27.11.2024

Anhörung zur Bestattungskultur in NRW

Das Thema „Bestattungskultur“ stand im Mittelpunkt einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Sachverständige äußerten sich unter anderem zu sogenannten Reerdigungen.

Früher seien Erdbestattungen vorherrschend gewesen, heute Urnenbeisetzungen, so die Landesregierung in einer Vorlage (18/2678). „Die Bestattungskultur verändert sich beständig.“ Eine Überarbeitung oder Änderung des Bestattungsgesetzes halte man jedoch „aktuell für nicht angebracht“. Es gelte im Ländervergleich als modern und liberal. Einen Bedarf für die Zulassung neuer Bestattungsformen sehe man nicht.

In Schleswig-Holstein dagegen seien „Reerdigungen“ im Zuge eines Modellprojekts unter Beteiligung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) möglich. Hintergrund: eine „Experimentierklausel“ im dortigen Bestattungsgesetz. Die bei diesem Verfahren entstandene Erde werde nach etwa 40 Tagen entnommen und auf einem Friedhof in einem Erdgrab beigesetzt. 

„Verbindung zur Natur“

Das Startup „Meine Erde“, das „Reerdigungen“ in Schleswig-Holstein anbietet, schreibt in seiner Stellungnahme für den Ausschuss: „Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen, dass es inzwischen viele Menschen gibt, die sich Alternativen wünschen, die einerseits ökologisch verträglicher sind und eine Verbindung zur Natur erlauben und andererseits der Individualität und Willensbekundung der verstorbenen Person beim Abschied stärker Rechnung tragen. Die neue Bestattungsalternative Reerdigung erfüllt für viele Menschen diese Bedürfnisse.“

Wissenschaftliche Begleitung

Aus ersten gewonnenen Daten lasse sich ableiten, dass der Prozess funktioniere, heißt es in einer Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Leipzig. Man habe bislang 22 „Reerdigungen“ wissenschaftlich beprobt: „Durch die im Prozess entstehenden hohen Temperaturen (bis zu 70°C über mehrere Tage) und die biochemischen Prozesse der bakteriellen Zersetzung gehen aus unserer Sicht im normalen alltäglichen Umgang mit der ‚neuen‘ Erde keine gesundheitlichen Gefahren aus.“ Für das Projekt liege ein Votum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät vor.

„Offene Fragen“

Städtetag sowie Städte- und Gemeindebund NRW äußetrn sich zurückhaltend. Das Verfahren lasse in der Praxis noch Fragen offen – etwa zur Totenruhe. Grundsätzlich halte man die bestehenden Bestattungsmöglichkeiten in NRW für ausreichend. Katholisches und Evangelisches Büro in Nordrhein-Westfalen sehen das ähnlich. Ebenso der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein. Im Judentum sei ausschließlich die Erdbestattung erlaubt. 

„Intimer Prozess der Bestattung“

Ein neues Verfahren müsse „wie jedes neue Produkt und jede neue Dienstleistung fachlich geprüft werden, allgemein verständlich und transparent darstellbar sein“, so der Bestatterverband Nordrhein-Westfalen. Beides sei bislang nicht der Fall. Grundsätzlich sei festzuhalten: „Es handelt sich hier nicht nur um die Erprobung eines neuen Produkts oder eines beliebigen technischen Verfahrens. Es geht hier um die Handhabung des Körpers eines verstorbenen Menschen im individuellen und intimen Prozess der Bestattung.“

„Experimentierklausel untragbar“

Bestattermeisterin Stefanie Kamp-Knorren (Düsseldorf) schreibt in ihrer Stellungnahme: „Aus trauerpsychologischer Sicht empfinde ich den langen Zeitraum zwischen der Verlustsituation und der endgültigen Beisetzung für die Angehörigen als problematisch.“ Christian Fritz, Bestattermeister in Bochum, hält es „für verfrüht und unangemessen, eine gesetzliche Änderung zur Förderung der Reerdigung zu beschließen“. Eine „Experimentierklausel“ halte er im Bestattungswesen für untragbar: „Der Respekt vor der Totenruhe und der Pietät gegenüber den Hinterbliebenen verbieten es, solche Prozesse als bloße Testfelder zu betrachten.“  

„Gute Alternative“

David Roth vom Bestattungshaus Pütz-Roth (Bergisch Gladbach) vertritt einen anderen Standpunkt: „Bei den alternativen Bestattungsformen sollte der Gesetzgeber größere Freiheit gewähren und sich auf den verantwortungsvollen Umgang der Bestatter und Angehörigen mit den Toten verlassen.“ Er befürworte „die sehr interessante, weil C02-sparende und Naturnähe ausstrahlende Bestattungsform der ,Reerdigung'.“ Sie sei eine „gute Alternative zu der oft als brutal empfundenen Verbrennung und der immer weniger nachgefragten Bestattung in einem Sarg“.

Urnen im eigenen Garten? 

„Reerdigungen“ waren nur eines von vielen Themen der Anhörung – es ging auch um Argumente für oder gegen eine Urnenbestattung im eigenen Garten. Städtetag sowie Städte- und Gemeindebund NRW raten von einer Liberalisierung ab. Die juristische Gleichbehandlung von Urnen und Särgen sollte beibehalten werden. Zudem sei es ein erheblicher Unterschied, „ob Urnen auf einem dauerhaft für Bestattungszwecke gewidmeten Grundstück oder im Garten eines Privathauses bestattet werden“. Privathäuser würden verkauft, vererbt und manchmal auch zwangsversteigert: „Man stelle sich vor, wie der neue Eigentümer reagiert, wenn er oder sie bei der Umgestaltung des Gartens auf Urnen oder Überreste von Verstorbenen trifft. Mit dem Gedanken der Totenruhe ist das nur schwer zu vereinbaren.“

Bei „Aeternitas“, einer Verbraucherinitiative zur Bestattungskultur, urteilt man anders. Die bestehenden Vorschriften seien zumindest für Urnen oder Asche nicht mehr zeitgemäß, schreibt der Verein. Zum Beispiel dürften Urnen nicht zu Hause aufbewahrt oder die Asche nicht in der freien Natur verstreut werden. Fast alle europäischen Länder seien da weniger streng. „Viele Menschen nehmen deshalb Angebote im Ausland wahr, um die Urne oder Asche dort in der Natur beizusetzen oder zu verstreuen. Andere lassen sich im Ausland die Urne aushändigen, um sie (heimlich) mit nach Hause zu nehmen und so die Friedhofspflicht zu umgehen.“ 

Eine Übersicht über sämtliche Stellungnahmen finden Sie hier.

Text: zab
 

Die Fraktionen im Landtag NRW