Künstliche Intelligenz biete eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten in der Medizin, heißt es im Antrag der Fraktionen (18/12032). Dabei dürfe ihr Einsatz aber kein Selbstzweck sein, sondern müsse im Dienste der Menschen stehen. Die Landesregierung solle unter anderem ein interdisziplinäres Gutachten zur Entwicklung einer „KI-Strategie im Gesundheitswesen“ für NRW in Auftrag geben. Zudem solle sie ein Expertenforum ins Leben rufen.
Unterstützende Rolle
Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen begrüßte die Initiative der Fraktionen von CDU und Grünen, eine KI-Strategie für das Bundesland zu entwickeln. Ein solcher Prozess sei wichtig, damit der erwartbare Fortschritt durch KI seine Wirkung in der Gesundheitsverordnung entfalten könne und gleichzeitig die schnell fortschreitende Entwicklung von KI kontrollierbar bleibe. Mit Blick auf die positiv zu bewertenden Aspekte wie Verbesserungen in Diagnose, Therapie und Verwaltung sei es jedoch wichtig, dass KI-Anwendungen im Gesundheitswesen eine unterstützende Rolle behielten. Sie dürften nicht den fachlichen und menschlichen Blick auf Patientinnen und Patienten ersetzen. Entsprechend müsse die Therapiehoheit von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegefachkräften immer sichergestellt sein.
Zwar biete der Einsatz von KI im Gesundheitswesen großes Potenzial, die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern, betonte auch die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen Lippe. Gleichzeitig bringe die Nutzung jedoch erhebliche Herausforderungen mit sich: Der Markt der KI-Werkzeuge und die Integration von Modellen in bestehende Systeme zeigten eine Tendenz zur Monopolisierung. Auch funktionierten IT-Lösungen häufig nicht in verschiedenen Systemen und wesentliche Anforderungen an KI-Tools seien bisher nicht definiert. Kurz: Es gebe keinen rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen für den Einsatz von KI in der Gesundheitsversorgung. Wichtig sei nicht nur, dass mit Patientendaten trainierte KI-Modelle der Gesellschaft wieder zur Verfügung gestellt würden. Vielmehr müssten die Entscheidungen der Modelle für Fachkräfte und Patientinnen und Patienten nachvollziehbar sein. Die Funktionsweise und die Entscheidungsgrundlagen der Systeme sollten daher transparent gemacht werden.
Kraft der Veränderung nutzen
Dr. Markus Müschenich, Kinderarzt und Unternehmer im Medizinsektor, stimmte dem zugrundeliegenden Antrag zu. Er sah jedoch die Gefahr, die Kraft der Veränderung zu unterschätzen. Zwar seien vorsichtige Einschätzungen grundsätzlich zu begrüßen und Experimente zulasten von Patientinnen und Patienten zu vermeiden. Allerdings berge zu große Zurückhaltung die Gefahr, das tatsächliche Potenzial nicht ausreichend und mutig auszuschöpfen. Könne durch KI ein Menschenleben gerettet werden, sei jede aktiv in Kauf genommene Verzögerung des Einsatzes von KI vergleichbar mit unterlassener Hilfeleistung. Weiterhin riet Müschenich dazu, dass die Empfehlungen eines Gutachtens schnell umgesetzt und mit dem dann aktuellen Wissensstand abgeglichen werden müssten. Aufgrund der hohen Entwicklungsdynamik werde ein Gutachten schnell an Aktualität verlieren.
Das vorrangige Ziel der Medizin müsse es sein, das Personal durch KI-Anwendungen zu entlasten und die Versorgungen von Patientinnen und Patienten effizienter zu gestalten, hob das Universitätsklinikum Essen in seiner Stellungnahme hervor. Allerdings werde der Einsatz von KI das Rollenverständnis der medizinischen Fachkräfte verändern. Für eine gelingende Integration der neuen Technologien sei es daher unabdingbar, unter anderem die sich ändernden Qualifikationsanforderungen an das Personal zu beachten. Angemerkt wird darüber hinaus, dass in Deutschland umfangreiche medizinische Datensätze vorhanden seien. Diese könnten für die Entwicklungen von KI-Anwendungen genutzt werden. Allerdings seien sie häufig nicht zugänglich oder aufgrund fehlender Datenstandards nicht nutzbar. Es sei daher notwendig, international anerkannte Datenstandards und die daraus folgende Kompatibilität durchzusetzen.
Menschlicher und patientenorientierter Einsatz
Dieter Padberg, IT-Direktor des Universitätsklinikums Bonn, merkte an, dass der Antrag nicht ausreichend auf die konkreten Schwierigkeiten bei der Datenbeschaffung und -integration aus verschiedenen Kliniksystemen eingehe. Eine entsprechende umfassende Datenstrategie sei unabdingbar. Weiterhin stelle der im Antrag nicht berücksichtigte Pflegebereich mit seiner großen Mitarbeiterschaft und der Patientennähe eine wesentliche Chance dar: In der Pflege könne KI menschlich und patientenorientiert eingesetzt und so dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Außerdem warnte Padberg vor der Verlangsamung von Innovationsprozessen durch zu starke Regulierung. Schlanke Genehmigungsverfahren seien entscheidend, um praxistaugliche Innovationen zu erproben und in die Anwendung zu bringen. In diesem Zusammenhang sollten, so Padberg, Real-Labore, also Labore, in denen neue Technologien für einen begrenzten Zeitraum unter realen Bedingungen getestet werden, Teil des zu erarbeitenden Konzepts sein.
Die Gewerkschaft ver.di stellte die Rolle der Beschäftigten in den Mittelpunkt: KI sei nur Mittel zum Zweck, KI-Anwendungen sollten der Verbesserung von Arbeits- und Lebensqualität dienen. Es sei daher von großer Bedeutung, dass die Gestaltung guter Arbeit und die Wahrung von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten insbesondere für die Beschäftigten von Beginn an mitgedacht würden. Beschäftigte, Interessenvertretungen, Gewerkschaften sowie Bürgerinnen und Bürger seien bei der Einführung von KI in der Medizin einzubeziehen. Nur so sei sicherzustellen, dass die Vorteile allen zugutekommen und die Gesundheitsversorgung nachhaltig verbessert werde.
Text: rüc