02.07.2025

Landesverfassung wird 75

Nordrhein-Westfalen feiert in diesem Jahr ein ganz besonderes Jubiläum: Vor 75 Jahren, am 6. Juni 1950, verabschiedete der Landtag die Landesverfassung. Bis heute ist sie die Beschützerin von Demokratie, Frieden und Freiheit im Land. Teil 1 der neuen Online-Serie zur Landesverfassung stellt die wichtigsten Hintergründe vor.

Plenarsitzung am 6. Juni 1950: Die Abgeordneten verabschieden die Landesverfassung in dritter Lesung im Düsseldorfer Ständehaus

Die Verabschiedung der Landesverfassung war ein Meilenstein für den demokratischen Wiederaufbau des Landes nach Ende des Zweiten Weltkriegs, nach zwölf Jahren Nazi-Diktatur und Holocaust. Vier Jahre zuvor, im August 1946, hatte die britische Besatzungsmacht das Bundesland Nordrhein-Westfalen gegründet. Auf ihr Betreiben konstituierte sich im Oktober 1946 der zunächst noch ernannte erste Landtag. Im April 1947 folgte dann die erste freie Landtagswahl.

Schon zuvor hatte im Land die Debatte um eine Landesverfassung begonnen – also um die wichtigsten Regeln für das Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger an Rhein, Ruhr und Lippe. Doch die Debatte wurde unterbrochen, weil im September 1948 zunächst die Beratungen über eine Verfassung für ganz Deutschland, das Grundgesetz, begannen. Die Bundesrepublik Deutschland existierte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Sie wurde mit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 gegründet.

Aber warum dann noch die Landesverfassung für Nordrhein-Westfalen? 

Im Grundgesetz wurde festgelegt, dass Deutschland ein Bundesstaat ist. Nordrhein-Westfalen wurde damit, wie alle anderen Bundesländer, zu einem Gliedstaat der Bundesrepublik mit eigenen Kompetenzen bei Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Bürgernahe Politik Der Föderalismus war eine Konsequenz aus der Nazi-Diktatur. Mit ihm wurde ein weiteres politisches Prinzip zur Teilung von Macht und zur Stabilisierung der Demokratie etabliert. Er garantiert zudem eine bürgernahe Politik, da viele Entscheidungen nah bei den Menschen getroffen werden.

Wie das Grundgesetz regelt auch die nordrheinwestfälische Landesverfassung das demokratische Prinzip, dass die Staatsgewalt vom Volk ausgeht, das den Landtag wählt. Die Abgeordneten beschließen im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger die Regeln für das Zusammenleben – die Landesgesetze.

Die Landesverfassung stellt auch sicher, dass die Macht nicht in einer Hand liegt, sondern fair verteilt ist: Das Parlament beschließt die Gesetze, die Regierung führt sie aus und die Gerichte passen auf, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Das nennt man Gewaltenteilung. Die Verfassung kann geändert werden, aber dafür gibt es hohe Hürden. Es müssen mindestens zwei Drittel des Landtags einer Änderung zustimmen. Das war zum Beispiel 2002 der Fall. In diesem Jahr wurden die Kinderrechte in die Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen aufgenommen.

8. Mai 1945
Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht endet der Zweite Weltkrieg in Europa. Zugleich gehen zwölf Jahre nationalsozialistische Terrorherrschaft zu Ende. Weltweit gibt es mehr als 60 Millionen Tote zu beklagen, darunter mehr als sechs Millionen getötete europäische Jüdinnen und Juden. Deutschland liegt in Trümmern und steht aufgrund des deutschen Angriffskriegs und des Menschheitsverbrechens der Shoah moralisch am Abgrund. 

2. August 1945
Im Potsdamer Abkommen beschließen die vier Siegermächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich, Deutschland in vier Besatzungszonen aufzuteilen. Zur britischen Besatzungszone zählen auch Westfalen, die nördlichen Bezirke der früheren preußischen Rheinprovinz und der Freistaat Lippe. Das Hauptquartier der Briten befindet sich in Bad Oeynhausen.

23. August 1946
Die britische Besatzungsmacht gründet in der „Operation Marriage“, der „Operation Hochzeit“, aus dem Nordteil der früheren preußischen Rheinprovinz und der früheren preußischen Provinz Westfalen das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Nur rund anderthalb Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs legen die Briten damit den Grundstein für einen demokratischen Neuanfang an Rhein und Ruhr.

2. Oktober 1946
Keine zwei Monate nach Gründung des Landes kommt der erste Landtag im Düsseldorfer Opernhaus zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Die 200 Abgeordneten, je 100 aus dem Rheinland und aus Westfalen, sind von den Briten ernannt worden. Unter ihnen ist auch der spätere erste Bundeskanzler Konrad Adenauer. Erster Landtagspräsident ist Ernst Gnoß. Zum ersten Ministerpräsidenten des Landes ernennen die Briten Rudolf Amelunxen. Größte Herausforderungen in der Nachkriegszeit sind der Wiederaufbau des Landes, die Versorgung der notleidenden Bürgerinnen und Bürger und der Aufbau eines demokratischen Staatswesens.

1. Dezember 1946
Mit der Verordnung Nr. 57 überträgt die britische Militärregierung erste Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen auf den ernannten Landtag und die Landesregierung. 

21. Januar 1947
Das Land Lippe wird Teil Nordrhein-Westfalens. Das Land hatte zunächst Gespräche mit Niedersachsen geführt und entschied sich dann für eine Eingliederung in Nordrhein-Westfalen.  Am 21. Januar 1947 vereinbarten der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Rudolf Amelunxen und der lippische Landespräsident Heinrich Drake die Richtlinien für die Aufnahme Lippes in das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Diese Vereinbarung ist unter dem Begriff der „Lippischen Punktationen“ bekannt.

Januar 1947
Die Landesregierung bringt den Entwurf für ein vorläufiges Landesgrundgesetz in den Landtag ein. Er basiert auf Vorarbeiten von Innenminister Walter Menzel. Bis zur Landtagswahl kann der Entwurf aber nicht verabschiedet werden. Nach der Wahl wird dann ein neuer Verfassungsausschuss gebildet. Die Briten machen zudem deutlich, dass sie eine dauerhafte Verfassung wollen. Im Juli 1947 ordnen sie an, die Verfassung solle einen genau vorgegebenen Grundrechtskatalog und den Hinweis auf die oberste Regierungsgewalt der Besatzungsmacht enthalten.

20. April 1947
Die erste Landtagswahl findet statt. 67,3 Prozent der rund 7,9 Millionen Wahlberechtigten machen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Stärkste Kraft wird die CDU mit 37,6 Prozent der gültigen Stimmen. Auf die SPD entfallen 32 Prozent, 14 Prozent auf die KPD, 9,8 Prozent auf das Zentrum, 6 Prozent auf die FDP, 0,8 Prozent auf sonstige Parteien und unabhängige Kandidaten.

November 1947 
Die Landesregierung legt dem Landtag einen neuen Verfassungsentwurf vor. Die Vorlage wird zur weiteren Beratung an den Verfassungsausschuss überwiesen, der aber im Sommer 1948 vor dem Hintergrund der Diskussionen über das Grundgesetz seine Arbeit zunächst einstellt.

1. September 1948
In Bonn kommt erstmals der Parlamentarische Rat zusammen und beginnt mit den Beratungen zum Grundgesetz. Bonn beherbergt nicht nur die 65 stimmberechtigten Männer und Frauen des Parlamentarischen Rates („Väter und Mütter des Grundgesetzes“), sondern im Anschluss auch 50 Jahre lang Regierung und Parlament der Bundesrepublik.

20. Mai 1949 
Der Landtag NRW stimmt nach siebenstündiger Debatte dem Grundgesetz zu.

23. Mai 1949
Mit Inkrafttreten der bundesdeutschen Verfassung, des Grundgesetzes, wird die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Nordrhein-Westfalen wird, wie alle anderen Bundesländer, ein Gliedstaat im föderalen Deutschland.

November 1949
Auf Landesebene wird die Debatte um eine eigene nordrhein-westfälische Verfassung fortgesetzt. Es werden mehrere Entwürfe beraten. Streitpunkte sind insbesondere die Schulpolitik und die Kompetenzverteilung zwischen Landesregierung und Landtag.

6. Juni 1950
Der Landtag verabschiedet die Landesverfassung für das Land Nordrhein-Westfalen.

18. Juni 1950
In einem Volksentscheid wird die Landesverfassung von den Bürgerinnen und Bürgern des Landes angenommen.

11. Juli 1950
Die Landesverfassung für Nordrhein-Westfalen tritt in Kraft.

Landtag, Landesregierung und Verfassungsgerichtshof werden das Jubiläum am Freitag, 4. Juli 2025, mit einer gemeinsamen Festveranstaltung im Plenarsaal des Landesparlaments begehen. Es sprechen der Präsident des Landtags, André Kuper, Ministerpräsident Hendrik Wüst und die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, Prof. Dr. Dr. h.c. Barbara Dauner-Lieb.

Für den darauffolgenden Samstag, 5. Juli 2025, lädt Präsident André Kuper alle Bürgerinnen und Bürger in den Landtag ein: Von 10 bis 18 Uhr öffnet das Parlament seine Türen. Interessierte erhalten Informationen über die Funktionen des Landtags und die Arbeit der Abgeordneten, über den Petitionsausschuss und den Landtag als Arbeitgeber. Das Gebäude kann auch über digitale Smartphone-Touren erkundet werden. Der Besuch ist ohne Voranmeldung möglich.

Die Fraktionen im Landtag NRW