Günter Garbrecht ist Sozialpolitiker mit Leib
und Seele. Das Schicksal von Menschen am Rande
der Gesellschaft, von Armen und Alten, von
Arbeitslosen, von Drogen- und Alkoholabhängigen,
von AIDS-Kranken und Behinderten lässt
dem Bielefelder Sozialdemokraten, Vorsitzender
des Landtagsausschusses für Arbeit, Gesundheit
und Soziales, keine Ruhe. Mit mittlerweile 64
Jahren setzt er sich mit derselben Leidenschaft
und demselben Elan für die ein, die sich selbst
kaum äußern können und am dringendsten auf
Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, wie zu
Beginn seiner politischen Karriere.
Dabei wird er sich nahezu jeden Tag aufs
Neue bewusst, dass Sozialpolitik im Land bedeutet,
dass ganz dicke Bohlen gebohrt werden
müsssen. Die "Oberregulierer", wie er sie nennt,
sitzen im Bundesministerium und im Bundestag
in Berlin, da drüber noch die Eurokraten in
Brüssel, für die konkrete Umsetzung sozialpolitischer
Maßnahmen sind die Kommunen zuständig,
"und das Land hängt als Zwitter irgendwo
dazwischen". Es fehle an einer eindeutigen
Zuordnung, alles sei miteinander verzahnt und
verzweigt. Trotz dieser schwierigen Gemengelage
ist Garbrecht stolz darauf, was seit seinem Eintritt
in den Landtag vor fast 14 Jahren auf diesem
Gebiet erreicht wurde, vor allem natürlich
auf das, was die rot-grüne Koalition unter Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft zunächst als
Minderheitsregierung und seit 2012 mit stabiler
Mehrheit bewegt hat. Nur wenig ist spektakulär,
vieles hat nicht einmal den Weg in die Nachrichten
gefunden, für die Betroffenen war es aber oft
eine große Hilfe. Dabei geht es um eine bessere
Infrastruktur bei der Pflege, die es alten Menschen
ermöglicht, in ihrem vertrauten Zuhause
zu bleiben, um eine bessere Finanzierung der
Altenpflege, um den Beruf des Pflegers für junge
Leute attraktiver zu machen, um konkrete Hilfen
für Sucht- und Drogenkranke, die oft von der
Politik ausgegrenzt werden, ein Politikfeld, das
Garbrecht auch aufgrund seiner persönlichen
Geschichte besonders nahe ist.
Ein nach wie vor umstrittenes Gesetz, mit dem er
sich als Ausschussvorsitzender intensiv beschäftigen
musste, hat sogar sein eigenes Leben massiv
verändert. Nicht zuletzt unter dem Einfluss des
Nichtraucherschutzgesetzes der rot-grünen Koalition
hat sich Garbrecht nach fast 50 Jahren
intensiver Qualmerei zum Nichtraucher gewandelt,
seit über zwei Jahren hat er keine der früher
so geliebten schwarzen französischen Glimmstengel
angefasst.
Auf seine Vergangenheit als linker Gewerkschafter
und leidenschaftlicher Kämpfer gegen
die Notstandsgesetze ist Garbrecht heute noch so
stolz, dass er am liebsten rote Schlipse und rote
Hosenträger trägt. Ein Parteisoldat, der alles gut
findet, was Vorsitzende und Vorstände verkünden,
ist er dabei nie gewesen. Noch heute regt er
sich über die geschönten Statistiken zur Ausbildungssituation
junger Leute auf, und dabei ist es
ihm egal, ob sie von seinen Parteifreunden Andrea
Nahles im Bund oder Guntram Schneider
im Land verkündet werden. "Schönfärberische
Reden kann ich auf den Tod nicht ausstehen,
egal, wer sie hält." Politik kann nur erfolgreich
sein, wenn sie die Fakten so zur Kenntnis nimmt,
wie sie wirklich sind, und nicht sich und anderen
etwas in die Tasche lügt, ist er überzeugt.
Mehrfach ist der in seiner Heimatstadt Bielefeld
fest verankerte Sozialpolitiker gefragt worden,
ob er nicht für den Bundestag kandidieren
wolle. Doch das kam für Garbrecht nie infrage,
die Luft im politischen Klima der Bundeshauptstadt
ist ihm zu dünn. Vor 14 Jahren war er aus
der Schichtarbeit in einem Unternehmen der
Metallindustrie in den Landtag gewechselt, damit
nicht nur Gewerkschaftssekretäre, sondern
auch Arbeiter von der Werkbank und somit
Arbeitnehmerinteressen in der Landespolitik
vertreten sind. "Im Landtag kann man sich noch
immer erden, das ist im Bundestag schon sehr
viel schwieriger", ist Garbrecht überzeugt.
Auf den Fluren des Landesparlaments ist
Garbrecht mittlerweile eine Art Institution,
Freunde hat er in allen Fraktionen und respektvoll
reden auch die von ihm, die seine politischen
Überzeugungen nicht teilen. Unüberhörbar ist
der Bielefelder auf jeden Fall, seine markante
Stimme ist auch dann zu vernehmen, wenn die
Mikrofonanlage ausfällt. Trotz aller Sympathie
und Wertschätzung, die ihm entgegengebracht
werden, ist für ihn mit Ende der Legislaturperiode
unwiderruflich Schluss, mit dann 67 Jahren
will er 2017 nicht noch einmal für den Landtag
kandidieren. Dann will er die Bücher lesen, für
die er jetzt nur selten Zeit hat, dann will er häufiger
zu Hause am Herd stehen und seine Freunde
mit selbstgemachter Marmelade überraschen.
Ganz ohne ehrenamtliches Engagement im Bereich
der Sozialpolitik wird es dann allerdings
auch nicht gehen.
Peter Jansen
ID: LI140123