15.01.2025

Anhörung: Angriffe in Kliniken und Arztpraxen

Die Gewalt gegen Beschäftigte im Gesundheitswesen nehme zu, heißt es einem Antrag der FDP-Fraktion. Das sei nicht hinnehmbar. Sachverständige haben sich in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales dazu geäußert.

Die Landesregierung solle sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass Arztpraxen besser geschützt werden, heißt es im Antrag (18/10531). Hintergrund ist eine geplante Änderung des Strafgesetzbuchs – mit dem Ziel, den Schutz „von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten“ zu stärken. Arztpraxen sollten ebenfalls aufgenommen werden, so die FDP-Fraktion. Um Gewalt vorzubeugen, solle die Landesregierung zudem Umbauten in Kliniken und Praxen fördern sowie eine „Respektkampagne für Beschäftigte im Gesundheitswesen“ entwickeln. Die steigenden Gewaltzahlen seien eine „klare Handlungsaufforderung für die Landespolitik“.

„Besorgniserregende Gewaltakte“

Der Antrag beschreibe „leider sehr eindrücklich die Realität in den Gesundheitseinrichtungen“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe für den Ausschuss: „Die zunehmenden Gewaltakte gegenüber Ärztinnen, Ärzten, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie dem Praxispersonal sind besorgniserregend.“ Eine „Blitzumfrage“ unter Mitgliedern habe „ein düsteres Bild über die Geschehnisse in der ambulanten Versorgung“ gezeichnet. 750 Praxen hätten sich beteiligt. Fast ein Viertel habe aufgrund verbaler oder körperlicher Gewalt schon einmal darüber nachgedacht, ihre Praxis aufzugeben. Rund 20 Prozent hätten angegeben, „dass sie wegen Gewalterfahrungen in der Praxis Probleme haben, ausreichend Personal zu finden“. 

„Gestiegenes Anspruchsdenken“

Ähnlich äußerte sich die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein: „Wir fordern von der Politik, dass Gewalt in Praxen und Krankenhäusern mit dem gleichen strafrechtlichen Maß bewertet und geahndet wird wie bei Übergriffen gegen Polizei und Rettungsdienst.“ Insbesondere im ärztlichen Bereitschaftsdienst und den zugehörigen Notdienstpraxen könne ein „erhebliches Konfliktpotenzial aufgrund der akuten Behandlungssituation und entsprechenden Erwartungen“ bestehen.
Mögliche Gründe der gestiegenen Gewaltbereitschaft seien einer Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zufolge unter anderem „ein gestiegenes Anspruchsdenken, insbesondere hinsichtlich einer zeitnahen Terminvergabe, und eine teils zu hohe Erwartungshaltung an Diagnostik und Therapie“.

Drohungen auch im Internet 

Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband Westfalen-Lippe wies ebenfalls auf die KBV-Umfrage hin. 80 Prozent der Befragten hätten im Jahr 2023 Beschimpfungen, Beleidigungen oder Drohungen erlebt – in der Praxis, aber auch am Telefon oder im Internet. 43 Prozent seien in den vergangenen fünf Jahren körperlich attackiert worden: „Die Fälle reichen von Tritten gegen das Schienbein, Schubsen und Spucken bis hin zu schweren Angriffen.“ Ein Drittel der Praxen habe aufgrund der zugenommenen Gewalt Vorkehrungen getroffen – zum Beispiel Notrufsysteme installieren lassen, potenziell gefährliche Gegenstände wie Vasen, Scheren oder Brieföffner entfernt, durch Umbauten Fluchtwege geschaffen oder das Personal entsprechend geschult.

„Perfide Entwicklung“

Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, ein Zusammenschluss der Spitzenverbände und Klinikträger, spricht von einer „perfiden Entwicklung“ und unterstützt ebenfalls die Forderungen der FDP-Fraktion. Es sei nicht nur respektlos, sondern „in jeder Hinsicht verachtend, Pflegefachpersonen und Ärztinnen oder Ärzte anzugreifen“. Gewaltprävention und der Umgang mit Gewaltvorfällen bräuchten die Aufmerksamkeit des Managements: „Null Toleranz für Gewalt muss ein essenzieller Teil der Unternehmenskultur sein. Und dies sollte unmissverständlich für alle Patientinnen und Patienten, Besucherinnen und Besucher kommuniziert werden.“

Eskalation in Essener Klinik

Der Antrag der FDP-Fraktion sei „im Grundsatz zu begrüßen“, heißt es in der Stellungnahme des Elisabeth-Krankenhauses Essen. Er bedürfe jedoch einer „Konkretisierung und Vertiefung“. Neben baulichen Maßnahmen sollte auch die Finanzierung von Präventionsbeauftragten, Schulungen und Sicherheitsdiensten gefördert werden. Eine „Respektkampagne“ könne ergänzend erwogen werden. Es bleibe aber zu bedenken, „dass sich eine gewalttätige Eskalation im Krankenhaus in der Regel in akuten gesundheitlichen Krisensituationen manifestiert“. Hintergrund sei die „emotional stark belastete, mitunter lebensbedrohliche Krisensituation“ der Patientinnen und Patienten sowie ihrer Angehörigen. Sie gehe einher mit Hilflosigkeit, Angst, Trauer und Schmerzen. Träfen diese Stressfaktoren „auf Menschen mit zusätzlichen Risiken und damit verminderter Einsichtsfähigkeit bzw. fehlenden Bearbeitungsstrategien, steigt das Gewaltpotenzial“. 

Wie eine solche Situation innerhalb weniger Minuten eskalieren kann, habe das Klinikpersonal in Essen im September 2024 erlebt. Nach der Notfallversorgung eines schwerstkranken Patienten seien bei der Überbringung der Todesnachricht mehrere Angehörige in die Behandlungsräume eingedrungen. Sie hätten Mobiliar und medizinische Apparate zerstört und sieben Mitarbeitende des ärztlichen und pflegerischen Personals körperlich massiv angegriffen.

Präventionsmaßnahmen 

Das Klinikum Leverkusen betonte, dass Gewalt gegenüber Beschäftigten im Gesundheitswesen „in alarmierendem Maße“ zunehme. Unerlässlich seien Präventionsmaßnahmen. Es nannte unter anderem regelmäßige Schulungen für das gesamte Personal zu Konfliktbewältigung, Deeskalationstechniken und Selbstschutz, Notfallpläne für akute Situationen und räumliche Sicherheitskonzepte. 

Eine Übersicht über die eingegangenen Stellungnahmen finden Sie hier.

Text: zab
 

Die Fraktionen im Landtag NRW