31.01.2023

Parlamentsgespräch zur wehrhaften Demokratie

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist Krieg in Europa. Gleichzeitig fordern weltweit Populisten die Demokratien heraus: Laut dem Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung gibt erstmals wieder mehr Autokratien als Demokratien auf der Welt.

Vivien Leue moderierte das Parlamentsgespräch mit Iryna Shum, Generalkonsulin der Ukraine, André Kuper, Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Peter R. Neumann, International Centre for the Study of Radicalisation und Friedbert Meurer, Leiter der Deutschlandfunk-Redaktion Aktuelles (v. l.)

Das ist Thema des Parlamentsgesprächs „Im Kampf mit den Despoten – Wie wehrhaft ist die Demokratie?“ Landtag Nordrhein-Westfalen. Auf Einladung des Präsidenten des Landtags, André Kuper, diskutieren heute vor mehr als 100 Gästen: Iryna Shum, Generalkonsulin der Ukraine in Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Peter R. Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London, und Friedbert Meurer, Leiter der Deutschlandfunk-Redaktion Aktuelles.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion hatte der amerikanische Politologe Francis Fukuyama schon das „Ende der Geschichte“ ausgerufen: Die liberalen Demokratien, hätten sich gegen die totalitären politischen Systeme durchgesetzt, so seine These. Sie hat sich nicht erfüllt: Im Jahr 2022 führte die Bertelsmann-Stiftung erstmals seit 2004 mehr autokratische als demokratische Staaten in ihrem Transformationsindex. Von 137 untersuchten Ländern sind demnach 67 Demokratien, die Zahl der Autokratien steigt auf 70. 

„Die Staatsform der Demokratie ist weltweit bedroht. Die Feinde der Demokratie sind Despoten, Diktatoren und Autokraten, die sich gegen ein Zusammenleben in Frieden, in Freiheit und in Vielfalt stellen; die Menschenrechte, Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit
missachten, unterdrücken und bekämpfen“, sagt André Kuper, Präsident des Landtags zu Beginn des Parlamentsgespräches. Er betont: „Es sind Populisten und Extremisten innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft, die mit Hass, Hetze und Falschinformationen Misstrauen in die demokratischen Institutionen schüren. Der Sturm auf das US-Kapitol und die Vorfälle am Deutschen Bundestag sind verstörende Beispiele dafür, wohin das Aufwiegeln von Menschen führen kann. Sie zeigen: Demokratie ist nicht selbstverständlich. Sie muss täglich gelebt und verteidigt werden.“ 

Prof. Dr. Peter R. Neumann, leitet das „International Centre for the Study of Radicalisation“ in London, forscht zum Thema Radikalisierung und Terrorismus und hat kürzlich das Buch „Die neue Weltunordnung“ veröffentlicht. Er sagt: „Zur Demokratie gehört auch, sich selbst niemals zu sicher zu sein. Zweifel zu erlauben. Kritik auszuhalten. Und wehrhaft zu sein: gegenüber denen, die sich immer sicher sind; die einfache Antworten im Gepäck haben; und die keinen Widerspruch dulden. Zweifel zu haben und gleichzeitig wehrhaft zu sein: Beides gehört zur Demokratie.“ 

Iryna Shum, Generalkonsulin der Ukraine in Nordrhein-Westfalen, erinnert an den Krieg in ihrer Heimat: „Demokratie ist kein Naturgesetz. Heute steht sie unter ständiger Bedrohung der autoritären Regime. Das mussten wir Ukrainerinnen und Ukrainer in den letzten neun Jahren, besonders aber seit dem Großangriff der Russen am 24. Februar 2022 bitter erfahren. Demokratie muss Zähne zeigen, denn es gibt keine Alternative zu einer freien Welt, in deren Mittelpunkt der freie und selbstbestimmte Mensch steht. Es liegt im ureigenen Interesse aller Bürgerinnen und Bürger der freien Welt, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu schützen und nicht das Recht des Stärkeren walten zu lassen“

Friedbert Meurer, Leiter der Deutschlandfunk-Redaktion Aktuelles, berichtete als Korrespondent beim Deutschlandradio schon aus Washington und London, unternahm Reportage-Reisen nach Israel, Russland und China: „Despoten gab es in der Antike. Mich beschäftigt die Frage: wie kann es sein, dass in den komplexen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts die Despotie die geeignete Staatsform sein kann? In China würde ohne Despotie Anarchie herrschen, lautet die Befürchtung. Russlands Modell der Oligarchie scheiterte. Wie lässt sich unsere Demokratie verteidigen, gegen äußere wie innere Feinde? Was ist mit unserer liberalen Toleranz?  Diese Fragen erkunden wir im Deutschlandfunk als Sendungsprojekt im Rahmen der Denkfabrik 2023.“

Zur Diskussionsreihe „Parlamentsgespräche“, lädt der Präsident des Landtags regelmäßig ein. Themen waren unter anderem Antisemitismus in Deutschland, die Zukunft Europas und der Einfluss der Demoskopie auf die Demokratie.

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