede. Schon damals stand für ihn fest, dass der Bergbau zwar zur Tradition des Ruhrgebiets gehört, aber nicht zur Zukunft.
    Papke kommt aus einem politisch interessierten Elternhaus, das aber an keine Partei gebunden war. Die SPD, damals in seiner Heimatstadt übermächtig, konnte ihn nicht locken. "Nicht einmal einen Ferienjob konnte man in der Stadt bekommen, wenn man nicht das richtige Parteibuch hatte", ärgert er sich noch heute über den "Genossenfilz". Während seines Studiums an der Ruhr-Universität in Bochum kam er in Kontakt mit der FDP. Die politische Philosophie, die auf Freiheit und Verantwortung setzt, faszinierte ihn. 1983 trat er der Partei bei und mit einem Stipendium der parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung konnte er in Bochum promovieren.
    Seinen ersten Job fand Papke an der Theodor- Heuss-Akademie in Gummersbach, eine Einrichtung der Naumann-Stiftung. Politisch engagierte er sich damals vor allem ehrenamtlich, unter anderem als sachkundiger Bürger im Kreistag des Rhein-Sieg-Kreises.
    Gemeinsam mit einem jungen Parteifreund aus dem Oberbergischen, der an der Heuss- Akademie seinen Zivildienst ableistete, beschloss Papke 1999, für den Landtag zu kandidieren. Der Parteifreund war Christian Lindner, heute Generalsekretär der FDP in Berlin, und gemeinsam schafften sie, was als nahezu aussichtslos gegolten hatte. Bei der Wahl 2000 errangen beide ein Landtagsmandat, Papke auf Platz 14, Lindner auf dem schier unmöglichen Platz 19. Dank eines furiosen Wahlkampfs holte die FDP damals immerhin 23 Mandate.
    Für Landespolitik hat sich Papke entschieden, weil er das Land NRW liebt und sich hier wohlfühlt und weil er überzeugt ist, dass Nordrhein-Westfalen aufgrund seiner Größe, seiner Einwohnerzahl und seines wirtschaftlichen Gewichts eine ganz besondere Rolle im Kreis der 16 Bundesländer spielt. Wiederholt habe NRW eine Vorreiterrolle für die Bundespolitik gespielt, etwa bei der Bildung der ersten sozial-liberalen Koalition 1966, der drei Jahre später eine SPD/FDP-Koalition im Bund folgte, beim ersten rot-grünen Bündnis 1995 und bei der Neuauflage einer schwarzgelben Koalition 2005, der jedes Mal wenig später entsprechende Bündnisse im Bundestag folgten. Mit einem Wechsel in die Bundespolitik hat Papke nie geliebäugelt. Er ist überzeugt, dass man auch aus einer Führungsrolle in der nordrhein-westfälischen Landespolitik Einfluss auf die Bundespolitik nehmen kann. Er schätzt es sehr, dass die Arbeit im Landtag noch überschaubar ist, dass man sich im Hohen Haus am Rhein kennt. "Der Betrieb in Berlin ist mir viel zu anonym."
    Im Plenum zeigt sich der sonst eher sanftmütige Papke als einer der geschliffensten und scharfzüngigsten Debattenredner. Dabei legt er Wert darauf, dass er nicht polemisiert und den politischen Gegner "nicht persönlich diffamiert oder herabsetzt". Aber das Parlament sei nun mal der Ort der politischen Debatte und da müssten die unterschiedlichen Standpunkte auch präzise herausgearbeitet werden. Neben der "Hochgeschwindigkeitspolitik", die Papke betreibt, ist es schwierig, sich persönliche Freiräume zu erhalten. Ein großer Teil der knappen Freizeit verschlingt sein Engagement für Borussia Dortmund, wo Papke im Wirtschaftsrat und, wenn es eben geht, bei Heimspielen auf der Tribüne sitzt.
    Peter Jansen

    ID: LI110617

  • Porträt: Reiner Priggen (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 13.04.2011

    Ausgerechnet gelbe Fenster: Gelbe Fensterrahmen haben Reiner Priggen zu den Grünen gebracht. "In Ostwestfalen reichte das 1984 schon, um als alternativ zu gelten", lacht Priggen, der heute Vorsitzender der 23-köpfigen grünen Landtagsfraktion ist. "Irgendwann stand ein Elektriker aus dem Nachbardorf vor der Tür und erzählte, er wolle einen Ortsverband der Grünen gründen", sagt der 58-Jährige - "und hat gefragt, ob ich mitmachen will."
    Nach Kalletal in Ostwestfalen hatte den im emsländischen Sögel geborenen Priggen ein Job gebracht. Nach Abitur und Zivildienst in Münster und einem Maschinenbau-Studium in Aachen arbeitete er dort bis 1991 bei einem auf Kältetechnik spezialisierten Mittelständler. Ganz Nordrhein- Westfalen habe er so kennengelernt, schwärmt der Diplom-Ingenieur: "Ob in Stahlwerken, Kokereien, Walzwerken - die Hitzeabstrahlung ist enorm. Um die Arbeitsbedingungen erträglich zu machen, wird Kälte überall gebraucht."
    Auch seine ersten politischen Erfahrungen machte Priggen in Ostwestfalen. Schon ein Jahr nach seinem Parteieintritt saß er ab 1985 für die Grünen in der Verbandsversammlung des Landesverbandes Lippe, der nach dem Zweiten Weltkrieg zur Verwaltung des ehemaligen Vermögens der lippischen Fürsten gegründet worden war. Anschließend war er von 1989 bis 1991 Vorsitzender der grünen Kreistagsfraktion. "Das ist das Risiko bei den Grünen", ironisiert der Fraktionschef seinen schnellen parteiinternen Aufstieg: "Schon in den 80er-Jahren hatten die einen unheimlichen Bedarf an Leuten."
    Priggen aber wechselte trotzdem zurück nach Aachen: Bei einem Besuch in der Wohngemeinschaft seiner Studentenzeit hatte er seine spätere Frau Gisela Nacken kennengelernt. "Meine Frau ist eingefleischte Rheinländerin - und hat mir erklärt, dass sie in Ostwestfalen nicht leben kann", sagt der Vater einer 19-jährigen Tochter und eines 16-jährigen Sohns. "Also bin ich umgezogen."
    Extrem anstrengend sei die Zeit nach der Geburt der beiden Kinder gewesen, erinnert sich Priggen noch heute - auch Gisela Nacken war bei den Grünen aktiv. Die heutige Umweltdezernentin der Stadt Aachen war von 1990 bis 1999 Landtagsabgeordnete der Grünen, amtierte ab 1995 nach Bildung der ersten rot-grünen Koalition des Sozialdemokraten Johannes Rau zusammen mit Roland Appel als Fraktionssprecherin. Und ihr Mann wurde für viele Jahre Parteichef - von 1994 bis 2000 war Priggen Sprecher des grünen Landesverbands. "Die haben wieder jemanden gebraucht", gibt er sich bescheiden.
    Trotzdem klingt noch jetzt ein wenig Schrecken mit, wenn er von den damaligen "Quäl-Koalitionen" mit der SPD spricht: Schließlich stritten Sozialdemokraten und Grüne leidenschaftlich nicht nur über Verkehrsprojekte wie den Flughafenausbau etwa in Dortmund und Münster, den Weiterbau von Autobahnen wie der A1 in der Eifel und später über das gescheiterte Lieblingsprojekt des Rau-Nachfolgers Wolfgang Clement - die Magnetschwebebahn "Metrorapid".
    Umstritten war auch die Wirtschafts- und Energiepolitik. Braunkohlentagebaue wie Garzweiler im Rheinland und die Steinkohlesubventionen sorgten ebenso für Koalitionskrisen wie die grüne Forderung nach mehr Müll-Recycling - und Priggen, der erstmals 2000 für die Grünen in den Landtag einzog und deren Energieexperte wurde, war fast immer dabei.
    Sein Spezialgebiet Energie begreift der Grüne noch immer als politische Schlüsselfrage. "Nicht erst seit der Atom-Katastrophe von Fukushima" sei die vom ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler geforderte "industriellökologische Revolution" unvermeidlich, mahnt Priggen, der von 2006 bis 2008 Vorsitzender der ersten Enquetekommission eines Landtags war, die sich mit den Folgen stark steigender Öl- und Gaspreise für Wirtschaft und Verbraucher auseinandersetzte.
    Als Fraktionschef in der rot-grünen Minderheitskoalition von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aber vermeidet Priggen heute jede Provokation der Sozialdemokraten - und das, obwohl sein Pendant, der SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Römer, als ausdrücklicher Kohle-Unterstützer gilt. "Der Ausstieg aus der Steinkohle ist beschlossene Sache", sagt Priggen dazu nur.
    Der Diplom-Ingenieur, der vor den Wahlen 2010 auch eine schwarz-grüne Koalition mit der CDU für denkbar hielt, versteht sich als Pragmatiker. Zwar hätte er als "Fossil der Fraktion" jederzeit ein Ministeramt beanspruchen können - doch Priggen entschied sich für den Fraktionsvorsitz. "Orientierung und Unterstützung" will er vor allem den 13 jüngeren Grünen anbieten, die zum ersten Mal ein Landtagsmandat angetreten haben. "Minister will ich nicht mehr werden", sagt er und lacht schon wieder.
    Andreas Wyputta

    ID: LI110523

  • Porträt: Norbert Römer (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 4 - 30.03.2011

    Eigentlich steht Norbert Römer ständig im Schatten der Landesregierung. Sobald sich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu Wort meldet, wird sie als maßgebliche Stimme der Sozialdemokraten wahrgenommen und der SPD-Fraktionschef verblasst. Er teilt dieses Schicksal mit früheren Vorsitzenden der größten Regierungsfraktion. Es gibt nur selten Chancen, sich zu profilieren. Vor wenigen Wochen wurde diese politische Regelmäßigkeit jedoch durchbrochen. Römer bestimmte die Schlagzeilen, als er drohte, die SPD werde "die Wähler befragen", also Neuwahlen beantragen, falls die Opposition auch gegen den Haushalt 2011 vor dem Landesverfassungsgericht klagt. Frau Kraft unterstützte den überraschenden Vorstoß. Freilich ist koalitionsintern umstritten, dass Römer die Eskalationsmaschine so früh aktiviert hat und aufgeregter denn je über Neuwahlen spekuliert wird. Dass Römer wenig später damit kokettierte, der reguläre Wahltermin am "Muttertag 2015" sei ihm der genehmste, offenbart wiederum die politische Chuzpe des 64-Jährigen. Er gilt als fleißiger und loyaler Helfer der Ministerpräsidentin. Norbert Römer war einer der wenigen, die Frau Kraft als Oppositionsführerin in der vergangenen Legislaturperiode frühzeitig in ihr Vertrauen zog. Er ist ein verschwiegener Ratgeber, jemand, der sich auskennt mit den Mechanismen der Politik, der Gewerkschaften und der SPD. Sein recht später Aufstieg in der Politik war nicht zu erwarten gewesen, denn er konnte in der Partei die schnellen Wege nicht gehen. Der gebürtige Herner hoffte im Jahre 2000 auf einen Einzug in den Landtag, scheiterte damals mit einer Sondernominierung für einen sicheren Listenplatz. Immerhin ein wichtiges Signal für das nächste Mal war gesetzt. 2002 wurde er Vorsitzender des einflussreichen SPD-Bezirks Westliches Westfalen, 2004 Schatzmeister des SPD-Landesverbandes. Ein Jahr später kam Römer über Listenplatz 2 ins Parlament und musste sich an Oppositionsarbeit gewöhnen, weil die CDU nach 39 Jahren die Landtagswahl gewonnen hatte. Der Vater eines erwachsenen Sohnes hat gelernt, dass sich Geduld auszahlt. Er kommt immerhin aus einer Branche, die von ihrem ungeheuren Beharrungsvermögen profitiert, dem Steinkohle-Bergbau. Seine Eltern stammen aus Bergmannsfamilien. Er selbst arbeitete nicht unter Tage wie sein Vater, sondern ließ sich in der Verwaltung seiner Heimstadt Castrop-Rauxel zum Verwaltungsbeamten ausbilden und volontierte bei der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". Dann wechselte er zur Presseabteilung der Bergbaugewerkschaft IGBE, später IGBCE, wurde Pressesprecher, Chefredakteur, Gewerkschaftssekretär. Römer hat sich vor allem einen Namen gemacht mit seinem Einsatz für den Erhalt der heimischen Steinkohleförderung. Er propagiert trotz des Ausstiegsbeschlusses einen Sockelbergbau und bleibt unerschütterlich in dem Glauben, dass die deutsche Steinkohle irgendwann wettbewerbsfähig wird. Er sieht den teuer erkauften behutsamen Strukturwandel als großes soziales Verdienst und ärgert sich über die "Schlaumeier in den Elfenbeintürmen der Wissenschaft, manchmal auch in den Zeitungsstuben", die meinen, es hätte schneller gehen müssen. Vor einiger Zeit traf Römer einen Journalisten, der jemanden mit den Worten zitiert hatte, der Bergbau sei tot. Römer entgegnete ihm beim Händedruck: "Der Bergbau lebt. Glückauf."
    Sein neues Projekt ist die rot-grüne Minderheitsregierung. Eine Stimme fehlt den Koalitionsfraktionen bis zur absoluten Mehrheit, also muss die relative Mehrheit gegenüber CDU und FDP genutzt werden. Das erfordert viel Feinjustierung und Selbstdisziplin. Römer verkörpert die konservative SPD, bezeichnet sich als "Antikommunisten". Er hält wenig von der Linken-Fraktion, weiß aber, dass deren Stimmverhalten für Rot-Grün entscheidend ist. Nur sagt er das nicht so, sondern: "Wir reden mit der Linkspartei genauso wie mit den anderen." Er hat sich mit den Grünen arrangiert und trägt die Ökologisierung der SPD mit, auch wenn er kritisch beäugt, dass dem Klimaschutz absoluter Vorrang eingeräumt werden soll. Der pragmatische, umgängliche Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen erleichtert ihm die gemeinsame Herausforderung, einen parlamentarischen Schutzschild für die Landesregierung zu bilden. Eine funktionierende Abwehr scheint nötiger denn je, seitdem das Landesverfassungsgericht den Nachtragshaushalt 2010 mit seiner übermäßigen Verschuldung für verfassungswidrig erklärt und die Landesregierung eine schwere Niederlage erlitten hat. Römer verteidigt unbeirrt die Leitlinie der Ministerpräsidentin. Er hat sich wieder in ihren Schatten gestellt, aber man sieht ihn jetzt deutlicher als vorher.
    Kristian Frigelj

    ID: LI110420

  • Politiker mit Ecken und Kanten.
    Nachruf auf Karl Josef Denzer (SPD), Landtagspräsident a. D.
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 3 - 23.02.2011

    "Kinder, macht doch kein Theater. Also wirklich: Ich möchte nichts". So blieb es beim Blumenstrauß, als Karl Josef Denzer 1990 nach fünf Jahren aus seinem Amt als Präsident des Landtags verabschiedet wurde. Denzer war 65 Jahre alt und verließ die politische Arena. Was anderen in der Politik nicht gelingt, er schaffte es. 20 Jahre für die SPD als Landtagsabgeordneter, die fünf letzten als Präsident, jetzt kam der Ruhestand. Denzer schaffte den Übergang ohne Entzugserscheinungen.
    Typisch Denzer. Er mochte es nicht, Aufhebens von seiner Person zu machen. Er war bescheiden, aber kein Leisetreter. Wenn es um etwas zu kämpfen galt, konnte er hartnäckig, ja stur sein wie die Menschen seiner ostwestfälischen Wahlheimat. Seine richtige Heimat - er stammte aus Trier - machte ihn zum Kompromiss fähig. Das Streben nach Konsens ließ den Politiker und Präsidenten Denzer nicht konturlos werden. Er behielt seine Ecken und Kanten und scheute nicht das klare (und manchmal schnelle) Wort. Feind und mitunter auch Freund vergrault? Denzer sorgte dafür, dass dieser Zustand nicht lange anhielt.
    "Jupp", wie ihn seine Genossen und Freunde diesseits und jenseits der Grenzen der politischen Lager riefen, war impulsiv, spontan und aufrichtig. Er war andererseits verlässlich, hartnäckig, pflichtbewusst wie konsequent. Da sollte sich niemand von seiner Kumpelhaftigkeit täuschen lassen. Das war manchmal nur Fassade, Denzer konnte auch anders.
    Ziemlich rasch nach der Präsidentenwürde kam die Bürde, die dieses Amt für seine Inhaber bereit hält. Ein halbes Jahr nach seiner Wahl zum Präsidenten des 10. Landtags musste Denzer die Erhöhung der Diäten der Abgeordneten vertreten und begründen. Es gehe hier weder um einen Selbstbedienungsladen noch um eine Weihnachtsbescherung für die Abgeordneten, erklärte forsch der frisch gebackene Präsident. Er sehe sich bei diesem Thema nicht in eine Verteidigungsposition gedrängt, "denn wir haben nichts zu verbergen und brauchen weder Kritik noch Diskussionen zu scheuen, solange wir in eigener Sache für jeden durchschaubar handeln". Nur eben in eigener Sache - dieses Verfahren werde "nicht nur in der Öffentlichkeit oft als unglücklich empfunden", räumte Denzer selbstkritisch ein.
    War hier gegenüber der veröffentlichten Meinung erfahrungsgemäß kein Blumentopf zu gewinnen, Denzers Amtszeit insgesamt war interessant und hatte ihre Höhepunkte und Leistungen. Er und der Landtag gestalteten Politik in der aufregenden Zeit der beginnenden deutschen Wiedervereinigung.
    Der Föderalismus der Bundesländer bekam ein neues Gesicht im Zuge des deutschen Einigungsprozesses. Um hierzulande und in Europa die Position der Länder zu stärken und Kompetenzen einzufordern, unterstützte Denzer als Parlamentspräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslands nach Kräften die Arbeit der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Länderparlamente: "Wir wollen ein föderatives Deutschland in einem bürgernahen Europa der Regionen", fasste er in seiner Bilanz der Amtszeit Ende Mai 1990 im Plenum sein politisches Credo zusammen.
    In diesem Rückblick ohne Wehmut, aber mit Stolz und Selbstbewusstsein ging Denzer auf einen anderen Höhepunkt seiner Amtszeit ein, den Umzug des Landtags in sein neues Haus. Man kann nicht sagen, dass er einer der glühendsten Verfechter der Neubaupläne war. Aber ihm oblag es, diesen Umzug zu organisieren und zum Erfolg zu bringen - und so quasi nebenbei eines seiner wichtigsten Anliegen umzusetzen, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Abgeordneten.
    In seiner letzten Rede verabschiedete sich der Präsident vom Landtag. Er erinnere sich nicht nur an eine befriedigende politische Tätigkeit und an zahlreiche bewegende politische Ereignisse, resümierte Denzer, "sondern auch - und dies ganz besonders - an die Begegnung mit vielen Menschen, die mir Hilfe und Unterstützung, menschliche Wärme und freundschaftliche Zuneigung gegeben haben". Zu solchen Tugenden war auch Karl Josef Denzer fähig. Jetzt ist er im Alter von 85 Jahren gestorben.
    Jürgen Knepper

    ID: LI110324

  • Porträt: Karl-Josef Laumann (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 02.02.2011

    Der Mann hat Schwein. Abseits der turbulenten Düsseldorfer Politik erdet sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Karl-Josef Laumann in seiner kleinen Landwirtschaft im heimischen Riesenbeck. Ein Borstenvieh, ein paar Hühner, Kaninchen und ein Gemüsegarten sind das schönste Hobby des auf dem Bauernhof aufgewachsenen Münsterländers. Für die Familie baut der dreifache Vater mit dem einachsigen Traktor in der knappen Freizeit eigene Kartoffeln an.
    Der 53-Jährige Christdemokrat sticht mit seiner Biografie aus der Abgeordnetengilde zahlreicher Anwälte und Lehrer heraus. Als gelernter Maschinenschlosser hat Laumann eine lange Ochsentour von der Arbeit im Blaumann bis hin zum Arbeitsminister und Fraktionsvorsitzenden mit schwerer Dienstlimousine zurückgelegt. Bis 1990 arbeitete der bodenständige Politiker in einem Betrieb - zuletzt auch als Betriebsrat. Danach war Laumann 15 Jahre lang Bundestagsabgeordneter und wechselte 2005 als Landtagsabgeordneter und Arbeits- und Sozialminister ins schwarz-gelbe Kabinett Rüttgers nach Düsseldorf.
    Laumann hat das Politikgeschäft von der Pike auf gelernt. 25 Jahre lang saß der CDU-Politiker im Rat der Stadt Hörstel, war zeitweilig Kreisvorsitzender der Jungen Union in Steinfurt und führt seit nunmehr 24 Jahren die Kreispartei in Steinfurt. Seit 2004 ist Laumann Bezirksvorsitzender der CDU im Münsterland und Mitglied im CDU-Präsidium. Sein Herz hängt an den CDU-Sozialausschüssen, die der hemdsärmelige Mann mit den kräftigen Händen als Nachfolger von Norbert Blüm seit 2005 bundesweit leitet. Längst gilt das IG-Metall-Mitglied mit dem Hauptschulabschluss als soziales Gewissen der Union. Der frühere Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hatte der CDU-Fraktion seinen Freund Karl-Josef vor Jahren durchaus treffend vorgestellt: "Er weiß noch, was Arbeit ist."
    Der Sozialpolitiker Laumann kennt aus eigener Erfahrung, wo den kleinen Leuten der Schuh drückt. Die handfeste, klare Sprache des deftigen Redners mit dem westfälischen Zungenschlag kommt nicht nur im Bierzelt an. Im Duell mit seinem studierten Parteifreund Armin Laschet um den CDU-Fraktionsvorsitz hatte Laumann die Nase knapp vorn. Laumann ist Teamspieler: Heute arbeitet er in der Fraktion eng mit Laschet zusammen.
    Der Abschied vom Ministeramt nach der verlorenen Landtagswahl im Mai 2010 hat den 1,90-Mann bis ins Mark getroffen. Der Schock über den Verlust des Traumjobs ist überwunden. Seine Hauptaufgabe sieht der Oppositionsführer im Ziel, die CDU wieder zurück in die Regierung zu führen. Dafür wirbt Laumann fast jeden Abend in irgendeinem Saal im Lande für seine Partei. Dass der frühere Minister nach 20 Jahren Sozialpolitik als Fraktionsführer mit Mitte 50 ein breiteres Themenfeld bedienen muss, erlebt Laumann inzwischen als durchaus reizvolle Bereicherung.

    Alphatiere

    Der kurze Draht zum neuen CDU-Landeschef Norbert Röttgen hilft bei der internen Abstimmung. Das Verhältnis der beiden Alphatiere der NRW-CDU sei "sehr in Ordnung", betont Laumann. Die beiden total verschiedenen Politikertypen ergänzen sich blendend.
    "Opposition ist Mist", hatte der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering schon vor Jahren geklagt. Laumann spürt den begrenzten Einfluss auf den Oppositionsbänken, sucht aber einen Weg, die CDU nicht nur in der Schulpolitik von innen zu verändern und wieder regierungsfähig zu machen. Rot-Grün tritt der überzeugte Konservative in politischen Debatten energisch gegenüber. Laumann lehnt eine Totalverweigerung aber entschieden ab und zeigt sich im Einzelfall durchaus gesprächsbereit.
    Als Mitglied im Schützenverein "St. Hubertus Birgte" und als praktizierender Katholik pflegt Laumann ein enges Verhältnis zur Heimatgemeinde. Der Multifunktionär ist Vorsitzender der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) im Kreis Steinfurt mit rund 5.000 Mitgliedern. Am Wochenende kann man den geselligen Münsterländer schon mal per Fahrrad durchs Dorf radeln sehen. Laumann ist verankert in der ländlichen Region und hat sein Leben lang im idyllischen Örtchen Birgte gewohnt. Schon in der Grundschule hat der Bauernsohn viel Nähe gespürt: Die Zwergschule im Dorf war die kleinste in ganz Nordrhein-Westfalen.
    Wilfried Goebels

    ID: LI110222

  • Porträt: Gunhild Böth (Linke).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 19.01.2011

    Leicht hat es Gunhild Böth den verschiedenen Parteien, den sie seit 1972 angehörte, nie gemacht. Parteidisziplin, weil sie von oben verordnet wurde, mit der eigenen Meinung hinter dem Berg halten, weil sie nicht mit der jeweiligen Parteilinie übereinstimmte, das war ihre Sache nicht, als die heutige Vizepräsidentin des NRW-Landtags 1972 als junge Studentin in die SPD eintrat. Das änderte sich nicht, als sie Ende der 70er-Jahre in die DKP wechselte und auch in ihrer heutigen politischen Heimat, der Partei Die Linke, lässt sich die 58-jährige ehemalige Gymnasiallehrerin nicht den Mund verbieten. Böth ist aufrichtig, gerade heraus und nimmt in Kauf, dass sie dadurch auch unbequem ist.
    Politisch engagiert ist sie seit ihrer Studentenzeit an der Uni Bonn, wo sie sich dem Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) anschloss und dem Asta als Sozialreferentin angehörte. Vor dem Examen musste sie die Uni wechseln, ihrem Professor, der unter dem Einfluss des als konservativ geltenden Bundes Freiheit der Wissenschaft stand, hatte es missfallen, dass in ihren Referaten und Aufsätzen immer wieder Begriffe wie "Profit" oder "Mehrwert" auftauchten. Das reichte in jener Zeit, um als stramm linkslastig abgestempelt zu werden.
    Böth wechselte nach Wuppertal und geriet dort in Konflikt mit der SPD. Obwohl sie Vorsitzende der Jungsozialisten in der bergischen Metropole war und damit auch im Unterbezirksvorstand der örtlichen Sozialdemokraten saß, wurde sie 1977 aus der Partei ausgeschlossen. Sie hatte gemeinsam mit Kommunisten eine Initiative gegen Berufsverbote ins Leben gerufen. Das war ein Verstoß gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss, den die SPD 1971 gefasst hatte, und damit ein Ausschlussgrund.
    Parteilos wollte Böth nicht bleiben - "mir fehlte die politisch-theoretische Diskussion", sagt sie heute und schloss sich der DKP an. "Aber die hatten auch nicht viel Freude an mir", erinnert sie sich lächelnd. Sie ärgerte sich darüber, dass ihre neuen Parteifreunde absolut kritiklos gegenüber den sozialistischen Staaten waren, und ließ diesen Ärger auch deutlich vernehmen. "Ich fand ein Atomkraftwerk nicht besser, weil es in der Sowjetunion stand, und dass jedes Wort von Erich Honecker der letzten Weisheit entsprach, glaubte ich auch nicht." In der DKP schloss sie sich der Gruppe an, die die Partei von innen erneuern wollten, und nach dem Fall der Mauer und der deutschen Vereinigung schloss sie sich der PDS an, aus der später durch Fusion mit der WASG die heutige Linkspartei hervorging.

    Präsidium

    Seit Mai 2010 ist sie Mitglied des NRW-Landtags, und obwohl das gerade mal gut acht Monate sind, kommt es ihr vor wie gefühlte zwei Jahre. Neben ihrer Aufgabe im Landtagspräsidium ist sie auch schulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, was doppelten Einsatz erfordert. Die Zusammenarbeit im Präsidium und mit der Landtagsverwaltung erlebt sie als reibungslos, konfliktfrei und sehr kollegial. Nicht ganz einfach ist der Kontakt zu den beiden anderen Oppositionsparteien CDU und FDP. "Für die CDU sind wir immer noch so eine Art Schmuddelkinder des Parlaments", lächelt sie darüber, dass sich noch nicht alle damit abgefunden haben, dass eine neue fünfte Kraft in den Landtag gewählt worden ist. "Manche geben mir nicht einmal die Hand, aber mit anderen gibt es eine durchaus vernünftige Gesprächsbasis."
    Wenn Gunhild Böth am Rednerpult des Landtags steht, dann kann sie nicht verbergen, dass sie gelernte Lehrerin ist und lange in dem Beruf gearbeitet hat. Oft redet sie mehr zu den Zuschauern auf der Tribüne als zu den Abgeordneten im Saal. "Ich weiß, dass man das nicht darf", räumt sie ein, "aber ich halte das für nötig." Politik müsse aufklärerisch sein. "Die Zuschauer müssen ja nicht meiner Meinung sein, aber sie müssen wissen, worum es geht." Wie gesagt, leicht hat es niemand mit Gunhild Böth.
    Für ein Leben neben der Politik bleibt ihr nicht viel Zeit. Nur vom Lesen kann sie nicht lassen, "ich fresse Bücher". Egal, wie spät es ist, jeden Abend werden noch 20 bis 30 Seiten gelesen, zuletzt "Das Amt" über die Geschichte des Auswärtigen Amts und von Mario Vargas Llosa "Tod in den Anden".
    Peter Jansen

    ID: LI110122

  • Porträt: Angela Freimuth (FDP).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 11 - 20.12.2010

    Schon der Lebenslauf der FDP-Abgeordneten Angela Freimuth weist auf ein hohes Maß an persönlicher Liberalität hin. Werkzeugmacherin und Rechtsanwältin, Expertin für Finanzen und Kultur, Amerika-Fan und leidenschaftliche Patriotin - die 44-Jährige deckt ein für Karrierepolitiker ungewöhnlich breites Spektrum ab. Der große Erfahrungsschatz ist dabei durchaus hilfreich im politischen Betrieb. Seit zehn Jahren ist die gebürtige Lüdenscheiderin Mitglied des NRW-Landtags, von 2005 an auch Vizepräsidentin.
    Eigentlich wollte Angela Freimuth der Republik in jungen Jahren den Rücken kehren und wie zwei Brüder ihres Vaters in die Vereinigten Staaten auswandern. Um die eigenen Chancen für eine Aufnahme in den USA zu verbessern, absolvierte die junge Frau nach dem Abitur eine Lehre als Werkzeugmacherin. "Ich bin nicht aus Zucker", berichtet Freimuth nicht ohne Stolz über tolle Erfahrungen an der Werkbank. Kleinere Reparaturen im Haushalt erledigt die patente Mutter eines Sohnes noch heute selbst. Gelernt ist gelernt.
    Nach der Lehre entschied sich die Sauerländerin 1988 dann aber doch für ein Jurastudium in Bonn. 1998 wurde Angela Freimuth nach dem 2. juristischen Staatsexamen als Rechtsanwältin zugelassen und ist selbstständig tätig. Dieser Schritt bedeutete allerdings auch den Abschied von der Idee der Auswanderung. Die Entscheidung für Deutschland hat die Liberale nie bereut. Zwar reist sie regelmäßig und begeistert in die USA - Freimuth pflegt aber einen gesunden Patriotismus: "Ich lebe gern hier. Deutschland ist ein tolles Land."
    In der FDP hat die lebensfrohe Politikerin schnell Karriere gemacht. Heute ist sie Bezirksvorsitzende Westfalen West, stellvertretende Landesvorsitzende und sitzt seit 2003 auch im FDP-Bundesvorstand. Als Landtagsvizepräsidentin bemüht sich die Liberale um mehr Nähe zu Jugendlichen. In den letzten Jahren sind Freimuth und ihre vier Mitstreiter im Präsidium regelmäßig in die Schulen gegangen, um junge Menschen für Demokratie und Parlamentarismus zu begeistern. Was wird gefragt? "Es gibt sehr politische Diskussionen. Oft stehen aber auch Fragen nach der PSZahl des Dienstwagens, nach meinem Gehalt oder ob ich Haustiere habe im Vordergrund." Oberstufenschüler interessiert eher, welche politische Haltung die FDP-Politikerin zu tagesaktuellen Fragen hat. Als Vizepräsidentin bemüht sich Freimuth um Überparteilichkeit in der Amtsführung. "Ich bin aber kein politisches Neutrum. Da gibt es auch markige Sprüche."
    Abseits ihres politischen Aktionsfeldes im Landtag sucht die Liberale Entspannung beim Kochen mit Freunden, in der Familie und bei Musik, Krimis und im Kino. Welche Fehler sie entschuldigt? "Kein Mensch ist ohne Fehler." Politisch am Herzen liegt der Liberalen das Ziel einer nachhaltigen Finanzpolitik. Wer Beamte einstellt, soll schon heute für spätere Pensionen Vorsorge schaffen. "Es geht nicht an, dass wir unseren Kindern die Rechnung für unsere Personalpolitik präsentieren", warnt Freimuth.

    Toleranz

    Dass eine Juristin von 2005 bis 2010 gleichzeitig als finanz- und kulturpolitische Sprecherin der FDP im Landtag agierte, hält die Vizepräsidentin für durchaus normal. Außerdem sei die "inspirierende Unordnung" der Akteure im Kunstbetrieb für eine Anwältin hochinteressant. "Das sind tolle Leute, die anders ticken und Kreativität freisetzen", weiß Freimuth. Auch die eher nüchterne Parlamentsarbeit empfindet die Juristin aber als spannend. Mit dem Einzug der Linkspartei sind neue Personen auf die politische Bühne im Landtag getreten. Über die Zusammenarbeit mit der Linken Ursula Böth im Präsidium kann und will Freimuth bislang nichts Negatives sagen - auch wenn beide programmatisch Welten trennen. An der FDP habe ihr immer die Betonung der Toleranz gegenüber Andersdenken gefallen, erinnert sich die Liberale, warum sie sich in jungen Jahren gerade der FDP angeschlossen habe.
    Im Amt der Vizepräsidentin sieht Angela Freimuth einen wesentlichen Teil ihrer Aufgabe darin, für ein geordnetes Verfahren im Parlament zu sorgen. "Die Leute wollen, dass wir uns um Lösungen kümmern und nicht gegenseitig mit Schuldvorwürfen überschütten."
    Wilfried Goebels

    ID: LI101121

  • Porträt: Oliver Keymis (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 01.12.2010

    Das Plenum begreift er als Bühne - denn theaterbegeistert ist der Grüne Oliver Keymis auch nach mehr als zehn Jahren als Landtagsabgeordneter. "Schon als Kind hat mich mein Vater mit ins Theater genommen", erzählt der 2. Landtagsvizepräsident. "Und mit 13 habe ich mich zusammen mit einem Lehrer an meiner ersten Inszenierung versucht": Der "Diener zweier Herren" war das, die berühmte Komödie des Italieners Carlo Goldoni.
    Nach dem Abitur studierte Keymis, der am 30. Dezember 50 Jahre alt wird, zwar bis zur Zwischenprüfung Philosophie, Germanistik, Französisch und Politikwissenschaften - doch danach gelang der Sprung hinter die Kulissen. "Ich war hier in Düsseldorf am Schauspielhaus fest angestellt, habe in freier Mitarbeit für den WDR als Regieassistent gearbeitet, Bildregie geführt", erzählt Keymis, der seit Jahrzehnten in Meerbusch lebt - und klingt noch immer begeistert: "Meine erste Theaterregie hatte ich dann in der Spielzeit 89/90 an der Landesbühne Wilhelmshaven."
    Goethes "Iphigenie auf Tauris" hat er ebenso inszeniert wie Samuel Beckett. Und im Auftrag des WDR arbeitete der immer schwarz tragende Regisseur mit Willy Millowitsch zusammen - auch wenn ihm der Ausflug ans "bürgerliche Lachtheater" in der Szene nicht nur Freunde bescherte.
    In die Politik geführt hat Keymis dagegen ein für Grüne klassischer Weg. In seiner Heimatstadt Meerbusch engagierte er sich für den Schutz der Ilvericher Altrheinschlinge. Der Weiterbau der A44 bedrohte das Naturschutzgebiet. Als einer von drei Sprechern der "Bürgergemeinschaft Meerbusch" kämpfte Keymis zwölf Jahre lang für eine komplette Tunnellösung. Wegen zu hoher Kosten war die zwar nicht durchsetzbar - doch mit der Bürgerinitiative konnte Keymis zumindest einen Teilerfolg verbuchen: Zwei Tunnelstücke haben die wertvollsten Teile der Auenlandschaft bewahrt.
    Auf den Theatermann aufmerksam wurden so auch führende nordrhein-westfälische Grüne. "Ob Bauminister Michael Vesper, Umweltministerin Bärbel Höhn, die damalige Landtagsfraktionschefin Gisela Nacken - ich kannte die alle", sagt Keymis. Seit 1997 ist er Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, wurde 1998 Sachkundiger Bürger im Meerbuscher Kulturausschuss, kurz darauf Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kultur seiner Partei. Im Mai 2000 folgte der Sprung in den Landtag: Die Grünen lagen bei 7,1 Prozent. Für ihn selbst überraschend zog der auf Platz 17 der Landesliste gesetzte Meerbuscher in das Landesparlament ein.
    Der Regisseur wurde kulturpolitischer Sprecher seiner Fraktion - und übernahm ab 2003 auch die Verkehrspolitik: Der vom rot-grünen Dauerstreit um die geplante Magnetschwebebahn genervte, vom Ende seines Prestigeprojekts "Metrorapid" frustrierte damalige SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement hatte den Ausstieg von Keymis' Vorgänger Peter Eichenseher als Verkehrsexperte der Grünen durchgesetzt.
    Der ehemalige Autobahngegner Keymis ist noch heute gegen Neubauprojekte, verteidigt aber den Ausbau wichtiger Fernstraßen wie des Kölner Rings, der A40 im Ruhrgebiet. "NRW ist nun einmal ein Transitland", sagt er - dringt aber auf optimalen Lärmschutz. Zusätzlichen Verkehr will er auf die Bahn verlagern: "Katastrophal" sei die Entscheidung des Bundes, noch immer kein Geld für den Metrorapid-Nachfolger "Rhein-Ruhr-Express", für den Bau eines dritten Gleispaares auf der verspätungsträchtigen Hauptstrecke zwischen Dortmund und Köln zur Verfügung zu stellen. Aus der Verkehrspolitik zog sich Keymis 2006 zurück. Der Fraktionsvorstand hatte ihn für die Nachfolge Vespers als Landtagsvize nominiert. "Als Vizepräsident möchte ich Ansprechpartner aller Fraktionen sein", begründet Keymis, dessen Frau als Grafik-Designerin arbeitet, den Rückzug auf die "weniger konfliktträchtige" Kulturpolitik: Schließlich habe die von CDU und FDP getragene Regierungskoalition von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers den Kulturetat zumindest auf Landesebene in der vergangenen Legislatur glatt verdoppelt. "Ein Desaster" sei dagegen die Finanzkrise der Städte und Gemeinden, kritisiert Keymis - die bedrohe längst nicht nur Theater wie in Wuppertal, sondern die Szene insgesamt.
    Die Ökonomisierung ganzer Lebensbereiche, die "Gerechtigkeitsfrage" wird so immer stärker zum Hauptthema des Landtagsvizepräsidenten: "Ich will den Bürger, nicht den Kunden." Noch mehr Bürger in das Parlament locken will Keymis etwa durch spannende Veranstaltungsreihen mit Politikern und anderen Gästen.
    Auf der Bühne des Plenums, mahnt der Vize, müsse deshalb "weniger abgelesen", mehr in "freier Rede" argumentiert werden - und erinnert an "Politikertypen" wie Wehner, Schmidt - und an Franz-Josef Strauß. "Aber die", lacht er, "haben ihre besten Reden auch erst gehalten, als sie Jahrzehnte Erfahrung hatten."
    Andreas Wyputta

    ID: LI101022

  • Porträt: Carina Gödecke (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 9 - 14.10.2010

    Carina Gödecke lächelt und blickt verschwörerisch, so als berge ihr neues Büro ein Geheimnis. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen was", sagt sie und drückt an der Holzwand eine Klinke herunter. Hinter einer unscheinbaren Tür wird ein winziges Badezimmer sichtbar, mit Duschkabine und blitzblank geputzten Fliesen. Die Bochumerin entdeckt immer noch Neues im Rundbau am Rheinufer, obwohl sie dem Parlament seit 15 Jahren angehört.
    Die 51-Jährige kennt ansonsten sämtliche Gänge, Nischen, die langen und die kurzen Dienstwege. Sie hat noch erlebt, wie die SPD die "Kaffeeklappe" besetzt hielt. Sie kennt die Ausläufer jener legendären sozialdemokratischen Hochzeiten. Nach der Wahlniederlage 2005 musste sie auch die Ohnmacht der Opposition kennenlernen. Nun hat Rot-Grün die Regierungsgeschäfte dieses Jahr wieder übernommen, und es öffnete sich eine besondere Tür für die Sozialdemokratin. "Jawohl, Carina Gödecke aus der Kolonie Vollmond in Bochum-Laer ist jetzt Vizepräsidentin", schreibt sie im Juli auf ihrer Homepage. Bei den Präsidiumswahlen habe sie das beste Ergebnis bekommen - 161 von 181 Stimmen. Stolz schwingt in jeder Zeile mit.
    Gödecke ist zufrieden, was aus ihr, jenem kleinen blonden Mädchen, geworden ist, das 1962 mit seinen Eltern aus Hessen in die Opel-Stadt Bochum kam. Sie erzählt in ihrem Büro, dass sie zum ersten Mal ihr Vorwärtskommen genau geplant habe, denn bisher sei vieles in ihrem Leben zufällig auf sie zugekommen. Weit vor der Landtagswahl begann sie also zu überlegen, welche politische Aufgabe sie beruflich noch reizen könnte. Rasch geriet das Landtagspräsidium in ihr Blickfeld, denn für sie gilt das als Krönung einer parlamentarischen Laufbahn. Seit dem Jahre 2000 schuftete sie als Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Landtagsfraktion, gönnte sich kaum Freizeit. Solche Kärrnerarbeit belastet Knochen und Seele, auch bei einem so belastungsfähigen und fleißigen Menschen. Wer Gödecke in den vergangenen Jahren begegnete, der sah eine diskrete Parlamentarierin, die sich allenfalls zum Lächeln einer Thebanerin hinreißen ließ und unausgesprochen verkündete: Ich weiß alles, aber ich sage nichts. Sie wirkte für Außenstehende unnahbar, galt aber in der Fraktion als kommunikative Kümmererin. "Ich bin niemand, der Mauern um sich herum aufbaut", sagt sie. Freilich zwang ihre Aufgabe sie immer wieder zu einer gewissen Distanz. "Sie sind ein Stück weit einsam, Sie gehören keiner Clique an", sagt Gödecke. Sie musste dem Fraktionsvorstand den Rücken freihalten, aber auch auf die Stimmung in der Fraktion eingehen. Sie versuchte, Konflikte zu erahnen, ehe diese aufloderten, und instruierte die Kollegen eindringlich vor Debatten und Abstimmungen.

    Regieanweisungen

    Längst gilt sie parteiübergreifend als Koryphäe in parlamentarischen Verfahrensfragen. Nur einen Plenartag hat sie in den vergangenen zehn Jahren verpasst, da musste sie am Rücken operiert werden. Es war Donnerstag, der 10. September 2009. Vorsorglich hatte sie in die Tagesordnung "Regieanweisungen" für die Fraktion eingetragen. Es ging alles gut. Kurz zuvor hat einer ihrer Mitarbeiter noch eine andere Tür aufgestoßen und sie ermuntert, ihre Gedanken für die eigene Homepage niederzuschreiben. Seitdem existiert die Rubrik "Gödeckes Woche", die jeden Sonntag von der Ich-Erzählerin fortgeschrieben wird. Hier erlebt man Gödecke gewissermaßen ganzheitlich, nicht nur als Politikerin. Sie wird mitunter sehr privat und schreibt darüber, wie ihre hoch betagte Mutter Johanna allein immer schwerer zurechtkam und in einem Pflegeheim ein neues Zuhause fand. Sie berichtet über ihre Rückenprobleme und die leidigen Arzttermine. Regelmäßig tauchen ihr Lebensgefährte Heinz-Martin, dessen Kinder und Enkel in den Einträgen auf. Gödecke genießt ihre erweiterte, neue Familie, die sie nach der Trennung von ihrem Ehemann hinzugewonnen hat. Und oft klagt sie über die chronische Schwäche ihres VfL Bochum. Aus den aktuellen Wochenberichten erfährt man, dass Gödecke sich mit perfektionistischer Leidenschaft auch auf das neue Amt der Vizepräsidentin konzentriert. "Ich war zumindest ganz zufrieden mit mir. Zumal ich eine weitere Premiere erleben durfte: die Fragestunde. Das ist schon so was wie die hohe Kunst der Sitzungsleitung. Aber, "Feuertaufe" bestanden ohne Murks zu machen oder Mist zu verzapfen", schreibt Carina Gödecke Anfang Oktober in ihr Tagebuch. Sie freut sich, dass sie nun auch Gespräche am Rande des Plenums führen kann und nicht mehr auf alles Acht geben muss - endlich Zeit, neue Türen zu öffnen.
    Kristian Frigelj

    ID: LI100926

  • Porträt: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 8 - 29.09.2010

    Bislang hat Hannelore Kraft noch nicht einmal die Zeit gefunden, ihr neues Büro in der zehnten Etage der Staatskanzlei nach ihren eigenen Vorstellungen auszustatten. Das riesige Büschel Anturien und die üppig wuchernde Graspflanze hat Vorgänger Jürgen Rüttgers hinterlassen. Von ihr stammen lediglich ein paar Bücher im Regal, ein Foto von Johannes Rau, das ihr dessen Witwe mit ein paar liebevollen Grüßen zugeschickt hat und ein Bild der Familie. Für die künstlerische Ausgestaltung sollen jetzt Kinder und Jugendliche des Landes sorgen: das Gewinnerbild eines landesweiten Wettbewerbs findet seinen Platz im Arbeitszimmer der Ministerpräsidentin.
    Seit dem 14. Juli ist die 49-jährige Bankkauffrau, Diplomökonomin und Unternehmensberaterin Ministerpräsidentin im größten Bundesland - die erste Frau an der Spitze der Landesregierung - und in dieser Zeit musste sie schon ein Wechselbad der Gefühle erleben. Am ersten Wochenende im Amt das grandiose Festival auf der A 40, wo Milllionen von Menschen zwischen Duisburg und Dortmund fröhlich und friedlich feierten, am zweiten Wochenende das tragische Unglück auf der Loveparade in Duisburg mit 21 Todesopfern. Mit ihrer einfühlsamen und bewegenden Rede auf der Trauerfeier für die Opfer in der Salvatorkirche hat die Mutter, deren 17-jähriger Sohn selbst zu den Besuchern der Loveparade gehört hatte, vielen Menschen aus dem Herzen gesprochen.
    Kraft hat in ihrem neuen Amt die Bodenhaftung nicht verloren. Wie schon seit Jahren hat sie den Sommerurlaub mit Mann und Sohn in der Sportschule im sauerländischen Sundern verbracht; wenn es die Zeit zulässt, geht sie am Wochenende noch selber einkaufen. Die ohnehin schon knappe Freizeit wird durch das neue Amt natürlich weiter eingeschränkt. Auch als Oppositionsführerin und SPD-Landesvorsitzende war sie nahezu jedes Wochenende unterwegs. Aber selbst die "Tatkraft"-Tage, an denen sie im Wahlkampf einmal monatlich in einem Betrieb oder einer sozialen Einrichtung mitgearbeitet hat, will sie als Ministerpräsidentin fortführen. Und wenn es ihr Terminkalender zulässt, sieht man sie weiterhin mittags in der Kantine des Landtags - zwischen Abgeordneten und Mitarbeitern, wie in den letzten Jahren auch.

    Ziele

    Kraft hat im Jahr des Wahlkampfs, des - wenn auch mehr gefühlten - rot-grünen Wahlsiegs und der Regierungsübernahme an Ansehen gewonnen, in den eigenen Reihen der SPD des Landes und des Bundes, auch bei ihrem Bündnispartner, den Grünen, und vielleicht sogar auch beim politischen Gegner. Vor allem die Art, in der sie die wochenlangen Sondierungen mit den Linken, mit der CDU und mit der FDP geführt und zu einem Ergebnis gebracht hat, mit dem kaum jemand rechnen konnte, hat ihr in eigenen Reihen einiges an Anerkennung eingetragen. Daran änderte auch nichts, dass sie vor der Entscheidung, mit den Grünen eine Minderheitsregierung zu bilden, zunächst zurückschreckte und vom kleineren Koalitionspartner sowie von ihren Genossen in Berlin sanft gedrängt werden musste. Ein Interview des NRW-FDP-Vorsitzenden Andreas Pinkwart, in dem er die Koalition mit der CDU mit dem Wahltag für faktisch beendet erklärte, lieferte dann aus ihrer Sicht den willkommenen Anlass, das Wagnis einer Regierung ohne Mehrheit einzugehen.
    Gut zweieinhalb Monate nach ihrer Wahl ist Kraft unverdrossen zuversichtlich, dass die Minderheitsregierung, die sie leitet, stabiler und langlebiger ist, als viele ihr jetzt zutrauen. Dabei setzt sie auf eine neue Kultur im Parlament, die Debatten und Auseinandersetzungen sollen nicht wie gewohnt als ritualisierter Streit zwischen Koalition und Opposition ablaufen. Gemeinsam, so ihre Vorstellung, sollen alle Fraktionen nach den besten Lösungen für NRW suchen . "Koalition der Einladung" nennt sie das und hofft, dass es vielleicht mal ein Modell werden könnte. Dass die ersten Reaktionen aus den Reihen von CDU und FDP eher kritisch und skeptisch bis strikt ablehnend ausfallen, darf sie allerdings nicht wundern. Schließlich haben Rote und Grüne in ihren ersten Gesetzentwürfen ihre Wahlversprechen eingelöst und unter anderem die Abschaffung von Studiengebühren und Kopfnoten beschlossen - Reformen, die die alte schwarz-gelbe Koalition unter erheblichem Kraftaufwand durchgesetzt hatte und deren Abschaffung sie jetzt verständlicherweise nicht jubelnd begleitet. Aber Kraft registriert auch andere Signale. So haben alle Fraktionen die Einladung ihrer grünen Stellvertreterin und Schulministerin Sylvia Löhrmann angenommen, auf einem "Bildungsgipfel" darüber zu debattieren, ob es Chancen für eine von allen Parteien akzeptierte neue Schulstruktur in Nordrhein-Westfalen gibt.
    Kraft sitzt am Anfang einer Legislaturperiode, von der niemand weiß, wie lange sie dauern wird, parteiintern fester im Sattel denn je. In der SPD ist kein Wort der Kritik über sie zu hören. Dabei spielt natürlich auch eine Rolle, dass sie im Mai geschafft hat, was noch ein halbes Jahr zuvor als so gut wie ausgeschlossen galt: Sie hat ihre Partei nach nur fünf Jahren in der Opposition wieder in die Regierung gebracht. Auch auf Bundesebene hat Krafts Wort an Gewicht gewonnen, als Ministerpräsidentin des größten Bundeslands und eine von vier Stellvertretern des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel findet sie zunehmend Gehör über die Grenzen Nordrhein-Westfalens hinaus.
    Peter Jansen

    ID: LI100820

  • Porträt: Landtagspräsident Eckhard Uhlenberg (CDU).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 7 - 22.07.2010

    Für sein neues Amt als Landtagspräsident ist Eckhard Uhlenberg geeignet wie kaum ein Anderer. Der 62-jährige Landwirt aus Büderich im Kreis Soest ist nicht nur der dienstälteste Abgeordnete im Düsseldorfer Landtag, er ist, wie er selbst sagt, auch mit Leib und Seele Landespolitiker und hat auf Angebote, sich in den Bundestag oder ins Europaparlament wählen zu lassen, dankend verzichtet. Seit 1980 sitzt er als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises 119 im Landesparlament, nur 1985 hatte ihm die SPD-Kandidatin mit 141 Stimmen Vorsprung das Direktmandat abgejagt.
    Dabei hatte Uhlenberg, der aus einer alten westfälischen Bauernfamilie stammt und noch heute auf einem Hof aus dem 18. Jahrhundert wohnt, bislang geglaubt, er habe mit der Arbeit als Landwirtschafts- und Umweltminister den Job seines Lebens gefunden. Doch die politischen Karten wurden nach der Landtagswahl anders gemischt und jetzt fällt es ihm schwer, die Verantwortung für das Ministerium abzugeben. "Wir haben fünf Jahre erfolgreiche Politik gemacht", ist er überzeugt, große Fortschritte in allen Bereichen erzielt und einen neuen Stil eingeführt, den er mit einem unausgesprochenen Seitenhieb auf seine grüne Vorgängerin Bärbel Höhn als "nicht so schrill" kennzeichnet.
    Den Vorwurf, als ausgebildeter Landwirtschaftsmeister, selbstständiger Landwirt und Mitglied in verschiedenen Einrichtungen der Agrarwirtschaft hätten ihm als Minister ausschließlich die Interessen der Bauern am Herzen gelegen, lässt Uhlenberg nicht gelten. In zwei Dritteln seiner Arbeitszeit habe er sich um andere Themen gekümmert. Hier nennt er die Bereiche Wasser, Lebensmittelsicherheit, Immissionsschutz und vor allem den Kampf gegen den Flächenverbrauch, der in seiner Amtszeit von durchschnittlich 15 Hektar täglich auf zehn Hektar zurückgegangen sei. Dies habe ihn manchen Strauß mit Kommunalpolitikern auch aus seiner eigenen Partei ausfechten lassen. Seinem Nachfolger Johannes Remmel von den Grünen, im Parlament in den letzten fünf Jahren sein heftigster Widersacher, wünscht Uhlenberg eine kluge Amtsführung, "mit den Menschen, mit den Landwirten und ohne Ideologie".
    Präsident im Haus der Bürger des größten und wichtigsten Bundeslands zu sein, sieht Uhlenberg als die wichtigste Aufgabe seines neuen Amtes. Er will dazu beitragen, die Distanz zwischen Politikern und Bürgern abzubauen. "Landtag soll nicht nur in Düsseldorf stattfinden", hat er sich vorgenommen und deshalb will er dafür sorgen, dass er und seine Vizepräsidenten in die Schulen, in Vereine und Organisationen gehen, Ausstellungen eröffnen und mit den Menschen reden und so dafür sorgen, dass die Arbeit der 181 Volksvertreter im Düsseldorfer Parlament bekannter wird.

    Engagement

    Als besondere Herausforderung betrachtet Uhlenberg die Zusammensetzung des Landtags und die Tatsache, dass sich eine Minderheitsregierung jeweils eine Mehrheit im Parlament suchen muss. Als Parlamentarier hat er schon Zwei-, Drei- und Vier-Parteien-Parlamente erlebt, einem Landtag mit fünf Fraktionen vorzustehen und seine Debatten zu leiten, ist für ihn besonders spannend. Dabei sieht er die Einladung der roten und grünen Koalitionspartner an die anderen Parteien zur Zusammenarbeit mit einer gewissen wohlwollenden Skepsis. "Wir brauchen auch in Zukunft Regierung und Opposition", sagt er, jede Partei müsse "glaubwürdig und authentisch" bleiben und dürfe sich nicht bis zur Unkenntlichkeit verbiegen. Eine Überwindung der traditionellen Grenze zwischen beiden Seiten müsse man von den jeweiligen Inhalten abhängig machen. Wenig hält Uhlenberg von der Vorstellung, dass einzelne Abgeordnete aus den Oppositionsfraktionen regelmäßig der Koalition zur Mehrheit verhelfen. Eine Fraktion dürfe nicht so oft auseinanderfallen, "dann verliert sie ihr Profil", mahnt der alte Fahrensmann der CDU.
    Uhlenberg stammt aus einer durch und durch politischen Familie, Großvater und Vater waren als Kommunalpolitiker aktiv, der Vater gehörte zu den Gründern der CDU im Kreis Soest. Er selbst ist 1967 in die Junge Union eingetreten, ein Jahr später in die CDU und wurde 1975 zum ersten Mal in den Kreistag gewählt, dem er ununterbrochen bis zur Übernahme des Ministeramtes vor fünf Jahren angehörte. Schmunzelnd erinnert er sich daran, dass auf dem Hof mit Eltern und den vier Geschwistern oft und heftig über Politik diskutiert wurde, und nicht immer waren alle der Meinung, dass die CDU alles richtig mache. Heute bedauert er, dass das Interesse an Politik nachgelassen hat und dass immer weniger Menschen bereit sind, einer Partei beizutreten und sich dort zu engagieren. "Dabei brauchen die Parteien Mitglieder, damit sie die richtigen Leute für die Parlamente auswählen können."
    Im bevorstehenden Sommerurlaub freut sich Uhlenberg darauf, gemeinsam mit Freunden aus der Heimat eine weitere Etappe auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela zurückzulegen. Zwölf Tage will die Gruppe mit Gepäck marschieren und Burgos in Nordspanien erreichen. In den eher kargen Pilgerherbergen werden sie allerdings nicht einkehren, ein anständiges Bett soll es in der Nacht schon sein. Ansonsten ist Uhlenberg froh und zufrieden, wenn er einfach mal zu Hause auf seinem Hof sein kann und seinem Hobby frönen: Zeitung lesen. "Ich kann an keinem Kiosk vorbeigehen, ohne eine Zeitung zu kaufen." Ganz ohne Arbeit geht es allerdings auch in Büderich nicht: ein alter, unter Denkmalschutz stehender Speicher, der seit über hundert Jahren nicht mehr genutzt wurde, muss ausgeräumt werden. Für Uhlenbergs Tochter wird dort eine Wohnung eingerichtet.
    Peter Jansen

    ID: LI100720

  • Porträt: Horst Westkämper (CDU).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 5 - 12.05.2010

    Der knallrote Mazda RX 7 wird in der kommenden Legislaturperiode fehlen. Mit dem schnittigen Zweisitzer und seinen 250 Pferdestärken rauschte der CDU-Abgeordnete Horst Westkämper immer in den Düsseldorfer Landtag. "Ein bisschen ist das Auto mein Markenzeichen. Wo die Sportkutsche auftauchte, wusste jeder: Da kommt Westkämper aus Solingen", lacht er. Ende März war die letzte Dienstfahrt. Als ältestes Mitglied des Düsseldorfer Parlamentes scheidet der Christdemokrat mit dem Ende der 14. Legislaturperiode gemeinsam mit 33 weiteren Abgeordneten - darunter Anke Brunn und Helmut Linssen - aus dem Parlament aus. "Für mich schließt sich der Kreis. Ich habe als jüngster CDU-Vorsitzender im Ortsverein Solingen angefangen und scheide als ältester Landtagsabgeordneter in Düsseldorf aus."
    Zum Abschied gab es für den einzigen Mann im 16-köpfigen Frauenausschuss Blumen und eine Flasche Wein. "Darauf sind die Kollegen in den anderen Ausschüssen gar nicht gekommen. Frauen sind eben warmherziger", lobt der Vater von sieben Kindern seine Mitstreiterinnen in dem Gremium und betont, dass die Zusammenarbeit mit ihnen gut gewesen sei: "Ich hatte nur Vorteile."
    Ein wenig Wehmut empfindet der 74-Jährige bei seinem Abschied schon. "Aber bekanntlich soll man aufhören, wenn es am schönsten ist, und mir haben die letzten fünf Jahre große Freude bereitet." Als Mitglied der Regierungsfraktion konnte der CDU-Parlamentarier richtig etwas bewegen. "Das ist schon ganz etwas anderes, als in den früheren Jahren auf den harten Oppositionsbänken, als fast alle Vorstöße der Union abgeschmettert wurden", erinnert sich Horst Westkämper an vergangene Legislaturperioden.
    Nachdem Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zu Beginn der 14. Wahlperiode 2005 Horst Westkämper zum Beauftragten der CDU-Landtagsfraktion für Heimatvertriebene und Spätaussiedler berufen hatte, legte sich der Unionspolitiker richtig ins Zeug. Die anfängliche Skepsis der Vertriebenen gegen einen Nichtvertriebenen auf diesem Posten legte sich rasch. Denn es zeigte sich, dass der gebürtige Sauerländer und überzeugte Rheinländer Westkämper sehr überzeugend und nachhaltig die Interessen der Vertriebenen und Spätaussiedler wahrzunehmen wusste. Der Erhalt des Westpreußischen Landesmuseums in Münster, die Lehrerhandreichung zum Thema Vertriebene für den Schulunterricht und die Sanierung der Gedenkstätte des Deutschen Ostens auf Schloß Burg sind nur einige Beispiele für Westkämpers erfolgreiche Arbeit in den letzten fünf Jahren. Ein Werkstattgespräch als Abschiedstreffen in den Düsseldorfer Rheinterrassen, zu dem 900 Gäste - unter anderem die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach - kamen, waren ein deutliches Zeichen der persönlichen Anerkennung für Horst Westkämper. "Wir haben die Förderung der Kultur der Heimatvertriebenen auf eine neue Grundlage gestellt", bilanziert er.
    Auch als Leiter der interfraktionellen Arbeitsgruppe Visegrád, die sich seit 2007 um eine Intensivierung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte zwischen NRW und den Visegrád-Ländern Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn bemüht, war der Abgeordnete erfolgreich. "Das ist so ein bisschen Außenpolitik für NRW", erklärt der CDU-Mann seine Arbeit und betont, die anfangs nur aus sechs Parlamentariern bestehende Gruppe sei auf 16 angewachsen, weil viele gern mitarbeiten. Westkämper: "Das läuft so gut, dass ich glaube, es geht auch ohne mich in der nächsten Legislaturperiode weiter."
    Mit dem Ausscheiden aus dem Landtag gibt Westkämper auch alle Parteiämter ab. In die Union eingetreten war der Industriekaufmann und Krankenkassenbetriebswirt 1967. Seither ging es auf der Karriereleiter dann stetig aufwärts. Westkämper wurde Kreisvorsitzender in Solingen, stellvertretender Vorsitzender des Bezirks Bergisch Land, Mitglied des Rates der Stadt Solingen und ihr Fraktionschef sowie Mitglied der Landschaftsversammlung Rheinland.
    Ob er nun künftig in dem einen oder anderen Gremium als Ex-Abgeordneter noch mitmischen wird, muss die Zeit zeigen. Zunächst einmal ist jetzt die Familie dran. Seine Freu Eveline hat vor einiger Zeit die Prüfung als Jägerin gemacht. Jetzt will der Parlamentarier seine Frau öfter mal auf der Jagd begleiten.
    Gerlind Schaidt

    ID: LI100507

  • Porträt: Helmut Stahl (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 4 - 31.03.2010

    Der Mann hat ein Faible für die Zukunft. "Der Aufbruch zum Neuen hat mich immer fasziniert", schwärmt CDU-Fraktionsführer Helmut Stahl beim weiten Blick über den Rhein. Die eigene Zukunft hat der Bonner nun wieder in die eigene Hand genommen: Im Mai 2010 verlässt der Politiker die Kommandobrücke der Union im Düsseldorfer Landtag. "Der Kopf ist voller Fantasien, was ich machen könnte." Eins ist sicher: Der leidenschaftliche Vogelkundler gewinnt nach dem Schlussstrich unter die 80-Stunden- Wochen im Terminkalender endlich mehr Zeit für sein Hobby.
    Dabei verläuft der Abschied von der Fraktionsführung nicht ohne Wehmut. "Es war eine 51:49-Entscheidung", erinnert sich Helmut Stahl an die langen Gespräche mit seiner Frau. "Das macht etwas im Bauch, wenn etwas endet." Die Phase des Berufspolitikers will der 62-Jährige auslaufen lassen, Politik aber bleibt die große Leidenschaft. Dabei ist Helmut Stahl nie der Archetypus eines Politikers wie Helmut Kohl gewesen, der die Menschen mit seiner zupackenden Rhetorik in den Sälen auf die Tische trieb. "Die Abteilung Attacke ist nicht meins", weiß der freundliche Politiker mit den spitzbübisch funkelnden Augen. "Wenn es notwendig ist, mache ich meinem Namen aber alle Ehre." Das haben aufmüpfige Christdemokraten im kleinen Kreis überrascht erfahren müssen.
    Im politischen Alltagsgeschäft greift Helmut Stahl lieber zum Florett als zum Säbel. "Man sagt mir nach, dass ich auch unter Stress ein freundlicher Mensch bleibe." Seit 2005 hält Stahl seinem Freund Jürgen Rüttgers in der CDU-Fraktion den Rücken frei. Als Spitzenbeamter und Staatssekretär hat der "treue Knappe" dem damaligen Minister Rüttgers schon im Zukunftsministerium gedient, nach dem Regierungswechsel 1998 scheiterte Stahl ein Jahr später knapp als CDU-Kandidat für das Amt des Bonner Oberbürgermeisters. Rüttgers holte sich den loyalen Unionspolitiker danach als Parlamentarischen Geschäftsführer der Landtagsfraktion - fünf Jahre später war Rüttgers Ministerpräsident und Helmut Stahl Fraktionsvorsitzender.
    Der Bonner hatte die Wahl. Stahl hätte nach den erfolgreich organisierten Koalitionsverhandlungen auch Minister und Chef der Staatskanzlei werden können. Der Diplom-Volkswirt entschied sich für die Fraktionsführung, weil er hier mehr Gestaltungsmöglichkeiten für sich sah. "Eine tolle Zeit, wir haben etwas vorangetrieben", erinnert sich der Christdemokrat an Schulreformen, neue Ladenöffnungszeiten, Hochschulgesetz und erste Erfolge im Bürokratieabbau. An der Nahtstelle zum Koalitionspartner FDP hat Stahl Streitfragen früh ausdiskutiert. "Bevor etwas ins Kabinett kommt, wird geprüft, was man sich gegenseitig zumuten kann." Das Zauberwort lautet: Verlässlichkeit. "Wir haben es besser gemacht als die Berliner", betont Stahl selbstbewusst. Das schließt nicht aus, dass es auch in der Düsseldorfer Koalition mal ruckelt. "In der FDP sind andere Menschen als in der CDU." Deshalb lebt Stahl in der Politik sein Motto: "Vom Ende her denken." Bei allem Hader muss die Regierung das gemeinsame Ziel im Auge behalten.
    Die eigene CDU-Landtagsfraktion hat Anschieber Stahl immer wieder mit Neuerungen überrascht: Regelmäßig wurden strategische Positionspapiere für den Blick in die Zukunft erarbeitet. Werkstattgespräche etwa zum Thema "Sterben in Würde" trafen auf bundesweites Interesse. "Man bleibt im Kontakt mit den Menschen. Das sind meist unglaublich spannende Geschichten." Stahl schätzt den Blick in die Augen - auch wenn es mal stürmischer wird. "Ich gehe auf die Leute zu und spiele nicht über Bande."
    Der gebürtige Olper verfolgt beharrlich seine Ziele, findet aber meist in den hitzigsten Debatten noch freundliche Worte. Als das umstrittene Kinderbildungsgesetz (KiBiz) nach langen Diskussionen unter Dach und Fach war, zog der Vogelkundler sein Fazit: "Der Kibiz ist ausgebrütet. Es gab viel Unruhe in der Vogelkolonie." Und auch der politische Gegner muss sich auf freundliche Anleihen des Lyrik-Konsumenten einrichten. Seiner SPD-Kollegin Hannelore Kraft gab Stahl zum Abschluss der Etat-Rede in Anlehnung an Willhelm Busch den nicht böse gemeinten Rat mit auf den Weg: "Wenn eine, die mit Mühen kaum / geklettert ist auf einen Baum / schon meint, dass sie ein Vogel wär / so irrt sie sehr." Da mussten auch SPD-Genossen schmunzeln.
    Nun also gewinnt der fröhliche Rheinländer mit den Sauerländer Wurzeln die Zeit für die Ornithologie. Nicht nur in der Politik kennt sich Stahl bestens aus mit Paradiesvögeln, komischen und Pechvögeln. In Namibia hat der Vogelkundler in diesem Jahr fast 70 Vögel neu für seine Erlebnisgalerie entdeckt. Auf eins wird der agile CDU-Politiker nach der Landtagswahl im Mai verzichten müssen: den herrlichen Blick auf den Rhein von der Terrasse des Büros im Landtag.
    Wilfried Goebels

    ID: LI100428

  • Porträt: Edgar Moron (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 3 - 10.03.2010

    "Ich geh‘ lieber freiwillig, bevor die Leute fragen, was will der alte Kerl da noch." Edgar Moron, Landtagsvizepräsident, Vorsitzender der SPD-Fraktion von 2000 bis 2005, Abgeordneter seit 1990 und zumindest landespolitisches rotes Urgestein, findet, nun sei es genug. "Mein Lebensalter sagt mir deutlich, ich soll das Mandat Jüngeren überlassen", er will nach der Landtagswahl mehr Zeit mit Frau, Kindern und den beiden Enkeln verbringen, häufiger die Ferienwohnung in Südtirol aufsuchen, um dort zu wandern und Mountainbike zu fahren sowie seinen Hobbys Fotografieren und Briefmarken sammeln nachzugehen.
    In zwei Jahrzehnten als Sozialdemokrat im Landesparlament hat Moron alles erlebt und mitgemacht: unter Ministerpräsident Johannes Rau die absolute Mehrheit, als sich die SPD-Fraktion oft bis in die Nacht um den richtigen Weg stritt, unter Rau und seinen Nachfolgern Wolfgang Clement und Peer Steinbrück die rot-grüne Koalition, die immer wieder mal auf der Kippe stand und unendlich schwierige und langwierige Abstimmungsprozesse erforderte. Die letzten fünf Jahre dann auf der harten Oppositionsbank und dem vergleichsweise bequemen Sessel des Vizepräsidenten, ein, wie er selbst sagt, "weniger anstrengender Ausklang".
    In den 20 Jahren haben sich nicht nur die Mehrheitsverhältnisse im Landtag verändert, auch die heutige Atmosphäre unterscheidet sich erheblich vom Klima in den 90er-Jahren. "Früher war es kumpelhafter", sagt Moron, man habe auch außerhalb der Sitzungen mal zusammengesessen, um ein Bier zu trinken. Und wenn Loke Mernizka, schwerstgewichtiger SPD-Abgeordneter aus dem Siegerland, seine Gitarre dabei hatte, dann wurden in der legendären "Kaffeeklappe" Arbeiter- und Studentenlieder gesungen.
    Am stärksten beeindruckt war Moron in seiner langen Parlamentszugehörigkeit von Johannes Rau, "er war sowohl menschlich wie politisch eine herausragende Persönlichkeit". Auch in den anderen Parteien fand er Politiker, die einen nachhaltigen Eindruck auf ihn gemacht haben, etwa den Sozialpolitiker Hermann-Josef Arentz oder den Verkehrspolitiker Heinz Hardt bei der CDU, Jürgen Möllemann von der FDP, der trotz mancher Schwächen eine "ganz besondere Person" gewesen sei, oder Michael Vesper von den Grünen, mit dem es immer zu diskutieren gelohnt habe. Moron selbst hatte seinen beeindruckendsten und nachhaltigsten Auftritt im Parlament am 13. November 2008 in einer Debatte über den angeblichen Flirt der SPD mit der Linkspartei. In einer fulminanten Rede wies er die Vorwürfe zurück, die Sozialdemokraten verrieten ihre Grundsätze. "Noch heute erhalte ich E-mails zu dieser Rede" und selbst Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), der an der Sitzung nicht hatte teilnehmen können, ist später auf Moron zugegangen und hat ihm ein Kompliment für die "tolle Rede" ausgesprochen.
    Zur Politik gefunden hat der in Berlin aufgewachsene Moron durch seine Schulleiterin, eine von den Nazis verfolgte Sozialdemokratin, die im KZ Sachsenhausen gesessen hatte. Sie hat sein Interesse geweckt und mit dazu beigetragen, dass er in Berlin Politik- und Sozialwissenschaften studierte, "sehr zum Unwillen meiner Mutter, der etwas Seriöses lieber gewesen wäre".
    Mit der SPD hatte der junge Student nicht viel am Hut, sie war ihm in Berlin in der Zeit der Studentenproteste schlicht zu rechts. Erst als er 1970 einen Job bei der Bundeszentrale für politische Bildung in Köln antrat, traf er am Rhein auf eine andere, offenere, tolerantere Partei. Ein erster Versuch, in den Bundestag gewählt zu werden, ging schief. In der schwarzen Eifel hatte der rote Moron keine Chance. Doch vor der Landtagswahl 1990 brauchte die SPD einen Kandidaten für den südlichen Rhein-Erft-Kreis, wo Moron wohnt, und er holte das Mandat im ersten Anlauf.
    An seine erste Rede kann sich Moron noch ebenso gut erinnern wie an seine wichtigste, damals ging es um Ausländerpolitik und die anstehende Ausweisung einer großen Gruppe von Sinti und Roma. Der erste Auftritt am Rednerpult des Plenarsaals war vor allem deswegen schwierig, weil die SPD damals nicht so recht wusste, wie sie mit dem Problem umgehen sollte. Es gab erhebliche Differenzen zwischen dem damaligen Innenminister Herbert Schnoor und Sozialminister Hermann Heinemann. "Auf jeden Fall bin ich für die Rede gelobt worden", grinst Moron beim Rückblick, obwohl die eigentliche politische Botschaft nicht durchschimmerte. Aber das soll ja heute noch gelegentlich bei Landtagsreden nicht anders sein ... Peter Jansen

    ID: LI100322

  • Porträt: Dietmar Brockes (FDP).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 03.02.2010

    Als waschechter Niederrheiner wurde Dietmar Brockes in jungen Jahren zunächst Schützenbruder - und erst später FDP-Mitglied. Bis heute gehört dem Schützenverein der St.Johannes- Bruderschaft Bracht die große Leidenschaft des 39-jährigen Liberalen. Dabei schoss Brockes den Vogel ab: Mittlerweile ist der gebürtige Nettetaler zum Hauptmann der Preußischen Grenadiere aufgestiegen. Auch das karnevalistische Treiben in der Dülkener Narrenakademie ist für den fest verwurzelten Rheinländer nicht nur Ehrensache, sondern längst zum geliebten Hobby geworden.
    Dass der lebensfrohe Politiker mit gerade mal 19 Jahren bei den Liberalen landete, führt Brockes auf seine tiefe Bewunderung für das FDP-Urgestein Hans-Dietrich Genscher zurück. "Einige hat es schon gewundert, dass ich nicht in die CDU gegangen bin", erinnert sich Brockes. Schließlich war der gläubige Katholik nicht nur elf Jahre lang Messdiener im 6.000-Seelen-Ort Brüggen nahe der deutsch-niederländischen Grenze. Auch in der kirchlichen Jugendarbeit war Brockes lange aktiv. Überhaupt hat ihm die Kirche viel Halt gegeben - vor allem nach dem frühen Tod der Mutter. Seit 2000 nun sitzt der studierte Betriebswirt, der seine berufliche Karriere als Bürokaufmann im Großhandel begann, als Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag. Gleichzeitig ist Brockes Bezirksvorsitzender der FDP am Niederrhein und seit 2004 auch Mitglied des Kreistages Viersen. "Ich will gute Ideen aus Düsseldorf in den Kreis bringen - und umgekehrt", begründet der Liberale seine Multifunktionen. Und als wäre das alles nicht genug, ist Brockes seit 2009 auch Mitglied im Ausschuss der Regionen der EU.
    Bei dieser politischen Dauerbelastung fällt es dem zweifachen Familienvater nicht immer leicht, sich freie Stunden aus dem engen Terminplan herauszuschneiden. Der Besuch der Borussia in Mönchengladbach ist für den begeisterten Fußballfan und Dauerkartenbesitzer aber ein absolutes Muss. Wenn es die Zeit zulässt, besucht Brockes auch die Fußballspiele des Sohnes beim TSF Bracht. Außerdem kickt der Liberale selbst noch beim FC Landtag - wenn ihn nicht wie gerade eine Verletzung auf die Zuschauertribüne zwingt. "Nach meinem Wadenbeinbruch im letzten Jahr möchte ich bald wieder spielen."
    Im väterlichen Malerbetrieb hatte Brockes schon früh gelernt, kräftig mit anzupacken und Verantwortung zu übernehmen. Als einer von 120 Pionierstudenten schrieb sich der junge Mann 1994 für das Studium der Betriebswissenschaften in die Fonty’s Highschool im niederländischen Venlo ein. Bereits während des Studiums machte sich der Wirtschaftskenner selbstständig und gründete 1996 den ESB Service Dietmar Brockes. Die Firma begann mit dem Internet-Software-Versand und erweiterte ihr Programm später auf Internet-Dienstleistungen aller Art. 1998 schloss Brockes parallel sein Studium ab. Seit dem Verkauf des Unternehmens gönnt sich der gelernte Mittelständler eine unternehmerische Pause und konzentriert sich ganz auf die Politik. "Das ist aber ein Mandat auf Zeit", schränkt der Liberale ein. "Ich möchte nicht mit 80 Jahren aus dem Landtag getragen werden. Deshalb werde ich mich sicher irgendwann wieder selbstständig machen." Bei der Landtagswahl im Mai 2010 hat Brockes mit Listenplatz 8 eine aussichtsreiche Chance auf die Wiederwahl in das Düsseldorfer Parlament. Erstmals gilt bei der Landtagswahl das Zweistimmenwahlrecht: Brockes erhofft sich ein FDP-Wahlergebnis von "10 Prozent plus X". Als wirtschaftspolitischer Sprecher und neu gewählter stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Landtag ist Brockes in der liberalen Partei zuletzt weit nach vorn gerückt. Das Gewicht der Landes-FDP in der Bundespartei sieht der Politiker mit der Nominierung des neuen Generalsekretärs Christian Lindner weiter gestärkt.
    Nach fast zehn Jahren im Landtag hat der Liberale natürlich auch Schwachstellen im Landesparlament entdeckt. "Die Organisation müsste effektiver sein." Während der Bundestag zwischen Sitzungs- und Wahlkreiswochen unterscheide, tage der Landtag außerhalb der Ferienzeit fast durchgängig. "Auch deshalb sitzen im Parlament zu wenige Selbstständige und enorm viele Abgeordnete aus dem Öffentlichen Dienst", klagt Brockes. Folgewirkungen: "Bürokratie und hoher Personalbestand in Behörden lassen sich so nur schwer abbauen."
    Wilfried Goebels

    ID: LI100222

  • Porträt: Reiner Priggen (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 20.01.2010

    Wenn Reiner Priggen im Plenarsaal des Landtags am Rednerpult steht, dann hören selbst diejenigen auf der Regierungsbank zu, die ansonsten bei Redebeiträgen von Vertretern der Opposition demonstrativ ihr Desinteresse zur Schau stellen, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) zum Beispiel, oder seine Wirtschaftsministerin und Parteifreundin Christa Thoben. Denn bei dem 56-jährigen Maschinenbau-Ingenieur, der aus Westfalen stammt und jetzt in Aachen lebt, hat jeder den Eindruck, dass Priggen weiß, worüber er redet, dass er von der Materie etwas versteht. Sein zentrales Anliegen ist eine neue Energiepolitik, der weitestgehende Verzicht auf die umweltschädliche Verbrennung von fossilen Energieträgern wie Steinkohle, Braunkohle und Öl und die intelligente Nutzung von regenerativen Energien wie Wind, Sonne und Wasser. Den alten grünen Leitspruch "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt" gibt Priggen unverändert als sein politisches Motto an. Er will mit dazu beitragen, dass auch seine Kinder, Enkel und deren Nachkommen auf einer Erde leben mit sauberem Wasser, unverseuchten Böden und reiner Luft.
    Zu den Grünen ist Priggen 1984 eher durch Zufall gestoßen. Er lebte damals im ostwestfälisch-lippischen Kalletal und arbeitete als Ingenieur, als ein Elektriker aus einem Nachbardorf ihn ansprach, ob er nicht bei der Gründung eines Kreisverbands der Grünen mitmachen wolle. Priggen wollte, denn die SPD, für die er sich auch interessiert hatte, regierte damals den Kreis mit absoluter Mehrheit und trat für sein Gefühl zu "machtbewusst-arrogant" auf. Und für die örtliche CDU waren die Grünen, zu deren Kreistagsfraktion Priggen schon bald gehörte, nichts anderes als der "parlamentarische Arm der Roten-Armee-Fraktion", erinnert er sich heute grinsend. Einfach hatte es der eher nüchtern und pragmatisch denkende Priggen bei den Grünen aber auch nicht. Die junge Partei wurde von wilden Flügelkämpfen zerrissen, Fundis gegen Realos, lautete die oberste Devise, "das waren keine Flügel, das waren Konfessionen", sagt Priggen heute, und damit waren es auch keine politischen Auseinandersetzungen, sondern Glaubenskriege.
    Priggen hielt sich aus dem Lagerdenken weitgehend raus, gleichgesinnte Gesprächspartner fand er in Antje Vollmer, später Vizepräsidentin des Bundestags, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, ehemaliger Europaabgeordneter, oder Reinhard Loske, ehemaliger Staatssekretär. Im Landesverband NRW, den er von 1994 bis 2000 zusammen mit Barbara Steffens, heute ebenfalls Landtagsabgeordnete, in der bei den Grünen üblichen Doppelspitze führte, fühlte er sich dabei einigermaßen zu Hause. "In NRW gab es eine lange Tradition, den Laden zusammenzuhalten." In der politischen Arbeit in Düsseldorf lernte Priggen auch seine Frau Gisela Nacken kennen, Landtagsabgeordnete von 1990 bis 1999, davon die letzten fünf als Fraktionsvorsitzende.
    Priggen stand an der Parteispitze, als die NRW-Grünen ihren bislang größten politischen Erfolg feiern konnten: den Erfolg bei der Landtagswahl 1995, bei der sie ihr Ergebnis von fünf auf zehn Prozent verdoppeln konnten und der ihnen nach überaus schwierigen Koalitionsverhandlungen mit der SPD erstmalig die Beteiligung an der Regierung in Düsseldorf einbrachte. Dass sie mitregieren wollten, stand für die Grünen damals außerhalb der Debatte. Schließlich ging es ja auch darum, mit der Wucht des Wahlsiegs in Düsseldorf die ungeliebte Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in Bonn zu stürzen, was drei Jahre später tatsächlich gelang.
    Noch heute ist Priggen überzeugt, dass der inhaltliche Preis, den die Grünen damals zahlen mussten, nicht zu hoch war. "Wir haben damals die Weichen gestellt, dass NRW das Thema Umweltwirtschaft, ökologische Produktionsverfahren als Zukunftsthema erkannt hat." Verzweifeln kann er heue noch, wenn er erleben muss, dass die "Mächte der Finsternis", wie er die Energieriesen RWE und EON spöttisch tituliert, sich immer wieder bei den regierenden Politikern durchsetzen, egal, welches Parteibuch sie haben, und damit Chancen für eine umweltverträgliche Energieversorgung verpasst werden. Auf der anderen Seite freut er sich umso mehr, wenn zu einer Veranstaltung der Grünen zum Thema Kraft/Wärme-Kopplung, seinem ganz besonderen Steckenpferd, über 250 Leute kommen und die meisten von ihnen nicht das grüne Parteibuch haben.
    Für Hobbys bleibt Priggen, der in Aachen auch kommunalpolitisch engagiert ist, keine Zeit. Dafür freut er sich immer wieder auf den Urlaub mit Frau, den beiden mittlerweile 16 und 18 Jahre alten Kindern und vielen Freunden in einem kleinen Dorf in Schweden.
    Peter Jansen

    ID: LI100122

  • Porträt: Stefanie Wiegand (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 12 - 17.12.2009

    Den Weg zur Sozialdemokratie hat Stefanie Wiegand erst zur Jahrtausendwende gefunden. Dann aber ging es für die studierte Geologin Schlag auf Schlag: Schon 2002 war die Späteinsteigerin Vorsitzende des Münsterländer Ortsvereins Südlohn-Oeding, drei Jahre danach saß Stefanie Wiegand bereits im Düsseldorfer Landtag. Eine Polit-Karriere im D-Zug-Tempo. "Mich hat in der großen Politik einiges geärgert", erinnert sich die Sozialdemokratin an erste Berührungspunkte zur Politik. "Es ist leicht zu schimpfen. Ich wollte selber etwas machen."
    Seit zwei Jahren ist die 40-Jährige Mutter der kleinen Tochter Elena. Das Sein prägt das Bewusstsein: Seit der Geburt hat Stefanie Wiegand die Schwächen im Betreuungssystem und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hautnah kennengelernt. "Ich weiß, wie es ist, wenn der gut organisierte Betreuungsplan wie ein Kartenhaus zusammenbricht", sagt die Politikerin. Wenn die Tagesmutter ausfällt, die Kita geschlossen ist oder das Kind mit 40 Grad Fieber im Bett liegt. Viele Firmenchefs und Kollegen zeigen wenig Verständnis für stornierte Termine.
    In der Lokalpolitik wie im Düsseldorfer Landtag macht sich Stefanie Wiegand deshalb stark für flexible Öffnungszeiten im Kindergarten. Schließlich kann nicht jeder Berufstätige sein Kind um 16 Uhr aus der Kita abholen. Und im Landtag hofft die Abgeordnete, dass der lange versprochene Betriebskindergarten im nächsten Jahr endlich seine Pforten öffnet. "An langen Plenartagen ist es schwierig, eine Betreuung sicherzustellen." Weil der Gatte häufig beruflich unterwegs ist, springen die Großeltern an diesen Tagen oft als Kindermädchen ein. Stefanie Wiegand will für Eltern endlich neue Wege in der Betreuung einschlagen: In der nächsten Wahlperiode möchte sie gern im Familienausschuss ihre Erfahrungen einbringen.
    Die Härten des Politikerdaseins hat die junge Politikerin im Kommunalwahlkampf 2009 erleben müssen. Mit achtbaren 47 Prozent der Stimmen unterlag die Genossin im "schwarzen" Münsterland bei der Kandidatur zur hauptamtlichen Bürgermeisterin für Südlohn und Oeding. Stefanie Wiegand nahm die Niederlage sportlich und bedankte sich bei denen, die ihr das Vertrauen geschenkt hatten. Die Chancen, den Wahlkreis bei der Landtagswahl direkt zu gewinnen, bleiben allerdings gering. Beim letzten Urnengang 2005 lag der CDU-Kandidat mit rund 62 Prozent um Längen vor der Sozialdemokratin Wiegand mit 24,5 Prozent. Die "rote Zora" geht gleichwohl auf alle Katzenhochzeiten, um bei den Wechselwählern zu punkten: "Ich verspreche aber nichts, was ich nicht halten kann." Für die nächste Wahlperiode des Landtags hat sie der eigene Wahlkreis bereits nominiert - Stefanie Wiegend hofft nun auf einen aussichtsreichen Listenplatz. 2005 zog die Liste bis Platz 44. Punktlandung: Wiegend hatte Listenplatz 44. Erst am späten Abend stand der Einzug in den Landtag nach langer Zitterpartie fest.
    Für die Reiterei findet die Pferdebesitzerin im Dauerstress zwischen Südlohn und Düsseldorf zum eigenen Leidwesen nur noch einmal in der Woche Zeit. In ihrer neuen Heimat Südlohn fühlt sich die in Hattingen geborene Politikerin aber pudelwohl. "Der Menschenschlag im Münsterland ist schnell per Du, ist spontan und offen." Als Mitglied des Petitionsausschusses im Landtag bleibt Stefanie Wiegand geerdet. "Ich mache das mit Leib und Seele, weil ich nahe bei den Menschen bin. Die Arbeit holt einen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück." Und im Umweltausschuss kann die Geologin ihre naturwissenschaftlichen Kenntnisse einbringen. Auch wenn der Ausschuss nur wenig mit ihrem Spezialgebiet Lagerstättenkunde für die Erdöl- und Erdgassuche zu tun hat.
    Stefanie Wiegand vertritt den Wahlkreis 78 Borken II. Der letzte Sozialdemokrat, der in diesem Sprengel den Sprung in den Landtag schaffte, war Walter Werner. Der war bis 1958 Mitglied des Landtags. Elf Jahre später wurde die aktive SPD-Politikerin geboren. Nach 47 Jahren Abstinenz hatte Borken II im Jahr 2005 endlich wieder eine SPD-Abgeordnete. Am Muttertag im Mai 2010 will Stefanie Wiegand verhindern, dass der heimische Wahlkreis eine neue Ära ohne eigenen Genossen in Düsseldorf erleiden muss.
    Wilfried Goebels

    ID: LI091221

  • Porträt: Ursula Doppmeier (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 11 - 02.12.2009

    Die Probleme und Sorgen einer alleinerziehenden Mutter und berufstätigen Frau kennt Ursula Doppmeier aus eigener Erfahrung. 1992 starb ihr Mann Hubert, Landtagsabgeordneter von 1980 bis 1990 und ab 1990 Mitglied des Bundestags. Die damals 40-jährige Realschullehrerin mit vier Kindern im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren musste sehen, wie sie allein zurecht kam. Die Rettung in der Not war ihre Mutter. Die Oma zog ins Haus nach Gütersloh und kümmerte sich um die Kinder, Ursula Doppmeier konnte weiter ihrem Beruf nachgehen, seit 2000 sogar als CDU-Landtagsabgeordnete in Düsseldorf.
    Bis zum frühen Tod ihres Mannes hatten die Doppmeiers eine Ehe nach klassischem Muster geführt: Der Jurist und engagierte CDU-Politiker stand im Partei- und Berufsleben, die junge Frau kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Durch Hubert Doppmeier war Ursula auch zur Politik gestoßen. Sie hatte ihn während des Studiums in Münster kennengelernt, war in den Ring christlich-demokratischer Studenten RCDS eingetreten und nach Abschluss ihres Lehrerstudiums auch in die CDU.
    Die Entscheidung, nicht nur als passives Mitglied brav die Beiträge zu entrichten, sondern sich aktiv in der Politik zu engagieren, hing in den 90er-Jahren mit ihrer neuen Rolle als alleinerziehende Mutter und den damit verbundenen Schwierigkeiten und Nachteilen zusammen. Den Ausschlag gab ein eher banaler Vorfall: In einem Spaßbad wollte man ihr und den vier Kinder eine günstige Familienkarte verweigern, weil kein Vater dabei war. Sie engagierte sich in der Frauen- Union im heimischen Gütersloh, übernahm 1997 den Vorsitz dessen Kreisverbands. Und als 2000 die CDU einen Kandidaten für einen der drei Wahlkreise des Kreises Gütersloh suchte, fiel die Wahl der Westfalen auf die im rheinischen Langenfeld geborene Lehrerin.
    Das Thema Frauenpolitik ist Doppmeier bis heute nicht los geworden. In ihrer zweiten Legislaturperiode wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Fraktion gewählt mit den Zuständigkeiten für diesen Bereich sowie für Familienpolitik, Generationsfragen und Integration. Weil sie weiß, wie schwer sie es in den 90er- Jahren hatte, ihre Aufgaben als Mutter und ihre Tätigkeit als Lehrerin an einer Realschule unter einen Hut zu bringen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in ihren Augen nach wie vor eines der größten und drängendsten Probleme. Dabei sieht sie nicht nur die Wirtschaft in der Pflicht, "wir müssen als Politiker die Strukturen schaffen, damit alleinerziehende Mütter und Väter arbeiten und sich um die Kinder kümmern können", etwa durch ausreichende Angebote zur Kinderbetreuung oder familienfreundliche Arbeitszeiten. Oft seien es kleine Maßnahmen mit wenig Aufwand, die trotzdem viel bewirkten und sich in großen Unternehmen ebenso unkompliziert umsetzen ließen wie in Klein- und Mittelbetrieben. So etwa die Anpassung der Arbeitszeiten an die Fahrpläne von Bussen und Bahnen, die Schaffung von Telearbeitsplätzen oder die Organisation eines Notfalldiensts, wenn einmal die regelmäßige Kinderbetreuung plötzlich ausfällt.
    Gute Beispiele müssten publik gemacht werden, sagt Doppmeier und hält der Wirtschaft vor, Familienfreundlichkeit im Betrieb werde zunehmend zu einem wichtigen Standortfaktor im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter.
    Auf ihrer Internetseite informiert die CDU-Frau in aller Ausführlichkeit über ihre Arbeit in Düsseldorf und im Wahlkreis. "Ich halte es für ganz wichtig, meine Arbeit für jedermann zugänglich darzustellen, und das Internet ist dabei genauso wichtig wie die lokale Zeitung." Die Zugriffe auf www.ursula-doppmeier.de hätten in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen, auch ältere Menschen würden immer häufiger ihre Scheu vor der neuen Technik überwinden und sich an den PC oder ans Notebook setzen. Das wichtigste Kommunikationsmittel ist für Doppmeier allerdings unverändert das persönliche Gespräch, und deshalb ist sie nicht nur ständig im Wahlkreis unterwegs, sie lädt auch unermüdlich Besuchergruppen aus Ostwestfalen nach Düsseldorf ein, allein 45 in dieser Legislaturperiode. E-Mail und SMS sind für sie auch privat unentbehrlich, um mit den vier Kindern in ständigem Kontakt zu bleiben. Und wenn eine Tochter im nächsten Jahr nach Neuseeland geht, will sie es auch mal mit der Internettelefonie versuchen.
    Weil ihr Arbeitstag, vor allem wenn sie von Gütersloh nach Düsseldorf muss, morgens um fünf Uhr beginnt und meist erst in den Abendstunden endet, bleibt für Hobbys wenig Zeit. Dazu gehören neben Reisen spannende Lektüre, am liebsten Fantasyromane wie die der amerikanischen Bestsellerautorin Stephenie Meyer. Und am Sonntagabend freut sie sich, wenn im Fernsehen ein "Tatort" aus Münster mit Kommissar Thiel und Professor Börne läuft.
    Peter Jansen

    ID: LI091123

  • Porträt: Marc Ratajczak (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 04.11.2009

    Wenn es eben passt, "cruised" Marc Ratajczak mit dem Motorrad zu seinen Terminen. "Das macht unheimlich viel Spaß. Man ist flexibel und findet überall einen Parkplatz", begeistert sich der CDU-Abgeordnete für seine Suzuki V-Strom. Nachdem der 36-jährige im letzten Jahr den Motorradführerschein machte, fährt er leidenschaftlich gern. Allerdings gibt es ab und an Probleme mit der Kleiderordnung. "Mit Motorradklamotten zum Richtfest, das kommt nicht so gut", weiß der CDU-Mann aus Erfahrung. "Deshalb habe ich meistens einen Anzug im Topcase." Als er unlängst ein Grußwort zum 100. Geburtstag eines Kindergartens halten musste, hat er sich in der Umkleide einer nahe gelegenen Bäckerei umgezogen: "Ich kam mir vor wie Supermann, der wechselt ja auch immer in Telefonzellen die Sachen", lacht Ratajczak.
    Besonders überrascht den CDU-Mann, wie schnell er über sein Motorrad mit den Menschen ins Gespräch kommt. " Es ist unglaublich, wie viele sich für Motorräder interessieren und die Distanz, die es zuweilen gibt, wenn ich in Schlips und Kragen erscheine, gibt’s nicht, wenn ich mit dem Motorrad komme." Während das Motorradfahren sich auf die Sommermonate beschränkt, sind die übrigen Hobbys von Marc Ratajczak jahreszeitlich ungebunden. Als ehemaliger Messdiener ist er heute Gruppenleiter in der Katholischen Jugend. Aus seiner Zeit bei der Freiwilligen Feuerwehr und beim DRK macht er als staatlich geprüfter Rettungssanitäter auch heute noch an Wochenenden bei Festen Sanitätsdienst. "Da kommt mein Helfersyndrom zum Vorschein", witzelt er über sein soziales Engagement.
    Von Beruf ist Marc Ratajczak bodenständiger Betriebswirt. Nach Fachhochschulreife und Ausbildung zum Kaufmann der Grundstücksund Wohnungswirtschaft arbeitete er bei einer Genossenschaft, studierte dann an der privaten Hochschule für Wirtschaft in Bochum und war nach seinem Abschluss als staatlich geprüfter Betriebswirt als Geschäftsführungsassistent bei einem Düsseldorfer Immobilienunternehmen tätig, ehe er Landtagsabgeordneter wurde.
    Sein erster Kontakt zur Politik war zufällig und eher spielerisch. Die Junge Union lud ihn zu einer Rallye ein, bei der er Schlusslicht wurde. "Damit mir das nicht noch mal passiert, bin ich 1988 in die JU eingetreten. Da konnte ich die Aufgaben selber stellen", meint er fröhlich. 1991 wurde er CDU-Mitglied. Seit 1994 gehört er dem Rat seiner Heimatstadt Mettmann an. Als man ihn 2004 fragte, ob er für den Landtag kandidieren wolle, lehnte er zunächst ab, ließ sich dann aber doch überreden und zog nach einem sehr persönlich und unkonventionell geführten Wahlkampf mit einem Direktmandat in den Düsseldorfer Landtag ein.
    Anlaufschwierigkeiten hatte er nicht, zumal das Fernsehen ihn als Neuling ausgeguckt und bei seinen ersten Schritten als Abgeordneter begleitete. Auf diese Weise wurde er hochoffiziell begrüßt und besichtigte im Scheinwerferlicht das Parlamentsgebäude. "Eigentlich waren alle CDU-Abgeordneten Anfänger, weil noch keiner einer Regierungsfraktion angehört hatte", erinnert er sich.
    Bei der Auswahl seiner Ausschüsse hatte der CDU-Politiker Glück. "Ich wollte unbedingt in den Petitionsausschuss, weil man da wirklich etwas bewegen kann. Außerdem behält man als Mitglied in diesem Ausschuss die Bodenhaftung, weil man mit den Sorgen der Bürger konfrontiert wird." Außerdem ist Ratajczak im Ausschuss für Schule und Weiterbildung sowie im Ausschuss für Generationen, Familie und Integration. Viel Zeit investiert er in seine Aufgabe als Sektenexperte der CDU-Fraktion. "Es geht vor allem darum, in Schulen, aber auch an Handwerkskammern und IHKs für Prävention zu werben."
    Besonders gern betreut Marc Ratajczak Besuchergruppen aus seinem Wahlkreis Mettmann IV. Fast jede Woche führt er eine Gruppe durch den Landtag. Für Kinder hat er sich ein Spezialprogramm ausgedacht, um ihnen die Politik verständlich zu machen. Überhaupt fühlt sich der Christdemokrat seinem Wahlkreis sehr verbunden. Regelmäßig hat er Sprechstunden in seinem Wahlkreisbüro. "Ich versuche, für die Menschen vor Ort ein offenes Ohr zu haben", sagt Ratajczak. Im Landtag versteht er sich als Verbindungsmann zur Basis. Er hat sich so gut in seine Arbeit als Landtagsabgeordneter eingearbeitet, dass er gern wieder kandidieren würde. Ein oder zwei weitere Legislaturperioden als Politiker kann er sich gut vorstellen. "Es macht unglaublich viel Spaß und das Feedback der Bürger spornt an, noch mehr zu tun", bilanziert Marc Ratajczak.
    Gerlind Schaidt

    ID: LI091022

  • Porträt: Wolfgang Röken (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 9 - 07.10.2009

    "Als ich 1995 mit 52 Jahren mein Landtagsmandat angetreten bin, habe ich gesagt: Ich werde die Welt nicht verändern und nicht den Düsseldorfer Himmel stürmen. Ich werde aber an den kleinen Dingen drehen."
    Auch fast anderthalb Jahrzehnte später ist Wolfgang Röken noch immer sehr präzise präsent, mit welchen Gedanken er seinerzeit den Wechsel von der Kommunal- in die Landespolitik vollzogen hat. Nun stehen ein solch offenes Bekenntnis zu Bescheidenheit sowie die Einsicht in die Begrenztheit persönlichen Einflusses und politischen Handelns prinzipiell jedem Menschen gut zu Gesicht. Doch bei allem Understatement ist es ebenso so richtig festzuhalten, dass der Gladbecker Sozialdemokrat bereits in seinem kommunalen Politikerleben eine durchaus respektable Erfolgsbilanz aufzuweisen hat. "Richtig gepackt worden durch die Politik bin ich eigentlich durch den Kampf um die Selbstständigkeit Gladbecks", erinnert sich Röken an seine politischen Anfänge zurück. Die liegen darin, dass Röken es sich zugute schreiben lassen darf, als einer der Akteure Mitte der 70-Jahre GlaBotKi und GlaGelsKi mit verhindert und maßgeblich den Weg für die Eingliederung seiner Heimatstadt Gladbeck in den Kreis Recklinghausen geebnet hat. Inzwischen sind diese beiden Kunstwörter, die für die ungeliebte Zusammenlegung der Städte Gladbeck, Bottrop und Kirchhellen bzw. später Gladbeck, Gelsenkirchen und Kirchhellen stehen, zwar längst auf dem Müllhaufen der Landesgeschichte gelandet. Wer jedoch die harten politischen und juristischen Auseinandersetzungen in NRW erlebt hat, erinnert sich genau, welche gewaltigen Emotionen dieses Thema damals freigesetzt hat und Wanne-Eickeler und Wattenscheider noch heute in Wallung bringt. Bei seinem Parteieintritt 1970 hatte der nach dem frühen Tod des Vaters in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Röken sein Lehramtsstudium abgeschlossen und seine erste Stelle angetreten. Diese Reihenfolge hatte er bewusst eingehalten: "Vom Kreißsaal über den Hörsaal in den Plenarsaal war mir von jeher ein Greuel", sagt Röken: "Ein Politiker muss einen handfesten Beruf haben und nicht auf Politik angewiesen sein."
    Dass die kommunalpolitischen Turbulenzen Röken bereits 1976 mit 33 Jahren ins Gladbecker Oberbürgermeisteramt brachten, war weniger einer groß angelegten Strategie geschuldet. Nachdem die Groß-Bottroper Träume am Nikolaustag 1975 vor dem Verfassungsgericht platzten, lag es auf der Hand, den jungen SPD-Vorsitzenden auch zum Ersten Bürger der Stadt zu wählen.
    Nicht die Bildungspolitik ("Im Schulausschuss sitzen genug Lehrerinnen und Lehrer"), sondern Stadtentwicklung und Verkehr bildeten fortan bis zum heutigen Tag die politischen Schwerpunkte Rökens, der in diesem Fachausschuss den Vorsitz inne hat. Sein Bürgermeisteramt verlor er 1994 durch eine der ersten schwarz-grünen Koalitionen. Er war beteiligt an der Gründung des Verkehrsverbundes Rhein Ruhr 1980, brachte das Ticket 2000 und das Semesterticket mit auf den Weg und sorgte als passionierter Radfahrer dafür, dass Gladbeck zu den Gründungskommunen der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte gehörte. Auch das Kulturzentrum - Jugendzentrum, Stadtbücherei, Stadthalle -, das Bürgerhaus und das Schulzentrum Brauck fallen in seine Gladbecker Zeit. Stolz ist Röken auch auf die von ihm auf den Weg gebrachten neuen Städtepartnerschaften mit Wodzislaw Slaski (ehemals Loslau) in Polen (1990) und Alanya in der Türkei (1993) als Ausdruck fortschreitender Integrationsbemühungen. Konsequenterweise stieß der begeisterte Jazz-Fan in der letzten Legislaturperiode im Landtag auch die deutsch-türkische Parlamentariergruppe an.
    Dass bei dem großen Engagement der private Freiraum nicht allzu zu kurz kommt, ist dem zweifachen Familienvater und Großvater einer Enkeltochter gleichwohl sehr wichtig: "Den Sommerurlaub verbringen wir immer mit der ganzen Großfamilie. Jeder muss ein solches Refugium haben."
    Von Politikmüdigkeit will Röken trotz des inzwischen erreichten kalendarischen Rentenalters nichts wissen: "Ich bin fit und es macht mir im Landtag nach wie vor richtig Spaß, zumal im Bereich Bauen und Verkehr auch noch einiges für Dorsten und Gladbeck zu erledigen ist: A 52, Stadtumbau West, Soziale Stadt. Deshalb habe ich auch meine Bereitschaft signalisiert, 2010 noch einmal antreten zu wollen", ist Röken mit Hinweis auf seine Erfahrung, Kompetenz und Reputation zuversichtlich.
    Michael Fritsch

    ID: LI090918

  • Porträt: Helene Hammelrath (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 8 - 09.09.2009

    Wer die Homepage von Helene Hammelrath besucht, findet nicht nur Informationen über die SPD-Abgeordnete und ihre politischen Aktivitäten, sondern auch gleich noch Kochrezepte und Verbrauchertipps. Unter dem Link "Futter für‘s Volk" gibt es bei der Parlamentarierin jede Woche neue Kochvorschläge und Nützliches für den Haushalt. Die Rezepte sind auch in gedruckter Form als kleine rote Kochbücher zu haben. Helene Hammelrath verteilt die Büchlein als Visitenkarte in ihrem Rheinisch-Bergischen Wahlkreis. "Kochen hat zwar nicht direkt etwas mit Politik zu tun. Aber mit Rezepten ist es ein wenig wie in der Politik. Beim Kochen soll es am Ende schmackhaft sein. Auch für eine erfolgreiche Politik benötigt man gute Rezepte", meint die SPD-Politikerin.
    Die 1950 in Bensberg geborene SPD-Politikerin ist zwar erst seit 2005 im NRW-Landtag, doch sie ist schon Vollprofi. "Mir ist es ganz wichtig, mich um Probleme der Bürgerinnen und Bürger zu kümmern", beschreibt sie den Schwerpunkt ihrer Arbeit. Folgerichtig macht sie ihre Wahlkreisarbeit beim Bürger vor Ort. "Die Termine werden mit meinem Wahlkreisbüro abgesprochen, aber ich treffe mich grundsätzlich mit den Menschen dort, wo sie leben. Da lasse ich mir die Probleme hautnah vorführen und sehe sofort, worum es geht", erläutert sie ihre Arbeitsweise.
    Als Mitglied im Wirtschaftsausschuss geht es dabei häufig um den Erhalt von Arbeitsplätzen, die Ansiedlung von Unternehmen, aber auch verkehrstechnische Fragen. Wie heimatverbunden die SPD-Frau ihre Mandatsarbeit angeht, zeigt sich darin, dass sie vom Finanzausschuss in den Sportausschuss wechselte, um die Sportaktivitäten ihres Hand- und Fußballbegeisterten Wahlkreises besser unterstützen zu können. Und natürlich ist Helene Hammelrath auch selber Mitglied in einem Fußballverein.
    Als jüngstes von zwölf Kindern hat sie ein realistisches Lebensbild und früh gelernt, das Beste aus jeder Situation zu machen. Ihre Familie wurzelt in einem christlich-katholischen Umfeld und ihre Eltern standen dem Zentrum nahe. Der Vater war Kaufmann und parteipolitisch ungebunden, allerdings ein strikter Gegner des Nationalsozialismus, was während des Dritten Reiches zu vielerlei Schwierigkeiten für die Familie führte. "Weil mein Vater offen seine Meinung äußerte, schwebte immer ein Damoklesschwert über ihm", weiß die SPD-Politikerin und fügt stolz hinzu: "Aber ich bin sehr glücklich, dass meine Eltern so waren, wie sie waren."
    Helene Hammelrath machte nach dem Abitur eine Banklehre bei der Kreissparkasse Köln, wurde Bundesbankbetriebswirtin, wechselte wieder in die freie Wirtschaft zum Genossenschaftsverband Rheinland und ging danach zur Bank für Sozialwirtschaft. 1992 gründete sie die Bürgschaftsbank für Sozialwirtschaft in Köln und ist seither deren Geschäftsführerin. Voller Überzeugung sagt sie: "Ich bin mit Leib und Seele Bankerin".
    Durch das politisch wie sozial engagierte Elternhaus hatte Helene Hammelrath schon früh einen Bezug zu politischen Dingen. Sie entschied sich für die SPD als politische Heimat. 1976 trat sie in die Partei ein, drei Jahre später saß sie im Rat der Stadt Bergisch Gladbach, war Mitglied der Arbeiterwohlfahrt und Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Seit 1991 ist Helene Hammelrath stellvertretende Bürgermeisterin. 2000 fehlten ihr ein paar hundert Stimmen zum Einzug in den NRW-Landtag, fünf Jahre später klappte es über die Landesliste. Inzwischen ist sie so gut im Geschäft, dass sie, sofern die Partei zustimmt, 2010 gern noch einmal für den Landtag kandidieren möchte.
    Über ihre zahlreichen Funktionen in der Kommunalpolitik kam die SPD-Politikerin auch zum Karneval: "Der Aufsichtsrat der BELKAM, dem ich angehörte, wurde 1999 angesprochen, ob wir uns vorstellen könnten, das Dreigestirn für Bergisch Gladbach zu stellen; wir haben nach kurzem Überlegen zugesagt." Als einzige Frau im Gremium übernahm Helene Hammelrath die Rolle der Jungfrau. "Damals wussten wir nicht, auf was wir uns da eingelassen hatten. Wir hatten 148 Auftritte in kürzester Zeit. Es war unbeschreiblich", erinnert sie sich. Heute ist sie nur noch inaktives Mitglied, geht aber natürlich zu Sitzungen und auch den heimatlichen Zug anschauen.
    Ihre Freizeitaktivitäten bezeichnet die SPD-Abgeordnete als "zwangsläufig etwas dürftig". Sie kocht gern, hat einen Lebensgefährten, der sie in allem unterstützt, und sie versucht, sich jede Woche ein wenig Zeit freizuschaufeln, um sich um ihre zwei Patenkinder zu kümmern. "Mit dem kleinen Vierjährigen verbringe ich ein paar Stunden auf dem Bauernhof oder unternehme sonst etwas mit ihm."
    Gerlind Schaidt

    ID: LI090827

  • Porträt: Ewald Groth (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 24.06.2009

    "Ich habe mir in meinem Leben viel erarbeitet und dabei viel Glück gehabt, aber das war noch einmal der größte Zuschlag." Eine durchaus bemerkenswerte Feststellung aus dem Mund des Grünen-Politikers Ewald Groth, der bislang durch übertriebene Demut in seinen öffentlichen Äußerungen nicht auffällig geworden ist. Wenn er jedoch auf seine kleinen Zwillingssöhne zu sprechen kommt, ändert sich die Tonlage schlagartig. "Schön, dass man noch einmal eine Ausrichtung auf das wirklich Wichtige im Leben hat", bewertet er es als Geschenk, dass er im vergangenen Jahr im vergleichsweise fortgeschrittenen Alter noch einmal Vater geworden ist. Erst jüngst hat er es genossen, die beiden beim täglichen Joggen am Strand auf Rügen vor sich herschieben zu können.
    Was die Suche nach dem Wichtigen im Leben angeht, so hat der 55-Jährige schon eine veritable Reihe von Stationen hinter sich gebracht, die er nicht immer auf geraden Wegen, aber immer mit Fleiß und Durchsetzungskraft ansteuerte. Geboren in einem Bergarbeiter-Haushalt in Lünen machte Groth zunächst nach der mittleren Reife eine Ausbildung bei der Post, bevor er in den 70er-Jahren die Fachhochschulreife und dann per Abendgymnasium das Vollabitur nachholte, um anschließend an der Heilpädagogischen Hochschule in Dortmund das Lehramt anzustreben. Nach zwei längeren Rucksackreisen in Asien und Australien trat Groth 1982 dann sein Referendariat in Osnabrück an. Nachdem er dort eine Krankenhausschule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgebaut hatte, zog er Ende 1988 aus privaten Gründen ins münsterländische Ostbevern im Kreis Warendorf und wechselte beruflich an die Albert-Schweitzer-Schule in Münster.
    Ostbevern ist auch der eher unspektakuläre Ausgangspunkt seiner politischen Karriere: "Da gab es eine Einladung des grünen Kreisverbandes Warendorf zur Gründung eines Ortsverbandes, und da bin ich dann einfach mal hingegangen", erinnert er sich an die Zeit vor 20 Jahren zurück. Er ergriff mit einer Mitstreiterin und einem Mitstreiter die Initiative und führte nach den Kommunalwahlen 1989 maßgeblich das grüne Element in die politische Landschaft Ostbeverns ein. Ambitionen auf die Landesebene hatte Groth zunächst nicht. "Ich war glücklicher Familienmensch und Sonderpädagoge mit Leib und Seele", blickt er auf seinen Lebensabschnitt im Münsterland zurück, bevor er für die Landtagswahl 1995 vorgeschlagen wurde. Auch kannte er bis zu diesem Zeitpunkt die grünen Speerspitzen Bärbel Höhn und Michael Vesper überhaupt noch gar nicht. Während die beiden Ex-Minister inzwischen in die Landeshistorie eingegangen sind, gehört Ewald Groth, der mittlerweile seit zehn Jahren in Bochum wohnt, heute neben Fraktionschefin Sylvia Löhrmann und dem Parlamentarischen Geschäftsführer Johannes Remmel zu den grünen Urgesteinen in der Landtagsfraktion. Den Reiz, Berufspolitiker werden zu wollen, sah Groth vor seinem ersten Mandat darin, mehr Zeit zu haben. Ein Trugschluss, wie sich bald herausstellen sollte: Allein im Wissenschaftsausschuss, dem er vorsitzt, im Sportausschuss und im Haushalts- und Finanzausschuss mit seinen drei Unterausschüssen hat er in dieser Legislaturperiode an über 160 Sitzungen teilgenommen. Ein Schicksal, an dem "Mehrthemen- Politiker" kleinerer Fraktionen nur schlecht vorbeikommen. Seinen Ruf als lautstarker Zwischenrufer und Polarisierer im Plenum und im Haushalts- und Finanzausschuss hat Groth sich redlich erarbeitet. "Ich bin da aber auch sensibel", räumt er ein, "wenn ich merke, dass die Mehrheit mit den Steuern nicht sorgsam verfährt und ich das nachweisen kann". "Als guter Teamspieler kann ich aber auch Konsens", sagt der 55-Jährige unter Hinweis auf die Enquete-Kommission "Effektive Präventionspolitik", die im Anschluss an den Untersuchungsausschuss zum Siegburger Foltermord eingerichtet wurde: "Ich bin sicher, dass wir da ein gutes Ergebnis hinbekommen werden", sagt Groth optimistisch voraus.
    Auch macht er keinen Hehl daraus, dass er als Abgeordneter 2010 gerne noch einmal in Regierungsverantwortung kommen möchte: "Ich will es noch einmal wissen und bin sicher, dass wir es mit grünen Ideen besser machen würden", gibt er sich kämpferisch. Dabei setzt er in den anstehenden parteiinternen Entscheidungsprozessen der kommenden Monate auf die reiche Erfahrung in seinen Politikfeldern, die allesamt nicht die klassischen "urgrünen" Themen wie Umwelt, Energie oder Sozialpolitik sind. "Ich beackere nur Themen, wo man für Grün werben muss", sagt er zu seinem politischen Profil.
    Michael Fritsch

    ID: LI090722

  • Porträt: Volkmar Klein (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 27.05.2009

    Im Düsseldorfer Landtag dreht sich die Welt des CDU-Finanzsprechers Volkmar Klein um Zahlen, Zahlen, Zahlen. Privat findet der 48-Jährige als Vorsitzender des Heimatvereins Burbach einen willkommenen Ausgleich. "Ich bin mit Herz und Seele Siegerländer", betont der Mann mit dem moselfränkischen Dialekt. "Gut, wenn man erkennt, wo die Leute herkommen." Beim Siegerländer mit dem rollenden "R" ist das auch 1.000 Jahre nach der Besiedelung der Region durch die Franken deutlich hörbar.
    Politisch tanzt Volkmar Klein auf vielen Hochzeiten. Vorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der Union, Kreisvorsitzender der CDU-Siegen-Wittgenstein, Ratsmitglied in Burbach, Mitglied im CDU-Landesvorstand und Landtagsabgeordneter - da kommt schnell mancher Termin zusammen. "Mein Frau sagt, sie sei alleinerziehende Mutter von vier Töchtern", schmunzelt Klein. Der Familienvater teilt sich die knappe Zeit genau ein. "Man muss die Freizeit intensiver nutzen und etwas unternehmen." Leicht gesagt: Das Kanu kommt nur noch selten ins Wasser.
    Nach 14 Jahren im Düsseldorfer Landtag zieht es Klein im Herbst nach Berlin. Der Kreisverband hat den versierten Experten für Finanzen, Entwicklungshilfe und Gesundheit als Kandidaten für den Bundestag nominiert. "Ich hoffe, dass ich den Wahlkreis Siegen-Wittgenstein direkt gewinne", hofft Klein - dem Vorgänger von der CDU fehlten bei der Bundestagswahl 2005 nur zwei Prozentpunkte. Der agile Kandidat ist als ehemaliger Bürgermeister von Burbach aber bestens vernetzt vor Ort. Außerdem steht Klein auf Platz 32 der CDU-Landesliste für den Bundestag. Die Chancen für den Sprung in den Bundestag sind nicht schlecht.
    Klein versteht sich als Wertkonservativer, der Brücken baut zwischen der CDU und den Kirchen. "Das christliche Menschenbild ist eine wichtige Wurzel der Unon", mahnt Klein. Auch deshalb pflegt der Christdemokrat enge Kontakte zu Entwicklungsprojekten in Ghana und in der Ukraine. Als ehemaliges Mitglied der Geschäftsführung der Wittgensteiner Kliniken kennt Klein die drängenden Probleme in der Gesundheitspolitik - nicht nur in Deutschland. Und als Finanzexperte ist Klein Schirmherr einer Organisation für Mikro- Kredite ("Opportunity International") an arme Mini-Unternehmer in Afrika und Osteuropa.
    In der Wirtschaft- und Finanzpolitik steht der Siegerländer eng an der Seite des Sauerländers Friedrich Merz. "Ich fühle mich Merz verbunden: Der Staat muss Regeln setzen, darf aber auf Dauer nicht Mitspieler sein." Die dramatische Finanzkrise ist für Klein nicht Folge eines Marktversagens, sondern ein Versagen der Regulation. "Für Derivat-Geschäfte mussten Banken kein Eigenkapital vorweisen, für Kredite schon. Das darf nicht sein." In Berlin würde Klein künftig gern an der Gestaltung neuer Regeln mitwirken.
    Der CDU-Abgeordnete hat im Landtag beide Seiten kennengelernt: Opposition und Regierungsfraktion. Die persönliche Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg hat Klein als positiv erlebt. "Der Andere wird geachtet, bei der Analyse der Probleme können wir uns oft verständigen. Über die Lösung wird gestritten." Als damaliger Vorsitzender des Finanzausschusses suchte Klein von Amts wegen den Ausgleich.
    Daheim im Siegerland fühlt sich der CDU-Politiker am wohlsten. Im großen Garten hält die Familie freilaufende Hühner. Nicht selten schauen die Kinder der Grundschule vorbei. Auch sonst hat Klein ein offenes Ohr für die Mitmenschen. "Es kostet viel Zeit, weitet aber den eigenen Horizont, wenn man sich auf die Nöte der Bürger vor Ort einlässt."
    Geboren ist der Diplom-Volkswirt in Siegen. Während des Studiums zog es den damals 26-Jährigen mehrere Monate für ein Praktikum zu einer Beratungsfirma ins australische Melbourne. Das hat dem jungen Mann gezeigt, dass es nicht reicht, nur vor der eigenen Haustür zu kehren. Den eigenen Ministerpräsidenten hat Klein für eine Patenschaft für Hilfsprojekte in Ghana gewinnen können. Es sind oft die kleinen Schritte, die die Welt lebenswerter machen.
    Sorgen bereitet dem christlich geprägten Politiker die hohe Verschuldung des Staates. Klein setzt sich für mehr Generationengerechtigkeit ein. "Es macht Sinn, im Bereich der Finanzpolitik tätig zu sein", glaubt Klein, der auch Mitglied im Bundesfachausschuss Finanzen ist. Für die Konsolidierung der Staatshaushalte nach dem Ende der Finanzkrise dürfte jeder Experte gebraucht werden.
    Wilfried Goebels

    ID: LI090624

  • Porträt: Lutz Lienenkämper (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 06.05.2009

    Muss ein wohlsituierter Düsseldorfer Anwalt nicht ein Politik-Junkie sein, wenn er für einen Landesminister-Job der Kanzlei den Rücken kehrt? Der neue Bau- und Verkehrsminister Lutz Lienenkämper antwortet mit einem entschiedenen Nein. Ihm sei Politik nicht Droge, er könne notfalls von ihr lassen. "Aber", dabei drückt sich Lienenkämper behaglich in die Sessellehne seines lichten Chefzimmers, "ich will nicht auf Politik verzichten, ich hab‘ einfach Spaß am Gestalten.”
    Kann denn ein Landespolitiker politisch viel bewegen, gestalten? Zieht es ihn als tüchtigen, ehrgeizigen Enddreißiger nicht mehr in die Bundespolitik? Lienenkämper sagt, er stehe nicht irgendeinem, vielmehr einem richtigen Infrastrukturministerium vor, das Voraussetzungen für Prosperität in NRW schaffen könne und dazu über die Verwendung erheblicher Steuermittel entscheiden könne. Der Jung-Minister, der in dem wohlhabenden Meerbusch im Speckgürtel der Landeshauptstadt lebt, versichert, als Kind des Westens keine Berlin-Phobie zu haben. Berlin sei eine faszinierende Stadt, aber die ständige Pendelei, die ein Mandat in der Hauptstadt erfordere, sei nichts für ihn.
    Eine Heimatpflanze ist der Jurist aber nicht. Er hat privat manchen Kontinent bereist, er liebt besonders das spezielle Flair von Barcelona und würde sich, wenn er wählen könnte, die Lebensmittelpunkte Hamburg, München und Umgebung von Düsseldorf, mit Abstrichen auch Leipzig aussuchen.
    Dass Lienenkämper nicht zu den Asketen, schon gar nicht zu den Miesepetern gehört, spürt man schnell bei der unkompliziert-lebendigen Unterhaltung mit ihm. Gut zu essen und ebenso zu trinken ist ihm wichtig, ein Zeichen von Lebensfreude und Geselligkeit. Rotwein zu sammeln käme ihm nicht in den Sinn, "er wird bei mir nicht alt". Anständig und feste zu arbeiten, sich hernach aber auch mit ordentlicher Küche und gutem Wein zu belohnen - dieses Lebensmotto der pfälzischen CDU-Legende Helmut Kohl ist seinem niederrheinischen Parteifreund vertraut. Zum Kochen fehlt ihm, dem Junggesellen, die Geduld: "Einkaufen, womöglich von Geschäft zu Geschäft eilen, das Ganze über Stunden zubereiten, und dann noch der Abwasch: nein, bitte nicht."
    Lienenkämper bekennt, kein Vorbild zu haben, sich allerdings von vielen beachtenswerten Persönlichkeiten ein bisschen abzugucken. Was entdeckt er dabei an seinem Förderer Jürgen Rüttgers? Der Geförderte antwortet ohne längeres Zögern: "Rüttgers‘ Gelassenheit und den unglaublich ausgebildeten politischen Sensus." Die Standardformel des Ministerpräsidenten, wonach wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit zwei Seiten derselben Medaille seien, trägt der auf Zivil- und Wirtschaftsrecht spezialisierte Anwalt nach eigenem Bekunden mit. Er komme zwar "aus der wirtschaftlichen Ecke", habe jedoch als Sprecher der Fraktion für Wirtschaftspolitik noch nie eine große Meinungsverschiedenheit etwa mit Karl-Josef Laumann, dem Exponenten des CDU-Arbeitnehmerflügels, gehabt. Lienenkämper sagt, er sei weder Ideologe noch Flügelmann. Es ist wohl tatsächlich so: Wer den neuen Minister aus der Nähe erlebt, gewinnt den Eindruck eines Advokaten der jungen bürgerlich-liberalen Mitte, eines Nachwuchs-Politikers, der das CDU/FDP-Bündnis in Ausdruck und Habitus verkörpert.
    Lienenkämper plädiert für den zügigen Ausbau von Straßen- und Schienennetz; den Fluglärmgegnern in seinem Düsseldorf-nahen Wahlkreis, besonders in Meerbusch, will er nicht nach dem Munde reden: "Ich bin Verkehrsministers des Landes, nicht der Lärmbeauftragte des Rheinkreises Neuss." Eventuelle Mahnwachen vor seinem Haus und andere Zudringlichkeiten bereiteten ihm keine schlaflosen Nächte. Außerdem sei der Flughafen Düsseldorf für die Landesregierung ein Arbeitsplatzträger erster Ordnung.
    Den Tennisspieler Lutz Lienenkämper gibt es kaum noch. Radfahren, Krimis lesen und reisend fremde Länder kennenlernen gehören zu Freizeitvergnügen. Mit seinem Vorgänger, dem "geblitzten" Oliver Wittke, empfindet er Mitleid. "Olli" sei über eine Verkettung unglücklicher Umstände gestürzt, seine, Lienenkämpers, erste Reaktion sei gewesen: "Meine Güte, Rücktritt wegen so was?"
    Reinhold Michels

    ID: LI090521

  • Porträt: Hans Theo Peschkes (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 4 - 01.04.2009

    Eine Frage an Hans Theo Peschkes erledigt sich von allein. Egal, ob man ihn zu Hause in Bocholt besucht oder an seinem Arbeitsplatz in Düsseldorf: die nach seinem Lieblingsfußballverein. In seinem Garten weht seit vielen Jahren die Schalker Fahne und die Sitzcouch in seinem Landtagsbüro ziert eine königsblaue Decke mit den Vereinsinsignien des Revierklubs so akkurat, dass man sich gar nicht traut, sich auf einer solchen edlen Devotionalie niederzulassen. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen also für das Amt eines Sportpolitischen Sprechers, das der SPD-Politiker aus dem Münsterland seit seinem Einzug in den Landtag 2005 innehat. Doch täte man Peschkes unrecht, ihn auf den Fußballsport zu reduzieren. Zwar war er in seiner Kindheit zunächst sehr wohl am runden Leder aktiv, wechselte dann aber zum Tischtennis, später zum Segeln und mit Anfang 40 zum Langlauf, wo er es auf beachtliche Leistungen brachte. "Ich gebe zu, ich war damals besessen. Ich habe 14 Marathonläufe bestritten, davon einen in drei Stunden und fünf Minuten. Das konnte sich sehen lassen", ist der heute 62-Jährige zu Recht stolz beim Rückblick auf die 90er-Jahre. Auch die politische Karriere des Hans-Theo Peschkes ist eine Art Marathonlauf, was vor allem mit seinem Wohnort zusammenhängt. "Das Westmünsterland ist für SPD-Leute nicht sehr karrierefördernd", räumt der verheiratete Vater von vier erwachsenen Kindern ein. Ebenso wie die Tatsache, dass er seinen im zweiten Anlauf 2005 errungenen Landtagssitz lediglich dem schlechten Abschneiden seiner Partei und dem damit verbundenen Verlust zahlreicher Direktmandate zu verdanken hat. Ein Realismus, der sich aus jahrzehntelanger politischer Erfahrung auf kommunaler Ebene speist. 40 Jahre ist der gelernte Diplom-Finanzwirt und langjährige Betriebsprüfer in diesem Jahr Mitglied der SPD, in die er wie viele Frauen und Männer seiner Generation über Willy Brandt gekommen ist.
    Erstmals in den Rat seiner Heimatstadt kam Peschkes bei den Kommunalwahlen 1975. Dem Kreistag in Borken gehört er seit 1984 bis heute an, der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe seit 1989 bis 2005. Seit 2001 ist Peschkes zudem Stadtverbandsvorsitzender der SPD in Bocholt - und dennoch mit seinen kommunalen Ambitionen noch nicht am Ende. In diesem Jahr tritt er als Kandidat für den Landratsposten im Kreis Borken an. Wohl wissend, dass seine Aussichten ähnlich einzustufen sind wie diejenigen, als Bocholter SPDPolitiker ein Direktmandat für den Landtag zu erringen. Für seine Außenseiterrolle hat der gern mit einem Schuss Selbstironie operierende Politiker folgende Sprachregelung gefunden: "Es ist nicht zwingend, dass der neue Landrat am Ende Peschkes heißt." Dass er es auch mit CDU-Politikern kann, insbesondere mit seinem direkten Gegenspieler Hendrik Wüst, daraus macht Peschkes im Übrigen keinen Hehl. Eine seiner Töchter hat mit ihm Abitur gemacht. "Wenn Du schlecht über Hendrik redest, dann wähle ich Dich nicht", habe sie ihm gedroht. Daran habe er sich auch gehalten, versichert Peschkes, "obwohl uns politisch natürlich Welten trennen."
    Hatte Peschkes in seinen frühen politischen Jahren zunächst seine beruflichen Kompetenzen als Haushalts-, Finanz- und Steuerexperte eingebracht, so steht jetzt als Landespolitiker der Sport im Mittelpunkt. Und da hat er in den bislang knapp vier Landtagsjahren eine ganz neue Erfahrung gemacht. "Es gibt kein Gebiet mit solch umfassender gesellschaftlicher Bedeutung wie den Sport." Das reiche vom Kindergarten bis zum Seniorensport, von der maßgeblichen Bedeutung für die Gesundheit bis zur Integration. Und deshalb verfolgt Peschkes auch ein großes Ziel: "Ich möchte, dass der Sport endlich die gesellschaftliche Anerkennung findet, die ihm zusteht."
    Als bekennender Familienmensch mit einem inzwischen zehnmonatigen Enkelkind hat Peschkes auch noch einen großen privaten Wunsch. Noch einmal mit der ganzen Großfamilie wie früher an der französische Atlantikküste in Lacanau bei Bordeaux Sommerurlaub zu machen. Das hätten sich Frau und alle gewünscht. "Drei Jahre arbeiten wir schon an dem Projekt, aber noch hat es nicht geklappt", bedauert Peschkes. Aber als Marathonläufer weiß er ja nur zu genau, dass man sein Ziel erreicht, wenn man den Willen dazu hat.
    Michael Fritsch

    ID: LI090423

  • Porträt: Ingrid Pieper-von Heiden (FDP).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 3 - 18.03.2009

    Bei Ingrid Pieper-von Heiden geht immer alles schnell. Das kann man beobachten, wenn die lippische Abgeordnete durch die Gänge und Flure des Landtags eilt, das kann man hören, wenn sie am Rednerpult des Plenarsaals steht und mit beeindruckend vielen Wörtern pro Minute ihre Argumente vorträgt, das kann man auch an ihrer politischen Karriere sehen. 1996 trat die damals 48-Jährige in die FDP ein, damals noch in außerparlamentarischer Opposition, drei Monate später saß sie im Landesfachausschuss Bildungspolitik und noch einmal drei Monate später war sie bereits dessen Vorsitzende. In demselben Tempo ging es weiter: 1998 wurde sie zur Kreisvorsitzenden in Lippe gewählt, 2000 in den NRW-Landtag und in den FDP-Bezirksvorstand Ostwestfalen-Lippe, 2002 in den Landesvorstand ihrer Partei.
    Dass sie sich nach Ausbildung, Berufstätigkeit und Familienleben politisch engagieren wollte, stand für Pieper-von Heiden schon zu Schulzeiten fest und dabei war es für sie ebenso eindeutig, dass dieses Engagement in der FDP stattfinden würde. Auch wenn sie in den 70er-Jahren Sympathien für den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) empfand, hingezogen fühlte sie sich zu anderen Parteien nie. Die Freiburger Thesen, Anfang der 70er-Jahre vom damaligen FDP-Generalsekretär Karl-Hermann Flach entwickelt, waren ihre politische Richtschnur. Hinzu kam, dass sie aus einem liberalen Elternhaus stammt, auch wenn ihr Vater nicht Mitglied der Partei gewesen war. Ihren langfristigen Lebensplan setzte Pieper- von Heiden Schritt für Schritt um. Nach dem Schulbesuch in Lemgo arbeitete sie als Fremdsprachenkorrespondentin und Wirtschaftskorrespondentin, schloss ein Studium der Betriebswirtschaft an, arbeitete bis 1977 als Direktionsassistentin und legte dann eine zehnjährige Auszeit für die Familie ein, allerdings unterbrochen von gelegentlichen Einsätzen als Dolmetscherin für ihren alten Arbeitgeber auf internationalen Messen und Konferenzen. 1988 kehrte sie in das Berufsleben zurück, gab ihre Position aber schon zwei Jahre später für ihre alte Leidenschaft Politik wieder auf. 2000 wurde sie auf dem zunächst aussichtslos erscheinenden Platz 17 der FDP-Landesliste in den Landtag gewählt, mittlerweile muss sie sich um ihre Aufstellung und Wiederwahl nur wenig Sorgen machen.
    Pieper-von Heiden ist mit Leib und Seele Bildungspolitkerin und ihr besonderes Augenmerk gilt dabei hochbegabten Kindern. Schon als ihr mittlerweile 30 Jahre alter Sohn noch zur Schule ging und sie sich in der Elternvertretung engagierte, wurde ihr klar, dass viele dieser Kinder besondere Probleme haben. 2001, als die FDP in NRW in der Opposition war, gründete sie die Stiftung Bildung mit Spenden aus der Wirtschaft, die sie noch heute leitet. Die Stiftung hat mittlerweile einen Leitfaden für den Umgang mit Hochbegabten herausgebracht und Module für die Lehrerfortbildung entwickelt. Sie ist überzeugt, dass es in jeder Schulklasse ein paar Kinder gibt, die mit dem normalen Unterricht unterfordert sind. Erst nach und nach werde über dieses Problem offen gesprochen, sagt sie. Allerdings stecke Deutschland noch in den Anfängen. Es fehle an einer individuellen speziellen Förderung dieser Kinder, nicht zuletzt, weil auch die Lehrer darauf nicht vorbereitet seien.
    Ingrid Pieper-von Heiden ist tief in ihrer lippischen Heimat verwurzelt. Sie bietet ihr die notwendige Sicherheit, hier leben ihre Freunde, hier erholt sie sich an Wochenenden vom Stress der Politik, unter anderem durch Joggen. Dreimal, wenn es gut geht, sonst zweimal schnürt sie am Wochenende die Laufschuhe und besonders stolz ist sie darauf, dass sie schon einmal erfolgreich den Hermannslauf von Detmold nach Bielefeld über gut 30 km geschafft hat und dabei den zehnten Platz in ihrer Altersgruppe belegte. Ihre eigenen Kochkünste stuft sie zwar selbst als äußerst bescheiden ein, umso mehr freut sie sich, wenn sie zu gutem Essen mit Freunden zusammentrifft, vor allem, wenn die Küche italienisch inspiriert ist. Italienisch soll auch der Rotwein sein, bei dem sie nach langen Arbeitstagen vor dem Schlafengehen noch einmal tief durchatmet. Und damit ihre Französisch- Kenntnisse nicht einrosten, liest sie einmal im Jahr ihr Lieblingsbuch, von Emile Zola "Au Bonheur des Dames".
    Peter Jansen

    ID: LI090322

  • Porträt: Walter Kern (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 12.02.2009

    Seine größten Erfolge feierte Walter Kern, CDU-Abgeordneter aus dem lippischen Lemgo, nicht als Politiker im Landtag und auch nicht in seinem Beruf als Sparkassenbetriebswirt. Als noch reichlich junger Fußballer trat er mit seinem Heimatverein unter anderem gegen den TuS Talle an und schaffte es, mehrfach den berüchtigten Abwehrrecken Gerhard "Acker" Schröder, später Bundeskanzler und SPD-Vorsitzender, zu tunneln. Noch heute spielt Kern beim FC Landtag mit, zu einer Begegnung mit Schröder auf dem grünen Rasen ist es aber nicht mehr gekommen.
    Der Sport war es auch, der den Finanzexperten in die Politik brachte. Zwar war er schon mit 18 in die CDU eingetreten, Kern kümmerte sich aber vor allem um sein berufliches Fortkommen. Die politischen Aktivitäten des Fußballers beschränkten sich lange Zeit auf die Mitgliedschaft im Sportausschuss als sachkundiger Bürger. Weil der unermüdlich umtriebige Vater von zwei Kindern auch damals schon durch das auffiel, was er mit einer Prise Selbstironie als "Kern-Kraft" bezeichnet, wurde er schließlich zur erfolgreichen Kandidatur für Rat und Kreistag gewonnen. Als ihn der Lemgoer Bürgermeister Reiner Austermann 2004 fragte, ob er nicht für den Landtag kandidieren wolle, da sagte Kern leichten Herzens zu. Denn der Kampf schien aussichtslos, der Vorsprung der SPD im Wahlkreis 98 betrug 16,5 Prozent. Doch am Wahlabend kam alles anders, 102 Stimmen lag Kern am Ende vor der SPDKandidatin Ina Meise-Laukamp. "Wenn ich die Stimmen meiner Familie abziehe, war der Vorsprung sogar nur zweistellig", grinst Kern und weiß, dass er sich der Stimme seines Sohnes gar nicht sicher sein kann. Der studiert Politikwissenschaften und ist eher grün als schwarz.
    Seine "Kern-Kraft" braucht der gläubige Katholik, um die Belastung einer zwischen Düsseldorf und Lemgo geteilten Arbeitswoche zu überstehen. Um 4.20 Uhr klingelt der Wecker, wenn Kern um kurz vor 9 Uhr in der Landeshauptstadt sein will. Weil dadurch der Nachtschlaf häufig zu kurz kommt, fallen ihm am Wochenende gelegentlich schon bei der Sportschau die Augen zu. Wegen der vielen Fahrerei findet die Wahlkreisarbeit vorwiegend von Freitag bis Montag statt. Als Stress empfindet Kern seine Arbeit aber nicht, Ruhe findet er beim Joggen, für das er sich mehrmals in der Woche Zeit nimmt, beim Kicken im FC Landtag und im Urlaub beim Malen. Das kam allerdings im vergangenen Jahr recht kurz, denn er ist mit Frau und Freunden sieben Tage durch seinen Wahlkreis gewandert, insgesamt 175 Kilometer, immer mit wechselnden Begleitern. Für Kern ein beeindruckendes Erlebnis: "Ich habe meine engere Heimat von einer ganz anderen Seite kennen gelernt." Außerdem versucht er möglichst oft, an der in Sitzungswochen regelmäßigen ökumenischen Morgenandacht im Landtag teilzunehmen.
    Den Wechsel von einer 40-Stunden-Woche als Projektleiter bei der Sparkasse Lemgo zu einer Woche mit mindestens 80 Stunden als Landtagsabgeordneter hat Kern nie bereut. Seine Frau hat ihm bescheinigt, dass sich im privaten Leben ohnehin nicht viel geändert habe, allerdings sei er jetzt noch häufiger nicht zu Hause. Denn sein ehrenamtliches Engagement in der Kommune hat Kern nicht eingeschränkt, er ist nach wie vor Vorsitzender der AGA GmbH in Lemgo, die in 16 lippischen Gemeinden den Sperrmüll entsorgt und recycelt. Das Besondere daran ist, dass mit diesem Unternehmen 80 Menschen mit geistiger Behinderung einen Job im ersten Arbeitsmarkt gefunden haben, die sonst im normalen Arbeitsleben keine Chance gehabt hätten.
    In anderthalb Jahren will Kern, "wenn der liebe Gott mich lässt", noch einmal für den Landtag kandidieren. Ein Wechsel nach Berlin in den Bundestag oder nach Brüssel ins Europaparlament sind für ihn keine Alternativen. Nach der derzeitigen Stimmungslage bei den Wählern bleibt dem Landesparlament die "Kern-Kraft" noch eine weitere Legislaturperiode erhalten.
    Peter Jansen

    ID: LI090217

  • Porträt: Ulla Meurer (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 28.01.2009

    Ihre Freizeit nutzt Ulla Meurer noch heute gern für sportliche Aktivitäten. In ihrer Jugend war die im hessischen Schlitz geborene SPD-Abgeordnete begeisterte Leichtathletin. Der 100- und der 200-m-Lauf waren ihre Spezialität. Mit 15 Jahren gewann sie mit ihrer Mannschaft eine Meisterschaft im Waldlauf. Parallel dazu spielte sie Handball. Mitte der 90er-Jahre hatte Ulla Meurer, die Geschichte und Germanistik an der RWTH Aachen studierte, ein kleines sportliches Comeback, als sie bei den Stadtmeisterschaften der Leichtathletik in ihrem Wahlkreis Heinsberg Stadtmeisterin wurde.
    Sportlich wollte es Ulla Meurer auch angehen, als sie zusammen mit ihrem Mann im letzten Sommer mit Zelt und Fahrrad durch Nordrhein-Westfalen radelte. Als passionierte Verfechterin des Raucherschutzes im Düsseldorfer Landtag wollte die Sozialdemokratin vor Ort erkunden, wie das neue Nichtrauchergesetz in der Praxis angewendet wird. Gleich zu Beginn musste sie erleben, dass auf einem Campingplatz jeden Abend "geschlossene Gesellschaft" war. Damit durfte in den Gastronomieräumen geraucht werden und draußen auch. "Für Nichtraucher war kein Eckchen frei, wo der Qualm nicht hingezogen ist", erinnert sich die SPD-Abgeordnete.
    Noch unerfreulicher war ein Erlebnis in Detmold. Da hatte sich die Parlamentarierin in einem Biergarten niedergelassen, um einem Platzkonzert zuzuhören Als es anfing zu regnen und sie in das Haus flüchtete, erfuhr sie, dass das Lokal als Raucherklub geführt wurde. Ihr Versuch, daraufhin die Essensbestellung rückgängig zu machen, misslang zunächst. Erst als sich Ulla Meurer als Landtagsabgeordnete outete, die im NRW-Parlament vehement für den Nichtraucherschutz ficht, konnte sie sich durchsetzen. "Das Ganze war höchst unerfreulich und das Personal sehr uneinsichtig", bilanziert Ulla Meurer enttäuscht ihre praktische Erfahrung.
    Das Negativ-Erlebnis hindert die SPD-Frau jedoch keineswegs daran, sich weiterhin für eine Präzisierung des Nichtrauchergesetzes stark zu machen. "Meiner Meinung nach brauchen wir eine bundeseinheitliche Regelung", sagt die 53-Jährige, die selber früher einmal stark geraucht hat. "In meiner Jugend habe ich für Raucherecken auf dem Schulhof gekämpft, jetzt bin ich froh, dass das Rauchen in Schulen generell verboten ist", freut sich die Abgeordnete. Zur entschiedenen Kämpferin gegen die Qualmerei ist Ulla Meurer allerdings erst durch die Krankheit des jüngeren ihrer zwei Söhne geworden. "Seither darf bei uns zu Hause nicht mehr geraucht werden", sagt Ulla Meurer.
    Politisch aktiv wurde Ulla Meurer, die auch gelernte Industriekauffrau ist, nachdem die SPD die Bundestagswahl 1983 verloren hatte. "Da habe ich gesagt: Nun erst recht. Du meckerst nicht länger herum, sondern du machst mit." Exakt am 8. März 1983, am internationalen Frauentag, trat sie in die von ihr favorisierte SPD ein. Dort arbeitete sie bei der "SGK" und der "AsF" mit, wurde Vize-Vorsitzende des Ortsvereins Heinsberg und kam 1989 erstmals in den Rat der Stadt, dem sie auch heute noch angehört. Außerdem ist Ulla Meurer Mitglied in der Gewerkschaft ver.di.
    Vor der letzten Landtagswahl bewarb sie sich um ein SPD-Mandat und rutschte für sie völlig unerwartet in den Landtag. "Ich wollte mich engagieren, für die Partei kämpfen, Stimmen sammeln und es einfach mal gemacht haben", begründet sie ihre Kandidatur. "Mit meinem Listenplatz 42 hatte ich wirklich nicht mit einem Abgeordnetenplatz gerechnet", sagt Ulla Meurer heute. Inzwischen hat die SPD-Abgeordnete an ihrer neuen Aufgabe so viel Freude, dass sie gerne wieder kandidieren möchte. Als ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, im Ausschuss für Frauenpolitik sowie im Ausschuss für Generationen, Familie und Integration hat sie einen umfangreichen Aufgabenbereich gefunden, bei dem sich viele Themen verzahnen. In allen drei Ausschüssen setzt Ulla Meurer den Schwerpunkt auf die Verbesserung des Kinderschutzes. "Sie sind immer das schwächste Glied in der Gesellschaft und brauchen die meiste Hilfe", ist die Abgeordnete überzeugt.
    Als Ausgleich zu ihrer stressigen Abgeordnetenarbeit werkelt Ulla Meurer gern in ihrem Blumengarten, schmökert Krimis oder reist mit ihrem Mann als Koch per Zelt durch europäische Länder. "Mein Mann kann auf einem Trangia- Brenner ein so tolles Drei-Gänge-Menü zubereiten, dass alle Frauen auf dem Campingplatz neidisch werden und die Männer Stress bekommen, weil sie das nicht machen", gibt Ulla Meurer lachend preis.
    Gerlind Schaidt

    ID: LI090120

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Die Fraktionen im Landtag NRW