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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/95

16. Wahlperiode

04.11.2015

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95. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 4. November 2015

Mitteilungen der Präsidentin. 9765

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 9765

Verpflichtung
von Abgeordneten     
gemäß § 2 Abs. 2 GeschO

Aufruf zum Einstehen für die Werte der Demokratie

Änderung der Tagesordnungen der 95. und 96. Sitzung

Ergebnis. 9766

Ergebnis. 9766

Erster Nachtrag zur Haushaltssatzung ...............
des Landesverbandes Lippe
für das Haushaltsjahr 2015 sowie
Durchschriften des Genehmigungserlasses
des Ministeriums für Inneres und Kommunales. 9766

Kenntnisnahme. 9766

1   Was ist die Haltung der Landesregierung in der Asylpolitik? Wie steht die Landesregierung zu Reisezentren, Einreisezentren und Transitzonen?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10125

In Verbindung mit:

Koalitionstreffen auf Bundesebene ohne Ergebnis – NRW braucht umgehend geordnete Flüchtlingsaufnahme – Streit um Transitzonen und Einreisezentren beenden

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10126

Und:

Asylverfahren entlasten und vorübergehenden Schutz durch spezifischen Flüchtlingsstatus gewähren – Gesetzesentwurf zur Gewährung vorübergehenden nationalen humanitären Schutzes beim Bundesrat einbringen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10076 – Neudruck. 9767

Armin Laschet (CDU) 9767

Dr. Joachim Stamp (FDP) 9768

Norbert Römer (SPD) 9769

Norbert Römer (SPD) 9771

Monika Düker (GRÜNE) 9771

Frank Herrmann (PIRATEN) 9772

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 9774

Armin Laschet (CDU) 9776

Hans-Willi Körfges (SPD) 9777

Dr. Joachim Stamp (FDP) 9778

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 9779

Simone Brand (PIRATEN) 9781

Minister Ralf Jäger 9781

André Kuper (CDU) 9782

Hans-Willi Körfges (SPD) 9783

Ergebnis. 9784

2   Industrie 4.0: Mittelstand sensibilisieren – Fachkräfte sichern – Smart Factories an berufsbildenden Schulen einrichten

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10070. 9784

Wilfried Grunendahl (CDU) 9784

Dietmar Brockes (FDP) 9785

Inge Blask (SPD) 9786

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE) 9786

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 9787

Minister Garrelt Duin. 9788

Ergebnis. 9789

3   NRW braucht ein Flüchtlingsforum: Die Landesregierung muss Helferinnen und Helfer in der Flüchtlingshilfe besser vernetzen und mehr unterstützen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10062. 9789

Simone Brand (PIRATEN) 9789

Ibrahim Yetim (SPD) 9790

Serap Güler (CDU) 9791

Jutta Velte (GRÜNE) 9792

Dr. Joachim Stamp (FDP) 9793

Minister Rainer Schmeltzer 9794

Simone Brand (PIRATEN) 9795

Ergebnis. 9795

4   Bund muss alle Kosten für Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) der Kommunen übernehmen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10073

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10144

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10145. 9795

Günter Garbrecht (SPD) 9795

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) 9796

Claudia Middendorf (CDU) 9797

Ulrich Alda (FDP) 9798

Olaf Wegner (PIRATEN) 9799

Minister Rainer Schmeltzer 9800

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) 9801

Ergebnis. 9801

5   Bekämpfung grenzüberschreitender Einbruchskriminalität verbessern

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10067. 9802

Gregor Golland (CDU) 9802

Andreas Kossiski (SPD) 9803

Monika Düker (GRÜNE) 9804

Marc Lürbke (FDP) 9804

Dirk Schatz (PIRATEN) 9805

Minister Ralf Jäger 9806

Ergebnis. 9807

6   Opfern von Straftaten den Gang in den Zeugenstand erleichtern: Psychosoziale Prozessbegleitung stärken!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10064. 9807

Jens Kamieth (CDU) 9808

Hartmut Ganzke (SPD) 9808

Dagmar Hanses (GRÜNE) 9809

Dirk Wedel (FDP) 9810

Dietmar Schulz (PIRATEN) 9811

Minister Thomas Kutschaty. 9812

Ergebnis. 9813

7   Schluss mit dem Betrug bei Verbrauchs- und Emissionswerten von Kraftfahrzeugen – Potenziale für den Verkehr von morgen mobilisieren

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10059. 9813

Oliver Bayer (PIRATEN) 9813

Sarah Philipp (SPD) 9814

Arne Moritz (CDU) 9816

Arne Moritz (CDU) 9817

Arndt Klocke (GRÜNE) 9817

Christof Rasche (FDP) 9819

Minister Johannes Remmel 9820

Arne Moritz (CDU) 9822

Christof Rasche (FDP) 9822

Oliver Bayer (PIRATEN) 9822

Reiner Priggen (GRÜNE) 9823

Ergebnis. 9824

8   Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken – Innerstädtische Quartiere und ländliche Räume brauchen Vielfalt und Versorgungssicherheit

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10072. 9824

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 9824

Reiner Priggen (GRÜNE) 9825

Robert Stein (CDU) 9826

Reiner Priggen (GRÜNE) 9827

Marcel Hafke (FDP) 9827

Oliver Bayer (PIRATEN) 9829

Minister Garrelt Duin. 9830

Ergebnis. 9831

9   Nach de facto-Abschaffung der Netzneutralität in Europa: Nordrhein-Westfalen muss freies und offenes Internet für Einwohner und Unternehmen sicherstellen!

Eilantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10127. 9831

Lukas Lamla (PIRATEN) 9832

René Schneider (SPD) 9833

Thorsten Schick (CDU) 9834

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 9834

Thomas Nückel (FDP) 9836

Daniel Schwerd (fraktionslos) 9836

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 9837

Ergebnis. 9838

10 Fragestunde

Mündliche Anfragen
Drucksache 16/10093. 9838

Mündliche Anfrage 72

„Wie war der genaue Hergang der Festnahme des mutmaßlichen Attentäters Frank S. im Fall Reker am 17. Oktober in Köln?“ 9838

des Abgeordneten
Nicolaus Kern (PIRATEN)

Minister Ralf Jäger 9838

11 Neue Impulse für den Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10069. 9840

Sarah Philipp (SPD) 9840

Wilhelm Hausmann (CDU) 9841

Arndt Klocke (GRÜNE) 9843

Bernhard Schemmer (CDU) 9844

Holger Ellerbrock (FDP) 9845

Olaf Wegner (PIRATEN) 9846

Minister Michael Groschek. 9847

Ergebnis. 9849

12 Gesetz zum Schutz der nordrhein-west-fälischen Kommunen vor Risiken aus Fremdwährungskrediten und spekulativen Finanzgeschäften

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/8131 – 2. Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/10094

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Kommunalfinanzagentur zur Unterstützung der Kommunen im Zins- und Schuldenmanagement gründen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8121

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/10103. 9849

Michael Hübner (SPD) 9849

André Kuper (CDU) 9850

Mario Krüger (GRÜNE) 9851

Kai Abruszat (FDP) 9852

Frank Herrmann (PIRATEN) 9853

Minister Ralf Jäger 9854

Ergebnis. 9854

13 Transparenz über staatliches Handeln im Internet: Nachhaltige Online-Verfügbarkeit für NRW schaffen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10060. 9855

Frank Herrmann (PIRATEN) 9855

Guido van den Berg (SPD) 9856

Robert Stein (CDU) 9857

Oliver Keymis (GRÜNE) 9858

Marc Lürbke (FDP) 9858

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 9859

Ergebnis. 9859

14 Gesetz über die Feststellung eines Vierten Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2015 (Viertes Nachtragshaushaltsgesetz 2015)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10082

erste Lesung

In Verbindung mit:

Drittes Gesetz zur Änderung des Versorgungsfondsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10083

erste Lesung. 9860

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 9860

Stefan Zimkeit (SPD) 9860

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 9861

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 9862

Ralf Witzel (FDP) 9864

Dietmar Schulz (PIRATEN) 9865

Ergebnis. 9866

15 Ländlicher Raum darf bei der Digitalisierung nicht abgehängt werden – Land muss Kommunen beim Breitbandausbau unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8982

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/10101. 9866

Michael Hübner (SPD) 9866

Ulla Thönnissen (CDU) 9867

Reiner Priggen (GRÜNE) 9868

Kai Abruszat (FDP) 9869

Frank Herrmann (PIRATEN) 9871

Minister Johannes Remmel 9872

Ergebnis. 9872

16 Nordrhein-Westfalen unterstützt Hamburgs Olympiabewerbung 2024

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10066

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10148. 9873

Holger Müller (CDU) 9873

Rainer Bischoff (SPD) 9873

Josefine Paul (GRÜNE) 9874

Dr. Björn Kerbein (FDP) 9874

Lukas Lamla (PIRATEN) 9875

Ministerin Svenja Schulze. 9876

Ergebnis. 9876

17 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Wahlkreiseinteilung für die Wahl zum Landtag Nordrhein-Westfalen (Wahlkreisgesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9794

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/10095

zweite Lesung. 9877

Marc Herter (SPD) 9877

Lutz Lienenkämper (CDU) 9877

Sigrid Beer (GRÜNE) 9877

Angela Freimuth (FDP) 9878

Michele Marsching (PIRATEN) 9878

Minister Ralf Jäger 9878

Dietmar Brockes (FDP)
Erklärung gem. § 47 Abs. 2 GeschO zu Protokoll (siehe Anlage 1)

Ralf Witzel (FDP)
Erklärung gem. § 47 Abs. 2 GeschO zu Protokoll (siehe Anlage 1)

Bernhard Schemmer (CDU)
(Erklärung gem. § 47 Abs. 1 GeschO) 9879

Ergebnis. 9879

18 Dem Hass und Terror gegen Flüchtlinge, Helfer und Verantwortliche entschieden entgegenstellen!

Antrag
des Abg. Daniel Schwerd (fraktionslos)
Drucksache 16/10055 – Neudruck

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10147 – Neudruck. 9879

Daniel Schwerd (fraktionslos) 9879

Ibrahim Yetim (SPD) 9880

Monika Düker (GRÜNE) 9880

Dr. Joachim Stamp (FDP) 9881

Serap Güler (CDU) 9881

Michele Marsching (PIRATEN) 9882

Minister Ralf Jäger 9883

Ergebnis. 9884

19 Gesetz zur Änderung des Lehrerausbildungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9887 – Neudruck

erste Lesung. 9884

Ministerin Sylvia Löhrmann
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)

Ergebnis. 9884

20 Gesetz zur Änderung des Gebührengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10081

erste Lesung. 9885

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)

Ergebnis. 9885

21 Anmeldung zum Rahmenplan 2015 bis 2018 nach § 7 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK)

Unterrichtung des Landtags
gemäß § 10 Absatz 3 LHO
Vorlage 16/3102

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/10096. 9885

Ergebnis. 9885

22 Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung, ob § 4 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG NRW) gegen Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 4 Abs. 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen (LV NRW) verstößt – Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 27. August 2015 (6 K 2793/13)

VerfGH 10/15
Vorlage 16/3266

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10097. 9885

Ergebnis. 9885

23 Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Behauptung der Kreise Recklinghausen und Soest sowie der Stadt Essen, das Gesetz zur Weiterentwicklung des Landespflegerechtes und Sicherung einer unterstützenden Infrastruktur für ältere Menschen, pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige (Alten- und Pflegegesetz Nordrhein-Westfalen – APG NRW) vom 2. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 625), die Verordnung zur Ausführung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen und nach § 92 SGB XI (APG DVO NRW) vom 21. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 656), das Wohn- und Teilhabegesetz (WTG) vom 2. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 632) sowie die Verordnung zur Durchführung des Wohn- und Teilhabegesetzes (Wohn- und Teilhabegesetz-Durchführungsverordnung – WTG DVO) vom 23. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 686) verletzten die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung

VerfGH 11/15
Vorlage 16/3313

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10098. 9885

Ergebnis. 9885

24 Verfassungsbeschwerde der Frau Z. A., Sindelfingen – Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Schnabel & Kollegen, Brunnenstraße 19, 70372 Stuttgart
1. unmittelbar gegen
a) das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom  12. August 2010 – 2 AZR 593/09 –,
b) das Urteil des Landesarbeitsgerichts Ba- den-Württemberg vom 19. Juni 2009
 – 7 Sa  84/08 –, 
c) das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart  vom 15. Oktober 2008 – 14 Ca 7300/07 –,
d) die Abmahnung der Stadt Sindelfingen  vom 8. August 2007 – 10.2 – St –,
2. mittelbar gegen
 § 7 des Gesetzes über die Betreuung und  Förderung von Kindern in Kindergärten,  anderen Tageseinrichtungen und der Kin- dertagespflege des Landes Baden- Würt- temberg

1 BvR 354/11
Vorlage 16/3314

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10099. 9886

Ergebnis. 9886

25 Nachwahl eines ordentlichen und eines stellvertretenden Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses I (BLB)

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/10080. 9886

Ergebnis. 9886

26 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 34
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 16/10100. 9886

Ergebnis. 9886

27 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/36. 9886

Ergebnis. 9886

Anlage 1. 9887

Zu TOP 17 – „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Wahlkreiseinteilung für die Wahl zum Landtag Nordrhein-Westfalen (Wahlkreisgesetz)“ – von Dietmar Brockes (FDP) und Ralf Witzel (FDP) nach § 47 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene schriftliche Begründung ihrer Abstimmung

Dietmar Brockes (FDP) 9887

Ralf Witzel (FDP) 9887

Anlage 2. 9889

Zu TOP 19 – „Gesetz zur Änderung des Lehrerausbildungsgesetzes“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ministerin Sylvia Löhrmann. 9889

Anlage 3. 9891

Zu TOP 20 – „Gesetz zur Änderung des Gebührengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 9891

Entschuldigt waren:

 

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft      
(ab 18 Uhr)

Minister Garrelt Duin    
(bis 10:30 Uhr, ab 19:30 Uhr)

Ministerin Christina Kampmann 
(ab 13 Uhr)

Ministerin Sylvia Löhrmann       

Ministerin Barbara Steffens      
(bis 14:30 Uhr)

 

Andreas Becker (SPD)

Uli Hahnen (SPD)

Daniela Jansen (SPD)

Guntram Schneider (SPD)

Markus Töns (SPD)

 

Dr. Wilhelm Droste (CDU)

Heiko Hendriks (CDU)  
(ab 16 Uhr)

Bernd Krückel (CDU)

Andrea Milz (CDU)

Peter Preuß (CDU)       
(ab späten Nachmittag)

Ina Scharrenbach (CDU)           
(ab 16 Uhr)

 

Matthi Bolte (GRÜNE)

Verena Schäffer (GRÜNE)

Karin Schmitt-Promny (GRÜNE)           
(bis 13 Uhr)

Arif Ünal (GRÜNE)

 

Kai Schmalenbach (PIRATEN)

 

 

Beginn: 10:05 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 95. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 12 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung nehmen wir heute die Verpflichtung von Abgeordneten gemäß § 2 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung vor.

Die Landeswahlleiterin hat mir mit Schreiben vom 19., 20. und 23. Oktober 2015 mitgeteilt, dass mit Wirkung vom 21. Oktober 2015 Herr André Stinka für den ausgeschiedenen Abgeordneten Reiner Breuer, SPD, sowie Herr Michael-Ezzo Solf für den ausgeschiedenen Abgeordneten Thomas Kufen, CDU, und mit Wirkung vom 23. Oktober 2015 Frau Elisabeth Koschorreck für den ausgeschiedenen Abgeordneten Thomas Eiskirch, SPD, Mitglieder des Landtags Nordrhein-Westfalen geworden sind. Ich bitte deshalb Frau Koschorreck, Herrn Solf und Herrn Stinka, zu mir zu kommen, damit ich die nach § 2 unserer Geschäftsordnung vorgesehene Verpflichtung vornehmen kann.

Liebe neue Kollegin, liebe neue Kollegen, Frau Kollegin Koschorreck, Herr Kollege Solf, Herr Kollege Stinka, ich bitte Sie, die folgenden Worte der Verpflichtungserklärung anzuhören und anschließend durch Handschlag zu bekräftigen.

„Die Mitglieder des Landtags von Nordrhein-Westfalen bezeugen vor dem Lande, dass sie ihre ganze Kraft dem Wohle des Deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die übernommene Pflicht und Verantwortung nach bestem Wissen und Können erfüllen und in der Gerechtigkeit gegenüber jedem Menschen dem Frieden dienen werden.“

Mit diesem Handschlag heiße ich Sie nicht nur willkommen, sondern habe Sie auch verpflichtet und damit offiziell ins Amt eingeführt. Wir wünschen Ihnen alles Gute.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der Beifall zeigt, das Parlament nimmt Sie gerne in seiner Mitte auf. Sie werden sich sicherlich sehr schnell einfinden, zumal Sie nicht zum ersten Mal dem Parlament angehören.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde gleich einige Hinweise zum Ablauf der beiden Plenartage geben.

Bevor ich das tue, möchte ich gerne betonen, dass wir heute mit der gerade vorgenommenen Verpflichtung dieser drei neuen Abgeordneten sie in unsere Mitte und damit in Ihrem Auftrag im Namen der Demokratie und des nordrhein-westfälischen Volkes aufgenommen haben. Diese Kollegin und Kollegen rücken für ehemalige Kolleginnen und Kollegen nach, die nach erfolgreicher Wahl als Bürgermeister oder Oberbürgermeister in ihren Kommunen Verantwortung übernommen haben.

Dieses Beispiel zeigt: Unsere Demokratie ist keinesfalls starr, sondern sie ist sehr lebendig. Und zur Lebendigkeit der Demokratie gehört auch der Wechsel.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen – deshalb habe ich mich zu dem nicht ganz alltäglichen Schritt entschlossen –, seit dem Anschlag auf die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin und die dann einen Tag später gewählte Oberbürgermeisterin Henriette Reker wissen wir auch, dass diese Demokratie verletzlich ist.

Sie ist nicht gottgegeben, sondern wir müssen uns für die Demokratie einsetzen.

Deshalb ist es unsere gemeinsame Aufgabe, über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg die Demokratie immer wieder zu schützen und sie wehrhaft zu verteidigen.

Wir wissen alle sehr genau: Das Ziel dieses Anschlages – wie alle Anschläge mit rechtsextremistischem Hintergrund – war, den hohen Wert unserer Demokratie grundsätzlich infrage zu stellen.

Unsere Antwort ist heute wie in der Vergangenheit und auch in der Zukunft klar und unmissverständlich: Wir weichen keinen Millimeter zurück, und wir schließen die Reihen. Die Demokratie ist uns mehr als wichtig.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Ich möchte in unser aller Namen an dieser Stelle und in dieser Minute der neuen Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker nicht nur alles Gute im neuen Amt, sondern insbesondere vollständige Genesung wünschen. Das betrifft nicht nur die körperlichen Folgen eines solchen Attentates, sondern vor allem die Folgen, die unter Umständen noch lange nachwirken und die man nicht so deutlich sieht.

Liebe Frau Reker, alles Gute für Sie! Mögen Sie wieder ganz gesund an Leib und Seele werden. Dazu wünschen wir Ihnen Gottes Segen.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Ich komme jetzt zu den etwas alltäglicheren Dingen. Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich mehrere Hinweise zu geben und eine Abstimmung über einen Antrag auf Änderung der heutigen Tagesordnung durchzuführen.

Zunächst weise ich darauf hin, dass sich alle im Landtag vertretenen Fraktionen auf folgende Änderungen der Tagesordnungen der heutigen und morgigen Plenarsitzungen verständigt haben:

Erstens. Der ehemalige Tagesordnungspunkt 2 der heutigen Sitzung, Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/10076Neudruck –, der den Titel „Asylverfahren entlasten und vorübergehenden Schutz durch spezifischen Flüchtlingsstatus gewähren – Gesetzesentwurf zur Gewährung vorübergehenden nationalen humanitären Schutzes beim Bundesrat einbringen“ trägt, wird zusammen mit der Aktuellen Stunde unter Tagesordnungspunkt 1 beraten. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte rücken entsprechend auf.

Zweitens haben sich die Fraktionen darauf verständigt, dass der ehemalige Tagesordnungspunkt 13 der heutigen Tagesordnung, Gesetzentwurf der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 16/8131 in der Fassung des 2. Neudrucks mit dem Titel „Gesetz zum Schutz der nordrhein-westfälischen Kommunen vor Risiken aus Fremdwährungskrediten und spekulativen Finanzgeschäften“, in Verbindung mit dem Tagesordnungspunkt 13 der morgigen Plenarsitzung – Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/8121, „Kommunalfinanzagentur zur Unterstützung der Kommunen im Zins- und Schuldenmanagement gründen“ behandelt wird, und zwar am heutigen Mittwoch als TOP 12. – Schauen Sie gleich in die Livetagesordnung, da wird alles für Sie ganz klar und ersichtlich werden!

Der dritte Hinweis betrifft die morgige Plenarsitzung, und zwar soll der ehemalige Tagesordnungspunkt 7 Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 16/10071 „Chancen für flächendeckenden Ausbau digitaler Infrastrukturen durch Breitbandförderrichtlinie des Bundes nutzen – Landesregierung muss Kommunen beim Breitbandausbau endlich unterstützen“ zusammen mit der Aktuellen Stunde unter Tagesordnungspunkt 1 beraten werden.

 

So weit die Verständigungen, die Sie, da sich kein Widerspruch erhebt, dann auch so akzeptiert haben.

Nun gibt es einen Antrag des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd zur Änderung der heutigen Tagesordnung. Der Abgeordnete Schwerd hat beantragt, den heutigen Tagesordnungspunkt 18 „Dem Hass und Terror gegen Flüchtlinge, Helfer und Verantwortliche entschieden entgegenstellen!“ mit der heutigen Aktuellen Stunde – Tagesordnungspunkt 1 – zu verbinden.

Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 unserer Geschäftsordnung kann der Landtag vor Eintritt in die Tagesordnung – an der Stelle befinden wir uns – eine Verbindung der Beratung gleichartiger Gegenstände beschließen.

Deshalb lasse ich über den Antrag des Abgeordneten Schwerd abstimmen. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Der Abgeordnete Schwerd. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, Teile der Piratenfraktion und die FDP. Wer enthält sich? – Weitere Abgeordnete der Piratenfraktion enthalten sich. Damit ist der Antrag des Abgeordneten Schwerd auf Änderung der Tagesordnung mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich komme zum letzten Hinweis vor Eintritt in die Tagesordnung. Der Chef der Staatskanzlei hat mir mit Schreiben vom 14. Oktober dieses Jahres den Ersten Nachtrag zur Haushaltssatzung des Landesverbandes Lippe für das Haushaltsjahr 2015 sowie Durchschriften des Genehmigungserlasses des Ministeriums für Inneres und Kommunales mit der Bitte zugesandt, diese gem. § 10 des Gesetzes über den Landesverband Lippe dem Landtag zuzuleiten.

Die übersendeten Unterlagen können – das wissen Sie – im Archiv eingesehen werden.

Wenn sich kein Widerspruch erhebt, was hoffentlich nicht der Fall ist, würde ich gerne die  Kenntnisnahme durch den Landtag feststellen. – Dies tue ich hiermit.

Nach all diesen Vorbemerkungen treten wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Was ist die Haltung der Landesregierung in der Asylpolitik? Wie steht die Landesregierung zu Reisezentren, Einreisezentren und Transitzonen?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10125

In Verbindung mit:

Koalitionstreffen auf Bundesebene ohne Ergebnis – NRW braucht umgehend geordnete Flüchtlingsaufnahme – Streit um Transitzonen und Einreisezentren beenden

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10126

Und:

Asylverfahren entlasten und vorübergehenden Schutz durch spezifischen Flüchtlingsstatus gewähren – Gesetzesentwurf zur Gewährung vorübergehenden nationalen humanitären Schutzes beim Bundesrat einbringen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10076 – Neudruck

Die Fraktionen von CDU und FDP haben jeweils mit Schreiben vom 2. November 2015 gem. § 95 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung zu einer aktuellen Frage der Landespolitik zu den genannten zwei Themen eine Aussprache beantragt.

In Verbindung damit beraten wir, wie eben angekündigt, den Antrag der FDP-Fraktion.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der CDU Herrn Kollegen Laschet das Wort.

Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Flüchtlingskrise ist zweifellos eine historische Herausforderung. Das zeigt schon ein Blick auf die Dimension. Bundesweit registriert das EASY-System von Januar bis September 2015 den Zugang von fast 600.000 Asylsuchenden. Nordrhein-Westfalen hat 200.000 Flüchtlinge und Asylbewerber aufgenommen. Allein in der letzten Woche kamen mehr als 16.000.

Diese Aktuelle Stunde ist keine Flüchtlingsdebatte über all die Maßnahmen, die inzwischen beschlossen sind. Es ist keine Debatte über die Frage, ob wir das schaffen – ich bin sicher, wir werden das schaffen –, sondern es geht um die Frage: Wie kann man zu Problemlösungen statt zum parteipolitischen Streit kommen?

(Zurufe von der SPD: Oh! – Zuruf von Mehr-dad Mostofizadeh [GRÜNE])

Gestern hat SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in Berlin gesagt: Ich bin sicher, dass wir am Donnerstag ein Ergebnis finden. Die Deutschen erwarten von der Regierung, dass diese sich zusammenrauft.

SPD-Parteichef Gabriel hat gesagt: Wir sollten von Merkel lernen – cool bleiben. Die SPD wird sich sinnvollen Kompromissen nicht verschließen.

Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpom-mern, Herr Sellering: Wir werden die Aufnahme einer so großen Zahl an Flüchtlingen nur meistern können, wenn die großen Parteien ihre Kräfte bündeln.

Deshalb, liebe Frau Ministerpräsidentin, hätte ich mir gewünscht, auch Sie hätten einen Beitrag dazu geleistet, wie man zu einer Lösung kommt.

(Marc Herter [SPD]: Wir gehen nach München!)

In der heutigen Presse liest man, dass Sie dem bayerischen Ministerpräsidenten noch heute vorwerfen, den Rechtsextremismus zu fördern. Das, was Sie da machen, ist nicht förderlich.

(Beifall von der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Sie können glauben, es ist gut, dabei zu klatschen.

(Heiterkeit von der SPD)

Ich glaube nur, Herr Gabriel hat recht, dass es morgen zu Ergebnissen kommen muss. Wenn man einen Kollegen, der die größte Belastung an der österreichisch-bayerischen Grenze auszuhalten hat und, nebenbei bemerkt, eine bessere Integrationspolitik als Nordrhein-Westfalen macht,

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

als Rechtsextremist beschimpft, ist das nicht förderlich.

(Weitere Zurufe von der SPD)

Worum geht es in der Sache? Ich hätte mir in dieser Phase – man kann ja Wünsche äußern, und man merkt, eine Ministerpräsidentin erfüllt sie nicht – Ruhe, Sachlichkeit, Kompromissbereitschaft gewünscht.

(Heiterkeit von der SPD)

Wenn Sie die nicht erfüllen wollen, ist das Ihre Sache.

Die Frage lautet: Was ist denn die Lösung? Herr Jäger schlägt vor: Wir brauchen Reisezentren. Das Wort „Reisezentren“ ist selbst der SPD etwas zu absurd vorgekommen – Schönrederei. Deshalb hat man am Samstag beschlossen, die SPD will Einreisezentren.

Aber für das, was Sie jetzt Einreisezentren nennen, erheben Sie die Forderung: Nur wer sich registrieren lässt, kriegt soziale Leistungen. – Das ist eine pure Selbstverständlichkeit, die schon heute gilt. Natürlich muss sich jeder registrieren lassen.

Aber Sie haben im Juni schon mit den Ministerpräsidentenkollegen in Berlin verabredet, dass in den nordrhein-westfälischen Erstaufnahmeeinrichtungen nach drei Monaten die Verfahren abgeschlossen werden sollen, ähnlich wie die Bayern das schon machen.

Minister Jäger erklärt: Das machen wir in Nordrhein-Westfalen nicht wie die Bayern.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Bei uns sind keine BAMF-Mitarbeiter und keine Verwaltungsrichter in den Erstaufnahmestellen, weil wir vier dezentrale Erstaufnahmeeinrichtungen haben. Da sind Albaner drin, aber nicht nur.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Es gibt überhaupt keinen Kompass dieser Landesregierung in dieser Frage. Deshalb kommen wir da auch nicht weiter.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wenn wir dann hier genau das einfordern, „Sie müssen zwischen Schutzbedürftigen und Menschen aus den Demokratien des Balkans unterscheiden“, dann sagt Herr Jäger: Ich kann mir ein solches Modell nicht vorstellen. Sie beschließen in einem Antrag wohlfeile populistische Forderungen wie: Eine zentrale Unterbringung der Flüchtlinge aus den Westbalkanländern fördert eine gesellschaftliche Spaltung. – Frau Ministerpräsidentin sagt: Sie unterscheiden in gute und böse Flüchtlinge.

Meine Damen und Herren, die Differenzierung, wer schutzbedürftig ist und wer nicht, hat inzwischen am Samstag auch die SPD anerkannt. Ich wäre froh, wenn wir das, was in Berlin beschlossen wird, hier in Nordrhein-Westfalen umsetzen. Dann wäre schon sehr viel bewegt.

(Beifall von der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben gesagt, Sie wollten Ihren inneren Kompass nicht verändern. Das finde ich richtig. Ich werde meinen auch nicht verändern. Nur: Wir wären froh, wenn Sie einen inneren Kompass in der Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen hätten.

(Beifall von der CDU)

Das geht hin und her. Vor zwei Wochen erklären Sie in der „Rheinischen Post“: Wir brauchen Obergrenzen. – Jetzt sagen Sie gestern im Hintergrund: Wir wollen doch keine Obergrenzen.

(Nadja Lüders [SPD]: Mit wem reden Sie? Mit Herrn Seehofer?)

Sie müssen einfach mal beginnen, das umzusetzen, was verabredet ist. Dann können wir auch wirklich sagen: Wir schaffen das.

(Zurufe von der SPD)

Ich würde Sie bitten, Frau Ministerpräsidentin, heute nicht weiter Ministerpräsidentenkollegen beschimpfen, sondern morgen einen konstruktiven Beitrag leisten, damit wir zu einer Lösung in dieser Frage in Berlin kommen.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich teile vieles, was der Kollege Laschet zur Konzeptionslosigkeit der Landesregierung gesagt hat. Aber wir müssen aufpassen, dass wir in der Debatte jetzt nicht mit Wortklauberei den Eindruck vermitteln, dass sich die demokratischen Parteien im Grunde genommen nur um Begrifflichkeiten streiten und nicht in der Lage sind zu handeln.

Wir sind in einer Situation – und das muss man sich verdeutlichen –, in der auch durch Kommunikationsfehler der Bundesregierung international der Eindruck entstanden ist, es gebe eine Generaleinladung nach Deutschland. Und dieser Kommunikationsfehler muss korrigiert werden, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Es ist der Eindruck entstanden: Das, was früher der American Dream war, ist heute der German Dream. – Wir werden nicht für all diejenigen, die zu uns kommen, diesen German Dream erfüllen können, sondern da wird es bittere Enttäuschungen geben; denn auch ein reiches und starkes Land wie die Bundesrepublik Deutschland kann auf Dauer nicht 10.000 Flüchtlinge pro Tag aufnehmen. Die Zahlen müssen sinken.

(Beifall von der FDP und von Ilka von Boeselager [CDU])

Für die Freien Demokraten steht dabei fest, dass wir keine Grundrechtsänderung wollen. Wir wollen keine Mauern, und wir wollen schon gar keinen Schießbefehl. Aber wir wollen, dass gehandelt wird und dass die Bevölkerung, die Ängste hat, eine Bundesregierung erlebt, die tatsächlich handelt und die sich nicht über die Medien auseinandersetzt, ob die Dinge Transitzonen oder Einreisezentren heißen.

Meine Damen und Herren, worum geht es dabei denn? Es geht darum, dass wir große Einrichtungen brauchen, in denen diejenigen, die nur eine geringe Bleibechance haben, ein zügiges, gestrafftes Verfahren bekommen und nicht in die Kommunen überführt werden, sondern direkt, wenn das Verfahren negativ beschieden ist, auch in die Heimatländer wieder zurückgeführt werden.

Meine Damen und Herren, es geht dabei eben nicht nur um diejenigen aus den sicheren Herkunftsländern des Balkans, sondern es geht darum, dass wir den Trend aus Afghanistan und Pakistan jetzt stoppen, weil wir das am Ende nicht mehr schaffen werden. Deswegen muss an dieser Stelle auch ein klares Stoppsignal an diejenigen gerichtet werden, die keine Bleibeperspektive haben, die nicht tatsächlich persönlich verfolgt werden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir wollen Kriegsflüchtlinge schützen, wir wollen politisch Verfolgte schützen. Wenn es nach dem Willen der Liberalen ginge, dann hätten wir schon längst ein Einwanderungsrecht, das auch anderen eine entsprechende Perspektive bieten würde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns das gemeinsam angehen! Lassen Sie uns auch gemeinsam die unterschiedlichen Fluchtursachen stärker in den Blick nehmen! Wir haben Ihnen dazu einen Vorschlag für eine Bundesratsinitiative unterbreitet. Wir wollen nicht das Grundrecht auf Asyl antasten, sondern wir wollen die Asylgesetzgebung insgesamt ergänzen, weil wir für die unterschiedlichen Gruppen auch unterschiedliche Antworten brauchen.

Wir haben die individuell politisch Verfolgten, wir haben aber momentan vor allem auch einen großen Zustrom von Bürgerkriegsflüchtlingen. Für diese sieht das europäische Recht bereits heute vor, dass bei einer solchen Entwicklung ein Massenzustrom vom Europäischen Rat festgestellt werden könnte. Dann kann ein vorübergehender humanitärer Schutz ausgesprochen werden mit einer Verteilung von Quoten auf die verschiedenen Länder.

Nun wissen wir alle, dass aufgrund der Uneinigkeit, dieser fehlenden Solidarität in Europa ein solcher Beschluss nicht zustande kommen wird. Deswegen schlagen wir als Freie Demokraten vor: Lasst uns ein eigenes Gesetz hier schaffen, um einen eigenen Status für Bürgerkriegsflüchtlinge zu schaffen! Damit müssen die Bürgerkriegsflüchtlinge nicht mehr durch das Nadelöhr des individuellen Asyls, damit haben sie die Möglichkeit, vom ersten Tag an Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Integration zu bekommen.

Lassen Sie uns auf diese Art und Weise durch die Befristung den Familiennachzug restriktiv, aber fair regeln, und lassen Sie uns dann mit einer Einwanderungsregelung denjenigen, die sich am Ende des in ihrem Heimatland stattfindenden Krieges hier voll integriert haben, die wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen, eine dauerhafte Bleibeperspektive geben! Dafür haben wir unseren Gesetzentwurf hier heute eingebracht.

Ich glaube, dass das ein wichtiger Baustein sein kann, weil er auch Entlastung schafft. Er schafft Entlastung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, meine Damen und Herren. Er schafft aber auch Entlastung bei den Verwaltungsgerichten. Dann können wir uns auf diejenigen konzentrieren, die auch noch zu beurteilen sind. In der Folge gäbe es schnellere Entscheidungen für die politisch Verfolgten. Dann wäre auch mehr Spielraum vorhanden – dieses internationale Signal wird auch erwartet, denke ich –, dass wir zumindest einen Teil der Dublin-III-Fälle wieder rücküberstellen, um auf die europäischen Partner Druck zu machen, damit wir zu einer gemeinsamen europäischen Regelung kommen.

Meine Damen und Herren, in der Bevölkerung, aber auch unter den Flüchtlingen gibt es die Erwartungshaltung an die demokratischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch bei uns in Nordrhein-Westfalen, gemeinsam zu zeigen, dass wir einer historischen Herausforderung gewachsen sind. Deswegen sollten wir nicht in parteitaktisches Klein-Klein verfallen, sondern uns ernsthaft überlegen, wie wir diese Krise gemeinsam meistern.

Wir wissen, dass unser Vorschlag für einen Gesetzentwurf hier nicht alle Probleme lösen wird. Aber er liefert einen wesentlichen Baustein. Deswegen erwarten wir von Ihnen nicht mehr als eine kritische, aber konstruktive Diskussion über diesen Vorschlag.

Ich würde mich freuen, wenn wir hier im Dezember gemeinsam eine solche Bundesratsinitiative beschließen könnten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stamp. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Römer.

Norbert Römer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Herr Kollege Laschet, je größer ein Problem ist,

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Desto kleiner werden Sie!)

desto kühler sollte der Kopf sein. Das muss vor allen Dingen an die Adresse vieler in Ihrer Partei gerichtet werden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn dort scheinen, Herr Kollege Laschet, zu viele inzwischen ihre Orientierung verloren zu haben. Deshalb sage ich gleich zu Beginn und in aller Klarheit: Menschen, die vor Fassbomben und Mörderbanden Schutz suchen, sind weder eine Katastrophe noch eine Bedrohung für unseren Staat. Deutschland befindet sich eben nicht in einem Ausnahmezustand.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ihre Aktuelle Stunde, die Sie hier beantragt haben, kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, Herr Kollege Laschet, dass das Einzige, was sich in unserem Land in einem Ausnahmezustand befindet, Ihre beiden Parteien sind, die Unionsparteien.

(Armin Laschet [CDU]: Oh Gott! – Christian Möbius [CDU]: Wer glaubt das denn?)

Zu Horst Seehofer, den Sie gerade noch in Schutz genommen haben, empfehle ich Ihnen die dpa-Meldung von heute Morgen: Der bayerische Ministerpräsident lässt nicht nach. Er bereitet jetzt eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung vor.

Horst Seehofer hat doch mit seiner Notstandsrhetorik die Autorität der Bundeskanzlerin untergraben, ihren Führungsanspruch bestritten und den rechten Flügel der Union zur Rebellion angestiftet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, das Land erwartet zu Recht von seiner Regierung konkrete Lösungen für konkrete Probleme. Doch dazu sind Sie, CDU und CSU, überhaupt nicht fähig; denn der Ausnahmezustand der Union zwingt Sie, alles, wirklich alles der Gesichtswahrung von Einzelpersonen unterzuordnen, Herr Kollege Laschet. Sie wollten gerade doch auch eine Fassade aus rhetorischer Pappe errichten, um Ihre innerparteilichen Trümmer zu verdecken.

(Zurufe von der CDU)

Das gelingt aber nicht – auch nicht mit dieser Aktuellen Stunde, Herr Kollege Laschet. Das ist zu offensichtlich.

(Lachen von der CDU)

Auch das gehört mit zur Wahrheit dazu:

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das ist ja Rhetorik von vorgestern!)

Horst Seehofer und seine Verbündeten in Ihrer Partei, in der Union, haben Sie an die Grenze der Regierungsunfähigkeit getrieben. Wozu eigentlich das alles, Herr Kollege Laschet? Die Antwort haben Sie in einem Interview mit der Zeitung „DIE WELT“ selbst gegeben – für Signale, für Zeichen, für Symbolik, aber eben nicht für Lösungen, für Konzepte und für Maßnahmen. In allem Ernst, Herr Kollege Laschet: Das ist einer großen Volkspartei mit der Tradition der CDU wirklich unwürdig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Welche Probleme müssen wir jetzt lösen, meine Damen und Herren? Zuallererst brauchen Menschen, die vor Not und Verfolgung fliehen, Hilfe. Der Art. 16a unserer Verfassung gilt. Das Recht auf Asyl gehört zum Selbstverständnis unserer Republik.

Meine Damen und Herren von der CDU, es stimmt auch nicht, dass dieses Recht nur für Einzelfälle eingeführt worden sei. Muss ich wirklich daran erinnern, welche massenhaften Verfolgungen, welche Not und welche Verzweiflung die Väter und die vier Mütter des Grundgesetzes vor Augen hatten, als sie das Asylrecht in den Kanon der Grundrechte aufgenommen haben? Muss ich Sie, meine Damen und Herren von der CDU, wirklich daran erinnern, was seinerzeit der Grund für den damaligen Artikel 16 gewesen ist? Ich hoffe doch wohl nicht, meine Damen und Herren!

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens. Wir brauchen mehr Ordnung bei der Einreise und mehr Geschwindigkeit bei der Abarbeitung der Asylverfahren. Da muss aber der Bund endlich liefern, meine Damen und Herren, und seine Arbeit machen, damit es mit der Beschleunigung der Asylverfahren auch endlich etwas wird, Herr Kollege Laschet. Der Bund ist dafür zuständig. Der Bundesinnenminister hat die Verantwortung, und das Bundeskanzleramt hat die Verantwortung. Die müssen liefern, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir müssen drittens dafür sorgen, dass mittelfristig weniger Menschen bei uns Zuflucht suchen müssen und suchen wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, was haben Sie denn anzubieten, um diese Probleme zu lösen? Herr Kollege Laschet, Sie haben vorhin noch nicht einmal das Wort „Transitzonen“ in den Mund genommen. Sind Sie davon wieder weg? Mir fällt dazu Folgendes ein: Kommt eine Idee in einen leeren Kopf, dann füllt sie ihn vollständig aus, weil keine andere da ist,

(Christian Möbius [CDU]: Sie kennen sich aus!)

die ihr den Rang streitig machen könnte. – Schon Montesquieu wusste das.

Ihre Transitzonen sind doch eine Idee der Verzweiflung in einem leeren Kopf, meine Damen und Herren. Deswegen haben Sie sie gar nicht mehr genannt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Fragen Sie doch einmal die Polizei danach, was die Praktiker von Transitzonen halten. Gar nichts! Scheinlösungen nennen sie das, Placebos.

Herr Kollege Laschet, das will ich Ihnen auch nicht ersparen: Der Essener Ruhrbischof Overbeck hält Transitzonen schlichtweg für unmoralisch; denn dort würden Menschen, so der Ruhrbischof, die ihr Leben retten wollen, zu Gefangenen. Er hat Ihnen das somit ins Stammbuch geschrieben.

Lassen Sie also die Finger davon. Es war richtig, dass Sie das vorhin nicht erwähnt haben. Es ist blödsinnig, eine solche Idee überhaupt in die Öffentlichkeit zu bringen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich möchte das gar nicht weiter ausführen. Sie wissen das selbst, Herr Kollege Laschet. Mein Eindruck ist, dass Sie das ebenfalls für eine Scheinlösung halten. Sie müssen nur tapfer sein und das für Ihre Partei immer wieder erwähnen. Gerade haben Sie es nicht getan. Das ist auch ganz gut so. Schließlich wissen Sie selbst, dass das eine völlig verrückte Idee ist.

Meine Damen und Herren, ja, viele Menschen sind zwischen dem Wunsch, zu helfen, und den Sorgen vor den Folgekosten hin und her gerissen. Deshalb sage ich auch in aller Klarheit: Nie war eine vorbeugende Investitionspolitik wichtiger und richtiger als heute.

Herr Kollege Laschet, weil Sie vorhin Bayern als Beispiel genannt haben, sage ich Ihnen auch in aller Klarheit: Kein Bundesland wird im kommenden Jahr mehr Geld für Schulen, Kitas, Wohnungen, Sprachkurse und Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration ausgeben als Nordrhein-Westfalen – kein anderes Bundesland, auch Bayern nicht, Herr Kollege Laschet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Norbert Römer (SPD): Meine Damen und Herren, Sorgen und Ängste gibt es genug. Wir brauchen jetzt Mut und Tatkraft. Wir sind dazu bereit. Ich lade Sie ganz herzlich ein, dabei mitzumachen. – Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Düker das Wort.

Monika Düker (GRÜNE):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Lagebeschreibung dieser außergewöhnlichen Situation, in der wir uns gerade befinden, sowie die großen Herausforderungen, vor denen wir alle stehen, angeht, so sind wir uns hier im Saal noch einig. Erschreckend, Herr Laschet, finde ich heute Ihre Antwort darauf. Sie reduzieren sich einmal wieder in altbekannter Manier auf die Mechanismen, die drei großen As: Abwehr, Abschottung, Abschreckung. – Herr Stamp hat es auch ein bisschen so formuliert.

Nein, Herr Laschet, Sie haben mit Ihren Äußerungen heute keinen hilfreichen Beitrag zur Lösung der aktuellen Herausforderung geleistet.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Und was noch viel schlimmer ist: Mit diesen altbekannten Reflexen vermitteln Sie in einer verunsicherten Bevölkerung den Eindruck: Es muss nur jemand diesen Schalter umlegen, und dann kommen schon keine Flüchtlinge mehr zu uns. – Das ist ein Szenario, das Flüchtlinge als Bedrohung erscheinen lässt, die man abwehren muss. Das ist doch ein Zerrbild, das die Verunsicherung in der Bevölkerung nur verstärkt, aber nicht ein einziges unserer Probleme tatsächlich löst.

Schauen wir uns Ihre angeblichen Konzepte zur Senkung der Flüchtlingszahlen, die Sie in der Aktuellen Stunde aufgegriffen haben, doch einmal genauer an. Ihre neue Zauberformel sind Transitzonen irgendwo im Niemandsland, mit denen wir angeblich Probleme lösen.

Denken wir das doch einmal ehrlich zu Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diesem Anspruch muss sich Politik doch auch stellen. Wenn man wirklich das Ziel erreichen will, dass niemand diese Grenzen umgeht und über die grüne Grenze dann vielleicht doch einreist, braucht man – so viel gehört zur Ehrlichkeit dazu – erstens Grenzkontrollen. Diese müssen möglichst lückenlos sein, damit niemand durch dieses Netz geht. Was ist mit Schengen? Wollen Sie das aufgeben? Was ist mit Zäunen? Wie wollen Sie diese Grenzsicherung gewährleisten?

Zweitens wird man – und darum drückt sich die CDU/CSU herum – irgendeinen Zwang ausüben müssen, damit niemand wieder durch dieses Tor herausspaziert. In Richtung Heimat dürfen sie natürlich gehen, in die andere Richtung aber nicht. Wenn man sie aber davon abhalten will, wird man sie auch einsperren müssen. Das nennt man gemeinhin Haft, Herr Laschet. Die Stellung eines Asylantrags begründet in einem Rechtsstaat wie Deutschland aber immer noch keine Haft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Außerdem fehlt eine ehrliche Antwort auf die Frage, was man mit den abgelehnten Asylsuchenden dann macht. Sollen sie analog zu Dublin III zurückgeführt werden? Dieses Abkommen ist eigentlich nicht mehr existent. Oder soll man sie ins Herkunftsland abschieben? Und was ist mit denjenigen, die nicht abgeschoben werden können? Werden sie dann dauerhaft in diesen Lagern interniert?

Zur Ehrlichkeit gehört auch dazu, dass man offen sagt – und das sollten wir heute tun –, dass diese Schnellverfahren, die dort analog zum Flughafenverfahren stattfinden, nicht mehr rechtstaatlichen Ansprüchen genügen. Berechtigte Härtefälle werden so nicht mehr identifiziert werden können.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Schlussendlich kann damit überhaupt nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge erfasst werden. Dabei handelt es sich genau um diejenigen, deren Zahlen gerade deutlich zurückgehen. Das heißt: Es ist uns doch bereits mit ganz anderen Maßnahmen gelungen, diese Menschen von der Aussichtlosigkeit eines Asylverfahrens in Deutschland zu überzeugen – sichere Herkunftsländer hin oder her.

Zusammengefasst: Der Vorschlag der CDU/CSU, der gerade auf dem Tisch liegt, ist nicht zu Ende gedacht, ist europarechtlich wie verfassungsrechtlich, Herr Laschet – das wissen Sie auch –, hoch problematisch, ist nicht praktikabel in der Umsetzung und geht an der Lösung der Probleme komplett vorbei.

Das Schlimme ist: Zumindest einige in der CDU – dazu zähle ich Sie auch, Herr Laschet – wissen das und tragen es wider besseres Wissen mit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Laschet, warum machen Sie diesen wirren Aktionismus mit? Wollen Sie damit Handlungsmacht signalisieren? Wollen Sie Herrn Seehofer damit die Stammtische retten? Wofür geben Sie sich da innerhalb Ihrer Partei eigentlich her? Denn eines ist doch sicher: Damit wird der Zuzug nicht begrenzt. Auch das wissen Sie.

Die Stellschrauben liegen in der Beseitigung der Fluchtursachen und in einer solidarischen Aufnahmestrategie innerhalb Europas. Sie sollten Ihrer Kanzlerin, die sich weiß Gott sehr engagiert in diesen Fragen einbringt, besser den Rücken stärken, als ihr in genau diesen zu fallen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir Grünen die vehementesten Unterstützer der Kanzlerin bei der Bewältigung dieser Herausforderung sind. Das ist für Ihre Partei schon ziemlich erbärmlich; das muss ich Ihnen auch einmal sagen.

Für die Bewältigung der Herausforderungen der aktuellen Krise können wir aus unserer Sicht mit dem bestehenden Verfahren und den rechtlichen Rahmenbedingungen einiges bewirken, wenn wir die Strukturen ertüchtigen, Schwachstellen identifizieren, Abläufe optimieren und die Infrastruktur ausbauen. Genau das tun wir hier in NRW. Aber das wird dauern, und es wird kosten. Das hört sich vielleicht nicht so einfach an, und man landet damit auch nicht in den Überschriften der Medien. Aber wenn wir die Verfahren und Abläufe wieder in geordnete Bahnen gelenkt bekommen, können wir Asylverfahren in drei Monaten abschließen.

Daran müssen wir doch perspektivisch gemeinsam arbeiten, um die Krisensituation zu überwinden. Genau das tun wir. Da haben wir in NRW und mit den Kommunen schon einiges auf den Weg gebracht. All das ist ohne das Schleifen rechtsstaatlicher Ansprüche mit dem geltenden Recht möglich, wenn wir gemeinsam daran arbeiten.

Was wir nicht brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind täglich neue unausgegorene Vorschläge. Das verunsichert die Bevölkerung und bringt uns nicht weiter. Dafür stehen wir Grünen nicht zur Verfügung. Für asylverfahrensrechtliche Änderungen braucht es ja auch immer noch die Zustimmung des Bundesrates.

Worum geht es? Es geht um Lösungen, nicht um Scheinlösungen. Es geht um Ehrlichkeit. Sie sollten die Menschen nicht für dumm verkaufen und ihnen keine Dinge suggerieren, die wir nachher überhaupt nicht erfüllen können. Langfristig wird das nämlich auch Politikverdrossenheit fördern.

Was wir Grüne nicht mitmachen werden, ist, in der Krise unsere Grundwerte infrage zu stellen. Das sind die individuellen Grundrechte auf ein rechtsstaatliches Asylverfahren, eine menschenwürdige Versorgung, eine anständige gesundheitliche Versorgung, körperliche Unversehrtheit und Schutz der Familie.

Ich habe heute in dieser Debatte öfter – auch wieder von Herrn Stamp – ein Plädoyer für die Einschränkung des Familiennachzugs gehört. Was sagen Sie denn den Familien in der Türkei, die dort, weil die Türkei der Genfer Flüchtlingskonvention nicht beigetreten ist, keinen Flüchtlingsstatus bekommen und nicht arbeiten können, höchstens illegal, und keine Versorgung haben? Sagen Sie ihnen, sie dürften jetzt aber nicht nach Deutschland kommen? Damit zwingen Sie sie doch in die Boote übers Mittelmeer. Während sie in der Türkei darauf warten, nach Deutschland nachzukommen, haben sie dort doch überhaupt keine Perspektive. Der Schutz der Familie muss uns doch ein Wert an sich sein.

Die Bewältigung der Krise ist für uns auch eine Frage der grundsätzlichen Herangehensweise. Wenn wir unsere Grundrechte in Rechte erster und Rechte zweiter Klasse einteilen, begeben wir uns auf eine gefährliche Rutschbahn. Ich bin froh, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen mit einer menschenrechtsorientierten Flüchtlingspolitik in dieser Koalition einig sind. Da hat die Ministerpräsidentin auch unsere volle Unterstützung. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Herrmann.

Frank Herrmann*) (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Ich möchte Ihnen gerne etwas über Framing erzählen. Framing ist ein Begriff aus der Kommunikationswissenschaft und beschreibt den Prozess der Einbettung von Ereignissen und Themen in einen selbst definierten Rahmen, in eine Rahmenhandlung. Diese Frames, also Rahmen, werden dann in der politischen Debatte und in der politischen Pressearbeit immer wieder intensiv herausgestellt und benannt.

Auch die jeweiligen Protagonisten der Interessengruppen, hier die Parteien und deren Vorkämpfer, stellen in Interviews immer wieder die Rahmen in den Vordergrund, damit die Bürgerinnen und Bürger langsam, aber sicher die Rahmen – das sind aktuell die Transitzonen – mit dem eigentlichen Thema bzw. Ereignis verknüpfen. Das Ereignis ist hier die größte Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die Taktik dabei ist, dass die Problembeschreibung und Problemlösung zu dem Ereignis und dem Thema immer nur zu dem selbst definierten Rahmen passiert, aber der Bürger das Gefühl haben soll, das Thema oder Ereignis würde im Ganzen angepackt. Das ist der Trick, um davon abzulenken, dass das eigentliche Thema oder Ereignis überhaupt nicht geändert werden kann oder dass die handelnden Personen einfach nicht wissen, was sie tun sollen.

Genau das passiert hier gerade. Die politische Propaganda redet über Transitzonen oder Einreisezentren, als ob das irgendetwas an den Fluchtgründen oder der Not der Menschen ändern würde. Die Fraktionen hier und im Bund, die sogenannte etablierte Politik, haben sich von der Wahrnehmung und von der Behandlung der realen Probleme in der Flüchtlingsaufnahme offensichtlich verabschiedet.

(Beifall von den PIRATEN)

CDU und FDP beziehen den Landtag Nordrhein-Westfalen mit ihren Anträgen zur Aktuellen Stunde in die hysterische und inszenierte Koalitionskrise des Bundes ein und machen hier nebenbei CSU-Rhetorik salonfähig. Das ist bitter.

(Beifall von den PIRATEN)

Das schadet dem Ansehen der Politik und fördert weiter die Politikverdrossenheit.

Tausende Kommentare im Netz und in den Medien zeugen davon. „Rauft euch endlich zusammen“ steht dort. Die Bürger sind diese ewigen Parteienschlammschlachten leid, und die Flüchtlinge warten auf Lösungen. In Nordrhein-Westfalen warten sie schon seit mindestens 2012. Seither kriselt es nämlich in der Landesaufnahme.

Also: Was bringt uns im Landtag die Beschäftigung mit Transitzonen? Einfach und gerade heraus gesagt: gar nichts.

(Beifall von den PIRATEN)

Helfer und Flüchtlinge werden hier vor Ort weiter im Regen stehen gelassen. An den Drehscheiben in Köln und Düsseldorf versorgen Helferinnen und Helfer mittlerweile zwei Sonderzüge pro Tag mit Schutzsuchenden. Es gibt immer mehr Notunterkünfte, in denen Menschen monatelang leben müssen. Ohne die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer könnte es dort niemand aushalten.

Es ist wirklich fast ein Wunder, dass so wenig in den Unterkünften im Land passiert. Selbst Polizeigewerkschaftler – Herr Plickert war es Anfang des Monats – sagen, dass trotz der Enge und der fehlenden Privatsphäre in den Unterbringungen wenig passiert und dass das, was passiert, genauso in Gemeinschaftsunterkünften vorkommen würde, in die man 1.000 Deutsche packen würde. Es gibt also überhaupt keinen Grund, hier irgendwelche Befürchtungen zu haben und Angst zu haben.

Nur: Solche besonnenen Sätze höre ich von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, leider nie.

Beschäftigen wir uns einmal ganz kurz mit den Vorschlägen der CDU/CSU auf der einen Seite und den Vorschlägen der SPD auf der anderen Seite.

Die CDU/CSU möchte angelehnt an das Flughafenasylverfahren in Transitzonen die Verfahren entscheiden. Wie ist das bisher passiert? Im Jahr 2013 durchliefen 972 Menschen in Deutschland ein sogenanntes Flughafenasylverfahren. 899 davon durften dann einreisen. Das sind mehr als 92 %. Dieses Verfahren soll jetzt auf 1 Million Menschen angewendet werden? Was macht das für einen Sinn? Was soll das?

Der SPD-Vorschlag mit Einreisezentren klingt etwas netter, ist aber genauso wenig ein Beitrag zur Lösung der Aufgabe der menschenwürdigen Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge.

Letztlich – ich hatte es schon gesagt – wird hier und besonders in Berlin eine Scheindebatte geführt, um von dem fundamentalen Versagen des gesamten Asylverfahrens abzulenken. Es ist in erster Linie das Verschulden der Bundesregierung und der nachgeordneten Behörde, des BAMF, dass es überhaupt möglich ist, als Flüchtling jahrelang in einem schwebenden Asylverfahren in Deutschland zu leben – bzw. was man so als „leben“ bezeichnet, in teilweise verschimmelten Unterkünften mit Leistungen unter dem Hartz-IV-Satz.

Wenn nun einigen Menschen selbst diese schlechten Lebensbedingungen besser erscheinen, als in ihrem Heimatland zu bleiben, sollte man sie dann dafür bestrafen, indem man ihre Heimat als sicheres Herkunftsland definiert und sie dann abschiebt? Ich denke nicht.

Ganz offenkundig versagt hier unser Asylverfahren. Ich bin inzwischen überzeugt, dass der Rückstau der Verfahren, der durch die jahrelangen Versäumnisse des Bundes verursacht wurde, nicht wieder aufgeholt werden kann. Hier braucht es mutigere und klarere Schritte.

Es tut mir leid, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP: Ihr Antrag gehört leider nicht dazu.

(Zuruf von den PIRATEN: So ist es!)

Ihr Antrag beinhaltet rechtliche Einschränkungen für Kriegsflüchtlinge, die weder Kommunen noch Länder bei ihren Aufgaben etwas bringen, die für das BAMF letztlich Mehrarbeit bedeuten würden und die schließlich wegen der Ermächtigung des Bundesinnenministers auch noch undemokratisch und damit möglicherweise auch verfassungswidrig wären. Das ist also nur heiße Luft.

Wir Piraten bringen hingegen einen Entschließungsantrag ein, der Maßnahmen enthält, die – umgesetzt für alle Beteiligten – eine große Entlastung bedeuten würden. Leider kann der Antrag aus formalen Gründen hier nicht behandelt werden. Er wird aber bei der nächsten Sitzung des Innenausschusses Thema sein.

Lassen Sie mich daher ganz allgemein ein paar Maßnahmen ansprechen, die ergriffen werden sollten. Auf die Massenabschiebungen nach dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz sollte zum Beispiel verzichtet werden. Des Weiteren sollte sich die Landesregierung auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass zur Entlastung des BAMF eine Altfallregelung erlassen wird, nach der alle Flüchtlinge, die schon länger als ein Jahr auf ihre Asylentscheidung warten, eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, womit das Verfahren abgeschlossen werden kann. Dies würde den großen Berg der Asylanträge, die derzeit auf Halde liegen, erheblich abschmelzen.

(Beifall von den PIRATEN)

Als nächster Punkt sollten alle Dublin-III-Fälle sofort eingestellt werden. Die Umsetzung von Dublin III ist in der Praxis aufwendig, schwierig und oft genug gar nicht durchführbar. Dies würde auch erheblich zur Entlastung der Verwaltung beitragen.

Abschließend bleibt mir zu sagen: Hören Sie endlich auf, Menschenrechte mit Füßen zu treten. Rufen Sie dazu auf, die Aufgabe, die flüchtenden Menschen aufzunehmen und zu versorgen, gemeinsam anzugehen. Natürlich müssen dazu auch immer wieder die anderen Länder der Wertegemeinschaft Europa einbezogen werden und aufgefordert werden, …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Frank Herrmann*) (PIRATEN): … ihren Beitrag zu leisten. Natürlich darf die eigene Bevölkerung hier im Land auch nicht vernachlässigt werden.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Frank Herrmann*) (PIRATEN): Hier geht es nicht um ein besseres Leben für Flüchtlinge, sondern um ein menschenwürdiges Lebensminimum und die Chance, ein neues Leben beginnen zu können.

Deutschland und vor allem die Menschen in unserem Land

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

sind in der Lage, die Aufgabe zu bewältigen, und sie wollen das auch. Davon bin ich überzeugt. – Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerpräsidentin Kraft.

Hannelore Kraft,*) Ministerpräsidentin: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Kollege Laschet, ich finde es interessant, dass Sie Ihre Rede heute Morgen unter der Überschrift intonieren, Sie hätten sich mehr Ruhe und Sachlichkeit gewünscht.

(Heiterkeit von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] und Minister Ralf Jäger)

Dann frage ich mich: Warum haben Sie diese Aktuelle Stunde denn unter diesem Titel beantragt? Sie hätten auch sagen können: Es geht nicht um Transitzonen; es geht darum, die Lage und die Geschwindigkeit der Registrierung zu verbessern. Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken. – Der Titel Ihrer Aktuellen Stunde ist ja darauf ausgerichtet, eben nicht in Ruhe und Sachlichkeit zu diskutieren. Ich finde, dass Sie sich da einen schlanken Fuß machen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Weil Sie auch heute Morgen – ich habe das WDR-2-Interview gehört – den Eindruck erweckt haben, da sei etwas passiert, was so nicht geschehen ist, möchte ich gerne die Gelegenheit nutzen, etwas zur Historie des Vorschlags der Transitzentren und der Einreisezentren zu sagen.

Wir erinnern uns doch alle daran, dass das gemeinsame Ziel ist: Weniger sollen kommen. Wir wissen alle: Fluchtursachen müssen wir bekämpfen. Wir kennen alle die Vorschläge, die Kollege Seehofer in den letzten Wochen wie ein Mantra vor sich hergetragen hat. Das eine war die Forderung nach der Obergrenze, gegen die sich Frau Merkel gestellt hat. Das andere war die Forderung nach Transitzentren, gegen die sich Frau Merkel auch ausdrücklich ausgesprochen hat, und zwar unter anderem deshalb, weil ihr Innenminister dazu einen Vorschlag vorgelegt hat, den Sie kennen müssten, in dem explizit steht, dass die Voraussetzung für das Funktionieren von Transitzentren die Inhaftnahme ist. Sie haben das offensichtlich ignoriert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt gibt es einen Konflikt zwischen CDU und CSU, den wir uns zunächst einmal – das gebe ich offen zu – von außen angeschaut haben. Dann fand eine Sitzung der Parteivorsitzenden von CDU und CSU statt. Dabei gab es ein Ergebnis, dass dann hieß – ich übersetze das einmal –: Herr Seehofer verabschiedet sich von seinen Obergrenzen, weil Frau Merkel dabei nicht mitmacht. Dafür bekommt er jetzt Transitzonen.

Da müssen wir uns als Sozialdemokraten fragen: Wollen wir das? Wir haben schon bei der ersten Nennung von Transitzonen sehr deutlich gemacht: Wir wollen nicht, dass Menschen in Haft genommen werden. – Dabei bleibt es auch, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Da geht es auch nicht um den Begriff „in Haft nehmen“. Ich höre jetzt, dass Frau Merkel bei Ihrer letzten Konferenz gesagt hat, es gehe um die Einschränkung einer Bewegungsfreiheit.

(Heiterkeit von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich klaube hier nicht nach Begriffen.

(Nadja Lüders [SPD]: Fußfesseln!)

Ich möchte nur, dass man mit den Menschen menschenwürdig umgeht. Das bleibt Position der Sozialdemokratie in diesem Land.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Wir alle haben ein Interesse daran – das können Sie unterstellen –, dass wir uns nicht in der Öffentlichkeit streiten. Also haben wir auf der sozialdemokratischen Seite – ich sage das hier in aller Offenheit – am Samstag zusammengesessen und überlegt: Wie können wir denen jetzt eine Brücke in Richtung Vernunft bauen?

(Zurufe von der CDU)

Diese Brücke in Richtung Vernunft ist die Formulierung von Einreisezentren, die nämlich das tun, was jetzt erforderlich ist. Erst vor knapp anderthalb Wochen haben wir das Gesetzespaket miteinander beschlossen. Insofern geht es nun darum, das abzuwarten, darauf aufzubauen und die Registrierung sowie das Ordnen der Verfahren zu optimieren.

(Zustimmung von Nadja Lüders [SPD])

Das ist unser Vorschlag – nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Er war als Brücke für die CSU gedacht. Über diese Brücke möchte Herr Seehofer offensichtlich nicht gehen. Das zeigt auch die Tatsache, dass er einen ehemaligen Verfassungsrichter damit beauftragt hat, ein entsprechendes Gutachten für eine Verfassungsklage auf den Weg zu bringen. Das heißt: Auch an dieser Stelle gelingt es nicht, Herrn Seehofer „einzufangen“.

Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich dann irgendwann auch einmal in aller Öffentlichkeit sage – Sie wissen, dass ich versuche, das gerade bei dieser Fragestellung zu vermeiden –: Es kann nicht sein, dass wir dauernd diesen Vorschlägen der heißen Luft von Herrn Seehofer hinterherrennen, ob das Maut und Betreuungsgeld waren oder jetzt Transitzonen sind, nur damit er wieder gut ins Fach kommt und seinen Parteitag am Ende des Monats gut überleben kann.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Ja, meine Damen und Herren, wir sind uns einig: Die Lage ist schwierig. Wir haben weiterhin einen hohen Zuzug. Wir haben das Problem mit den hohen Zahlen, aber auch mit der Geschwindigkeit, mit der die Flüchtlingsströme zu uns kommen. Und wir haben immer noch ein Kernproblem, das nicht gelöst ist. Dabei handelt es sich um die Tatsache, dass die Verfahren zu spät beginnen.

Ich war vor zwei Wochen in einer Einrichtung in Chorweiler. Da hat mir ein Asylsuchender gezeigt, dass er jetzt einen Termin für eine Anhörung im Mai nächsten Jahres erhalten hat. Erst dann beginnt das Verfahren, und das dauert im Schnitt immer noch rund sechs Monate. Das ist und bleibt der Flaschenhals. Da, an diesen Stellen, gilt es anzusetzen.

Wir brauchen – da gebe ich dem Kollegen Herrmann von den Piraten ausdrücklich recht – keine Scheindebatten und keine Scheinlösungen. Der Begriff „Framing“ war für mich etwas gewöhnungsbedürftig; aber ich glaube, Sie meinen genau das, was ich immer sage: Lassen Sie uns echte Lösungen präsentieren, die zu Ende gedacht sind, die auch wirklich zur Lösung der Probleme beitragen. Damit kann man verhindern, dass die Bevölkerung weiterhin noch mehr verunsichert wird.

Das ist nämlich das Gefährliche an diesen Diskussionen – ob es um Taschengeld, um diese überzogene Debatte um Rückführungen oder um Transitzonen geht –, die da geführt werden. Es verunsichert die Menschen, wenn wir als Politiker nicht zu Ende denken. Das kann so nicht sein!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Herr Kollege Laschet, da sind Sie in der Verantwortung, weil offensichtlich auch Sie dieses Papier – der Titel „Menschen in Not helfen, Zuwanderung ordnen und steuern, Integration sichern“ war ja, wie ich fand, ganz interessant – mitbeschlossen haben. Zu „Integration sichern“ steht darin merkwürdigerweise überhaupt nichts. Ich finde, das ist doch die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Aber zu „Zuwanderung ordnen“ steht eben – Herr Kollege Laschet, das haben Sie offensichtlich mitbeschlossen – darin: „Entscheidung über Transitzonen im Landgrenzenverfahren gemäß geltender EU-Richtlinie“. – Das habe ich übrigens noch vergessen: Am letzten Wochenende – auch das ignorieren Sie – war es ja Ihr Vorschlag, dass diese Transitzentren auch innerhalb des Landes errichtet werden sollen, was dann ja schon überhaupt keinen Sinn macht. Als Landgrenzenverfahren!

Also noch einmal: „Entscheidung über Transitzonen im Landgrenzenverfahren gemäß geltender EU-Richtlinie als vordringlichste Maßnahme zur besseren Kontrolle unserer Grenze“. – Meine Damen und Herren, es erweckt einen falschen Anschein, wenn Sie sagen, dass man durch solche Zentren eine Lösung herbeiführen könne. Deshalb machen wir einen solchen Unsinn nicht mit!

Ich hoffe, dass Ihre Seite zur Vernunft kommt, dass wir morgen darüber reden werden, wie wir zu einer Beschleunigung der Verfahren kommen. Wir haben hier schon 1.200 Plätze – der Kollege Jäger wird das gleich noch darstellen – auf den Weg gebracht, und wir würden gerne noch mehr machen, aber es scheitert nach wie vor am Personal des BAMF.

(Zurufe)

Sie haben vorhin die Zahlen vorgelesen. Schauen Sie auf die Seite des BAMF: Von Januar bis September gab es 303.443 Anträge. Davon wurden 174.545 entschieden. Das ist die Realität! Der Berg wächst weiter; er wird nicht beseitigt. Helfen Sie mit, dieses Problem zu lösen! Das hilft den Kommunen und uns in diesem Land am allermeisten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um eine Minute überschritten. Das wird den Fraktionen gutgeschrieben. – Für die CDU-Fraktion gebe ich das Wort dem Abgeordneten Armin Laschet.

Armin Laschet (CDU): Frau Ministerpräsidentin! Herr Präsident! Meine lieben Kollegen! Sie haben jetzt über vieles gesprochen – aber nicht über das, was ich bei Ihnen angefragt hatte, worin nämlich der Unterschied zwischen den Einreisezentren und dem besteht, was längst beschlossen ist.

(Zurufe von der SPD)

Wir haben eine Kleine Anfrage gestellt, in der wir uns bei Herrn Minister Jäger nach der Umsetzung dessen erkundigt haben, was im Juni dieses Jahres beschlossen worden ist, nämlich Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen für Menschen aus sicheren Herkunftsländern im Rahmen eines schnellen Verfahrens überprüft werden soll, ob sie berechtigt sind oder nicht, sodass eine Rückführung erfolgen kann, ohne diese Menschen zuvor an die Kommunen zu überweisen. Das geschieht in Bayern in zwei Zentren.

Darauf antwortet Herr Jäger: Wir machen das nicht wie Bayern, wir haben im Gegensatz zu den bayerischen Ankunfts- und Rückführungszentren keine Bundesamtsaußenstellen und keine Außenstellen der Verwaltungsgerichte in diesen Einrichtungen. – Wenn das so ist, dann stellen Sie sich nicht jedes Mal hierhin und sagen: Das Bundesamt macht seine Arbeit nicht. Sie holen die ja gar nicht erst in die Landesstellen hinein, damit das entschieden werden kann!

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Setzen Sie das um, was im Juni dieses Jahres beschlossen worden ist!

(Weitere Zurufe von der SPD)

Sie würden doch an die Entscheider des BAMF kommen, wenn denn die Verfahren entsprechend durchgeführt würden.

(Lachen von der SPD – Stefan Zimkeit [SPD]: Dafür bürgen Sie? – Weitere Zurufe)

– Also gut, dann muss ich sagen: Wenn es dem bayerischen …

(Fortgesetzt Zurufe von der SPD)

– Ich verstehe, dass Sie das unruhig macht. Ich muss wirklich sagen: Wenn es dem bayerischen Ministerpräsidenten möglich ist, BAMF-Mitarbeiter in seine Stellen zu bekommen, dann frage ich mich: Warum ist das der Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen nicht möglich?

(Beifall von der CDU)

Man ist auch noch stolz darauf! Herr Jäger sagt ja ausdrücklich: Wir machen es nicht wie Bayern. Deshalb sind wir erst mal an dem Punkt der Umsetzung.

(Minister Ralf Jäger: Grenzenlose Naivität!)

– Herr Jäger, machen Sie einfach mal Ihre Arbeit, anstatt hier dazwischenzurufen. Machen Sie Ihren Job!

(Beifall von der CDU – Minister Ralf Jäger: Unglaublich!)

Das erwarten auch die Kommunen. Das haben die uns allen jetzt gerade noch einmal zugerufen: der Städte- und Gemeindebund, auch SPD-Bürgermeister. Ich weiß nicht, ob Briefeschreiben immer bei der Problemlösung hilft. Wenn Sie sich das aber einmal anschauen, dann stellen Sie fest: Da sind Vertreter aus allen Fraktionen – selbst ein grüner Bürgermeister – mit dabei. Sie sagen: Handelt endlich und setzt in Nordrhein-Westfalen das um, was beschlossen ist. Das ist doch die Bitte!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Und jetzt kommt als Zweites der Aspekt „Transitzonen“. Transitzonen sind im europäischen Recht vorgesehen. Insofern ist das falsch, was Sie gesagt haben, Frau Kollegin Düker, dass das gegen europäisches Recht verstößt. Es ist eine Richtlinie der Europäischen Union, der auch die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament zugestimmt haben.

Dieses Transitverfahren gibt es an Flughäfen, und nach dieser europäischen Richtlinie gibt es auch ein Landgrenzenverfahren. Deshalb kann der Prozess, der jetzt mit Österreich beschlossen worden ist, kein Dauerzustand sein. Es kann doch nicht sein – Sie waren ja beim österreichischen Bundeskanzler –, dass Österreich die Leute weiterhin in Busse packt, sie quasi bis an die österreichische Grenze fährt und dass die Menschen dann an den fünf Grenzübergängen, auf die man sich jetzt mühevoll verständigt hat, geordnet aus den Bussen aussteigen und in Deutschland sofort weiter in die Kommunen überwiesen werden.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Aber sie werden nicht registriert!)

– “Sie werden nicht registriert“, sagt die Ministerpräsidentin. In der Tat könnte man sich deshalb doch darauf verständigen, an diesen fünf Grenzübergängen eine Registrierung vorzunehmen und schon dort über diejenigen, die einreisen dürfen, und diejenigen, die aus sicheren Herkunftsländern kommen, in einem schnellen Verfahren zu entscheiden.

(Beifall von der CDU)

Das ist genau der Vorschlag „Transitzone“. Da ist dann niemand inhaftiert.

(Minister Ralf Jäger: 2,4 %!)

Herr Jäger sagt – ich muss immer übersetzen, was er hier ruft – es seien 2,4 % aus den Balkanländern. Deren Zahl geht zurück, da wir jetzt sichere Herkunftsländer haben. Herr Jäger – auch Frau Kraft – hat uns hier monatelang an diesem Pult erklärt: „sichere Herkunftsländer“. Alles Unsinn! Jetzt wirkt die Maßnahme, und dann sagt man: Es sind nur 2,4 %.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Entscheiden Sie sich doch mal! In dem, was Sie hier vortragen, steckt doch keine Logik.

(Zurufe)

Noch einmal meine Bitte: Sie haben die Sache mit der Förderung des Rechtsextremismus durch Herrn Seehofer nicht zurückgenommen. Ich bitte Sie, Frau Ministerpräsidentin, ein zweites und letztes Mal: Lassen Sie uns jetzt und morgen nicht über diese Begriffe streiten. Lassen Sie uns morgen das Signal senden: Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD ist in der Lage, Schutzbedürftigen zu helfen und trotzdem die Zahl der Zuwanderungen in den nächsten Monaten zu begrenzen! Das ist die Hoffnung, die die Menschen haben. Das geht nicht mit Beschimpfungen der Kollegen Ministerpräsidenten, sondern das funktioniert nur mit sachgerechten Lösungen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn hier vom Kollegen Laschet Sachlichkeit gefordert wird, dann würde ich mir, lieber Herr Kollege Laschet – damit wir eine Ebene für ein Gespräch finden –, bei Ihnen auch ein bisschen Sachkunde wünschen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn ich vor meinem geistigen Auge nur einmal das Revue passieren lasse, was Sie an grober Unkenntnis über das Zusammenwirken von NRW-Erstaufnahmeeinrichtungen und dem BAMF haben durchblicken lassen, kann ich Ihnen nur sagen: Begleiten Sie doch einmal Ihre Kolleginnen und Kollegen in eine Einrichtung und überzeugen Sie sich vor Ort davon, wie die BAMF-Mitarbeiter schon mit uns zusammenarbeiten. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass das Hauptproblem darin besteht, dass es nicht genügend Mitarbeiter des BAMF gibt und von daher die Verfahren viel zu lange liegen bleiben, lieber Herr Kollege!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

An Unkenntnis und Ignoranz – das sage ich in aller Schärfe – nicht zu überbieten ist Ihre Rumschwadroniererei über Transitzonen. Lieber Herr Kollege Laschet, wer über Grenzen redet, der müsste die EU-Flüchtlingsrichtlinie vorher vielleicht mal lesen! Da ist von EU-Außengrenzen die Rede.

(Beifall von der SPD)

Wer das ignoriert, der versucht, entweder die Leute hinter die Fichte zu führen, oder er betreibt hier ein ganz bösartiges Spiel mit den Ängsten der Bevölkerung, lieber Herr Kollege Laschet!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Dann sind Sie in beiden Redebeiträgen eine Auskunft über die an die Landesregierung gestellte Frage, wie sie denn zu Transitzonen steht, insoweit schuldig geblieben, als auch Sie nicht definiert haben, was denn bitte so eine Transitzone ist. Irgendwer betreibt mit irgendeinem irgendwo – von irgendwem bewacht – ein Irgendetwas, und irgendwann wird das dann irgendwie schon weniger. Das sind Ihre Transitzonen, Herr Laschet!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, so kann man nicht arbeiten! Sie setzen auf ein Placebo mit unangenehmem Beigeschmack und mit unkalkulierten Nebenwirkungen, und das ist offensichtlich nur der internen Position von Herrn Seehofer geschuldet. Das ist ein missratener Versuch, im geistigen Tiefflug die Lufthoheit über den Stammtischen zu gewinnen, lieber Herr Laschet.

(Beifall von der SPD)

Für uns steht fest: Transitzonen mit haftähnlichem Charakter tragen nicht zur Lösung der anstehenden Probleme bei. Unabhängig davon, wo sich solche Einrichtungen befinden, lässt sich ein solcher Ansatz nämlich nur mit Gittern, Zäunen und internen Grenzen bewerkstelligen. Das ist inhuman, das widerspricht unserer Rechtsordnung und – da will ich Sie noch einmal korrigieren – auch europäischem Recht, lieber Herr Laschet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Populistische Schnellschüsse ersetzen nämlich keine Lösungen. Da ist natürlich auch die Frage zu stellen: Was treibt die Menschen um, welche Sorgen treiben die Menschen in Deutschland im Augenblick um? Diese Sorgen zur Kenntnis zu nehmen und dann die Behauptung aufzustellen, der Asylgipfel mit der Festlegung von sicheren Herkunftsländern habe schon etwas bewirkt, ist grober Unfug, Herr Laschet.

Es bleibt festzustellen, dass die Menschen, die im Augenblick zu uns kommen, nur zu einem ganz geringen Prozentsatz – aktuell unter 3 % – aus den Westbalkanländern stammen, und dass mehr als 80 % der derzeit zu entscheidenden Verfahren Menschen betreffen, die eine dauerhafte Bleibeperspektive haben. Herr Laschet, mit diesen Menschen müssen wir uns auseinandersetzen und nicht mit denjenigen, die – wenn die Verfahren mithilfe des BAMF dann schneller abgewickelt werden –keine Bleiberechtperspektive haben.

Und dann machen Sie – Frau Ministerpräsidentin hat es schon zitiert – ein Grundsatzpapier zur Einigung zwischen CDU und CSU, das irgendwo auf dem Altar interner Querelen entstanden ist. Von dem eigentlichen Problem, das sich unserer Gesellschaft stellt, nämlich der Frage: „Wie integrieren wir die Menschen langfristig und wirkungsvoll in unsere Gesellschaft?“, steht kein Wort darin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein geistiges Armutszeugnis. Kommen Sie von dem Trip runter! Machen Sie mit uns gemeinsam eine vernünftige Politik für die Menschen in Nordrhein-Westfalen und die Menschen, die bei uns ankommen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will jetzt nicht auf die anderen Versatzstücke dieser populistischen Politik eingehen, sondern mich noch kurz mit dem Vorschlag der FDP beschäftigen, der sowohl bezogen auf die inhaltliche Verankerung als auch auf die Tonalität eine etwas andere Herangehensweise zeigt. Dabei geize ich jetzt mit dem Lob ein bisschen; denn ich weiß, wo das Ganze herkommt.

In der juristischen Fachpresse – in der „Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik“ – habe ich in den netten Aufsatz „Die vergessene Richtlinie“ von Frau Adela Schmidt gelesen, der vom Juli dieses Jahres stammt. Irgendwie decken sich die Formulierungen sehr intensiv mit dem, was Sie vorschlagen. Nur, lieber Herr Kollege Dr. Stamp, die Juristenkollegin schlägt eine europäische Lösung vor und keine bundesdeutsche Binnenlösung. Ich glaube, das ist der Kontext, in dem man solch eine Anregung bewerten muss.

Wissen Sie, welche Folgen Ihr Vorschlag hat? Ich habe mit einigen Fachleuten einmal kurz darüber nachgedacht. Das BAMF wird in der ersten Runde entlastet, richtig. Nur, wer wird dann belastet? – Das sind die Ausländerämter in unseren Kommunen, lieber Herr Kollege. Das wird nicht dazu führen, dass sich das Problem insgesamt relativiert.

Darüber hinaus will ich noch etwas zu den zusätzlichen Effekten sagen, sowohl den negativen als auch den positiven. Für negativ halte ich zum Beispiel – Frau Düker hat es angesprochen –, wie Sie mit dem Thema „Familiennachzug“ umgehen. Das beurteilen wir in einer ganz anderen Art und Weise.

(Christian Lindner [FDP]: Das wird gebremst!)

Haben Sie sich einmal vorgestellt, welche Effekte es haben könnte, wenn wir unterhalb der Schwelle des Asylrechts einen sogenannten weiteren aufenthaltsbegründenden Tatbestand in nationales Recht umsetzen? Ich glaube, die von Ihnen gewünschte Entlastung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wird ins glatte Gegenteil umschlagen. Insoweit sind wir gerne bereit, im Ausschuss noch einmal intensiv mit Ihnen darüber zu diskutieren; denn auch das könnte eine Scheinlösung sein.

Ich will abschließend noch eines deutlich machen: All diejenigen, die mit zu schnellen Vorschlägen schnelle Problemlösungskompetenz vortäuschen, liefern indirekt den Sprengstoff an, den rechte Extremisten dazu benutzen, unsere Gesellschaft insgesamt auseinanderzubringen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: So ist das nämlich!)

Insoweit warne ich davor. Schnelle Problemlösungen ja – Schnellschüsse in der Sache nicht.

In Nordrhein-Westfalen sind alle Voraussetzungen dafür gegeben, vernünftig mit der Herausforderung umzugehen. Helfen Sie dabei, statt hier irgendwelchen populistischen Phrasen hinterherzulaufen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt aus meiner Sicht Themen, die sich auch mal für eine gewisse Polemik in der Debatte eignen. Aber es gibt ausdrücklich Themen, die dafür gänzlich ungeeignet sind.

Wenn wir über das Schicksal von Flüchtlingen sprechen, wenn wir im Zusammenhang mit Zugangszahlen von derzeit über 10.000 Menschen täglich auch über Ängste in der Bevölkerung sprechen, dann verdient das keine Polemik in der Form, wie sie heute zum Ausdruck kam. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich fand die Debatte bis hierhin zuweilen unterirdisch, weil das Sachargument so gut wie keine Rolle mehr gespielt hat.

Wir alle sind in der Verantwortung. Was sollen die Journalisten über dieses Haus und die Debatte, wie wir uns mit einem solchen Thema auseinandersetzen, schreiben? Mich treibt Tag und Nacht die Sorge um – das sage ich Ihnen –,

(Beifall von der FDP)

wie wir die Balance schaffen können, die humanitäre Verantwortung, die wir alle haben, weiter zu garantieren und gleichzeitig das Problem beherrschbar zu halten. Das ist doch die Erwartung, die die Menschen an uns, an die demokratischen Parteien, haben. Sie aber werfen sich gegenseitig „Unsinn“ und „groben Unfug“ vor, und dann heißt es: Der hat dies gesagt, der hat das gesagt. – Das ist einer solchen Debatte nicht würdig. Reißen Sie sich bitte mal zusammen und präsentieren Lösungen! Gehen Sie auf Sachargumente ein, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Frank Herrmann [PIRATEN]: Sie wollen doch abschieben!)

Außer von Herrn Körfges habe ich heute kein Argument zu unserer Initiative eines eigenen Rechtsstatus für die Bürgerkriegsflüchtlinge gehört. Herr Herrmann hat das pauschal als „groben Unfug“ und „untauglich“ bezeichnet.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist die Einschätzung! Mehr kommt da nicht!)

Ich kann Ihnen sagen, dass andere das anders bewerten. Die grüne Justizministerin aus Niedersachsen

(Christof Rasche [FDP]: Hört, hört!)

hat sich in der „Hannoverschen Allgemeinen“ am 2. November 2015 klar für und zu unserer Position bekannt. Ich sage Ihnen: Wir werden diesen Entwurf auch in Niedersachsen einbringen. Dann wird sich zeigen, ob sich jenes Parlament vielleicht eher mit Sachargumenten auseinandersetzt als dieses Haus und vielleicht den Mumm hat, eine entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen.

Ich sage ganz ehrlich, Frau Kollegin Düker: Aus vielen Debatten weiß ich, dass Sie mit den Details des Asylverfahrens bestens vertraut sind. Insofern finde ich es ausgesprochen schade, dass auch Sie in einer solchen Debatte mit Pauschalurteilen kommen, die mit unserem Antrag überhaupt nichts zu tun haben. Wir wollen den Familiennachzug begrenzen, indem wir ihn befristen, aber wir haben ihn nicht komplett ausgeschlossen. Zu sagen, wir würden die Menschen auf die Boote zwingen, ist eine Unverschämtheit, Frau Düker. Das lasse ich hier so nicht stehen.

(Beifall von der FDP)

Wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, wie wir den verschiedenen Fluchtursachen gerecht werden. Das ist doch die Herausforderung, vor der wir stehen. Es gibt nun einmal die individuell politisch Verfolgten oder auch die aus ethnischen Gründen Verfolgten, und es gibt diejenigen, die aus den Kriegsgebieten kommen. Die brauchen jetzt Schutz, und die brauchen schnellen Schutz.

Deswegen ist unser Vorschlag eine vernünftige Initiative. Und das gleich mal beiseitezuwischen, weil das angeblich nur für die europäische Ebene Sinn machen würde, Herr Körfges – das ist eben auch zu schwach. Da haben Sie in dem Aufsatz vielleicht ein Hilfsargument gefunden, weshalb Sie unserer Initiative – weil sie aus der Opposition kommt – ablehnend gegenüberstehen können.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Ich fände es schade, wenn Sie sich darauf zurückziehen. Denn wir wissen doch alle, dass es auf der europäischen Ebene eine solche Regelung im Moment nicht geben wird. Deswegen lassen Sie uns schnell sein, lassen Sie uns nicht wieder ewig warten. Lassen Sie uns hier initiativ werden. Dazu haben wir im Dezember entsprechend Gelegenheit. Ich zähle darauf, dass Sie Ihrer Verantwortung als Demokraten in den demokratischen Parteien gerecht werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stamp, es ist immer ein beliebtes rhetorisches Mittel, sich sozusagen neben die Debatte zu stellen,

(Lachen von Armin Laschet [CDU])

eine besondere moralische Instanz zu demonstrieren, mit dem Ganzen nichts zu tun haben zu wollen und sich aus dem parteipolitischen Gezänk herauszuhalten, um dies dann den anderen vorzuwerfen. Herr Kollege, das finde ich unanständig von Ihnen!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will Ihnen auch einmal sagen, warum.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Die Kollegin Düker hat in ihrem Beitrag sehr präzise Bezug auf Ihren Vorschlag genommen.

(Zuruf von Serap Güler [CDU])

Ich habe auch nichts finden können – Frau Güler –, was die Justizministerin aus Niedersachsen vorgetragen hat, das ich im Moment nicht teilen könnte. Wenn es beispielsweise darum ginge, Kontingentflüchtlinge sofort anzuerkennen, wären wir dabei. Das ist aber etwas völlig anderes als das, was Sie hier in diesem Antrag auf den Tisch gelegt haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Da kann ich nur unterstützen, was Frau Düker gesagt hat: Wir wollen in dieser Frage kein Recht erster und zweiter Klasse haben; wir sind sehr wohl dafür.

(Beifall von den GRÜNEN)

Lassen Sie uns sehr schnell jene Flüchtlinge anerkennen, die eine hohe Bleibewahrscheinlichkeit haben, und sie so aus dem Verfahren herausnehmen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass das BAMF schneller arbeitet. All das hat Frau Düker vorgetragen. Lassen Sie uns sofort damit beginnen. So können wir in Nordrhein-Westfalen schnell das umsetzen, was in Berlin beschlossen worden ist. Daran hindert uns nämlich nur Thomas de Maizière, weil er nicht arbeitet, Herr Kollege Laschet!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ein Punkt ist mir noch wichtig; das wurde in der Debatte vorhin etwas verzerrt. Herr Laschet ist in seinem zweiten Redebeitrag wie ein Derwisch hin- und hergesprungen, weil er gemerkt hat, dass er die Frage, die er an die Landesregierung gestellt hat – nämlich wie sie zu Transitzonen und Einreisezentren steht –, für seine CDU-Fraktion in Nordrhein-Westfalen hier und heute selber nicht beantwortet hat.

Noch ein weiterer Punkt ist mir wichtig, Herr Kollege Stamp. Ich zitiere aus einem Brief des Bezirksverbandes der AfD Detmold an die Kreistagsmitglieder des Kreistages Gütersloh. Dort steht: Der Erhalt dieser wertvollen Grundfeste unserer deutschen Nation ist elementar bedroht durch einen nicht enden wollenden Migrantenzustrom, dessen schiere Anzahl schon jetzt die Länder überfordert – Menschen, die einem uns völlig fremden Kulturkreis entstammen und zudem oftmals nicht gewillt sind, sich unseren Regeln und Gesetzen unterzuordnen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Müssen Sie so einen Scheiß hier verlesen?)

Dies manifestiert sich in exorbitant gestiegenen Fällen von Gewalt, mannigfaltiger Vergewaltigung, Missbrauch von Kindern, sexuellen Übergriffen, erzwungener Prostitution, Überfällen, Krawallen, Massenschlägereien, Diebstahl, Vandalismus, Zerstörung von Unterkünften, Mobiliar und Kleidung sowie der Gefahr potenziell mitgereister Terroristen, Dschihadisten, IS-Kämpfer.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Was soll das?)

All das wird nicht thematisiert und wird gern unter den Tisch fallen gelassen.

Im Kreistag von Gütersloh existiert eine Fraktionsgemeinschaft aus AfD und der FDP, die genau das geschrieben hat. Ich kann Sie nur auffordern, sich sehr eindeutig von dieser Art von Politik zu distanzieren und diese Fraktionsgemeinschaft aufzulösen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von Michele Marsching [PIRATEN] und von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Herr Kollege Laschet, weil es wichtig für die Debatte ist: Sie haben so getan – das hat Frau Kollegin Düker angesprochen –, als wenn die Frage nach Transitzonen und sicheren Herkunftsländer ein wesentlicher Bestandteil in der Auseinandersetzung wäre und man sich morgen in dieser Frage einigen müsste.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Ich kann Ihnen nur zurufen: Das betrifft lediglich maximal 4 % der Flüchtlinge, die im Moment nach Deutschland kommen; Sie aber suggerieren, dass dies der zentrale Schlüssel in der Flüchtlingspolitik wäre.

Ich kann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie sich doch selber ernst. Laufen Sie nicht diesem Alpentaliban aus München hinterher, sondern sorgen Sie für eine sachgerechte Politik! Es ist jetzt Zeit für die Demokraten, die Ärmel hochzukrempeln, ihre Arbeit zu machen und gemeinsam für eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland zu sorgen – und nicht, die Menschen zu verunsichern. Da stimme ich der Ministerpräsidentin ausdrücklich zu.

Eines will ich Ihnen sehr klar sagen, damit das in der heutigen Debatte nicht untergeht: Alle diese Fragen sind im Bundesrat zustimmungspflichtig. Und Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass wir im Bundesrat den Transitzonen zustimmen würden. Das brauchen Sie sich noch nicht einmal ansatzweise vorzustellen!

Das tun Sie auch nicht; denn darum geht es Ihnen gar nicht. Sie wollen die Zustimmung nicht; vielmehr wollen Sie diejenigen, die Ihrem Irrsinn und Ihrer Heilslehre von Transitzonen nicht zustimmen, als Staatsversager diffamieren. Es geht Ihnen darum, den Schwarzen Peter anderen zuzuspielen. Das ist die Politik, die Sie vertreten. Davon sollten Sie sich distanzieren! Das haben Sie im Deutschlandfunk getan – hier und heute leider nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Kollegin Brand.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Ich muss unserer Ministerpräsidentin recht geben: Diese Aktuelle Stunde ist für eine ruhige, konzentrierte Lösung so hilfreich wie ein Kropf.

(Henning Höne [FDP]: Kommt immer darauf an, wie die Leute reden! – Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist das Problem!)

– Genau. Und dabei – immer nur Worte, keine Taten – verhalten sich die Politiker auf Bundes- und auf Landesebene, als würden wir in einem Elfenbeinturm sitzen und die Bevölkerung da unten würde von all diesen Worten überhaupt nichts mitbekommen. Was bewirken diese Worte denn da draußen? Sie schüren den Fremdenhass. Minister Jäger hat meine Bedenken zu dem Thema auf dem Flüchtlingsgipfel mit drei Worten sehr schön zusammengefasst. Er sagte: Worte machen Bilder.

Transitzonen, Reisezentren – der eine oder andere Unionspolitiker hat auch schon das Wort „Lager“ in den Mund genommen. Zentrieren, Lager, konzentrieren – haben Sie Bilder im Kopf? Bitte schön! Freuen Sie sich über die Bilder, die solche Worte bei den Teilen der Bevölkerung erzeugen, die den rechten Rattenfängern hinterherlaufen.

Auch andere Begrifflichkeiten werden von den Konservativen salonfähig gemacht, schlagen sich dann aber leider nicht in Wählerstimmen nieder – von 42 auf 35 % innerhalb von zwei Monaten ist eine Leistung! –, sondern finden ihren Widerhall bei den Montagsdemos in Dresden und vor brennenden Flüchtlingsheimen. Es muss doch bitte bei einer solchen gewaltigen humanitären Aufgabe möglich sein, eine gute gemeinsame Lösung zu finden. Zentralisierung der Aufgaben bei der Ankunft der Flüchtlinge ist richtig. Wochenlanges Debattieren darüber aber ist fatal und gefährlich.

Außerdem gibt es diese Einreisezentren schon längst; sie nennen sich hier in Nordrhein-Westfalen „Drehscheibe“, und wir haben sie in Köln, in Düsseldorf und in Dortmund. Das, wofür wir dabei sorgen müssen, ist, dass diese Orte auskömmlich ausgestattet sind und die Menschen dort gut aufgenommen werden, denn ein Berliner LAGeSo brauchen wir hier in Nordrhein-Westfalen ganz bestimmt nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich appelliere an die Führenden in Land und Bund: Bitte handeln Sie jetzt! Sonst – ich zitiere Superintendentin Meike Friedrich – besetzt der Hass die öffentlichen Räume und Straßen, raubt uns Werte und Begriffe und erpresst unsere Aufmerksamkeit. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 05.09. hat die Kanzlerin eine Entscheidung getroffen, die für die Asylpolitik in Deutschland von großen Folgen war. Es war eine nationale, keine europäische Entscheidung – humanitär nachvollziehbar –, ohne Einbeziehung der europäischen Partner, eine echte Herausforderung für Deutschland.

Seit dem 05.09. sind die Innenminister der Länder und des Bundes in permanentem Kontakt, diese Situation zu handeln und zu lösen. Dabei konzentrieren wir uns auf unsere Arbeit, auch in Nordrhein-Westfalen – mit 69.000 Unterbringungsplätzen, Herr Laschet, das 35-Fache unserer Kapazitäten des Jahres 2012 –, um dafür zu sorgen, dass möglichst niemand dieser Flüchtlinge auch nur einen Augenblick obdachlos ist, dass jeder ein Dach über dem Kopf, ein Bett und ein warmes Essen hat. Wir tun das mit Ruhe und Besonnenheit.

(Armin Laschet [CDU]: Das machen die Kommunen!)

Was Herr Seehofer in dieser Zeit seit dem 05.09. allerdings macht, ist Folgendes:

(Zuruf von der CDU: Permanent versteckt Ihr euch!)

Er droht mit einer Verfassungsklage der Staatsregierung vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Bund. Er fordert grenznahe Auffanglager. Er fordert Obergrenzen. Er tritt ein für Sachleistungen statt Geldleistungen. Er droht damit, eine bayerische Grenzpolizei aufzubauen und lädt Herrn Orbán in die Klausurtagung der bayerischen Landtagsfraktion. Das ist Herr Seehofer in dieser Situation. Asylpolitisch ist Herr Seehofer eine rollende Kanonenkugel auf dem Deck des schlingernden Unionsschiffes, Herr Laschet. Nichts anderes ist Herr Seehofer.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU: Oh, oh!)

Mit jedem Tag und jeder Woche eine neue Sau durchs Dorf zu treiben, zu glauben, dass wir den besorgten Bürgern damit tatsächlich eine Lösung präsentieren könnten! Tatsächlich nur weiße Salbe!

Das möchte ich gern festmachen, Herr Laschet, an den von Ihnen gerade in Ihrem Redebeitrag so favorisierten Transitzonen. Gehen wir einmal weg von der Frage des Titels. Das suggeriert so eine Art Flughafenverfahren, nur dass an der Grenze kein Flughafen ist – keine Transitzone –, sondern wir offene Grenzen in Europa haben.

Diese Transitzonen würden, gemessen an den Zahlen im Oktober, Herr Laschet, 2,44 % der Asylsuchenden erfassen. 2,44 % kommen aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern, von denen Sie sagen, die gesetzgeberische Maßnahme, diese in das Gesetz zu packen, würde jetzt wirken. Kokolores, Herr Laschet! 2,44 % ist die Gesamtzahl für Oktober. Das Gesetz gilt erst seit sieben Tagen. Damit wird deutlich: Die Maßnahmen, die wir gemeinsam – Landesinnenminister, Bundesinnenminister – insbesondere in Albanien unternommen haben, zeigen ihre Wirkung, dass den Menschen klar ist, dass sie hier keine Perspektive haben.

Wie naiv aber und von wenig Sachkenntnis getragen dieser Vorschlag ist, will ich Ihnen an folgenden Beispielen festmachen: Sie sagen, wir machen eine Transitzone an fünf bayerischen Übergängen. Dort sollen diejenigen, die aus sicheren Herkunftsländern, nämlich vom Westbalkan, kommen, drei Monate inhaftiert werden – das ist der Vorschlag des Bundesinnenministers, Herr Laschet, Teil des Referentenentwurfes –, und alles soll in einem schnellen Verfahren abgearbeitet werden.

Jetzt nehmen wir einmal die klassische Flüchtlingsfamilie aus Albanien: ca. 35 Jahre alt, zwei Kinder. Sie steigen in Tirana in ihr Auto, fahren zur bayerisch-österreichischen Grenze, und weil sie visumsfrei einreisen können, Herr Laschet, fahren sie durch bis Dortmund zu unserer Erstaufnahme und stellen da erst ihren Asylantrag.

(Zuruf von der CDU)

Oder aber – noch besser – sie fliegen mit der Fluggesellschaft Vueling von Tirana nach Dortmund mit einem One-Way-Ticket. Visumsfrei können die Menschen hier einreisen. Zu glauben, sie halten an Ihrer Transitzone an – die fahren da winkend vorbei, Herr Laschet! –, das ist die Unkenntnis der Union im Umgang mit diesem Thema. Absolute Unkenntnis!

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Was wir brauchen – das ist der Vorschlag der Sozialdemokraten –, ist endlich wieder ein geordnetes Einreiseverfahren nicht für 2,44 %, sondern für 100 % der Menschen, die zu uns kommen. Wir müssen Einreisezentren schaffen, wo das, was benötigt wird, gewährleistet wird: der erste medizinische Check-in, eine tatsächliche Identifikationsbehandlung, eine Registrierung, möglichst das BAMF dabei, dass möglicherweise die Menschen dort bleiben, die keinen Anspruch auf Schutz haben, eine geordnete Weiterverteilung in die anderen Bundesländern. Diese Einreisezentren brauchen wir.

(Armin Laschet [CDU]: Dann macht doch!)

Aber woran scheitert das zurzeit, Herr Laschet?

(Armin Laschet [CDU]: Am Bund!?)

Ich sage Ihnen jetzt einmal: 90 % derjenigen, die die Grenze überschreiten, werden von der Bundespolizei nicht einmal registriert. 90 % der Flüchtlinge, die die Bayerische Staatsregierung in die Sonderzüge in Richtung Nordrhein-Westfalen setzt, sind nicht einmal registriert. Das BAMF hat 300.000 unbearbeitete Anträge liegen. 200.000 werden sie in diesem Jahr schaffen. Eine Million werden dazukommen. Das ist ein Aktenberg von 5 km Höhe, den das BAMF im nächsten Jahr vor sich her schieben wird.

Und das Allerbeste, Herr Laschet: Den Druck, diese Menschen unterzubringen, ihnen ein Dach über dem Kopf zu organisieren, haben nur die Länder und die Kommunen. Seit vier Monaten redet der Bund – um es deutlich zu sagen: die drei zuständigen Ministerien Bundesverkehrsministerium, Bundesinnenministerium und Bundesverteidigungsministerium – darüber, 40.000 Plätze für Flüchtlinge zu schaffen.

Wissen Sie, wie viele die bisher geschafft haben? – Null, nicht einen einzigen!

Wenn wir so arbeiten würden, wenn wir so über Unterbringungseinrichtungen sabbeln würden, dann wären die Menschen in Nordrhein-Westfalen und in anderen Bundesländern schon längst obdachlos. So arbeitet der Bund!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die sollen endlich ihre Hausaufgaben machen, dann können die auch einmal über andere Maßnahmen reden! – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.

(Armin Laschet [CDU]: Doch, von Herrn Kuper!)

– Okay, das ist nicht angemeldet. – Herr Kollege Kuper, bitte schön.

André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollten und wir wollen, dass Menschen, die in Not sind, bei uns Schutz und Hilfestellung bekommen. Wir haben dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht, damit Sie als Landesregierung erklären, wie Sie sich zu den aktuellen Themen und Fragen positionieren. Was wir hier erlebt haben, war – mit sehr viel Verbalgetöse – ein ganz eindeutiges Drücken vor der klaren Beantwortung der an Sie gestellten Fragen.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, was das Zuhören und das Lesen angeht, sollte man vielleicht mal an der einen oder anderen Stelle nachschauen. Frau Ministerpräsidentin, Sie haben eben gesagt, dass in dem Papier vom Sonntag nichts über Integration zu lesen ist. Offensichtlich haben Sie die Seite 5 überschlagen. Dort gibt es extra einen Passus zur Integration. So viel dazu!

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie haben hier und heute Morgen lediglich versucht, die Differenzen zwischen Grün und Rot unter den Tisch zu kehren. Sie haben die Fragen nicht beantwortet und stattdessen zum Teil mit Weiterentwicklungen von irgendwelchen Gedanken Szenarien herbeigeschworen, die Sie dann wieder wegdiskutiert haben. Das ist nicht seriös und wird auch dieser Thematik nicht gerecht.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister Jäger sagte gerade, der Bund solle seine Hausaufgaben machen. Das kann sicherlich jeder unterschreiben. Ich hätte allerdings ein bisschen mehr Demut erwartet, dass er nämlich gesagt hätte: Wir als Land müssten auch noch unsere Hausaufgaben erledigen. – Gerade bezüglich der Erstaufnahme schmücken Sie sich mit fremden Federn. Sie sprechen immer von den Notunterkünften des Landes, in denen Zehntausende sind. Es sind die Notunterkünfte, die Sie den Kommunen im Wege der Amtshilfe aufgelastet haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie belasten die kommunale Familie und fordern vom Bund, seine Hausaufgaben zu machen, obwohl Sie sie selber nicht machen. Das ist nicht nachvollziehbar.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Uns liegt eine BAMF-Statistik vor. In dieser Statistik ist aufgeführt, wie viele Menschen in den Monaten Januar bis September aus Syrien, aus Albanien, aus dem Kosovo usw. gekommen sind. Während 74.000 Menschen aus Syrien kamen, kamen rund 125.000 Menschen aus den Demokratien des Westbalkans. Das zeigt, dass das heutige System der Erstaufnahme – Sie als Land sind derzeit für die Erstaufnahme und Verteilung zuständig – so nicht funktioniert, denn diese Menschen sind weitgehend noch hier und nicht wieder auf dem Weg in Richtung Heimat, obwohl sie keine Bleibeperspektive haben.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Wenn wir über Verbesserungen reden, dann können Sie eigentlich nur froh und dankbar sein, dass man sich jetzt auf Bundesebene Gedanken darüber macht, die Verantwortung von der Länderebene auf die Bundesebene zu ziehen und dafür zu sorgen, dass die Menschen, die ohne Bleibeperspektive sind, an der Grenze aufgenommen werden, ein rechtsstaatliches Verfahren bekommen und, wenn sie abgelehnt werden, direkt wieder zurückgeführt werden. Denn das ist an dieser Stelle wichtig. Sie belasten ausweislich der BAMF-Statistik die Kommunen und die Hilfeorganisationen zu einem Drittel mit Menschen, die keine Bleibeperspektive bei uns in NRW haben. Das ist nicht hinnehmbar. Das ist intolerabel.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, zum Antrag der FDP: Über diesen Antrag kann und sollte man nachdenken. Er hat gute Ansätze. Allerdings muss ich an dieser Stelle das wiederholen, was der Kollege Körfges gesagt hat: Wir müssen schauen, dass es wirklich zu einer Entlastung kommt. Ich befürchte, dass es zwar eine Entlastung beim BAMF und bei den Gerichten gibt, dass es aber zu einer deutlichen Mehrbelastung der kommunalen Ausländerbehörden kommt. Da die kommunalen Ausländerbehörden diejenigen sind, die derzeit für die Rückführung und Abschiebung verantwortlich sind und auf die jetzt eh eine Menge an Mehrbelastung zukommt, stellt sich die Frage, ob das tragbar ist.

Im Ausschuss werden wir gute Gelegenheit haben, uns darüber vertiefend zu unterhalten. Der Grundgedanke ist es wert, verfolgt zu werden. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Für die SPD-Fraktion hat sich Herr Kollege Körfges gemeldet.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne die epochalen Ausführungen des Vorredners hätte ich sicherlich nicht bemerkt, dass sich in dem Positionspapier von CDU und CSU in der Tat eine markante Aussage zur Integration befindet. Da das nicht so viel ist, erlaube ich mir, das wörtlich zu zitieren. Dort steht:

„Zum Gelingen der Integration gehören unabdingbar auch das Verständnis und die Beachtung der Rechts- und Werteordnung des Grundgesetzes sowie die Einhaltung der Gesetze.“

Der eigentliche Teil, der sich auf Integration bezieht, lautet:

„Denjenigen Menschen, die zeitlich befristet oder dauerhaft in Deutschland Aufnahme finden, wollen wir die Integration ermöglichen, indem wir das schnelle Erlernen der deutschen Sprache und ihre Integration in den Arbeitsmarkt umfassend fördern.“

Ende der Durchsage. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann sich das natürlich mit dem Thema Integration auch ein bisschen einfach machen. Wir gehen schon ein wenig umfassender und seriöser an dieses Thema heran.

(Serap Güler [CDU]: Was machen Sie denn?)

– Frau Güler, dass Sie sich so aufregen, zeigt, dass ich völlig auf der richtigen Fährte bin.

(Beifall von der SPD)

Der Legendenbildung nächster Teil: Da wird eine Statistik, die so weit richtig ist, zitiert. Allerdings finden sich Ursache und Wirkung, lieber Kollege Kuper, an der Stelle nicht wieder. Sie haben die Halbjahresstatistik zitiert. Fakt ist aber: Wenn das BAMF genügend Menschen gehabt hätte, die die Anträge, die im ersten Halbjahr aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern gestellt worden sind, bearbeitet hätten, hätten wir das Problem nicht. Die Finger, mit denen Sie auf uns zeigen, zeigen umgekehrt auf Ihren Innenminister zurück. Der hat da versagt, und zwar auf ganzer Linie.

(Beifall von der SPD)

Sie unterhalten sich hier mit uns über eine Sache und verlangen von uns eine Haltung zu irgendetwas, was Sie selber nicht erklären können. Das ist interessant. Ich will Ihnen ganz deutlich klarmachen, was wir wollen: Wir wollen, dass unser Vorschlag, Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen unterzubringen und dann dort schnell Asylverfahren durchzuführen, umgesetzt wird. Das findet sich in der Einigung auf Bund-Länder-Ebene wieder. Warum tun wir das nicht gemeinsam, statt hier über Scheinlösungen zu debattieren und die Leute weiter zu verunsichern?

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wir haben die Aktuelle Stunde nicht bestellt. Ich an Ihrer Stelle hätte sie aber auch nicht verlangt. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Nun liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisung des Antrages der Fraktion der FDP Drucksache 16/10076Neudruck. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/10076 – Neudruck – an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Integrationsausschuss; die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

2   Industrie 4.0: Mittelstand sensibilisieren – Fachkräfte sichern – Smart Factories an berufsbildenden Schulen einrichten

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10070

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Abgeordneten Grunendahl das Wort.

Wilfried Grunendahl (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Rede möchte ich mit einem Kompliment und einem dicken Dankeschön beginnen. Vor zwei Wochen hat der Wirtschaftsausschuss Ostwestfalen-Lippe besucht und sich intensiv mit dem Thema „Industrie 4.0“ beschäftigt.

Für die gute Vorbereitung und Organisation dieser Fahrt möchte ich mich – sicherlich auch im Namen aller anderen Teilnehmer – beim Vorsitzenden unseres Wirtschaftsausschusses, dem Herrn Kollegen Fortmeier, und unserem Ausschussassistenten Herrn Schröder ganz herzlich bedanken.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Reise war spannend, informativ und für die politische Arbeit sehr erkenntnisreich.

Meine Damen und Herren, unsere Ausschussfahrt hat uns unter anderem an die Hochschule Ostwestfalen-Lippe nach Lemgo geführt. Dort hatten wir Gelegenheit, die SmartFactoryOWL zu besichtigen. Die SmartFactoryOWL ist ein herstellerunabhängiges Anwendungs- und Demonstrationszentrum. Durch Demonstration des Anwendernutzens von Industrie-4.0-Bausteinen sollen in der Regel familiengeführte mittelständische Unternehmen für die Potenziale der Digitalisierung sensibilisiert und begeistert werden.

Die Hochschule OWL ist ein Industrie-4.0-Kompe-tenzzentrum und bietet eine reale Produktionsumgebung. Hier arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure der beteiligten Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen gemeinsam miteinander. Darüber hinaus ist sie eine ideale Lernumgebung für Studierende in den ingenieurwissenschaftlichen Fachrichtungen.

Die zunehmende Digitalisierung in Produktion und Vertrieb wird Arbeitsbedingungen und Arbeitsprozesse in der Industrie sehr stark verändern. Gut ausbildete, qualifizierte Mitarbeiter sind für den Einsatz vernetzter intelligenter Systeme deshalb zwingend notwendig. Die Hochschule OWL bietet hier ideale Bedingungen, den Ingenieurnachwuchs von morgen auf die Anforderungen von Industrie 4.0 vorzubereiten.

Wenn, meine Damen und Herren, 4.0 eine Erfolgsgeschichte für Nordrhein-Westfalen werden soll, müssen wir jedoch nicht nur den Ingenieurnachwuchs für die Herausforderungen der Digitalisierung gut ausbilden, sondern auch den Facharbeiternachwuchs. Ziel muss sein, das Konzept der Smart  Factory auch auf die Berufsausbildung zu übertragen. Das Land Baden-Württemberg hat diesen Bedarf bereits erkannt und in diesem Jahr das Projekt „Lernfabrik 4.0“ an berufsbildenden Schulen gestartet. In einer möglichst praxisnahen Lernumgebung soll der Umgang mit intelligenten Maschinen und digital vernetzten Prozessen an den berufsbildenden Schulen in Baden-Württemberg vermittelt werden.

Das Konzept der Lernfabrik 4.0 setzt auf eine starke Kooperation mit der Wirtschaft. Berufsbildende Schulen, die eine Förderung der Errichtung einer von landesweit acht Lernfabriken in Baden-Württemberg erhalten wollen, brauchen einen Kooperationspartner aus der Industrie. Neben einem finanziellen Beitrag des Kooperationspartners wird vor allem die Einbringung von Fach- und Expertenwissen erwartet.

Unsere Gespräche mit Unternehmensvertretern während unserer Reise haben gezeigt: Neben dem flächendeckenden Breitbandausbau ist die Sicherung des veränderten Fachkräftebedarfs durch Digitalisierung eine wesentliche Aufgabe der Landespolitik in Nordrhein-Westfalen. Das Konzept der Lernfabrik stieß bei vielen Unternehmen auf großes Interesse. Die Landesregierung ist daher aufgefordert, sich mit Schulträgern und Unternehmen an einen Tisch zu setzen und ein tragfähiges Konzept für Lernfabriken in unserem Lande, in Nordrhein-Westfalen, zu entwickeln.

Wir freuen uns auf die Beratung unseres Antrages im Wirtschaftsausschuss. – Meine Damen und Herren, schönen Dank fürs Zuhören.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Grunendahl. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Brockes.

Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die digitale Transformation revolutioniert die gesamten Wertschöpfungsprozesse sämtlicher Unternehmen und Branchen. Die Potenziale dieser unaufhaltsamen Entwicklung sind riesig. In einer Studie von Strategy& und PwC werden in der nahen Zukunft jährliche Investitionen in Höhe von 40 Milliarden € in Industrie-4.0-Lösungen durch deutsche Unternehmen erwartet.

Als Fabrikausrüster der Welt profitiert die deutsche Industrie ganz stark vom weltweiten Trend der Digitalisierung und Vernetzung von Produkten und Dienstleistungen. Die genannte Studie erwartet auf dieser Grundlage jährliche Umsatzsteigerungen von 2 bis 3 %. Das würde Mehrumsätze von bis zu 30 Milliarden € in der deutschen Industrielandschaft bedeuten.

Aber auch für Mittelstand und Handwerk bietet die Digitalisierung große Chancen. Durch die Anpassung ihrer Produktionsprozesse, Produkte und Dienstleistungen können sie ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und ausbauen. Meine Damen und Herren, das ist entscheidend für eine ausgereifte Volkswirtschaft wie Deutschland. Und das ist auch gerade für Nordrhein-Westfalen enorm wichtig. Denn wir benötigen einen Innovationssprung, um unsere Wachstums- und Beschäftigungsdefizite endlich abzubauen.

(Beifall von der FDP)

Eine der größten Herausforderungen vor diesem Hintergrund von Wirtschaft 4.0 liegt dabei auf der Hand. Die Ansprüche und Anforderungen an die Beschäftigten von morgen verändern sich dramatisch. Vereinfacht gesagt, heißt das: Wir brauchen mehr Fachkräfte. Wir brauchen andere Qualifikationsprofile, wir brauchen eine Weiterentwicklung unserer Bildungs- und Ausbildungssysteme.

Ernst & Young schätzt die Umsatzeinbußen allein im nordrhein-westfälischen Mittelstand aufgrund von Fachkräftemangel schon für dieses Jahr auf über 8,3 Milliarden €, meine Damen und Herren. Mit Blick auf die steigenden Anforderungen durch die digitale Transformation kann diese Entwicklung schon bald für viele Unternehmen und für unseren Standort ein existenzbedrohendes Niveau erreichen.

Hier muss endlich gegengesteuert werden. Nordrhein-Westfalen und Wirtschaft 4.0 dürfen keine Gegensätze mehr sein. Eine Vielzahl von Maßnahmen ist erforderlich: mehr Investitionen in Wissenschaft und Infrastruktur, mehr Freiheit und Handlungsspielräume für Schulen, Abbau bürokratischer Lasten für den Mittelstand und vor allem eine Weiterentwicklung und Stärkung unseres erfolgreichen Ausbildungssystems, meine Damen und Herren.

In einer aktuellen Publikation zur digitalen Transformation weist die Industrie- und Handelskammer Nordrhein-Westfalen zu Recht darauf hin, dass die Digitalisierung als Querschnittsthema neue Ansätze für Praxisnähe und Zukunftsfähigkeit benötigt. Das gilt natürlich ganz besonders für die Ausbildung.

Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, haben CDU und FDP den vorliegenden Vorschlag erarbeitet. Für die überlebenswichtige Praxisnähe schon in der Ausbildung müssen wir endlich sorgen. Schülerinnen und Schüler von heute und Fachkräfte von morgen können mit den von uns angeregten Smart Factories noch besser und noch schneller an das Prinzip der vernetzten Produktion herangeführt werden.

Für die vernetzte Wirtschaft unabdingbare Fähigkeiten und Fertigkeiten können so integraler Bestandteil der Berufsausbildung werden – und das für jeden Berufszweig, egal ob Handwerk, Handel oder Industrie. Denn wir müssen alle mitnehmen auf dem Weg der digitalen Transformation.

Meine Damen und Herren, diese Ansätze von Unternehmen, Kammern und Hochschulen existieren bereits; das wurde eben schon vom Kollegen Grunendahl gesagt. Die Hochschule Ostwestfalen in Lemgo ist ein Beispiel, das wir bei diesem Antrag als Vorlage genommen haben. Das sollten wir weiter ausbauen, das sollten wir landesweit so durchführen.

Der einzige Akteur, meine Damen und Herren, der sich dieser Herausforderung bisher leider nicht gestellt hat, ist die Landesregierung. Deshalb hoffen wir, dass wir mit unserem Antrag einen Beitrag dazu leisten, dass wir uns auch in diesem Land endlich dieser Herausforderung stellen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Fraktion der SPD spricht Frau Kollegin Blask.

Inge Blask (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Aktuell befindet sich die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen in Deutschland und in vielen weiteren Ländern in der Welt auf der Schwelle zu einer vierten industriellen Revolution bzw. hat diese bereits überschritten.

Diese vierte industrielle Revolution ist bekannt unter dem Begriff Industrie 4.0 oder Wirtschaft 4.0. Gemeint ist hiermit, dass IT-Technik und Produktion mit einander verschmelzen und intelligente Produktionssysteme entstehen. Am Ende steht die Vision einer intelligenten Fabrik, die sich selbst organisiert.

Aber auch das Handwerk, meine Damen und Herren, wird seine besonderen Herausforderungen in der Wirtschaft 4.0 meistern müssen. Diese entscheidenden Entwicklungen eröffnen auch den Unternehmen und den Handwerksbetrieben am Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen viele neue Möglichkeiten und bieten ein großes Chancenpotenzial für die Zukunft der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen.

Mit dem Einsatz von Industrie 4.0 in den Betrieben ergeben sich für die Unternehmen natürlich auch Veränderungen im Produktionsablauf, bei Lagerung und vielem anderen mehr. Die Produktion, meine Damen und Herren, wird sich verändern. Hierbei wird das optimale Zusammenspiel von Menschen, Technik und Organisation weiter an Bedeutung gewinnen.

Dieses bedeutet entsprechend auch, dass sich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neue Arbeitsbedingungen und Arbeitsprozesse ergeben. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen daher bereits in der Ausbildung dafür ausreichend qualifiziert werden.

Hierfür möchten Sie, liebe Fraktionen der CDU und der FDP, gerne pro Kammerbezirk sogenannte Smart Factories an den berufsbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen einrichten, um hier die Auszubildenden mit ihren unterschiedlichen Berufen auf die von Industrie 4.0 und Wirtschaft 4.0 geprägte Wirtschaft vorzubereiten.

Der Analyse in Ihrem Antrag kann ich noch folgen, Ihrer Schlussfolgerung leider nicht mehr.

Meine Damen und Herren, bereits heute erfolgt eine entsprechende Ausbildung und Qualifikation der Auszubildenden. So setzt das Land Nordrhein-Westfalen bereits an den allgemeinbildenden Schulen an, um die Grundlagen für die Nutzung der neuen Medien und für eine umfassende Medienkompetenz zu schaffen. Hiermit werden wichtige Grundlagen für Ausbildung und Studium geschaffen.

Eine entsprechende Qualifikation der Auszubildenden erfolgt an den nordrhein-westfälischen Berufsschulen in dem so einzigartigen dualen System, um das uns viele in der Welt beneiden. Die einzelnen Ausbildungsberufe werden dabei immer wieder an Entwicklungen der Wirtschaft angepasst, sofern die Wirtschaft entsprechende Anpassungen auch gegenüber der Kultusministerkonferenz der Länder formuliert und wünscht. Hier ist insbesondere die Wirtschaft gefragt, die neuen Anforderungen an die Kultusministerkonferenz heranzutragen. Wir brauchen notwendige Veränderungen und Anpassungen in den jeweiligen Ausbildungsverordnungen, um den Anforderungen an eine Wirtschaft 4.0 gerecht zu werden.

Kooperationen von Wirtschaft und Schule und vor Ort sind sinnvoll und ausbaufähig. Wir brauchen eine sach- und bedarfsgerechte Ausstattung aller beruflichen Schulen in Nordrhein-Westfalen und nicht wenige Vorzeigezentren.

Wir sehen die von Ihnen geforderten Smart Factories pro Kammerbezirk sehr kritisch und stellen Ihnen die Frage, ob dies eine sinnvolle Ergänzung für die Qualifizierung von Auszubildenden darstellen kann.

Der Überweisung in den Fachausschuss werden wir aber zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Blask. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Dr. Beisheim.

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte es mir schon gedacht: Bereits während der letzten Ausschussreise des Wirtschaftsausschusses zum Thema „4.0“ war mir klar: Der nächste unausgegorene Antrag zum Thema „Industrie 4.0“ wird uns alsbald vorgelegt werden. – Das ist jetzt auch geschehen.

Sicherlich ist die Beschreibung der Ausgangslage in Teilen richtig. Ich teile Ihre Auffassung, dass das Thema „Digitalisierung der Produktprozesse“ zu einer Erfolgsgeschichte für das Industrieland Nordrhein-Westfalen werden kann. Auch die Tatsache, dass es gemeinsamer Anstrengungen von Politik, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden bedarf, um den Mittelstand für das Thema „Digitaler Wandel“ zu sensibilisieren, ist allgemeiner Konsens und war schon des Öfteren Gegenstand von Debatten.

Der Gedanke, überbetriebliche Ausbildungszentren müssten sich an Veränderungen der technischen Anforderungen anpassen, ist dagegen kein neuer. Das ist gelebte Praxis und Teil des Erfolges des dualen Ausbildungssystems insgesamt. Ich denke mir auch, dass zukünftig das Handwerk und die Verbände der Industrie daran arbeiten werden, ihre überbetrieblichen Ausbildungszentren gemeinsam mit uns an die zukünftigen Erfordernisse anzupassen.

Niemand bestreitet, dass die Digitalisierung in alle Lebensbereiche und damit auch in alle Ausbildungsberufe hineinstrahlen wird. Deshalb wäre es besser – das haben bereits Frau Blask und Herr Kollege Brockes in ihre Reden eingewoben –, zukünftig den Begriff „Wirtschaft 4.0“ zu verwenden und ihn nicht auf „Industrie 4.0“ zu verkürzen. Denn die Auswirkungen auf Berufe und Ausbildungen werden sicherlich sehr unterschiedlich sein.

Von daher haben wir alle in diesem Haus die Einsetzungsbeschlüsse der Handwerksenquete unterstützt, um Aufklärung zu leisten, welche technologischen Auswirkungen sich auf die Ausbildung und die Berufsbilder im Handwerk und in den handwerksnahen Berufen ergeben. Es muss verhindert werden, dass mangelnde Qualifikation und mangelnde Fähigkeiten der Menschen, die letzten Endes die Fabriken und Anlagen der Zukunft errichten sollen, dazu führen, dass sie nicht gebaut werden. Dieser Flaschenhals, der letzten Endes die digitale Entwicklung behindert, darf nicht geschaffen werden.

Die wichtigste Kernfrage bei der Ausbildung ist daher für mich: Wie gestalten wir zeitgemäßes Lernen in einer zunehmend digitalisierten Welt? Sowohl die Landesregierung – das hätten Sie bereits bei der Vorbereitung des Antrags herausfinden können – als auch die Träger der dualen Ausbildung haben schon Instrumente dazu entwickelt. Schaut man sich speziell das Handwerk an, erkennt man, dass moderne Lernformen, die allgemein unter dem Begriff „Blended Learning“ oder – auf Deutsch – „Integriertes Lernen“ bekannt sind, bereits seit vielen Jahren gelebte Praxis sind.

Diese Mischung aus Praxisphasen, traditionellen und modernen Formen des E-Learnings sollte meiner Meinung nach eine weiter verbreitete Anwendung finden. Das ist sicherlich auch das Thema der laufenden Enquetearbeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Besichtigung der Smart Factories in Lemgo sollte eigentlich gezeigt haben, dass es zukünftig egal ist, wo wir etwas lernen, wo sich eine Anlage befindet, welche Bildungsträger sie angeschlossen haben, solange webbasierte Zugriffsmöglichkeiten bestehen. So ist der vorgeschlagene Ansatz, Smart  Factories zu schaffen, nicht sehr zielführend.

Darüber hinaus hat uns Herr Prof. Jasperneite von der Universität Lemgo versucht zu erklären – zumindest denjenigen, die an der Delegationsreise des Wirtschaftsausschusses teilgenommen haben –, wo der Unterschied liegt zwischen einer normalen evolutionären Weiterentwicklung der Fertigung, die quasi digitalisiert unterstützt weiter fortschreitet, und dem tatsächlichen Übergang zu intelligenten, selbstlernenden Systemen, zusammengefasst unter dem Begriff „Digitalisierung 4.0“.

Aber in Ihrem Antrag wird einiges durcheinandergeschmissen. Denn nicht jede Form von digitalisierter Fertigung ist intelligent. Letzten Endes ist mir Ihr Antrag nicht smart genug.

Trotzdem freue ich mich auf die weiteren Diskussionen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dr. Beisheim. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Raum und daheim! Wir sind mitten drin in der digitalen Revolution; darüber besteht Einigkeit. Diese Erkenntnis bringt uns zu der eigentlich relevanten Frage: Wie müssen wir unsere gesellschaftlichen Institutionen umgestalten, damit sie mit der digitalen Revolution umgehen können und dazu passen – das ist eigentlich auch eine Kernfrage meiner Partei –, und zwar so, dass der Mensch auch in Zukunft im Mittelpunkt steht?

Ein wesentliches Kernelement ist die Bildung. Welche Qualifikationen sollen wir jungen Menschen mitgeben, damit sie in der kommenden Gigabitgesellschaft ein erfolgreiches, ein eigenverantwortliches Leben führen können? Welche Instrumentarien brauchen sie, um nicht nur stumpfe Konsumenten, sondern werteschaffende Personen zu werden, die echte Gestaltungs- und Handlungskompetenz besitzen?

(Beifall von den PIRATEN)

Wir Piraten haben uns schon sehr frühzeitig dafür eingesetzt, Schulen fitzumachen für die Digitalisierung, und daher sehen wir auch ganz grundsätzlich mit Sympathie auf diesen Antrag. Aber er zeigt – und das ist besonders im Vortrag von Herrn Brockes deutlich geworden – eine gewisse renditeromantikgetriebene marktideologische Engführung. Es geht um Smart People und nicht um Smart Factories.

Zwei Kritikpunkte: Wir Piraten folgen nicht der Logik, dass sich Lehrpläne primär am Arbeitsmarkt ausrichten müssen. Vielmehr müssen wir neben grundlegenden Informatikkenntnissen auch kreative Problemlösungskompetenz vermitteln.

Die Tatsache, dass der Antrag federführend an den Wirtschaftsausschuss und nicht an den Schulausschuss überwiesen werden soll, zeigt noch einmal ganz deutlich, wie ohnmächtig die Politik in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland insgesamt der digitalen Revolution gegenübersteht. Wir hatten vor einiger Zeit ein Internetministerium und einen dazu passenden Ausschuss gefordert. Dorthin hätte der Antrag überwiesen gehört.

(Beifall von den PIRATEN)

Speziell in der Argumentationslogik von Schwarz-Gelb/Magenta geht es immer um das Entweder-oder, also um zwei Positionen. Im Grunde gibt es immer vier Positionen: Entweder-oder, sowohl-als-auch und weder-noch.

Ich würde mir wünschen, wenn wir in der Debatte im Ausschuss über diesen Antrag auch darauf eingehen könnten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Duin das Wort.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Vertretung der Kollegin Löhrmann darf ich gerne zu dem hier vorgelegten Antrag Stellung nehmen. Ich glaube – das wird auch die weitere Debatte im Wirtschaftsausschuss zeigen –, dass wir uns sehr einig sind in der grundsätzlichen Herausforderung. Digitalisierung ist nichts, was vor der Tür steht, sondern längst da ist. Wir werden auch im Wirtschaftsausschuss Herrn Brockes noch einmal darlegen, mit welch vielfältigen Aktivitäten wir uns dieser Thematik stellen und daran arbeiten; ein paar Erfolge konnten schließlich schon im Rahmen der Debatten im Ausschuss diskutiert werden.

Die Landesregierung ist sich gemeinsam mit den Kommunen einig, dass das Lernen in der digitalen Welt insbesondere von den fünf Handlungsfeldern LOGINEO NRW, learn:line NRW, Medienpass NRW, Bring Your Own Device und Medienberatung NRW geprägt ist. Damit legen wir in den allgemeinbildenden Schulen die Grundlagen sowohl für eine umfassende Medienkompetenz als auch für die Nutzung neuer Medien für das individualisierende Lernen.

Auch die NRW-Berufskollegs werden den in der KMK-Rahmenvereinbarung über die Berufsschule neu formulierten Aufgaben der Berufsschule in vielfältiger Weise gerecht. Neben der Fortentwicklung hin zu kompetenzorientierten Bildungsplänen als Grundlage offener Kompetenzbeschreibungen, die jederzeit vor Ort umgesetzt werden, ermöglichen wir dort nämlich den Erwerb von erweiterten und vertieften beruflichen Kompetenzen digitaler Handlungsfelder, zum Beispiel durch das Angebote an Zusatzqualifikationen.

Da sich viele existierende Berufsbilder und -strukturen ändern werden, analysiert das Bundeinstitut für Berufsbildung derzeit den Qualifikationsbedarf in der IT-Branche, um IT-Berufe mit Blick auf 4.0-Qualifikationen eventuell neu zu ordnen.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die Verantwortung für die Anpassung von Ausbildungsberufen auf Entwicklungen in der Wirtschaft natürlich bei der Wirtschaft selbst liegt und auch von dieser wahrgenommen werden muss. Nur wenn diese die Initiative rechtzeitig ergreifen, können auch mit den aktuellen Berufsbildern synchronisierte KMK-Rahmenlehrpläne für den Berufsschulunterricht entwickelt werden.

Meine Damen und Herren, natürlich greifen die Berufskollegs bei der Umsetzung bestehender curricularer Vorgaben aktuelle Weiterentwicklungen auf und gewinnen damit auch Preise. So erhielt 2014 zum Beispiel das Mindener Leo-Sympher-Berufskolleg von der Umweltstiftung der ostwestfälischen Wirtschaft den Sonderpreis zum Industrie-4.0-Projekt „Herausforderung Energiewende“.

Seit 2009 bringt eine Kooperation zwischen der VDW-Nachwuchsstiftung – VDW ist der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken – und dem MSW die Berufskollegs beim Maschinenbau auf den neuesten technischen Wissensstand. Die Lehrkräfte informieren sich in den Unternehmen, gemeinsam werden Unterrichtsmaterialien entwickelt, und vielfach sind im Rahmen dieser Kooperation auch die Sachausstattungen von Berufskollegs erweitert worden.

Außerdem ist NRW – das ist schon beschrieben worden – Standort von SmartFactoryOWL, einem der fünf nationalen Kompetenzzentren Mittelstand 4.0. Dort wird in Kooperation zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen die Einführung neuer Technologien erarbeitet.

Der von der Landesregierung veröffentlichte Projektaufruf zur Fachkräftesicherung unterstützt insbesondere kleine und mittlere Unternehmen in Handlungsfeldern des digitalen Wandels, der Vernetzung und Industrie 4.0. Von den Lernortkooperationen der Betriebe mit den Berufskollegs profitieren beide Partner der beruflichen Bildung.

Deswegen kommen wir zu dem Ergebnis, dass es auch beim Thema „Smart Factories“ um eine pragmatische unterrichtliche Umsetzung geht, orientiert an regionalen Ausgangslagen und nicht, wie im Antrag beschrieben, an Kammerbezirken.

Ich freue mich sehr auf die zu diesem Thema weiterführende Diskussion in unserem Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank. – Es sprach in Vertretung für Frau Ministerin Löhrmann der Landesminister für Wirtschaft und die anderen Fachbereiche, die im Ausschuss federführend sind. Dort wird dieser heute unter Tagesordnungspunkt 2 beratene Antrag „Industrie 4.0“ auch behandelt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Überweisung des Antrags Drucksache 16/10070 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk - federführend - sowie an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist alles nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

3   NRW braucht ein Flüchtlingsforum: Die Landesregierung muss Helferinnen und Helfer in der Flüchtlingshilfe besser vernetzen und mehr unterstützen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10062

Zunächst gibt es dazu eine Aussprache und danach eine direkte Abstimmung; darauf haben sich die Fraktionen verständigt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Kollegin Brand für die Piratenfraktion das Wort.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Helfer helfen – wie schön! Auch wir haben heute die Gelegenheit dazu. An dieser Stelle geht mein ausdrücklicher Dank an alle Helfer, die dort draußen Unglaubliches leisten, und auch an diejenigen, die jetzt zu unserer Helferkonferenz gekommen sind und sich miteinander ausgetauscht haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Oftmals werden Lösungen einfach von oben aufgeflanscht, ohne die wirklichen Bedarfe der Akteure zu berücksichtigen. Es gibt zum Beispiel die Seite „ich-helfe.nrw“. Diese ist gut, und ich will sie auch nicht schlechtmachen. Dort wird schon vieles von dem umgesetzt, was gewünscht ist. Aber der Austausch, nach dem die Helfer fast schreien, ist dort nicht möglich.

Unsere Maxime bei der Lösung von Problemen ist, dass wir mit den Leuten reden und nicht über sie. Deshalb haben wir diese besagte Helferkonferenz veranstaltet und diese ganz bewusst offen gestaltet, anders als die handverlesene Veranstaltung, die zwei Tage später hier im Landtag nach schriftlicher Einladung stattfand. Die Teilnehmer waren uns richtig dankbar für das Forum und die Möglichkeit, sich untereinander über Probleme und mögliche Lösungen auszutauschen.

Was ist das Ergebnis der Konferenz? – Es fehlen Regionalkonferenzen zum Austausch der Helferinnen und Helfer. Es fehlen Informationen zu aktuellen Entwicklungen, rechtlichen Bedingungen und neuen Errungenschaften in der Flüchtlingsaufnahme in NRW, die man zum Beispiel in Form eines Newsletters präsentieren könnte.

Der Flüchtlingsrat, dem ich hier auch ausdrücklich meinen Dank aussprechen möchte – was dieser leistet, ist fast unglaublich –, ist dringend mit genügend Ressourcen auszustatten, um künftig unter anderem ein moderiertes Flüchtlingsforum zu implementieren und zu betreuen.

Projekte in den Kommunen, die Modelle von Self Empowerment entwickeln und durchführen, sollen finanziell gefördert werden. Es soll also Hilfe für Flüchtlinge geben, die somit wiederum anderen Flüchtlingen helfen können. Außerdem muss endlich das angekündigte überregionale Beschwerdemanagement implementiert werden.

Am allerwichtigsten sind aber – das war die durchgängige Meinung – die hauptamtlichen Koordinierungsstellen auf Landes- und kommunaler Ebene. Das Schöne ist: Ich kann Ihnen versichern, dass die Kommunen bei diesen Forderungen der Helfer eins zu eins auf unserer Seite sind. Das haben sie mir erst vor kurzer Zeit persönlich versichert.

Unser Antrag hilft den Helfern unmittelbar und ist leicht umzusetzen. Man muss aber vielleicht auch einmal ein paar Schritte weiterdenken. So fordert aktuell das Deutsche Rote Kreuz eine Freistellung der Helfer, wie zum Beispiel bei der Feuerwehr. In dieser Hinsicht stände einmal ein Gespräch mit den Arbeitgeberverbänden an. Man sollte vielleicht auch einmal über die Anrechnung von Rentenpunkten für ehrenamtliche Helfer nachdenken. Rentenpunkte sind keine finanzielle Unterstützung. Das wäre eine Konterkarierung des Ehrenamts. Dennoch wird damit eine Wertschätzung ausgedrückt. Bis zum Renteneintritt sind die Flüchtlinge integriert und zahlen in die Rentenkasse ein. Es ist also eine Win-win-Situation.

Aber das ist nur ein möglicher Ausblick. Heute haben wir die Gelegenheit, die helfenden Menschen mit einfachen Maßnahmen schnell und effektiv zu unterstützen. Das sollten wir nicht versäumen. Deshalb bitte ich Sie, unseren Antrag zu unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Als nächster Redner spricht Herr Kollege Yetim für die SPD-Fraktion.

Ibrahim Yetim (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Brand, ich möchte kurz zwei Punkte aufgreifen. Nicht nur Sie, sondern auch wir reden mit den Leuten, und ich glaube, fast jeder Abgeordnete hier redet vor Ort mit den ehrenamtlichen Helfern. Auch wir von der SPD-Fraktion haben hier vor Ort vor einigen Tagen eine große Veranstaltung mit über 400 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern organisiert und haben uns angehört, wo es drückt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Handverlesen war das, oder?)

Allerdings bin ich mir sicher – und das ging auch aus den Wortbeiträgen hervor, die es in den letzten Wochen und Monaten zu diesem Thema gab –, dass viele Abgeordnete mit den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, aber auch mit den hauptamtlichen Akteuren vor Ort im Gespräch sind und ganz genau wissen, wo der Schuh drückt.

Einen weiteren Punkt möchte ich direkt am Anfang aufgreifen, nämlich die Internetplattform „ichhelfe.jetzt“. Das ist ein Baustein. Ich weiß, dass in den Kommunen vor Ort ganz viele Internetplattformen in Arbeit oder auch schon umgesetzt sind. Deswegen ist es viel wichtiger, dass es diese Angebote vor Ort gibt, die übrigens von vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern und auch von vielen Organisationen vor Ort geschaffen werden. Dort findet, wie ich beobachte, eine sehr gute Vernetzung statt.

Zu Ihrem Antrag! Ganz wichtig an diesem Antrag – das kann man gar nicht oft genug sagen – sind der Dank an die und die Anerkennung des Engagements der haupt- und ehrenamtlichen Akteure in der Flüchtlingsarbeit. Man kann auch ganz offen und ehrlich sagen, dass wir es als Land sowie als Kommunen ohne dieses Engagement überhaupt nicht schaffen würden, die notwendige Hilfe zu leisten. Deshalb möchte ich meinen ganz herzlichen Dank an alle ehrenamtlichen, aber auch hauptamtlichen Akteure in den Kommunen richten; schon Frau Ministerpräsidentin Kraft und viele andere haben diesen Dank in den letzten Sitzungen hier ausgesprochen.

Ich glaube, dass diese Menschen, die vor Ort aktiv sind, genau das Bild von Deutschland sind, das wir vermitteln sollten – und nicht diese PEGIDAS und diese ganzen anderen Rechten, die da unterwegs sind. Das wünsche ich mir. Denn das ist gelebte Willkommenskultur. Das sollte das Bild sein, das wir als Deutschland und als Nordrhein-Westfalen ausstrahlen.

Der Piratenantrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, greift mehrfach das angebliche Organisationsversagen der staatlichen Behörden auf. Frau Brand, ich will das noch einmal ganz deutlich sagen – wir hatten das Thema „Wortwahl“ ja schon vorhin in der Aktuellen Stunde –: Die Behauptung und Wortwahl, es gäbe ein „Organisationsversagen“ ist angesichts all der Anstrengungen, die ich von ministerieller Seite, vonseiten der Mitarbeiter der Ministerien, der Bezirksregierungen, aber auch der Menschen, die in den Kommunen arbeiten, wahrnehme, ein Baustein von dem, was Sie ja immer wieder kritisieren, dass wir nämlich über die Wortwahl den Rechten Zulauf bringen. Das sind nicht nur die Transitzonen. Das ist auch das, womit dann transportiert wird: Die staatlichen Ebenen schaffen das nicht, und deswegen müssen wir das selbst in die Hand nehmen.

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir auch das vermeiden würden. Denn ich stelle kein Organisationsversagen fest, sondern ich stelle fest, dass es eine unglaubliche Herausforderung gibt. Aber die kann man bewältigen. Ich bin sicher, die werden wir auch bewältigen.

Die Landesregierung arbeitet mit einem sehr, sehr großen Einsatz daran. Wenn man sich die Zahlen, die wir ja gerade auch noch einmal gehört haben, noch einmal vor Augen führt – es gibt Tage, an denen über 3.000 Menschen zu uns kommen –, dann stellen Sie fest, wie wichtig das ist. Die Maßnahmen der Landesregierung, die wir umsetzen wollen, wird, glaube ich, auch der Minister gleich noch einmal vorstellen.

Aber ich will zum Thema „Ehrenamt“ noch einmal sagen: Wir werden in den Bezirksregierungen fast 380 Stellen schaffen, die insbesondere zur Unterstützung der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer gedacht sind. Von daher meine ich nicht, dass wir da einen Nachholbedarf haben. Zwei Maßnahmen der Landesregierung kennen Sie, Frau Brand. Das sind unser Förderprogramm „Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe“ und das Förderprogramm „Zusammenkommen und Verstehen“.

Zu Ihren Forderungen bezüglich des Handlungskonzepts für die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe in Nordrhein-Westfalen: Wir arbeiten daran. Die Landesregierung arbeitet daran. Das Programm „Komm An“ wird gerade bearbeitet. Ich glaube, dazu wird der Minister auch noch etwas sagen.

Hauptamtliche Koordinierungsstelle! Ja, das ist alles wichtig. Aber wir haben erst vor Kurzem Kommunale Integrationszentren eingerichtet. Ich glaube, die sind viel wichtiger; denn vor Ort muss das stattfinden. Eine Koordinierungsstelle hier beim Land sehe ich als nicht so vordringlich an. Vor Ort muss das passieren, und viele Kommunen tun das ja auch. Deswegen sollten wir lieber darüber nachdenken, wie wir das in den Kommunen unterstützen können.

Self-Empowerment-Modelle zu fördern, finde ich grundsätzlich begrüßenswert. Aber im Vordergrund steht, dass sich die ankommenden Menschen zurechtfinden müssen und wissen, was sie tun können. Wenn sie das abgeschlossen haben, wäre der nächste Schritt, auch anderen zu helfen. Aber erst einmal müssen wir den Menschen helfen.

Überregionales Beschwerdemanagement! Herr Herrmann kann Ihnen dazu sicher etwas sagen. Er ist ja auch Mitglied des Innenausschusses. Auch das ist schon längst in Arbeit.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Seit einem Jahr passiert nichts!)

Deswegen hat sich dieser Antrag, glaube ich, überholt, Frau Brand. Deswegen werden wir den auch ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Güler.

Serap Güler (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Yetim, meines Erachtens reicht es nicht aus, hier zu sagen: Ja, all das, was im Antrag steht, mag ja richtig sein, aber im Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort würde eigentlich jeder wissen, wie die Situation vor Ort ist, und im persönlichen Gespräch könnte man das eine oder andere klären. – Ich verkürze das jetzt mal,

(Ibrahim Yetim [SPD]: Sehr verkürzt!)

aber das war schon der Inhalt Ihrer Aussage.

Das ist einerseits sicherlich richtig. Aber wenn Sie sich andererseits wirklich, wie Sie hier behaupten, mit den Menschen vor Ort austauschen, dann werden Ihnen diese Menschen – genauso wie sie es Frau Brand oder mir gegenüber tun – auch sagen, dass sie sich mit ihrer Hilfe einfach oft alleine gelassen fühlen. Dann zu sagen, „Wenn du helfen möchtest, dann geh doch da hin, dann klopf mal an die Tür, du könntest dieses und jenes tun“, hilft dann manchmal einfach nicht. Dass man ihnen stärker das Gefühl gibt, dass man sie unterstützt, dass man ihnen hilft, und vonseiten der Landesregierung hier auch ein Zeichen setzt, finde ich richtig.

Ich begrüße den Antrag deshalb sehr. Ich möchte mich dafür auch bedanken, weil vieles enthalten ist, was richtig ist, vor allem die Erwähnung, dass ein trockenes Dankeschön – so richtig das Ganze ist – oft nicht ausreichend ist.

Neue Konzepte zur Förderung der Ehrenamtlichen sind das, was wir jetzt in der Tat brauchen. Denn die gegenwärtige Zuwanderung von Flüchtlingen nach Europa stellt uns alle vor große Herausforderungen, ob die staatlichen Institutionen oder die Gesamtgesellschaft.

Deutschland und unser Bundesland stellen sich ihrer humanitären Verantwortung. Natürlich sind wir bereit, den vor Krieg und politischer Verfolgung geflohenen Menschen zu helfen.

Auch ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, mich bei den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern zu bedanken, die durch ihr wirklich großartiges Engagement die Unterbringung der vielen Flüchtlinge erst möglich gemacht haben. Herr Yetim hat es gerade auch angesprochen, dass das ohne ihre Hilfe oft gar nicht möglich wäre.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Sie helfen bei der Essensausgabe, organisieren Kleidung und Spielzeug oder vermitteln die ersten Deutschkenntnisse.

Es berührt uns alle, dass es ein Engagement über alle Altersgruppen gibt – ob Schülerinnen und Schüler, die nach ihrem Unterricht helfen, Studierende, Hausfrauen und Rentner, die genauso anpacken wie Berufstätige.

Damit fangen die vielen Helferinnen und Helfer auch die Versäumnisse der Landesregierung auf. Die CDU-Fraktion fordert schon seit Langem ein Gesamtkonzept, und zwar nicht nur, was die Unterbringung der Flüchtlinge betrifft. Denn es kann nicht sein, dass Kommunen per Amtshilfe zur Errichtung von Notunterkünften verpflichtet werden. Das kann auf Dauer keine Lösung sein, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Kommunen müssen finanziell und in der Organisation der Flüchtlingsunterbringung entlastet werden.

(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

– Sie müssen auch mal lernen, zuzuhören. –Anderenfalls sorgt die Landesregierung nur für Unmut und Enttäuschung vor allem bei denjenigen, die mit großem Eifer in den Flüchtlingsunterkünften ihre Hilfe anbieten.

Ja, wir müssen bürokratische Hürden abbauen. Das steht in Ihrem Antrag drin. Wir müssen für Ehrenamtliche viele Zugänge erleichtern. Wir brauchen auch ein zentrales Beschwerdemanagement. Das haben Sie, Herr Herrmann, gerade richtig kommentiert. Es mag sein, dass man da dran ist. Aber seit einem Jahr bekommen wir eigentlich wenig davon mit. Es gibt genug Bundesländer, die vormachen, wie man es richtig machen kann. Im Antrag ist das Beispiel Baden-Württemberg erwähnt. Man muss auch nicht immer wieder das Rad neu erfinden, sondern kann etwas Gutes durchaus abschauen.

Wir dürfen es nicht fahrlässig hinnehmen, dass Ehrenamtliche, die die Situation vor Ort sehr genau kennen, demotiviert werden, weil ihr Feedback von staatlichen Institutionen einfach nicht ernst genommen wird. Die staatlichen Institutionen brauchen ehrenamtliches Engagement und sollten dieses auch würdigen.

Die Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen ist groß. Sie muss erhalten und gestärkt werden. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Wir als CDU-Fraktion haben bereits in einem eigenen Antrag gefordert, dass es hauptamtliche Anlaufstellen für die ehrenamtlich Tätigen geben muss, die zukünftig als zentrale Ansprechpartner agieren und die Information, Vernetzung und Qualifizierung organisieren.

Wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen sowie eine stärkere Vernetzung und Fortbildung, um mehr Ehrenamtliche gewinnen und vermitteln zu können. Alle staatlichen Stellen und die Zivilgesellschaft stehen bei der Bewältigung dieser Herausforderung in der Pflicht.

Dennoch werden wir uns, auch wenn Sie sehr viele wirklich gute Punkte in Ihrem Antrag haben, an dieser Stelle enthalten –

(Lachen von Frank Herrmann [PIRATEN])

aus folgendem Grund, Frau Brand: Wir hätten uns gewünscht, dass Sie diesen Antrag wie ursprünglich geplant in den Ausschuss bringen und dass wir im Ausschuss über den einen oder anderen Punkt diskutieren können. Denn meines Erachtens sind die Punkte Flüchtlingsrat und Regionalkonferenzen nicht falsch, aber diskussionsbedürftig.

Sie haben sich dagegen entschieden und den Antrag zur direkten Abstimmung gestellt. Deshalb stimmt meine Fraktion an dieser Stelle nur mit Enthaltung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Güler. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Kollegin Velte.

Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen, liebe Zuschauer! Es ist schon großartig, was in diesem unseren Lande passiert. Es ist großartig, wie viele Menschen „Ja, willkommen“ und „Ja, wir helfen“ sagen. Es gibt auch nichts, was dem Einhalt gebieten könnte. Immer mehr Menschen melden sich und sagen: Wo Hilfe gebraucht wird, sind wir zur Stelle.

Darauf können wir in diesem Land, in unseren Städten, in allen unseren Einrichtungen, in den Kirchen- und Moscheegemeinden sehr stolz sein. Wir können nicht genügend dankbar für die Menschen sein, die sich Tag für Tag neben ihrer beruflichen Arbeit dort einbringen.

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN – Beifall von der SPD)

Wenn es Expertinnen und Experten für die Situation gibt, die sich vor Ort darstellt – wie funktioniert das eigentlich mit der Flüchtlingsunterbringung und mit der Integration vor Ort? –, sind es an ganz vielen Stellen die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler, die in Zusammenarbeit mit den Kommunen dazu eine Menge beitragen können.

Dazu braucht es – Frau Brand, da gebe ich Ihnen völlig recht – natürlich auch Koordinierung und Unterstützung des Ehrenamtes. Das ist auch der Grund, weshalb die Landesregierung schon Mittel zur Stärkung des Ehrenamtes bereitgestellt hat. Über die Höhe kann man sich immer streiten. Manchmal sind die Mittel da, und die Realität geht über die Mittel hinweg. Trotzdem können wir stolz darauf sein, dass wir diese Mittel zur Verfügung gestellt haben.

Ja – darüber streiten wir uns; wir werden auch nicht aufhören, uns darüber zu streiten –, ich habe mit Absicht die Kommunen genannt; denn die Arbeit, sowohl die hauptamtliche Arbeit als auch die ehrenamtliche Arbeit, passiert in den Kommunen. Auch die Koordinierung von Ehrenamt und von Mitteln der Integration muss als Allererstes in den Kommunen passieren.

Das Land hat die Aufgabe, die Kommunen dabei zu unterstützen. Das tun wir. Wir haben die feste Absicht, das weiter fortzuführen und noch zu verstärken.

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen sind die Kommunen auch die ersten und wichtigsten Ansprechpartner. Da können wir – Herr Yetim hat schon darauf hingewiesen – auch noch einmal auf die Kommunalen Integrationszentren verweisen, die in diesen Tagen über ihr Stellenbudget hinaus auch Herausragendes leisten. Wir können sehr stolz auf die Arbeit der Kommunalen Integrationszentren sein – genauso stolz wie auf andere, die vor Ort koordinieren.

Wenn ich in unseren Häusern in meiner Stadt und in anderen Städten, die ich besuche, mit den Ehrenamtlichen spreche, stelle ich fest: Sie wünschen sich in der Tat Anlaufstellen. Sie wünschen sich in der Tat Koordinierung. Aber auf die Idee – wobei wir eine Kultur der Ehrung dringend brauchen; da bin ich ganz bei Ihnen –, neben dieser ehrenamtlichen Tätigkeit noch auf Regionalkonferenzen zu fahren und zu schauen, was eigentlich die nächste Stadt macht, kommen viele von ihnen nicht.

Man kann eine solche Idee durchaus diskutieren.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Genau das! Genau das ist richtig! – Simone Brand [PIRATEN]: Das ist richtig!)

Sie stellen das aber direkt zur Abstimmung. Ich würde lieber basisdemokratisch, wie ich denke,

(Lachen von Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN])

mit den Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtlern darüber sprechen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Daher tut es mir leid: An dieser Stelle können wir nicht bei Ihnen sein.

Was die Frage des Internets angeht, sage ich: Ich weiß, dass das Beschwerdemanagement auf einem guten Weg ist. Das haben wir ja aus dem Innenausschuss gehört. Die Finanzierung des Flüchtlingsrates ist auch auf einem guten Weg.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Zu lange!)

Zur Frage der Präsenz und der Koordinierung: Sie können über die entsprechende Seite schimpfen.

(Simone Brand [PIRATEN]: Wir haben nicht darüber geschimpft!)

Ich finde, dass diese Seite wenigstens ein guter Anfang ist. Sie führt weiter.

Es tut mir leid, dass wir den Antrag jetzt ablehnen müssen. Ich hätte ihn gerne im Ausschuss diskutiert. Aber wenn Sie auf direkter Abstimmung bestehen, ist das eben so. Wir werden im Ausschuss sicherlich Möglichkeiten finden, die einzelnen Themen ohne große Emphase zu diskutieren, wie wir es im Integrationsausschuss gewöhnt sind.

Deswegen freue ich mich auf weitere Diskussionen dort. Wegen des Antrags tut es mir leid. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Velte. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, dass sich die Tonlage wohltuend von der am heutigen Vormittag unterscheidet. Herr Yetim ist ja auch jemand, der gerne sehr kräftig argumentiert. Er hat an dieser Stelle aber offenbar auch ein Gespür, wo das angebracht ist und wo nicht. Vielen Dank, dass wir hier insgesamt vernünftig diskutieren. Das gilt selbstverständlich auch für Frau Velte und Frau Güler. Das tut, glaube ich, einer Debatte gut.

Es ist eben schon angesprochen worden, dass wir auch als Parlamentarier denjenigen danken müssen, die im Moment vor Ort die Arbeit stemmen und Überstunden leisten. Die Hauptamtler sind im Rahmen dessen, was sie über die Hauptamtlichkeit hinaus machen, im Grunde genommen auch ehrenamtlich tätig. Wir sollten uns also auch einmal bei den kommunalen Beamten bedanken, die zum Teil nicht auf die Uhr gucken und vor Ort viele Dinge stemmen, um die Erledigung sonstiger Pflichtaufgaben weiter am Laufen zu halten. Auch ihnen kann man ein Dankeschön sagen. Das gilt auch für viele Lehrerinnen und Lehrer, die versuchen, die schwierige Situation an den Schulen aufzufangen.

Ich finde es auch ehrenwert – das sage ich an dieser Stelle –, dass die Piraten Helfer aus der Flüchtlingsarbeit zu einer Konferenz eingeladen haben, will aber darauf eingehen, warum wir als FDP diesem Antrag hier trotzdem nicht folgen. Ich schätze, dass Kollegen wie Frau Brand oder Herr Herrmann dieses Thema wirklich mit großer auch zeitlicher Intensität und großer Leidenschaft beachten. Das ist, denke ich, auch etwas, was man von professionellen Politikern erwarten muss. Dennoch ist es nicht immer und überall der Fall. Das wird hier von Ihnen aber sehr professionell gemacht. Auch für uns nehme ich das in Anspruch.

Wir kommen – das muss man dann auch sagen – bei vielen zentralen Entscheidungen zu diesem Thema zu unterschiedlichen Bewertungen. Das gilt auch im Hinblick auf die politische Ausrichtung des Flüchtlingsrates. Da haben Sie eine sehr große Nähe zu einer Position, die sich sehr stark Richtung „Open Border“ orientiert. Diese Haltung kann man vertreten. Das ist aber nicht die Haltung der Freien Demokraten; denn wir glauben, dass wir geregelte Verfahren und auch eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Flüchtlingsgruppen brauchen, um adäquate Lösungen – auch unterschiedliche rechtliche Lösungen – hervorbringen zu können.

Deswegen täte ich mich schwer, zu sagen: Wir geben jetzt besondere Fördermittel an den Flüchtlingsrat, der genau diese Position bezüglich „Open Border“ ja auch in Broschüren, politischen Diskussionen usw. immer weiter vorträgt. Ich halte das für den falschen Weg. Deswegen bin ich gegen eine solche institutionelle Aufrüstung des Flüchtlingsrates.

Man hätte – dafür bin ich – bestimmte Dinge sehr wohl an anderer Stelle, zum Beispiel im Ausschuss, diskutieren können. Man hätte durchaus darüber sprechen können, wie man die dezentrale Flüchtlingsarbeit effizienter unterstützen könnte und welche zusätzlichen Mittel man für die Koordinierung von Ehrenamt auf den Weg bringen könnte. Da wären wir möglicherweise mit Ihnen an Bord gewesen.

Sie bestehen jetzt auf direkter Abstimmung. Deswegen werden wir an dieser Stelle nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Nun spricht der zuständige Minister. In seiner neuen Funktion ist das seine erste Rede. Herr Minister Schmeltzer, Sie haben das Wort.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: : Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Präsident, auch in der neuen Funktion hat sich hier nichts geändert. Es ist also alles beim Alten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Die Pulthöhe bleibt.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Die Pulthöhe bleibt. Herzlichen Dank. – Tausende von Männern und Frauen kümmern sich in diesen Tagen um die ankommenden Flüchtlinge. Auch ich sage in dem Tenor der Ausführungen des Kollegen Stamp: Jeder Kontakt zu Ehrenamtlern – das gilt auch für deren persönliche Ansprache – seitens der Politik ist immer zu begrüßen, egal von welcher Fraktion.

Diese Ehrenamtler, und zwar alle Beteiligten, tun ihre Arbeit mit einer bewundernswerten Energie und Einsatzbereitschaft. Ich sage das sehr bewusst. Das gilt für die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die hier schon angesprochen wurden, aber auch die vielen Hauptamtlichen. Ihnen allen möchte ich auch von diesem Pult aus sehr herzlich danken. Ich betone mit Blick auf den Wortbeitrag der Kollegin Güler, die ich jetzt nicht mehr sehe, dass dies kein trockener, sondern ein ehrlich gemeinter und sehr herzlicher Dank ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Auf das, was vor Ort geleistet wird, können wir alle gemeinsam stolz sein. Dort zeigen sich Mitmenschlichkeit und Solidarität, wie wir sie uns besser nicht wünschen könnten.

Die Flüchtlinge, die heute Hilfe und Anteilnahme erfahren, werden dies nicht vergessen. Das wird positiv in ihrer Erinnerung bleiben, und es wird – dessen bin ich mir absolut sicher – ihren Integrationsprozess in unserer Gesellschaft fördern.

Bei all diesen Dingen – so habe ich zumindest die Diskussion bisher wahrgenommen – sind wir doch relativ einig. Wir haben immer gesagt: Aufnahme und Versorgung sind die zentralen Aufgaben, die wir aktuell bewältigen müssen.

Unterbringung und Versorgung dürfen aber nicht alles sein. Wer mit Bleibeperspektive hier ist, muss so früh wie möglich Zugang zu unseren Integrationsangeboten haben. Er muss so früh wie möglich unterstützt werden.

Deshalb ist es gut, dass Asylsuchende mit Bleibeperspektive jetzt Zugang zu den Integrationskursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge haben. Dafür hat sich Nordrhein-Westfalen seit Jahren eingesetzt – im Bundesrat, aber auch auf den Fachministerkonferenzen. Ein Bestandteil dieser Kurse ist ja auch die Vermittlung von Informationen über das Leben und die Werte in Deutschland.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, im Antrag der Piraten steht vieles, was ich gerne unterschreibe – an erster Stelle den Dank an die Helferinnen und Helfer und die Notwendigkeit, die Akteure vor Ort zu vernetzen. Es findet sich aber auch manches darin, was falsch oder sogar ärgerlich ist.

Wenn man bedenkt, dass 2007 in Nordrhein-Westfalen insgesamt 5.000 Menschen in einem Jahr Schutz gesucht haben und dass es aktuell bis zu 3.000 Menschen an einem Tag sind, dann wird die Dimension der Aufgabe deutlich. Diese Aufgabe wird in Nordrhein-Westfalen mit einem enormen Kraftaufwand geschultert. Einiges davon haben wir ja heute schon gehört.

Nicht nur in den Einrichtungen selbst, sondern auch in den zuständigen Verwaltungen wird bis an die Grenzen des Leistbaren gearbeitet. Wenn die Piraten nunmehr von Organisationsversagen sprechen, dann muss das von denen, die vor Ort viel mehr als ihre Pflicht tun, als Geringschätzung ihrer Arbeit empfunden werden. Das haben die Menschen vor Ort, die diese Arbeit leisten, definitiv nicht verdient, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Die Piraten sprechen auch die Notwendigkeit eines koordinierten Beschwerdemanagements an. In der Zuständigkeit des Innenministeriums werden wir neben den dezentralen Beschwerdestellen als zweite Säule eine überregionale Koordinierungsstelle einrichten. Im Einvernehmen mit der Freien Wohlfahrtspflege soll die überregionale Koordinierungsstelle beim Flüchtlingsrat angesiedelt werden.

Im Antrag wird auch von der Notwendigkeit gesprochen, das ehrenamtliche Engagement zu fördern und zu vernetzen. Genau das tun wir aber seit Langem.

Für mein Haus nenne ich erstens unser Ehrenamtsprogramm, das wir 2015 aufgelegt haben. Seit Februar dieses Jahres haben wir in Kreisen und kreisfreien Städten ehrenamtliche Initiativen vor Ort gefördert.

Ich nenne zweitens das Soforthilfeprogramm „Zusammenkommen und Verstehen“, das wir im September dieses Jahres aufgelegt haben. Alle Kreise und kreisfreien Städte haben einen Antrag gestellt, viele über die Kommunalen Integrationszentren. Alle Anträge sind zwischenzeitlich bewilligt.

Besonders erwähnen möchte ich das Programm KOMM-AN, das sich in der Erarbeitung befindet. Das MAIS erarbeitet hier in Abstimmung mit dem Ministerium für Inneres und Kommunales ein flächendeckendes Aktionsprogramm zur weiteren Koordinierung und Vernetzung für die in der Flüchtlingshilfe tätigen ehrenamtlichen Personen.

Die Kommunalen Integrationszentren sind angesprochen worden. 49 sind es; das 50. wird bald eröffnet. Es ist wichtig, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort im ständigen Austausch zu sein, um auch zu hören, wo es weiter knackt, damit gerade diejenigen, die nämlich die hauptamtliche Anlaufstelle für das Ehrenamt sind, noch besser vor Ort ihrer Tätigkeit intensiv nachkommen können.

Um darüber hinaus Flüchtlinge und Asylsuchende bei ihrer Ankunft in Nordrhein-Westfalen nachhaltig zu unterstützen, werden wir in den nächsten Wochen eine Ankommen-Broschüre auflegen. Die Broschüre soll möglichst kurz, verständlich und mehrsprachig wesentliche Informationen zu den wichtigsten Themen und Institutionen für eine erste Orientierung vermitteln.

Sie sehen: Nordrhein-Westfalen tut bereits jetzt viel für die Förderung und weitere Vernetzung des Ehrenamtes. Es wird mehr werden; das garantiere ich. Wir werden die Menschen, die vor Ort Großartiges leisten, unsere nordrhein-westfälische Zivilgesellschaft, weiter aktiv unterstützen. Diese Unterstützung basiert unter anderem auf vielen Gesprächen mit denen, die vor Ort tätig sind.

Auch ohne Ausschussüberweisung garantiere ich Ihnen schon jetzt: Wir werden im Integrationsausschuss – und wenn es von mir kommt – dieses Thema weiter beraten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Schmeltzer. – Für die Piratenfraktion hat sich noch einmal Frau Brand zu Wort gemeldet.

Simone Brand (PIRATEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verwendung der Wörter war gerade symptomatisch. Das geschah mit Bedacht. Herr Yetim hat versucht – ich habe beim fünften Mal aufgehört, zu zählen –, mich und den Antrag zu koppeln mit dem Wort „Organisationsversagen“, das ich nicht ein Mal in den Mund genommen habe. Herr Schmeltzer hat es auch direkt benutzt. Ich weiß nicht, ob die Reden zusammen geschrieben worden sind. Das Wort „Organisationsversagen“ fiel bei uns nie. Ganz im Gegenteil: Ich habe sogar die Ansätze der Landesregierung explizit gelobt.

Auch symptomatisch ist das Aufflanschen von Lösungen. Herr Yetim, Sie sagen, nach Ihrer Auffassung seien andere Sachen als die, die im Antrag stehen, besser. Uns haben die Helfer gesagt, dass sie wissen, was sie brauchen und was besser ist.

Auch Jutta Velte sagte: Regionalkonferenzen, nein; ich glaube, da kommen gar nicht so viele Helfer hin. – Die Helfer haben sich diese Regionalkonferenzen gewünscht und wollen dahin kommen.

Wie gerade schon gesagt, habe ich eben mitnichten geschimpft. Ich habe die Sachen, die von der Landesregierung auf dem Weg sind, gelobt. Ich habe nur gesagt, was noch zusätzlich fehlt. Diese Informationen hatte ich aus erster Hand. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Jetzt kommen wir zur Abstimmung. Alle fünf Fraktionen haben sich auf eine direkte Abstimmung verständigt.

Wer stimmt dem Antrag Drucksache 16/10062 zu? – Die Fraktion der Piraten. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD, Grüne und FDP. Wer enthält sich? – Es enthält sich die CDU-Fraktion. Damit ist der Antrag mit breiter Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Ich rufe auf:

4   Bund muss alle Kosten für Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) der Kommunen übernehmen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10073

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10144

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10145

Der Änderungsantrag der Piratenfraktion und der Entschließungsantrag der Piratenfraktion sind noch im Entstehen begriffen. Am Schluss der Beratung zu diesem TOP werden sie zur Abstimmung gestellt werden. Wir werden also am Ende drei Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt haben.

Zunächst debattieren wir aber über dieses Thema. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herrn Kollege Garbrecht das Wort.

Günter Garbrecht (SPD): Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war in den letzten Tagen in einer Reihe von Berufskollegs und habe dort sogenannte Internationale Klassen besucht, also Flüchtlingsklassen. Überall habe ich sehr wissbegierige, engagierte junge Menschen kennengelernt, die ihr Schicksal sehr selbstbewusst und engagiert in die Hand nehmen wollen. Dabei werden sie von Lehrerinnen und Lehrern sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern unterstützt, die unablässig daran arbeiten, diesen zu uns geflüchteten jungen Menschen ihre Möglichkeiten für gute Bildung und Teilhabe aufzuzeigen.

Warum setze ich das an den Anfang? Ich tue das deshalb, weil auch die Bundesarbeitsministerin davon ausgeht, dass das SGB II und die Leistungen für Bildung und Teilhabe in der Zukunft auch für diesen Personenkreis eine größere Rolle spielen werden.

Die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes wie insgesamt die Umsetzung der Arbeitsmarktreform im SGB II hat diesen Landtag und die Ausschüsse umfangreich beschäftigt. Ich glaube, es gibt keinen Landtag in Deutschland, der sich so intensiv mit dieser Frage beschäftigt hat, auch und gerade mit der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes.

Deswegen sage ich auch an dieser Stelle: Es gibt natürlich immer noch Zweifel – auch bei vielen von uns –, ob mit den Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten des SGB II die Maßgaben des seinerzeitigen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes hinreichend erfüllt sind. Diese Zweifel bestehen weiterhin. Die Möglichkeit, mit individualisierten Leistungen das Grundrecht auf eine menschenwürdige Existenz und die Teilhabe an der Gesellschaft zu gewährleisten, ist weiterhin mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Das wird im politischen Raum diskutiert, aber auch bei vielen Trägern der Wohlfahrt im Lande.

Wir haben hinreichend darüber diskutiert und sind uns mit vielen einig, dass die Verfahren zur Gewährung von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bürokratisch überdreht und sehr verwaltungsaufwendig sind. Die Umsetzung belastet sowohl Akteure als auch Träger sowie Anspruchsberechtigte und bindet unnötig Ressourcen. Wir haben versucht, die Antragsgewährung etwas weniger aufwendig zu gestalten. Es gibt einige Verbesserungen in diesem Feld. Da ist aber noch deutlich Luft nach oben.

Es hat auch Initiativen des Landes Nordrhein-Westfalen gegeben. Wir wissen aber auch, dass es bei der Revision 2014 erst eines Verfahrens vor dem Bundessozialgericht bedurfte – unter Federführung des Landes Nordrhein-Westfalen –, um den Kommunen die ihnen vorenthaltenen Leistungen – bundesweit 284 Millionen, in Nordrhein-Westfalen 70 Millionen – zugänglich zu machen.

Wie gesagt, krankt es noch an vielem, insbesondere an dem bürokratischen Verfahren und dem Aufwand, der für die Gewährung der Leistungen notwendig ist. Wir haben allerdings landesweit Veränderungen vorgenommen und hier auch sehr intensiv darüber diskutiert.

Die landesinterne Verteilung hin zu einer garantierten Erstattung aller Kosten, die den Kommunen entstehen, haben wir noch nicht erreicht. Es gibt, wie gesagt, keine Anreizmechanismen für die Kommunen, die Förderung nach dem BuT wirklich ernst zu nehmen, sich insbesondere dem Thema der Lernförderung stärker zuzuwenden, auch wenn da positive Entwicklungen zu verzeichnen sind. Viele Kommunen, die sich dort sehr engagiert betätigen, bleiben auf den Kosten sitzen. Wir bremsen die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter – durch das dreijährige Landesprogramm haben wir jetzt fast 150 Millionen € für die Förderung der Schulsozialarbeit eingebracht – in der Frage der Gewährung von Leistungen sozusagen aus.

Ziel unseres Antrags ist, dass der Bund die tatsächlichen Ausgaben einer Kommune kommunalscharf und nicht über landesweite nachträgliche Erstattungsregelungen ersetzt. Weil diese Fragestellung im zuständigen Ausschuss und auch im Ausschuss für Kommunalpolitik hinreichend diskutiert worden ist, haben wir direkte Abstimmung beantragt. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Garbrecht. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum wiederholten Male steht das Bildungs- und Teilhabepaket, das BuT, auf der Tagesordnung. Einmal mehr gibt es Anlass zur Klage. Das BuT ist und bleibt ein bürokratisches Monster.

Es erreicht nicht alle diejenigen, die es eigentlich erreichen soll, nämlich Kinder in prekären Lebenslagen, und für die, die daraus Leistungen beziehen, ist es zu gering bemessen. Denn – darüber sind wir uns wohl alle einig – mit 70 € bzw. 30 € Schulstartgeld kann man noch nicht einmal den Grundbedarf einer Schulausstattung finanzieren, und von 10 € im Monat lassen sich weder Kultur noch Sport bezahlen.

Schließlich hat der Bund auch noch seine Leistungen bei der zuführenden Schulsozialarbeit gestrichen.

Nun müssen wir feststellen, dass die Bundesregierung nicht einmal die zugesagten Mittel – besser gesagt: die im Gesetz festgelegten Anteile – in voller Höhe bezahlt. Dies wiederum ergibt sich aus dem zugrunde gelegten Berechnungssystem. Der Bund bewilligt für das laufende Jahr nur das, was im letzten Jahr an Leistungen in den Kommunen verausgabt wurde, und berücksichtigt nicht, dass im laufenden Jahr durchaus mehr ausgegeben wird. Auf exakt dieser Differenz bleiben die Kommunen schlichtweg sitzen.

Das bedeutet, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung spart zulasten der Kommunen; sie spart zulasten von Kindern und Jugendlichen. Das ist ein starkes Stück!

(Beifall von den GRÜNEN)

Schwarz-Gelb hat damals ein schlechtes Gesetz geschnürt; Schwarz-Rot hat bislang nichts daran geändert. Darunter leidet das Land, darunter leiden die Kommunen, und darunter leiden vor allen Dingen die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Es ist höchste Zeit für Veränderungen. Daher fordern wir die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene entsprechend einzusetzen.

Die Bundesregierung muss ihrer Verpflichtung zur Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums für Kinder und Jugendliche vollumfänglich nachkommen, und zwar so, wie es das Bundesverfassungsgericht 2010 gefordert hat. Einmal mehr müssen wir leider daran erinnern. Daher fordere ich alle hier im Hohen Hause vertretenen Fraktionen auf: Bitte befürworten Sie unseren Antrag, und unterstützen Sie unser Ansinnen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Grochowiak-Schmieding. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Middendorf.

Claudia Middendorf (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorweg noch ein paar Fakten nennen, damit wir nicht nur den Antrag sehen, sondern insgesamt eine Grundlage haben und wissen, worüber wir sprechen.

Das Bildungs- und Teilhabepaket, kurz BuT genannt, hat seit Einführung im Jahre 2011 nun schon einige Stationen und Entwicklungsstufen hinter sich gebracht. Im Jahr 2012 – das ist jetzt entscheidend; da muss die Landesregierung noch einmal hinschauen – hat der Bund eine Revision durchgeführt. Dabei wurde überprüft, was die Kommunen und Kreise tatsächlich für den vorgesehenen Zweck verausgabt haben.

Tatsächlich wurden 2012 in NRW nur etwa 63 % – ich wiederhole: 63 % – der Mittel vor Ort zweckentsprechend eingesetzt. Daraufhin wurde die Höhe der Bundesmittel für das Bildungs- und Teilhabepaket in den Jahren 2013 und 2014 neu festgelegt. Für das Land Nordrhein-Westfalen bedeutete dies, dass die Kommunen und Kreise in NRW nun einen verringerten Aufschlag von 3,4 % erhielten.

Dass die darauffolgende Planung des Bundesministeriums zur rückwirkenden Verrechnung der in 2012 nicht verausgabten Mittel mit den Auszahlungen für 2013 vom Bundessozialgericht so nicht gebilligt wurde, ist richtig, aber keine neue Erkenntnis.

Mit dem vorliegenden Antrag soll nun eine erneute Diskussion – wir haben in diesem Zusammenhang mehrmals einen Aufschlag im Schul- sowie im Kinder- und Jugendbereich gehabt – angestoßen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktion, die Art und Weise, wie Sie ständig diese Rufe nach mehr Geld auf Ihre Fahnen schreiben, hat schon etwas Gebetsmühlenartiges. Ihr Antrag stellt wieder einmal auf die Schulsozialarbeit ab, wie ich gerade schon sagte. Dabei machen Sie wohlweislich nicht deutlich, wie Schulsozialarbeit denn definiert wurde. Es handelt sich dabei nämlich um eine Erfüllung des Bildungsauftrags des Landes Nordrhein-Westfalen und eben nicht um eine Leistung des Bundes.

(Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE]: Falsch!)

Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, sieht übrigens auch Ihre eigene Bundesministerin Frau Nahles genau so und antwortet in ihrem Schreiben an die Grünen entsprechend. Liebe Kollegen von den Grünen, Sie wurden ja direkt angeschrieben. Herr Präsident, ich bitte, zitieren zu dürfen:

„Die Zuständigkeit für Schulsozialarbeit liegt nach der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung jedoch nicht beim Bund. Schulsozialarbeit bildet eine Schnittstelle zwischen Schulen, Familien und Jugendhilfe und damit einen Bestandteil der allgemeinen Bildungspolitik und des Schulwesens.“

(Beifall von der CDU – Zuruf von Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE] – Sigrid Beer [GRÜNE]: Nicht verwechseln!)

„Die Verantwortung für den Bildungsbereich ist den Ländern zugewiesen.“

Wir als CDU haben bereits seit Langem – das wissen Sie auch – den konstruktiven Finanzierungsvorschlag eingebracht, die Schulsozialarbeit aus einem Anteil – ich bitte Sie, sich dies genau anzuhören – der ab 2015 eingesparten Mittel aus der wegfallenden Finanzierung des BAföG zu ermöglichen. Mit der vollständigen Übernahme der BAföG-Kosten durch den Bund wurde NRW um 280 Millionen € entlastet. Davon hätten 100 Millionen € für die Schulsozialarbeit eingesetzt werden können. Doch es passierte, was leider viel zu häufig in unserem schönen Land Nordrhein-Westfalen passiert: Das Geld ist einfach im Landeshaushalt versickert.

Kurzum: Es gab eine gute Möglichkeit zur Finanzierung durch Bundesgeld, aber Sie haben wie immer die Chance nicht genutzt.

(Beifall von der CDU)

Jetzt können Sie sich doch nicht im Ernst hier hinstellen und zum zweiten Mal Geld einfordern.

An dieser Stelle möchte ich mit Ihnen nicht länger über die Schulsozialarbeit sprechen, und ich würde Sie bitten, keine weiteren Anträge zu stellen, sondern wirklich konstruktiv mit uns zu arbeiten. Ich bin hundertprozentig sicher, dass dieser Streit spätestens beim Wahlkampf 2017, nach dem Auslaufen des NRW-Programms für die Schulsozialarbeit – das ist identisch –, hier wieder auf den Tisch kommt.

Wie Ihre Forderung dann lauten wird, dürfte auch niemanden überraschen. Sie werden natürlich wieder Geld vom Bund fordern.

(Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE]: Wir fordern nur das, wozu der Bund verpflichtet ist!)

Dazu können wir von der Opposition nur genauso gebetsmühlenartig erwidern: Es wird höchste Zeit, dass Sie endlich das Haushalten lernen. – Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Alda das Wort.

Ulrich Alda (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich sage es ganz kurz. Der Antrag, der hier eingebracht worden ist, ist ein reiner Schaufensterantrag. Sie wollen die Landesregierung für Aktivitäten feiern, die erst auf den Druck von Kommunen und den Oppositionsfraktionen hin zustande gekommen sind.

(Beifall von der FDP)

Außerdem appellieren Sie wieder einmal an den Bund.

Sicher ist es richtig, dass der Bund für eine ausreichende Finanzierung der Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets verantwortlich ist.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Aha! – Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE]: Aha!)

– Aha, aha! Sie haben vorhin schon wieder einen Schuldigen gefunden: Schwarz-Gelb. Ist klar; kenne ich alles. –

(Zuruf von Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE])

Das hat auch unsere Fraktion immer gefordert. Doch warum stellt ausgerechnet die SPD hier im Landtag einen derart unverbindlichen Antrag? – Sprechen Sie einmal mit Frau Nahles, sprechen Sie mit Frau Schwesig, die Sie ja ziemlich gut kennen. Ihre Parteifreundinnen sind in Berlin für die Finanzierung der Leistungen verantwortlich. Da könnten Sie Druck machen, um substanzielle Ergebnisse zu erzielen.

(Beifall von der FDP)

Übrigens habe ich das Ihrem Vorgänger, Herr Minister, auch schon gesagt.

Sie begrüßen den Übergang zu einer ausgabenorientierten Verteilung der Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Ich möchte daran erinnern, dass die Kommunen frühzeitig darauf hingewiesen haben, dass sich die Ausgaben für Bildung und Teilhabe nicht einfach durch eine Quote bei den Kosten der Unterkunft ermitteln lassen. Schwerpunkte und Bedarfe sind anders gewichtet.

Die Landesregierung hat noch 2013 mit Verweis auf das vom Bund vorgegebene Prinzip eines pauschalen Budgets eine Spitzabrechnung verweigert. Erst nach Initiative der kommunalen Spitzenverbände – Sie erinnern sich bestimmt –, nach Anfragen und nach einem Antrag aus den Reihen der Opposition war die Bereitschaft zum Umdenken erkennbar. In diesem Antrag feiern Sie auch die Landeszuschüsse zur Schulsozialarbeit. Da wird es jetzt endgültig kritisch.

Über dieses Thema haben wir in den letzten Jahren hier im Plenum mehrfach diskutiert. Auch hier haben Sie erst die Anträge der Oppositionsfraktion überhaupt zum Handeln getrieben. Jetzt wollen Sie die Verantwortung wieder auf den Bund schieben.

Fazit: nichts dazugelernt. Ich habe bei der Vorbereitung auf diese Rede tatsächlich überlegt, ob ich meine alten Reden hier nicht eins zu eins einsetze. Dann habe ich aber gedacht: Na gut, gönne ich ihnen noch einmal etwas Neues, auch wenn es der gleiche Inhalt ist.

(Beifall von der FDP)

Das einzig Richtige an Ihrem Antrag ist die Beschreibung der schweren Arbeit der Schulsozialarbeiter. Schulsozialarbeit wirkt aber auch über die Schule hinaus. So stellen unter anderem Förderangebote, Freizeitgestaltung und Präventionsarbeit eine wesentliche Entlastung und Hilfe im sozialen Umfeld der Kommunen dar.

Angesichts der Flüchtlingszahlen, der Kinder und Jugendlichen, die neu in unser Land kommen, ist absehbar, dass wir in Zukunft noch mehr Bedarf an Schulsozialarbeit haben werden. Genau hierin liegt der Grund, warum Rot-Grün diesen Schaufensterantrag stellt. Sie sehen Ihr organisatorisches Chaos beim Thema „Flüchtlinge“ und brechen in Schweiß aus, wenn Sie daran denken, was die Schulsozialarbeit bald tatsächlich wird leisten müssen. Angesichts Ihres finanziellen Pingpongspiels – so war zu erfahren – haben sich die Schulsozialarbeiter andere, besser dotierte Stellen mit festen Verträgen ausgesucht. Und so wird es weitergehen.

Ich will hier nicht wieder unsere Forderungen wiederholen. Dazu hat Kollegin Middendorf gerade genügend gesagt, und das können Sie alles in den Plenarprotokollen nachlesen.

Die Koalitionsfraktionen von Rot-Grün sind immer erst kurz vor der Verabschiedung des Haushalts Ende November dem öffentlichen Druck gefolgt. Das haben wir schon mehrmals erlebt. Sie haben zwar für drei Jahre Landesmittel zur Verfügung gestellt; es ist aber bereits absehbar, dass wir 2017 – und ich rede noch gar nicht vom Wahlkampf, wie die Kollegin das gemacht hat, ich rede einfach nur von den Fakten – vor den gleichen oder sogar vor noch größeren Problemen stehen wie im letzten Jahr – Stichwort: Flüchtlinge.

Ich habe wenig Hoffnung, dass Sie Frau Nahles und Frau Schwesig zum Umdenken bewegen können. Wir brauchen jedoch eine verlässliche Absicherung der Schulsozialarbeit.

Dieser Antrag wird also kaum zur Lösung beitragen können. Darüber hinaus zielt er nur darauf ab, Leistungen der Landesregierung anzupreisen, die nur unter dem Druck der Opposition und der Öffentlichkeit zustande gekommen sind. Deshalb kann unsere Fraktion dem Antrag nicht zustimmen. – Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Für die Piratenfraktion erteilte ich Herrn Kollegen Wegner das Wort.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Zuallererst möchte ich mich den Reden von Herrn Garbrecht und Frau Grochowiak-Schmieding anschließen. In diesen Reden gab es nichts, was falsch ist und was wir kritisieren würden.

Wenn Sie in Ihren Antrag nicht noch den Punkt mit der SGB II-bezogenen Schulsozialarbeit aufgenommen hätten, gäbe es an Ihrem Antrag nichts mehr, was zu verbessern wäre. In dem Antrag geht es nicht mehr um die SGB-II-bezogene Schulsozialarbeit, sondern um die anderen Stellen aus dem BuT, für die den Kommunen noch 10 Millionen € übrig bleiben. Für die Schulsozialarbeit geben Sie noch zusätzlich 20 Millionen € aus. Das wird nur nirgends erwähnt.

Wenn ich in Ihrem Antrag lese, dass sich die Regierung selber dafür lobt, dass sie 47,7 Millionen € in die Schulsozialarbeit gibt, dann möchten wir als Piraten aber auch gerne, dass in dem Antrag erwähnt wird, dass die Kommunen 30 % obendrauf legen müssen, damit diese Gelder überhaupt in Anspruch genommen werden können. Das ist auch der Inhalt unseres Änderungsantrages.

Davon ganz abgesehen: Da Ihre Forderungen von uns ansonsten unterstützt werden, unterstützen wir auch Ihren Antrag. Wir werden also dafür stimmen, unabhängig davon, ob Sie unserem Änderungsantrag zustimmen oder nicht. Das würde unserer Meinung nach eine Anerkennung der Kommunen bedeuten, die doch auch einen ganz erheblichen Beitrag zum Bestand der Schulsozialarbeit leisten.

An zweiter Stelle möchte ich auf unseren Entschließungsantrag eingehen. Dieses Antrags hätte es gar nicht bedurft. Die Diskussion über die Schulsozialarbeit hätte gar nicht geführt werden müssen, wenn Sie Ihren Antrag sauber geschrieben und in ihm nicht zwei Sachverhalte miteinander vermischt hätten. Da Sie die Dinge jedoch vermischt haben, haben wir den Punkt herausgenommen, den wir für wichtiger halten, und haben dazu unseren Entschließungsantrag geschrieben.

Sie fordern in Ihrem Antrag ganz klar: Die Landesregierung soll sich dafür einsetzen, dass das Defizit in Höhe von 10 Millionen €, das die Kommunen derzeit haben, vom Bund getragen wird. Die Kommunen haben aber, wenn man es richtig rechnet, ein Defizit in Höhe von 30 Millionen €. Von diesem Geld ist überhaupt nicht die Rede.

Jetzt ist die Frage: Haben Sie – hat die Landesregierung – den Kampf um die Argumentation, dass die SGB-II-bezogene Schulsozialarbeit ein Teil des Bildungs- und Teilhabepakets ist und damit auch Ihrer Meinung nach vom Bund finanziert werden muss, aufgegeben, oder warum steht das nicht in Ihrem Antrag?

Genau aus diesem Grunde haben wir den Entschließungsantrag gestellt. Wir vertreten diese Position weiterhin; wir vertreten sie schon, seitdem wir hier im Landtag sind: Der Bund muss die Kosten für das Bildungs- und Teilhabepaket vollständig zahlen, also inklusive der Schulsozialarbeiter.

Weiter fordern wir in unserem Entschließungsantrag – das wäre heute gar nicht zur Debatte gekommen, wenn es nicht Ihre Vermischung von zwei Sachverhalten in einem Antrag gegeben hätte –, dass es eine Ausbaustrategie der Schulsozialarbeit gibt. Auch das haben wir schon in der letzten Haushaltsdebatte und in den letzten Debatten gefordert, in der es hier um die Schulsozialarbeit ging. Nur, jetzt werden die Gründe, warum wir einen solchen Ausbau brauchen werden, viel wichtiger.

Eines ist klar – wir haben vorhin schon darüber diskutiert –: Es kommen jetzt ganz viele Flüchtlinge bzw. sie sind schon nach Nordrhein-Westfalen gekommen. Die Kinder und Jugendlichen gehen in die Schule. Damit kommen jetzt die sozialen Probleme vor Ort – auch das Problem der Integration – viel stärker auf. Dort brauchen die Kommunen Unterstützung.

Deswegen fordern wir in unserem Entschließungsantrag die Landesregierung auf, ein Ausbauprogramm für die SGB-II-bezogene Schulsozialarbeit zu entwickeln, ohne – ganz wichtig – die Kommunen weiter zu belasten. Es soll bei den 20 Millionen € für die Kommunen bleiben. Da darf nichts draufgelegt werden.

Somit komme ich jetzt zum Ende meiner Ausführungen. Noch einmal ganz kurz: Ja, wir stimmen Ihrem Antrag zu. Er ist inhaltlich richtig. Was wir an erster Stelle kritisieren, ist die Vermischung des BuT mit den SGB-II-bezogenen Schulsozialarbeitern. Da diese Vermischung von Ihnen vorgenommen worden ist, haben wir uns auf den Punkt konzentriert, der uns wichtiger ist, und dafür einen Änderungsantrag und einen Entschließungsantrag gestellt. Ich bitte Sie, beide zu unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Schmeltzer das Wort.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: : Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischenzeitlich habe ich ein bisschen das Gefühl gehabt, dass man sich hier nur noch über die Frage streitet: „Schulsozialarbeit – ja oder nein“, und ob das im Antrag steht – ja oder nein.

Ich kann Ihnen direkt sagen: Nein, wir haben den Kampf nicht aufgegeben. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass der Bund dies übernehmen muss. Der Antrag richtet sich – so lese ich ihn – deutlich auch nicht in Richtung Schulsozialarbeit.

Hinsichtlich Ihrer Forderung, den konstruktiven Umgang darzulegen, ist es so – das sage ich schon einmal in Richtung Frau Middendorf –: Aufgrund der Tatsache, dass sich der Bund aus der Verantwortung herausgezogen hat, sind wir dafür eingetreten, dass die Schulsozialarbeit in Höhe von 47,7 Millionen € finanziert werden kann. Das ist konstruktiver Umgang, Frau Kollegin Middendorf.

(Beifall von der SPD)

Seit seiner Einführung im Jahr 2011 sind die Ausgaben für das Bildungs- und Teilhabepaket stetig gewachsen, im vergangenen Jahr um mehr als 15,7 Millionen € auf insgesamt 151,6 Millionen €. Das sind Fakten, Frau Kollegin Middendorf. Bei Ihrer Zahlenjongliererei ist mir sehr deutlich geworden, dass Sie keine gelernte Kauffrau sind, denn sonst würden Sie nicht so viele Zahlen durcheinander bringen.

Dass diese Leistungen immer mehr in Anspruch genommen werden, ist nicht zuletzt dem Einsatz vieler Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter zu verdanken, die speziell für die Vermittlung des Bildungs- und Teilhabepakets an den Schulen sorgen.

Um diesen Einsatz weiter zu gewährleisten, haben wir die bereits von mir gerade erwähnten 47,7 Millionen € den Kreisen und kreisfreien Städten zur Unterstützung zur Verfügung gestellt. Zugegeben, das ist eine Ausfallbürgschaft. Nordrhein-Westfalen hat also mit Blick auf die Bundesbeteiligung eindeutig seine Hausaufgaben gemacht. Das Ganze wird seit 1. Januar 2014 bedarfsgerecht an die kommunalen Träger weitergeleitet.

Was wir jetzt noch benötigen, ist eine ausreichende Finanzierung dieser Mittel durch den Bund. In den vergangenen beiden Jahren mussten die Kreise und kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen etwa 20 Millionen € der von ihnen an benachteiligte Kinder erbrachten Leistungen aus eigener Tasche bezahlen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Zuwanderung – die ist eben zu Recht angesprochen worden – vieler Kinder aus Krisengebieten ist davon auszugehen, dass in den kommenden Jahren noch mehr Kinder durch das Bildungs- und Teilhabepaket Unterstützung finden müssen. Der Bund darf vor dieser Entwicklung nicht die Augen verschließen und muss seiner Verantwortung für eine auskömmliche Finanzierung des Bildungs- und Teilhabepaketes endlich nachkommen.

Um eine Änderung der bundesgesetzlichen Regelung zu erreichen, hat Nordrhein-Westfalen diese Thematik bereits Anfang Oktober dieses Jahres in die Amtschefkonferenz zur Vorbereitung der in zwei Wochen anstehenden Arbeits- und Sozialministerkonferenz hineingetragen. Die Initiative Nordrhein-Westfalens wird flankiert von einer breiten Unterstützung der meisten Länder.

Frau Middendorf hat vorhin gesagt, wir sollten nicht immer nach Geld schreien. Ich kann Ihnen sagen: Da gibt es eine breite Unterstützung. Ich weiß zurzeit nicht, wo Bayern steht. Ansonsten stehen, wie es sich abzeichnet, alle Bundesländer hinter dem von Ihnen so titulierten „Schreien nach mehr Geld“, also auch Ihre CDU-geführten Bundesländer. Von daher kann diese Initiative Nordrhein-Westfalens auf der ASMK nicht die verkehrteste sein.

Ich habe große Hoffnung, dass durch diese Initiative das von-der-Leyen-Baby in zwei Wochen endlich die Korrektur bekommt, die es benötigt, damit die Finanzierung seitens des Bundes auch zu einer ordentlichen Finanzierung für die Länder und Kommunen wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich noch einmal Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding zu Wort gemeldet. Bitte.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir noch etwas Redezeit übrig gelassen, weil ich mir schon dachte, dass aus der Opposition genau das kommt, was gesagt wurde.

Frau Middendorf, es hat mich erschüttert, dass Sie offensichtlich überhaupt nicht in der Lage sind, Bundesgesetzgebung zu verstehen und auf Landesebene herunterzuziehen. Wir wollen nicht mehr Geld vom Bund, sondern wir wollen das Geld, das er selber – damals unter Schwarz-Gelb – in seinen Gesetzen festgeschrieben hat, nämlich im Bundes- und Teilhabepaket, angebunden an das SGB II.

Da ist ganz klar festgelegt, inwieweit sich der Bund an den Kosten des Bildungs- und Teilhabepaketes beteiligt. Das tut er in der Tat nicht, wenn er in 2015 Summen bezahlt, die 2014 verausgabt wurden, die aber deutlich geringer waren als in 2015. Die Differenz bleibt bei den Kommunen hängen. Genau das Geld fordern wir vom Bund ein. Ich denke, das ist nicht mehr als recht und billig.

Zur Schulsozialarbeit. Ich sage es gerne noch einmal, auch dem Kollegen Alda: Wir müssen einfach unterscheiden: Die Schulsozialarbeit ist eine Aufgabe des Schulträgers, und die Schulträger sind in aller Regel die Kommunen. Die Schulsozialarbeit wurde damals in das BuT eingebastelt, unglücklicherweise unter dem gleichen Namen. Deshalb spreche ich gerne von der „zuführenden Schulsozialarbeit“. Der Minister hat es ja dankenswerterweise eben auch ausgeführt.

Es geht um eine Sozialarbeit im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes, die es erst ermöglicht – insbesondere den betroffenen Familien –, die Anträge zu stellen, die in vielfältigster Art und Weise nötig sind, damit sie diese Leistungen erhalten.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

An die Piraten gerichtet: Ich möchte ausdrücklich anerkennen und mich bedanken, dass Sie unseren Antrag unterstützen. Es tut mir allerdings leid, Ihren Änderungsantrag ablehnen zu müssen. Diesen habe ich erst vor zehn Minuten gelesen. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass die Kommunen einen Anteil an der vom Land geförderten Schulsozialarbeit tragen müssen. Dies ändert aber nichts an den Tatsachen in unserem Antrag schlechthin. Ihren Entschließungsantrag habe ich gerade das erste Mal zu Gesicht bekommen. Ich konnte ihn noch nicht einmal durchlesen.

Wir können auf jeden Fall festhalten: Das Land bemüht sich und macht viel.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Kommen Sie bitte zum Ende, Frau Kollegin.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Wir überbrücken die nächsten drei Jahre mit den 47 Millionen € für die Schulsozialarbeit, erwarten aber, dass der Bund in Zukunft seiner Verpflichtung wieder nachkommt. Das bringen wir in unserem heutigen Antrag noch einmal zum Ausdruck.

Zu dem, was Herr Alda zu den Flüchtlingen gesagt hat:

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, jetzt müssen Sie bitte zum Schluss kommen.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Allerletzter Satz, Herr Präsident. – Wenn Sie sich insbesondere die Änderungsanträge zu den Haushalten ansehen, dann stellen Sie fest, dass auch hier vonseiten des Landes viel geleistet wird. Ich habe keine Angst, dass wir das nicht geschafft bekommen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Erstens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/10144. Wer ist für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen von SPD, Grünen, CDU und FDP gegen die Stimmen von Piratenfraktion und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd abgelehnt.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/10073. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Zu der kommen wir nun.

Wer ist für den genannten Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dann stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/10073 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und des fraktionslosen Kollegen Schwerd gegen die Stimmen von CDU und FDP bei Enthaltung der Piratenfraktion angenommen ist.

Ich lasse drittens über den Entschließungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/10145 abstimmen. Wer ist für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? -Damit stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag der Piratenfraktion mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der Piratenfraktion und des fraktionslosen Kollegen Schwerd abgelehnt ist.

Ich schließe die Beratung zu Tagesordnungspunkt 4 und rufe auf:

5   Bekämpfung grenzüberschreitender Einbruchskriminalität verbessern

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10067

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Golland das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Gregor Golland (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nordrhein-Westfalen ist im ersten Halbjahr des Jahres 2015 erneut von einer heftigen Einbruchswelle überrollt worden. Allein von Januar bis Juni 2015 registrierte die Polizei NRW 33.500 Wohnungseinbrüche. Das sind rund 15 % mehr als im Vorjahreszeitraum. Durchschnittlich schlagen Einbrecher in Nordrhein-Westfalen sage und schreibe 186 pro Tag zu.

Aus einem Bericht des Landeskriminalamtes, den Innenminister Jäger auf Anfrage der CDU-Fraktion Ende September 2015 dem Innenausschuss vorgelegt hat, geht zudem hervor, dass in unserem Bundesland nur einer von 100 Einbrechern verurteilt wird.

(Theo Kruse [CDU]: Unglaublich!)

Diese desaströse Bilanz macht eins deutlich: Die rot-grüne Landesregierung hat auf dem Gebiet der Kriminalitätsbekämpfung komplett versagt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dabei wissen wir über die Beutezüge dieser Täter inzwischen relativ gut Bescheid. Auch der Landesregierung ist bekannt, woher die Einbrecher kommen. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion zur Europäisierung der Polizeiarbeit heißt es dazu in aller Offenheit – ich zitiere aus der Drucksache 16/8338, Seite 22 –:

„Als Täter grenzüberschreitender Einbruchskriminalität werden zunehmend überregional und arbeitsteilig vorgehende mobile Täter und Banden ermittelt. Diese Täter, häufig südosteuropäischer Herkunft, reisen aus dem benachbarten Ausland (Niederlande, Belgien und Frankreich) in die Bundesrepublik Deutschland und auch nach NRW ein, begehen hier Einbrüche oder auch andere Delikte der Eigentumskriminalität und reisen dann noch am selben Tag bzw. nach nur kurzer Zeit wieder aus.“

Um diesen international agierenden Intensivtätern das Handwerk legen zu können, ist eine enge polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn unabdingbar. Daran scheint es jedoch in der Praxis ganz gewaltig zu hapern.

Wie uns von der Kreispolizeibehörde Viersen schriftlich mitgeteilt wurde, gestaltet sich zum Beispiel die Zusammenarbeit mit der niederländischen Polizei überaus schwierig. Dies liegt in erster Linie daran, dass niederländische Polizeibehörden regelmäßig projektbezogen arbeiten und ihre Personalressourcen jeweils stringent nur innerhalb ihrer Projekte einsetzen.

Ganze Tatserien professioneller Einbrecherbanden entlang der deutsch-niederländischen Grenze können nicht aufgeklärt werden, weil entsprechende Hinweise oder Hilfeersuchen der Polizei NRW auf niederländischer Seite schlichtweg nicht weiter verfolgt werden, sofern diese Taten von den dortigen Polizeibehörden nicht projektiert sind.

Auch ein bilateraler Informationsaustausch auf Dienststellen- oder Sachbearbeiterebene findet nach Angaben der Kreispolizeibehörde Viersen derzeit nicht statt. Wir haben dazu in unserem Antrag mehrere konkrete Beispielfälle angeführt, die uns von der Polizei in Viersen zugetragen worden sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss kein Kriminalist sein, um zu erkennen, dass die Überführung international agierender Einbrecherbanden in Nordrhein-Westfalen unter diesen Rahmenbedingungen ganz erheblich leidet.

(Theo Kruse [CDU]: So ist es!)

Es darf nicht sein, dass die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalitätsformen in unserem Bundesland letztlich mehr oder weniger vom guten Willen der beteiligten Polizeibehörden unserer Nachbarländer abhängt. Hierzu bedarf es klarer Vorgaben und Verabredungen auf bilateraler Ebene.

Es ist daher die Aufgabe der rot-grünen Landesregierung, die guten Beziehungen Nordrhein-West-falens zu den Niederlanden zu nutzen, um gemeinsame Standards und Verfahren zu entwickeln. SPD und Grüne müssen endlich dafür sorgen, dass die Wohnungen der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land nicht länger von international agierenden Einbrecherbanden als Selbstbedienungsländen genutzt werden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich freue mich darauf, dieses wichtige Thema in den kommenden Wochen vertieft in den Fachausschüssen zu diskutieren, und bitte die anderen Fraktionen deshalb um Zustimmung zur Überweisungsempfehlung. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Golland. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Kossiski. Bitte sehr.

Andreas Kossiski (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! An die CDU-Fraktion und an Herrn Golland: Als ich vor einigen Tagen Ihren Antrag gelesen habe, sind mir spontan zwei Dinge eingefallen.

Erstens war das ein Déjà-vu-Erlebnis. Sie haben selber schon darauf hingewiesen, dass wir hier im Hause erst im April 2015 über Ihre Große Anfrage zur Europäisierung der Polizeiarbeit ausführlich debattiert haben, ganz zu schweigen von einer 87-seitigen ausführlichen Antwort auf Ihre 46 Fragen zur grenzüberschreitenden Polizeiarbeit.

Zweitens fiel mir ein Beispiel aus der Mengenlehre ein: Wenn in einem Raum ein Gegenstand ist, und zwei werden rausgetragen, muss einer wieder rein, damit keiner drin ist. – So ist das auch bei Ihrem Antrag: Nichts drin!

Beides, meine Damen und Herren von der CDU, hat miteinander zu tun. Sie holen mit Ihrem heutigen Antrag dasselbe Thema aus der Kiste, mit dem wir uns vor einem halben Jahr ausführlich beschäftigt haben, nur dass Sie eine andere Überschrift gewählt haben. Man könnte schon fast mit Herbert Grönemeyer sagen: Was soll das?

Jetzt zum Inhalt: Wenn man Ihren heutigen Antrag mit Ihrer Großen Anfrage vom 28.11.2014 – Drucksache 16/7452 – vergleicht, stellt man fest, dass Sie Ihre damalige Frage 4 zur grenzüberschreitenden Einbruchskriminalität jetzt für Ihre Überschrift ausgewählt haben – so als hätten Sie die damalige Antwort auf den Seiten 22 bis 24 der Drucksache 16/8338 und die Plenarrede von Innenminister Ralf Jäger nicht verstanden.

Aber es wird noch schlimmer: Mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich kurz Frau Kollegin Korte zitieren, die im April für die CDU zum Thema „grenzüberschreitende Polizeiarbeit“ Folgendes ausgeführt hat:

„Der Wegfall der Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen wird in den Medien bisweilen als Hauptursache steigender Kriminalitätsraten dargestellt und von EU-Gegnern gerne instrumentalisiert. Verschwiegen wird in diesem Zusammenhang leider, dass das Zusammenwachsen der EU-Mitgliedstaaten auch zu einer verstärkten Zusammenarbeit in den Bereichen Innere Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung geführt hat.“

Dann fügte Frau Korte für die CDU hinzu:

„Die Polizei operiert hier inzwischen durchaus erfolgreich. Beispielhaft erwähnt seien in diesem Zusammenhang die Einrichtung von sogenannten gemeinsamen Ermittlungsgruppen, die Durchführung gemeinsamer Polizeistreifen in den Grenzregionen oder internationale Fahndungsmaßnahmen.“

Zitat Ende. – Dieses berechtigte Lob zur grenzüberschreitenden Polizeiarbeit hörten wir hier am 30. April dieses Jahres. Jetzt kommen Sie mit Ihrem Antrag und führen zwei Einzelbeispiele einer einzigen Kreispolizeibehörde, der Kreispolizeibehörde Viersen, an, von denen eines aus dem Mai 2013 stammt und das noch nicht einmal mit Einbruchskriminalität zu tun hat. Meine Damen und Herren der CDU, das ist enttäuschend, um es freundlich zu formulieren.

(Beifall von der SPD)

Ich möchte noch kurz auf einen Gedanken Ihres Antrages eingehen, bei dem zu befürchten steht, dass Sie die Arbeit der von Ihnen angesprochenen Polizeilichen Euregio Rhein-Maas-Nord, kurz PER, noch nicht verstanden haben. Sie beklagen, dass die niederländischen Polizeibehörden – das hat Herr Golland gerade noch einmal ausgeführt – projektbezogen arbeiten und ihre Personalressourcen „jeweils stringent“ – Zitat – „nur innerhalb ihrer Projekte einsetzen würden“.

Herr Golland, das sind nicht „ihre“ Projekte, also solche der niederländischen Polizei, das sind Projekte der Euregio Rhein-Maas-Nord, an der alle betroffenen Polizeibehörden beteiligt sind, also auch unsere nordrhein-westfälischen.

Wenn Sie dann schreiben, einzelfallbezogene Anfragen könnten „lediglich“ – um dieses Wort geht es hier – über das Euregionale-Polizei-Informations- und Cooperations-Center (EPICC) gestellt werden, dann werten Sie EPICC in einer Weise herab, die durch nichts gerechtfertigt ist. EPICC funktioniert nach dem Prinzip der zusammengeschobenen Schreibtische. Hier erfolgt eine unmittelbare grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die in der Regel zu schnellen und effektiven Ergebnissen führt und von allen Beteiligten und Institutionen geschätzt wird. Dazu fällt Ihnen nur das Wort „lediglich“ ein.

Angesichts der eingangs erwähnten umfangreichen Antwort auf Ihre Große Anfrage, der Debatte hier im April und den bereits mehrfach und umfassend dargestellten repressiv und präventiv ausgerichteten Konzepten zur Bekämpfung grenzüberschreitender Einbruchskriminalität erscheint es mir müßig, diese hier nochmals im Detail darzustellen.

Unser Gesamtergebnis: Dem Vorschlag der Überweisung an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Europa und Eine Welt vermag ich für die SPD nur zuzustimmen, damit wir uns dort in Ruhe austauschen können. So wie Ihr Antrag allerdings jetzt formuliert ist, sollten Sie nicht mit einer Zustimmung der SPD rechnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag las, habe ich länger darüber nachgedacht und gegrübelt: Was will uns Gregor Golland nur sagen? Die Überschrift kommt erst mal so erwartungsfroh daher: „Bekämpfung grenzüberschreitender Einbruchskriminalität verbessern“ – Mensch, das kann ja vielleicht sogar mal ein sachdienlicher Beitrag zur Debatte werden.

(Theo Kruse [CDU]: War es auch!)

Dann liest man weiter und denkt: Wo kommt das denn jetzt mit der Einbruchskriminalität? Dann hat er offenbar mit der Kreispolizeibehörde Viersen einen Termin gehabt – immer gut, vor Ort mal mit den Kolleginnen und Kollegen zu sprechen; sehr gut, Herr Golland. In Viersen hat Herr Golland dann gehört: Da gab es 2013 ein nicht erfolgtes Rechtshilfeersuchen in der Polizeilichen Euregio Rhein-Maas-Nord. Da ging es um einen gestohlenen Lkw-Anhänger inklusive Ladung aus Willich, der dann in Eindhoven aufgefunden wurde. Da wurde kein Rechtshilfeersuchen gestellt. Okay, 2013 – hört sich nicht gut an.

Dann denke ich: Was kommt denn jetzt? Dann kommt noch ein zweiter Fall, Juli 2015, immerhin ein bisschen aktueller: Homejacking-Fall, gestohlener Autoschlüssel, mit dem ein Auto entwendet wurde. Dort wurde beim Auffundort in Tegelen – ich weiß nicht, ob das so ausgesprochen wird – keine Spurensicherung durchgeführt. Nicht gut, sollte so nicht laufen.

Aber dann kommt Herr Golland mit seinem Fazit. Anhand dieser beiden Beispiele zieht er das Fazit – das möchte er so festgehalten wissen –: Das läuft da alles ganz schlecht. Die ganze Zusammenarbeit gestaltet sich schwierig, das funktioniert alles nicht.

(Minister Ralf Jäger: Alles furchtbar!)

So. Und was möchte er nach vorne? Er möchte einen Bericht dazu haben, wie das denn so läuft, im Innenausschuss. Herr Golland, wenn Sie einen Bericht dazu haben wollen: Sie haben die Große Anfrage gestellt. Trotzdem dürfen Sie doch sofort einen Bericht zu diesen beiden einzelnen Fällen, zu dieser aktuellen Lage im Innenausschuss anfordern. Dazu brauchen wir doch diesen Antrag nicht.

(Zuruf von Gregor Golland [CDU])

Irgendwie habe ich gedacht: Wann kommt denn da jetzt mal der Vorschlag, wie es besser sein soll? Und wann kommt denn mal die Einbruchskriminalität? – Irgendwie ist das alles in sich nicht schlüssig. Ich kann für uns nur feststellen: Ja, grenzüberschreitende Kriminalität, insbesondere organisierte Kriminalität, und Wohnungseinbruchskriminalität erfordern die Zusammenarbeit.

Es gibt seit vielen Jahren diese Strukturen: Euregio Maas-Rhein, Euregio Rhein-Maas-Nord etc. Wenn wir da etwas verbessern können, dann sind wir auch mit dabei, in jedem Fall, selbstverständlich. Strukturen kann man immer verbessern. Das ist richtig.

Aber ich glaube, für eine sachliche Debatte im Innenausschuss, wo wir uns in Ruhe und sachlich darüber unterhalten, was wir haben und wo wir vielleicht etwas optimieren können, braucht es diesen Antrag nicht, Herr Golland, schon gar nicht mit Überschriften, die nichts mit dem Inhalt zu tun haben. Mehr als heiße Luft ist da nicht drin. Aber wir reden trotzdem gerne mit Ihnen darüber, immer wieder. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Düker. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Lürbke das Wort.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Düker, in dem Antrag der CDU ist nicht nur heiße Luft. Denn die CDU hat mit ihrer grundsätzlichen Forderung recht, die Zusammenarbeit der grenznahen Kreispolizeibehörden in Nordrhein-Westfalen besser zu gestalten. Ohne Frage ist diese Zusammenarbeit wichtig. Wenn es da Defizite gibt, gehören die umgehend abgestellt. Insofern ist es ein richtiger Antrag.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Nehmen wir als Beispiel die aktuellen Fälle der Bankautomatensprengungen, bei denen offenbar mehrere Banden aus den Niederlanden nach Nordrhein-Westfalen hinein operieren! Hierbei ist eine gute Zusammenarbeit zwingend notwendig.

Aber nur auf die Niederländer zu zeigen und zu sagen: „Macht doch bitte mal richtig mit!“ oder den Innenminister aufzufordern, mal richtig mit denen zu schimpfen und auf eine bessere Zusammenarbeit zu drängen, ist vielleicht auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss und wird der Forderung nach guter Zusammenarbeit am Ende nicht ganz gerecht.

Eigentlich reicht schon ein Blick vor die eigene Haustür in Nordrhein?Westfalen. Wenn ich mich mit dem einen oder anderen Beamten aus verschiedenen Kreispolizeibehörden in Nordrhein-Westfalen unterhalte, wird auch hier oft beklagt, dass bereits die behördenübergreifende Zusammenarbeit der Kreispolizeibehörden mit den direkt benachbarten Kreispolizeibehörden in Nordrhein-Westfalen auch nicht immer so toll läuft. Auch da sollten wir mal nachhaken und im Innenausschuss näher beleuchten, warum das nicht so richtig zusammenpasst.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über grenzüberschreitende Einbruchskriminalität in Nordrhein-Westfalen sprechen, wenn wir über reisende Täter sprechen, muss man natürlich auch die fatale Bilanz des Innenministers ansprechen. Seit Ihrem Amtsantritt 2010 haben die Wohnungseinbrüche um 50 % zugenommen. Kollege Golland hat die schlechten Aufklärungsquoten angesprochen: Nur ein Wohnungseinbrecher von 100 geht in Nordrhein-Westfalen für seine Taten in den Knast. Das ist nicht abschreckend, kein Entdeckungsrisiko. Noch viel schlimmer: Die Täter haben sogar genug Zeit und Ruhe, sich ihren kriminellen Machenschaften in Nordrhein-Westfalen zu widmen.

Unsere engagierte Polizei hat das Nachsehen, da sie angesichts der Aufgabenlast und der Personalengpässe kaum Kräfte für Präsenzkontrollen und Ermittlungen hat. Die Polizeigewerkschaften warnen schon lange. Tagesaktuell weist die Gewerkschaft der Polizei in einer Pressemitteilung darauf hin, dass die Ermittler in den Behörden schlicht matt gesetzt sind. Dort heißt es: Ein Ermittler in einem Einbruchsdezernat bekommt jeden Monat zwischen 80 und 100 neue Fälle auf den Schreibtisch.

Also: Verwalten statt fahnden, so ist die Realität in Nordrhein-Westfalen. Das kann man auf einen Nenner bringen: Wer nicht ausreichend fahndet, wird nichts finden, und das gelingt dann ganz sicher auch nicht grenzüberschreitend. An diese Aufgabenstellung müssen wir heran, Herr Minister.

(Zuruf von Minister Ralf Jäger [SPD])

Ich gebe Ihnen nur mal ein Beispiel: Einbrecherjagd auf Autobahnen. Es war auch eine Forderung Ihrer Experten des Konzepts MOTIV, dass es mehr Schwerpunkteinsätze, mehr Aktionstage geben sollte in den einzelnen 47 Kreispolizeibehörden, unter Einbeziehung der Bereitschaftspolizei, benachbarter Kreispolizeibehörden, der Bundespolizei usw.

Ich habe im Innenausschuss mal nachgefragt. Siehe da – oh Wunder –, die Zahlen, die Sie uns vorlegen, zeigen, dass zum Beispiel in der Einbruchshochburg Köln in einem halben Jahr ein einziger Schwerpunkteinsatz durchgeführt wurde und in vielen anderen Behörden erst gar kein solcher Schwerpunkteinsatz stattgefunden hat.

Das ist ja keine Raketenwissenschaft. Wer die Zufahrts- und Abfahrtswege, sprich: Autobahnen und Schnellstraßen, auch im grenzüberschreitenden Verkehr kaum kontrolliert, überlässt den Tätern eine Tatinfrastruktur. Wir brauchen doch in Nordrhein-Westfalen Einheiten, die jeden Tag präsent sind und sich der Kriminalität entgegenstellen.

(Beifall von der FDP und Theo Kruse [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Antrag der CDU – Kollege Golland, Sie benennen im Antrag einige Einzelfälle – sollten wir uns noch mal allgemein nähern. Ich glaube, das Ministerium muss jetzt darlegen, inwieweit in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Defizite bestehen, und alles dafür tun, um diese Defizite umgehend auszuräumen. Das sollten wir im Ausschuss näher besprechen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Schatz.

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir besprechen einen Antrag der CDU zur Einbruchskriminalität – schon wieder. Das Erste, was mir aufgefallen ist, als ich diesen Antrag gelesen habe, war die starke und sehr einseitige Kritik an den niederländischen Behörden. Ich möchte zwei Dinge unter vielen herausheben, die für mich komisch klangen.

In Ihrem Antrag steht – ich zitiere –:

„Die Erfolgschancen der nordrhein-westfälischen Polizei bei der Bekämpfung international agierender Einbrecherbanden dürften unter den beschriebenen Vorgehensweisen der niederländischen Polizei … ganz erheblich leiden.“

Weiterhin heißt es unter Punkt II.3:

„Der Landtag stellt fest:

Gleichzeitig nimmt der Landtag mit Bedauern zur Kenntnis, dass sich die Zusammenarbeit mit den niederländischen Polizeibehörden … schwierig gestaltet, weil diese …“

Es ist natürlich gut, wenn der Landtag hier beschließt, wie schlecht die Arbeit der niederländischen Behörden ist. Ich bin mir sicher, das wird die Zusammenarbeit in Zukunft noch weiter verbessern; das ist mit Sicherheit so.

(Beifall von den PIRATEN und Sigrid Beer [GRÜNE])

Wenn Sie Anträge zur Einbruchskriminalität raushauen – das passiert inzwischen am laufenden Band –, frage ich mich: Denken Sie ab und zu auch mal nach, bevor Sie einen Antrag stellen,

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Nein, tun sie nicht!)

oder ist das inzwischen so eine Art Automatismus?

Ich bestreite nicht, dass es Probleme gibt. Probleme gibt es mit Sicherheit überall. Die Zusammenarbeit kann und muss verbessert werden. Das ist auch sicher in allen Bereichen so.

Aber dieser Antrag kann doch nicht so beschlossen werden. Damit stoßen Sie doch die Niederländer vor den Kopf; das ist schon unfassbar. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, aber wenn irgendwo Probleme zwischen zwei Parteien bestehen, zeigt doch die Erfahrung, dass die Probleme in aller Regel auf beiden Seiten zu suchen sind. Sie können doch nicht behaupten, die Niederländer seien einseitig schuld. Das ist doch unfassbar.

Außerdem darf in Ihren Anträgen auf keinen Fall das Stereotyp des bösen Osteuropäers fehlen. Das ist inzwischen auch alt; darauf brauche ich nicht mehr einzugehen. Ich sage nur: In diesem Land wird bereits genug gehetzt. Das muss nicht auch noch in Ihren Anträgen der Fall sein.

Ich möchte klarstellen, dass dem Grunde nach Ihrem Ansinnen, international agierende Straftäter und deren Straftaten besser zu bekämpfen, nichts entgegenzustellen ist. Daran ist nichts Verwerfliches. Dieses Ansinnen wird natürlich auch von uns geteilt. Aber doch nicht so, wie es in Ihrem Antrag steht! Sie schaffen es mal wieder, ein wichtiges Thema auf die rein populistische Ebene zu reduzieren.

Das zeigt sich meines Erachtens auch dadurch, dass der Antrag insgesamt doch eher mau ist. Ich meine, das Ziel, das Sie mit den Punkten 1, 2 und 4 unter III erreichen möchten – das hat Frau Düker auch schon erwähnt –, können Sie auch ohne Problem erreichen, wenn Sie entsprechende Anfragen stellen oder im Innenausschuss Berichte anfordern.

Es stellt sich auch die Frage, warum Sie sich bei diesem Antrag einmal wieder ausschließlich auf die Einbruchskriminalität beschränken. Auch das zeigt doch, dass es Ihnen wieder mehr darum geht, sich als starker Mann im Kampf gegen die osteuropäischen Einbrecherbanden hinzustellen, als um die Sache. Was ist denn mit den anderen Delikten, die in Ihrer Großen Anfrage thematisiert wurden? Was ist beispielsweise mit dem Menschenhandel? Nicht ein Wort dazu finden wir in Ihrem Antrag, obwohl das Thema sicherlich nicht weniger wichtig ist; davon bin ich überzeugt.

Insgesamt möchte ich für meine Fraktion festhalten: Das Thema ist wichtig. Aber eine Lösung bietet dieser Antrag nicht einmal im Ansatz. Meiner Meinung nach gehört dieser Antrag nicht im Plenum behandelt, sondern vielmehr im Innenausschuss. Dort kommt er jetzt auch hin, denn einer Überweisung werden wir uns natürlich nicht in den Weg stellen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Abgeordneter Lürbke, Sie jonglieren zwar mit den Zahlen, aber ich halte Ihnen zugute, dass Sie, anders als Herr Golland, wenigstens versuchen, die Zahlen präzise anzugeben. Herr Golland behauptet, nur einer von 100 kommt in Haft. Da lässt man die Bewährungsstrafen außen vor; das ist so der Unterton.

(Beifall von der SPD – Marc Lürbke [FDP]: Da muss man wirklich nicht applaudieren!)

Als ich diesen Antrag heute Morgen gelesen habe, ist mir nur eines dazu eingefallen: nackte Verzweiflung. Herr Golland, Sie picken sich einen Landrat heraus, der Ihrem Parteikollegen Optendrenk etwas geschildert hat, also Hörensagen, der von Schwierigkeiten berichtet. Dann picken Sie sich ein Fallbeispiel von insgesamt 4 Millionen Einsätzen heraus, die die nordrhein-westfälische Polizei pro Jahr zu leisten hat, an dem Sie belegen wollen, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den Niederländern und den Belgiern überhaupt nicht funktioniert.

Herr Golland, bei allem Verständnis, dass der eine oder andere – der eine mehr, der andere weniger – nicht unbedingt Sachpolitik, sondern Parteipolitik betreibt – dafür kann man Verständnis haben –: Dieser Antrag ist völlig sinnlos.

Denn es geht erstens deutlich über die Kompetenzen des nordrhein-westfälischen Landtags hinaus, Rechtssystem und Arbeitsweisen ausländischer Sicherheitsbehörden zu kritisieren oder gar zu verändern. Außerdem ist das auch überhaupt nicht nötig. Denn die Zusammenarbeit mit den Belgiern und Niederländern funktioniert abgesehen von normalen Fehlerquoten – da, wo Menschen zusammenarbeiten, passieren immer Fehler – außerordentlich gut, und dies gilt auch bei der Bekämpfung des Wohnungseinbruchs und insbesondere bei der Frage, wie wir mobilen Intensivtätern auf die Spur kommen.

Herr Golland, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mir einen dicken Stapel von Beispielen mitgegeben, die aufzeigen, wie gut die Zusammenarbeit funktioniert. Herr Präsident, ich glaube, ich werde, obwohl ich die fünf Minuten Redezeit vollständig ausschöpfen werde, trotzdem nicht fertig werden. Daher kündige ich jetzt schon an, dass ich die Beispiele, die ich gleich wegen der Begrenzung meiner Redezeit nicht vortragen kann, dann im Ausschuss vortragen werden.

Beispiel 1: EPICC. Herr Golland, EPICC ist ein herausragendes Beispiel für die schnelle und effektive Unterstützung grenzüberschreitender Zusammenarbeit. EPICC ist das Euregionale-Polizei-Infor-mations- und Cooperations-Center. Die Zusammenarbeit läuft bereits seit 2005 mit den Kolleginnen und Kollegen der Kriminalpolizei in Belgien, den Niederlanden und der Bundespolizei. Übrigens, Herr Golland, arbeiten alle 30 Beamtinnen und Beamte unter einem Dach. Und dieser schnelle Informationsaustausch klappt auch deshalb gut, weil man sich persönlich gegenübersitzt.

Außerdem ist EPICC nicht nur bei der Steuerung und Konzeptionierung hilfreich, sondern auch beim operativen Geschäft. Niederländische und deutsche Polizeibeamtinnen und -beamte können aus EPICC schnell Hilfe und Informationen über Vorgänge in den Grenzbehörden beziehen.

Selbst juristische Rechtshilfe kann in Einzelfällen unkompliziert durch EPICC eingeleitet werden; denn dort existiert eine Anbindung an das Internationale Rechtshilfezentrum Limburg in den Niederlanden, Herr Golland.

Beispiel 2: „EG Nova“. Herr Golland, wie gesagt, es gibt auch ganz konkrete Ermittlungserfolge aufgrund eines hervorragenden Netzwerkes mit unseren europäischen Nachbarinnen und Nachbarn insbesondere in den Beneluxstaaten.

Ein Beispiel dafür ist die Zerschlagung einer kriminellen Großfamilie. Diese Bande organisierte Täter und rekrutierte insbesondere Jugendliche, damit diese Einbrüche verübten, übrigens aus Holland kommend und überwiegend im Ruhrgebiet, in Ostwestfalen und in Norddeutschland. Für den Ermittlungserfolg waren letztendlich die gute internationale Zusammenarbeit und der intensive polizeiliche Nachrichtenaustausch ausschlaggebend, alles beruhend auf unserem nordrhein-westfälischen MOTIV-Konzept.

Das Ergebnis fällt eindeutig aus: Nach monatelangen intensiven Ermittlungen der niederländischen und der deutschen bzw. nordrhein-westfälischen Behörden, Herr Golland, konnten elf Täter festgenommen werden, darunter die Familienoberhäupter. Schmuck und Bargeld aus gleich mehreren Einbruchsserien wurden beschlagnahmt. Insgesamt konnten die Beamten 30 Wohnungseinbrüche insbesondere in Einfamilienhäuser mit einer Beute, Herr Golland, von insgesamt 360.000 € nachweisen. Die Haupttäter wurden wegen schweren Bandendiebstahls in 13 Fällen zu fünf Jahren und fünf Monaten bzw. zu zwei Jahren und sechs Jahren und zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Beispiel 3: Schwerpunktkontrollen 2014. Im Rahmen gemeinsamer Schwerpunktkontrollen unter Beteiligung der niederländischen Polizei wurden im letzten Jahr auf einem Rastplatz an der A30 zwei Männer in einem Auto kontrolliert. Es waren polnische Staatsbürger, die sich auf der Durchreise in die Niederlande befanden. Die schnelle Überprüfung im Fahndungssystem der niederländischen Polizei durch nordrhein-westfälische Polizeibeamte ergab, dass zu beiden Erkenntnisse wegen Taschendiebstahls vorlagen. Einer der beiden wurde per Haftbefehl in den Niederlanden gesucht. Direkt hinter der Grenze wurden die Personen von niederländischen Polizeibeamten, mit denen kooperiert wurde, festgenommen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

– Ist meine Redezeit zu Ende?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Und wie, Herr Minister. Sie hatten ja freundlicherweise angeboten, im Ausschuss …

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Dann ist das eingetreten, Herr Präsident, was ich bereits vorhersagte: Die Beispiele 4 bis 119, Herr Golland, trage ich dann im Innenausschuss vor.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sehr gern.

(Heiterkeit)

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Gregor Golland [CDU]: Warum gehen die Fallzahlen dann nicht zurück?)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Beratung.

Wir kommen jetzt zur Überweisung des Antrags. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/10067 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Europa und Eine Welt; die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für die Überweisung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 5 und rufe auf:

6   Opfern von Straftaten den Gang in den Zeugenstand erleichtern: Psychosoziale Prozessbegleitung stärken!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10064

Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Kamieth das Wort. Bitte schön.

Jens Kamieth (CDU): Schönen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die psychosoziale Prozessbegleitung ist eine besondere Form der Zeugenbegleitung. Sie richtet sich an besonders schutzwürdige Verletzte und deren Angehörige in einem Strafverfahren. Das gilt zum Beispiel für Kinder und Jugendliche, behinderte Menschen sowie Opfer von Sexualstraftaten, Gewaltdelikten und Menschenhandel. Ziel der psychosozialen Prozessbegleitung ist es, diese besonders schutzwürdigen Verbrechensopfer vor, während und nach der Hauptverhandlung durch psychosoziale Fachkräfte zu unterstützen.

Warum ist das wichtig? – Wir wollen den Opfern den Gang in den Zeugenstand erleichtern, damit der Täter seine gerechte Strafe erhält. Durch die Vermittlung von Bewältigungsstrategien sollen die Belastungen und Ängste im Zusammenhang mit dem anstehenden Strafverfahren reduziert werden. Insbesondere soll vermieden werden, dass sie sich aufgrund der besonders belastenden Situation im Strafprozess ein zweites Mal als Opfer fühlen.

Bisherige Erfahrungen zeigen, dass diese intensive Form der Zeugenbegleitung die Aussagebereitschaft von Zeuginnen und Zeugen in den Hauptverhandlungen ganz wesentlich verbessert. Seit dem Jahr 2009 wird die psychosoziale Prozessbegleitung in der Strafprozessordnung als eine besondere Form der Zeugenunterstützung erwähnt. Sie wurde bislang jedoch weder in der Strafprozessordnung noch anderswo gesetzlich definiert, geschweige denn konzeptionell unterfüttert.

Ich bin deshalb überaus froh, dass die CDU-geführte Bundesregierung die Bedeutung des Themas erkannt hat. Sie hat nämlich den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren vorgelegt. Im Rahmen dieses Gesetzentwurfes soll die psychosoziale Prozessbegleitung künftig auch im deutschen Verfahrensrecht verankert werden. Die geplanten Vorschriften hierzu knüpfen an die Regelungen zum Verletztenbeistand an. Nach derzeitigem Stand ist davon auszugehen, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 1. Januar 2017 in Kraft treten wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die psychosoziale Prozessbegleitung nunmehr auf Bundesebene gesetzlich geregelt werden soll, bedeutet natürlich nicht, dass sich die Bundesländer bei diesem Thema ab sofort zum Nichtstun zurückziehen sollen. Im Gegenteil: Das Land Baden-Württemberg wird die Zeit bis zum Inkrafttreten der Regelung beispielsweise dazu nutzen, ein zweijähriges Modellprojekt zur psychosozialen Prozessbegleitung durchzuführen.

Das ist aus Sicht meiner Fraktion sinnvoll, weil ein solches Modellprojekt nicht nur wesentliche Hinweise auf die spätere flächendeckende Bereitstellung des Angebotes einer psychosozialen Prozessbegleitung, sondern insbesondere auch wertvolle Impulse für die weitere konzeptionelle Feinjustierung liefern wird, die nach Inkrafttreten der bundesgesetzlichen Regelung Anfang 2017 ohnehin auf uns zukommen wird.

Und was tut sich bei uns in Nordrhein-Westfalen? – Herr Justizminister Kutschaty hat sich in der „NRZ“, Ausgabe von gestern, mit dem abgedroschenen Vorschlag zu Wort gemeldet, dass endlich spezielle Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden müssten.

Davon abgesehen, dass Grundgesetzänderungen nicht in den Zuständigkeitsbereich der nordrhein-westfälischen Landespolitik fallen,

(Ingrid Hack [SPD]: Die kann man aber initiieren, Herr Kamieth!)

hat der Minister offenbar übersehen, dass Kinder genauso wie dicke, dünne und alte Menschen ohnehin Träger von Grundrechten sind; sie sind somit in Deutschland gerade nicht rechtlos. Zudem ist fraglich, ob die symbolische Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz verhindern wird, dass Kinder Opfer von Straftaten werden. Anstatt über bundespolitische Themen zu sinnieren, sollte Minister Kutschaty sich lieber konkret auf das konzentrieren, was man hier in Nordrhein-Westfalen tun kann, um Kinder und besonders schutzwürdige Verbrechensopfer besser zu schützen.

Die Etablierung eines Modellprojektes zur psychosozialen Prozessbegleitung im Sinne des vorliegenden CDU-Antrages bietet dazu eine gute Gelegenheit. Ich appelliere daher an die rot-grüne Landesregierung und die übrigen Fraktionen in diesem Hohen Hause, den CDU-Antrag zu unterstützen, dieses wichtige Thema sorgfältig aufzuarbeiten und letztendlich zunächst einmal der Überweisung in den Fachausschuss zuzustimmen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Ganzke das Wort.

Hartmut Ganzke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher hier auf der Tribüne! Herr Kollege Kamieth, man fragt sich immer, wer seitens der antragstellenden Fraktion die Anträge nach vorne bringt. Zweitens fragt man sich immer, wie derjenige seinen Antrag begründet. Sie haben gerade zwei Punkte Ihres Antrags hervorgehoben, auf die ich nun konkret eingehen möchte.

Ich denke, Herr Kollege Kamieth, wir sprechen hier über das Dritte Opferrechtsreformgesetz, das zurzeit natürlich insbesondere auf Bundesebene, im Bundestag, diskutiert wird. Darüber sprechen wir hier, und Sie haben sich einen Punkt aus diesem Gesetz herausgepickt.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: So ist es! Genau, einen Punkt!)

Sie wissen genauso gut wie wir, dass am 17. Juni dieses Jahres im zuständigen Rechtsausschuss des Bundestages eine entsprechende Anhörung stattgefunden hat.

Meine erste Anmerkung zu Ihnen: Ich finde es ganz gut, dass ein SPD-geführtes Justizministerium mit Heiko Maas als Justizminister dieses Opferrechtsreformgesetz nach vorne gebracht hat, natürlich unter einer Bundesregierung, deren Vorsitz Bundeskanzlerin Angela Merkel innehat. Es zeigt sich dann aber auch, dass Heiko Maas derjenige war, der dieses Gesetz mit seinem Ministerium erarbeitet hat.

Worum geht es denn hier? Es geht hier – Kollege Kamieth, das haben Sie gesagt – um die psychosoziale Prozessbegleitung. Das ist eine besonders intensive Form der Begleitung während, vor und auch nach einer Hauptverhandlung. Wir als in der Justiz Tätige wissen, dass es hier zwei Prinzipien des Strafrechtes gibt, nämlich auf der einen Seite die prozessuale Opfervermutung. Aber ganz wichtig ist auch die zweite Komponente, und zwar die Unschuldsvermutung des Angeklagten.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: So ist es!)

Es ist sehr wichtig, dass wir gerade in dieser Diskussion diese beiden Grundprinzipien unseres Strafrechtes auch gemeinsam sehen und diskutieren.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: So ist es!)

Noch einmal zurück zu der Anhörung am 17. Juni dieses Jahres! Auch im Bundestag werten alle Fraktionen gerade diese Anhörung aus, genauso wie wir es im Landtag Nordrhein-Westfalen machen. Ich habe mir auch ein paar Stellungnahmen aus der Anhörung zu Gemüte geführt. Für mich waren in diesen Stellungnahmen zwei Sachen ganz wichtig.

Zunächst war ganz wichtig, dass gesagt wurde, dass die Länder ausreichend Zeit haben sollen, sich auf eine sorgfältige Umsetzung dieser neuesten psychosozialen Prozessbegleitung einstellen zu können.

Das Zweite: Es wurde von allen Sachverständigen gesagt, dass die Inhalte und die Grundsätze dieser psychosozialen Prozessbegleitung bundesweit so einheitlich wie möglich geregelt werden sollen.

Sie haben es angesprochen: In Baden-Württemberg gibt es seit 2014 ein Pilotprojekt. In Rheinland-Pfalz gibt es seit September dieses Jahres an der Hochschule in Koblenz jetzt eine wissenschaftliche Weiterbildung in dem Bereich. Das ist bis zum September 2016 ausgelegt.

Wir in Nordrhein-Westfalen tun etwas sehr Gutes. Zunächst einmal beobachtet unsere Landesregierung, wie das Gesetz im Bundestag aussieht, und diskutiert dann im Bundesrat darüber, wie möglicherweise die Länderinteressen eingebracht werden.

Herr Kollege Kamieth, wenn wir im Jahr 2016 noch so ein Modellprojekt auf die Schiene geben sollten, hätten wir gar nicht die Zeit für eine vernünftige Evaluation;

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: So ist es!)

denn wir wollen ja auch am 01.01.2017 mit dem Gesetz starten.

(Zuruf von Dietmar Schulz [PIRATEN])

Das zeigt, dass wir nicht wieder ein eigenes Pilotprojekt nach vorne bringen wollen, sondern sehen wollen, was im Lande passiert.

Eines, Herr Kollege Kamieth, aber noch am Rande: Sie haben versucht, das Handeln des Justizministers in Nordrhein-Westfalen gerade im Bereich der Kinderrechte zu vergleichen und nehmen das, was Ihnen passt. Es kann doch nicht sein, dass Sie versuchen, die wirklich wichtige Implementierung von Kinderrechten gerade mit Dicken wie mir oder mit Dünnen wie Ihnen zu vergleichen. Das war wohl etwas neben der Sache.

Wir werden der Überweisung natürlich zustimmen. Wir freuen uns auf die Diskussion. Aber tendenziell stehen wir Ihrem Antrag sehr, sehr kritisch gegenüber. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ganzke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Hanses.

Dagmar Hanses (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pflicht zur Aussage vor Gericht ist eine weitreichende Pflicht. Das beschreiben Sie in Ihrem Antrag richtig. Sie ist eine weitreichende Pflicht für Bürgerinnen und Bürger.

Für uns ist der Opferschutz eine weitreichende Pflicht der Justiz gegenüber Bürgerinnen und Bürgern. Deshalb hat die Landesregierung bereits 2012 einen sehr umfangreichen Opferschutzbericht erstellt. Die Lektüre empfehle ich dringend und nachhaltig. Denn dort finden Sie einen konsequenten Ansatz über alle unterschiedlichen Bereiche, vom Opferschutzbeauftragten bei der Polizei bis hin zum opferorientierten Strafvollzug.

Wir begrüßen es, was die Umsetzung der EU-Richtlinie für die psychosoziale Prozessbegleitung von Opfern beschreibt und was uns nun im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt. Es ist mal wieder eine putzige Idee der CDU, dass die CDU-Fraktion hier aus dem Landtag heraus unsere Hilfe braucht, um die Bundesregierung zu treiben. Mal schauen!

Doch was Sie in Ihrem Antrag tatsächlich an Maßnahmen beschreiben oder was Sie am Ende in Ihrem Beschlussteil schreiben, ist entweder völlig klar und muss überhaupt nicht noch einmal definiert werden oder ist bereits auf dem Weg.

Die einzige Forderung, der wir widersprechen können, ist die nach dem Modellprojekt. Das ist völliger Unfug. Kollege Ganzke hat es schon beschrieben: Wenn wir jetzt ein Modellprojekt auf den Weg bringen, wäre es zeitlich überhaupt nicht mehr möglich, es bis zum 01.01.2017 auszuwerten, zu evaluieren und daraus Rückschlüsse zu ziehen für ein bereits laufendes Gesetzgebungsverfahren im Bund. Selbstverständlich hat sich Nordrhein-Westfalen im Bundesrat schon eingebracht und wird sich auch weiterhin einbringen. Ihr Antrag ist also völlig überflüssig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Bei dem Verfahren im Bundestag ist aber auch schon deutlich geworden, dass Fachverbände wie der WEISSE RING darauf hingewiesen haben, dass ihnen eine bundeseinheitliche Regelung besonders wichtig ist, auch bei der Vergütung von Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleitern. Neben der Vergütung ist es auch für Opfer wichtig, dass sich Opfer unabhängig von ihrem Wohnort auf Hilfe und Unterstützung der Justiz in Strafverfahren verlassen können.

Herr Kollege Kamieth, das, was Sie zu Kinderrechten gesagt haben, war nun komplett daneben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Selbstverständlich ist es uns ein Anliegen, dass Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden. In der Tat scheitert es mal wieder an der CDU. Wir fordern das seit vielen, vielen Jahren. Wir haben Kinderrechte in der nordrhein-westfälischen Verfassung verankert. Es ist gut, dass sie da verankert sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich hoffe, dass Sie sich weiterhin dazu bekennen.

Wir würden gerne mit Ihnen darüber sprechen, wie wir Kinderrechte im Grundgesetz einsetzen und in der Landesverfassung ausbauen, und nicht, wie Sie es hier ins Lächerliche treiben mit unmöglichen Beispielen, die überhaupt nichts zur Sache beitragen. Es hat lange genug gedauert, bis die Bundesrepublik Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert hat. Wir wollen eigentlich ein klares Bekenntnis der CDU für Kinder- und Jugendrechte.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Also: Ihr Antrag ist überflüssig. Trotzdem beraten wir ihn gerne mit Ihnen im Ausschuss. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hanses. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem derzeit im Bundestag beratenen Gesetzentwurf zum Dritten Opferrechtsreformgesetz soll die psychosoziale Prozessbegleitung in der Strafprozessordnung verankert werden. Minderjährige Opfer schwerer Sexual- oder Gewalttaten sollen einen Rechtsanspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung erhalten. Bei besonderer Schutzbedürftigkeit des Verletzten soll eine solche ebenso vorgesehen werden können.

Opfer einer entsprechenden Straftat zu werden, ist für die Betroffenen oft schwer zu verarbeiten. Gerade das Strafverfahren stellt für viele Opfer eine unbekannte und angsteinflößende Größe dar, beginnend mit der polizeilichen Vernehmung mit detaillierten, teilweise unangenehmen Fragen bis zur Hauptverhandlung. Bei bestimmten Taten sind rechtsmedizinische Beweissicherungen am eigenen Körper vonnöten.

Im Gericht vor fremden Menschen als Zeuge den Tathergang noch einmal schildern zu müssen, ist für viele eine große Überwindung. Die Konfrontation mit dem Täter ist für viele belastend. Gegebenenfalls von Prozessbeteiligten – beispielsweise dem Verteidiger – den Tathergang in Zweifel gezogen zu bekommen, ist besonders schmerzhaft.

Aufgabe der Rechtspolitik ist sicherzustellen, dass Opfer während dieser schweren Zeit nicht allein gelassen werden, sondern den auch verfassungsrechtlich geforderten notwendigen Beistand erhalten. Familie, Freunde, Partner stehen hoffentlich an ihrer Seite. Aber oft geht es nicht ohne professionelle Hilfe.

Um gesetzlich verankerte Schutzmaßnahmen – ich nenne hier nur beispielhaft die Stichworte „Nebenklage“ und „Opferentschädigungsgesetz“ – für Opferzeugen auch wirksam werden zu lassen, bedarf es in vielen Fällen eines anwaltlichen Beistandes, den die Opfer in aller Regel selbst bezahlen müssen. Viele sind aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse dazu nicht in der Lage. Opferschutzvereine wie der WEISSE RING leisten hierbei wichtige finanzielle wie auch immateriellen Hilfen.

Meine Damen und Herren, durch den Antrag wird mit der psychosozialen Prozessbegleitung ein einzelner wichtiger Aspekt des Opferschutzes fokussiert. Im Juni hatten wir im Rechtsausschuss als FDP-Fraktion den Umsetzungsbedarf der Opferschutzrichtlinie thematisiert. Auch gesetzgeberische Maßnahmen in NRW zur Umsetzung der psychosozialen Prozessbegleitung, etwa zur Vergütung und Zertifizierung kamen dabei zur Sprache.

Bevor ich darauf zurückkomme, will ich für die FDP auf einen Aspekt des Opferschutzes eingehen, bei dem in Nordrhein-Westfalen ein besonderer Handlungsbedarf besteht. Je länger ein Prozess von der Tat entfernt liegt, desto belastender ist es für die Opfer, da sie nicht mit der Tat abschließen können. Die Erinnerung für die Zeugenaussage verblasst. Oft stellt sich, wenn der Täter auch nach längerer Zeit immer noch nicht belangt wurde, beim Opfer ein Gefühl ein, dass dem Staat die Ahndung der Tat nicht so wichtig ist.

Insbesondere bei Nichthaftsachen wegen schwerer Straftaten vor den Strafkammern der Landgerichte dauert es in Nordrhein-Westfalen aber nicht selten mehrere Jahre, bis endlich eine Hauptverhandlung stattfindet, wobei mitunter dann wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung der Täter auch noch einen ordentlichen Strafbonus oder deswegen nur eine Bewährungsstrafe erhält.

Dem Beschleunigungsgrundsatz kommt aber in allen Strafverfahren eine besondere Bedeutung zu: nicht nur um rechtsstaatlichen Ansprüchen zu genügen und rechtspolitischen Zielsetzungen Geltung zu verschaffen, sondern gerade zugleich im Hinblick auf den Opferschutz.

Mit dem Antrag fordert die CDU nunmehr ein Modellprojekt zur psychosozialen Prozessbegleitung nach dem Vorbild Baden-Württembergs. Wir als FDP fragen uns: Warum nur ein Modellprojekt, wenn wir bereits eine flächendeckende Implementierung angehen können und müssen?

Der Gesetzentwurf auf Bundesebene führt aus, dass längst Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und auch Österreich vorliegen, die bereits psychosoziale Prozessbegleitung praktizieren. Angesichts des vom Bundesrat mit den Stimmen von NRW festgestellten erheblichen Umsetzungsbedarfs in den meisten Ländern, zu denen auch Nordrhein-Westfalen gehört, erscheint die Zeit für die landesweite Umsetzung zum 1. Januar 2017 eher knapp.

Mit dem Schneckentempo, das Minister Kutschaty

(Hartmut Ganzke [SPD]: Na, na! – Widerspruch von Dagmar Hanses [GRÜNE])

seiner Ankündigung vom 25. April 2012 zur Ausweitung der Zeugenbetreuung hat folgen lassen, ist das jedenfalls nicht zu schaffen. Den „WAZ“-Artikel sollten Sie bei Bedarf noch einmal nachlesen.

Ich glaube, meine Damen und Herren, wir sind gut beraten, bereits in nächster Zeit und im Vorgriff auf einen Gesetzentwurf der Landesregierung das Thema „psychosoziale Prozessbegleitung, Opferschutz und Opferhilfe“ insgesamt noch einmal eingehend im Rechtsausschuss zu beraten, um hierbei zu Verbesserungen zu kommen. Wir als FDP halten das für wichtig. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und daheim vor dem Streamapparat!

(Zuruf von der CDU: Streamapparat?)

Der Antrag der CDU greift bekanntlich ein laufendes Gesetzgebungsverfahren auf, fordert die Landesregierung auf, den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren zu unterstützen. Grundsätzlich ist an einem solchen Vorstoß nichts auszusetzen. Aber bereits der vormalige Referentenentwurf der Bundesregierung fand vielfältige Resonanz auf der einen Seite, insbesondere aber auch Kritik sowohl in Wissenschaft, Lehre als auch in juristischer Praxis.

Einige Aspekte wurden bereits hervorgehoben, insbesondere von Herrn Kollegen Ganzke im Hinblick auf die Frage des Spannungsverhältnisses von Opfervermutung auf der einen Seite und Unschuldsvermutung auf der anderen Seite.

(Zustimmung von Hartmut Ganzke [SPD])

Ich möchte das Plenum jetzt nicht mit den juristischen Facherwägungen langweilen, denn sie greifen sicherlich auch in diesen Bereich hinein. Das werden wir dann im Rechtsausschuss sicherlich detailgenau evaluieren.

Die Evaluation ist genau der Punkt – auch das wurde angesprochen –, der einen Mangel des Gesetzgebungsverfahrens im Hinblick auf die psychosoziale Prozessbegleitung darstellt. Sie fehlt nämlich bislang und wird auch nicht innerhalb eines Jahres im Rahmen eines von Ihnen erbetenen oder geforderten Pilotprojekts oder Modellversuchs herbeigeführt werden können. Was jahrelang möglicherweise ausgeblieben ist, was viele Fachverbände und Fachorganisationen bemängeln, wird nicht innerhalb dieses einen Jahres ergänzt werden können.

Andererseits ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Gewaltmonopol des Staates, dass er verpflichtet ist, sich schützend und fördernd vor den Einzelnen zu stellen und ihn vor rechtswidrigen Eingriffen vonseiten anderer zu bewahren. Das ist nun einmal ein Ausfluss der Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes die staatlichen Organe im Falle einer Straftat nicht nur zur Aufklärung des Sachverhalts, sondern auch dazu, den mutmaßlichen Täter in einem fairen Verfahren seinem gesetzlichen Richter zuzuführen.

Sie verpflichtet die staatlichen Organe selbstverständlich auch, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte der Verletzten zu stellen und ihnen zu ermöglichen, ihre Interessen justizförmig und in angemessener Frist durchzusetzen.

Das wird allerdings vor dem Hintergrund Ihres ausschließlich auf den Fall der psychosozialen Prozessbegleitung fokussierten Antrages nicht gelingen. Auch die Opferrechte werden dadurch nicht in ihrem Umfang massiv gestärkt. Vielmehr wird im Landtag Nordrhein-Westfalen die Kritik, die in den jeweiligen Anhörungen, aber auch in den Stellungnahmen zahlreicher Verbände genannt worden ist, nicht ausgeräumt werden können, sondern die Praxis wird dazu sicherlich noch einiges zu sagen haben. Insbesondere aber bleibt es dabei, dass die Evaluation in fachlicher Hinsicht fehlt. Wir werden sie nicht hinbekommen.

Opferschutz – das kann man gar nicht oft genug betonen – bedarf selbstverständlich der Stärkung. Auch der Landtag Nordrhein-Westfalen wird dazu sicherlich einen Beitrag leisten können, allerdings nach unserer Auffassung – das befürchte ich leider – nicht in dem von Ihnen gewählten Rahmen der Behandlung Ihres Antrages im Ausschuss.

Derzeit sind – das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen – die Kritik zum Beispiel auch des Deutschen Anwaltsvereins, aber auch die des Deutschen Richterbundes besonders hervorzuheben. Dieser schließe ich mich nicht vollinhaltlich an, möchte sie aber dennoch gerne zum Gegenstand meiner Ausführungen erheben.

Die Kritiken sind vielfältig. Wir können sie hier im Plenum innerhalb der Kürze der Redezeit bedauerlicherweise überhaupt nicht anbringen; denn dieses Thema des Opferschutzes auch in Strafverfahren bedarf sicherlich einer sehr umfangreichen Erörterung in jedweder – sowohl in medizinischer, psychologischer und rechtlicher, aber auch in gesellschaftlicher – Hinsicht.

Ich bin gerne bereit, diesen Versuch ansatzweise im Rechtsausschuss zu begleiten und dabei auch konstruktiv mitzugehen. Von daher werden wir selbstverständlich einer Überweisung dieses Antrages in den Ausschuss zustimmen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen von der CDU noch einmal ausdrücklich für diesen Antrag und die Debatte, weil dies – das gilt insbesondere für die Debatte – noch einmal deutlich macht, wo Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede zwischen Ihnen und uns bestehen.

Lieber Herr Kollege Kamieth, bei den Rechten für Kinder bestehen ganz offensichtlich erhebliche Unterschiede. Uns sind die Rechte von Kindern so viel wert, dass wir sie auch in unserer Verfassung verankern lassen wollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Sie das nicht wollen, dann haben wir das hier zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bin aber sehr froh, dass wir gemeinsam der Auffassung sind, dass psychosoziale Prozessbegleitung ein sehr wichtiger Baustein sein kann, wenn es darum geht, gerade besonders belasteten Zeuginnen und Zeugen zur Seite zu stehen. Es hilft nicht nur den Zeuginnen und Zeugen, sondern es ist auch ein wichtiger Beitrag zur Wahrheitsfindung. Das ist nämlich die zentrale Aufgabe der Justiz im Strafprozess.

Wir wollen auch mit der psychosozialen Prozessbegleitung das vermeiden, was man auch gerne einmal als „sekundäre Viktimisierung“ bezeichnet, also das erneute Durchlaufen der Opferrolle einer Person im Zeugenstand. Das ist manchmal mit sehr viel Ängsten verbunden und sorgt dafür, dass der eine oder andere sich gar nicht erst an die Justizbehörden oder die Polizei wendet. Dagegen muss man etwas tun. Das wollen wir so nicht stehenlassen.

Selbstverständlich tun wir das schon heute. Diese Landesregierung hat als erste Landesregierung in Nordrhein-Westfalen einen Opferschutzbericht vorgelegt. Es gibt den polizeilichen Opferschutz. Auch gibt es Beratungsstellen und Angebote zur Zeugenbetreuung in den Landgerichten. Obwohl wir aber in den letzten Jahren schon viel erreicht haben, gilt es natürlich immer noch, nach vorne zu schauen und zu sehen, was man noch verbessern kann. Deswegen wollen wir in Nordrhein-Westfalen die psychosoziale Prozessbegleitung gemeinsam flächendeckend ausbauen.

Das ist – Herr Kollege Schulz hat es gerade schon angesprochen – längst nicht überall eine Selbstverständlichkeit. Es gibt in diesem Zusammenhang auch durchaus kritische Stimmen, die sagen: Das führt zu einem unguten Einfluss der Prozessbetreuung auf die Wahrheitsfindung. Das Stichwort lautet „unlautere Zeugenbeeinflussung“.

Ich teile diese Bedenken nicht. Zeuginnen und Zeugen erfüllen eine sehr wichtige Bürgerpflicht, und eine professionelle Prozessbegleitung kann ihnen die nötige Stütze und Orientierung in dieser wichtigen Phase geben. Das schulden wir im Übrigen auch Opfern von Straftaten.

Meine Damen und Herren, eine psychosoziale Prozessbegleiterin – sie betreut sexuell missbrauchte Mädchen und Frauen in Prozessen – hat den Umfang ihrer Tätigkeit auf einer Fachtagung im März dieses Jahres, wie ich finde, sehr anschaulich beschrieben: Sie sei für die Opfer in einer Funktion Bodyguard, Dolmetscherin und Taschentuchhalterin. Ich glaube, es liegt auf der Hand, dass man diese vielschichtige Aufgabe – die eines seelischen Bodyguards – nur erfahrenen Fachkräften mit einer qualifizierten Ausbildung anvertrauen kann.

Deswegen haben wir schon auf der Justizministerkonferenz im Jahre 2012 den Anstoß für eine länderübergreifende Arbeitsgruppe gegeben, die inhaltliche Vorgaben für die psychosoziale Prozessbegleitung ausarbeiten sollte. An dieser Arbeitsgruppe hat sich Nordrhein-Westfalen maßgeblich beteiligt.

Wir können deswegen schon heute auf gute, gesicherte Mindeststandards zurückgreifen, die für eine psychosoziale Prozessbegleitung nötig sind. Diese Standards, die wir in dieser Arbeitsgruppe gemeinsam festgelegt haben, bilden auch die Grundlage für den Vorschlag der Bundesregierung im Rahmen des Dritten Opferrechtsreformgesetzes. Deswegen unterstützt die nordrhein-westfälische Landesregierung dieses Vorhaben des Bundesjustizministers.

Allerdings sage ich auch: Auch hier müssen wir noch einmal auf den genauen Gesetzeswortlaut schauen. Oft steckt der Teufel im Detail. Wir haben noch folgende Fragen zu klären: Wie erfolgt die Beiordnung? Wie erfolgt die Abrechnung? – In diesen und anderen Detailfragen besteht durchaus noch Beratungsbedarf im Bundesrat. Deswegen können wir als Landesregierung unser Abstimmungsverhalten im Bundesrat erst endgültig festlegen, wenn wir die abschließenden Beratungen im Rechtsausschuss und im Deutschen Bundestag hinter uns haben.

Der Vorschlag der CDU, nunmehr ein Modellprojekt für die letzten zwölf Monate aufzulegen – das ist gerade schon in dieser Diskussion zum Ausdruck gekommen –, halte ich für wenig zielführend. Ich habe gerade schon gesagt, dass wir als Justizministerinnen und Justizminister die Standards bereits in der länderübergreifenden Arbeitsgruppe definiert haben.

Selbstverständlich gibt es schon vorhandene Modellprojekte, die untersucht worden und Gegenstand des Bundesgesetzgebungsverfahrens gewesen sind. Jetzt geht es darum, die praktischen Umsetzungen vorzubereiten, alle Vorbereitungen zu treffen. Dabei geht es auch darum, über Ländergrenzen hinaus weiterhin in Kontakt zu bleiben; denn Opferschutz im Strafprozess sollte nicht an einer Landesgrenze haltmachen.

Wir wollen bei der Umsetzung gerade auch die Personen und die Organisationen mitnehmen, die sich bereits seit Jahren mit den gewachsenen Strukturen im Opferschutzbereich auskennen und im Bereich der Opferhilfe mit großem Engagement professionelle Arbeit leisten.

Wir sind also, meine Damen und Herren, wie Sie sehen können, in Nordrhein-Westfalen schon auf einem guten, erfolgreichen Weg. Ich freue mich, wenn es dafür eine breite Unterstützung gibt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb an dieser Stelle die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/10064 an den Rechtsausschuss – er bekommt die Federführung – und mitberatend an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es jemanden, der sich gegen diese Überweisung aussprechen möchte? – Nein. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

7   Schluss mit dem Betrug bei Verbrauchs- und Emissionswerten von Kraftfahrzeugen – Potenziale für den Verkehr von morgen mobilisieren

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10059

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion der Piraten hat Herr Kollege Bayer das Wort.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Besucher hier und am Stream im Auto! Stellen Sie sich einmal vor, das Land Nordrhein-Westfalen hätte Ziele – Ziele wie Fortschritt, wirtschaftliche Stärke, außerdem den Schutz der Umwelt, unseres Klimas und der Gesundheit. Für den Umweltschutz und die Gesundheit der Bevölkerung gäbe es funktionierende Umweltzonen, und auf die Feinstaubbelastung in den Städten würde geachtet. Einen Beitrag zum Klimaschutz könnte ein konsequenter Klimaschutzplan leisten, dem ein Klimaschutzgesetz zugrunde liegt.

Aber ich frage Sie: Weshalb sollten wir uns lange über die Ziele und Maßnahmen streiten, wenn die Werte, mit denen wir arbeiten, und die Zahlen, die wichtig sind, damit Umweltzonen und Klimaschutz funktionieren, falsch sind? Wenn wir uns auf die Grundlagen nicht verlassen können, dann sind die Ziele rein gar nichts wert, auch die im Koalitionsvertrag nicht. Die Maßnahmen für Klimaschutz und Umweltschutz sind entwertet.

Tatsächlich wissen wir seit vielen Jahren, dass zugunsten der deutschen Autobauer getrickst und weggesehen wird. Allein den VW-Betrug aufzuklären, reicht daher nicht. Ebenso reicht es nicht, nur auf die Stickoxidemissionen zu achten. Unser Antrag weist besonders auf die Verbrauchswerte und die CO2-Emissionen hin, die durchgängig weder ehrlich noch realistisch angegeben werden. Dabei brauchen gerade Maßnahmen mit Lenkungswirkung realistische und nachvollziehbare CO2-Werte. Sogar die Kfz-Steuer wird damit berechnet.

Dass nun bei 800.000 Autos des VW-Konzerns die CO2-Werte nicht stimmen, ist gar keine Überraschung. Das dürfte auch andere Autobauer betreffen. Dass es sich dabei vielleicht nicht nur um ganz legale Steuerprogrammtricks handelt, die von Sigmar Gabriel und Alexander Dobrindt abgesegnet sind, ist eine Sache. Dass es sich hierbei womöglich um echten Betrug handelt, ist eine andere Sache und natürlich schlecht für VW.

Aber es ist ein Weckruf, damit die Chance, etwas an der Politik, etwas an diesen unehrlichen Werten und am Selbstbetrug zu ändern, nicht verpasst wird. Dafür steht auch unser Antrag.

(Beifall von den PIRATEN)

Politik und Autobauer wollen lieber zum Tagesgeschäft übergehen; das ist klar. Doch das würde allen Beteiligten schaden – auch den Autobauern. Uns Piraten wundert ja, dass der Drang gerade auch der Grünen hier in NRW – gut, Oliver Krischer im Bund kann es ja, wie wir heute Morgen gesehen haben – nicht größer ist, den VW-Betrug – „Dieselgate“ – für die Autoindustrie zu dem werden zu lassen, was Fukushima für die Energiebranche war, nämlich der Einstieg zum Ausstieg – konkreter: der Einstieg in das Zeitalter der Mobilität nach der digitalen Revolution, und der Ausstieg aus dem Zeitalter des Verbrennungsmotors. Das würde der Erreichung aller klimapolitischen Ziele weiterhelfen.

(Beifall von den PIRATEN)

Der Verbrennungsmotor – gerade der Dieselmotor – ist zu Ende entwickelt. Das ist kein Geheimnis. Für minimale Verbesserungen beim Wirkungsgrad und bei der Sauberkeit müssen Milliarden investiert werden. Hohe Investitionen in Lobbyismus sorgen dafür, dass das Geschäft dennoch weiterläuft – bis heute.

Durch die digitale Revolution gibt es große Umwälzungen auch in der Mobilität mit einem ordentlichen Technologiesprung. Es sind plötzlich neue Player im Markt und sehr viel Geld wartet darauf, mit hohem Risiko investiert zu werden. Denken Sie dabei nicht nur an Google, Apple, Tesla oder Uber, sondern auch an die neuen Zulieferer wie zum Beispiel Samsung, LG oder Panasonic.

Drei Entwicklungen werden die Zukunft der Mobilität entscheidend beeinflussen.

Die Elektromobilität: Der Elektromotor wird den Verbrennungsmotor und die komplizierten Teile eines Autos ersetzen. Das wird auch jahrzehntelange Tüftel- und Entwicklungsarbeit entwerten.

Das autonome Fahren: Assistenzsysteme werden ganz schnell immer wichtiger. Updates werden während der Lebenszeit eines Autos Systeme verbessern und ausbauen. Das Betriebssystem des Autos entkoppelt sich von der Hardware und wird kaufentscheidend.

Der offene Umgang mit Daten: Offene Standards oder nicht, Chancen für Start-ups oder Monopole – beim Datenschutz wird sich viel entscheiden.

Ich halte fest: Die Vergangenheit kann man nicht mit Tricks und Täuschung in die Gegenwart retten und schon gar nicht in die Zukunft. Die deutsche Verkehrslandschaft braucht den Wendepunkt dringend. Allein den VW-Betrug aufzuklären, reicht nicht. Nur wenn der Selbstbetrug der Automobilindustrie in Zusammenarbeit mit der Politik beendet wird, hat sie den nötigen Anreiz, die wichtigen Entwicklungen für den Verkehr von morgen anzugehen. Es ist ein Gebot der Transparenz, die Hersteller endlich dazu zu verpflichten, dem Kunden realistische Angaben zu machen.

Ich komme zum Schluss: Der Verbrennungsmotor ist eine Technologie von gestern. Wir fordern eine klare Ausstiegsperspektive. Nur dann können wir gemeinsam unsere Ziele zur Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschutzpolitik erreichen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Philipp.

Sarah Philipp (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Beim vorliegenden Antrag der Piratenfraktion, den wir heute beraten, haben wir uns schon in weiten Teilen die Frage gestellt, warum wir diesen Antrag heute im Plenum des Landesparlaments beraten und warum wir uns im weiteren Verlauf damit im Verkehrsausschuss beschäftigen sollen.

Sie haben am Ende die Stichpunkte genannt: Gesundheit und Umwelt. Das sind die Schwerpunkte, über die Sie heute geredet haben. Von daher ist uns heute die Zuständigkeit nicht so ganz klar geworden. Wir werden das Thema aber heute gerne mit Ihnen erörtern.

Einige Anmerkungen zum VW-Skandal: Ich denke, wir sind uns einig, dass es in erster Linie um lückenlose Aufklärung geht. Wer gestern oder heute Morgen die Nachrichten verfolgt hat, der hat festgestellt: Dieser Skandal wird uns noch weiter beschäftigen. Wir wissen heute noch gar nicht, wo das Ganze enden wird, was noch aufgedeckt wird.

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Das ist ja das Problem!)

Es ist ein laufender Prozess, dem wir uns mit Sicherheit auch in der politischen Begleitung widmen werden.

Die eingestandenen Manipulationen von Millionen von Fahrzeugen sind zweifelsohne sehr schlimm. Das ist ein Schlag für die betroffene Kundschaft, aber vor allem auch für die Belegschaft von VW, die das jetzt auszubaden hat. Es ist ein wichtiger Faktor für die Politik, jetzt darauf zu achten, dass die Krise bei VW nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird.

(Beifall von Christof Rasche [FDP] – Christof Rasche [FDP]: Ihr könntet auch mal klatschen! – Gegenruf von Jochen Ott [SPD]: Ich bin so begeistert, dass du klatschst!)

Es ist aber vor allem auch ein Schlag für die Umwelt. Damit kommen wir zum eigentlichen Thema Ihres Antrags. Dass die Lebensqualität und die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger dem kurzfristigen Profit geopfert wurden, ist natürlich nicht hinnehmbar. So etwas muss in Zukunft mit allen Mitteln verhindert und auch sanktioniert werden.

Die aufgedeckten Machenschaften sind kriminell. Sie erfordern neben der vollständigen Aufklärung auch eine zügige Behebung. Die angekündigte Rückrufaktion von VW muss daher im Sinne der Verbraucher ganz schnell umgesetzt werden.

Durch den Betrug hat die Marke VW Schaden genommen. Es darf aber auch nicht eine komplette Branche, wie jetzt die Automobilbranche, unter Generalverdacht gestellt werden.

(Beifall von der SPD)

Dies gilt im Übrigen auch für die effiziente Dieseltechnologie. Es geht fehl, einen Brennstoff gegen den anderen auszuspielen. Der Steuervorteil für Diesel macht zum Beispiel deswegen Sinn, weil die Motoreffizienz größer ist. Die Vorteile sind die höhere Verdichtung, der geringere Verbrauch und die größere Haltbarkeit der Motoren.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Daher sollte die Dieseltechnologie konsequent weiterentwickelt und nicht, wie Ihnen gerade gefordert, bekämpft werden.

(Beifall von der SPD, der FDP und Josef Hovenjürgen [CDU])

Die Umverteilung des Energiesteueraufkommens aus Diesel ist zudem nicht sinnvoll; denn schon heute werden von dem Gesamtaufkommen der Energiesteuer und Kfz-Steuer – im Gesamtvolumen 53 Milliarden € pro Jahr – nur 19 Milliarden € direkt in die Verkehrsinfrastruktur investiert. Wir reden in diesem Parlament sehr oft über kaputte Straßen und kaputte Brücken. Angesichts dieser Herausforderungen wäre es abstrus, aus diesem Bereich Geld abzuziehen und es zum ÖPNV umzuleiten. Auf solche Scheindebatten sollten wir heute verzichten.

Zwar sind in den letzten fünf Jahren die CO2-Emissionswerte von Pkw um mehr als ein Viertel gesunken, aber die Unternehmen in der Branche sind weiterhin gefordert; denn die Erfolgsfaktoren der Automobilbranche werden sich aufgrund neuer Umweltstandards und auch eines anderen Nachfrageverhaltens der Verbraucher wandeln. Das kann durch effektive Wirtschaftsförderung – da sind wir an Ihrer Seite – mittelfristig unterstützt werden.

Aus unserer Sicht sind vor allem einheitliche EU-Regelungen und Standards gefragt. Wir können dieses Thema heute sehr gerne hier diskutieren. Die Entscheidungskompetenz liegt aber sicherlich auf einer anderen Ebene.

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Das ist ja keine Kompetenz!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Wohlstand des Landes gründet selbstverständlich auch darauf, dass wir beim Automobil Innovationsführer sind. Krisen können deswegen für uns immer auch ein Wendepunkt sein, um Neues voranzubringen und Zukunftspotenziale besser auszuschöpfen. Die Möglichkeiten von schadstoffarmen Antrieben sollten natürlich genutzt werden. Die Förderung dazu läuft gerade in Nordrhein-Westfalen schon seit Jahren. Dabei wird auf die Marktgängigkeit der Produkte sowie die Energie- und Rohstoffbilanz geachtet.

VW hat deutlich gemacht, diesen Weg zu gehen und neue Antriebsformen wie Brennstoffzellen und Elektromobilität zu stärken. Das alles sind Ideen, die schon formuliert worden sind. Vielleicht steckt dahinter auch die Erkenntnis, dass die Mobilität der Zukunft durchaus eine andere sein wird, als wir sie heute diskutieren.

Der Fokus sollte nicht alleine auf Verkaufszahlen liegen, sondern es sollte immer auch um einen ressourcenschonenden Umgang mit der Umwelt gehen. Wenn die Unternehmen aus diesem Skandal zumindest das mitnehmen und lernen, hätte das Ganze für uns noch eine positive Seite.

Zum Abschluss, liebe Piratenfraktion, um noch einmal auf eine Forderung des Antrags zurückzukommen: Gute ressortübergreifende Mobilitätskonzepte, wie Sie sie heute fordern, haben wir unter Einbindung von Radverkehr und ÖPNV schon auf den Weg gebracht – siehe Radschnellwege, das Nahmobilitätskonzept der Landesregierung, die aktuelle Förderung des Stadtverkehrs usw. usf.; die Liste ließe sich noch fortführen. Die Maßnahmen sind also vorhanden.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Sarah Philipp (SPD: Daher bedurfte es Ihres Antrags aus unserer Sicht nicht. Wir freuen uns trotzdem auf die Beratung im Ausschuss und stimmen der Überweisung heute zu. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Philipp. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Moritz.

(Jochen Ott [SPD]: So viel Applaus von FDP und CDU wie nie zuvor!)

Arne Moritz (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Konfuzius sagt:

„Wenn die Begriffe sich verwirren, ist die Welt in Unordnung.“

Jetzt will ich nicht so weit gehen und sagen, dass die Piraten mit ihrem Antrag die Welt in Unordnung bringen. Aber sie bringen damit etwas Unordnung in die Welt; denn die Begriffe verwirren sich schon in der Überschrift. Ich lese sie Ihnen noch einmal vor:

„Schluss mit dem Betrug bei Verbrauchs- und Emissionswerten von Kraftfahrzeugen – Potenziale für den Verkehr von morgen mobilisieren“

Man fragt sich: Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

(Beifall von der CDU)

Was hat der Abgasskandal damit zu tun, dass wir Potenziale für den Verkehr von morgen mobilisieren sollen? Das ist wirklich absurd.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir müssen einmal einen Blick zurückwerfen und uns ansehen, was überhaupt passiert ist. Der Volkswagen-Konzern hat zugegeben, mit einer verbotenen Software die Emissionswerte von rund 11 Millionen Fahrzeugen im Testbetrieb manipuliert zu haben. Ihm drohen daher Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Dieser Sachverhalt muss von VW transparent aufgeklärt werden. VW muss auch sicherstellen, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt. Wir wissen, dass sich auch die Bundeskanzlerin dahin gehend geäußert hat.

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Dann kann ja nichts mehr passieren!)

Der Bundesverkehrsminister hat Gespräche mit VW und dem Kraftfahrt-Bundesamt geführt. Eine vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Untersuchungskommission ermittelt derzeit den Sachverhalt. Ich denke, das kann niemand in diesem Hause kritisieren. Wir sollten die Ergebnisse abwarten.

Allen Beteiligten ist damit gedient, wenn Volkswagen sich a) neu aufstellt und b) den Skandal überwindet.

Deshalb sind solche Wirrwarranträge, die Abgase, Regionalisierungsmittel, Infrastruktur, Klimaschutz und Energiesteuer durcheinanderwerfen, nun wirklich der falsche Weg und bringen uns überhaupt nicht weiter.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, was Finanzminister Walter-Borjans zur Abgasaffäre gesagt hat, war aber einer der Skandale im Skandal. Er hat tatsächlich gefordert, den VW-Konzern für mögliche Steuerschäden haftbar zu machen. Bevor überhaupt irgendein Sachverhalt ermittelt worden ist, spekuliert Herr Walter-Borjans über mögliche negative Folgen der VW-Affäre für die Kraftfahrzeugsteuer.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE] – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die haben es doch zugegeben! – Jochen Ott [SPD]: Das Niveau ist so hoch!)

Eigentlich wäre seine Aufgabe, sich um die Haushaltspolitik in Nordrhein-Westfalen zu kümmern. Wie so oft, versucht der Landesfinanzminister, mit populistischen Forderungen von seinem eigenen Versagen abzulenken.

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Das Niveau von Frau Philipp wird deutlich unterschritten!)

Wenn wir dabei noch bedenken, dass er nach der Verlagerung der Kfz-Steuer für das Thema gar nicht mehr zuständig ist, dann ist das umso bedenklicher. Außerdem ist der Landeshaushalt am Aufkommen der Kfz-Steuer schon seit dem 1. Juli 2009 nicht mehr beteiligt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist ja nicht so schlimm! – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Daher sind seine Aussagen nicht mehr als heiße Luft.

Für eine seiner üblichen Schlagzeilen nimmt Herr Walter-Borjans daher billigend in Kauf, dass das Image des größten Autoherstellers Europas und die Marke „Made in Germany“ weiter beschädigt werden.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das gibt es doch gar nicht!)

Das ist mehr als bedenklich.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung zu einer weiteren Forderung der Piraten in ihrem Antrag machen. Die Piraten fordern dort, die Landesregierung solle auf allen Ebenen darauf hinwirken, dass Dieselkraftstoff genauso besteuert wird wie Ottokraftstoff. Abgesehen davon, dass das gar nicht das Ziel sein kann, weil wir sonst gleichzeitig den Logistikstandort Deutschland schließen könnten, wird die Mineralölsteuer von der Bundeszollverwaltung erhoben. Es würde daher reichen, wenn eine Ebene sich dafür einsetzt. – Dies als kleine Nachhilfe!

Der Überweisung des Antrags in den Ausschuss stimmen wir jedoch zu.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Moritz, danke schön für den Redebeitrag. – Wie Sie vielleicht gesehen haben, gibt es den Wunsch nach einer Kurzintervention, und zwar von Herrn Kollegen Bayer. Bitte.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich musste zu den letzten beiden Beiträgen gar keine Zwischenfragen stellen. Jeder, der die Presse in den letzten Wochen verfolgt hat – selbst wenn er „Handelsblatt“ und „WirtschaftsWoche“ liest; ganz egal, wie das gefärbt ist –, hat wohl mitbekommen, dass es hier nicht nur darum geht, einen Betrugsskandal, vielleicht den größten Industriebetrugsskandal, den wir je hatten, aufzuklären und irgendwie Schaden abzuwenden, sondern dass es jetzt darum geht, die Chance – ich habe es mit Fukushima verglichen; das muss man nicht unbedingt –, die man durch diesen Weckruf hat, zu nutzen, um endlich etwas zu ändern, und zu begreifen, dass man Klima- und Umweltschutzpolitik ordentlich angehen muss, aber auch dafür sorgen muss, dass wir in Zukunft auf dem Gebiet noch wirtschaftsfähig sind, dass die Automobilindustrie hier nicht einfach stirbt und durch Technologien aus anderen Ländern ersetzt wird.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen Zulieferer, die darauf warten, dass ihre Technik eingesetzt werden kann. Sie würden auch andere Kunden beliefern, auch Apple für sein Auto. Sie warten aber darauf, dass ihre Technik eingesetzt werden kann. Deshalb wird es für NRW nur gut sein, wenn die Automobilindustrie hier diesem Weckruf folgt.

Sich dem zu verschließen und zu sagen, dass wir das aufklären und dann mit der Verkehrspolitik so weitermachen wie bisher, wäre der völlig falsche Weg. Dann sitzen wir in zehn oder vielleicht 20 Jahren wieder hier und sagen: Hätten wir damals einmal etwas gemacht – so wie wir das jetzt bei vielen anderen Dingen tun.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Bayer. – Herr Kollege Moritz, Sie haben jetzt für 1:30 Minuten die Gelegenheit, zu antworten.

Arne Moritz (CDU): Das geht auch sehr viel schneller. – Herr Bayer, wir diskutieren im Ausschuss darüber. Vielleicht können Sie sich bis zu der Diskussion im Ausschuss so weit vorbereiten, dass Sie nicht in einen Antrag so viele verschiedene Punkte hineinschreiben,

(Simone Brand [PIRATEN]: Zwei!)

die alle nicht zueinander passen, sondern sich auf die wichtigen Punkte konzentrieren. Dann freuen wir uns auf die Diskussion mit Ihnen im Ausschuss.

(Beifall von der CDU – Simone Brand [PIRATEN]: Es sind zwei Sachen drin!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Moritz. – Für die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte erst einmal feststellen, dass diese Debatte etwas mehr Publikum unter unseren Abgeordnetenkollegen verdient gehabt hätte, weil ich der festen Überzeugung bin, dass es sich hier um einen der größten industriepolitischen Skandale der Nachkriegszeit handelt.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Wir wissen bis jetzt nur das, was öffentlich bekannt ist. Es wird täglich etwas Neues aufgedeckt. Frau Kollegin Philipp hat eben gesagt, was gestern über die Benziner und den CO2-Ausstoß bekannt geworden ist. Wer weiß, wie es bei anderen deutschen Automobilkonzernen aussieht? Wer weiß, wie es bei den Produktpaletten von BMW oder Mercedes aussieht?

Herr Moritz, ich hatte mir eine Pointe von einem CDU-Kollegen aus einer Bundestagsdebatte aufgeschrieben. Ich habe gedacht, das sei nicht zu toppen. Aber Sie haben das in Ihrer Rede wirklich geschafft. Man kann hier doch nicht unterstellen, dass diese Offenlegung ein Anschlag auf die deutsche Automobilindustrie sei. In der Bundestagsdebatte hat der CDU-Kollege vor einigen Wochen gesagt, es wäre eine Verschwörung der US-Automobil-industrie gegen den deutschen Autobauer VW. Sie haben völlig am Thema vorbeigeredet und unterstellen den Piraten auch noch, ihr Antrag würde in die falsche Richtung gehen.

Herr Moritz, Sie haben sich offensichtlich mit dieser ganzen Thematik– Sie können mir jetzt auch einmal zuhören, ohne nebenbei zu quatschen – überhaupt noch nicht beschäftigt. Ich gebe den Piraten zwar nicht immer recht. Aber das, was hier eben in den Raum gestellt worden ist, dass dieser ganze Skandal sozusagen das Fukushima der deutschen Automobilindustrie sein könnte, würde ich absolut unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Es ist ein riesiger industriepolitischer Skandal.

Das wird noch an einer zweiten Sache deutlich, und zwar an der Kumpanei der Bundesregierung, insbesondere der CDU/CSU, mit der deutschen Automobilindustrie schon seit vielen Jahren in persona von Herrn Wissmann und vielen anderen.

Warum ist es denn heutzutage so, dass es keine unabhängigen Abgaskontrollen mehr gibt? Warum werden die Abgaskontrollen von den Herstellern selbst durchgeführt? Früher wurden diese Abgaskontrollen vom Bundesumweltamt durchgeführt. Sie sind von der Großen Koalition abgeschafft worden. Heute gibt es einen Freifahrtschein für die deutsche Automobilindustrie. Alle Automobilhersteller können selbstständig die Abgaskontrollen durchführen.

Es wäre der entscheidende Schritt vonseiten der Bundesregierung, zu sagen: An diesem Punkt machen wir einen Schnitt, führen wieder eine unabhängige Abgaskontrolle ein und richten eine Bundesbehörde ein, die diese Abgaskontrollen durchführt.

(Beifall von Oliver Bayer [PIRATEN] – Zuruf von Christof Rasche [FDP])

– Wer auch immer das schon gesagt hat. Das ist auf jeden Fall eine der entscheidenden Forderungen.

Darüber hinaus ist es richtig und wichtig, zu sagen: Wann, wenn nicht jetzt, könnte es zu einer klaren Wende innerhalb der deutschen Automobilpolitik kommen? – Wer fährt denn auf den deutschen Straßen mit modernem Antrieb? Das sind die Japaner. Das sind nämlich die Hybridwagen. Toyota hatte hier ganz klar die Nase vorn. Das ist seinerzeit auch in einer sehr zugespitzten Formulierung von Frau Künast kritisiert worden. Die deutsche Automobilindustrie hat hier doch überhaupt nicht aufgeholt.

Wann, wenn nicht jetzt, wäre der Zeitpunkt gekommen, zu sagen: „Wir machen hier einen Einschnitt und setzen auf andere Antriebe“? Ich erinnere an das Bundesprogramm mit dem Ziel, 1 Million Elektromobile bis 2020 auf die Straße zu bringen. Wo sind wir denn da bis jetzt? Wir haben nicht einmal 10.000 zugelassene E-Autos auf deutschen Straßen. Offensichtlich ist das ganze Anreizprogramm, das aufgelegt worden ist, falsch.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Jetzt wäre doch die Möglichkeit, als positives Angebot für die Automobilhersteller zu überlegen: Was ist der Markt der Zukunft? Womit kann Geld verdient werden? Was für Fahrzeuge können in Zukunft wirklich am Markt bestehen? Welche Fahrzeuge können die sehr strengen Abgaswerte auch entsprechend einhalten? Jetzt wäre die Chance, da einen Schnitt zu machen. Wann, wenn nicht jetzt?

Herr Moritz, in Ihrer Rede haben Sie wirklich jegliche Vernunft vermissen lassen. Das war ein äußerst peinlicher Auftritt hier im Parlament.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ansonsten haben Sie vonseiten der Piraten einige Punkte angesprochen, die ich auch teile, zu denen man aber auch sagen kann: Wir können das im Ausschuss weiter debattieren. – Sie haben ja zum Glück die Überweisung beantragt.

Es gibt eine Reihe von Punkten, die wir vonseiten der Landesregierung machen, zum Beispiel das Zukunftsprogramm ElektroMobilität NRW, der Aktionsplan zur Förderung der Nahmobilität oder die jetzt erreichte wichtige Einigung bei Regionalisierungsmitteln.

Es ist völlig richtig, sich zu überlegen: Wie sieht Mobilität der Zukunft aus? Was bewegt sich weg vom Privat-Pkw? Wie ist der ÖPNV ausgestattet? Was tut sich im Bereich der Fahrräder, bei den E-Antrieben usw. usf.?

An dieser Stelle unterstützt die Landesregierung wichtige Entwicklungen. Da kann man sicherlich noch ein Stück mehr machen, als wir bisher machen. Das werden wir in Zukunft entsprechend auf den Plan bringen.

Wir werden im Ausschuss debattieren, was wir hier schon vorangebracht haben und was hier noch zu tun ist.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Arndt Klocke (GRÜNE): Ich finde es auch richtig, dass Sie das im Antrag erwähnt haben.

Dieser Einschnitt in die Automobilindustrie ist bisher, glaube ich, insbesondere beim Hersteller, aber auch bei vielen Politikerinnen und Politikern nicht angekommen. Das sieht man leider hier in der Debatte.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Arndt Klocke (GRÜNE): Das hat man auch bei der Bundestagsdebatte bemerkt. Ich hoffe, wir können durch eine gute Beratung im Ausschuss mit dazu beitragen, dass hier entsprechende Veränderungen ein Stück auf den Weg kommen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die FDP hat Herr Kollege Rasche das Wort.

Christof Rasche (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Nachrichten von VW, die wir erst kürzlich wieder gehört haben, lassen schon Zweifel am Handeln von Aufsichtsrat, Vorstand und leitenden Personen in diesem Unternehmen aufkommen. Die Vorfälle müssen dringend aufgeklärt werden. Darin sind wir uns alle einig.

Politisch kann man das Thema für verschiedene Zielsetzungen einer jeden einzelnen Partei nutzen. Man kann zum Beispiel versuchen, es für die Ziele der Umweltpolitik auszunutzen, indem man Dieselmotoren prinzipiell bekämpft und prinzipiell weiterhin die Mobilität auf unseren Straßen mit Ausnahme des Fahrrads bekämpft.

Man kann aber auch politisch sagen: Ich setze mich für den Erhalt von weltweit 600.000 Arbeitsplätzen ein, die uns wichtig sind.

(Beifall von der FDP)

Für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist VW mit seinen 250.000 Arbeitsplätzen von zentraler Bedeutung. Die Bedeutung geht weit über diese 250.000 Arbeitsplätze hinaus. Das ist mehr der Ansatz der FDP-Fraktion in diesem Haus, meine Damen und Herren.

Man kann natürlich auch versuchen, von diesen Skandalen als Partei, als Fraktion politisch zu profitieren. Ich glaube, das ist diesem Thema überhaupt nicht angemessen.

(Beifall von der FDP)

Frau Höhn fordert heute für die Grünen mehr staatliche Kontrolleure in diesem Bereich. Das ist ein typischer Reflex. Es ist schon bemerkenswert, für ein fast staatliches Unternehmen noch mehr staatliche Kontrolleure zu fordern. Das ist ein Witz schlechthin.

Noch bemerkenswerter, meine Damen und Herren, sind die Unterschiede, die hier wieder einmal in der Verkehrspolitik zwischen den Koalitionären zu erkennen sind. Die Kollegen Philipp spricht sich klar für Dieselfahrzeuge aus, weil sie für den Logistikstandort Nordrhein-Westfalen und Deutschland wichtig sind und weil es keine andere Möglichkeit gibt, als Dieselfahrzeuge zu nutzen.

Der Kollege Klocke will genau den anderen Weg. Er sagt kein Wort pro Dieselfahrzeuge. Es geht alles in Richtung E-Motoren – die wir auch wollen, die sich entwickeln müssen. Gerade in der Logistikpolitik finden wir damit aber keine Lösung. Es gibt in der Koalition also wieder einmal große Unterschiede in der Verkehrspolitik.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Rasche, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Olejak würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Christof Rasche (FDP): Aber gerne.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich wollte Sie fragen, ob Ihnen die gestern vorgestellten Forschungsergebnisse des Forschungszentrums Jülich bekannt sind. Danach wird es bei der Weiterentwicklung der Arbeitsplätze und der Logistikplätze in Nordrhein-Westfalen zukünftig darum gehen, wie wir sicher, einfach und CO2- bzw. klimaneutral die Tankstellen mit Wasserstoff versorgen können; denn genau diese Ergebnisse werden dazu führen – da haben wir diesen zeitlichen Einschnitt –, dass es eine komplette Umwandlung der Mobilität geben wird und der Dieselmotor letztlich einfach stirbt.

Christof Rasche (FDP): Vielen Dank, Herr Kollege. Darauf darf ich gleich antworten. Ich konnte dieses Papier von gestern natürlich heute noch nicht lesen, habe es aber auf Wiedervorlage gelegt und werde das tun.

So, wie Sie es gerade geschildert haben, entspricht das aber genau Ihrer Realitätsferne, was Mobilitätspolitik in Deutschland und Nordrhein-Westfalen betrifft. Genau das, was Sie gerade vortragen, gefährdet den Logistikstandort Nordrhein-Westfalen. Das sind sehr langfristig bezogene Ziele, die uns heute, morgen und übermorgen nicht weiterhelfen. Wir brauchen in Nordrhein-Westfalen eine realitätsnahe Politik.

(Marc Olejak [PIRATEN]: Die Wissenschaft ist unabhängig, Herr Rasche! Sie greifen hier die Wissenschaft an! Ist Ihnen das überhaupt bewusst?)

Präsidentin Carina Gödecke: Entschuldigung, dass ich Sie schon wieder unterbreche. Aber bevor Sie Ihren nächsten Argumentationsstrang beginnen, würde ich Sie gerne fragen, ob Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollege Klocke zulassen möchten.

Christof Rasche (FDP): Ich habe sie fast erwartet.

Präsidentin Carina Gödecke: Das war ein Ja?

Christof Rasche (FDP): Ja.

Arndt Klocke (GRÜNE): Das ist nett, Herr Kollege Rasche. – Ich habe folgende Nachfrage: In seiner Rede hat Herr Kollege Moritz angesprochen, der Vorschlag sei vom Finanzminister gekommen. Ich hatte es so verstanden, dass der Justizminister darauf hingewiesen hat, dass im Fall von VW der Hersteller für die unrechtmäßige Inanspruchnahme von Steuervorteilen zu zahlen hat und nicht etwa die Kunden dafür in Anspruch genommen werden. Meine Frage an Sie ist, ob Sie diese Meinung teilen oder ob Sie meinen, dass die Kunden auf dieser Summe sitzen bleiben sollen?

Christof Rasche (FDP): Wie alle Fraktionen in diesem Hohen Hause, Herr Klocke, setzen wir uns immer für die Rechte von Kunden ein.

Ich habe in meiner Rede eingangs gesagt, dass wir ein laufendes Verfahren haben, dass wir große Zweifel am Handeln der führenden Persönlichkeiten von VW haben und dass Aufklärung dringend geboten ist. Diese Aufklärung müssen wir abwarten, bevor wir irgendwelche Schritte daraus ableiten. Das Vorgehen, das Sie gerade vornehmen, ist unangemessen.

Erster Schritt ist: Die Fragen müssen geklärt werden. Die Aufklärung muss betrieben werden. Anschließend müssen wir gemeinsam überlegen, wie wir handeln. Verbraucherschutz steht dabei ganz oben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Kollege Klocke sagte eben, dieser Skandal könne das Fukushima der deutschen Automobilindustrie sein. Ich glaube, das ist ein bisschen übertrieben. Es hilft dem Wirtschaftsstandort Deutschland und Nordrhein-Westfalen auch überhaupt nicht weiter. Ich würde es anders formulieren: Die Grünen setzen weiter ihren Kriegszug gegen die deutsche und nordrhein-westfälische Industrie fort. Das sollten alle anderen Fraktionen in diesem Haus beenden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer die Debatte aufmerksam verfolgt, auch draußen im Lande, der wird heute hier im Landtag feststellen, dass insbesondere aufseiten der Opposition, bei CDU und FDP,

(Christof Rasche [FDP]: Die SPD ist doch nicht Opposition!)

genau die Mentalität zutage getreten ist, die uns in die Situation gebracht hat, in der wir jetzt sind, nämlich eine Wagenburg-Mentalität, die nach dem Motto handelt: nichts sehen, nichts hören. Wir müssen uns um die Automobilbauer in Deutschland scheren und sie verteidigen, aber brauchen nicht an die Zukunft unseres Industriestandortes zu denken.

Darum geht es nämlich in der Sache, meine sehr geehrten Damen und Herren. Es ist doch eine Schande, auch für unseren Standort, für unsere Behörden und für alles, was wir an Politik, Entwicklung und Verwaltung in Deutschland haben, uns von amerikanischen Behörden erklären lassen zu müssen, dass wir in Deutschland und in Europa offensichtlich nicht genau hingucken und nicht die richtigen Maßstäbe haben, um diese Manipulationen aufzudecken. Warum müssen uns andere das erklären? Warum können wir da nicht selber den Finger in die Wunde legen?

Es ist nämlich seit Jahren bekannt und ein Thema, dass es sowohl national als auch auf der europäischen Ebene gravierende Mängel bei der Abgasgesetzgebung gibt und dass wir hier nicht auf dem neuesten Stand sind. Wir können das an vielfältigen Aktionen nachweisen, die wir beispielsweise in den Bundesrat eingebracht haben. Wir haben mehrere Gespräche auf der europäischen Ebene geführt, um genau an diesem Punkt etwas zu verändern. Es ist doch in der Tat ein Irrsinn der Geschichte, dass erst durch Interventionen der Behörden und Umweltverbände in Amerika dieses Thema ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt wird und wir uns erst jetzt damit beschäftigen.

In den letzten zwei Tagen ist bekannt geworden, dass es zusätzlich zu den Manipulationen im Bereich Stickoxide auch noch Manipulationen beim CO2-Ausstoß, also beim Kraftstoffverbrauch, geben soll. Hierdurch wurde eine neue Dimension erreicht.

Dass Hersteller bei den CO2-Prüfstandsmessungen alle gerade noch legalen Schlupflöcher des Messverfahrens nutzen, um niedrige CO2-Werte zu erzielen, ist seit Langem bekannt.

Dass jetzt on top auch in diesem Bereich manipuliert worden ist, konterkariert aber nicht nur die Klimaschutzziele, sondern ist auch ein Betrug am Steuerzahler und an der Steuerzahlerin. Das muss man klar und deutlich festhalten. Die Kfz-Steuer wird nämlich nach Hubraum und CO2-Ausstoß bemessen und damit nach der Emissionsklasse. Insofern haben doch alle recht, die sagen, hier werde dem Staat, der Allgemeinheit durch Manipulationen und durch falsche Messwerte Geld entzogen. Das muss man doch thematisieren dürfen.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Darüber hinaus hat auch der Justizminister recht, wenn er sagt, dass es doch nicht sein kann, dass es wegen Manipulationen, die hier stattgefunden haben, zu Haftungsstrafzahlungen in den USA kommt, die aufgrund des deutschen Steuerrechts hier noch abgeschrieben werden können, sodass dies wiederum dem deutschen Steuerzahler und der deutschen Steuerzahlerin zur Last gelegt wird. Erst wird die Gesundheit geschädigt, und dann nimmt man auch noch das Geld von den Menschen in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen. Das kann nicht sein. Das muss man an dieser Stelle auch ehrlich diskutieren dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn es um die Frage der Umweltwirkung und entsprechender Überprüfungen geht, dann muss man in der Tat festhalten, dass die Umweltbehörden im Land und auf der kommunalen Seite sehr wohl an verschiedenen Stellen überprüfen und nachhalten können. Wir können Osterfeuer kontrollieren, sollen Laubbläser kontrollieren, dürfen allenthalben Luft- und Lärmmessungen durchführen und können bei entsprechenden Ordnungswidrigkeiten Bußgelder aussprechen. Wir müssen und dürfen sogar große Industrieanlagen überprüfen. Sie müssen den Standards entsprechen. Wenn sie nicht den Standards entsprechen, werden sie nicht genehmigt oder stillgelegt. Aber gerade beim Automobil, bei dieser Maschine, dürfen wir das nicht. Das ist nach deutscher Gesetzgebung nicht erlaubt.

Da ist schon ein Blick dahin vonnöten, wo es aufgedeckt worden ist. Ich habe vor zwei Wochen einen Besuch in Kalifornien machen dürfen. Dort haben die Umweltbehörden das Recht, zu prüfen und anschließend das Inverkehrbringen von Fahrzeugen, die nicht dem Standard entsprechen, zu verhindern. Das ist ein Drohmittel, das dabei hilft, höchste Standards im Bereich der Automobilabgase in den USA und in Kalifornien zu gewährleisten. Da frage ich mich, warum das industriepolitisch in den USA möglich ist, aber in Deutschland und in Europa offensichtlich nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und das ist eine industriepolitische Frage, weil natürlich auch der Standort Nordrhein-Westfalen massiv mit der Automobilindustrie zusammenhängt.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Wir sind das Automobilzulieferland. Natürlich fragen sich unsere Unternehmen in Nordrhein-Westfalen: Wo geht die Entwicklung hin? Was ist die Zukunft unserer Automobilpolitik? In welche Richtungen gehen die Modelle in Zukunft?

Deshalb ist es für unseren Standort elementar, dass wir an dieser Stelle auch eine politische Richtung vorgeben. Es kann doch nicht sein, dass wir das einfach zur Kenntnis nehmen und sagen, dass es ein paar schwarze Schafe gibt, aber über die industriepolitischen Dimensionen überhaupt nicht diskutieren.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Darüber hinaus haben wir ein Problem vor Ort. Stickoxidemissionen bereiten uns große Probleme. Gerade in den Umweltzonen ist das nach wie vor ein Problem. Beim Feinstaub kommen wir herunter, bei den Stickoxiden nicht.

Nun haben wir aktuell ein Vertragsverletzungsverfahren durch die Europäische Kommission. Was sollen wir denn machen, wenn wir möglicherweise bald zu Strafzahlungen verpflichtet werden? Ich finde nicht, dass wir dann zahlen sollten. Wir haben nämlich gar keine Mittel, um das zu verändern. Was ist denn mit den grünen Plaketten? Gelten sie nun oder nicht? Sind sie noch angemessen oder nicht?

An erster Stelle muss stehen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher geschützt werden. Sie dürfen nicht darunter leiden. Deshalb ist es erforderlich, dass die Bundesregierung, aber auch die Europäische Kommission den Verursacher hier klar in den Mittelpunkt stellen.

Hier muss Ersatz geleistet werden, und das kann so weit reichen, dass gegebenenfalls auch Ersatzfahrzeuge zur Verfügung gestellt werden. Wir können nicht die Gesundheit der Menschen auf Kosten des Konzerns ruinieren. Deshalb muss es klare Anforderungen an den Verursacher geben.

Darüber hinaus steht natürlich auch die Perspektive zukünftiger Antriebe und Antriebstechnologien auf der Tagesordnung. Lassen Sie uns im Zuge der aktuellen Aufklärung bitte nicht die Frage nach dem Dieselprivileg und den Steuern stellen. Diese Frage hat die Kommission im Zusammenhang mit dem Vertragsverletzungsverfahren auf die Tagesordnung gesetzt. Diese Frage muss man beantworten, jedoch steht das für mich nicht ganz oben auf der Tagesordnung.

Was neben der Aufklärung und dem Sich-schadlos-Halten der Verbraucherinnen und Verbraucher oben auf der Tagesordnung steht, ist die Frage, wohin sich zukünftig unsere Antriebstechnologie entwickelt. Natürlich muss das in Richtung Effizienz gehen und …

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, Sie laufen Gefahr, gleich in der dritten Minute Ihre Redezeit zu überziehen.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: ... in einen verstärkten Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger münden.

Selbstverständlich ist es ausgesprochen wichtig, nicht den Anschluss zu verlieren, wenn es um immissionsfreie Mobilität geht. In der Tat sind uns da andere Länder auf der Erde voraus. Insofern hat der Antrag der Piraten durchaus das richtige Thema angesprochen. Es handelt sich um eine industriepolitische Frage, wohin sich Industrie und Antriebstechnologie in unserem Land entwickeln.

Was derzeit in Kalifornien im Zusammenhang mit der Markteinführung von Elektrofahrzeugen passiert, führt dazu, dass man dort in dieser Technologie führend ist und dass wir hinterherlaufen. Das darf dauerhaft nicht so sein, und deshalb müssen wir uns genau an dieser Stelle Gedanken machen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. Das war eine Überziehung der Redezeit von exakt drei Minuten dreißig. – Als weitere Redner haben sich jetzt Herr Moritz von der CDU und Herr Rasche von der FDP zu Wort gemeldet. Ihnen steht diese Redezeit entsprechend zur Verfügung.

Arne Moritz (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich fand es sehr interessant, dass gerade Sie jetzt zu diesem Tagesordnungspunkt gesprochen haben. Das war ein Punkt, der eher den Verkehrsminister betroffen hätte,

(Beifall von der CDU)

vielleicht auch noch den Wirtschaftsminister, der hier im Hause ist.

Es lässt in diesem Hause und insbesondere bei dieser Landesregierung schon tief blicken, wenn der Wirtschaftsminister hier im Raume sitzt und zu diesem Thema nicht sprechen darf.

(Beifall von der CDU)

Das ist für uns und für die Bürgerinnen und Bürger im Land der klare Beleg dafür, welchen Stellenwert die Industriepolitik bei dieser Landesregierung hat. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Moritz. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt noch einmal Herr Kollege Rasche.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Christof Rasche (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Ott, der Kollege Moritz hat doch recht. Umweltminister Johannes Remmel hat von einer Kehrtwende und von den Kernfragen der Automobilindustrie gesprochen. Das ist Industriepolitik schlechthin.

Es ist schon verwunderlich, warum dazu nicht ein Verkehrsminister oder ein Wirtschaftsminister redet, sondern der Umweltminister, der ganz andere Ziele verfolgt. Genau das haben wir heute schon in der Debatte festgestellt, als nämlich der Kollege Klocke und Frau Philipp von der SPD völlig unterschiedliche Ansätze verfolgt haben, die sich elementar widersprochen haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Aber der Umweltminister spitzte es ja noch zu: Er sprach von einer „allgemeinen Industriepolitik in Nordrhein-Westfalen“, die er verändern möchte. Das ist doch eine Kernfrage der Landesregierung, insbesondere vom Wirtschaftsminister oder vom Verkehrsminister – eigentlich sogar von der Ministerpräsidentin unseres Landes,

(Beifall von der FDP und der CDU)

und nicht nur vom Umweltminister, der hier alleine vorprescht wie in vielen anderen Bereichen auch.

Gleich um 16 Uhr sind Vertreter der nordrhein-west-fälischen Zementindustrie zu Besuch beim Wirtschaftsminister. Vielleicht hätten sie lieber zum Umweltminister gehen sollen;

(Beifall und Heiterkeit von der FDP und der CDU)

denn sie möchten bereden, wie es mit der Zukunftsfähigkeit der nordrhein-westfälischen Zementindustrie aussieht. Da kommen große Gefahren auf uns zu, weil der Umweltminister Gesetze vorgelegt hat, die diesen Industriestandort gefährden.

Man muss sich tatsächlich fragen, wer in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zuständig ist für die Zukunft des Industriestandortes dieses Landes. Anscheinend ist es der Umweltminister. Das möchten wir als Freie Demokraten wieder ändern. Wir möchten, dass so etwas von Politikern bestimmt wird, die grundsätzlich ein wirtschaftsfreundliches Denken in diesem Land vertreten, so wie es eigentlich der Wirtschaftsminister tut. Er kann das Wort ja noch ergreifen, denn die Landesregierung darf ihre Redezeit immer überziehen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Piratenfraktion hat sich der Kollege Bayer gemeldet.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Ich gehe davon aus, dass wir diesen Antrag in den Verkehrsausschuss, in den Wirtschaftsausschuss und in den Umweltausschuss überweisen werden. Insofern haben alle drei Ausschüsse die Möglichkeit, darüber noch einmal zu debattieren. Mir wurde gerade angetragen, dass das Ganze auch noch bei dem Ressort Gesundheit hätte angesiedelt sein müssen;

(Beifall von den PIRATEN)

denn das betrifft zu einem großen Teil auch die Gesundheit der Menschen in diesem Land.

Herr Rasche, wir stellen fest, dass Herr Remmel seine Redezeit deutlich überzogen hat. Daran und auch anhand der öffentlichen Wahrnehmung wird klar, dass die Politik auf diesen Skandal reagieren muss. Sie hat die Pflicht, das Ganze politisch auszunutzen. Das muss nicht parteipolitisch erfolgen; wir könnten uns ja auch einig sein.

Klar ist jedoch, dass sie diesen Weckruf nutzen muss. Diese Gelegenheit verstreichen zu lassen, wäre fahrlässig. Dann hätten Sie recht, und es würde weiterhin versucht, den Dieselmotor mit Milliarden Euro weiter auszureizen. Das führt aber zu nichts, weil der Dieselmotor zu Ende entwickelt ist und irgendwoher etwas Neues kommt, was möglicherweise noch viel günstiger zu produzieren ist. Dann haben die Zuliefererbetriebe in Nordrhein-Westfalen das Nachsehen.

Ich werde gleich nicht zur Zementindustrie gehen, sondern zum Parlamentarischen Abend des DLR. Da erkennt man die politische Ausrichtung.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das war jetzt wirklich ein Paradebeispiel. Ich will es dem Kollegen Rasche nicht übel nehmen, dass er versucht, sich als potenzieller Koalitionspartner anzubieten, indem er immer wieder diese Nummer von der Zwietracht zwischen den Ministern fährt – alles geschenkt.

Ein solches Paradebeispiel für das Ignorieren von Problemen und Aufgabenstellungen, wie es der Kollege Moritz gerade geboten hat, habe ich jedoch nicht erwartet.

(Zurufe von der CDU)

Ich sage das als jemand, der seit 30 Jahren einen VW Passat Diesel fährt und der vor drei Jahren stolz auf den letzten neuen Passat war – ein Passat BlueMotion, 1.500 km Reichweite, wenn man vernünftig fährt. Ich habe gedacht, dass ich mir ein technisch hervorragendes neues Fahrzeug kaufe. Ich war bislang immer dankbar für die Zuverlässigkeit, mit der diese Autos gefahren sind.

Ich fühle mich jetzt ein Stück weit betrogen von einem Konzern, der offensichtlich wusste, was er da machte, der aber, wenn er zu solchen Methoden greift, nicht daran denkt – darauf sind Sie nicht eingegangen –, welche Auswirkungen das für unsere Automobilindustrie hat, die – das ist völlig richtig – ein Kernelement der Beschäftigung und des industriellen Wohlstands darstellt.

Aus den USA und auch aus anderen Ländern kennen wir Elektrofahrzeuge wie den Tesla mit einer Reichweite von 400 oder 500 km. Wenn Sie bei uns einen neuen Wagen kaufen wollen und sich nach Elektrofahrzeugen erkundigen, dann fragen Sie: Was ist mit unseren Premiumfirmen? Was ist mit VW? Dann sehe ich bei VW ein Elektrofahrzeug, und das hat eine Reichweite von maximal 130 km, im Winter oder Sommer hat er 60 km netto Reichweite. Das ist doch ein völlig unzureichendes Angebot. Insofern hat der Kollege Klocke völlig recht.

Fukushima war für die Japaner eine Katastrophe. Wir hoffen nicht, dass diese Vorfälle zu einer Katastrophe für unsere Autoindustrie werden.

Das Warnsignal, dass man nicht auf eine Technologie setzen sollte, die möglicherweise nicht in den Griff zu bekommen ist, muss man jedoch zur Kenntnis nehmen. Sie haben in der Großen Koalition unter Merkel immer wieder gesagt: 1 Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen in fünf Jahren. Damit waren nicht Elektrofahrräder gemeint, sondern damit waren Autos gemeint.

(Beifall von den GRÜNEN)

Kollege Klocke hat recht, wenn er die Zahl 10.000 nennt. Wo sind diese Autos denn in der deutschen Produktion zu finden? Wir brauchen sie unbedingt als Alternative. Wir wissen genau, dass unsere Verbrennungsmotoren, die technisch eigentlich sehr gut sind – so ist zumindest ihr Ruf –, noch eine Zeit lang laufen werden. Hier etwas Neues aufzubauen, das ist genau die Aufgabe.

Wenn man die Augen so verschließt, wie Sie das eben gemacht haben, Herr Moritz, wenn man die Prozesse so verdrängt, dann werden alle anderen uns zuvorkommen. Wir als Grüne waren immer dafür, eine Ankaufsprämie als Anreiz zu setzen – so wie das damals Ihr Bundeskanzler Kohl im Zuge der Entwicklung der Windindustrie gemacht hat –, damit die ersten 100.000 Elektrofahrzeuge tatsächlich auf die Straße kommen, nach dem Motto: Ankaufprämie statt Abwrackprämie. Wenn wir eine solche Prämie jetzt aussetzen würden, würden wir die französische Autoindustrie anschieben; denn die sind in Europa weiter als wir. Das ist doch der Kern der Katastrophe.

Wie sieht denn das Angebot unserer Firmen aus? – Wenn ich richtig informiert bin, hält lediglich BMW ein halbwegs vernünftiges Angebot vor. Alle anderen deutschen Premiummarken bieten im Elektrobereich nichts, was Sie als normale Autonutzer tatsächlich kaufen oder nutzen würden. Das ist doch das Bedauerliche.

Wenn man dann die Augen derart verschließt und alles verdrängt, wenn man mit Unterstellungen operiert, dann schadet man im Kern diesem Industriestandort. Man schadet ihm, weil man nicht dabei mitwirkt, dass die Entwicklung nach vorne geht. Das ist im Kern Ihr Fehler. Da gibt es keine Differenz zwischen den beiden Regierungsfraktionen. Das ist alles Quatsch, das ist alles Popanz. Sie drücken sich am Kern des Problems vorbei, und ich weiß nicht, warum. Aber das könnte sich bitter rächen. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/10059 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr – federführend –, an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

8   Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken – Innerstädtische Quartiere und ländliche Räume brauchen Vielfalt und Versorgungssicherheit

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/10072

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion der Frau Kollegin Müller-Witt das Wort.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der boomende Onlinehandel saugt die Kaufkraft aus den Innenstädten, vor allem aus den kleinen – so Bundeswirtschaftsminister Gabriel im Rahmen der Dialogplattform Einzelhandel.

Ja, der Trend hält unvermindert an und verstärkt damit einen anderen Trend, nämlich den kontinuierlichen Rückgang des inhabergeführten Einzelhandels zugunsten der sogenannten Ketten, die oft schon als Multi-Channel-Anbieter aufgestellt sind. Im ländlichen Raum ist der Verlust an örtlicher Nahversorgung noch zusätzlich dem sich dort stärker auswirkenden demografischen Wandel geschuldet. Dabei ist es gerade die Vielfalt des Einzelhandels, die die Innenstädte und Unterzentren neben anderen Einflüssen lebendig und attraktiv macht oder auch im ländlichen Raum für die örtliche Nahversorgung sorgt.

Innenstädte, Mittel- und Unterzentren haben über die Versorgung mit Produkten des Einzelhandels als Quartierszentren und Ortszentren weit mehr zu bieten. Sie sind Ort für soziale Kontakte und für ehrenamtliches Engagement. Der zunehmende Leerstand in diesen Gebieten aufgrund des Umsatzrückganges im stationären Einzelhandel hat weit mehr Folgen als leere Ladenlokale.

SPD und Bündnis 90/Die Grünen legen deshalb heute einen Antrag vor, der zum Ziel hat, Impulse zu setzen, beide Welten des Handels – digital und stationär – miteinander zu verbinden. Gleichzeitig soll auch die Stärkung des Quartiersgedankens der Innenstädte und der ländlichen Unterzentren durch die Erschließung neuer Chancen für den stationären Einzelhandel bewirkt werden.

Der vorliegende Antrag möchte die Verbindung von stationärem und Onlinehandel, also den Multi-Channel-Vertrieb, für den Einzelhandel im Rahmen eines Projektaufrufs in allen fünf Regierungsbezirken unseres Landes systematisch untersuchen. Der Projektaufruf soll sowohl Städte unterschiedlicher Größe als auch den ländlichen Raum erfassen. Diese ganz bewusst angelegte Erfassung unterschiedlicher Voraussetzungen wird damit auch der Vielfalt unseres Landes gerecht.

Initiativen wie beispielsweise in Wuppertal oder Mönchengladbach sind zwar erste Versuche, den Multi-Channel-Handel in zwei Städten des Landes aufzubauen, lassen aber nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf Kommunen anderer Größe in anderem Umfeld zu, im ländlichen Raum zum Beispiel.

Es ist jetzt schon festzustellen, dass gerade der inhabergeführte Einzelhandel, aber auch häufig die ehrenamtlich geführte Werbegemeinschaft, zunächst eine Begleitung auf dem Weg zum Onlinevertrieb benötigt – sei es, weil das nötige Know-how fehlt, oder sei es, weil die individuelle Schaffung einer Onlineplattform nicht wirtschaftlich darstellbar ist. Dies zeigen auch die teils individuell gestalteten Versuche des Handels, online ein zweites Standbein aufzubauen.

Insbesondere durch eine gemeinsame professionelle Plattform können Synergieeffekte erzielt werden, die auf jeden Fall mit in die Betrachtung einbezogen werden müssen.

Schließlich soll der Projektaufruf auch wissenschaftlich begleitet werden. Im Rahmen einer Evaluierung des Projektes werden die Ergebnisse der zukünftigen Aufstellung des Einzelhandels in unserem Land zur Verfügung stehen.

Da ein solcher Projektaufruf nur dann sinnvoll ist, wenn alle mit den skizzierten Fragestellungen befassten Ministerien und Verbände eingebunden sind, sollen neben dem federführenden Wirtschaftsministerium auch das Ressort Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes, das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur und Verbraucherschutz, die kommunalen Spitzenverbände, die Industrie- und Handelskammern sowie der Einzelhandelsverband gemeinsam den Projektaufruf vorbereiten und starten.

Es ist unserer Ansicht nach eine gemeinsame Aufgabe aller erwähnten Akteure, sich den neuen Herausforderungen an den Einzelhandel zu stellen und somit der Verödung der Zentren zugunsten des Onlinehandels entgegenzuwirken. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir beobachten im Einzelhandel permanente Veränderungsprozesse. Die Namen Woolworth, Karstadt, Horten haben unsere Innenstädte geprägt und sind in Teilen auf dem Rückzug. In der Peripherie finden sich zunehmend Lebensmittelsupermärkte. Auch das hat den Einzelhandel in den Städten stark verändert.

Aber jetzt kommt die größte technologische Revolution unserer Zeit, die Digitalisierung. Das bedeutet eine erneute, sehr große Herausforderung für den Handel und den Einzelhandel. Namen wie Amazon und Zalando, die neue leichte Verfügbarkeit für die Käufer, bequem von zu Hause aus übers Internet bestellen und gegebenenfalls bei Nichtgefallen ohne Kosten zurückschicken – das ist das neue Modell. Das macht dem Handel in den Städten schwer zu schaffen, weil er Marktanteile verliert.

Ich gestehe, dass ich eine klammheimliche Freude hatte, als neulich bekannt wurde, dass Zalando schlechte Quartalszahlen schreibt. Die Rücksendungen und die schlechte Zahlungsmoral machen Zalando zu schaffen. Da habe ich gedacht: So einfach ist das vielleicht doch nicht.

(Zuruf von der CDU)

Auf der anderen Seite ist für uns in den Städten der unternehmergeführte Einzelhandel sehr wertvoll. Unser Buchhändler ist kein namenloser Handelskonzern, der mit schnellem Paketservice arbeitet und sein Personal schlecht behandelt. Er ist Teil des kulturellen und sozialen Mikrokosmos in den Städten und kümmert sich um wesentlich mehr als nur darum, innerhalb von 24 Stunden etwas zu besorgen, obwohl er das auch kann. Das gilt auch für alle anderen; der Buchhandel ist nur ein Beispiel. Auf viele Fachgeschäfte in den Innenstädten – nicht nur in Ballungszentren, sondern auch in ländlichen Räumen – wollen wir auf keinen Fall verzichten.

In einer Reihe von Städten auch in Nordrhein-West-falen – ich nenne Mönchengladbach und Wuppertal – gibt es jetzt Initiativen im üblichen Einzelhandel, die Digitalisierungsmöglichkeiten zu nutzen und den Kunden klarzumachen, dass auch der Einzelhändler in der Stadt das kann, was die großen Versandhändler können. Er hat ein sehr gutes Sortiment, ein sehr gutes Angebot, und im Zweifel hat er in den Städten noch ganz andere Funktionen für die Quartiere, für die Kommunen. Denn eine ländliche Kommune ohne Einzelhandel verarmt genauso wie eine entsprechende Kommune in den Ballungszentren.

Diese Initiativen der Kommunen, die in Wuppertal, in Mönchengladbach anlaufen, wollen wir als Regierungsfraktionen unterstützen. Wir haben uns verständigt, dass wir gerne in jedem Regierungsbezirk eine solche Musterkommune hätten – nicht nur in den großen Städten, sondern auch im ländlichen Raum, in Städten mit kleinerer Einwohnerzahl –, um Initiativen, vor Ort ins Leben gerufen, zu unterstützen.

Damit das gleich klar ist: Wir werden nicht den Geldkübel ausschütten. Es muss eine Initiative vor Ort sein, wie das auch in den anderen Beispielen der Fall ist. Es muss der Einzelhandel vor Ort sein; es muss die Lokalpolitik sein, die das nach diesem Beispiel ausprobieren will. Dann wollen wir das Ganze unterstützen und wissenschaftlich begleiten. Wir wollen auch, dass das, was in diesen Kommunen ausprobiert wird, auf alle anderen übertragbar ist. Es handelt sich also nicht um einen Closed Shop, sondern alle anderen sollen das mitkriegen.

Wer die Gelegenheit hatte, zu verfolgen, was gestern in Wuppertal geschehen ist – viele Interessierte haben sich getroffen –, weiß: Es gibt keine Garantie dafür, dass das klappt. Wir unterstützen vielmehr einen Versuch über drei Jahre – das ist der angedachte Zeitraum –, und dann muss sich zeigen, inwieweit er erfolgreich ist. Das ist ja ein neuer Tätigkeitsbereich. In Wuppertal sind die Anfänge gemacht worden; auch dort muss es sich zu einem tragfähigen Modell entwickeln. Aber es ist jedenfalls eine Initiative, die vor Ort entstanden ist, um selber etwas anzupacken, ohne sich einfach den Prozessen der großen Onlinehändler auszuliefern – ein guter Vorstoß aus den Kommunen.

Das greifen wir als Regierungsfraktionen auf. Wir wollen das weiter ausrollen. Der Wirtschaftsminister, der für den Handelsbereich zuständig ist, soll ein Wettbewerbsmodell ausschreiben, für das sich Kommunen bewerben können. Wir wollen eine qualifizierte Auswahl treffen und den Versuch über drei Jahre begleiten. Ich halte das für gut.

Ich gehe davon aus, dass die Regierungsfraktionen dazu eine Anhörung beantragen werden, um zusammen mit den Handelsverbänden und anderen zu diskutieren, wie die Modellprojekte unterstützt werden und wie weitere Kommunen davon profitieren können. Das ist aus meiner Sicht ein sehr guter Vorschlag.

Wir bitten um Überweisung, aber im weiteren Verfahren auch um Unterstützung und Zustimmung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Stein.

Robert Stein (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Dieser Antrag ist offensichtlich ein missglückter Versuch, eine gerade auf Freiheit basierende Digitalisierung in das enge Korsett einer regulierenden und marktfeindlichen rot-grünen Ideologie zu zwängen

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]

– ja, hören Sie zu! –, und zwar auf einem handwerklichen Niveau, das diesem Parlament kaum würdig ist. Na gut, Sie wollen den Antrag überweisen. Dem werden wir uns nicht verwehren. Trotzdem würde ich Ihnen empfehlen, den so in dieser Form gestellten Antrag besser zurückzuziehen.

(Beifall von der CDU)

Schon in der Begründung gehen die Begrifflichkeiten durcheinander. Sie schreiben von Nahversorgung und reden in der Folge generell vom stationären Handel. Worum geht es Ihnen denn? Etwa um die Nahversorgung mit Lebensmitteln vor Ort, wie sie zum Beispiel digital über Projekte wie Rewe-Online etabliert wird? Oder geht es um den Schuh- oder Textilhändler? Oder eben um alle? – All das wird aus Ihrem Begründungstext nicht richtig deutlich.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dafür schreiben Sie dann etwas von einer digitalen Plattform, auf der Sie auch ehrenamtliche Quartiersaktivitäten von Wohlfahrtsverbänden anbieten wollen. Also, wie das im Detail aussehen soll, müssen Sie uns allen hier bitte noch mal genau erklären. Ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen. Meinen Sie damit irgendwie digitale Tafeln oder die Buchung von Sanitätsdiensten online komplementär zum Shopping im Netz? Es ist mir völlig unklar, wie Sie das meinen. Oder handelt es sich hier – diese Vermutung habe ich eher – um Zugeständnisse an den linken Flügel in Ihrer Koalition, um den Frieden in der Fraktion wahren zu können?

Unklar bleibt auch, wie Sie, wenn Sie eher den gesamten stationären Einzelhandel im Blick haben sollten, die Vielzahl an Geschäften einbinden wollen, die von Franchisenehmern betrieben werden. Denn die machen einen nicht unerheblichen Teil der lokalen Händler aus.

Und dann kommen Sie noch mit einem Angstszenario, dass örtliche Versorgungsstrukturen komplett zusammenbrechen könnten. Natürlich muss die Grundversorgung auch für ländliche Räume gesichert werden; das ist doch gar keine Frage. Aber Sie tun hier gerade so, als ob die Menschen keine Möglichkeiten mehr hätten, ihr Überleben durch die notwendigen Einkäufe, die getätigt werden müssen, zu sichern.

(Dietmar Bell [SPD]: Das ist doch Quatsch!)

Die Versorgungsstruktur wird doch durch neue digitale Angebote deutlich verbessert. Amazon & Co. arbeiten testweise schon mit taggleichen Lieferungen. Dass Sie hier Angstszenarien vom Zusammenbruch lokaler Versorgungsstrukturen durch destruktive digitale Entwicklungen bemühen, zeigt doch eigentlich auf entlarvende Weise, wie digitalisierungsfeindlich Sie manchmal denken.

Und wieso jetzt unbedingt Steuergelder verschwendet werden sollen, um in den fünf Regierungsbezirken im Einzelhandel nach dem Gießkannenprinzip Testballons zu starten, bleibt ein Rätsel – und das auch noch für etwas, das auch ohne unser Zutun stattfindet und das auch ohne Auftrag des Parlament an die Landesregierung wissenschaftlich begleitet wird.

Sie schreiben weiter in Ihrem Antrag, 20 % der Innenstadtbesucher gäben an, verstärkt online einzukaufen. Sie vergessen dabei aber völlig, eine Quelle anzugeben. Deshalb bleibt unklar, woher Sie diese Zahl nehmen. Wenn man eine Internetrecherche betreibt, findet man ein Sammelsurium aller möglichen Zahlen aus unterschiedlichen Publikationen. Ihre Behauptung können wir daher leider nicht überprüfen. Daher noch einmal die Frage: Woher haben Sie diese Zahlen? Machen Sie das bitte transparent.

Ich könnte jetzt noch unzählige weitere Beispiele bringen,

(Dietmar Bell [SPD]: Bitte nicht!)

die belegen, wie schlampig Sie im Endeffekt bei diesem Antrag gearbeitet haben, ich will es aber mit meiner Kritik dabei belassen. Nicht unterlassen möchte ich es, abermals zu betonen, dass es natürlich wichtig ist, unserem Einzelhandel den Weg ins digitale Zeitalter zu bereiten …

(Dietmar Bell [SPD]: Hört, hört!)

– Da sind wir gar nicht so weit auseinander, wenn Sie sagen, der Einzelhandel müsse sich digitalisieren. Dann stellen Sie aber bitte einen sinnvollen Antrag, und liefern hier nicht so ein Stückwerk ab.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

In diesem Zusammenhang helfen solche Angebote wie die Online City Wuppertal, auch wenn dort bis vor Kurzem die Bestellzahlen nicht so unglaublich hoch gewesen sein sollen. Ich erinnere daran: Das Projekt befindet sich noch in der Frühphase. Insofern muss man noch ein bisschen abwarten, bevor man valide Aussagen treffen kann. Wir werden es sehen.

Ich sehe allerdings nicht ein, warum gerade die rot-grüne öffentliche Hand ins Geschehen eingreifen muss und damit das Ganze eher behindert. Sie haben mit diesem Antrag nämlich ein straffes Korsett vorgegeben: Sie haben die Wohlfahrtsverbände aufgeführt; Sie sprechen von Nahversorgung; Sie sprechen von stationärem Handel. Dann haben Sie die IHKs mit hineingenommen, ebenso die Wissenschaft.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Stein, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Priggen zulassen?

Robert Stein (CDU): Das können wir im Anschluss gerne machen. – Und gleichzeitig nehmen Sie in Ihrem Antrag im Rahmen der Digitalisierung eine Begrenzung auf den Bereich „Verkaufskanal“ vor. Dabei bedeutet „Digitalisierung“ viel mehr; das beinhaltet schließlich auch Elemente wie Warenlogistik, Werbung, Beratung usw.

Eines möchte ich auch noch sagen: Den Händlern vor Ort muss klar sein, welche Verkaufsargumente ihnen im digitalen Zeitalter bei gegebener Qualität der Produkte bleiben. Das sind nämlich Preis und Liefergeschwindigkeit. Wenn Amazon & Co. flächendeckend taggleich liefern können, dann wird es der Einzelhandel in der Tat richtig schwer haben.

Also, wir begrüßen natürlich die Transformation unserer Wirtschaft und auch des Handels in Richtung Digitalisierung, aber Rot-Grün sollte sein Augenmerk lieber auf den Breitbandausbau …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege!

Robert Stein (CDU): – Ich komme zum Ende. – … und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für innovative Start-ups richten, statt mit einem solchen Antrag bestenfalls Klientelpolitik zu betreiben. – Danke sehr.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Jetzt hat Herr Kollege Priggen das Wort. Bitte schön.

Reiner Priggen (GRÜNE): Schönen Dank, Herr Präsident. – Ich habe auch nur eine kurze Frage: Waren Sie schon in Wuppertal? Haben Sie sich diesen Modellversuch angeschaut und selbst erlebt, wie sich die Händler vor Ort eine Unterstützung wünschen?

Robert Stein (CDU): Ich kann Ihnen sagen, dass dieses Thema in vielen Kommunen diskutiert wird. In Hamm haben wir eine ähnliche Initiative, aber dort scheitert es gerade an der Diskussion, welche Plattform benutzt werden soll. Das alles ist natürlich schädlich.

Sicherlich ist es sinnvoll, diese Maßnahmen zu tätigen. Das spreche ich Ihnen auch gar nicht ab. Aber ich frage mich, warum die öffentliche Hand aufgefordert werden soll, das Ganze zu begleiten, obwohl es mit atalanda doch schon anläuft – und das, wie atalanda und die ersten Händler sagen, gar nicht mal so schlecht.

Ich verstehe nicht, warum in dieses Konzept noch die Handwerkskammern oder die Wohlfahrtsverbände eingebunden werden sollen. Das alles kann im Endeffekt doch dem freien Marktgeschehen überlassen bleiben. Dies ist jedoch die Ideologie, die Ihrem Denken zugrunde liegt. Wir sagen: Die öffentliche Hand muss im operativen Bereich nicht tätig werden. Vielmehr sind wir der Meinung, dass die Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden. Das unterscheidet uns ganz einfach. – Danke sehr.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Digitalisierung ist das Thema der heutigen Zeit, und das nicht erst seit der Regierungserklärung der Ministerpräsidentin. Für die Freien Demokraten ist es ein großes Anliegen, sich für den Einzelhandel in unseren Innenstädten starkzumachen. Die rund 700.000 Beschäftigten und Azubis in den rund 100.000 Einzelhandelsbetrieben in Nordrhein-Westfalen verdienen es, dass wir uns an zentraler Stelle mit ihnen beschäftigen.

Durch die Digitalisierung kommt es zu großen Marktveränderungen. Das Kaufverhalten der Kunden hat sich geändert, und darauf muss ein Einzelhändler reagieren. Daher ist es gut, dass die Bundesregierung Modellprojekte zur besseren Vernetzung von Onlineverkauf und traditionellem Einzelhandel auf den Weg gebracht hat.

So wie wir uns bemühen, die Weichen für Industrie 4.0, für Handwerk 4.0 oder Wirtschaft 4.0 richtig zu stellen, sollten wir auch den Handel verstärkt in den Blick nehmen und ihn bei der Bewältigung der großen Herausforderungen der digitalen Transformation unterstützen.

Die besten Maßnahmen sind dabei immer solche, die den Betrieben Luft zum Atmen lassen, die es ihnen erlauben, sich dem Wettbewerb etwa aus dem Onlinehandel zu stellen und sich selbst mit digitalen Geschäftsmodellen oder neuen Marketing- und Vertriebswegen besser auf dem Markt zu positionieren.

Wie soll allerdings ein etablierter Händler erfolgreich mit einem Onlineanbieter konkurrieren, wenn er an ein unflexibles Ladenöffnungszeitengesetz gebunden ist? Hier wäre es möglich, den Händlern mehr Freiraum zu geben, um die Kundenbedürfnisse auch im heutigen Zeitalter zu befriedigen.

(Beifall von der FDP)

Viele Einzelhändler leben noch immer von der individuellen Beratung, vom professionellen Kundengespräch und vom Verkauf vor Ort. In einem geschlossenen Geschäft wird allerdings weder beraten noch verkauft.

Wenn Sie nun aber den Einzelhandel stärken wollen, dann brauchen Sie neben einem liberalen Ladenöffnungszeitengesetz attraktive Innenstädte, die gut mit dem Auto und dem ÖPNV erreichbar sind, Innenstädte, die gut gestaltet, sauber und ansprechend sind. Hierfür müssen Sie die Städte aber in die Lage versetzen, entsprechende Investitionen zu tätigen und die Innenstädte wieder spannend zu machen.

(Beifall von der FDP)

Schließlich werden die im Antrag skizzierten Projekte zur Förderung der Verzahnung von Onlinehandel und stationärem Handel ins Leere laufen, wenn Rot-Grün nicht endlich aus dem breitbandpolitischen Tiefschlaf erwacht. Wie soll ein Einzelhändler gerade im ländlichen Bereich ein erfolgreiches Onlinegeschäft aufbauen, wenn die Internetverbindung in seiner Region lediglich Zeitlupengeschwindigkeit erlaubt?

Die Regierungskoalition hat hier einen Antrag vorgelegt, der nicht nur die wichtigsten Fragen der nordrhein-westfälischen Einzelhändler mehr oder weniger elegant umschifft; er blendet auch bereits laufende Aktivitäten völlig aus und kommt so im Grunde ohne eigene Vorschläge aus.

(Beifall von der FDP)

Herr Priggen, Sie sprachen das erfolgreiche Projekt „Online City“ aus Wuppertal an. Dabei handelt es sich um ein Pilotprojekt der nationalen Stadtentwicklungspolitik des Bundes, gefördert durch das Bundesbauministerium. Es wurde also vor Ort mit Einsatz, Engagement und auch Förderung des Bundes eine Initiative ins Leben gerufen. Viele Partner aus Wirtschaft, Medien und Verwaltung sind bereits an Bord. Die Regierungskoalition hinkt mit ihrem Vorschlag eines Projektaufrufes also der Entwicklung Jahre hinterher.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Hafke, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Priggen zulassen?

Marcel Hafke (FDP): Sehr gern, Herr Präsident.

Reiner Priggen (GRÜNE): Schönen Dank, Herr Präsident. Schönen Dank, Herr Kollege Hafke. – Sofort zugestanden: Das Projekt in Wuppertal ist initiiert aus dem Wettbewerb des Bundes, und dem Bund ist dafür zu danken. Das ist völlig akzeptiert.

Die „Online City“ in Wuppertal ist ein Versuch, die Einzelhändler vor Ort haben angefangen, sie brauchen noch etwas mehr Zeit, aber es gibt sehr positive Effekte. Ist es vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, solche Projekte etwas länger zu unterstützen – nicht ad ultimo – und auszuwerten und nicht nur eine Stadt einzubeziehen, sondern eine weitere Stadt mit beispielsweise 40.000 Einwohnern oder andere ländliche Gemeinden dazuzunehmen? Ist es nicht als Angebot – das ist schließlich keine Zwangsbeglückung, sondern ein Angebot an Kommunen und engagierte Beteiligte vor Ort, in Fortsetzung des Bundesversuchs; das gestehe ich zu und steht völlig außer Frage – trotzdem ein sinnvoller Vorstoß?

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank für diese Frage, Herr Priggen. Ich komme aus der Stadt Wuppertal, und ich finde, das ist ein sehr gutes Projekt. Der Bund hat neben Wuppertal noch 19 andere Standorte gefördert, von großen bis zu kleinen Städten, in denen diese Pilotprojekte getestet werden, um festzustellen, ob sie einen sinnvollen Nutzen darstellen. Da sind wir, glaube ich, auch sehr nah beieinander.

Die Kernfrage ist doch, ob das Land genau das Gleiche machen muss, was der Bund im Moment sowieso schon macht. Warten Sie doch die Ergebnisse des Bundes ab, und ziehen Sie daraus Schlussfolgerungen, wie man die Kommunen dabei unterstützen kann.

(Beifall von der FDP)

Jetzt einen Antrag in dieser Form auf den Weg zu bringen, ist meines Erachtens nicht zielführend, sondern eher eine Verschwendung von Fördermitteln. Schließlich macht der Bund das schon, und Sie können dann die entsprechenden Konsequenzen für das Land daraus ziehen. Deswegen plädiere ich dafür, die Erprobung von Pilotprojekten wie „Online City“ erst einmal abzuwarten.

Als letzten Punkt müssen die grundlegenden Rahmenbedingungen im Einzelhandel verbessert werden, damit die Umsätze vor Ort entsprechend gesteigert bzw. gehalten werden können und auch der Onlinehandel daran verdienen kann und wir ihn nicht ins Ausland verlieren.

Unter dem Strich begrüße ich zwar den hier postulierten Wunsch der Koalition, den Einzelhandel auf dem Weg in die digitale Zukunft zu unterstützen. Ihre praktische Politik – das hatte ich bereits ausgeführt – läuft meines Erachtens allerdings in die falsche Richtung. Deswegen glaube ich, dass der Antrag an dieser Stelle nicht zielführend ist. Ich freue mich aber auf die Debatte im Ausschuss und bin auf weitere Argumente gespannt, die wir dann – Sie haben es ja schon angekündigt – von den Experten noch einmal hören werden, um vielleicht auch eine entsprechende Schlussfolgerung daraus ziehen zu können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Piraten spricht der Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Besucher hier und am Stream gleich neben der Onlinebestellung! Herr Priggen, Sie haben Zalando erwähnt. Sie verspüren also eine klammheimliche Freude, wenn es dem Logistikvorbild der Innovationsregion Rheinisches Revier schlecht geht. Na ja, okay.

Des Weiteren sprachen Sie von drei Jahren Garantie. Drei Jahre ohne Garantie machen Sie diese Projekte. Dann frage ich mich natürlich, ob das bekannte Rückgaberecht aus dem Onlinehandel gilt; denn das würde man vielleicht in Anspruch nehmen. Oder noch besser: Wenn die Projekte tatsächlich durchgeführt werden, dann sollte der Auftrag des Landtags so gut wie möglich sein und kein Sammelsurium von Dingen, die man einmal gehört hat. Es hilft auch nichts, wenn Sie sich abermals auf ehrenamtliche Aktivitäten stützen wollen; denn die haben Sie als Landesregierung schon an anderer Stelle sehr oft in Anspruch nehmen müssen.

Realitätscheck: Sie wollen belebte Innenstädte – Zielgruppe: Shopping- und Einkaufserlebnis – und setzen in diesem Zusammenhang auf die Einbindung von Geschäftsstellen der Wohlfahrtsverbände. Wie sexy sind denn Geschäftsstellen von Wohlfahrtsverbänden? Ich fürchte, dann wird sich in der Innenstadt höchstens ein kleiner werdender Kreis von SPD-Mitgliedern wohlfühlen. Das ist nicht gut für die Belebung der Innenstädte.

(Zuruf von Reiner Priggen [GRÜNE])

Bereits Ihre Analyse der Situation stützt sich auf Hörensagen. Sie wollen am Ende eine wissenschaftliche Begleitung, aber Sie ignorieren die zahlreichen Studien, die es bereits dazu gibt. Damit hätten Sie in den 90er-Jahren kommen können, aber nicht jetzt.

Leerstände zum Beispiel sollen die Folge des Onlinehandels sein. Sie blenden dabei aber vieles andere aus. An den meisten Ursachen ist die Politik direkt beteiligt, zum Beispiel daran, dass seit Jahren ungebrochen immer neue Einzelhandelsflächen innerhalb und außerhalb der Innenstädte geschaffen werden. Die Angst der Kommunen, im Wettbewerb mit anderen Kommunen an Kaufkraft zu verlieren, hat zu einer ruinösen Ausweisung von Verkaufsflächen geführt.

Dass die Grundversorgung mancherorts wegbricht, hat zunächst auch nichts mit dem Onlinehandel zu tun und ebenso wenig mit dem demografischen Wandel. Früher gab es in jedem kleinen Weiler Metzger, Bäcker, Tante-Emma-Laden und Kneipe. Die meisten dieser Orte sind in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen und nicht geschrumpft, und dennoch gibt es dort mittlerweile weniger Einrichtungen. Schrumpfende Gemeinden sind eher die Folge schlechter Versorgung und nicht die Ursache. Die Ursache liegt in vernachlässigten Strukturen.

Wenn wir schon bei diesem Thema sind, möchte ich noch eines hinzufügen: Sie werden wissen, weshalb Sie den Antrag erst jetzt stellen, wo Sie erstmals ein wenig in den Breitbandausbau investieren. Mit Ihren unzureichenden Breitbandausbauplänen werden Sie auch im Jahre 2018 nur 90 % der Fläche mit Internet versorgen. 10 % können also gar nicht vom Onlinehandel betroffen sein.

Da fragt sich: Wird nun gerade der Einzelhandel in den Kommunen ohne Internet eine rosige Zukunft haben? Nein, wird er nicht. Onlinehandel als Risiko zu sehen, ist mehr als einseitig. Der Internethandel ist vielmehr sehr oft ein großes Glück für die Menschen in den unterversorgten Gebieten dieses Landes und ein Glück für Kaufleute abseits der Einkaufsstädte, die ihre speziellen Produkte sowohl in einem Ladenlokal als auch weltweit verkaufen können.

Und sie tun es. Sie tun es massenweise, gerne nach dem Motto: mehr Service, kleiner Laden, großes Lager. In meinem Viertel gibt es zahlreiche Fachgeschäfte mit Produkten von der E-Zigarette bis zum Mähroboter, die ohne Onlineshop nicht existieren würden.

Aber da hört es ja längst nicht auf. Ich kenne hier in Düsseldorf Läden wie „Emmas Enkel“, die das Einkaufserlebnis neu definieren, die online und offline und auch per Sprachtelefon alle Kanäle bedienen, die liefern und ganz nach Wunsch alles vermischen und auf die lokale Kundschaft zugeschnitten sind. Der Multi-Channel-Vertrieb ist gelebte Realität, und zwar gerade bei denen, die nicht einer Kette angehören.

Die festgeschriebenen Innovationen des Antrags wie Abholzentren können da an Kreativität längst nicht mithalten. Es ist auch nicht Aufgabe des Landtags, Geschäftsleuten zu erklären, wie sie ihr Geschäft zu führen haben. Ein bisschen online, ein Kurs, eine Beratung, die erklärt, wie man bei Ebay ein Produkt einstellt – das kann nicht ernsthaft Teil einer großen Landesstrategie zur Rettung des Einzelhandels sein. Das ist keine Strategie, sondern eine Scheinteilhabe, eine absehbare Fehlinvestition und schlicht dann Steuerverschwendung.

Was Politik leisten kann und soll, ist: Rahmenbedingungen schaffen für fairen Wettbewerb und den Nährboden schaffen für Kreativität und neue Ideen. Fördern Sie Experimente, mutige und auch risikoreiche Unternehmensgründungen! Denn daraus entstehen dann wirklich neue Shoppingwelten.

Genau dies allerdings sieht Ihr Antrag nicht vor. Bevor Sie Projekte starten, muss also an dem Antrag noch ganz hart gearbeitet werden. Ich werde mal so naiv sein, zu glauben, dass das klappen kann. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. Herr Kollege Bayer, ich möchte Sie doch ermahnen, mit Ihren Worten etwas vorsichtiger umzugehen. Sie haben gerade von der „klammheimlichen Freude“ gesprochen. Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Begriff „klammheimliche Freude“ aus einer anderen Zeit kommt, als damals Generalbundesanwalt Buback ermordet worden ist.

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Das hat Herr Priggen gesagt! Ich habe ihn zitiert! – Zuruf von den PIRATEN: Das war der Kollege Priggen!)

– Ja, Sie sind auf den Kollegen Priggen eingegangen. Dieser Begriff „klammheimliche Freude“ ist nicht parlamentarisch. Ich bitte Sie sehr herzlich, so in Zukunft nicht mehr zu argumentieren und diese Formulierung zu überdenken. Vielen Dank.

Für die Landesregierung rufe ich Herrn Minister Duin auf.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anders als Herr Stein, der auf die sehr konkrete Frage des Abgeordneten Priggen ja nicht antworten konnte, ob er nun schon einmal in Wuppertal gewesen ist, um sich das anzugucken, oder nicht, war ich gestern da und habe den Local Commerce-Kongress in Wuppertal eröffnet. Dort wurden die ersten Ergebnisse und Erkenntnisse des Pilotprojekts „Online City Wuppertal“ präsentiert.

Da kann man nur zu dem Ergebnis kommen: Das ist ein gutes Projekt. Es ist auch deswegen ein gutes Projekt, weil dort nicht eitel Sonnenschein präsentiert wird nach dem Motto, das läuft jetzt schon alles, nur weil wir ein solches Projekt haben, sondern es wird auch über die negativen Erfahrungen, die man gemacht hat, ausführlich gesprochen. Davon können viele profitieren. Es zeigt vor allen Dingen aber, dass es sich für den stationären Einzelhandel lohnt, auch online präsent zu sein, zum Beispiel gemeinsam mit anderen auf einer Plattform wie eben der Online City Wuppertal.

Ich habe es heute Morgen in einer anderen Debatte schon einmal gesagt. Die Digitalisierung steht nicht vor der Tür. Die hat – in diesem Bild kann man, glaube ich, bleiben – den Laden längst betreten. Das zeigen die Zahlen. Etwa 9,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger NRWs haben im vergangenen Jahr mindestens einmal Waren und Dienstleistungen für private Zwecke über das Internet bestellt. Das sind drei Viertel aller Onlinenutzer an Rhein und Ruhr.

Zudem sagt heute – auch da lohnt es sich, eine entsprechende Untersuchung mal zu studieren – jeder fünfte Innenstadtbesucher, er kaufe verstärkt online ein, und er besuche die Innenstadt aus diesem Grund seltener zum Einkaufen. Dazu passt auch, dass mehr als die Hälfte der Einzelhändler sinkende Kundenzahlen in den Geschäften registrieren und der Onlinehandel scheinbar unaufhaltsam wächst.

Nicht nur das von den Einzelhändlern oft beklagte Offline-beraten-Lassen, also im Laden, und online dann woanders kaufen, ist festzustellen; vielmehr funktioniert es auch andersherum. Immer mehr Kunden informieren sich vor der Fahrt in die Stadt online über Öffnungszeiten, über Produkte, über Preise und über Verfügbarkeiten, um dann im Laden einzukaufen.

Auch während des Einkaufs ist das Internet dank der Tablets und dank der Smartphones mittlerweile immer präsent. Damit sehen sich Händler und Hersteller einer immer stärker wachsenden Transparenz gegenüber.

Die Frage ist: Wie ist auf diese neuen Aufgaben zu reagieren? Ich halte überhaupt nichts davon, Kunden in den Läden die Benutzung von Smartphones zu verbieten oder in einer Aktion Schaufensterscheiben zu verkleben. Damit möchte man nur bei den Kunden ein schlechtes Gewissen erzeugen. Das führt dann eher zu Trotz und endgültiger Abwanderung.

Deswegen ist meine feste Überzeugung – das habe ich auch gestern in Wuppertal vor sehr vielen Menschen, die sich wegen der Initiative Wuppertals zu diesem Thema dort eingefunden hatten, gesagt –: Das Selbstverständnis des stationären Einzelhandels muss sich grundlegend verändern. Er muss auch zur Sicherung seines eigenen Bestands verstärkt auf die Bedürfnisse und Neigungen der Kunden eingehen. Dazu gehört jenseits aller Onlineaktivitäten erst einmal die Besinnung auf die ureigenen Kompetenzen. Dazu gehört es nämlich, zu verstehen: Bedarfseinkauf wird immer stärker im Internet stattfinden. Erlebnis findet man jedoch in diesem Sinne nicht im Internet, sondern Erlebniseinkauf findet in der Stadt statt.

Dieses Erlebnis wird von ganz verschiedenen Faktoren geprägt. Neben der Einkaufsatmosphäre spielen hier Serviceangebot und Servicequalität eine wichtige Rolle. Daneben muss der stationäre Einzelhandel nach meiner Überzeugung auch offen und mutig sein, dann eben selbst Onlineschritte zu unternehmen mit einem eigenen Onlineshop verzahnt mit dem stationären Geschäft, um nicht vorrätige Produkte direkt im Geschäft zu bestellen und dem Kunden dann zuzustellen oder zur Abholung im Geschäft anzubieten. Das sind alles denkbare Varianten, die auch bei Online City Wuppertal schon erprobt und diskutiert werden.

Meine Damen und Herren, es ist aber nicht nur eine Aufgabe der Händler, die Digitalisierung anzunehmen und Antworten zu finden. Das ist, glaube ich, auch in der Diskussion deutlich geworden. Da haben die Regierungsfraktionen und auch wir als Landesregierung ein ganz anderes Verständnis als die hiesigen Oppositionsfraktionen. Eine Innenstadt muss soziales Leben bieten. Dies geht nicht ohne Handel.

Aber es ist eben auch nicht nur der Handel. Das heißt: Wir verstehen die Stadt als Lebensraum, der für unsere Stadtentwicklungspolitik von besonderer Bedeutung ist. Nur wenn alle innenstadtrelevanten Akteure, also die Immobilieneigentümer und andere, mitmachen, ist auch strategische Innenstadtentwicklung möglich. Deswegen geht es um eine Arbeit Hand in Hand.

Wir brauchen generationengerechten öffentlichen Raum. Wenn Sie, Herr Bayer, so lächerlich über die Geschäftsstellen der Sozialverbände reden, waren Sie offensichtlich auch da noch nie vor Ort, um sich zu informieren, wie viel soziales Leben dort organisiert wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Hier wird wirklich frei von jeder Kenntnis darüber geredet. Ich glaube, es lohnt sich für alle, die es noch nicht gemacht haben, sich Online City Wuppertal anzuschauen.

Aber es handelt sich eben um ein Einzelprojekt in Nordrhein-Westfalen. Deswegen ist der Antrag genau richtig. Wenn man sich die Überschrift ansieht, stellt man fest: Der Titel zeigt schon, dass die Aufgaben der digitalen Transformation auch von Händlern in kleinen Städten und auf dem Lande angepackt und gelöst werden müssen. Deswegen ist es auch richtig, unterschiedliche Größen bei einer entsprechenden wissenschaftlichen Begleitung zu untersuchen.

Ich will abschließend – Herr Präsident, wenn Sie mir den einen Punkt noch erlauben – noch einmal auf die Aussagen von Herrn Stein zurückkommen. Herr Stein, Sie werden es vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch bereuen, eine solche Rede wie heute hier gehalten zu haben. Wir werden Ihre Rede auf jedem Podium in jeder Stadt, wenn es um die Zukunft des Einzelhandels geht, dabeihaben. Wenn die CDU-Fraktion, durch Sie vertreten, rein theoretisch über das Thema „Digitalisierung“ spricht und keinerlei praktische Erfahrung aus dem Einzelhandel selbst, seinem Verband, den IHKs oder den Kommunen zum Tragen bringt, ist eines durch Sie klargemacht worden: Sie haben wörtlich gesagt, wir würden mit diesem Antrag Klientelpolitik betreiben. Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Ja, der Einzelhandel gehört mit zur Klientel unserer Politik. Und Sie als CDU haben sich davon verabschiedet.

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 1:30 Minuten überschritten. Möchte noch jemand das Wort haben? –

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Herr Stein vielleicht!)

Das ist offensichtlich nicht der Fall.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/10072 an den Ausschuss für Wirtschaft, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend – sowie an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

9   Nach de facto-Abschaffung der Netzneutralität in Europa: Nordrhein-Westfalen muss freies und offenes Internet für Einwohner und Unternehmen sicherstellen!

Eilantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10127

Die Fraktion der Piraten hat mit Schreiben vom 2. November 2015 fristgerecht diesen Eilantrag eingebracht. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion dem Kollegen Lamla das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer hier und auch zu Hause am Stream! Trotz großer Kritik hat das Europäische Parlament die umstrittene Verordnung zur Netzneutralität mit deutlicher Mehrheit verabschiedet.

Ladies and Gentlemen, goodbye Netzneutralität, goodbye Internet, wie wir es heute kennen, hello digitale Wegelagerei! Was haben sich die sachkundigen Akteure vorher die Fersen abgetreten und davor gewarnt! Seit Monaten, wenn nicht sogar seit Jahren wird davor gewarnt, dass das heutige Internet mit schlecht durchgeführten Verordnungen dereguliert und somit unbrauchbar wird.

Unzählige Konferenzen, Anhörungen, Artikel zu diesem Thema, eine Koalition aus europäischen Verbraucher-, Bürgerrechts- und sogar Industrieorganisationen haben alle Repräsentanten der EU-Mitgliedstaaten im Europäischen Rat angeschrieben und mit einem offenen Brief starke Regelungen zum Schutz der Netzneutralität gefordert.

Auch im Landtag NRW konnten wir nicht gerade behaupten, davon nicht gewusst zu haben. Allein die Piratenfraktion hat seit 2013 mindestens drei Anträge zu diesem Thema, diverse Kleine Anfragen und Initiativen in Ausschüssen eingebracht und öffentliche Anhörungen veranstaltet. Sogar in das Landesmediengesetz hat es die Wahrung der Netzneutralität geschafft.

In einem letzten Mobilisierungsversuch haben sich über 30 IT-Unternehmen, Start-ups und Investoren an die EU-Abgeordneten gewandt, um für strenge Netzneutralitätsregeln zu werben. Trotzdem, entgegen aller sachlichen Argumente und Warnungen wurde am 27. Oktober im Europäischen Parlament anders abgestimmt. Mit Stimmen von CDU und CSU und, ja, auch mit Stimmen der SPD votierten auch deutsche Abgeordnete gegen Änderungsanträge, die Schlimmeres hätten verhindern können, und begruben somit die Netzneutralität – ein Kniefall der europäischen Politik vor den Netzbetreibern und den Telekommunikationsunternehmen. Meine Damen und Herren, diese Beratungsresistenz ist beschämend für die Politik in Europa.

(Beifall von den PIRATEN)

Dass all die Warnungen und Sorgen keine bloße Einbildung von irgendwelchen Netzaktivisten waren, bekamen wir eigentlich ganz schnell mit. Immerhin hatte der Telekom-Chef Tim Höttges Anstand genug, um fast 24 Stunden damit zu warten und dann fast schon stolz den Erfolg zu verkünden. Auf der Unternehmenswebseite wirbt er ganz unverhohlen mit dem neuen Zweiklasseninternet. Das Fazit: Wer zahlt, fährt schneller.

Und Start-ups? Die können ja wohl ein paar Prozent ihres Umsatzes dafür abgeben, so Höttges. Was für ein Eigentor! Hierdurch wurde ganz offiziell eine neue Start-up-Cybermelkmaschine in Stellung gebracht.

(Beifall von den PIRATEN)

Ausgerechnet NRW, das Bundesland, das sich so gern als Nährboden für die Kreativbranche, Start-up-Landschaften, Game- und Videoproduktionen verkauft, erstarrt in Teilnahmslosigkeit.

Fast schon lethargisch lässt es die rot-grüne Landesregierung einfach geschehen. Eine Stellungnahme aus den Ministerien? Ein Statement der Ministerpräsidentin? Nix, nada, absolut gar nichts. Wird schon irgendwie, sagt man so. Man bereitet lieber die nächste PR-wirksame Schnittchenveranstaltung für Gründerinnen und Gründer vor, statt sich für essenzielle Rahmenbedingungen einzusetzen.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch die CDU als größte Oppositionspartei hat den Knall nicht gehört. Während die eigenen Leute im Europäischen Parlament diesen Bockmist verzapfen, stellt man hier scheinheilige und inhaltsleere Anträge zum Thema „Start-up-Kultur stärken“.

Da fragt man sich ernsthaft, wie häufig man gegen die Wand gelaufen sein muss, um das nicht zu merken.

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, wenn der Kampf für Netzneutralität an dieser Stelle aufhört, dann war’s das mit der Start-up-Kultur, dann war’s das mit dem Kreativland NRW. Dann findet die Innovation irgendwo anders statt, und der technische Fortschritt rennt winkend an uns vorbei. Wir brauchen jetzt mehr denn je ein starkes Zeichen aus NRW. Die Landesregierung muss sich jetzt dazu äußern und Planungssicherheit schaffen!

(Beifall von den PIRATEN)

Die Politik in NRW muss wieder das Ruder übernehmen. Es reicht hier an dieser Stelle nicht aus, der Landesanstalt für Medien eine diffuse Aufsicht über die Netzneutralität zu geben und dann die Hände in den Schoß zu legen. Sie muss die Landesmedienanstalt stärker in die Pflicht nehmen und dabei auch unterstützen. Sie muss jetzt zeigen, dass der Standort NRW auch ein Standort mit Zukunft ist. Und sie muss jetzt klarstellen, dass die Entscheidung auf EU-Ebene eine falsche Entscheidung war! – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Schneider.

René Schneider (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion! 0211 770070 – das ist die Telefonnummer der Landesanstalt für Medien. Wenn Ihnen das zu analog ist, tippen Sie mal „www.lfm-nrw.de“ in Ihren Browser, und Sie werden finden, was Sie mit Ihrem Antrag zu finden erhoffen, nämlich die Antwort auf die Frage, wie die Landesanstalt für Medien zum Thema Netzneutralität steht.

LfM-Direktor und DLM-Vorsitzender Dr. Jürgen Brautmeier macht dort unter anderem mit einem Video deutlich, dass er entschlossen ist, den diskriminierungsfreien Datenverkehr sicherzustellen. Sie könnten aber auch den von ihrer 20-köpfigen, ich meine, 19- respektive 18-köpfigen Fraktion entsandten Vertreter in der Landesmedienkommission fragen und ihn bitten, sich für Netzneutralität einzusetzen. Ich denke aber, dass das für Herrn Schwerd selbstverständlich sein wird. Er wird sich als fraktionsloser Abgeordneter ja gleich auch noch zu Wort melden.

Alles in allem brauchen wir also keine offenen Türen einzurennen, zumal Ihre Idee, die Landesanstalt für Medien von hier aus zu etwas zu verpflichten, Herr Lamla, rechtlich gar nicht funktioniert. Ein Blick ins Landesmediengesetz macht deutlich und genügt eigentlich, zu erkennen, dass die LfM eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts ist. Die Rechtsaufsicht liegt bei der Landesregierung. Eine Weisungsbefugnis gibt es dagegen nicht. Und es braucht sie, wie ich eben ausgeführt habe, im aktuellen Fall auch gar nicht.

Die LfM ist zudem nicht – wie Sie es in Ihrem Antrag fordern – gegenüber dem Landtag für das rechenschaftspflichtig, was sie tut. Plötzlich eine pauschale Auskunftspflicht zu basteln, soll aus unserer Sicht auch nicht über den Umweg der Rechtsaufsicht erlangt werden.

Meine Damen und Herren, es ist ja schön, dass wir uns auch in dieser Plenarwoche wieder über das zugegebenermaßen sehr wichtige Thema der Netzneutralität austauschen. Allein, bei Ihnen, liebe Piratinnen und Piraten, scheint mir derzeit die Schallplatte kaputt zu sein. Immer wieder sind es dieselben Lieder. Sie wiederholen im Monatstakt Ihre Lieblingstitel und ändern gerade einmal die Tonlage, vielleicht auch, wie ich gerade gedacht habe, die Lautstärke.

So wichtig das Thema Netzneutralität auch ist – einen richtigen Hit landen Sie hier in Düsseldorf nicht. Die großen Bühnen stehen nämlich in Berlin und Brüssel, wo Sie zugegebenermaßen keinen Zutritt haben.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Stimmt doch gar nicht!)

– Das ist vielleicht auch besser so. – Ich habe derzeit den Eindruck, dass Sie langsam, aber sicher die letzte Rille der B-Seite hier im Landtag erreicht haben. Daran ändern Sie auch nichts, wenn Sie Ihre Texte nunmehr in die Hot Rotation geben und die übrigen Fraktionen dann dazu singen sollen. Ganz ehrlich, da machen wir nicht mit.

Ich wiederhole mich zwar ungerne; wenn ich es aber – wie in diesem Falle – muss, dann auch exakt so, wie ich es schon im August in meiner Rede zur Netzneutralität von hier aus gesagt habe: Wir in Nordrhein-Westfalen haben uns schon früh deutlich für Netzneutralität ausgesprochen. Sie kennen sicherlich noch den rot-grünen Antrag „Für echtes Netz:-Netzneutralität dauerhaft gewährleisten und gesetzlich festschreiben“ vom Mai 2013.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Olejak zulassen?

René Schneider (SPD): Ja, gerne. Dafür bin ich ja hier.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Ich wollte Sie nur ganz kurz fragen, ob Ihnen der Name und die Funktion des Mitglieds des Europäischen Parlaments Julia Reda bekannt sind, die nachweislich auch zusammen mit den Grünen im Europaparlament europaweit für die Urheberrechtsnovelle verantwortlich ist. Denn Sie sagten gerade, wir hätten da niemanden sitzen.

René Schneider (SPD): Ich habe mich auf das bezogen, was, glaube ich, wichtig ist. Natürlich sitzt eine Piratin in diesem Parlament. Die Frage ist aber auch aktuell – Sie haben es ja selbst erwähnt –, zu wem sie sich scheinbar näher als zu den Piraten selbst hingezogen fühlt. Sie hat auch festgestellt, in welcher Fraktion sie tatsächlich Politik machen kann. Über das Thema „Absatztendenzen“ müssen wir uns, glaube ich, heute nicht unterhalten. Ich habe es ja gerade schon erwähnt. Mal schauen, mit wie vielen der 18-, 19- oder 20-köpfigen … Wie auch immer!

Ich fahre mit meiner Rede fort und möchte weiter aus meiner Rede von vor einigen Monaten zitieren. Damals haben wir eindeutig klargemacht, dass im Internet nur die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Datenpakete unabhängig von Inhalt, Dienst, Anwendung, Herkunft oder Ziel der Garant für ein freies Netz ist.

Gemeinsam mit Ihnen, liebe Piraten, haben wir danach – im Mai 2014 – unsere gemeinsame Position im Antrag Drucksache 16/5777 zum Ausdruck gebracht. Lukas Lamla hat eigentlich gerade schon aufgezählt, was wir da alles gemacht haben, wo wir Seit an Seit gestanden haben. Das war vor etwas mehr als einem Jahr. Seitdem steht unser gemeinsames Wort – verflixt noch mal –, das wir deshalb heute auch nicht zu erneuern brauchen. – Zitat Ende.

Die Äußerungen von Telekom-Chef Timotheus Höttges – sie wurden gerade schon erwähnt – und die so mancher anderen Telekommunikationsanbieter, die sich danach bemüßigt fühlten, auch noch aufzutreten, werten auch wir – ja! – als Affront und leider auch als Bestätigung all unserer schlimmsten Befürchtungen. Finanziell klammen Start-ups die Überholspur im Internet als besondere Chance zu verkaufen, zeugt schon von Sarkasmus der Telekom. Jetzt sind die Regulierer am Zug. Und diese – da bin ich mir in Nordrhein-Westfalen sicher – werden entsprechend ihrer Möglichkeiten dafür sorgen, dass die sogenannten Spezialdienste so eng definiert werden, wie wir alle es uns wünschen.

Den vorliegenden Antrag der Piraten lehnen wir – ich habe es gerade erklärt, warum – aus formalen wie inhaltlichen Gründen; inhaltlich wegen der immer wieder erfolgten Doppelungen – ab. Den Kampf für Netzneutralität kämpfen wir jedoch, glaube ich, gemeinsam weiter. – Vielen Dank fürs Zuhören und ein herzliches Glück auf.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Schick.

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass das Europäische Parlament mit den Beschlüssen zur Netzneutralität und zum Roaming heftige Diskussionen auslöst, war, glaube ich, jedem vom Beginn an klar, vor allem, wenn diese Beschlüsse durch Aussagen von Telekom-Chef Höttges begleitet werden, die nicht das nicht widerspiegeln, was wir im Landtag unter Netzneutralität verstehen.

Zwar steht in der Verordnung, dass Datenverkehr diskriminierungsfrei zu behandeln ist, andererseits werden mehrere Ausnahmen definiert wie zum Beispiel Spezialdienste. Was allerdings diese Spezialdienste genau sind, darüber fehlen noch präzise Angaben. So hat die Telekom nicht lange gewartet und gleich einmal einen Wunschzettel vorgelegt. In der Vorweihnachtszeit ist das vielleicht verständlich, doch viele dieser Wünsche sind mit der Richtlinie nicht vereinbar.

Es kann auch nicht sein, dass demnächst Start-up-Unternehmen erst einmal zur Kasse gebeten werden, wenn sie in einer bestimmten Geschwindigkeit durchs Netz möchten. Für den Digitalstandort Europa wäre dies ein heftiger Schlag.

Bis zu diesem Punkt dürften inhaltlich die Positionen nicht allzu weit auseinanderliegen. Trotzdem bin ich vom Antrag der Piraten erschrocken. Herr Kollege Schneider hat es schon angesprochen. Was haben Sie für ein Staatsverständnis? Wie bitte schön möchten Sie mit der unabhängigen Landesmedienanstalt umgehen? Die LfM handelt staatsfern, das heißt, es soll ausdrücklich keinen Einfluss der Politik auf die Landesmedienanstalt geben.

Jetzt gibt es natürlich schlechte Beispiele. SPD und Grüne haben an dieser Unabhängigkeit schon einmal kräftig gekratzt, indem sie ein Gesetz vorgelegt haben, mit dem eine zweite Amtszeit dieses Direktors aus parteipolitischen Gründen verhindert worden ist.

(Widerspruch von SPD und GRÜNEN)

– Das ist so. Darüber haben wir häufig genug schon gesprochen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Entschuldigung. Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, wenn Sie das möchten. Nein, möchten Sie nicht. Ist vielleicht auch besser so. Sonst würden Sie sich wieder einmal blamieren, wie heute schon in einer vorangegangenen Wortmeldung.

Der Beschlussvorschlag der Piraten ist allerdings auch nicht viel besser. Die Landesregierung soll vorab Auskunft im Rahmen ihrer Rechtsaufsicht verlangen, wie die LfM Netzneutralität umsetzen möchte. Rechtsaufsicht heißt für mich, dass die Landesregierung dann einschreiten muss, wenn die LfM ihrem gesetzlichen Auftrag nicht gerecht geworden ist.

Dafür gibt es aber keinen Anhaltspunkt. Ganz im Gegenteil, Direktor Dr. Brautmeier hat bereits gefordert, dass die Medienanstalten mit am Tisch in Brüssel sitzen sollen, gerade weil es in der Richtlinie auch um Vielfalt geht. Es geht eben nicht nur um wirtschaftliche Fragen, wofür die Bundesnetzagentur verantwortlich ist, sondern auch um andere Positionen.

Fazit: Der Antrag greift zwar ein wichtiges Thema auf, ist aber rechtlich mehr als fragwürdig und fordert jemanden dazu auf, das zu tun, was er ohnehin zu tun vorhat. Deshalb ist der Antrag überflüssig. Wir lehnen ihn ab.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute zum wiederholten Male das wirklich wichtige Thema „Netzneutralität“ auf der Tagesordnung. Wir haben in diesem Parlament auch mehrere Beschlüsse zu dem Thema „Netzneutralität“ gefasst, und zwar in unterschiedlichen Konstellationen: Rot-Grün mal zusammen mit Ihnen, mit der Piratenfraktion, aber auch mal zusammen mit der FDP-Fraktion.

An diesen Beschlüssen und an der inhaltlichen Positionierung zum Thema „Netzneutralität“ hat sich bis heute nichts geändert. Ich kann auch nicht erkennen, dass sich seit der letzten Debatte im Plenum im September die Position der Landesregierung zum Thema „Netzneutralität“ verändert hat.

Ich denke, Rot-Grün wie auch die Piratenfraktion – deswegen auch gemeinsame Beschlüsse und Anträge – sind nahe beieinander. Insofern ist das erst einmal die Ausgangslage für diese Debatte, dass wir da eigentlich inhaltlich nahe beieinander sind und keiner diese Positionen geräumt hat.

Geändert hat sich dazu das – das haben Sie richtig in Ihrem Antrag und Ihrer Rede beschrieben –, was auf europäischer Ebene passiert ist, nämlich der Beschluss des Europäischen Parlamentes vom letzten Dienstag. Die Entscheidung vom letzten Dienstag – das muss ich auch so klar sagen – ist meiner Meinung nach ein fauler Kompromiss – eindeutig – und bedeutet de facto eine Einschränkung des Neutralitätsgebotes.

Nun droht tatsächlich ein Zweiklasseninternet, indem derjenige, der mehr für seine Daten bezahlen kann, bevorzugt wird. Die Folge wird eine weitere Marktkonzentration und Stärkung ohnehin übermächtiger US-Player und eine Schwächung der vielen kleinen und mittleren europäischen, deutschen und nordrhein-westfälischen Unternehmen sein. Das ist nicht gut, und das ist auch nicht in unserem Interesse. Deswegen hat auch unsere Fraktion im Europäischen Parlament dieser Beschlussfassung nicht zugestimmt.

Der Kollege Schneider und der Kollege Schick haben vorhin schon die Begründung genannt, warum auch wir Ihren Antrag ablehnen werden; der Unterschied zwischen Rechtsaufsicht und einer inhaltlichen Anweisung an die LfM. Das kann natürlich so nicht sein. Deshalb ist Ihr Forderungsteil im Antrag abzulehnen.

Der Kollege Schwerd, der nicht mehr bei Ihnen in der Fraktion ist, ist Mitglied und Sie, Herr Lamla, sind stellvertretendes Mitglied in der LfM. Und Sie wissen ganz genau – eigentlich sollten Sie es wissen; deswegen war ich von Ihrem Antrag auch ein bisschen überrascht –, was wir in der LfM zum Thema „Netzneutralität“ schon alles gemacht haben. Ich möchte das gern noch einmal auffrischen, weil Netzneutralität einer der Schwerpunkte der Arbeit der LfM ist.

Deswegen haben wir uns bei unserer Klausurtagung Anfang März dieses Jahres intensiv dem Thema gewidmet. Wir haben uns auch auf unserer Medienversammlung 2015 in Köln Ende Juni ausschließlich dem Thema „Netzneutralität“ gewidmet. Seit Anfang des Jahres haben wir an einem Positionspapier gearbeitet und das am 28. August – übrigens auch mit Ihren Stimmen – beschlossen. In dem Positionspapier haben wir uns mit Nachdruck für die Sicherung von Netzneutralität ausgesprochen. Wir haben vier zentrale Forderungen in dem Positionspapier festgelegt, die ich gern einmal vortragen möchte.

Erstens. Spezialdienste müssen noch enger definiert werden, um zu vermeiden, dass sich finanzstarke Anbieter Überholspuren im Netz kaufen können.

Zweitens. Das sogenannte Best-Effort-Prinzip sowie ausreichende Kapazitäten sollen bei der Übertragung von Inhalten auch im Internet garantiert und überwacht werden.

Drittens. Zero-Rating darf, so weit es telekommunikationsrechtlich zulässig ist, nicht in den publizistischen Wettbewerb eingreifen.

Viertens. Inhalteregulierer wie die Landesmedienanstalten sollen neben der Bundesnetzagentur Mitsprache bei der Regelung und Sicherung von Netzneutralität erhalten. Dies sollte staatsvertraglich gesichert werden.

Das noch einmal zur Erinnerung.

Auf dem Jahresempfang Ende September bei der LfM hat der Vorsitzende der Medienkommission, Professor Dr. Schwaderlapp, ausgeführt – ich zitiere –:

„Netzneutralität ist medienpolitisch hoch relevant. Je schwächer sie telekommunikationsrechtlich gefasst wird – und der europäische Entwurf ist schwach –, desto wichtiger ist die ergänzende medienpolitische Ausgestaltung. Wir werden uns damit befassen, welche Spielräume die europäische Verordnung – wenn sie denn im Oktober vom Parlament beschlossen wird – dafür noch lässt, und werden uns dafür einsetzen, diese zugunsten der Meinungsvielfalt und Diskriminierungsfreiheit zu nutzen.“

Wie Sie sehen, hat sich die LfM intensiv mit dem Thema „Netzneutralität“ befasst. Die Positionierung ist eindeutig. Die Ankündigung des Vorsitzenden, Prof. Schwaderlapp, habe ich gerade vorgetragen.

Formal haben die Kollegen Schneider und Schick natürlich völlig recht: Es gibt eine Rechtsaufsicht und keine inhaltliche Anweisung. Das wäre fatal, weil die LfM staatsfern ist. Insofern: Schade drum! Wir werden Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Engstfeld. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So viel Lob für die Landesanstalt für Medien von den Vertretern der Regierungskoalition – dass ich das noch erleben darf! Aber in diesem einen Punkt stimmt es ganz besonders. Ich bin froh, dass wir da einer Meinung sind.

Nicht überall, wo Netzneutralität draufsteht, ist auch Netzneutralität drin. Das gilt leider für den Beschluss des Europäischen Parlaments aus der letzten Woche. Ich bin froh, dass die Freien Demokraten im Europäischen Parlament die Verordnung mit ihrem Abstimmungsverhalten abgelehnt haben.

(Beifall von der FDP)

Konservative, Christdemokraten und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament haben mit ihrer Mehrheit das freie Internet zumindest in Gefahr gebracht. Insbesondere Europas Start-ups und der IT-Bereich können durch die neue Regelung benachteiligt werden. Sie können sich eventuell auf dem Markt nicht behaupten, weil sie nicht genug Geld für die „Überholspur“ zahlen können.

Die am 27. Oktober vom Europäischen Parlament erlassene Verordnung schafft die Netzneutralität zwar nicht ab, wie es in dem Antrag behauptet wird, allerdings hilft der Beschluss auch nicht, die Netzneutralität zu sichern. Die Tatsache, dass die Datenkategorien für Eingriffe in die Netzneutralität nicht abschließend festgesetzt sind, schafft Unsicherheit, und es wurde die Chance verpasst, zu definieren. Damit wurden falsche Anreize für Provider Tür und Tor geöffnet.

Einen Repräsentanten – er wurde ja schon mit Namen genannt –, eine Dampfwalze aus dem Telekommunikationsbereich, riss es ja dann auch gleich hin, das Schaffen vollendeter Tatsachen anzukündigen. Ob die Ankündigungen vom vergangenen Wochenende eine strategisch kluge Maßnahme der Telekom waren, das wird sich, glaube ich, noch herausstellen. Vielleicht muss man im Nachhinein für diesen Auftritt in aller „Drosselkom“-Tradition sogar dankbar sein.

Es wird nun noch stärker auf die nationalen Regulierungsbehörden ankommen, die Netzneutralität zu schützen. Die Landesmedienanstalt benötigt sicherlich nicht die Aufforderung, sich mit dem Thema zu beschäftigen, sicherlich auch nicht durch Staatsanweisung. Sie tut das, auch die Medienkommission. Die Frage wird nur sein, wo sie mit ihren Bedenken und Vorschlägen wird andocken können.

Auch die Bundesnetzagentur wird eine wichtigere Rolle spielen, in deren Beirat schließlich die Landesregierung vertreten ist. Die Bundesnetzagentur selbst als Mitglied des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen – kurz: GEREK – muss ja nun bis April 2016 an der Konkretisierung des Verordnungstextes arbeiten und ihre Verantwortung zeigen. Wenn die Ausgestaltung und das Tilgen – ich nenne es einmal so – von laxen und unklaren Regelungen nicht gelingen, dann werden darüber höchstwahrscheinlich die Gerichte entscheiden, und dann ist der Ausgang offen.

Hoffnung gibt mir zwar nicht EU-Kommissar Oettinger, aber er hat immerhin in der letzten Woche getwittert, er wäre bereit, über Nachbesserungen zu reden, wenn sich die Bedenken der Kritiker bewahrheiten sollten. Netzpolitik.org verweist auf die Evaluierungsfrist. „In zwei Jahren werden wir Parlament und Kommission zur Verantwortung ziehen“, schreibt Markus Beckedahl.

Die Gremien der Landesanstalt für Medien und die Medienkommission sind, wie gesagt, schon aktiv, sie brauchen nicht angewiesen zu werden. Insofern leistet der Antrag der Piraten leider keinen zählbaren Beitrag. Deswegen müssen wir ihn ablehnen. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Als nächster Redner spricht der fraktionslose Abgeordnete Schwerd.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne und an den Bildschirmen! Stellen Sie sich vor, die Stromversorger unseres Landes würden von den Unternehmen eine Umsatzbeteiligung verlangen, sonst könnte es auf einmal passieren, dass die Stromversorgung unverhofft ausfällt oder die Spannung plötzlich absinkt, sodass Maschinen und Geräte nicht mehr betrieben werden können. Klingt nach Erpressung? – Ist es auch!

Aus gutem Grund verlangt das Wettbewerbsrecht, dass sich Betreiber solcher Plattformen wie des Stromnetzes fair verhalten müssen – fair gegenüber den Kunden und auch fair gegenüber den Stromproduzenten. Die verlangten Preise müssen der Leistung angemessen und für alle vergleichbar sein. Das gilt zum Beispiel auch für Telefonanschlüsse oder die Versorgung mit Presseerzeugnissen.

Doch ausgerechnet im Internet ist jetzt das Gegenteil der Fall. Das Europäische Parlament hat eine Regelung beschlossen, die es Netzprovidern erlaubt, umfassende Ausnahmen von der Netzneutralität einzuführen: Überholspuren für finanzstarke Anbieter, Schneckenpost für alle anderen. Die Voraussetzungen sind so schwammig formuliert, dass sich deren Normierung erst im Vollzug des Gesetzes herauskristallisieren wird. Der Markt wird erst mal machen, und dann wird man möglicherweise vor Gericht ausloten müssen, was alles erlaubt ist und was nicht, wenn sich denn ein Kläger findet.

Wie das aussehen wird, hat die Deutsche Telekom umgehend angekündigt. Sie will Spezialdienste für Video, Onlinegaming und die Industrie einführen, die dann extra kosten werden. Wen man sich vor Augen hält, dass in den USA die Streamingdienste Netflix und YouTube streckenweise jetzt schon mehr als 70 % des gesamten Traffics verbrauchen, dann sieht man, wohin der Trend gehen wird: Spezialdienste werden das größere Volumen verbrauchen, das sogenannte freie Internet quetscht sich auf den Rest. – Insofern stimme ich dem Feststellungsteil der Piratenfraktion vollständig zu.

Im Forderungsteil allerdings schießen die Piraten – leider – am Ziel vorbei. Wer sich mit den Positionen der LfM beschäftigt hat, der weiß, dass er mit Netzneutralität bei ihr offene Türen einrennt. Sie hier mit einem Auskunftsverlangen der Landesregierung unter Druck setzen zu wollen, dreht die tatsächlichen Verhältnisse um. Es ist vielmehr die Landesregierung, die wir auffordern müssen, die Landesmedienanstalten als Regulierungsbehörden für die Netzneutralität, zumindest soweit es Internetinhalte angeht, ins Spiel zu bringen. Das ist nämlich kein reines Wettbewerbsthema, in dem sich Telekommunikationsunternehmen durchsetzen, sondern es geht hier um Fragen der Meinungsfreiheit und der Medienvielfalt.

Also, vor dem Antrag bitte mit Forderungen, Positionen und Rechtslage der LfM auseinandersetzen und dann einen dazu passenden Forderungsteil schreiben. Das können wir gern zusammen tun. Dieses Angebot möchte ich ausdrücklich an alle Fraktionen richten. – Vielen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schwerd. – Als Nächster spricht für die Landesregierung Herr Minister Lersch-Mense.

Franz-Josef Lersch-Mense,*) Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach intensiven Diskussionen hat das Europäische Parlament am 27. Oktober 2015 die Verordnung für einen elektronischen Binnenmarkt und in diesem Rahmen auch Regelungen zur sogenannten Netzneutralität beschlossen.

Nun verstehe ich, dass Herr Lamla versucht, hier ein Bild zu zeichnen, ein Zerrbild einer Landesregierung, die sich mit diesem Thema nicht oder nur unzureichend beschäftigt hätte. Dies hat aber mit der Realität – auch darauf ist hingewiesen worden – wenig zu tun. Über Netzneutralität wurde in den letzten Jahren nicht nur auf europäischer Ebene diskutiert, sondern auch auf nationaler Ebene im Bund und in den Ländern, und bei den Ländern ist es gerade Nordrhein-Westfalen, das sich hier frühzeitig und intensiv in diesen Diskurs eingebracht hat.

Das Thema war in den letzten Jahren auch diverse Male auf der Tagesordnung des Landtags, beschäftigte hier den Wirtschaftsausschuss und den Kulturausschuss. Es gab eine Vielzahl von Anträgen, Kleinen Anfragen, und 2014 war das Thema auch Gegenstand der Beratungen – auch darauf ist hingewiesen worden – zum Landesmediengesetz. All dies führte dazu, dass gerade Nordrhein-Westfalen das komplizierte Thema Netzneutralität an der Schnittstelle von Technik, Wirtschaft und Regulierung sehr frühzeitig aufgegriffen hat.

Ganz wichtig im Sinne der Sache, im Sinne der Chancen für die digitale Wirtschaft, im Sinne eines freien Netzes, im Sinne der Medienvielfalt wurden die Diskussionen dazu ausgesprochen sachorientiert geführt und Initiativen häufig über Fraktionsgrenzen hinweg gestartet. Auch die Landesregierung hat frühzeitig gehandelt. Das gilt für die europäische Ebene genauso wie für den Bundesrat. Ich erinnere hier an die Entschließung zur Mitteilung der Europäischen Kommission zum digitalen Binnenmarkt. Hier haben wir, abgestimmt mit den anderen Ländern, sehr deutlich auf den aus unserer Sicht nötigen Regulierungs- und Klärungsbedarf zur Netzneutralität hingewiesen.

Wir haben auch den Rat von Experten eingeholt. Wir konnten gemeinsam mit der Landesanstalt für Medien zum Beispiel die Netzneutralitätsexpertin Prof. Barbara van Schewick für die diesjährige Medienversammlung und für weitere Veranstaltungen und Diskussionen gewinnen. Zudem haben wir ein Gutachten in Auftrag gegeben, um frühzeitig zu klären, welche Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen des Trilogs zu ziehen sind.

Wir haben uns gefragt: Was heißt es für uns, wenn das Europäische Parlament die Regelungen wie im Trilog diskutiert auch beschließt? Wo bedarf es – auch das ist angesprochen worden – weiterer Auslegung? Wo müssen Klärungen von unklaren unbestimmten Rechtsbegriffen vorgenommen werden? Wer führt die Aufsicht? Wer begleitet den weiteren Umsetzungsprozess?

Dadurch sind wir nun in der Lage, direkt nach der Abstimmung in Brüssel in die Umsetzung der Regelungen einzusteigen und diese auch aktiv mitzugestalten. Konkret hat Prof. Dr. Thomas Fetzer als unabhängiger Gutachter bereits den Verordnungsentwurf analysiert und Handlungsoptionen auch für die nationale Ebene erarbeitet. Ein schneller Überblick zu seinen Überlegungen ergibt sich aus einer Kurzanalyse, die Sie übrigens auf unserer Internetseite abrufen und lesen können.

All dies war mir wichtig vorauszuschicken, bevor ich konkret auf den vorliegenden Antrag eingehe. Dazu sind die entscheidenden Dinge in der Debatte auch schon gesagt worden. Ist hier wirklich die Rechtsaufsicht gefragt? Ich denke, die Antwort ist ein klares Nein. Nordrhein-Westfalen hat sich nicht nur intensiv in die Diskussionen zur Regelung der Netzneutralität eingebracht, Nordrhein-Westfalen hat sehr frühzeitig auch erkannt, dass die gesellschaftliche Relevanz der Netzneutralität Auswirkungen auf die Medienvielfalt hat.

Daher wurden bereits im Rahmen der Novellierung des Landesmediengesetzes ausdrücklich Aufgaben der Landesmedienanstalt im Kontext Netzneutralität aufgenommen. Auch damit liegt Nordrhein-Westfalen vorn. Denn NRW ist damit neben Thüringen eines von zwei Ländern, die in ihrem Landesgesetz Zuständigkeiten und Aufgaben der Medienanstalten dazu fixiert haben. Allein schon durch die oben bereits angesprochene Medienversammlung, aber auch durch Positionspapiere und Beschlussfassungen der Medienkommission ist deutlich geworden: Das Thema wird natürlich in der Medienkommission behandelt und bearbeitet.

Die Rechtsaufsicht – auch darauf ist hingewiesen worden – über die LfM ist staatsfern organisiert. Eine Anstalt des öffentlichen Rechts verlangt Zurückhaltung bei jeglichen Eingriffen. Daran haben wir uns zu halten. Sie werden mir sicher zustimmen, dass bei der beschriebenen Sachlage keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die LfM bei der Wahrung der ihr im Zusammenhang mit Netzneutralität übertragenen Aufgaben diese entweder inhaltlich nicht wahrnehmen oder gar rechtsverletzend, rechtswidrig vorgehen würde, und nur das würde ein Einschreiten der Rechtsaufsicht rechtfertigen.

Meine Damen und Herren, ich denke, wir haben nun gemeinsam die Aufgabe, alle Möglichkeiten zu nutzen, aus der vorliegenden Regelung zur Netzneutralität in deren Umsetzung Gutes zu machen und unsere Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Ich entnehme dem Eilantrag auch, dass er von diesem Grundanliegen getragen ist. In der konkreten Ausgestaltung kann er aber wegen der Fragen der Rechtsaufsicht nur abgelehnt werden. – Ich hoffe aber trotzdem weiter auf konstruktiven Dialog in den Fragen der Netzneutralität und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Lersch-Mense. Damit sind wir am Ende der Beratung über den Eilantrag.

Wir kommen zur Abstimmung, weil über einen Eilantrag, wie Sie alle wissen, direkt abzustimmen ist. Wer stimmt dem Eilantrag zu? – Die Fraktion der Piraten. Wer stimmt gegen diesen Eilantrag? – SPD, Grüne, FDP. Gibt es Enthaltungen?

(Zurufe von der CDU: Wir auch!)

CDU auch, natürlich, habe ich gesehen. Eine Enthaltung von Herrn Schwerd, fraktionslos. Bei Ablehnung von SPD, Grünen, CDU und FDP ist dieser Eilantrag Drucksache 16/10127 mit breiter Mehrheit abgelehnt.

10       Fragestunde

Mündliche Anfragen
Drucksache 16/10093

Ich rufe zunächst die

Mündliche Anfrage 72

des Herrn Abgeordneten Nicolaus Kern von der Fraktion der Piraten auf.

 „Wie war der genaue Hergang der Festnahme des mutmaßlichen Attentäters Frank S. im Fall Reker am 17. Oktober in Köln?

In der Sitzung des Rechtsausschusses vom 28.10.2015 wurde im Rahmen des Tagesordnungspunktes 12 „Unterrichtung der Landesregierung zum Sachstand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Falle Reker“ ein Bericht des Ministeriums für Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen behandelt.

Grundlage der Sachverhaltsdarstellung ist in weiten Teilen ein Bericht der Generalstaatsanwältin in Köln.

Unter I. findet sich zur Festnahme des mutmaßlichen Attentäters Frank S. der folgende Satz:

„Der Beschuldigte konnte von einem Zeugen unter Zuhilfenahme einer Flaggenstange von der Gruppe der Verletzten abgedrängt werden und wurde anschließend, nach Ansprache durch einen zufällig anwesenden, nicht im Dienst befindlichen Beamten der Bundespolizei, von alarmierten Polizeikräften festgenommen.“

Diese Darstellung erscheint nicht schlüssig und wirft weitere Fragen an die Landesregierung auf.

Die Landesregierung hat angekündigt, dass Herr Minister Jäger antworten wird. Herr Minister, das Mikrofon ist offen.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Herr Abgeordneter Kern! Der Generalbundesanwalt hat am 19. Oktober die Ermittlungen im Fall Reker an sich gezogen. Damit liegt die Verfahrens-, aber auch die Informationshoheit bei diesem Generalbundesanwalt. Das Justizministerium hat vor dem Hintergrund Ihrer Mündlichen Anfrage, Herr Kollege Kern, erneut Kontakt zum Generalbundesanwalt aufgenommen, um die mögliche Herausgabe weiterer Informationen mit ihm abzustimmen. Dieser hat mit Blick auf den Schutz von Ermittlungsergebnissen darum gebeten, weitere Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens nicht zu veröffentlichen.

Aus den erwähnten Gründen werde ich dieser Bitte auch entsprechen. Unter der Leitung des Generalbundesanwaltes wird die Polizei in Köln alle Maßnahmen treffen, um die Tat und ihre Hintergründe rückhaltlos aufzuklären. Sobald der Generalbundesanwalt keine Gefährdung mehr für das Ermittlungsverfahren sieht, werden wir Ihnen gern weitere Informationen zur Verfügung stellen. Bis dahin bitte ich um Ihre Geduld. Das ist übrigens keine lex Reker, sondern eine ganz normale Verfahrensweise, wie in jedem anderen laufenden Strafverfahren auch. – Herzlichen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Es gibt eine Frage von Kern dazu. Bitte schön, Herr Kern.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Minister, ich werde mich an dieser Stelle mit dieser Antwort genauso wenig zufriedengeben, wie mit der Antwort Ihres Kollegen Justizministers.

Ich weise darauf hin, dass sich meine Anfrage ausschließlich auf den Vorgang auf dem Marktplatz bezieht, also auf einen öffentlichen Raum, an dem zig Bürger als Zeugen teilgenommen haben, also was im öffentlichen Raum passiert, was auch von Journalisten berichtet wird. Ich bin nicht bereit, das einfach so zur Kenntnis zu nehmen und mich damit zu begnügen, sondern es muss möglich sein, das, was öffentlich passiert, aus Sicht der Landesregierung hier im Parlament berichtet zu bekommen.

Ich bestehe darauf, hier eine Antwort zu erhalten, die sich auf die Wahrnehmungen im öffentlichen Raum bezieht. Das gefährdet in keiner Weise irgendeine Ermittlungstätigkeit einer Staatsanwaltschaft oder eines Generalbundesanwaltes.

Es muss möglich sein, mir als Parlamentarier die Kenntnisse zu verschaffen, die jedermann, der zu diesem Zeitpunkt auf dem Markplatz zugegen war, auch erhalten hat.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte schön.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Kollege Kern, Ihr Auskunftsbegehren in allen Ehren, aber die Frage, die sich nicht stellt, ist, ob diese Straftat im öffentlichen oder im privaten Raum stattgefunden hat. Sie wollen eine Auskunft haben über einen Tathergang im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens, das die Generalbundesanwaltschaft führt.

(Zuruf von Nicolaus Kern [PIRATEN]: Nein!)

Die Generalbundesanwaltschaft – das mögen Sie bitte zur Kenntnis nehmen – unterliegt nicht der Dienst- und Fachaufsicht meines Geschäftsbereichs sondern hat diese Ermittlungen an sich gezogen. Sie ist damit sowohl, was die Informationspolitik in diesem Fall angeht, als auch für das weitere Verfahren verantwortlich.

(Zuruf von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Auskunftsbegehren bitte ich deshalb nicht an das Landesinnenministerium, sondern an die Generalbundesanwaltschaft zu richten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Kern hat eine zweite Frage. Bitte, Herr Kern.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Herr Minister Jäger, Sie wissen, dass ich in meinen parlamentarischen Rechten darauf beschränkt bin, mein Fragerecht an die Landesregierung zu richten.

Ich finde diesen Hinweis schon perfide, auf die Kollegen im Bundestag zu verweisen. Nicht, dass wir dort nicht vertreten wären. Das ist nicht der Punkt. Der Einwand im Bundestag würde lauten, dass da Landesbeamte gehandelt hätten und hier keine Zuständigkeit von Bundesministern gegeben sei, so dass hier ein Schwarze-Peter-Spiel möglich wäre, das ich als Abgeordneter so nicht bereit bin hinzunehmen.

Ich verlange, dass mir die Erkenntnisse, also das, was in Ihren Akten steht und was aus der Wahrnehmung von Landespolizeibeamten stammt, auch zur Verfügung gestellt werden. Die betreffen nicht das Ermittlungsverfahren, sondern sie betreffen rein den Hergang der Festnahme des mutmaßlichen Attentäters. Ich denke, dass Sie mir wie auch jedem anderen Abgeordneten hier im Parlament diese Antwort schuldig sind.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, Sie haben Gelegenheit, darauf einzugehen. Bitte schön.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Wenn Sie im Konjunktiv und theoretisch in der Lage wären, im Rahmen einer Tätigkeit im Deutschen Bundestag Fragen an ein Bundesministerium zu richten, dann würden Sie sicherlich von diesem in diesem Falle nicht die Auskunft erhalten, dass es hier eine Zuständigkeit von Landesbehörden gäbe. Im Gegenteil, ich habe es Ihnen gerade geschildert, aus welchen Gründen auch immer – dazu ist er befugt – hat der Generalbundesanwalt am 19.10. die Ermittlungen an sich gezogen.

Selbstverständlich ist Tathergang Teil des Ermittlungsverfahrens.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Falsch! Verdrehen Sie nicht meine Frage!)

Somit obliegt es dem Generalbundesanwalt abzuwägen, ob eine Veröffentlichung von Ermittlungsdetails zurzeit das Ermittlungsverfahren gefährden könnte oder nicht gefährden könnte. Er ist im Rahmen seiner Zuständigkeit zu dem Ergebnis gekommen, dass das Ermittlungsverfahren dadurch gefährdet würde. Die Polizei in Köln ist zurzeit ausschließlich im Rahmen der Amtshilfe für den Generalbundesanwalt tätig.

Insofern noch einmal, Herr Kollege Kern: Sie können sich darüber echauffieren wie Sie wollen, das auch perfide nennen oder wie auch immer. Sie müssen aber schon zur Kenntnis nehmen, dass es in unserem Rechtsstaat bei den Strafverfolgungsbehörden bestimmte Zuständigkeiten gibt.

Ich sage noch einmal: Die Zuständigkeit für den Generalbundesanwalt ist in meinem Geschäftsbereich nicht verankert.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Fragen liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich bedanke mich bei Herrn Minister Jäger für die Beantwortung der Frage.

Wir kommen zu:

11       Neue Impulse für den Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10069

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Kollegen Hausmann das Wort.

(Zuruf: Er ist noch nicht da!)

– Herr Hausmann ist noch nicht da. Ich kann die Rede nicht halten. Das wäre ja auch noch schöner.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das wäre aber spaßig!)

Frau Philipp, sind Sie bereit, bereits jetzt Ihren Redebeitrag zu liefern? Herr Hausmann wird sicher gleich kommen. Dann tauschen wir. Ich gehe davon aus, dass es damit keine weiteren Probleme gibt.

(Sarah Philipp [SPD]: Ja!)

– Danke schön.

Sarah Philipp (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich hätte gerne auf Herrn Hausmann erwidert. Er kann dann gleich auf mich erwidern. Ich glaube, das bekommen wir hin.

Die Überschrift des Antrags „Neue Impulse für den Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen“ klingt für uns erst einmal sehr gut, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Wir hätten uns gewünscht, dass Sie in Ihrem Antrag auch alle Maßnahmen der Landesregierung seit 2010 aufgezählt hätten, die alle sehr gut gewesen sind. Wir hätten uns gefreut, wenn der Antrag auch das enthalten hätte, was die Überschrift versprochen und angekündigt hat.

Klar ist: In Nordrhein-Westfalen müssen mehr Wohnungen gebaut werden. Die aktuell hohen Flüchtlingszahlen kommen erschwerend hinzu bzw. erhöhen weiter den Druck auf den Wohnungsmarkt. Deswegen werden Bund, Länder und Kommunen sowie die Wohnungs- und Bauwirtschaft dieser Herausforderung nur gemeinsam begegnen können, damit wir mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen können.

Sieht man sich Ihren Antrag im Detail an, liebe CDU-Fraktion, dann stellt man fest, dass Ihre Vorschläge hierzu enttäuschend sind und Sie der Zeit ein bisschen hinterherhinken. Statt neue Impulse zu formulieren, packt die CDU-Landtagsfraktion mal wieder ganz tief in die wohnungspolitische Mottenkiste. Aktuelle Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten und konkrete Maßnahmen der Landesregierung, die auch ganz aktuell getroffen worden sind, sind offenkundig nicht bekannt oder werden in dem Antrag einfach ignoriert.

Seit der Regierungsübernahme 2010 werden die Förderrichtlinien kontinuierlich überarbeitet, optimiert und nutzerfreundlicher gemacht. Die aktuellen Förderzahlen deuten deswegen darauf hin, dass wir trotz Niedrigzinsphase zu einer Belebung des Wohnungsmarktes in Nordrhein-Westfalen kommen werden. Das ist das Verdienst der Landesregierung, das Verdienst des Ministers Michael Groschek, der die richtigen politischen Initiativen dazu gestartet hat. Ein Stichwort sei genannt: das Bündnis für Wohnen NRW, das er mit ins Boot geholt hat. Wir sind sehr froh, dass uns die Wohnungswirtschaft bei diesen Entwicklungen tatkräftig zur Seite steht.

Mit dem Wohnraumförderprogramm stehen bis 2017 jährlich Förderdarlehen in Höhe von 800 Millionen € für Investitionen zur Verfügung. Sie stehen für den mietpreisgebundenen Wohnungsbau zur Verfügung und werden im Moment sehr gut abgerufen. Der Aufwärtstrend beim Abruf und die positive Entwicklung zu mehr Baugenehmigungen machen deutlich, dass die von uns ergriffenen Maßnahmen nun auch greifen.

Mit dem neuen Maßnahmenpaket werden zusätzlich – das ist ganz entscheidend und macht das Ganze noch viel reizvoller – Tilgungsnachlässe von bis zu 35 % geschaffen. Das ist für die Investoren nachweislich sehr reizvoll. Das haben sie auch honoriert.

Zusätzlich profitiert Nordrhein-Westfalen jährlich mit 90 Millionen € von den erhöhten Wohnungsbaumitteln des Bundes, die in unsere Maßnahmen mit eingeflossen sind.

Auch das gestraffte Baurecht für Flüchtlingsunterkünfte hilft uns bei der Schaffung von winterfesten Quartieren zur Unterbringung weiter.

Mit der Erhöhung des Wohngeldes – auch das ist ein wichtiger wohnungspolitischer Ansatz – gibt es zudem für viele Menschen eine deutliche Entlastung bei den Wohnkosten in Nordrhein-Westfalen. Das betrifft allein in Nordrhein-Westfalen 217.000 Haushalte, die vom Wohngeld neu profitieren, darunter rund 81.000, die wieder bzw. erstmalig in diese Förderung fallen und das Wohngeld erhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, nur zur Erinnerung: Sie haben sich zwar immer sehr wortreich zum sozialen Wohnungsbau bekannt. Die Maßnahmen sind aber nie besonders positiv gewesen. In Ihre Regierungszeit fallen Fehlentscheidungen, die die finanzielle Leistungsfähigkeit der Wohnraumförderung nahezu ausgehöhlt haben – das muss an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben werden –, zum Beispiel eine bislang nie wieder erreichte Fehlförderung von Eigentumsmaßnahmen, bei der Sie Hunderte Millionen Euro in die falschen Kanäle geleitet haben.

(Zuruf von Holger Ellerbrock [FDP])

Diesbezüglich möchte ich einige Zahlen aufführen. Besonders deutlich wird dies an der Zahl der Förderbescheide. Sie werfen uns ja immer vor, wir als SPD würden die Eigenheimförderung stiefmütterlich behandeln. Das möchte ich widerlegen, Kollege Ellerbrock.

2007 gab es 3.723 Förderbescheide im Eigentumsbereich. Bauanträge gab es 17.000. Heute, in 2015, liegt die Zahl der Förderbescheide bei 454. Das hört sich erst einmal sehr dramatisch an; man denkt, die Zahlen könnten eingebrochen sein. Aber das Entscheidende ist – ein kleiner Wermutstropfen für Sie von der CDU –, dass die Zahl der Bauanträge in diesem Bereich heute immer noch bei rund 17.000 liegt. Daher sind alle Drohszenarien und Horrorszenarien, die Sie aufgeworfen haben, nicht eingetreten.

Weiterhin muss erwähnt werden, dass Ihre Politik auch mieterfeindlich war. Sie waren es, die mit Blick auf die soziale Wohnraumförderung dem Land Nordrhein-Westfalen schwer geschadet haben. Insofern müssen wir uns von Ihnen heute nicht Nachhilfe in Sachen Wohnungsbaupolitik holen.

(Beifall von der SPD)

Ich komme zum Schluss. Wir haben mit den verbesserten Förderkonditionen und den beschriebenen Maßnahmen ein klares Signal in Richtung Wohnungspolitik gesetzt. Das ist zielgenaue soziale Wohnungspolitik, die wir mit den neuen Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen ergriffen haben.

Sie greifen heute mit dem Antrag in die populistische Mottenkiste, fordern die Verkürzung von Bearbeitungszeiten und werfen uns wieder die Eigenheimbenachteiligung vor. Das ist alles schon im Ausschuss mehrfach diskutiert worden. Ich habe gerade belegt, dass das nicht zutreffend ist, dass also die Eigenheimförderung nicht eingebrochen ist, und dass wir mieterfreundliche Politik machen, gerade in den Ballungsräumen, wo der Wohnraum gebraucht wird.

Daher finden wir diesen Antrag überflüssig. Die Punkte, die Sie herausgestellt haben, sind falsch. Deswegen werden wir Ihren Antrag heute ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Philipp, auch für das Einspringen schon an dieser Stelle. – Jetzt haben wir schon gehört, was gegen den Antrag spricht. Nun wollen wir hören, was für den Antrag spricht. Herr Hausmann ist im Saal und wird für die CDU-Fraktion den Antrag begründen. Bitte schön, Herr Hausmann.

Wilhelm Hausmann (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Philipp, vielen Dank für Ihre Flexibilität. Ich musste meinen Kartoffelsalat gerade stehen lassen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Aber ich freue mich, dass das alles so flexibel gehandhabt wurde.

(Minister Michael Groschek: Der kann ja nicht kalt werden!)

– Der kann nicht kalt werden; das ist richtig.

Meine Damen und Herren, wir sprechen hier über die Wohnungsbaupolitik in Nordrhein-Westfalen. Sie haben sich gerade ausführlich an der Vergangenheit abgearbeitet. Wir als CDU wollen aber in der Wohnungsbaupolitik nach vorne schauen.

(Lachen von Jochen Ott [SPD])

Wir wollen heute die Punkte diskutieren, die wir in diesem Land anpacken müssen, und keine historische Betrachtung betreiben.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wenn ich mir den Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen anschaue, sehe ich ein großes, schweres Auto, in dem ein viel zu kleiner Motor eingebaut ist. Das Gaspedal ist irgendwo unter der Fußmatte versteckt. Gleichzeitig haben alle Insassen – Rote und Grüne – ein eigenes Bremssystem, von dem sie ausgiebig immer wieder gegenseitig Gebrauch machen.

Meine Damen und Herren, die erforderlichen Wohnungsgrößen für Mehrkinderfamilien und der anhaltend starke Zustrom von Flüchtlingen stellen zusätzliche Anforderungen an den Wohnungsmarkt. Manchmal denkt man, dass erst durch das Thema „Flüchtlinge“ in bestimmten Parteien das Thema „Wohnungsbaupolitik“ wieder in das Bewusstsein gerückt ist.

(Jochen Ott [SPD]: Soll das ein Witz sein?)

Der Bau von Wohnraum muss deshalb schnell vorangetrieben werden. Aber bevor wir dazu kommen, mehr Wohnraum zu schaffen, gilt es erst einmal, zu überlegen, welche Anreize wir brauchen und welche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden müssen. Dazu komme ich im Einzelnen.

Erstens. Die degressive Abschreibung für den Mietwohnungsbau auf 20 bis 25 Jahre schafft Rahmenbedingungen für mehr bezahlbaren Wohnraum. Es kann nicht sein, dass sich Nordrhein-Westfalen aus dieser bundesweit laufenden Diskussion, die in Berlin schon weit vorangekommen ist, völlig heraushält. Wir müssen hier wieder zu einem zeitlichen Rahmen kommen, in dem auch Unterhaltungsabschnitte im Wohnungsbau mit den Abschreibungen übereinstimmen. Das wird eine Menge Geld mobilisieren, auch jenseits der Förderungen.

Zweitens. In Nordrhein-Westfalen gibt es weitere Schwachpunkte, die den Wohnungsbau massiv beeinträchtigen. Es gibt Städte in Nordrhein-Westfalen, in denen die Bearbeitung der Bauanträge sechs bis acht Monate dauert. Meine Damen und Herren, das ist völlig aus der Zeit. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie Sie, Frau Philipp, das einfach negieren können.

Heutzutage wäre – und darum muss sich das Ministerium intensiv kümmern – eine EDV-gestützte Einreichung und Bearbeitung von Bauanträgen notwendig. Insbesondere das vielfach praktizierte sternförmige Verteilen in den Ämtern schreit geradezu danach, das EDV-unterstützt zu machen. Das Land sollte es unterstützen, damit eine einheitliche Verfahrensweise in allen Kommunen zustande kommt.

(Jochen Ott [SPD]: Kommunale Selbstverwaltung!)

Drittens. Auf der Bauministerkonferenz in der letzten Woche wurde noch einmal das Thema „Kostenreduktion“ besprochen. Das scheint ein Evergreen zu sein, ein zentrales Thema, das es schon seit 30 Jahren gibt. Ein wichtiger Punkt bei diesem dort aufgegriffenen Thema ist die EnEV 2016 für den Neubau von Wohnungen. Es gilt, sie drei Jahre auszusetzen. Meine Damen und Herren, man hätte schon längst bei der EnEV ansetzen können. Das haben wir in diesem Hause bereits vorgetragen. Hier hätte man schon längst handeln können.

Viertens. In der letzten Ausschusssitzung kam heraus, dass die Förderung von Wohneigentum mit rund 35 Millionen € einen historischen Tiefstand erreicht hat. Dabei hätte eine vernünftige Eigentumsförderung mit attraktiven Ansätzen einen Teil des Rückgangs der sozialen Wohnraumförderung gut und gerne auffangen können.

Meine Damen und Herren, der Eigenkapitalanteil ist mit derzeit 15 % relativ hoch. Mit 10 % Eigenanteil kann sofort auf bessere Förderbedingungen umgestellt werden. Auch das wäre eine schnell umzusetzende Maßnahme.

Nicht alle Bedarfe können mit dem Neubau von Wohnungen gedeckt werden – schon gar nicht die Bedarfe, die durch die Flüchtlinge jetzt kurzfristig entstehen. Hier kann ich nur eindeutig das loben, was der CDU-Bürgermeister in Altena gemacht hat. Er hat flexibel reagiert und gesagt: Ich gehe voran. – Hier könnte die Landesregierung moderierend dahin gehend einwirken, dass mit anderen Bürgermeistern ähnliche Vorgehensweisen vereinbart werden und Bestandsimmobilien sofort und pragmatisch für den Wohnungsbestand wieder nutzbar und erreichbar gemacht werden.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, der Minister spricht davon, dass wir schneller bauen müssen. Die meiste Zeit wird jedoch nicht in der tatsächlichen Bauproduktion auf der Baustelle vertan, sondern in der Genehmigungsphase. Darauf hat vor allem der Bauminister Einfluss. Eine Mentalität des „Zu-Tode-Prüfens“ hat sich in vielen Kommunen in der Zeit der geringen Baukonjunktur etabliert, vor allem, weil bei wenigen Bauanträgen sonst auch Stellen weggefallen wären. Diese Mentalität wieder einzudämmen und im Land für eine bauherrenfreundliche Behördenkultur zu sorgen, ist die Sache des Bauministers.

Herr Minister Groschek, packen Sie die Bauprüfverordnung an! Sorgen Sie dafür, dass die notwendigen Kriterien eines Bauvorhabens und nicht alle beliebigen Punkte geprüft werden!

Wie Sie sehen – jetzt komme ich zum Resümee und zum Schluss –, gibt es eine Menge an Stellschrauben. Bisher lässt sich die Baupolitik von Rot-Grün aber nur von der Bundespolitik treiben. Um sich nicht völlig zu blamieren, müssen hierbei die Förderbedingungen optimiert werden, damit Hunderte von Millionen Bundesmittel nicht genauso liegen bleiben wie die hier vorhandenen Förderprogramme. Es müssen endlich eigene Impulse für den Wohnungsbau gesetzt werden.

Wir brauchen kein Ministerium für schöne Verpackungen und agile Rhetorik. In diesem Bereich sind Sie ein Spitzenmann; das weiß ich. Die Wohnungspolitik wird am Ende aber an den Fakten gemessen. Diese Fakten müssen wir langsam auf den Tisch legen und hier zu einer realistischen Bewertung kommen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Hausmann. – Für die grüne Fraktion hat nun Herr Kollege Klocke das Wort.

Arndt Klocke (GRÜNE): Lieber Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe CDU-Fraktion, wir begrüßen natürlich grundsätzlich, dass Sie sich des Themas „Wohnungsbau“ annehmen und hier einen Antrag vorgelegt haben. Sie sind jetzt ja schon einige Jahre im Amt. Das hätte man ja auch schon eher machen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Handlungsdruck und die Notwendigkeit in diesem Bereich sind auch gegeben. Wir können jetzt konzedieren, dass die Wohnungspolitik, die einige Jahre ein randständiger Bereich in der Politik war, jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung, jetzt in die Mitte der politischen Debatte zurückgekehrt ist. Das hat unter anderem mit der dringenden Notwendigkeit zu tun, für die derzeit ankommenden Flüchtlinge vernünftigen Wohnraum zu schaffen. Deswegen begrüßen wir grundsätzlich, dass Sie diesen Antrag vorgelegt haben.

Wir müssen aber klar sagen, dass wir hinsichtlich der Instrumentarien, die Sie uns in diesem Forderungskatalog vorgelegt haben, in weiten Bereichen einen klaren Dissens haben.

Es sind die Instrumente – das haben Sie eben angesprochen –, auf die es ankommt. Und die Instrumente – das haben wir in der letzten Woche im Ausschuss debattiert –, die Rot-Grün im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung genutzt hat, greifen entsprechend. Das sieht man, wenn man sich die Zahlen anschaut. Die sehr gute Zwischenbilanz hat uns die NRW.BANK in der letzten Woche im Ausschuss vorgelegt. Die Anzahl der Wohneinheiten, die wir für 2015 erwarten können, liegt deutlich über dem, was man hätte erwarten können. Insofern greifen die von uns vorgenommenen Änderungen hier auch.

Ihre Forderungen – das muss man ganz klar sagen – sind teilweise Forderungen aus der Mottenkiste aus den Jahren von Schwarz-Gelb. So wollen Sie bei der Eigenheimförderung Einfamilienhäuser als Eigentum fördern.

Wir setzen auf das, was notwendig ist, nämlich sozialen Mietwohnungsbau hier in Nordrhein-Westfalen. Wir gehen insbesondere in die Bereiche hinein, in denen Defizite in den Städten bestehen. Wir haben die wachsenden Regionen. Wir setzen darauf, dass gerade in diesen Städten entsprechend etwas passiert. Wir haben die Förderkonditionen angepasst. Wir haben auf die Marktbedingungen reagiert. Wir haben auch einige Instrumentarien eingeführt.

Ich finde, dass da in Ihrem Antrag relativ wenig vorkommt. Sie sagen zum Beispiel nichts zur Mietpreisbremse, die in einigen Städten greift. Sie sagen auch nichts zum Thema – das ist ein wichtiger Bereich in der politischen Debatte, jedenfalls wenn man mit den Wohnungsgesellschaften, mit Architekten etc. redet – „Bauen mit Holz“. Das ist ein großes und wichtiges Thema. Obwohl es vielfach diskutiert wird, finde ich es in Ihrem Antrag gar nicht.

Sie hätten in Ihrer Rede auch einmal erwähnen können, dass die von Ihnen heftig bekämpfte Kappungsgrenzenverordnung heute gerade vom Bundesgerichtshof bestätigt worden ist. Das hätte man in der Rede ja auch erwähnen können.

(Beifall von Minister Michael Groschek)

Es gibt viele Bereiche, die ich in Ihrer Rede vermisse.

Beim Thema „EnEV“ ist auf unserer Seite klar: Das, was Sie da in Richtung Moratorium fordern, kann es aus unserer Sicht nicht geben. Es ist zwar richtig, dass jetzt schnell gebaut werden muss und dass schnell reagiert werden muss. „Schnell bauen“ und „nachhaltig bauen“ ist aber kein Widerspruch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das belegen entsprechende Konzepte. Wir werden in den nächsten Wochen auch darauf drängen, dass darauf geachtet wird.

Da gibt es auch – das wird der Bauminister in seiner Rede wahrscheinlich gleich erwähnen – sehr vernünftige Überlegungen in der Bauministerkonferenz, die letzte Woche in Dresden getagt hat. Es ist ja nicht so, dass wir unflexibel wären, was die Frage angeht, in der Umsetzung der Ergebnisse des Asylpakets hier auch zu entsprechenden Lockerungen zu kommen. In Bezug auf die provisorische Unterbringung von hier ankommenden Flüchtlingen gibt es einen entsprechenden Passus, dass man hier auf weitere Ausweitungen bei der EnEV bis 2018 verzichtet.

Insgesamt kann man sagen: Die Wohnungspolitik in Nordrhein-Westfalen ist auf einem guten Weg. Wir haben an den richtigen Stellschrauben gedreht.

Sie haben bei Ihrem Antrag – man hätte das im Ausschuss natürlich noch weiter debattieren können – auf direkte Abstimmung gedrängt. Deswegen werden wir heute darüber abstimmen. An dieser Stelle müssen wir Ihren Antrag natürlich ablehnen.

Ich will Ihnen hier noch eine Sache entgegenhalten, die Sie eben angesprochen haben, Herr Hausmann, und zwar bezüglich der degressiven Abschreibung, die Sie auf 20 bzw. 25 Jahre setzen wollen. Ich finde das zwar auch inhaltlich falsch. Sie hätten aber zumindest einmal einen Beleg geben können. Nun gibt es einige CDU-regierte Bundesländer mit einem CDU-Bauminister. Kein einziges Bundesland hat die degressive Abschreibung in diesem Bereich so geregelt, wie Sie das hier in Ihrem Antrag vorschlagen.

Sinnvoll wäre, wenn man in diesem Bereich etwas tun will, dass man zum Beispiel über eine AfA in Höhe von 3 % nachdenkt, die dann über 50 Jahre gilt. Das scheitert – das ist bei der Bauministerkonferenz auch Gegenstand der Debatte gewesen – momentan noch am Widerstand des Bundesfinanzministers. Das wäre ein vernünftiger Vorschlag gewesen. Den hätten wir unterstützen können. Dann hätte man auch hier Anreize setzen können. Aber die degressive Abschreibung auf 20 bis 25 Jahre zu setzen, wird unsere Zustimmung nicht finden.

Jetzt sehe ich, dass es eine Zwischenfrage gibt. Sie hätten es jetzt wahrscheinlich gesagt, Herr Präsident. – Ah, die Redezeit ist beendet.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Abgeordneter, ausgezeichnet! Ja, zunächst ist die Redezeit zu Ende; das ist so. Aber Sie haben auch unser elektronisches Signal bemerkt. Das freut uns hier oben sehr.

Arndt Klocke (GRÜNE): Jetzt will uns der Kollege Hausmann sagen, in welchem Bundesland die degressive Abschreibung in diesem Zusammenhang doch so geregelt ist, wie die CDU das fordert. Da bin ich gespannt.

(Zuruf)

– Das wäre auch eine spannende Frage.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Hausmann will die Kurzintervention machen? – Dann kommen wir zu der Kurzintervention von Herrn Hausmann.

(Wilhelm Hausmann [CDU]: Eine Zwischenfrage!)

– Moment. Hier wurde eine Kurzintervention auf die Rede angemeldet.

(Zuruf: Von Herrn Schemmer!)

– Die haben wir hier notiert. Sonst haben wir nichts gemeldet bekommen. – Bitte schön, Herr Schemmer. Sie haben für 1:30 Minuten das Wort. Dann folgt die Antwort von Herrn Klocke. Bitte.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Klocke, Sie sprachen vorhin davon, dass die Wohnungen dort gebaut werden müssen, wo sie gebraucht werden. Das ist schon einmal ein Erkenntnisgewinn, den ich ausdrücklich begrüße. Gebraucht werden die Wohnungen insbesondere da, wo der Zensus uns gesagt hat, dass wir einen Leerstand von unter 3 % haben. Dort haben wir keinen ausgeglichenen Markt.

Außerdem stellen Sie das Thema „Eigentum“ so dar, als ginge es um irgendwelche – ich weiß nicht, welche – reichen Leute. Meine Frage ist schlicht und einfach: Menschen, die ein durchschnittliches Einkommen haben, beispielsweise der Facharbeiter, bekommen doch auch bei niedrigen Zinssätzen das Eigentum gar nicht finanziert. Sie bekommen zwar die ersten 60 % finanziert und können den Eigenanteil von 15 % vielleicht auch noch aufbringen. Alles, was zwischen 60 % und 85 % liegt, bekommen sie aber nicht finanziert.

Nächste Frage zu der Form, wie Sie mit Wohnungsförderung umgehen – ich komme gleich noch einmal darauf –: Wir werden in diesem Jahr 45.000 Wohnungen in Nordrhein-Westfalen bauen. Das sind 0,5 % oder 5 ‰ unseres Wohnungsbestandes. Das heißt: Wenn alle Wohnungen 200 Jahre alt werden, bekommen wir gerade einmal den Ersatz für das, was wir hatten – ohne eine einzige zusätzliche Wohnung.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Diese Statistik verstehe ich nicht!)

Dann wird auf das tolle Ergebnis der Wohnraumförderung durch Rot-Grün abgestellt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Die 1:30 Minuten sind um, Herr Schemmer.

Bernhard Schemmer (CDU): Ich bin nach einem weiteren Satz fertig; Entschuldigung. – Bei den unter 4.000 Wohnungen, die Sie jetzt gefördert bekommen, sowohl im Miet- als auch im Eigentumsbereich, sind Sie bei weniger als der Hälfte von dem, was unter Schwarz-Gelb bis 2010 und unter Rot-Grün bis 2005 da war.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schemmer. – Herr Kollege Klocke, bitte schön.

Arndt Klocke (GRÜNE): Ich muss zugeben, Herr Schemmer: Ich habe einen Teil Ihrer Statistiken jetzt nicht nachvollziehen können. Vielleicht können wir uns am Rande gleich noch einmal austauschen.

Nur: Sie müssen verstehen, dass diese Landesregierung andere Schwerpunkte bei der Wohnraumförderung setzt. Wir haben hier einen Kurswechsel vorgenommen, der mit Bedarfen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten zu tun hat. In dem Bereich, in dem Sie die Schwerpunkte gerne setzen würden – das haben Sie in dem Antrag noch einmal deutlich gemacht –, setzen wir sie nicht, weil wir einen sehr klaren Kompass haben, wo wir entsprechende Fördermittel einsetzen wollen – und wo es auch notwendig ist, sie einzusetzen.

Insofern ist sehr klar, dass wir sie in einem anderen Preissegment, in einem anderen Bedarfssegment, einsetzen, als Sie das in Ihrer Regierungszeit gemacht haben. Das hat auch etwas mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun.

Auf der anderen Seite achten Sie immer auf Haushaltskontrolle und betonen, man müsse entsprechende Förderverfahren herunterfahren. Sie müssten in dem Bereich, in dem Sie für eine Eigenheimförderung plädieren, die dringende Notwendigkeit belegen, mit einer Landesförderung aktiv zu werden. Das sehe ich überhaupt nicht. Daher sticht Ihr Argument nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Klocke. – Damit sind wir am Ende Ihrer Rede und kommen zur nächsten, nämlich der von Holger Ellerbrock von der FDP-Fraktion.

Arndt Klocke (GRÜNE): Ich dachte, Herr Hausmann hätte noch eine Frage gehabt. Entschuldigung. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Ich bedanke mich auch. – Herr Ellerbrock, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Hausmann sagte gerade zum Beitrag von Kollegen Klocke: Der rot-grüne Kompass führt direkt in die Wohnungsnot. – Sie haben recht, Herr Kollege Hausmann.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben die Jungfernrede der Kollegin Philipp als baupolitische Sprecherin gehört. Herzlichen Glückwunsch! Sie war natürlich gerade als Jungfernrede ideologisch stark gefestigt. Man kann bei einer solchen Rede sehen, wie man sich die Wohnungssituation verzerrt selbst schönreden kann. Aber das haben Sie gut gemacht. Ich denke, wir werden im Ausschuss eine gute Zusammenarbeit haben. Schönen Dank.

Meine Damen und Herren, der Antrag der CDU enthält eine gute Zusammenfassung vieler Punkte, die wir als FDP schon eingebracht haben: Der Wohnungsmarkt muss entfesselt werden. Wir wollen keine Kappungsgrenze. Und von der Mietpreisbremse halten wir überhaupt nichts.

Leider ist auch das Moratorium zur Energieeinsparverordnung bei der Bauministerkonferenz nicht beschlossen worden. Meine Damen und Herren, das Gegenteil von gut ist ja nicht schlecht; das Gegenteil ist gut gemeint. Je stärker wir die Energieeinsparverordnung in ihren Auswirkungen überziehen, desto weniger Wohnungen werden gebaut. Deswegen ist das schlecht.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Nach meiner Überzeugung müsste bei der Energieeinsparverordnung ein Amortisationszeitraum von ca. zehn bis 15 Jahren greifen. Das wäre ein weiteres Beurteilungskriterium.

Meine Damen und Herren, Kollege Hausmann hat schon darauf hingewiesen, dass es einige Ballungszentren gibt, in denen wirklich schnell und möglichst unbürokratisch zusätzliche Wohnungen gebaut werden müssen. Das haben auch Kollege Klocke und Kollegin Philipp gesagt. Da sind wir uns einig.

Auf der anderen Seite haben wir gerade im ländlichen Raum einen erheblichen Sanierungsstau, weil dort die Bevölkerung aufgrund der demografischen Entwicklung abwandert und keine vernünftigen Mieten mehr erzielt werden können. Es gibt hohe Leerstände.

Wir brauchen in beiden Bereichen erhebliche finanzielle Mittel, die wir als öffentliche Hand nicht haben. Es geht letztlich darum, privates Kapital für öffentliche Aufgaben zu mobilisieren. Da fehlt diese Regierung in besonderem Maße.

Es geht für einen Investor doch nicht nur darum, mit einer Miete einen vernünftigen Zins zu erwirtschaften, sondern auch um Rechtssicherheit und um Achtung vor dem Begriff „Eigentum“. Das macht diese Regierung überhaupt nicht. Sie betreibt Vermieterschelte. Sie erhöht die Grunderwerbsteuer. Sie versucht es mit einer Mietpreisbremse.

Meine Damen und Herren, die Mietpreisbremse bremst nicht die Mieten; die Mietpreisbremse bremst den Wohnungsbau.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Durch sie wird die Zahl der Wohnungen sinken. Man muss sich doch überlegen, was man will. Durch eine Mietpreisbremse werden potenzielle Investoren davon abgehalten, sich zu engagieren.

(Zuruf von der SPD: Wieso denn das? – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch!)

Die Mietpreisbremse ist Teil des Problems und nicht Teil der Problemlösung.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das ist der Grund, Kollege Hausmann, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können. Sie haben in Ihrem Text an einer Stelle stehen, dass die Mietpreisbremse, wenn auch zeitlich begrenzt, irgendwelche positiven Auswirkungen haben könnte.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Nein, das hat sie nicht. Sie hat keine positiven Auswirkungen.

(Beifall von der FDP)

Das muss man deutlich sagen.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Der Vorschlag, den Sie sonst gemacht haben, Kollege Hausmann, die AfA zu erhöhen, wäre ein richtiger, ein vernünftiger, ein marktwirtschaftlicher, ein erfolgreicher Weg – ohne eine sozialistische Regulierung. Das können wir bringen; das ist eine vernünftige Sache.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat doch aufgezeigt, was es bedeutet, wenn wir die AfA vernünftig konstruieren: Die Steuerbelastungen für Wohnmarktinvestoren werden reduziert. Die Neubauaktivitäten steigen. Die Beschäftigungssituation der Baubranche verbessert sich. Die Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuereinnahmen nehmen zu.

Das sagt nicht die FDP; das sagt nicht Holger Ellerbrock; das sagt das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung.

(Beifall von der FDP)

Wenn Sie uns nicht glauben – das sollten Sie übrigens viel öfter tun, weil wir recht haben –, dann glauben Sie wenigstens dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung!

Alles in allem kann ich nur eines sagen: Die Forderungen, die Sie als CDU aufgestellt haben, sind in Ordnung. Aber in der Mietpreisbremse noch irgendwo tolerable oder positive Ansätze zu erkennen, ist mit uns nicht zu machen. Die Mietpreisbremse bremst nicht die Mieten; die Mietpreisbremse bremst den Wohnungsbau, wie ich es gesagt habe. Deswegen werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten.

Gleichwohl ist es richtig, dass Sie die positiven Aspekte marktwirtschaftlicher Orientierung hervorgehoben haben. Herr Hausmann, so ist das Leben: Was können unsere sachlich begründeten, objektiven Argumente gegen solche subjektiv vorgebrachten Scheinargumente,

(Lachen von Minister Michael Groschek)

die völlig danebenliegen, ausrichten? So ist das Leben.

Gute Beratungen! Wir werden uns enthalten. – Danke.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Jochen Ott [SPD] – Weiterer Zuruf von der SPD: So viel Sachferne!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ellerbrock. – Nun spricht für die Fraktion der Piraten Herr Kollege Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Die CDU präsentiert uns ein weiteres Mal einen mehr als flüssigen Antrag, der zudem schlecht recherchiert und schlampig redigiert ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dass wir unsere Zeit damit verbringen müssen, geht ein bisschen in Richtung Respektlosigkeit.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Was sagt die CDU? Ja, wenn ich das einmal genau wüsste! Sie beklagt die nicht ausreichende Wohnraumförderung und die niedrige Eigentumsförderung. Sie beschwert sich über gestiegene Grunderwerbsteuern und über Kostensteigerungen im Wohnungsbau. Geschenkt. Darüber können wir uns lange streiten.

Ich habe keinen Grund, die Regierung zu verteidigen, und sage auch: Die Wohnraumförderung muss attraktiver werden, damit Menschen in angemessener Weise mit bezahlbarem Wohnraum versorgt werden. Ob allerdings die Förderung von Wohneigentum einen nachhaltigen Beitrag zur Wohnraumversorgung leisten kann, wäre im Einzelnen zu untersuchen.

Dass die SPD Wortbruch bei der Erhöhung der Gewerbesteuern betrieben hat, ist in der Tat eine weitere historische Schuld.

(Jochen Ott [SPD]: Das hätte er sich jetzt sparen können!)

Ob sie aber in besonderer Weise verantwortlich ist für einen gar nicht so einfach nachzuweisenden Nachfragerückgang, wie die CDU das nahelegt, darf dann doch bezweifelt werden.

Was verlangt die CDU? Ein weiteres Mal die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung für Abnutzung. Okay, das hatten wir schon mal, und es kann der Landesregierung kaum vorgeworfen werden, dass sie in Berlin nicht durchgekommen ist. Ob eine degressive Abschreibung für Abnutzung wirklich den Impuls setzt, den sich die CDU verspricht, nämlich zu einer spürbare Angebotssteigerung zu gelangen, darf ohnehin bezweifelt werden.

Mindestens genauso bedeutsam sind Mitnahmeeffekte und Einnahmeausfälle der öffentlichen Hand. Angesichts niedriger Zinsen am Kapitalmarkt sind zusätzliche Anreize überhaupt nicht selbstverständlich dazu geeignet, die Angebotsbedingungen so zu verbessern, dass ein gesellschaftlicher Nutzen entsteht.

Natürlich tritt die CDU für weniger Bürokratie ein. Bauanträge sollen zügiger und einfacher genehmigt werden. Im Ernst: Wo hat ein professionell aufgestellter Investor zuletzt von der Genehmigungsbehörde Steine in den Weg gelegt bekommen?

Selbstverständlich haben auch wir Piraten nichts gegen den Abbau überflüssiger Bürokratie, und natürlich begrüßen wir jede Vereinfachung im Genehmigungsverfahren, solange – und das ist jetzt wichtig – damit nicht demokratische Rechte bedroht werden. Aber mit Verlaub: Die Kritik der CDU an den Menschen in den Bauämtern ist völlig überzogen.

Ach ja, natürlich darf in diesem Antrag nicht das Moratorium fehlen. Nein, natürlich hat die CDU nichts gegen die Energieeinsparverordnung – aber bitte nicht jetzt und bitte nicht so. Um es deutlich zu sagen: Wer die Klimaziele dem vermeintlichen Sachzwang der schnellen Produktion von Wohnraum opfert, macht sich schuldig an den nachfolgenden Generationen.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber da steht die CDU leider nicht mehr alleine da. Die Bauministerkonferenz hat sich in der letzten Woche ganz ähnlich geäußert. Auch ohne dass die CDU mit ihrem Antrag durchkommt, werden wir also ein weiteres Mal Zeuge der Austragung des Konflikts „Beton gegen Zukunft“.

Darüber hinaus fordert die CDU – auch nicht zum ersten Mal – eine weitere Senkung der Eigenkapitalquoten sowohl der Kapitalanleger als auch der Selbstnutzer. Ob wir damit volkswirtschaftlich nicht die Basis für eine neue Blase legen, wenn wir den Investoren die Möglichkeit geben, mit noch weniger Eigenkapital noch mehr Profit auf das eingebrachte Eigenkapital zu machen, fragt sich die CDU wohl gar nicht. Und ob wir eine Familie, die sich mit nur 10 % Eigenkapital ein Häuschen zulegen will, nicht potenziell ins Unglück stürzen, fragt sie sich schon gar nicht.

Was passiert denn mit solchen Familien, wenn eine kleine Zinserhöhung die sowieso knapp kalkulierte Rechnung über den Haufen wirft? Wollen wir in Deutschland amerikanische oder spanische Verhältnisse, mit vielen Tausend Menschen, die ihr Häuschen an die Bank verloren haben und buchstäblich vor dem Nichts stehen? Also, auch wenn sich die Forderung nach niedrigen Eigenkapitalquoten zunächst gar nicht so schlecht liest, ist sie doch gefährlich und entsprechend vorsichtig zu behandeln.

Unter dem Strich bleibt der Antrag ein unausgegorenes Sammelsurium von zu kurz gesprungenen Behauptungen und Forderungen, die uns nicht weiterhelfen. Wohnungspolitische Kompetenz sieht anders aus. Daher kann ich meiner Fraktion nur empfehlen, diesen Antrag abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Groschek das Wort.

(Jochen Ott [SPD]: So, jetzt kriegen wir die Welt erklärt!)

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Weil der Abgeordnetenkollege Wegner so ausdrücklich recht hat in seiner Zusammenfassung, sollten wir uns fragen, warum solche an und für sich so schlauen Menschen wie der Kollege Ellerbrock und Willi Hausmann hier noch nicht mal bauernschlaue Reden halten.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Eigentlich sollten wir doch inhaltlicher miteinander umgehen.

(Wilhelm Hausmann [CDU]: Kleiner Minister am großen Rednerpult!)

– Kollege Hausmann, das ist so eine Sache, gerade als CDU. Zunächst einmal ist das Eigenkapital als Nachweis bei der NRW.BANK nur eine Eigenleistung. Es kann also gesplittet werden in planerische Leistung, architektonische Leistung und Eigenkapital. Damit gibt es keine 20-%-Hürde, und wenn Investoren Einzelinteressen vorzubringen haben, ist die NRW.BANK immer verhandlungsbereit. Und dass ausgerechnet die CDU eine einseitige Risikoverlagerung auf die Bank fordert, ist wirklich evolutionär.

(Wilhelm Hausmann [CDU]: Ist doch alles falsch!)

Denn Sie waren es, die dagegen gestimmt haben, dass wir überhaupt Tilgungsnachlässe bei der NRW.BANK einführen.

(Beifall von der SPD)

Sie haben den Untergang der Bank an die Wand gemalt, als wir gesagt haben: 42 Millionen € Tilgungsnachlass müssen sein. Also: Zu kurz gesprungen? – Fraglich.

Zur EnEV. Da kann ich nur meinen Kumpel, den Staatssekretär Eck aus Bayern, zitieren. Er sagte: Wir stehen das gemeinsam. – Wir haben einen 16:0-Beschluss in der Bauministerkonferenz vorliegen. 16:0 – von Bayern bis Schleswig-Holstein! Niemand hat ein EnEV-Moratorium gefordert.

Alle haben gesagt: Wir müssen die Systematik der EnEV gründlich überarbeiten. Das werden wir auf einer Sonder-Bauministerkonferenz im nächsten Sommer dann auch angehen und vorher in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe dafür sorgen, dass die EnEV keine Baubremse darstellt und dass der Klimaschutz nicht auf die Müllhalde gekippt wird. Wir brauchen nämlich beides: Klimaschutz und schnelles Bauen – und das werden wir mit der neuen EnEV-Systematik auch hinbekommen.

Der Kollege Remmel und ich haben uns vorgenommen, dazu gemeinsam eine NRW-Initiative zu starten, damit wir die Richtung vorgeben. Das nenne ich Nachhaltigkeit à la NRW.

(Beifall von der SPD)

Nächster Punkt: Eigentumsförderung braucht jetzt keine Steuergeldförderung. Wir haben einen Eigentumswohnungsbau auf einem sehr hohen Niveau. Das ist auch gut so.

Warum ist das so? – Weil das historische Zinstal eben kein Jammertal ist, sondern weil in diesem Zinstal auch Durchschnittsverdiener problemlos eine Baufinanzierung hinbekommen. Wir müssen also kein Steuergeld dort verplempern, wo es wirklich nicht notwendig ist.

Was das Leerstandsmanagement betrifft, fragen uns inzwischen andere Bundesländer, wie wir die Großen und die Kommunen ins Boot bekommen haben. Das wird in einer Art und Weise vorbereitet, die vorbildlich ist.

Um Zahlen sprechen zu lassen, möchte ich einen Vergleich der Wohnungsbauaktivität im geförderten Wohnungsbau für die Jahre 2014 und 2015 anstellen.

(Bernhard Schemmer [CDU]: 2004!)

Wir haben über alles – Vergleich Ende Oktober – ein Plus von 30 %, Kollege Schemmer. Ein Plus von 30 % haben Sie noch nicht einmal mit Ihrer Eigentumsförderung auf Steuergeldkosten geschafft. Wir haben das über alles geschafft,

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

weil wir im Rahmen des sozialen Mietwohnungsneubaus eine Sprungsteigerung von 38 % plus haben. Das ist dem tollen Bündnis für Wohnen geschuldet, wo nur die Mäkeler und Neinsager außen vor sind und alle anderen Gutmeinenden parteiübergreifend zusammenarbeiten.

(Beifall von der SPD)

Ich lade Sie herzlich dazu ein. Denken Sie nach, und machen Sie mit, dann kommen wir zugunsten der Mieterinnen und Mieter weiter voran.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, Stichwort „Einladung“: Herr Kollege Schemmer würde diese gerne annehmen und Ihnen eine Frage stellen.

(Zurufe von der SPD: Ah!)

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Immer, immer!

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann bitte schön.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, Sie haben uns gerade erklärt, welche Steigerungen es im Wohnungsbau von 2014 zu 2015 gibt. Diese Zahlen sind noch nicht belegt, aber Sie haben es präventiv schon einmal vorgetragen. So sind wir das auch gewohnt.

Erstens. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Wohnraumförderung des Jahres 2015 im Mietwohnungsbau – ich hätte fast „nur ein Bruchteil“ gesagt – deutlich unter 100 % des Mietwohnungsbaus beispielsweise der Jahre 2008, 2009 und 2010 unter Schwarz-Gelb beträgt?

(Lachen bei der SPD)

Zweitens. Sind Sie des Weiteren bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Eigentumsförderung mit 445 Einheiten des Jahres 2010 gerade mal 5 % Ihrer eigenen Wohnraumförderung von 2004 beträgt?

(Stefan Zimkeit [SPD]: Könnte mal jemand Herrn Groschek einen Stuhl bringen? – Heiterkeit)

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Kollege Schemmer, wir beide haben nicht nur Mengenlehre in der Schule gelernt; deshalb kennen wir auch Prozent- und Zinsrechnung. Zinsbereinigt liegen wir meilenweit vor Ihnen. Bei einem solchen Zinsniveau, wie Sie es hatten, hätten wir längst mehr Mietwohnungsbau im geförderten Wohnungsbau realisiert.

(Beifall von der SPD – Jochen Ott [SPD]: Genau so ist das!)

Was aber sind die eigentlichen Herausforderungen? – Die eigentlichen Herausforderungen liegen darin, zu begreifen, dass wir neu über das Bauen in der Vertikalen nachdenken müssen. Wir haben aus gutem Grund gesagt, dass wir Fläche nicht sinnlos versiegeln dürfen. Das ist ein Gebot der ökologischen Vernunft. Weil wir die Menschen nicht unter Tage unterbringen können und wollen, müssen wir deshalb die Vertikale neu denken.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Seit der Weltausstellung 2000 gibt es den Niederländischen Pavillon. Dieser Niederländische Pavillon hat visionär für Zeiten wie diese in vorbildlicher Weise architektonisch übersetzt, wie man unterschiedliche Funktionsbereiche – Wohnen, Freizeit, Arbeiten, Landwirtschaft – in der Vertikalen übereinander anordnen kann. Die Herausforderung besteht jetzt darin, zu überlegen, wie wir ohne eine schreckliche Kopie der Neuen Heimat der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts die Vertikale architektonisch so erobern können, dass sie städtebaulich ein Schmuckstück und keine Abwrackhalde wird. Das ist die Herausforderung.

Im Moment sind wir dabei, auf internationaler Ebene Architekten zu gewinnen, die uns helfen, eine Formensprache zu finden, die nicht nur Luxuswohnen in Wohnhochhäusern möglich macht, sondern die auch im sozialen Wohnungsbau wieder ein attraktives Leben in der Vertikalen möglich macht. Wir werden Sie einladen, mit uns diese Gestaltung vorzunehmen. Nordrhein-Westfalen muss neue Wege beschreiten. Wir werden neue Ausrufezeichen setzen. Bauen und Wohnen in Nordrhein-Westfalen sind in bestmöglichen Händen.

(Beifall von der SPD und der Regierungsbank)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende CDU-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Zu dieser kommen wir dann auch, und zwar über den Inhalt des Antrags in Drucksache 16/10069. Wer stimmt für den CDU-Antrag?

(Jochen Ott [SPD]: Ein Drittel der CDU-Fraktion!)

Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dann stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/10069 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion gegen die Stimmen der CDU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd abgelehnt worden ist.

Ich schließe die Beratung zu Tagesordnungspunkt 11 und rufe auf:

12       Gesetz zum Schutz der nordrhein-west-fälischen Kommunen vor Risiken aus Fremdwährungskrediten und spekulativen Finanzgeschäften

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/8131 – 2. Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/10094

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Kommunalfinanzagentur zur Unterstützung der Kommunen im Zins- und Schuldenmanagement gründen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8121

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/10103

Noch ein Hinweis: Der Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/8121 – soeben erwähnt – wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b) unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Kommunalpolitik überwiesen mit der Maßgabe, dass Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik liegen nunmehr als Drucksache 16/10103 vor.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Hübner das Wort. Bitte, Herr Hübner.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir konnten zu beiden Themen eine verbundene Anhörung durchführen und dabei feststellen, Herr Kollege Kuper, dass es für den von Ihnen vorgeschlagenen Gesetzentwurf, den Sie gemeinsam mit der FDP vorgelegt haben, keine Sympathie gab.

Ich betone: Es gab keine Sympathie, weil sich nahezu alle geladenen Sachverständigen – wir haben das übliche Verfahren angewandt, dass alle Fraktionen Sachverständige einladen konnten – übereinstimmend für „Mehr privat, weniger Staat“ ausgesprochen haben. Ich betone das deshalb, weil der Vorschlag der CDU und der FDP ja zwei Punkte postuliert hat.

Erstens. Fremdwährungskredite in Schweizer Franken sind höchst spekulativ. Diese Einschätzung wurde fundamental abgelehnt, und zwar von allen Sachverständigen, insbesondere von den Kämmerern aus Dorsten und auch aus Düsseldorf. Das wurde auch nicht besser, als wir – die Kollegin Britta Altenkamp noch einmal zitierend – das Thema „Klieve“ angesprochen haben.

Essen hat, wie Sie wissen, kurz bevor die Europäische Zentralbank massiv öffentliche Anleihen aufgekauft hat – was ja zu dem Abfall der Währung des Schweizer Franken gegenüber dem Euro geführt hat –, noch einmal nachgekauft. Auch da war einfach nicht absehbar, dass es sich um ein spekulatives Instrument gehandelt hat, weil – ich will das nicht zu stark belasten – solche Überlegungen wie „so sicher wie der Schweizer Franken“ da sicherlich auch eine Rolle gespielt haben.

Allerdings haben Sie versucht, den Eindruck zu erwecken, dass das genauso spekulativ sei wie Cross-Border-Geschäfte, die von Ihrer Landesregierung zwischen 2005 und 2010 als innovatives Finanzinstrument massiv unterstützt worden sind. Das ist jedoch absolut nicht vergleichbar. Das hat die Anhörung sehr deutlich gezeigt.

Es ging eben nicht darum, dass es sich etwa um ein Zocken der Kämmerer an Börsen gehandelt hätte; vielmehr ging es darum, Vorteile bei den Kommunen zu generieren – die auch dargestellt worden sind, die ja bei bis zu 200 Basissatzpunkten gelegen haben –, die solche Schweizer-Franken-Kredite aufgenommen haben. Diese Vorteile waren in den letzten Jahren erzielt worden. Es war eben nicht absehbar, dass der Wechselkurs zum Euro so dramatisch einbrechen würde.

Zum zweiten Thema: die Kommunalfinanzagentur. Auch dazu haben wir, wie gesagt, die verbundene Anhörung durchgeführt. Dort wurde unter anderem von den Vertretern der NRW.BANK, die als Sachverständige eingeladen wurden, sehr deutlich gemacht, dass wir zu nahezu allen Fragen im Zusammenhang mit innovativen Finanzinstrumenten ein sehr umfassendes Portfolio seitens der NRW.BANK vorliegen haben, sodass es wirklich überflüssig wäre, eine separate Kommunalfinanzagentur auf den Weg zu bringen.

Ihnen, liebe antragstellende Fraktionen von CDU und FDP, muss man tatsächlich attestieren, dass es besser gewesen wäre, im Kommunalausschuss in der vergangenen Woche die Anträge zurückzuziehen, weil es überhaupt keine Übereinstimmung mit den Sachverständigen gegeben hat. Herr Kuper, Sie haben ja heute noch die Chance dazu. Dann könnten wir uns die Abstimmung dazu gleich schenken. Das wäre noch ein Punkt, zu dem wir heute noch eine eher konstruktive Atmosphäre herbeiführen könnten.

Dies ist voraussichtlich meine letzte Möglichkeit, mich beim Bürgermeister von Stemwede – er ist zwar bereits Bürgermeister, ist aber heute noch im Landtag anwesend – ganz herzlich zu bedanken für die konstruktiven Auseinandersetzungen, die wir zuletzt im Kommunalausschuss über viele Fragen hatten. Lieber Kai Abruszat, wir bedanken uns auch als SPD-Fraktion für das Engagement, das hier gezeigt worden ist, und wünschen natürlich auch der Stadt Stemwede unter deiner Leitung alles Gute für die Zukunft.

Diese kleine Spitze sei gestattet: Nutze bitte keine spekulativen Finanzinstrumente! Aber ich sage an dieser Stelle auch: Die Schweizer- Franken-Kredite waren und sind auch in Zukunft keine höchstspekulativen Instrumente. Ich bin mir ganz sicher, dass dein Sachverstand dazu führen wird, dass solche Instrumente nicht genutzt werden.

Herzlichen Dank für die kontroversen Auseinandersetzungen! Herzlichen Dank für die auch immer humoristischen Auseinandersetzungen, die wir hier, aber auch im Ausschuss hatten. Alles Gute für Stemwede und Glück auf!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Kuper das Wort.

André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hübner, ich denke, Sie gehen nicht davon aus, dass wir an dieser Stelle einen Ausgleich der Meinungen erzielen können. Denn angesichts der Veränderungen, die mittlerweile auf den Kapitalmärkten stattgefunden haben, und zwar spätestens seit der Welt- und Finanzkrise 2009 und der Griechenlandkrise, ist einfach eine Veränderung von vielen Gewohnheiten notwendig. Darauf müssen wir einerseits in unseren Kommunen reagieren, aber andererseits auch mit einer neuen Rahmenvorgabe hier im Landtag.

Fremdwährungskredite – auch da bin ich anderer Meinung als Sie – weisen auch heute noch ein erhebliches Risiko auf, vor allen Dingen, wenn diese Risiken nicht abgesichert sind, was in vielen Kommunen leider der Fall ist.

Bei den gut 27 Kommunen hier in NRW, die Kredite in Fremdwährungen in einer Höhe von 1,4 Milliarden € haben, wird ein Schaden in dreistelliger Millionenhöhe zu verzeichnen sein. Dieser Schaden ist zum Teil schon entstanden. Wenn man allein die Zahlen aus Essen und Bochum addiert, kommt man schon auf eine Schadenssumme von über 100 Millionen €.

Wenn man bedenkt, dass basierend auf dem Stärkungspakt aus der kommunalen Familie knapp 100 Millionen in den Kommunalsoli eingezahlt werden müssen, dann erkennt man: Das Geld ist sozusagen auf der anderen Seite durchs Fenster wieder rausgegangen. Ich denke, das macht auch deutlich,

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

dass ein „Weiter so“ genau das Verkehrte ist.

(Michael Hübner [SPD]: Mehr Staat und weniger privat!)

Wir wollen, dass wir als Land unsere Schutzfunktion gegenüber den Städten und Gemeinden und gegenüber unseren Steuerzahlern wahrnehmen und dass diese Risiken begrenzt werden.

(Michael Hübner [SPD]: Mehr Staat und weniger privat!)

Durch diesen Gesetzentwurf wird ein Rahmen vorgegeben. Die kommunale Selbstverwaltung wird durch ihn nicht infrage gestellt.

Übrigens beschreibt dieser Gesetzentwurf das, was in anderen Ländern in diesen Tagen schon in die Tat umgesetzt wird. In Sachsen gibt es mittlerweile ein Spekulationsverbot. Hessen plant dies; das Verfahren läuft. Weitere Bundesländer sind noch in der Überlegung, und das, obwohl die betroffenen Kommunen in diesen Ländern von den Summen her weit weniger betroffen sind.

Der Gesetzentwurf setzt das um, was der Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie der Bund der Steuerzahler – insofern, Herr Hübner, waren da nicht alle Sachverständigen einer Meinung – einfordern, nämlich solche Fremdwährungskredite in dieser Art und Weise grundsätzlich für unzulässig zu erklären.

Daraus resultiert etwas, was Sie mit der derzeitigen Erlasslage nicht sichern können, nämlich dass das Verbot spekulativer Finanzgeschäfte, das als Folge die Nichtigkeit solcher Finanzgeschäfte nach sich zieht. Das heißt in der Folge für die Kommunen: Rückabwicklung dieser Geschäfte, und zwar zum Schutz der Kommunen und damit der Steuerzahler. Dieser Aspekt kann nicht über einen Erlass geregelt werden, und das spricht mehr denn je für einen solchen Entwurf. Insofern wollen wir nicht, dass Kommunen zukünftig neue Risiken dieser Art eingehen. Dabei beschränken wir nicht die Finanzhoheit der Kommunen.

Zur kommunalen Finanzagentur: Das ist für uns eine Option, bei der man gar nicht viel Bürokratie aufbauen muss, die aber insbesondere die mittleren und kleinen Kommunen unterstützen soll. Die großen Kommunen sind in der Lage, alleine Anleihen auf dem Markt zu platzieren. In der Regel brauchen sie dafür mindestens 100 Millionen € Volumen. Das ist für mittlere und kleinere Kommunen nicht möglich. Diese haben – Gott sei Dank – in der Regel nicht einen solchen Kreditbedarf, und sie verfügen vor allen Dingen nicht über das personelle Know-how, um das Ganze abwickeln zu können.

Wie notwendig dies ist, kann man in einer aktuellen Studie der IKB Deutsche Industriebank aus den letzten Tagen nachlesen, in der es heißt – ich zitiere –: „Alternative Finanzierung für Kommunen immer wichtiger“. Zwei Drittel der Kommunen erhalten nach dieser Studie weniger Angebote als vorher. Wenn man einmal genauer hinschaut, stellt man fest: Vor fünf Jahren haben sie zwei Drittel mehr an Finanzangeboten bekommen als heute. Daher muss man alternative Instrumente suchen und die Kommunen auf diesem Weg unterstützten.

Letztlich – das wollen wir mit diesem Gesetzentwurf – wird die Finanzhoheit gewahrt, und wir wollen eine bessere Unterstützung der Kommunen gewährleisten.

Von daher, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheiden Sie darüber, ob die Kommunen bei dem ersten Gesetzentwurf mehr Schutz und beim zweiten eine entsprechende Unterstützung bekommen.

(Widerspruch von Michael Hübner [SPD] – Britta Altenkamp [SPD]: Oh!)

Last but not least auch von unserer und meiner Seite ein ganz herzliches Dankeschön an den Kollegen Kai Abruszat für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Ich denke, ihr habt in der Fraktion eine gute Nachfolge gefunden, aber der Mensch Kai Abruszat wird mir und wird uns im Landtag fehlen. Danke schön, Kai.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Meine Damen, meine Herren! Herr Präsident! Kai Abruszat, André Kuper, es sind keine guten Vorlagen, über die wir heute zu entscheiden haben. Insofern werden wir unsere Einschätzung beibehalten und die beiden Vorlagen entsprechend ablehnen.

Ich will zunächst einmal auf das Thema „Finanzagentur“ eingehen. Gerade wurde von André Kuper vorgetragen, dass beim Innenministerium eine Stabsstelle geschaffen werden soll. Das können wir machen – wenn es in diesem Zusammenhang einen Bedarf gibt. Wir kennen jedoch keine Kommune, die uns in diesem Zusammenhang deutlich gemacht hat: Wir brauchen externen Beratungsbedarf, der beim Innen- oder Finanzministerium angesiedelt ist. Ganz im Gegenteil: Im Rahmen der Anhörung ist deutlich geworden, dass es eine Vielzahl von Instituten und Beratungsunternehmen gibt, die den Kommunen hilfreich zur Verfügung stehen.

Wenn man ein solches Angebot zu den Themen „Schuldenbremse“ und „Personalaufwuchs“ aufbaut, funktioniert das Ganze nur, wenn diese Dienstleistungen von den Kommunen, die ein entsprechendes Dienstleistungsangebot in Anspruch nehmen, auch finanziert werden können. Aber wie gesagt: Es gibt in diesem Zusammenhang keine Nachfrage, und insofern hat sich das Thema „Finanzagentur“ erledigt. Wenn irgendwann eine entsprechende Nachfrage vorhanden ist, kann man sicherlich noch einmal darüber nachdenken.

Kommen wir zum Thema „Fremdwährungsdarlehen/Genehmigungspflicht bzw. Verbot von spekulativen Finanzgeschäften“. Auch hierzu hat es in der Anhörung eindeutige Aussagen gegeben. Ich kann mich da auf die Worte von Michael Hübner beziehen.

Wir wollen einmal durchdenken, wie es denn laufen soll, wenn Ihrem Vorschlag zum Thema „Genehmigungspflicht bei Fremdwährungsdarlehen“ gefolgt wird.

Erstens müssten wir einen entsprechenden Personalstamm bei den jeweiligen Kommunalaufsichtsbehörden aufbauen. Z

Zweitens kennen wir auch die üblichen Bearbeitungszeiten. Wenn es ganz schnell läuft – das meine ich in Richtung Bezirksregierung gar nicht böse –, erhält man innerhalb von zwei Wochen eine Antwort. Wenn es nicht so schnell läuft, dauert es sechs Wochen. Aber es gibt auch Situationen, in denen man bis zu zwölf Wochen im kommunalpolitischen Raum wartet, um einen entsprechenden Bescheid zu erhalten. Dann werden Sie aber feststellen, dass die Kreditangebote, die in der Regel als Mailabfrage laufen, schon längst nicht mehr aktuell sind. Wenn Sie in diesem Zusammenhang in die kommunale Selbstverwaltung eingreifen wollen, muss so etwas gut begründet sein.

Es ist gerade von Zinsvorteilen gesprochen worden, die in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit generiert worden seien. Ich sehe das ein bisschen anders: Wenn man einen Strich darunter macht, stellt man fest: Man hat sich sehr wohl blutige Nasen geholt. Aber ich nehme auch wahr, dass innerhalb des kommunalen Raumes keine Kommune bereit ist, auf dieses Instrument der Kreditfinanzierung zurückzugreifen.

Dann muss man sich vor Augen halten: Die meisten Kredite, die über Fremdwährungsdarlehen aufgenommen worden sind, sind in der Zeit vor 2010 aufgenommen worden, und zwar in den Jahren zwischen 2000 und 2010. Die damalige rot-grüne Landesregierung hat in den Jahren 2000 bis 2005 keinen Handlungsbedarf gesehen, ein Verbot oder eine Überprüfung von Fremdwährungsdarlehen vorzunehmen, auch nicht die CDU-/FDP-Landesre-gierung in den Jahren 2005 bis 2010. Man ist im Nachhinein schlauer geworden – mehr aber auch nicht.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das ist oft so!)

Und aufgrund der gemachten Erfahrungen gibt es, wie gesagt, in diesem Zusammenhang keine Bereitschaft seitens der Kommunen, noch einmal auf dieses Instrument zurückzugreifen. Insofern sehen wir auch keinen Handlungsbedarf, hier eine entsprechende Genehmigungspflicht einzuführen.

Ich komme zum letzten Thema, und zwar zum Spekulationsverbot von entsprechenden Finanzierungsinstrumenten. In der Anhörung ist das auch noch einmal deutlich geworden: Sie überlassen sozusagen die Frage, was Spekulation und was keine ist, letztendlich dem kommunalen Raum. Das ist nicht präzise eingegrenzt worden. Insofern ist dieser Begriff überhaupt nicht handhabbar. Deshalb ist Ihre Vorlage bzw. Ihr Gesetzentwurf in diesem Zusammenhang auch nicht gebrauchsfähig. Daher werden wir beide Vorlagen ablehnen.

Natürlich möchte auch ich mich, Kai Abruszat, an dieser Stelle noch einmal für die gedeihliche Zusammenarbeit im Ausschuss bedanken. Ich habe eine sehr konstruktive Diskussionsweise erlebt, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Ich wünsche dir und deiner Familie auch im Namen meiner Fraktion alles Gute für deinen weiteren Lebensweg. Und verschone den Rat der Stadt Stemwede mit solchen Vorlagen!

(Heiterkeit)

Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Der von Ihnen unmittelbar angesprochene Kollege Kai Abruszat hat jetzt für die FDP-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, hier in meiner vorletzten Rede in diesem Hohen Hause zu zwei wichtigen und wirklich bedeutsamen Themen der kommunalen Finanzen sprechen zu können. Zunächst will ich mich dem gemeinsamen Entwurf zum Thema Fremdwährungskredite zuwenden.

Wir sind seitens der Freien Demokraten weit davon entfernt, zu sagen, dass Fremdwährungskredite schlecht sind. Auch wir sind der Meinung, dass es unter äußersten Vorsichtsmaßnahmen möglich sein muss und erlaubt sein soll, dieses Instrumentarium auch zum Zwecke der Zinssicherung einzusetzen. Was wir jedoch vermeiden wollen – da unterscheiden wir uns als gemeinsamer Antragsteller mit den Kollegen der CDU von den Regierungsparteien –, ist, dass Fremdwährungskredite einen gefährlich hohen Anteil am Gesamtportfolio des Kreditengagements einer Kommune haben.

Deswegen haben wir diesen Entwurf eingereicht. Ich glaube, er könnte einen wirksamen Schutz unserer Kommunen vor spekulativen und unseriösen Finanzgeschäften bieten. Zugleich würde er auch den Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen hinreichenden Freiraum lassen, um sinnvolle Finanzierungsmöglichkeiten auszunutzen. Es geht nicht um Gängelung der kommunalen Familie. Auch geht es nicht um Gängelung von Bürgermeistern und Kämmerern; denn dann hätte ich verständlicherweise für diesen Antrag auch in unserer Fraktion nicht votiert.

Der zweite Bereich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, der uns in dieser verbundenen Debatte beschäftigt, betrifft die Frage, ob und inwieweit es ein Gebot der Vernunft ist, eine Kommunalfinanzagentur – wie es die Kollegen der CDU fordern – einzuführen, um Kommunen im Zins- und Schuldenmanagement zu unterstützen. Ich will Ihnen sagen, dass wir uns grundsätzlich dieser Idee der Union erst einmal positiv zugewendet haben. Es war, glaube ich, ein Ansatz, der angesichts der kommunalen Finanzsituation sehr bedenkenswert gewesen ist. Deswegen waren wir auch ergebnisoffen in die Beratungen gegangen und haben uns auch in der Frage der Anhörung im Ausschuss ergebnisoffen gezeigt.

Für die gebündelte kommunale Kreditbeschaffung, also für eine solche Kommunalfinanzagentur, spricht in jedem Fall, dass es zu erwartende Skaleneffekte und möglicherweise Kostenreduzierungen bei der Geldbeschaffung gibt. Anderseits – so haben wir unsere Bedenken artikuliert – könnte jedoch gerade eine solche Bündelung zu Wettbewerbsverzerrungen führen, vielleicht auch das wichtige Kriterium der Angebotsvielfalt auf dem Markt unterlaufen.

Ein ganz entscheidender Punkt, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die Rolle der NRW.BANK. Die NRW.BANK ist ein verlässlicher Partner unserer rund 400 Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen.

Wir haben die Sorge, dass die NRW.BANK, wenn wir eine Kommunalfinanzagentur auf den Weg bringen, in eine schwierige Lage kommt, weil sie nämlich einerseits Beraterin ist, andererseits aber auch Anbieterin auf dem Markt sein müsste. Das ist, glaube ich, angesichts der Tatsache, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass die NRW.BANK schon heute 14 Milliarden € kommunale Kredite in ihren Bilanzen hat, ein Punkt, den wir nicht wegdiskutieren können. Das kann zu deutlichen Interessenskonflikten führen.

Daher wäre für uns als freidemokratische Fraktion hier im Hause die Einführung der Kommunalfinanzagentur – so wie beantragt – als eher unglücklich anzusehen. Deswegen werden wir uns bei diesem Punkt gleich enthalten.

Insgesamt gesehen: Lassen Sie uns weiter die kommunalen Finanzen – hier im Parlament, aber auch in den Fachausschüssen – im Auge haben. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Herrmann.

Frank Herrmann*) (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und zu Hause! Sehr geehrter Herr Abruszat, ich weiß noch nicht, ob es mir in Zukunft fehlen wird, dass ich nach Ihren ruhigen und informativen Beiträgen an der Reihe bin. In Zukunft wird das nicht mehr der Fall sein; aber heute werde ich noch einmal die Gelegenheit haben.

Wir haben uns im Ausschuss lange mit dem Gesetzentwurf, aber auch mit dem Antrag beschäftigt. Die Kollegen haben schon ihre Sichtweise der Diskussion und der Anhörung zusammengefasst. Ich möchte daher nur noch einmal aus unserer Sicht kurz auf einige Aspekte eingehen.

Fremdwährungskredite sind Teil der aktuellen Verschuldungssituation der Kommunen in Nordrhein-Westfalen, damit ganz sicherlich eine zusätzliche Belastung und sicherlich auch ein Risiko. Gerade Kommunen wie Essen versuchen, durch Prolongationen, also Laufzeitverlängerungen, das Problem vor sich herzuschieben. Kreditgeschäfte ohne entsprechende Absicherung des Währungsrisikos und die daraus resultierenden Prolongationen sind aber spekulativ.

Nachdem die Kämmerei in Essen mittlerweile die Franken-Kredite abgelöst hat, sind der Stadt rund 90 Millionen € an zusätzlichem Verlust durch die Kursschwankungen entstanden. Das ist bitter und kein guter Start für den neuen Oberbürgermeister.

Dass die CDU ihren ehemaligen Kollegen mit einer Genehmigungspflicht, die im Gesetzentwurf vorgesehen ist, vor weiteren Währungsgeschäften schützen will, ist vielleicht nötig. Es ist aber ganz sicher ein weiterer Aufbau von Bürokratie.

Aktuell würde es zudem nicht zu einer Verbesserung der Lage führen, denn geeignetes Personal ist in der Aufsichtsbehörde nicht vorhanden. Kollege Krüger hat eben auch darauf hingewiesen. Dieses Personal wäre aber dringend notwendig, wenn die Genehmigungspflicht eine sinnvolle Auflage darstellen soll. Geeignete Maßnahmen zur Schulung müssen daher als Vorbereitung zwingend erfolgen, sind aber leider nicht Gegenstand des Gesetzentwurfs.

Auch ein grundsätzliches Aufnahmeverbot kann man natürlich überdenken. Allerdings gibt es schon Mittel und Wege, ein solides Fremdwährungsgeschäft abzuschließen und die Währungsrisiken auszugleichen. Vielen Kommunen war das allerdings zu teuer bzw. es war geplant, die spekulativen Gewinne einzustreichen. Eben daraus resultieren jetzt die Krisen mit den Krediten in Schweizer Franken.

Dazu macht sich der Antragsteller vollkommen unglaubwürdig, wenn er in der Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik feststellt, dass eine Absicherung nur so lange Sinn macht, bis sich der Zinsvorteil negiert durch die Kosten der Absicherung. Richtig, liebe CDU, deshalb ist es Spekulation, wenn man eben nur eine Basisabsicherung macht.

Zur kommunalen Finanzagentur: Die könnte gerade kleineren Kommunen eine Hilfestellung geben. Aber – das wurde schon gesagt – die NRW.BANK kann sicherlich nicht einerseits beraten, wie im Antrag der CDU gefordert, und gleichzeitig als Anbieter von günstigen Darlehen auftauchen. Es stellt sich daher die Frage, wer in NRW diese Finanzagentur betreiben soll. Es muss also eine unabhängige Stelle geschaffen werden, in der fachkundiges Personal unparteiisch beraten kann.

Nicht nur die Sachverständigen haben in der Anhörung zu diesem Antrag berechtigte Kritik vor allem, wie gerade schon gesagt, daran vorgetragen, dass die NRW.BANK als Berater und als Kreditgeber auftaucht, sondern auch Teile des Beschlussteils können nicht einfach von der Piratenfraktion positiv votiert werden.

Neben der Einführung einer Finanzagentur will die CDU in ihrem Antrag vor allem darauf hinarbeiten, dass es keine wie auch immer geartete Zusammenlegung und/oder Vergemeinschaftung von Schulden geben soll.

Dann erkenne ich leider nicht, wie sich bestimmte Kommunen jemals aus ihrer jetzigen Situation befreien sollen. Der Stärkungspakt ist letztlich nichts anderes. Nur wird hier die andere Seite bedient, also durch den Kommunal-Soli mehr Geld zur Verfügung gestellt.

Mit ihrem Antrag stellt die CDU das Gegenteil eines möglichen Altschuldenfonds vor. Genau das wäre aber eine Lösung für NRW und nicht der hier vorgestellte Antrag.

Ich mache es kurz: NRW braucht neue und moderne Lösungsansätze. Aber die kann man in diesem Antrag wirklich nicht erkennen. Daher lehnen wir beide Initiativen ab. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, es ist eine interessante Situation. CDU und FDP – das sind ja die Schutzpatrone der kommunalen Freiheit – schlüpfen in einen Anzug, der ihnen ein bisschen zu groß ist und eigentlich nicht steht, wie ich ganz ehrlich sagen muss.

Dass ausgerechnet Sie das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen einschränken und die Kommunen an die kurze Leine nehmen wollen, ist für jemanden, der sich als Robin Hood der kommunalen Freiheit versteht, schon ein bisschen seltsam. Ganz ehrlich. Aber man kann auch diese Rolle einmal spielen.

Zur Sache selbst: Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, hat eine Schwäche. Er befasst sich ausschließlich mit der Vergangenheit. Wenn sich jemand nur mit der Vergangenheit beschäftigt, dann hat er das Problem, dass ein solcher Gesetzentwurf, der die Vergangenheit ja gar nicht regelt, eigentlich überflüssig ist.

(Abgeordnete der FDP unterhalten sich und lachen dabei.)

– Die Stimmung auf den Oppositionsbänken ist prächtig. Das kann so bleiben.

(Heiterkeit)

Außerdem wimmelt es in diesem Gesetzentwurf nur so an unbestimmten Rechtsbegriffen. Er schafft keine Rechtsklarheit, sondern eher Rechtsunsicherheit. Für uns haben kommunale Finanzhoheit und kommunales Schuldenmanagement im Rahmen der Selbstverwaltungsgarantie einen hohen Stellenwert. Den wollen wir auch nicht berühren.

Was den CDU-Antrag zur kommunalen Finanzagentur angeht – das Ziel soll eine Vergemeinschaftung von kommunalen Schulden sein –, ist es so, dass heute schon für die individuellen Schulden jede Kommune auch individuell zu haften hat. Wir sehen als Landesregierung keinerlei Grund, in dieses geltende Recht einzuschneiden.

Im Übrigen teilen wir nicht Ihre Auffassung, dass die Kommunen in der Kreditmittelbeschaffung inzwischen an ihre Grenzen stoßen. Das ist falsch. Im Gegenteil: Gerade dadurch, dass die Landesregierung und der Landtag mit seinen regierungstragenden Fraktionen die kommunalen Finanzen stabilisiert haben, ist eine ausreichende Kreditmittelbeschaffung durchaus gesichert.

Herr Abruszat, weil jetzt die letzte Gelegenheit ist, würde ich gerne zunächst vor diesem Hohen Haus einige Worte an Sie richten. Ich glaube, Sie sind seit 2010 im Landtag. Man kann feststellen, dass Sie kommunalpolitisch überwiegend immer danebengelegen haben, aber dies konstruktiv und menschlich umgänglich.

(Heiterkeit)

Sie haben die Aufgabe gehabt, die Landesregierung zu kontrollieren. Dazu sage ich, Herr Abruszat: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Mein zweiter Vorname – das wissen Sie – ist Kommunalaufsicht. Wir sehen uns wieder.

(Heiterkeit – Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir haben zwei Abstimmungen vorzunehmen, erstens eine über den Gesetzentwurf Drucksache 16/8131 – 2. Neudruck – der Fraktionen von CDU und FDP. Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt in Drucksache 16/10094, den Gesetzentwurf Drucksache 16/8131 – 2. Neudruck – abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung, und zwar wie üblich über den Gesetzentwurf selbst. Wer ist für den Gesetzentwurf von CDU und FDP? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand der Stimme? – Ich stelle fest, dass der Gesetzentwurf Drucksache 16/8131 2. Neudruck – mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Piratenfraktion und des fraktionslosen Kollegen Schwerd gegen die Stimmen von CDU und FDP in zweiter Lesung abgelehnt ist.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/8121. Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt in Drucksache 16/10103, den Antrag abzulehnen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag selbst. Wer ist für den Antrag der CDU-Fraktion? – Wer stimmt dagegen?– Wer enthält sich der Stimme? – Dann stelle ich fest, dass der Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/8121 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piratenfraktion gegen die Stimmen der CDU-Fraktion bei Enthaltung von FDP-Fraktion und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd abgelehnt ist.

Ich rufe auf:

13       Transparenz über staatliches Handeln im Internet: Nachhaltige Online-Verfügbarkeit für NRW schaffen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10060

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Herrmann das Wort.

Frank Herrmann*) (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Wer von Ihnen außer den Mitgliedern der Landesregierung hat sich denn schon einmal auf der neuen Webseite des Landes NRW unter der Adresse „land.nrw“ umgesehen? – Okay, das ist einer von uns. Da gibt es jeden Tag viele Informationen und Bilder, es gibt einen Bürgerservice, viele Telefonnummern und auch Pressemitteilungen. Es gibt eine Suchmaske und eine Datenbank. Damit fangen die Probleme an. Denn um in der Datenbank etwas zu finden, muss man Begriffe verwenden, die vom Betreiber, der Staatskanzlei, mit den gesuchten Einträgen verknüpft sind, Schlagworte eben.

In einer Pressemitteilung liefert das Stichwort „Flüchtlinge“ eine riesige Menge Ergebnisse. Aber versuchen Sie einmal „E-Government“. Je nach Schreibweise gibt es ein paar vergessene Meldungen zur CeBIT 2009 von Minister Armin Laschet – oh Wunder – oder, wenn man es mit Bindestrich schreibt, eine halbwegs aktuelle Meldung von Mitte dieses Jahres.

Die allgemeine Suchfunktion, also nicht die in den Pressemitteilungen, liefert dazu auch höchst unterschiedliche Ergebnisse. Schon das ist ein Problem; denn ein Verzeichnis der Daten und Informationen gibt es nicht. Ich bin als Besucher also darauf angewiesen, die Begriffe, die der Betreiber für die Informationen hinterlegt hat, zu treffen, um das Gewünschte zu finden.

Noch undurchsichtiger wird es, wenn ich eine Information gefunden habe und diese jemandem schicken will. Ich meine jetzt nicht eine Kopie der Seite, sondern einen Link. Das funktioniert, aber nur teilweise und zeitlich begrenzt. Denn viele Informationen auf der Webseite werden aus Datenbanken abgerufen und nur für den Moment auf der Webseite dargestellt. Ein sogenannter Permalink, also eine Funktion, die die gewünschte Information immer wieder in der gleichen Form aufruft, fehlt aufseiten der Landesregierung. Das muss unserer Meinung nach dringend geändert werden; denn Bekanntmachungen und Publikationen öffentlicher Stellen und Einrichtungen sollten den Menschen und Unternehmen leicht zugänglich sein.

Dass das Land seit längerer Zeit auch digitale Plattformen nutzt, um Informationen leichter und kostengünstiger zu verbreiten und zugänglich zu machen, das ist positiv; denn Ihnen ist ja klar: Nur Informationen, die gesehen und zur Kenntnis genommen werden, helfen der Öffentlichkeit. Der gesellschaftliche Diskurs im Web vernetzt, verlinkt und referenziert auch auf und mit Publikationen und Informationsangeboten der öffentlichen Hand. Das Web lebt davon, dass diese Verbindungen langfristig und dauerhaft verfügbar sind.

Mit unserem Antrag wollen wir die Landesregierung auffordern, das Informationsmanagement des Landes ganzheitlicher zu betrachten und den Weg von der Publikation bis zur Archivierung digitaler Inhalte von Anfang an zu berücksichtigen.

Webseiten, Artikel und darauf publizierte Informationen werden bislang leider häufig nur als Projekte gesehen, als Momentaufnahme der aktuellen Tätigkeiten. Informationen und Dokumente früherer Landesregierungen sind kaum noch auf den Webauftritten des Landes zu finden. Systemwechsel, Updates oder eine Imagekampagne wie „land.nrw“ sorgen dafür, dass Zehntausende Artikel und Dokumente der Öffentlichkeit entzogen werden. Dann sehen Internetnutzer nur noch Fehlermeldungen. Quellenangaben und Verlinkungen führen ins Leere.

So unzuverlässig sollte die öffentliche Hand nicht sein, verehrte Damen und Herren. Wir müssen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass der Staat auch im Netz als eine zuverlässige Konstante gilt, auf die man sich verlassen kann, auf die man referenzieren kann und die man als Ausgangspunkt für gesellschaftlichen Diskurs nutzen und im Web einbinden kann.

Wir möchten, dass das digitale Archiv NRW direkt mit dem Tagesgeschäft verzahnt wird. Eine Pressemitteilung, die heute veröffentlicht wird, kann eigentlich auch direkt im Archiv abgelegt werden; der Text wird ja anschließend nicht mehr verändert.

Wir sind der Meinung, dass die Integration des digitalen Archivs NRW in den Webauftritt des Landes nur ein kleiner Mosaikstein in der digitalen Agenda des Landes Nordrhein-Westfalen ist, gleichzeitig aber auch ein hervorragendes Pilotprojekt für ein langfristig angelegtes Transparenzregister öffentlicher Publikationen und Dokumente.

Wenn das digitale Archiv aus kulturpolitischen Gründen nicht zur Verfügung steht, dann machen wir eben ein digitales Archiv Nummer zwei. Denn mit einem Pilotprojekt „Transparenzregister light“ können die organisatorischen und technischen Voraussetzungen geschaffen und erprobt werden, die wir für das zukünftige Transparenzgesetz der Landesregierung benötigen.

Ich bitte mit unserem gemeinsamen Ziel eines Transparenzregisters in Nordrhein-Westfalen um Ihre Unterstützung für den Antrag und freue mich zunächst einmal auf die Beratung im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Herrmann. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will dem Hohen Haus nicht meine Erfahrungen schildern, wenn ich mich im Internet bewege, an welchen Seiten ich scheitere und an welchen nicht.

(Robert Stein [CDU]: Keine Details!)

– Ich glaube, das langweilt die Damen und Herren Abgeordneten eher; wir haben ja gerade ein Beispiel erlebt.

(Heiterkeit von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich habe mich auch ein bisschen schwergetan, überhaupt mit diesem Antrag der Piraten umzugehen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wenn Sie weitere Erklärungen brauchen, jederzeit!)

Denn die Auffindbarkeit und Verfügbarkeit öffentlicher Dokumente zu gewährleisten, liegt in einer digitalen Zeit irgendwo zwischen einem selbstverständlichen Anliegen einerseits und einem kaum erfüllbaren Wunsch andererseits, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Medienveränderungen und Medienbrüche die Menschheit geprägt haben und sicher auch immer weiter prägen werden.

Seien wir aber gutherzig und beginnen mit dem Selbstverständlichen und dem Machbaren. Maschinenlesbarkeit erleichtert Auffindbarkeit. Im Gegensatz zu den statischen Webseiten, die wir in den ersten Jahren des Internets hatten, haben wir heute in der Regel eine Trennung von Darstellung und Inhalt über Content-Management-Systeme. Die sind vielerorts auch in der Landesregierung längst Standard.

Ganz überwiegend führen die zentralen Suchmasken, die wir haben, zu Ergebnissen, die die Bürgerinnen und Bürger finden und suchen. An dieser Stelle ist es, glaube ich, auch perspektivisch der richtige Weg, wenn wir auch mit portalübergreifenden Suchfunktionen arbeiten, soweit die urheberrechtlichen, aber auch die vertragsrechtlichen Güter weiter geschützt werden.

Dass die Piraten, die sich stets als den Olymp der Internetkompetenz verstehen, eine prinzipielle Unauffindbarbeit bzw. „Depublizität“ darstellen, die durch Einführung beispielsweise von „land.nrw“ anzunehmen sei, ist schon etwas seltsam. Denn heute ist der „historische“ Zustand einer Website auch über Wayback Machine im Internet und in Internetarchiven auffindbar und abbildbar. Erwägenswert ist daher, inwieweit eine solche Funktion auch in den Leistungsumfang des Digitalen Archivs NRW integrierbar ist.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Genau darüber wollen wir reden!)

Wie Sie wissen, hat die Landesregierung mit ihrer Open.NRW-Strategie hier schon vieles auf den Weg gebracht. Wir sind ebenso dabei, das Informationsfreiheitsgesetz des Landes weiterzuentwickeln. Hier kann man gerne auch den Vorschlag diskutieren, inwieweit maschinenlesbare Listen aller aktuellen und zur jeweiligen Zeit in Webauftritten der Landesverwaltung verfügbaren Dokumente im Open-Data-Portal des Landes zu schaffen wären. Möglichst begrenzte Aufwände für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung, die das zu bearbeiten haben, wären aber zu beachten.

Weihnachten naht. Kommen wir also auch zur Kategorie „Wünsche“ Ihres Antrags: Es wäre vermessen, eine dauerhafte Verfügbarkeit von Inhalten mithilfe der heutigen Standards gewährleisten zu wollen. Der Medienbruch ist kein Phänomen der öffentlichen Verwaltung. Er gehört zur Mediengeschichte der Menschheit dazu. Viele Schallplattenbesitzer oder Dia-Liebhaber können heute ein Lied davon singen, wie schnell CD, MP3, DigiCam oder das Handy ihre Sammelaktivitäten eingeschränkt oder überholt haben. Es wäre vermessen, heutige Schnittstellen im Internet als beständige Richtgröße für die Nutzbarkeit auf Dauer anzulegen. In der Medienentwicklung wird Bewegung bleiben.

Vielen Menschen bedeutet Internet-Kommunikation heute sehr viel und – zugestanden – den Piraten vielleicht manchmal auch alles, sodass das Medium, das lateinisch „Mittel“ bedeutet, schon manchmal als der Zweck oder das Absolute erscheint.

Ob Linktechnologie der heutigen Zeit als Schlüssel länger halten wird, kann niemand garantieren. Dass Permalinks, die unveränderliche Inhalte mit einer unveränderlichen Webadresse kombinieren, als ein Baustein über Content-Management-Systeme genutzt werden können, ist sicherlich diskussionswürdig. Ein Allheilmittel sind sie aber keineswegs. Denn Sie wissen, es gibt auch Datensätze, bei denen es gerade um Aktualität geht und wo die öffentliche Landesverwaltung aufgefordert ist, diese ständig zu aktualisieren.

Von daher, lieber Herr Herrmann, versöhnt mich ein bisschen die Überschrift Ihres Antrags. Dort haben Sie den Begriff der Nachhaltigkeit gewählt, und Nachhaltigkeit setzt niemals eine Richtung nur absolut, sondern stellt gerade das Abwägen von Zielen als das Ziel dar. Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern möglichst viele Informationen zugänglich machen, wir wollen Relevantes auffindbar halten, wir wollen es aber auch bezahlbar halten.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Um das zu verdeutlichen, ist eine Überweisung in den Innenausschuss sicherlich nicht der falscheste Weg. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. Bleiben Sie bitte noch einen kleinen Moment vorne. Herr Kollege Herrmann wollte Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen. Wie ich vermute, lassen Sie die zu.

Guido van den Berg (SPD): Ja, klar.

Frank Herrmann*) (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage noch zulassen. Ich wollte fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass es auch bundesgesetzliche Vorgaben gibt, die Sie verpflichten, digitale Inhalte zu archivieren, was durchaus auch die Seiten der Landesregierung betrifft.

Guido van den Berg (SPD): Herr Kollege Herrmann, das ist uns bewusst. Aber ich habe vorhin versucht, aufzuführen, dass es trotzdem vermessen ist, so zu tun, als ob das, was wir heute an Standards im Internet haben, über alle Zeit hinweg die Kommunikationsebenen unseres menschlichen Handelns bestimmen werden. Sie wissen, lange Zeit war es die menschliche Stimme, die das einzige Mittel der Kommunikation war und die die Reichweite bestimmt hat.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Bis die Keilschrift erfunden wurde!)

Irgendwann kam die Schrift dazu, und die musste mühsam dupliziert werden. Dann kam der Buchdruck. Gutenberg sei Dank, dass wir den haben.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Ja!)

Jetzt haben wir Internet und anderes. Aber zu glauben, dass die heutigen Schnittstellen die seien, die wir irgendwie gesetzgeberisch festlegen müssen als die Schnittstellen und das regulatorische Mittel, mit dem wir Medienbrüche verhindern, ist ein Irrglaube. Wir sollten pragmatisch vorgehen

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Ja!)

und – wie Sie es geschrieben haben – abwägen, nämlich versuchen, durch Nachhaltigkeit verschiedene Ziele miteinander in Abwägung zu bringen. Das ist das, wofür ich plädiert habe. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Noch einmal vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Stein.

Robert Stein (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe lange überlegt, was sich zu diesem Antrag auf dieser politischen Bühne jetzt sagen lässt. Ich muss ehrlich zugeben, wenn ich jetzt hier stehe, überlege ich immer noch ein bisschen,

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das tut er doch immer!)

was ich dazu sagen soll. So richtig viel schlauer geworden bin ich offen gestanden auch nicht.

Natürlich ist es ärgerlich, Herr Herrmann, wenn Verlinkungen nicht funktionieren. Jetzt ist die Frage: Wie groß ist das Ausmaß wirklich? Ich glaube, im Antrag steht: Tausende. Sie haben in Ihrem Redebeitrag gerade gesagt, es sind 10.000, wenn ich das richtig aufgenommen habe.

(Zuruf von Frank Herrmann [PIRATEN])

Es ist natürlich die Frage: Ist es jetzt ein technisches Problem, ist es wirklich ein Problem der politischen Intransparenz? Denn ich weiß nicht, wie groß die Nutzerzahlen überhaupt sind, die auf dieses Portal zugreifen und noch gezielt nach diesen Inhalten suchen, die Sie jetzt herausgefunden haben.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Der Strategie!)

– Na gut. Ich glaube übrigens auch nicht, dass das eine Frage ist, von der die Zukunft des World Wide Web abhängt, zumindest nicht bezogen auf das Portal von „land.nrw“.

Jetzt können wir sicherlich trefflich darüber streiten, wie aufwändig die Umsetzung Ihrer Forderungen dann sein wird, welche Kosten entstehen. Wir können natürlich auch Fragen der Standardisierung besprechen und sicherlich auch die Frage nach der dauerhaften Auffindbarkeit der Inhalte klären. Das sollten wir im Ausschuss auch machen.

Ich für meinen Teil muss sagen: Ich weiß nicht, ob für die Landespolitik und für die Bürgerinnen und Bürger mit diesem Antrag am Ende wirklich ein Gewinn herauskommt. Ich bin wirklich nicht sicher, ob der Antrag so zielführend ist.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Transparenz staatlichen Handelns!)

Noch eine Anmerkung zum Schluss. Sie schreiben in Ihrem Antrag von Dark Web, das in der Informatik eher ein Peer-to-Peer Overlay-Netzwerk beschreibt, meinen aber, so, wie ich es verstanden habe, das Deep Web, dessen Inhalte von Suchmaschinen nicht indexiert werden. Vielleicht könnte man anmerken, dass mit Begrifflichkeiten etwas sauberer argumentiert werden soll.

Ansonsten: Lassen Sie uns den Antrag überweisen. Den können wir dann diskutierten. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich will es sehr kurz machen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir uns dem Thema Open Government verpflichtet sehen, dass wir die Öffnung von Politik und Verwaltung gemeinsam vorantreiben wollen, dass wir uns für mehr Transparenz einsetzen. Wir machen das an einigen Beispielen, aus meinem Fachbereich einmal gesprochen, immer wieder deutlich.

Es gab eine Onlinekonsultation zum Landesmediengesetz, es gab eine zum WDR-Gesetz. Diese Dinge sind alle im Gange. Die Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich auch zunehmend und engagiert. Insofern ist das auf einem guten Wege. Die Koalition hat sich eine ganze Menge vorgenommen, um Demokratie 2.0 zu wagen.

In dem Sinne werden wir mit Ihnen über diesen Antrag im Innenausschuss sicherlich konstruktiv beraten, auch wenn er selbst von sich aus gesehen so viel dazu nicht hergibt. Das Thema gibt aber etwas her. Darüber wird sich mein Kollege Matthi Bolte im Ausschuss mit Ihnen unterhalten. Wir stimmen also der Überweisung zu. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Herrmann! Die Kernthese des Antrags stimmt durchaus – so, wie ich ihn verstanden habe –, wenn Sie sagen: Der Nutzen staatlicher Informationen für die Öffentlichkeit orientiert sich nicht ausschließlich am Inhalt, sondern auch an der Art und Weise, wie diese Inhalte veröffentlicht werden. Und Informationen, die nicht gefunden werden können, haben auch einen begrenzten Wert für die Gesellschaft. Da bin ich bei Ihnen. So weit, so gut.

Aber es kann auch gute Gründe geben, warum Dokumente nicht im Internet auffindbar sind. Wir haben hier gerade schon über den Abwägungsprozess gesprochen: Persönlichkeitsrechte, Geheimhaltungsbedürfnisse oder schlicht und einfach der Aufwand und die Kosten, die dem entgegenstehen und die vielleicht in keinem Verhältnis zum Informationsinteresse stehen. Da ist sicherlich immer eine gesunde Abwägung sinnvoll.

Es gibt aber auch den genau umgekehrten Fall. Dafür möchte ich einmal aus meinem Bereich, aus der Innenpolitik, ein praktisches Beispiel geben: die polizeiliche Fahndung. Öffentlichkeitsfahndungen sind geradezu das Paradebeispiel für veröffentlichte Informationen, die man auch finden soll. Ziel einer Öffentlichkeitsfahndung ist es doch, eine breite Öffentlichkeit zu erzielen, um Hinweise zu einem Täter dank Fotos, Video und vielem mehr zu erhalten und auch Zeugen mittels Hinweis oder Tatbeschreibungen zu finden.

Genau in diesem Punkt sieht die Realität in Nordrhein-Westfalen aber anders aus. Im September 2012 – das ist schon ein paar Tage her – hat Innenminister Jäger im Innenausschuss genau zu dieser Frage bereits einmal berichtet und uns erklärt, dass Fahndungen bald über ein zentrales Fahndungsportal in Nordrhein-Westfalen stattfinden werden. Jetzt haben wir November 2015, und die Lage in Nordrhein-Westfalen hat sich eigentlich wenig geändert, bleibt in dieser Frage auch ernüchternd.

Klar ist doch, wenn zum Beispiel Fahndungsbilder nicht in Medien, in Nachrichten verbreitet werden, kann sie ein Bürger in Nordrhein-Westfalen praktisch kaum auffinden. Geht jemand auf die Internetseite der Polizei, einer Kreispolizeibehörde oder selbst des LKA in Nordrhein-Westfalen, findet er dort zur Rubrik Fahndungsersuchen erst einmal schlicht gar nichts. Das hat sich alles dort hinter einem Reiter „Aufgaben“ versteckt und ist mühsam zu finden. Immer noch fehlt auf jeder Startseite der Polizei ein zentrales Fahndungsfenster. Das ist ein Beispiel, an dem man Defizite auch bei der Veröffentlichung von Daten feststellen kann.

(Beifall von der FDP)

Bei solchen Fahndungsersuchen ist die Polizei auf Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Wenn die Bürger in Nordrhein-Westfalen sie gar nicht oder nur zufällig finden, ist das ein nicht akzeptabler Zustand. Dass das auch anders geht, zeigen wieder einmal andere Länder. Wenn man auf eine Seite der Polizei zum Beispiel in Hessen geht, findet man dort direkt eine zentrale Rubrik: Fahndungen nach Personen, Fahndungen nach Sachen. Ich glaube, das könnte man für viele weitere Bereiche in diesem Themenfeld noch weiter ausführen.

Ich denke auch, dass wir diese ganzen Fragen im Innenausschuss diskutieren und uns ihnen dort näher widmen sollten. Wir stimmen der Überweisung natürlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Lersch-Mense.

Franz-Josef Lersch-Mense,*) Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Zielsetzung des Piratenantrages, möglichst viel Transparenz gerade im Onlinebereich zu schaffen, Bürgernähe und Bürgerbeteiligung zu ermöglichen, sind wir uns einig. Der Antrag der Fraktion der Piraten macht dazu sehr konkrete Vorschläge, die sicherlich zum Teil zumindest sinnvoll sind. Sie sind aber nicht alle uneingeschränkt umsetzbar und vor allen Dingen nicht alle wirtschaftlich. Diese Fragen sind natürlich schon zu beachten.

Wir als Landesregierung haben in Abstimmung mit mehreren Ressorts eine Masterversion eines sogenannten Content Management Systems geschaffen, um die Orientierungsfragen, die Sie angesprochen haben, auf unseren Seiten zu erleichtern. Integrierte Suchfunktionen ermöglichen es hier, verbessert durch die Seiten navigieren zu können sowie Verfügbarkeit und Weiterverwendung von Inhalten zu verbessern. Aber auch da müssen wir sehen, dass es auch solche Inhalte gibt, die zum Beispiel urheberrechtlich oder vertraglich geschützt sind und deshalb nicht durchsuchbar sind.

Das alles sind Fragen, die wir in den Ausschussberatungen klären müssen. Sie können uns glauben: Natürlich haben wir ein hohes Interesse daran, die Informationsangebote, die wir bereitstellen, leicht auffindbar zu machen und für den Bürger einen möglichst großen Nutzen daraus zu erzielen.

Sogenannte Permalinks mögen technisch gesehen eine nützliche Anforderung sein, aber sie sind nicht für alle Inhalte gleichermaßen geeignet. Wenn es um Inhalte geht, die beispielsweise regelmäßig zu aktualisieren sind – und solche Inhalte gibt es häufiger –, macht eine permanente Verlinkung zu solchen Inhalten wenig Sinn. Immer wenn redaktionelle Veränderungen in zeitlich engen Abständen erforderlich sind, macht eine solche dauerhafte Verlinkung keinen Sinn.

Eine Verknüpfung des digitalen Archivs mit den Webauftritten der Landesverwaltung ist wahrscheinlich auch wirtschaftlich nicht darstellbar, zumal es auch andere Möglichkeiten gibt, den historischen Zustand einer Webseite zu rekonstruieren.

Man darf hier vielleicht auch darauf hinweisen, dass nicht alles wirklich dauerhaft von Interesse ist. Natürlich muss man auch das Informationsinteresse, das sich ja in der Regel auf Aktualitäten richtet, vorrangig bedienen. Die historische Rekonstruierbarkeit ist demgegenüber sicherlich oft nachrangig zu betrachten.

Das heißt, insgesamt müssen Zweck und Mittel bei Webauftritten und bei dem Aufwand, den man betreibt, in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Die rechtlichen, wirtschaftlichen, inhaltlichen Belange sollten nicht unter den Tisch fallen.

In den Ausschussberatungen und auch in der weiteren Umsetzung müssen wir unter den gegebenen Rahmenbedingungen, die wir nicht beliebig verändern können, darüber entscheiden, in welcher Form und für welche Dauer einzelne Inhalte zugänglich gemacht werden sollen, damit wir dem Anspruch auf Transparenz und Bürgernähe gerecht werden, aber auch den Gesichtspunkten einer effizienten Verwaltung und einer effizienten Öffentlichkeitsarbeit Genüge tun.

In diesem Sinne freue ich mich auf sicherlich interessante Ausschussberatungen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 13 schließe.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/10060 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kultur und Medien. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen diese Überweisungsempfehlung stimmen oder sich enthalten? – Beides nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

14       Gesetz über die Feststellung eines Vierten Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2015 (Viertes Nachtragshaushaltsgesetz 2015)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10082

erste Lesung

In Verbindung mit:

Drittes Gesetz zur Änderung des Versorgungsfondsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10083

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Für die Einbringung hat Herr Minister Dr. Norbert Walter-Borjans das Wort.

 

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bringe heute in dieses Haus den vierten Nachtrag zum Haushalt 2015 ein. Diese Einbringung eines vierten Nachtrags hat ein einziges Ziel, nämlich die Zuweisung zum Versorgungsfonds in Höhe von 635 Millionen €, die zunächst für 2016 geplant war, schon in 2015 vorzunehmen. In Verbindung damit bringen wir einen Gesetzentwurf zur Änderung des Versorgungsfondsgesetzes ein, womit die rechtlichen Möglichkeiten dafür geschaffen werden sollen, dass diese Zuweisung schon in diesem Jahr erfolgen kann.

Den Grund für diesen Schritt habe ich schon nach der Kabinettentscheidung zum vierten Nachtrag öffentlich erläutert. Wir wissen alle, dass die Unterbringung, die Betreuung, die Versorgung, die Unterrichtsversorgung, die Sicherung, die Sicherheit der Flüchtlinge schon 2015 sehr viel Geld kostet und dass das auch 2016 der Fall sein wird. Da wird es noch eine Menge mehr Geld kosten, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in anderen Ländern und im Bund. Auch der Bundesfinanzminister hat deshalb die Mehreinnahmen, die er in diesem Jahr erzielt, in das nächste Jahr transferiert, um damit diese enormen Mehrausgaben des Jahres 2016 ein Stück abpuffern zu können.

Würden wir diese Mittel nicht für die Bewältigung einer Aufgabe im Land und in seinen Kommunen zur Verfügung stellen, dann liefen wir enorme Gefahr, in Zukunft enorme Probleme und Kosten in Kauf nehmen zu müssen. Deswegen haben wir immer gesagt: Es geht hier nicht nur um eine billige Unterbringung, sondern auch darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Menschen, die hier bleiben, integriert werden, dass wir für die Sicherung sorgen, dass wir aber auch für schnellere Asylverfahren sorgen. Das alles kostet viel Geld. Das wird mittlerweile, glaube ich, von niemandem mehr bestritten.

Wir haben 2015 rund 2 Milliarden € im Haushalt für das Thema „Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen“. Im dritten Nachtrag haben wir die Mittel nochmals um 900 Millionen € bis auf die Höhe von 2 Milliarden € aufgestockt. Das alles haben wir aus Steuermehreinnahmen bewältigen können, die dazu beigetragen haben, dass wir die Nettokreditaufnahme von 1,9 Milliarden € nicht verändern mussten.

Zum Ende dieses Jahres stellen wir fest, dass die Situation der Einnahmenseite sehr gut ist, dass es Einnahmen darüber hinaus in einer Größenordnung von rund 550 Millionen € gibt, bei denen wir es wie auch andere Länder und der Bund nicht für sinnvoll halten, diese Mittel dafür zu nutzen, jetzt die Kredite zu senken, die man dann im nächsten Jahr umso mehr wieder aufstocken müsste.

Wir wollen den Weg der Haushaltskonsolidierung bis 2019 fortsetzen. Das bedeutet, dass wir im nächsten Jahr wie andere Länder auch eine Menge Gesprächsbedarf mit dem Bund haben werden. Wenn wir in diesem Jahr 635 Millionen € in den Versorgungsfonds einzahlen und nicht im nächsten Jahr, dann können wir die Mehrausgaben, die ich auch schon in der Pressekonferenz vorgestellt habe und von denen ich glaube, dass sie mit Sicherheit um 1 Milliarde € höher sein werden als in diesem Jahr, zu diesem erheblichen Teil abpuffern.

Zu diesem Vorhaben erbitte ich Ihre Zustimmung. Ich glaube, dass das ein richtiger Weg ist. Jeder weiß, diese Kosten entstehen, diese Kosten sind schon jetzt absehbar. Hiermit wollen wir eine klare Linie weiterverfolgen, nämlich unseren Aufgaben gerecht zu werden und gleichzeitig den Weg zur Konsolidierung des Landeshaushaltes fortzusetzen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Zimkeit das Wort.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Prinzip ist das Wichtigste gesagt. Deswegen kann ich mich auf ein paar Anmerkungen zur bisherigen und zur anstehenden Debatte zu dem Tagesordnungspunkt beschränken.

Ich meine, dass dieser Tagesordnungspunkt nicht im Geringsten die künstliche Aufregung verdient, die wir gleich hier meiner Voraussicht nach erleben werden. Wenn ich mir im Plenum die Teilnahme an dieser Debatte ansehe, kann man das wohl absehen.

(Karlheinz Busen [FDP]: Zählen Sie mal die freien Plätze der SPD!)

– Ich habe vom Plenum gesprochen, Herr Kollege. Dazu gehören Sie genauso wie die SPD. Ich stelle allerdings gern fest, dass ich jetzt schon zu sagen wage, dass die künstliche Aufregung bei der FDP am größten sein wird, die Beteiligung aber am kleinsten ist, wenn Sie denn einen Zwischenruf dazu machen wollten.

Der Nachtrag, der vorgelegt worden ist, bietet in zweierlei Hinsicht keinen Grund zur Aufregung. Es ist bereits thematisiert worden – Herr Witzel hat es schon mit einiger Empörung dargestellt –, der vierte Nachtrag sei etwas besonders Schlimmes. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Wir haben mit drei Nachträgen vorher wichtige politische Inhalte vorangebracht, haben Kommunen, haben Schulen und Kindertageseinrichtungen gerade unter der Flüchtlingsnachricht unterstützt. Deswegen ist es nichts Schlechtes, sondern in dem Fall etwas sehr Gutes, dass es die entsprechenden Nachträge gibt. Wenn man das Gegenteil behauptet, liebe Kollegin Freimuth, dann muss man das lauter tun. Dann kann ich auch besser darauf antworten.

Der zweite Punkt, warum es keinen Grund zur entsprechenden Aufregung gibt, ist, dass dieser vierte Nachtrag inhaltlich etwas sehr Sinnvolles ermöglicht, nämlich uns wichtige Handlungsspielräume für das Jahr 2016 verschafft und uns jetzige Handlungsspielräume im Haushalt 2015 nutzen lässt. Das halte ich für grundlegend wichtig.

(Ralf Witzel [FDP]: Verschleierung ist das!)

– Ich weiß, dass Ihnen das inhaltlich nicht so wichtig ist, uns ist es wichtig. Wir sind nämlich der Meinung, wir müssen alles tun, um für die weiteren Haushaltsdebatten sicherzustellen, dass die notwendige Unterbringung, die Finanzierung der Unterbringung von Flüchtlingen nicht ausgespielt wird gegen andere wichtige gesellschaftliche Themen. Das ist für uns sehr zentral und sehr wichtig. Mit dem vierten Nachtrag wird dafür eine weitere Grundlage geschaffen. Sie mögen das anders sehen, Herr Witzel. Wir sind jedoch der Auffassung, alles dafür tun zu müssen, um ein solches Ausspielen mit den entsprechenden Folgen der politischen Debatte auch zu verhindern.

Ein weiterer Tagesordnungspunkt ist der Pensionsfonds. Auch dazu haben wir die Debatten hier im Landtag schon ausführlich geführt. Ich will noch einmal betonen, dass uns sehr wichtig ist, dass – entgegen den Behauptungen – entsprechende Entnahmen und dergleichen nicht stattfinden, dass die häufig zitierten 70 % Kapitaldeckung, auf die Herr Optendrenk vermutlich gleich wieder ausführlich eingehen wird, weiter gewährleistet sind und dass es sich insbesondere auch um einen Beitrag zur Entbürokratisierung und für mehr Transparenz handelt.

Eigentlich sind das genügend Gründe, dass alle Fraktionen dem zustimmen könnten. Ich bin mir allerdings sehr sicher, dass das nicht passieren wird. Aber wir werden auch in den weiteren Ausschussdebatten versuchen, Sie mit diesen guten Argumenten zu überzeugen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Optendrenk jetzt das Wort.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein inflationärer Gebrauch von Nachtragshaushalten, den die Landesregierung an den Tag legt: vier Nachtragshaushalte, um Veränderungen abzubilden, die sich in einem Jahr ergeben. Vier Nachtragshaushalte – das ist der Rekord, jedenfalls unter den deutschen Bundesländern.

Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass wir uns in schwierigen Zeiten und auch in manchen überraschenden Zeiten bewegen, sondern hat auch etwas damit zu tun, dass diese Landesregierung mangelnde Vorsorge in ihren Haushalten betrieben hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die schönen Ergebnisse der Steuereinnahmen, für die eine Landesregierung und eine Bundesregierung erst einmal nichts können, soll man im Interesse des Steuerzahlers jedem gönnen. Diese könnte man aber auch ganz einfach dafür einsetzen, weniger neue Schulden im Haushalt 2015 aufzunehmen. Dafür bräuchte man keinen Nachtragshaushalt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das Ergebnis ist allerdings eine Operation, die wieder einmal bezeichnend ist, denn man versucht, unter rein kommunikativen Gesichtspunkten Haushaltspolitik zu betreiben und nicht um der Sache willen. Rein kommunikativ will uns der Finanzminister irgendetwas erzählen, warum das eine so große Vorsorge ist, dass er Einnahmen verwendet, um vorgezogene Ausgaben zu tätigen, damit er anschließend – nicht etwa die Fragen im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik zu lösen; da sind wir uns ja einig, dass die gelöst werden müssen –,seine Kommunikation der fallenden Nettoneuverschuldungslinie in seiner mittelfristigen Finanzplanung nicht kaputtzumachen, weil es ihm nur um die Kommunikation und nicht um den sparsamen Umgang mit Steuergeld geht.

(Beifall von der CDU, der FDP und von Dietmar Schulz [PIRATEN])

Herr Finanzminister, dieses Nachtragshaushaltspamphlet enthält letztlich die Aussage, dass Sie der finanzpolitische Regierungssprecher von Frau Kraft sind und nicht der Wahrer eines soliden Haushalts.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie muten dem Parlament zu, dass wir das Grundprinzip der Jährlichkeit des Haushalts hier mit Füßen treten sollen. Das Jährlichkeitsprinzip hat einen Sinn. Es hat den Sinn, dass sich das Parlament und die Regierung jedes Jahr damit beschäftigen sollen, was im nächsten Jahr an Geld gebraucht wird. Es soll Rechenschaft darüber ablegen, ob das, was erforderlich ist, zur Verfügung gestellt wird, ob das, was nicht erforderlich ist, möglicherweise nicht abgeflossen ist. All das hat ein System, und das ist in der Verfassung verankert.

Was Sie jetzt machen, ist etwas anderes. Sie wollen ein Begleitgesetz einbringen, nämlich ein Gesetz, das erst die Voraussetzungen dafür schafft, dass Sie eine Zuführung zum Haushalt vornehmen können, um anschließend auf der Grundlage dieses dann verabschiedeten Gesetzes zu sagen: Wir können ja jetzt einen Puffer einbauen. Wir können das Jährlichkeitsprinzip wunderschön umgehen.

Das heißt, Sie machen nichts anderes als kaschieren auf dem Rücken der Redlichkeit und der Verfassung. Was Sie hier tun, ist in der weiteren Entwicklung nichts anderes, als dass Sie einen Änderungsantrag Ihrer Koalitionsfraktionen einbringen könnten, dem zu entnehmen wäre, dass Sie das nicht nur für Zahlungen des nächsten Jahres machen, sondern dass Sie es – um die Schuldenbremse des Jahres 2020 besser einhalten zu können –, gleich bis zum Jahr 2020 jährlich mit beschließen würden.

Die von Ihnen gewollten 200 Millionen € pro Jahr zahlen wir alle schon im Jahr 2015 oder im Jahr 2016 ein. Das macht ja nichts, wir machen es einfach im Vorgriff. Ob es erforderlich oder sinnvoll ist, ist völlig egal.

Sie können dieses Jährlichkeitsprinzip, wenn Sie es an der Stelle so aushöhlen, gleich aus der Verfassung streichen. Und das ist das, was Ihnen wahrscheinlich am liebsten wäre.

(Beifall von der CDU)

Das Thema „Pensionsfonds“ ist sicherlich auch noch ein wunderschönes Thema. In der Regierungserklärung der Ministerpräsidentin zu Anfang dieser Legislaturperiode war das Kernmantra „präventive Politik“. Was Sie geschafft haben, ist, dass Sie hier einen Gesetzentwurf eingebracht haben, der noch zu beraten ist, der nichts anderes ist als die vollständige Kapitulation vor diesem Anspruch, und zwar schon vor Ende der Regierungsperiode.

Sie schaffen den letzten Baustein präventiver Politik, nämlich Generationengerechtigkeit für zukünftige Versorgungslasten, die das Land schon eingegangen ist und derzeit eingeht, ersatzlos ab und sagen: Wir sollten doch dankbar dafür sein, dass die Ausschüttung aus der Versorgungsrücklage dann erst einmal nicht kommt.

Sie wissen ganz genau, dass das Trickserei ist, dass das im Grunde genommen nichts anderes ist, als sich an den zukünftigen Generationen zu versündigen und auf Kosten der Zukunft auf Pump zu leben. Dieses Leben auf Pump ist unverantwortlich. Sie versuchen, das mit irgendetwas anderem zu kaschieren und Dinge zu behaupten, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben und gegen die am besten auch keiner sein sollte. Deshalb kommt der Begriff „Flüchtlinge“ hier überhaupt vor.

(Beifall von der CDU und Ralf Witzel [FDP])

Es ist schon bezeichnend – das lassen Sie mich zum Schluss noch sagen –, dass Sie immer dann, wenn Sie irgendetwas an Problemen meinen kaschieren zu müssen, mit einem Artikel zur Steuer-CD auftauchen. Sie wissen ganz genau, dass zu unserer Regierungszeit die CDU die erste Steuer-CD seinerzeit miterworben hat.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Aber wenn die Probleme Ihres Haushalts zu groß werden könnten …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): … und die Journalisten vielleicht auf die Idee kommen könnten, dass Sie an der Stelle vielleicht Ihr Ziel nicht erreichen, sodass Sie diese Haushaltsdebatte kaschieren wollen, dann kommt wieder eine Vorabmeldung des „SPIEGEL“: Es kommt wieder eine Steuer-CD. – Herr Minister, es wäre schön, wenn Sie sich mit der Haushaltskonsolidierung genauso beschäftigen würden wie mit Ihrer eigenen PR.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Optendrenk, wenn Sie jetzt wirklich den Ankauf einer Steuer-CD, bei der wir aus der Presse entnehmen konnten, dass da eine Deliktmasse in einem Volumen von 70 Milliarden € drauf ist, als reine PR, als reine Show abtun, dann muss ich mich wirklich fragen, was Sie in den letzten Jahren nicht verstanden haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es ist wirklich abstrus. Es versteht keiner von den Angestellten, die die Lohnsteuer abgezogen bekommen, es versteht kein Selbstständiger, der eine Vorauszahlung leisten muss, was Sie an Argumentationen hier vorbringen. Es ist doch das Normalste der Welt, dass die Steuergerechtigkeit gelten muss. Dass wir das einzige Bundesland sind – unter Ihrem massiven Protest haben Sie damals den Finanzminister in der Debatte als Hehler bezeichnet –, das da vorangeht, das sagt inzwischen selbst die „Rheinische Post“ im Kommentarteil. Vielleicht sollten Sie sich dem auch einmal annehmen, Herr Kollege.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Abel, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Dr. Optendrenk würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Ja, sehr gerne.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Kollege, sind Sie mit mir einer Meinung, dass Sie mich so falsch verstanden haben wollen, weil Sie nicht einsehen möchten, dass es nicht um die Frage des Inhaltes ging, ob eine Steuer-CD angekauft wird oder nicht – da sind wir, glaube ich, ziemlich einer Meinung –, sondern um die Frage der Kommunikation und des Zeitpunktes, an welcher Stelle der Minister ganz zufällig damit wieder aus dem Busch kommt?

(Beifall von der CDU)

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Okay. Ich entnehme Ihrer Frage, dass Sie mit mir einer Meinung sind – das ist dann auch gut so –, dass wir zumindest einen Konsens mit Ihrer Fraktion haben, dass es richtig war, diese Steuer-CD zu kaufen.

(Beifall von der CDU)

Ich glaube, es liegt in der Natur der Sache, dass man sich den Zeitpunkt eines Kaufs nicht aussuchen kann. Ich würde Sie bitten aufzuhören, so zu tun, als wenn der Finanzminister diesen Zeitpunkt irgendwie so hinlegen könnte, dass es PR-mäßig gerade in den Kram passt. Das ist doch absurd. Das liegt doch auch in der Natur der Sache.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich habe Sie aber so verstanden, dass Sie dem Finanzminister vorgeworfen haben, dass die ganze Finanzpolitik und dieser Nachtrag eine kommunikative Haushaltspolitik – so haben Sie sich ausgedrückt – sei.

(Beifall von der CDU)

Da kann ich nur sagen, auch wenn Sie da wie die Hühner auf der Stange sitzen – sorry, liebe Jungs, es sieht aber von hier aus so aus – und in Ihrer Reihe applaudieren: Ihre ganze Haushaltspolitik besteht doch darin, dass bei einzelnen Anträgen in den Fachausschüssen, die wir jetzt wieder in den Haushaltsberatungen ertragen werden, jeder Fachpolitiker quasi von der Leine gelassen wird und beantragen kann, was er will, während Sie nachher wieder Ihr CDU-Haushaltskonzept hochhalten. Das Paradebeispiel einer kommunikativen Haushaltspolitik ist dann doch eher bei Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann zur Glaskugel! Sie haben gesagt, man könnte das nicht vorausschauen. Seitdem wir hier den dritten Nachtrag debattiert haben, haben sich die Prognosen, wie viele Menschen zu uns kommen, dreimal verändert. Wenn Sie dann ernsthaft einer Regierung vorwerfen, wir hätten, wenn wir jetzt nachsteuern müssen, nicht vorausschauend gehandelt, dann verstehe ich nicht, wo Sie leben.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Wenn ein Zug mit vielen Tausend Leuten beispielsweise in Düsseldorf – ich habe das einmal miterlebt – ankommt, dann kann Ihnen weder der Bundesgrenzschutz sagen, wie viele Menschen in dem Zug, noch das Rote Kreuz noch andere Hilfsorganisationen. Wir leben doch in einer Zeit, in der wir anhand von Schätzungen jede Woche erneut davon ausgehen müssen, dass die geschätzten Zahlen aus dem Vormonat oder aus dem Vorquartal nicht mehr stimmen. Das ist doch keine Frage von Wahrsagerei, sondern es entspricht der Realität, dass man bestimmte Entwicklungen nicht voraussagen kann.

(Ralf Witzel [FDP]: Das hat mit dem Nachtragshaushalt überhaupt nichts zu tun, was Sie da erzählen! Total am Thema vorbei!)

Man kann bestimmte Entwicklungen nicht voraussagen. Es wird auch nicht das letzte Mal sein, dass wir – dann im nächsten Jahr – nachbessern. Deswegen ist es auch richtig, dass wir mit der Ergänzungsvorlage warten und dann möglichst ohne einen Nachtragshaushalt in den nächsten Monaten versuchen, die Vorkehrungen zu treffen, die wir im Bereich Flüchtlinge treffen müssen.

Mit den im vierten Nachtrag vorgesehenen Maßnahmen schaffen wir uns dafür einen Puffer. Nordrhein-Westfalen gibt im Vergleich zu allen anderen Bundesländern am meisten für zusätzliche Stellen und für zusätzliche Sachmittel zur Integration von Flüchtlingen aus. Wir tun das, weil wir nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen wollen, sondern allen den besten Zugang zu Bildung, Kultur und sozialen Einrichtungen gewährleisten wollen. Deswegen ist dieser Nachtrag eine notwendige Entscheidung.

Dann noch etwas, weil Sie es im Ausschuss und immer wieder in einem Pressegespräch getan haben:

Sie versuchen immer, Angst zu schüren, indem Sie mehr oder weniger direkt infrage stellen, ob die Versorgung von Beamten und Beamtinnen in Gefahr ist und gekürzt werden muss. Das finde ich schwer erträglich. Mich beruhigt immer nur, dass jeder, der sich auch nur fünf Minuten mit dem Thema auseinandersetzt, weiß, dass die Zukunftsvorsorge für die Beamten durch das Grundgesetz und die Stabilität des Gesamthaushalts gesichert ist. Solange die Bundesrepublik nicht pleitegeht und die Verfassung nicht geändert wird, ist für jeden aktiven Beamten die Versorgung garantiert, egal ob wir eine Rücklage haben oder nicht.

(Zurufe von der CDU)

Im Vergleich zu anderen Bundesländern sind wir bei der Rücklage auch vorbildlich.

Im Ausschuss kamen Sie immer mit Bayern. Wenn Sie sagen, dass die Bayern 2030 die Schuldenfreiheit erreichen, kann ich Ihnen darauf nur erwidern: Schauen Sie sich einmal an, was die Bayern in die Versorgungsrücklage gepackt haben. Wenn sie die Rücklage in Relation zu den Gesamtbeschäftigten so bilden würden wie wir, hätten sie allein in diesem Bereich jedes Jahr 172 Millionen Mehrausgaben. Dann könnte sich Herr Söder die schwarze Null in die Haare schmieren, und 2030 wäre die Schuldenfreiheit auch nicht möglich. Hören Sie deshalb auf, hier blau-weiße Romantik zu verbreiten, die keinem Realitätscheck standhält!

Dieser Schritt ist notwendig, um einen Puffer für das nächste Jahr zu haben. Hören Sie bitte auf, das Vorgehen zu instrumentalisieren und den Leuten Angst zu machen, wir könnten ihre Altersversorgung nicht garantieren. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Witzel das Wort.

Ralf Witzel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben heute den historischen Umstand, dass diese Landesregierung mittlerweile schon den vierten Nachtragshaushalt in einem Jahr einbringt.

(Zuruf von der SPD: Das ist gut so!)

Es gibt grundsätzlich berechtigte Gründe für einen Nachtrag, wie unvorhersehbare Großereignisse – eine Finanzmarktkrise, eine Flüchtlingskrise oder ein gravierender Konjunktur- und Steuereinbruch –, die es objektiv unmöglich machen, mit dem vorgesehenen Haushaltsrahmen klarzukommen.

Die Opposition hat gerade in diesem Jahr bewiesen, wie kooperativ verkürzte Beratungsverfahren gestaltet werden können und werden, wenn es einen objektiv neuen Anlass gibt, wie die Abminderung der Belastungen durch den unkontrollierten Flüchtlingszustrom. Der Finanzminister hat der Opposition für diese konstruktive Mitwirkung in den letzten Monaten zu Recht verschiedentlich gedankt.

Bei diesem Nachtrag liegen die Fakten allerdings komplett anders. Durch konjunkturelle Bestbedingungen bei zeitgleicher Nullzinsphase und massive Steuererhöhungen im Land explodieren die Staatseinnahmen. Ein Steuereinnahmerekord jagt den nächsten. Letztlich ist dies alles eine gigantische Umverteilung von Privaten zum Staat hin.

Es gibt also überhaupt keinen objektiven Anlass für diesen Nachtrag. Das Land könnte infolge der Bestbedingungen seine trotzdem bei Ihnen noch notwendige Nettokreditaufnahme zumindest reduzieren und damit dafür sorgen, den Schuldenberg für nachfolgende Generationen nicht noch stärker ansteigen zu lassen.

Der einzige Grund, warum das Gebotene hier nicht geschieht, liegt auf der Hand. Im Rahmen einer offenkundigen Haushaltstrickserei soll der letzte ganzjährig zu vollziehende Haushalt in dieser Legislaturperiode geschönt werden, indem Belastungen in dieses Jahr vorgezogen werden. Diesen billigen Taschenspielertrick machen wir nicht mit. Der Finanzminister will eine fallende Linie seiner Neuverschuldung bis hin zur Landtagswahl darstellen. Die bislang bereits zahlreich praktizierten Tricksereien reichen ihm dafür noch nicht aus.

Allein durch die von dieser Landesregierung schon beschlossene vorzeitige Rückzahlung eines BLB-Darlehens und die dauerhaft strukturell abgesenkten Einzahlungen in den Versorgungsfonds wird die Haushaltslage um einen hohen dreistelligen Millionenbetrag geschönt. Jetzt kommt ein weiterer mittlerer dreistelliger Millionenbetrag hinzu. Eine ehrliche und generationengerechte Haushaltspolitik sieht wahrlich anders aus.

Die Landesregierung setzt damit zum Ende dieser Legislatur ihren offensichtlichen Verschleierungskurs fort, den sie bereits zu Amtsantritt mit der nicht periodengerechten Anlage eines Haushaltspolsters für die WestLB-Lasten beabsichtigt hat, womit sie vor dem Verfassungsgerichtshof krachend gescheitert ist. „Back to the Roots“ lautet Ihre Devise. Die teure Rechnung für milliardenschwere WestLB-Lasten wird noch kommen, allerdings – nach Ihrer Kurskorrektur – verschoben auf einen späteren Zeitpunkt: nach der Landtagswahl.

Bislang galt der Finanzminister vor allem als Glücksritter, dem bislang ohne ernsthafte eigene Konsolidierungsanstrengungen durch positive äußere Rahmenbedingungen eine Haushaltsverbesserung in zweistelliger Milliardenhöhe in den Schoß gefallen ist. Spätestens seit diesem Nachtrag ist jedem klar: Einnahmerekorde reichen Ihnen nicht aus. Es bedarf auch noch zahlreicher Taschenspielertricks.

Unser Land braucht dringend einen Politikwechsel hin zu einer ehrlichen, transparenten und verantwortungsbewussten Haushalts- und Finanzpolitik, die das Land strukturell modernisiert. Das ist zweifellos der anstrengendere und mutigere Weg, der auch einmal Widerstände hervorruft. Er ist aber für die langfristige Entwicklung und die Generationengerechtigkeit ebenso unverzichtbar wie von Rot-Grün nicht zu erwarten.

Sie haben mit diesem Nachtrag eine erneute Chance vertan, zu einer ehrlichen Politik öffentlichen Wirtschaftens zurückzukehren. Das ist nicht vor allem schade für die Opposition, die Ihren rot-grünen Zickzackkurs transparent öffentlich darstellen wird, sondern insbesondere schade für unser Land.

Herr Finanzminister, erinnern wir uns ein Jahr zurück. Vor einem Jahr haben Sie hier an diesem Pult gesagt, dass Sie nicht mehr als 1,5 Milliarden € Schulden machen möchten und dafür 400 Millionen € durch eine Grunderwerbsteuererhöhung brauchen. Sie haben die Grunderwerbsteuer fast verdoppelt. Jetzt haben Sie schon 550 Millionen € nur durch die Grunderwerbsteuererhöhung eingenommen. Sie haben weit über 600 Millionen €, die Sie gar nicht ausgeben können.

Senken Sie die Neuverschuldung!

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Ralf Witzel (FDP): Entlasten Sie die Menschen in diesem Land! Nach dem, was Sie noch vor einem Jahr hier vorgetragen haben, wäre das jetzt geboten. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Witzel. – Für die Piraten spricht Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal! Es geht um den vierten Nachtragshaushalt. Ich möchte nicht in die Gesamtaufzählung gehen und sagen, dass es schon der vierte Nachtragshaushalt ist, und mich darüber beklagen. Unserer Auffassung nach könnte es auch gerne sechs Nachtragshaushalte geben, wenn dann damit Sinnvolles getan würde.

Der vierte Nachtragshaushalt, wie er uns jetzt hier vorgelegt wird, sieht hauptsächlich Steuermehreinnahmen aufgrund der guten konjunkturellen Lage als Gegenfinanzierungsmodell vor. Darüber hinaus reduzieren sich die Zinsausgaben um 50 Millionen €, und der Personalverstärkungsansatz im Einzelplan 20 wird um 35 Millionen € herabgesetzt.

Da die Landesregierung das Geld dieses Jahr nicht ausgeben möchte oder kann, verschiebt sie es durch eine Erhöhung um 635 Millionen € mit diesem vierten Nachtragshaushalt in den Versorgungsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen. Normalerweise müsste bei höheren Steuereinnahmen in der Kameralistik diese Steuermehreinnahme aus dem Jahr 2015 entweder für erhöhte Ausgaben verwendet werden, oder die Nettoneuverschuldung müsste für das Jahr 2015 um die genannte Summe gesenkt werden, in diesem Fall wenigstens um die 550 Millionen € aus der Steuermehreinnahme.

Dies will der Finanzminister aber anscheinend verhindern und überweist den gesamten Betrag von Steuermehreinnahme und Zinsminderungsausgabe als Zahlung in diesen Fonds und bedient sich dazu eines noch zu beschließenden Begleitgesetzes; der Kollege Optendrenk hat dazu Ausführungen gemacht. So verschafft sich der Finanzminister mit der Steuermehreinnahme aus diesem Jahr eine Verbesserung des Haushalts im nächsten Jahr; es ist sozusagen eine vorgezogene Schönfärberei fürs nächste Jahr. Selbstverständlich müssen die 635 Millionen € dann nicht nächstes Jahr gezahlt werden; denn sie sind aufgrund der Steuermehreinnahme in 2015 schon da.

Insgesamt dient dies nichts anderem als der realistischen Vorziehung der Problematiken – durchaus mit Blick auf die besondere Situation der Bundesrepublik Deutschland, aber auch des Landes Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die Flüchtlingsfragen –, da der Abbaupfad gemäß der mittelfristigen Finanzplanung hinsichtlich der Nettoneuverschuldung sonst möglicherweise in Gefahr geraten könnte.

Nun wird uns das hier als weitsichtige, vorausschauende Politik verkauft. In Wahrheit – der Kollege Witzel hat es gesagt – ist es nichts weiter als ein durchaus – und dafür mein Kompliment, Herr Finanzminister – cleverer Haushaltsfinanztrick. Nicht „Hans im Glück“, sondern „Norbert im Glück“ müsste es eigentlich heißen. Dem Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans fällt diese zusätzliche Steuermehreinnahme ohne eigenes Zutun aufgrund der guten konjunkturellen Entwicklung als sprudelndem Quell in den Schoß. Aber er findet nicht die richtigen Antworten, die da lauten könnten: Investitionen; zusätzliche Investitionen auch noch im Jahre 2015 – denn dafür hätten wir durchaus Zeit –; Investitionen in Glasfaser. Aber das neue Mantra der Ministerpräsidentin findet nicht statt.

Natürlich bräuchten wir auch zusätzliche, möglicherweise sogar erheblich vermehrte Ausgaben im Bereich der Versorgung der Flüchtlinge und Asylbewerber im Lande Nordrhein-Westfalen angesichts des bevorstehenden Winters und der Tatsache, dass derzeit bis zu 50.000 Menschen in schlecht beheizten und schlecht belüfteten, miserablen Unterkünften leben. All das wird nicht getan.

Stattdessen erleben wir Haushaltstricks; wir erleben Haushaltstricks, statt dass Sie „Kein Kind zurücklassen!“; denn auch die Bildungsausgaben könnten einen Nachschlag vertragen. Dafür wird keine Gesetzesänderung bemüht – aber für jenen Trick, den der Finanzminister ersonnen hat, um sich zu Beginn des nächsten Jahres als derjenige darstellen zu können und darstellen lassen zu können, der den Weg der Landesregierung wunderbar und munter weiterverfolgt, die Nettoneuverschuldung zu senken.

Damit hätten Sie bereits dieses Jahr anfangen können, Herr Finanzminister. Dann müssten Sie allerdings möglicherweise im nächsten Jahr erkennen lassen, dass Ihre Politik in finanzpolitischer Hinsicht vielleicht doch nicht so aufgeht, wie Sie das hier immer prognostiziert haben, und zwar angesichts der Tatsache – da muss ich dem Kollegen Abel und dem Kollegen Zimkeit widersprechen –, dass viele Dinge, auch was die Flüchtlingssituation angeht, schon mindestens Anfang des Jahres hätten prognostiziert werden können.

Wir vonseiten der Piratenfraktion sagen hier im Hause bestimmte notwendige Investitionen seit mehr als einem Jahr voraus. Sie sind nicht in Angriff genommen worden. Alles das sind Versäumnisse, die jetzt durchaus auch auf dem Rücken der Flüchtlingspolitik – das muss man hier einfach einmal betonen; denn das wird hier auch als Hauptargument vonseiten des Finanzministers angeführt – prospektiv für das Jahr 2016 durch diese tolle Angelegenheit des vierten Nachtragshaushalts kaschiert werden sollen.

Das ist jedenfalls aus unserer Sicht unlauter. Daher sieht es momentan eher so aus, dass die Piratenfraktion diesen vierten Nachtragshaushalt, aber auch den hier in Rede stehenden Gesetzentwurf ablehnen wird. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 14.

Wir kommen erstens zur Abstimmung über die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/10082. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Haushalts- und Finanzausschuss. Möchte jemand dem widersprechen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Wir stimmen zweitens über die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/10083 ab. Auch hier empfiehlt der Ältestenrat, den Gesetzentwurf an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Ist jemand dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir auch diesen Gesetzentwurf an den entsprechenden Ausschuss überwiesen.

Wir kommen zu:

15       Ländlicher Raum darf bei der Digitalisierung nicht abgehängt werden – Land muss Kommunen beim Breitbandausbau unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8982

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/10101

Ich weise Sie auf Folgendes hin: Der Antrag der Fraktion der CDU wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Kommunalpolitik überwiesen mit der Maßgabe, dass Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgen. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik liegen nun in der Drucksache 16/10101 vor.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Hübner das Wort.

Michael Hübner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat haben wir uns abschließend im Kommunalausschuss mit dem Thema auseinandergesetzt. Ich sage das deshalb, weil ich mich weniger zum Inhalt des Antrags als mehr zum Verfahren äußern will.

Ich habe bereits am Freitag im Kommunalausschuss sehr deutlich gemacht, dass mich das angestrebte Verfahren, eine Anhörung durchzuführen, letztlich nicht überrascht. Aber dass wir uns in jeder Plenarrunde darüber unterhalten müssen bzw. darüber streiten müssen, ob wir landesweit 69, 70 oder 71 % 50-MBit-Anschlüsse haben oder eben auch nicht, überrascht mich schon ein bisschen.

Die inhaltliche Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir gerne morgen im Rahmen der Aktuellen Stunde führen.

Schließlich passiert heute Folgendes: Dieser Antrag wird erstklassig in das Nirwana verabschiedet, weil wir diesen Antrag gleich ablehnen werden. Das wird entsprechend der Empfehlung des Kommunalausschusses geschehen. Morgen früh wird ein neuer Antrag, der lediglich um das Wording „ländlicher Raum“ sowie das Wort „endlich“ ergänzt wird, das Licht des Plenums erblicken.

Ein wenig überraschend? Eigentlich nicht überraschend, weil das seitens der CDU-Fraktion angestrebt wird. Bei jedem Plenum müssen wir uns mit der Digitalisierung und dem Ausbau der 50-MBit-Anschlüsse auseinandersetzen – wobei Tatsache ist, dass wir in Nordrhein-Westfalen vor Bayern liegen. Das war zuletzt auch Thema im Kommunalausschuss. Wir haben das im Rahmen meiner Wortmeldung am Freitag letzter Woche auch belegt.

Das überrascht final also nicht wirklich. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass wir auch diesen Antrag morgen im Rahmen der Aktuellen Stunde inhaltlich hätten beraten können. Das ist leider nicht der Wunsch aller Fraktionen gewesen. Daher werden wir gleich zur Abstimmung schreiten und den entsprechenden Antrag ablehnen.

Sie haben im Übrigen morgen früh genügend Zeit, mit den Kollegen Alexander Vogt und Frank Sundermann, die für uns reden werden, über dieses Thema zu streiten. Aber ich bin mir ganz sicher, dass wir es in der Zukunft bis zum Wahltermin im Jahr 2017 wieder schaffen werden, uns fast jedes Plenum damit zu befassen. Ich denke, darüber freut sich auch unser Wirtschaftsminister Garrelt Duin.

Ich wünsche uns für den weiteren Verlauf heute eine kurze Debatte, die sich dann vielleicht doch stärker am Verfahren und weniger am Inhalt orientiert. Morgen sind wir, was dieses Thema betrifft, sicherlich mindestens genauso prominent vertreten.

Lieber Kollege Abruszat, meine letzte Rede in deinem Beisein hier im Plenum war nicht meine Rede vorhin, sondern ist meine Rede jetzt. Deshalb rufe ich das, was ich vorhin gesagt habe, noch einmal final: Alles Gute! – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Thönnissen.

Ulla Thönnissen (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Kollege Hübner hat es gesagt: Die Diskussion um den schleppenden Breitbandausbau in Nordrhein-Westfalen ist hier im Landtag und natürlich auch in den entsprechenden Ausschüssen nicht neu. Aber unsere Position ist: Steter Tropfen höhlt den Stein. Unsere Hoffnung diesbezüglich stirbt zuletzt.

(Josef Neumann [SPD]: Aber nicht jetzt!)

Also sprechen wir auch heute darüber, dass Folgendes klar ist: Um die Chancen der Digitalisierung auch in Nordrhein-Westfalen nutzen zu können, benötigen wir eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur im ganzen Land. Digitalisierung ist nicht nur in unser aller Leben einfach bequem; sie bietet zudem erhebliches Wachstumspotenzial für unsere Wirtschaft. Mit unserem Antrag vom 16. Juni 2015 machen wir deutlich, dass die Landesregierung bei diesem Thema immer noch auf der langsamen – Klammer auf: langen; Klammer zu – Leitung sitzt.

(Beifall von der CDU)

Natürlich haben wir auch in Nordrhein-Westfalen inzwischen ein paar schnelle Internetanschlüsse mehr. Aber ich weiß nicht genau, ob das wegen dieser Landesregierung oder trotz dieser Landesregierung passiert ist.

(Beifall von der CDU)

Das Lob hierfür gebührt aus unserer Sicht den vielen engagierten Unternehmen, den Stadtverwaltungen und Bürgermeistern, die sich für lokale Lösungen einsetzen.

Regionen mit langsamem Internet – das ist die gute Nachricht des heutigen Tages – können erfreulicherweise auf Millionen aus Berlin hoffen. Der Bund legt ein Förderprogramm in Höhe von 2,7 Milliarden € für den Breitbandausbau auf.

Aber nicht nur die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen brauchen mehr Tempo im Netz; auch für die Wohnstandorte im ländlichen Raum sind höhere Geschwindigkeiten unverzichtbar. Im ländlichen Raum – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – verfügen erst 40 % der Haushalte über ein schnelles Netz. 90 % der Gewerbe- und Industriegebiete sind nicht an die schnelle Datenautobahn angeschlossen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: So ist es!)

Ich erinnere hier daran, dass wir das Jahr 2015 schreiben.

Die ländlichen Regionen jenseits der großen Ballungsräume laufen Gefahr, abgehängt zu werden. Ich nenne beispielhaft die Eifel oder das Sauerland. Die Landesregierung muss jetzt endlich aktiv werden, um der Gefahr der digitalen Spaltung des Landes entgegenzuwirken und um Arbeitsplätze zu sichern.

(Beifall von der CDU)

Wir möchten den Landkreisen und Kommunen helfen, den Anschluss nicht zu verlieren. Das ist eine unverzichtbare Voraussetzung für landesweit gleichwertige Lebensverhältnisse. In diesem Zusammenhang sage ich nur: Keine Kommune zurücklassen!

(Beifall von der CDU)

Ich möchte die finanzielle Misere in nordrhein-westfälischen Kommunen an dieser Stelle nicht zum x-ten Mal thematisieren. Wir haben Kassenkredite auf Rekordniveau. 176 nordrhein-westfälische Kommunen befinden sich im HSK. Daraus folgt – das brauche ich in diesem Haus niemandem zu erklären –, dass es finanzielle Handlungsspielräume der Städte und Gemeinden de facto nicht gibt.

In diesem Zusammenhang ist besonders besorgniserregend, dass trotz Rekordsteuereinnahmen, trotz historisch niedriger Zinsen und trotz nachhaltiger Entlastungen durch den Bund für die NRW-Kommunen eben kein Licht am Ende des Tunnels erkennbar ist.

Im Gegenteil: Der fehlende Breitbandausbau führt zu einer enormen Investitionslücke, die sich Nordrhein-Westfalen nicht erlauben kann.

(Beifall von der CDU)

Nordrhein-Westfalen kann es sich überhaupt nicht erlauben, auf Wertschöpfungs- und Produktionsketten, die eben zu großen Teilen in ländlichen Gebieten angesiedelt sind, die aber auf schnelles Internet angewiesen sind, zu verzichten. Denken Sie an die Hidden Champions beispielsweise in Ostwestfalen-Lippe oder auch in der Eifel und auf dem Gebiet der StädteRegion Aachen.

Meine Damen und Herren, sowohl der Landkreistag als auch der Städte- und Gemeindebund fordern die Landesregierung auf, sicherzustellen, dass bei Maßnahmen zum Breitbandausbau im Rahmen des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Ulla Thönnissen (CDU): … der Eigenanteil von 10 % der Investitionssumme für Kommunen in schwierigen Haushaltslagen vom Land aufgebracht wird und so der eingeräumte Ermessensspielraum der Länder bei der Gestaltung der Kofinanzierung genutzt wird.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Ulla Thönnissen (CDU): So sind beispielsweise – ein Satz noch – Breitbandkoordinatoren auf Stadt- und Kreisebene als Ansprechpartner entlang des gesamten Förderverfahrens finanziell zu unterstützen.

(Beifall von der CDU)

Erst dann, wenn diese Maßnahmen ergriffen sind, kann die Landesregierung um ihren Wirtschaftsminister oder auch Umweltminister beweisen, dass sie erstens keine lange Leitung hat

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

und zweitens schon gar nicht auf dieser Leitung sitzt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Thönnissen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Mit dem Breitbandausbau thematisiert der CDU-Antrag eine wichtige Aufgabenstellung.

Es ist zunehmend eine Infrastrukturaufgabe – wie Straßen, wie Strom, wie Gasversorgung, wie Wassernetze, wie Abwasser. Es ist wichtig für Bürgerinnen und Bürger und ist teilweise existenziell für die Entwicklung von Unternehmen in den Ballungszentren, aber ganz besonders auch im ländlichen Raum, damit dieser eine Entwicklungschance hat und an der weiteren industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung teilnehmen kann. Insofern greift der Antrag eine Aufgabenstellung auf, die richtig ist.

Wie der Kollege Hübner schon gesagt hat, reiht er sich aber nahtlos in die Reihe der Plenaranträge der CDU ein, die jeden Plenartag dazu kommen. Wir haben zeitweilig im Wirtschaftsausschuss, glaube ich, fünf oder sechs solche Anträge auf der Tagesordnung stehen. Das ist ja auch nicht schlimm. Wir hatten das früher mit Anträgen aus dem Schulbereich. Das ist erledigt. Jetzt haben wir es in diesem Bereich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Frage ist doch nur: Warum macht die CDU das?

(Zuruf von den GRÜNEN: Verzweiflung!)

Dann finde ich es schon spannend, dass die CDU ausgerechnet eine Kollegin zu diesem Thema reden lässt, die kaum noch Erinnerungen an die Zeit haben kann, als die CDU in der Regierung war. Die CDU macht das, weil sie ein unglaublich schlechtes Gewissen hat über ihr krachendes Versagen in der Regierungszeit –

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

genau in dieser Frage.

Schauen Sie sich einmal an, welche Finanzmittel die CDU in den Jahren 2008 und 2009 für den ländlichen Raum aus den Agrar- und Küstenschutzmitteln eingesetzt hat. Frau Thönnissen, meinen Sie – solche Anträge stellen Sie ja –, das wären 200 Millionen € oder 20 Millionen € im Jahr gewesen? Im Jahr 2008 waren das 1,1 Millionen € als Fördermittel. 2009 waren es dann 1,7 Millionen € für die Förderung von schnellem Breitband im ländlichen Raum. Das war Ihre Leistungsbilanz. Der Unterschied zu dem, was Sie heute sagen, ist ziemlich krass.

Aber man muss sich auch fragen: Was hat die CDU damals unter schnellem Internet verstanden? Dazu muss man sich angucken, bis zu welcher Geschwindigkeit der Ausbau gefördert werden durfte. Das waren damals 2 MBit. Das heißt: 1,1 Millionen € Fördermittel für eine Geschwindigkeit von 2 MBit! Das ist schnelles Internet im ländlichen Raum à la CDU.

Dann hat es bis zum Jahr 2013 gedauert, als der heutige Parlamentarische Staatssekretär Horst Becker dafür gesorgt hat, nachdem das einmal gescheitert war, dass man mindestens bis zu einer Geschwindigkeit von 6 MBit fördern konnte.

(Zurufe von CDU und FDP)

– Ja, das ist unangenehm für Sie, weil Sie so von schnellem Internet tönen. Aber wenn man sich nur ein bisschen anguckt, was Sie gemacht haben, wird das an der Stelle so was von dünn, so was von arm.

(Zuruf von der CDU: Was habt ihr denn gemacht?)

– Ja, wir kommen auch zur heutigen Zeit. Am letzten Freitag hat es eine Konferenz der Koordinatoren im Bereich Haushalt und Agrar gegeben – 16 Bundesländer plus Bundesregierung –, um endlich die Grenze höher zu setzen, am liebsten ganz abzuschaffen, aber mindestens auf 16 MBit zu setzen. 15 Bundesländer waren dafür, egal ob von der CDU, grün oder sozialdemokratisch geführt. Der Bund hat es abgelehnt – um das klar zu sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Bundesregierung, die in dem Bereich den Minister stellt, hat es abgelehnt, die Fördermöglichkeit aus diesen Mitteln, also auch aus ELER, auf eine Geschwindigkeit von 16 MBit zu erhöhen. Das passt doch überhaupt nicht dazu, wie Sie hier auftreten.

Deswegen muss ich Ihnen sagen: Es ist gut, dass die Landesregierung letzte Woche die Parameter klar gesetzt hat, dass rund 0,5 Milliarden € bis 2018 in den Breitbandausbau investiert werden können. Es ist gut, dass dazu die Mittel aus der Versteigerung der Frequenzen genutzt werden. Es ist auch gut, dass es das Angebot des Bundes gibt, Geld zur Verfügung zu stellen. Die Parameter sind noch nicht klar. Das Land hat gesagt: Wir finanzieren alles, was der Bund anbietet, mit 40 % aus eigenen neuen Mitteln ergänzend. Das heißt: Das Land macht seine Hausaufgaben. Wir warten jetzt wieder auf die konkreten Parameter des Bundes.

Wenn Sie etwas Gutes für den ländlichen Raum tun wollen, dann sorgen Sie bitte dafür, dass die CDU im Bund die Begrenzung auf weniger als 16 MBit auflöst und wirklich hochgeht oder die Grenze ganz wegnimmt. Dann haben wir eine Chance.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich bin froh, dass die Verantwortung dafür jetzt bei dieser Landesregierung liegt – gerade wenn ich mir das angucke, was ich Ihnen eben gesagt habe. Während unter der CDU-Regierung 1,1 Millionen € dafür investiert worden sind, fließen unter Herrn Remmel jetzt 65 Millionen € für drei Jahre in den ländlichen Bereich. Ja, das tut weh. Das ist in Ordnung. Aber Sie wollten den Tagesordnungspunkt unbedingt heute Abend noch beraten. Erholen Sie sich heute Nacht. Morgen früh hören Sie das Gleiche noch einmal. – Herzlichen Dank.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Abruszat jetzt das Wort. Wenn ich es richtig sehe, wird das Ihre letzte Rede hier im Haus sein.

Kai Abruszat (FDP): Unwiderruflich, Frau Präsidentin.

(Zurufe: Oh!)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im ländlichen Raum in Nordrhein-Westfalen wohnen die meisten Menschen.

(Zuruf: Kurz vor Osnabrück!)

Im ländlichen Raum in Nordrhein-Westfalen gibt es die meisten Arbeitsplätze. Im ländlichen Raum in Nordrhein-Westfalen gibt es die meisten Ausbildungsplätze.

(Zuruf von den GRÜNEN: Die meisten Bürgermeister!)

Im ländlichen Raum in Nordrhein-Westfalen wird eine unglaubliche Wertschöpfung generiert, ohne die das Land Nordrhein-Westfalen definitiv nicht auskommt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, trotz zahlreicher Debatten zum Thema „Breitbandausbau“ liegen weite Teile dieses starken, liebenswerten ländlichen Raums

(Michael Hübner [SPD]: Kurz vor Osnabrück!)

immer noch in Digital-Sibirien.

(Heiterkeit – Zurufe: Ei, ei, ei!)

Das kann so nicht weitergehen. Deswegen ist der Antrag der CDU-Fraktion ein geeignetes Diskussionsfeld, sich dieses Themas anzunehmen. Das müssen wir alle ernst nehmen!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es geht bei diesem Thema nicht um parteipolitische Geländegewinne.

(Minister Johannes Remmel: Oh! – Zuruf von der SPD: Nein! – Weitere Zurufe)

Das ist mir, wie Sie wissen, ja völlig fremd.

(Heiterkeit – Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD – Minister Johannes Remmel: Oh!)

Es geht bei diesem Thema um gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Menschen in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es geht um wesentliche Bestandteile der örtlichen Daseinsvorsorge in unserem Land, und es geht auch um Wettbewerbsfähigkeit für die zahlreichen starken, mittelständischen Unternehmen und Familienunternehmen im ländlichen Raum.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich habe die Ahnung, dass die Koalitionsfraktionen diesen guten Antrag gleich ablehnen werden.

(Frank Sundermann [SPD]: Nein, nein! – Weitere Zurufe)

Aber wenn der Antrag zumindest eines bewirkt, nämlich Sie dahin gehend zum Nachdenken zu bewegen,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein, aussichtslos!)

dass Sie ländlichen Raum nicht weiter vernachlässigen, dann hat er schon seinen Zweck erfüllt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Die Frau Landtagspräsidentin hat es eingangs gesagt: Das ist heute meine unwiderruflich letzte Rede. Das ist, wie mein Mitarbeiter mir eben noch sagte, mein hundertster Debattenbeitrag in dieser Wahlperiode.

(Michael Hübner [SPD]: Was ist denn mit morgen früh? Da kannst du doch wieder! – Weitere Zurufe)

Ich kann Ihnen sagen: Ich habe das Mandat im Landtag Nordrhein-Westfalen unglaublich gerne ausgeübt. Jeder von uns, der ein Mandat im Landtag Nordrhein-Westfalen hat, sollte sich jederzeit vergewissern, was für einen großen Vorzug es bedeutet, über die Freiheit und Unabhängigkeit dieses Mandates zu verfügen und dabei für die Bürgerinnen und Bürger des größten und schönsten Bundeslandes in Deutschland tätig sein zu können.

(Michael Hübner [SPD]: Ui! – Zuruf von der SPD: Oh!)

Ich würde mir sehr wünschen, wenn das, was ich in dieser Zeit erfahren habe, auch vielen von Ihnen widerfährt – nämlich Kollegialität auch über Fraktionsgrenzen hinweg. Dass ich mich bei meiner eigenen Fraktion, bei meinen Kolleginnen und Kollegen, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meiner Fraktion natürlich besonders bedanke, ist klar.

Aber ich habe meine Tätigkeit diesem Haus auch so verstanden, immer auch Brücken zu den anderen Fraktionen zu schlagen. Ich habe immer versucht, in meinem politischen Gegenüber nie den Gegner und Feind, sondern höchstens den Andersdenkenden zu sehen.

(Beifall von allen Fraktion und Daniel Schwerd [fraktionslos])

Ich möchte mich – ohne jemanden zu vernachlässigen – ganz besonders bei der SPD-Fraktion bedanken, bei unserem Kommunalausschussvorsitzenden Christian Dahm, bei Michael Hübner als langjährigem kommunalpolitischen Sprecher, beim Kollegen André Kuper, meinem Pendant seitens der CDU-Fraktion im Kommunalausschuss. Das gilt auch für die Kollegen Mario Krüger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Herrn Herrmann von den Piraten.

Ganz besonders möchte ich mich bedanken bei meinen Mitstreitern im Kreis Minden-Lübbecke: bei Ernst-Wilhelm Rahe und Inge Howe von der SPD-Fraktion, bei Kirstin Korte, die nicht ganz unschuldig ist, dass ich jetzt ein neues Amt habe, und bei Friedhelm Ortgies von der CDU-Fraktion.

Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung: Die Landesregierung wird die klugen Kleinen Anfragen des Abgeordneten Abruszat durchaus vermissen.

(Heiterkeit und Beifall von allen Fraktion, Daniel Schwerd [fraktionslos] und der Regierungsbank)

Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich gehe mit Wehmut, aber auch mit Freude auf ein neues Amt. Vergessen Sie nie, wie wichtig es ist, unsere kommunale Familie am Leben zu erhalten. Lassen Sie die kommunale Politik immer im Zentrum dieses Hohen Hauses stehen. Und wenn Sie im Kommunalausschuss mal einen klugen Sachverständigen in kommunalen Fragen brauchen, rufen Sie im Rathaus von Stemwede an. – Ein herzliches Glückauf und vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von allen Fraktion, Daniel Schwerd [fraktionslos] und der Regierungsbank)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, bitte bleiben Sie noch einen Moment hier. – Lieber Kollege Abruszat, lieber Kai, es liegt eine Kurzintervention des Abgeordneten Priggen vor. Bevor ich aber dem Kollegen Priggen das Wort gebe, möchte auch ich dir – wir haben gerade den Beifall der Abgeordneten aller Fraktionen gehört – sehr herzlich für deine Arbeit im Landtag danken. Deine Rede gerade – wenn ich das jetzt als amtierender Präsident in der Du-Form so sagen darf –

(Kai Abruszat [FDP]: Gerne!)

war ein Vermächtnis, und auch eine sanfte Mahnung, den ländlichen Raum in der Landespolitik von Düsseldorf nicht zu vernachlässigen.

Herzlichen Dank für diese Arbeit. Herzlichen Dank auch für den vorbildlichen Einsatz. Der Wahlkreis liegt an der niedersächsischen Grenze; Stemwede liegt auch an der niedersächsischen Grenze. Das ist schon eine besondere Leistung, aus dem Kreis Minden-Lübbecke heraus hier so intensiv Landespolitik zu betreiben, wie du es in all den Jahren gemacht hast. – Vielen Dank.

Ich glaube, dass ich sagen darf: Der Landtag von Nordrhein-Westfalen, alle Kolleginnen und Kollegen, die heute da sind, wünschen dir in deinem neuen Amt als Bürgermeister dieser wunderschönen Stadt Stemwede alles Gute und viel Erfolg.

(Beifall von allen Fraktion, Daniel Schwerd [fraktionslos] und der Regierungsbank)

Kai Abruszat (FDP): Danke schön.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Nun kommt noch die Kurzintervention des Kollegen Rainer Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Das ist eine ganz kurze Intervention. In der Hitze der parlamentarischen Auseinandersetzung habe ich es eben einfach vergessen, mich für meine Fraktion zu bedanken. Du warst immer ein Ansprechpartner der Art, wie du es eben geschildert hast. Danke dafür und alles Gute!

Es ist immer gut, wenn man im Wettbewerb auch über die Fraktions- und Parteigrenzen hinweg andere Kollegen ansprechen kann. Dafür auch von uns herzlichen Dank und alles Gute bei deiner weiteren Arbeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank, lieber Reiner Priggen.

(Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Nun geht es in der Tagesordnung weiter. Für die Fraktion der Piraten hat der Kollege Herrmann das Wort.

Frank Herrmann*) (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Um hier irgendwie die Kurve zu kriegen, erlauben Sie bitte auch mir, direkt mit einem persönlichen Dank an den Kollegen Abruszat zu beginnen. So lange Zeit, wie er mit den anderen Kollegen verbracht hat, habe ich mit ihm nicht verbracht.

(Minister Franz-Josef Lersch-Mense verabschiedet sich von Kai Abruszat [FDP])

– Er ist noch mit der Verabschiedung beschäftigt. Vielleicht aber hört mir der Kollege Abruszat noch einen kleinen Moment zu, denn ich wollte meine Rede, um so die Kurve zu kriegen, mit einem persönlichen Gruß beginnen.

Ich habe Sie in der Zeit, die wir miteinander verbracht haben – sie war kürzer als bei den anderen Kollegen –, als einen sehr engagierten Menschen und Politiker kennengelernt. Das hat mir imponiert. Ich denke, Stemwede hat einen guten Fang gemacht. Ich war leider auch noch nicht dort. Das kommt möglicherweise noch. Vielleicht begegnen wir uns in OWL. Wir haben ja darüber gesprochen, dass es da – weil es mein Patenwahlkreis ist – noch zu einer Begegnung kommen kann. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in der Kommune.

Jetzt muss ich die Kurve zu dem Antrag kriegen, der möglicherweise – wie schon zu vernehmen war – gleich abgelehnt werden wird. Der neue Antrag steht aber vor der Tür, und morgen wird es eine große Debatte dazu geben.

Dass der ländliche Raum bei der Digitalisierung nicht abgehängt werden darf, ist sicher eine richtige Forderung. Auch dass Kommunen beim Breitbandausbau Unterstützung erfahren sollen, ist richtig. Wir Piraten haben am 12. März 2013 – zweieinhalb Jahre ist es her – das erste Mal in dieser Legislaturperiode einen Antrag „Fahrplan Breitbandausbau für Nordrhein-Westfalen“ eingebracht.

Wenn die Landesregierung diesen Antrag vor zwei Jahren umgesetzt hätte, wären wir jetzt in der Planung und bei der Umsetzung natürlich ein ganzes Stück weiter. Aber das ist nicht passiert, und das zeigt mir, dass die Landesregierung bzw. die regierungstragenden Fraktionen nicht nur CDU-Anträge zu diesem Thema ablehnen, sondern auch Piraten-Anträge. Sie scheinen das alles sehr viel besser angehen zu wollen. Darauf müssen wir aber leider noch warten.

Unser Antrag wäre ja noch viel weiter gegangen als der CDU-Antrag. Wir fordern eine Glasfaser-Strategie, die zum Ziel hat, 2020 die meisten Anschlüsse auf „Fiber to the home“ umgestellt zu haben; denn wir befinden uns auf dem Sprung in die Gigabitgesellschaft. „Megabit“ war vielleicht gestern megastark. Heute aber und erst recht 2020 wird das nicht mehr reichen.

Deswegen müssen wir leider auch den CDU-Antrag ablehnen, obwohl er – wir haben im Ausschuss darüber gesprochen – viele gute Punkte enthält. Der Beschlusspunkt 4 enthält eine Formulierung, die einer Förderung der Vectoring-Technik der Telecom entspricht. Das ist eine Technik, die zwar die Kassen dieses Netzbetreibers klingeln lässt, die aber für eine Remonopolisierung der Netze sorgt und damit einem Ausbau der Glasfaserkapazitäten im Wege steht. Das brauchen wir nicht, das wäre ein Rückschritt.

(Beifall von den PIRATEN)

Damit möchte ich es, was diesen Antrag angeht, belassen, und ich möchte noch einmal auf morgen früh, 10 Uhr, verweisen.

Ein Letztes möchte ich aber noch nachdrücklich erwähnen, nämlich dass nicht nur die Gewerbegebiete hier im Land unsere Aufmerksamkeit benötigen, sondern auch die Schulen. Am „Runden Tisch Breitband“ wurde in der letzten Woche darüber gesprochen. Wenn dem schon so ist, erwarten wir hier eine klare Priorisierung beim Ausbau der Breitbandanbindung an den Schulen in ganz NRW – und zwar, bitte schön, mit Glasfaser. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch von meiner Seite, lieber Herr Abruszat, herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit. In der Tat haben wir in der Zeit, in der Sie die Umweltpolitik der FDP vertreten haben, die eine oder andere Klinge miteinander gekreuzt. Es war immer ein fairer Wettbewerb, und er war auch durchaus konstruktiv.

Es gehört, glaube ich, in Opposition und Regierung dazu, immer auch das Konstruktive zu suchen. Gerade in der Auseinandersetzung mit Ihren Argumenten hat mich besonders gefreut, dass wir nie persönlich geworden sind, aber trotzdem in der Sache hart um den richtigen Weg gerungen haben. Insofern herzlichen Dank und alles Gute für Ihre zukünftige Aufgabe, bei der wir uns in der Tat das eine oder andere Mal noch vielleicht begegnen werden. Alles das, was wir für den ländlichen Raum von Düsseldorf aus tun können, würden und werden wir auch für Stemwede gerne machen. Alles Gute!

(Beifall von den GRÜNEN und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann allerdings bei der inhaltlichen Auseinandersetzung und der vehement vorgetragenen Argumentation nicht verhehlen, dass ich den Eindruck habe, dass sowohl beim Kollegen Abruszat als auch bei der Kollegin Thönissen die Funktion des Breitbandes in Düsseldorf nicht so weit gereicht hat, um die Informationslage zu diesem Thema hier vollständig ans Rednerpult zu bringen und entsprechend vorzutragen.

Der Kollege Priggen hat darauf hingewiesen: Wir sind uns, glaube ich, in der Analyse fraktionsübergreifend einig. Auch sind wir uns einig, dass es noch ein Defizit gibt, das es zu beheben gilt, bei dem wir all unsere Kräfte mobilisieren sollten. Zur Wahrheit gehört aber eben auch dazu, deutlich zu machen: Wann hat wer mit was angefangen? Und wieviel ist zu welchem Zeitpunkt ausgegeben worden?

Da muss ich in der Tat daran erinnern: Die Landesregierung hat erst 2008 damit begonnen, aus dem Bereich des „Programmes Ländlicher Raum“ in Sachen Breitband für den ländlichen Raum zu finanzieren. Damals waren es 1,1 Millionen €. Ich darf des Weiteren daran erinnern: 2014 sind es dann 11 Millionen € gewesen. Das Ganze ist also deutlich gesteigert worden. Das reicht noch nicht aus – gar keine Frage. Wir legen jetzt für die aktuelle Förderperiode bis 2020 noch einmal insgesamt 60 Millionen € drauf. Aber auch das ist vom Bedarf her nicht ausreichend.

Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass die Mittel, die uns jetzt vom Bund im Rahmen der Digitalen Dividende zukommen, entsprechend bewirtschaftet und auch verausgabt werden können.

Wir haben alle Voraussetzungen erfüllt. Ein entscheidender Punkt bei der Frage der Bewirtschaftung der Mittel ist es, auch ausreichend Personal für die Bewilligung von Anträgen vorzuhalten. Es handelt sich nämlich um komplizierte Anträge und Verfahren. Wir haben in der Tat Vorsorge getroffen, dass das Geld, das jetzt kommt, auch bewirtschaftet und verausgabt werden kann.

Gleiches werden wir auch vorsehen für die Mittel, die der Bund in seinem eigenen Rahmen verausgaben will. Aber ich bin nicht sicher, ob der Bund seinerseits die administrativen Voraussetzungen getroffen hat, um ein so großes Programm von über 1 Milliarde € tatsächlich auch bewirtschaften zu können. Ich würde es mir wünschen.

Die fachlichen Kontakte mit der Bundesregierung an dieser Stelle sind sehr intensiv. Die Schwierigkeiten werden aber schon daran erkennbar, dass es doch länger gedauert hat, bis der Bund seine Förderstruktur präsentiert hat, damit die Mechanismen greifen können. Hier braucht es noch der einen oder anderen Konkretisierung. Wir sind allerdings so gerüstet, dass wir das Geld, das wir auszugeben beabsichtigen und das wir zusätzlich bekommen, auch tatsächlich ausgeben können.

Insofern eint uns alle das Anliegen. Wir sollten uns jedoch nicht weiter mit gegenseitigen Vorwürfen behelligen, die auch ein bisschen etwas mit schlechtem Gewissen zu tun haben. Lassen Sie uns gemeinsam an der Aufgabe arbeiten; sie ist groß genug. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung.

 Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt in Drucksache 16/10101, den Antrag Drucksache 16/8982 abzulehnen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/8982. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion gegen die Stimmen der CDU und der FDP bei Enthaltung des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd abgelehnt.

Ich rufe auf:

16       Nordrhein-Westfalen unterstützt Hamburgs Olympiabewerbung 2024

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/10066

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10148

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Abgeordneten Müller das Wort.

Holger Müller (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Vorab: Lieber Kai, der Landtag erweitert den Horizont. Ich habe früher nie gewusst, dass es in Ostwestfalen so lustige Menschen geben kann.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Von daher danke ich dir für viele schöne Stunden, auch nach den Sitzungen und auch außerhalb des Parlaments. Mach et joot – man sieht sich!

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Da wir uns bei den Diskussionen gerade in einer Antiaggressionsphase befinden,

(Heiterkeit)

möchte ich unter Beweis stellen, dass ich auch das kann.

(Heiterkeit und Beifall)

Ich freue mich außerordentlich, dass es uns gelungen ist – CDU, SPD, Grünen und FDP –, für heute Abend noch einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen. Die Sache der Olympiabewerbung eignet sich nämlich wirklich nicht zum Parteienstreit.

Am 18. Juni 2015 haben die Regierungschefs und Regierungschefinnen der Länder der Bundeskanzlerin empfohlen, die Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele und der Paralympischen Spiele 2024 als nationale Aufgabe des gesamten Landes zu sehen. Sie haben zum Ausdruck gebracht, dass eine erfolgreiche Bewerbung eine gemeinsame Anstrengung aller staatlichen Stellen erfordert.

In ähnlichem Sinne hat sich die ehemalige Sportministerin Ute Schäfer im Sportausschuss geäußert. Von daher denke ich, dass wir – jedenfalls die meisten von uns – glauben, mit diesem Unterstützungsbeschluss für die Hamburger Bewerbung auf dem richtigen Weg zu sein.

Ich will jetzt nicht in pathetische Worte verfallen. Andere Länder haben bewiesen, dass eine erfolgreiche Durchführung möglich ist – wie übrigens auch beim Sommermärchen, das es 2006 ja durchaus gegeben hat, bei dem eine große Begeisterung in weitesten Teilen der Bevölkerung vorherrschend war.

Solche Ereignisse bewirken einen nachhaltigen Ruck für den Sport, und zwar nicht nur für den Leistungs- und Spitzensport – das betone ich ausdrücklich –, sondern eben auch für den Breitensport. Dass Sport gesund und wichtig für die Bevölkerung ist, das bezweifelt hier sicherlich keiner. Daher denke ich, dass es richtig ist, wenn wir diese Bewerbung Hamburgs auch vom Landtag Nordrhein-Westfalen her unterstützen.

Abschließend möchte ich noch einen Wunsch äußern: Bei den Olympischen Spielen in der Antike war es üblich, dass zumindest während der Zeit der Olympischen Spiele die Waffen ruhten. Es wäre schön, wenn das auch bei den Olympischen Spielen der Neuzeit der Fall sein könnte. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Müller. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Bischoff.

Rainer Bischoff (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Nordrhein-Westfalen unterstützt Hamburgs Olympia-Bewerbung 2024“ – das ist die Überschrift dieses Antrags, und so lautet die Botschaft dieses Tagesordnungspunktes.

Lieber Holger Müller, ich finde auch, dass es wichtig ist, diese Botschaft zu senden. Ich persönlich stehe sehr hinter dieser Bewerbung, seitdem ich auf der Konferenz der sportpolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktionen und der Bundestagsfraktion einen Zugang zu dem Projekt gefunden habe. Es wurde uns intensiv vorgestellt.

Ich kann nur jedem empfehlen, sich das einmal genauer anzusehen. Hamburg beantragt sehr nachhaltige Olympische Spiele. Es geht nicht um Gigantomanie, sondern es ist sehr genau geplant, was man hinterher mit den Einrichtungen und Stätten anfangen will. All das klingt sehr realistisch.

Es ist ganz im Sinne des IOC – da gibt es ja auch eine Veränderung, die vor allen Dingen Herr Bach transportiert, seitdem er IOC-Präsident ist –, deutlich zu sagen: Wir wollen keine gigantischen Spiele, sondern wir wollen ein Stück weit nachhaltige Spiele haben. Mein Eindruck ist, dass Hamburg genau zu dieser Anforderung passt und große Chancen haben kann, tatsächlich den Zuschlag zu bekommen.

Ich habe ebenso wie mein Vorredner die Hoffnung, dass allein durch diese Bewerbung die Sportwelt noch einmal einen Schub erhält – sowohl was die Funktionäre angeht als auch die Aktiven –, und damit auch Nordrhein-Westfalen.

Ich bin ebenso froh darüber, dass wir hier zu einem gemeinsamen Antrag der vier traditionsreichen Fraktionen im Land Nordrhein-Westfalen gekommen sind. Das ist ein klares Signal in Richtung Hamburg.

Jetzt habe ich mir als Schlusswort nicht aufgeschrieben: „Wir sind alle Hamburger“ – das wäre zum einen etwas schwierig, zum anderen auch doppeldeutig, was das Nahrungsmittel angeht –, sondern: Wir sind alle Unterstützer Hamburgs. Darüber freue ich mich sehr. – Ich bedanke mich für Ihre und eure Aufmerksamkeit. Danke schön.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bischoff. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einem Sprint der CDU hin zu einem möglichen gemeinsamen Antrag ist nach zähem Ringen und einem gewissen Verhandlungsmarathon dieser vorliegende Antrag nun das Ergebnis, um einmal im sportlichen Bild zu bleiben. Das ist erst einmal eine gute Nachricht. Das finde ich unterstützenswert.

Der DOSB hat sich am 21. März 2015 für Hamburg als Olympiabewerber entschieden. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen will ein Signal setzen und diese Bewerbung unterstützen.

Hamburg setzt mit seinem Konzept auf kompakte Spiele, die laut dem rot-grünen Koalitionsvertrag von Hamburg transparenter, flexibler, nachhaltiger, bescheidener und kostengünstiger werden sollen. Gut so! Denn die olympische Idee ist in den letzten Jahren durchaus in Verruf geraten: die Menschenrechtslage in Ausrichterstaaten, die Umweltzerstörung, Gigantismus auf Staatskosten und dabei noch die mangelnde Bürgerbeteiligung. Oftmals wurde nicht mit den Bürgern über ein Sportfest gesprochen, das eigentlich für sie sein soll, sondern sie wurden – im Gegenteil – nicht nur nicht beteiligt, sondern oftmals auch noch vertrieben, und Kritik wurde mundtot gemacht.

Hamburg legt ein Konzept vor, das einen anderen Weg beschreiten möchte, das sich ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit verpflichtet. Daran wird sich diese Bewerbung messen lassen müssen. Aber damit kann sie auch ein Vorbild dafür sein, dass auch andere Spiele noch möglich sind, dass nicht jedes Sportgroßereignis an vielleicht eher zwielichtige Ausrichterstaaten vergeben werden muss.

Von einer solchen Haltung gegenüber dem Sport und Sportgroßveranstaltungen können sich möglicherweise auch die Sportweltverbände etwas abschauen. Schwarze Kassen, Korruption, Vetternwirtschaft usw. – das sind nur einige Beispiele – haben den Sport in eine tiefe Krise geführt. Wenn man die aktuellen Meldungen zum Krisenmanagement des DFB liest, dann gewinnt man den Eindruck, dass an einem ernsthaften Bemühen, dieses Vertrauen wiederherzustellen, eher kein Interesse besteht.

Die Hamburger Bewerbung stellt sich am 29. November 2015 einem Referendum der Bürgerinnen und Bürger, die dann letztlich über die endgültige Bewerbung entscheiden sollen. Die gescheiterten Bewerbungen von München und anderen europäischen Städten zeigen, dass das natürlich mit einem gewissen demokratischen Risiko verbunden ist. Denn die sportpolitische Arroganz der Weltverbände hat die olympische Idee offensichtlich in vielen demokratischen Gesellschaften ein Stück weit desavouiert.

Die Konsequenz für die Sportpolitik sollte deswegen nicht heißen, weiter den Schulterschluss mit Despoten zu suchen, sondern wirklich mehr Transparenz und mehr Bürgerbeteiligung in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen zu stellen. Nur dann kann der Sport wirklich das einlösen, was er immer so vollmundig verkündet, nämlich für alle Menschen da zu sein und auch ein verbindendes Element darzustellen.

Eine mögliche Bewerbung Hamburgs – das machen wir mit diesem gemeinsamen Antrag deutlich – kann sich der Unterstützung des Sportlandes Nordrhein-Westfalen sicher sein. Aber das letzte Wort haben am 29. November 2015 die Bürgerinnen und Bürger Hamburgs – und das ist auch richtig so. Ich meine, im Sinne des olympischen Gedankens sollten die Sportgroßverbände durchaus mehr Demokratie wagen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Kerbein.

Dr. Björn Kerbein (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich persönlich bin auch sehr froh, dass wir es noch geschafft haben, einen gemeinsamen Antrag auf den Weg zu bringen.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Der ist nicht so gemeinsam!)

Ich habe das auch nicht als Marathon empfunden.

Es ist schön, diesen gemeinsamen Antrag zu stellen; denn wir alle wissen, dass die Olympischen Spiele ebenso wie die Paralympischen Spiele das Sportereignis schlechthin auf dieser Welt sind. Olympia hat überall eine ganz besondere Strahlkraft. Wenn ich so durch die Reihen blicke, sehe ich hier im Hause auch einige Sportler sitzen. Ich denke, jeder wird irgendwann schon den Traum gehabt haben, im Laufe seiner Karriere einmal an Olympischen Spielen teilnehmen zu dürfen.

Olympia zeichnet sich nicht nur durch den sportlichen Wettbewerb aus – das ist mir wichtig; auch Herr Müller hat es angesprochen –, sondern vor allen Dingen auch durch den friedenstiftenden Charakter. Diese friedenstiftende Idee, die olympische Idee, stand auch bei der Wiederbelebung der Olympischen Spiele 1896 durch Pierre de Coubertin in einem ganz besonderen Fokus. Die Jugend der Welt, so sagte er, sollte sich bei sportlichen Wettkämpfen messen und gerade nicht auf den Schlachtfeldern.

Dieses verbindende und damit auch demokratische Element der Olympischen Spiele nimmt die Hamburger Bewerbung ganz hervorragend auf. Die Bürgerbeteiligung war wirklich vorbildlich; das alles werden Sie nachvollzogen haben. Die Bürgerinnen und Bürger wurden sehr frühzeitig und intensiv eingebunden.

Nachdem Sportgroßveranstaltungen in der letzten Zeit – vorsichtig formuliert – mit nicht immer mit ganz lupenreinen Demokratien in Verbindung gebracht worden sind, stellt die Hamburger Bewerbung ein ganz wichtiges Signal dar. Auch demokratische Rechtsstaaten können heute noch solche Großveranstaltungen erfolgreich durchführen; London 2012 war hierfür ein ganz tolles Vorbild.

Dass Hamburg in der Lage ist, städtebauliche Projekte dieser Größenordnung zu stemmen und sich als Stadt immer wieder neu zu erfinden, haben die Hanseaten in der Vergangenheit mehrfach bewiesen. Aus dem Kehrwieder und dem Wandrahm wurde die Speicherstadt, aus der Speicherstadt dann die HafenCity. Gleichzeitig wandelte sich das Bild des Hafens und damit auch der Stadt ständig.

Mit einer nun möglichen Ausrichtung der Olympischen Spiele in Hamburg würde das Erscheinungsbild noch einmal positiv in „Olympic City“ erneuert und verändert werden. Hamburg will also der Welt zeigen, dass ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit möglich ist und hoffentlich im Bewerbungsprozess noch einmal den klaren Unterschied machen wird. Dabei sollten wir in Nordrhein-Westfalen den Hamburgern ein tolles Votum mit auf den Weg geben und sie bestärken, meine Damen und Herren.

Olympische Spiele in Hamburg wären aber nicht nur eine Chance für die Stadt selbst – das ist bereits angesprochen worden –, sondern vor allen Dingen auch für das Sportland Nordrhein-Westfalen. Olympia im eigenen Land kann neue Impulse geben und den Sport in unserem Land weiter nach vorn bringen. Olympia bietet unseren Athletinnen und Athleten eine besondere Chance, sich und unser Sportland NRW der Welt erfolgreich, sympathisch und weltoffen zu präsentieren.

Diese herausragenden Chancen und Möglichkeiten, die sich für den Sport in NRW ergeben können, sollten und müssen wir dringend nutzen. Dazu gehören natürlich Investitionen in unsere Sportinfrastruktur oder – was mir besonders am Herzen liegt – die Förderung dualer Karrieren. Auch dazu wollen wir uns hier und heute bekennen. Senden wir bitte ein starkes und wichtiges Signal aus NRW nach Hamburg! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Kerbein. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Lamla.

Lukas Lamla (PIRATEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Ein Antrag von CDU, SPD, FDP und den Grünen mit dem Titel „Nordrhein-Westfalen unterstützt Hamburgs Olympiabewerbung 2024“.

Erster Satz, zweiter Absatz. Ich zitiere:

„Anknüpfend an den großen Erfolg der Fußballweltmeisterschaft 2006 bietet sich für Deutschland … die einzigartige Gelegenheit, die globale Aufmerksamkeit innerhalb kurzer Zeit erneut auf sich zu lenken ...“

(Zuruf von Oliver Bayer [PIRATEN])

– Ja, irgendwie schon. Wenn jetzt damit gemeint ist, dass Themen wie Korruption und Bestechung dadurch seit Wochen in den internationalen und nationalen Medien thematisiert werden, dann ist das aus meiner Sicht durchaus ein Erfolg. Dann brauchen wir gar nicht so scheinheilig auf zwielichtige Ausrichterstaaten zu zeigen, Frau Paul, um Sie aufzugreifen, da können wir durchaus in unser eigenes Land schauen.

Die Situation in Hamburg ist aber unabhängig davon nicht so eindeutig, wie es uns der Antrag hier weismachen will. Die Finanzierung wurde immer wieder umgeworfen, in einigen Punkten ist sie strittig, und man darf durchaus darauf mit Misstrauen reagieren. Auch die Folgen für Hamburg im Bereich Umwelt, Verkehr, Städtebau sowie die sozialen Auswirkungen auf der Elbinsel werden unter anderem von namhaften Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus Hamburg kritisiert. Dazu haben sie einen offenen Brief verfasst, der eine beeindruckende Anzahl an Unterzeichnerinnen aufweist.

Aber mal ehrlich: Haben wir hier in NRW die Möglichkeit, uns ein ausgeglichenes Bild davon zu machen, was gerade in Hamburg los ist? Ich denke, nein. Ich sehe bei dieser Initiative ein viel größeres Problem. Erst in der Zukunft, also am 29. November, werden die Bürgerinnen und Bürger in Hamburg selbst darüber entscheiden, ob sie eine Bewerbung wollen oder nicht. Zu diesem Zweck wird es ein Referendum am ersten Advent geben.

Wenn sich der Landtag NRW an dieser Stelle jetzt schon dafür ausspricht, die Olympiabewerbung zu unterstützen, dann überschreiten wir alle unsere Kompetenzen. Das steht uns einfach nicht zu. Das können wir nicht machen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir können uns hier doch nicht einfach so im Vorfeld des Bürgerentscheids auf eine Seite schlagen. Denn damit würden wir jeden Ansatz der Bürgerbeteiligung mit Füßen treten.

(Beifall von den PIRATEN – Holger Müller [CDU]: Warum das denn?)

Dass ein solcher Antrag von der CDU, der FDP und vielleicht auch der SPD kommt, das überrascht mich nicht. Aber dass sich ausgerechnet die Grünen so vor den Karren spannen lassen, das überrascht mich.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Hört, hört! So ist es!)

Für uns ist die Sache klar. Wir werden diesen Antrag zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich ablehnen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Korrekt!)

Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Frau Ministerin Schulze spricht in Vertretung von Frau Ministerin Kampmann.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich darüber, dass es den Fraktionen gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag zur Olympia 2024 zu beschließen. Ich würde mich der – wie Herr Müller sagte – überwiegend friedlichen Stimmung, die hier jetzt eingekehrt ist, auch gern anschließen und diesen Antrag vonseiten der Landesregierung unterstützen. Die Landesregierung hat schon an verschiedenen Stellen die Bewerbung unterstützt. Wir werden das in der kommenden Woche noch einmal auf der Konferenz der Sportministerinnen und Sportminister in Köln tun.

Ganz grundsätzlich sind Olympische und Paralympische Spiele ein Weltereignis, das im Land der Ausrichter enorme Kräfte freisetzen kann, und diese Kräfte werden besonders im und für den Sport mobilisiert. Das wird man sicherlich auch nutzen können, um das ehrenamtliche Engagement gerade junger Menschen im Sport zu stärken. Das wollen wir in Nordrhein-Westfalen tun, und das können wir gut mit vorbereitenden Veranstaltungen der Olympischen und Paralympischen Spiele verbinden.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass der gesamte Sport in Deutschland profitieren wird, wenn Hamburg nach dem Referendum Ende November weitermachen darf und dann im Verfahren auch den Zuschlag erhalten würde. Es sind hier viele wichtige Dinge gesagt worden, die ich nicht noch einmal wiederholen möchte. Wir werden Hamburg weiter unterstützen, und wir werden zielgerichtet die Chancen nutzen, die sich aus der Olympiabewerbung ergeben, auch für das Land Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen erstens ab über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 16/10148. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP gegen die Stimmen der Piraten und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd angenommen.

Wir müssen dann über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/10066 abstimmen. Die antragstellende Fraktion der CDU hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag in der Form, so wie wir ihn gerade durch die Abstimmung geändert haben. Wir stimmen jetzt also über diesen geänderten CDU-Antrag Drucksache 16/10066 ab. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Da haben wir das gleiche Ergebnis wie eben: Zustimmung zu dem Antrag Drucksache 16/10066 in der soeben geänderten Fassung von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP gegen die Stimmen der Piraten und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd.

Jetzt rufe ich auf:

17       Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Wahlkreiseinteilung für die Wahl zum Landtag Nordrhein-Westfalen (Wahlkreisgesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9794

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/10095

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Herter das Wort.

Marc Herter (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann das kurz machen, weil die zum Teil etwas aufgeregten Wortmeldungen schon am Anfang des Jahres anlässlich eines Berichts des Innenministers erfolgt sind. Danach hat, wie ich finde, eine sehr konstruktive Gesprächsatmosphäre zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern geherrscht.

Man hat mit dem hier vorliegenden und zur Abstimmung stehenden Entwurf eines Wahlkreisgesetzes in den einzelnen Punkten jedenfalls Lösungen gefunden, mit denen wir alle im Ergebnis leben können. An der einen Stelle hat der oder der eine die größeren Bauchschmerzen. An der anderen Stelle hat der oder die eine größere Bauchschmerzen. So ist das bei Kompromissen.

Kompromisse sind hinterher welche, bei denen wir bei dem Wahlkreisgesetz durchaus in der Lage sind, festzuhalten: Es lohnt sich, sich in allen Einzelpunkten die Grenzen noch einmal anzusehen und Vergleiche zu ziehen. Wir finden hier einen Gesetzentwurf mit den zusätzlichen Änderungen vor, die der Hauptausschuss in seiner Sitzung am letzten Donnerstag noch hinzugefügt hat. Dazu zählen technische Änderungen im Bereich Hilden und im Bereich Bonn.

Für meine Fraktion kann ich Zustimmung empfehlen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Lienenkämper.

Lutz Lienenkämper (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt heute ein Gesetzentwurf vor, der aus unserer Sicht Licht und Schatten hat. Das Verfahren, wie wir zu ihm gekommen sind, war ausdrücklich in Ordnung. Es war dasselbe Verfahren wie bei der letzten Änderung der Wahlkreise zwischen 2005 und 2010.

Wir sind in den unterschiedlichen Gesprächen zu Veränderungen des Vorschlags des Innenministeriums gekommen, aus unserer Sicht jedenfalls auch zu sehr guten Veränderungen. Andere Punkte sind allerdings aus unserer Sicht noch nicht so, wie wir uns das im Idealfall vorgestellt hätten.

Wir wären schon der Auffassung gewesen, dass man gerade im Bereich Duisburg, wo wir mit einem erheblichen Rückgang der Bevölkerung zu tun haben, schon jetzt eine nachhaltige und zukunftsfeste Lösung hätte wählen können, indem man dort einen der Wahlkreise weggenommen und ihn woanders, wo das rechnerisch am besten gewesen wäre, geschaffen hätte. Das wäre wahrscheinlich das Münsterland gewesen. So müssen wir das vermutlich prognostisch beim nächsten Mal anpacken. Man hätte es auch jetzt machen können.

Das Gleiche gilt für das Bergische Städtedreieck. Man hätte vermeiden können, dass es jetzt eine Lösung gibt, die Wahlkreise über die Grenzen von Regierungsbezirken schafft. Beides hätten wir vorzugswürdig und nachhaltiger gefunden. Das war allerdings in den Gesprächen nicht möglich.

Demgegenüber ist es gelungen, Verbesserungen auch aus unserer Sicht im Kreis Viersen zu erzielen. Wir haben aus unserer Sicht Verbesserungen im Rhein-Sieg-Kreis erzielt, sodass Verbesserungen Positionen gegenüberstehen, die wir unglücklich finden.

Deswegen können wir dem Gesetzentwurf auch nicht zustimmen. Das Unglückliche ist aber nicht so, dass das Glückliche dadurch an den anderen Ecken zerstört würde. Deswegen kommen wir hier im Endergebnis zu einer Enthaltung. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herzlichen Dank, Herr Kollege Lienenkämper. – Für die Fraktion der Grünen spricht Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich will mich auch am Anfang für die Gesprächsatmosphäre und die konstruktiven Gespräche untereinander bedanken.

Ja, es ist ein Geben und Nehmen. Aber wir waren uns miteinander einig, wirklich nur das verändern zu wollen, was zwingend notwendig ist, und weitere Entwicklungen miteinander abzuwarten. Da hat es unterschiedliche regionale Akzente gegeben. Wir wollten auch „minimalinvasiv“ vorgehen und jetzt nicht die ganze Landschaft durcheinanderwirbeln. Auch das ist gelungen.

Dass wir vor allen Dingen auch nachvollzogen haben, was sich an kommunalen Wahlkreisen verändert hat, ist eine technische Angelegenheit, die wir noch eingewoben haben.

Daher können wir gut gerüstet in die nächsten Jahre hineingehen und schauen, wie die Entwicklungen wirklich sein werden und das dann vornehmen. Es sind immer tiefe Eingriffe. Das muss gut miteinander „ausgemendelt“ werden. Das ist auch in der Fläche diskutiert worden. Die Rückmeldungen dazu sind äußerst positiv.

Licht und Schatten, hat der Kollege Lienenkämper gesagt – aber ein tragfähiger Kompromiss für alle Seiten. Daher werden wir dem Gesetzentwurf heute mit Freude zustimmen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die FDP-Fraktion spricht Angela Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Zuschnitt von Wahlkreisen berührt die essentiellen Grundlagen der Demokratie. Wahlrechtsgleichheit bedeutet nicht nur abstrakt den grundsätzlich gleichen Zähl- oder Erfolgswert abgegebener Stimmen, sie bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass sich die Zahl der Stimmberechtigten, die in einem bestimmten geografischen Gebiet einen Kandidaten oder eine Kandidatin in das Parlament wählen, nicht substantiell voneinander unterscheiden darf.

Deshalb ist es natürlich notwendig, die Einteilung der Landtagswahlkreise gelegentlich anzupassen, um sie mit einer möglichst vergleichbaren Zahl an Wahlberechtigten zu versehen. Über entsprechende Anpassungsnotwendigkeiten hatte das Innenministerium im vergangenen Winter berichtet.

Dabei entstand der Eindruck, sich nicht auf die demografisch notwendigen Anpassungen beschränkt zu haben, sondern auch andere Wahlkreise ohne Not umgestaltet zu haben. Meine Fraktion hat seinerzeit mit Blick unter anderem auf die Vorschläge zum Wahlkreis 68 in Essen und den Wahlkreiszuschnitt in Viersen, aber auch auf zahlreiche andere Wahlkreiszuschnitte ihre Position und Anregungen für das Gesetzgebungsverfahren formuliert.

Wir haben inzwischen den Antrag zurückgenommen, weil in den konstruktiven Gesprächen mit den anderen Fraktionen – hierfür sei gedankt – und auch mündend in den vorliegenden Gesetzentwurf viele unserer Anregungen aufgenommen werden konnten. Für die genannten Wahlkreise Essen und Viersen ist das zu unserem großen Bedauern nicht gelungen. Der Neuzuschnitt dieser beiden Wahlkreise ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar und entspricht auch nicht den gewachsenen örtlichen Zusammenhängen. Insofern halten wir unsere Kritik aufrecht und können dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern werden uns als Fraktion der Stimme enthalten.

Ich erlaube mir an der Stelle, uns in Erinnerung zu rufen, dass die Wahlkreiseinteilung nie den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit aus den Augen verlieren sollte, ganz unabhängig im Übrigen von der jeweiligen politischen Couleur. Anderenfalls liefen wir Gefahr wie zum Beispiel in den USA, wo durch das aus politischen Gründen erlaubte Gerrymandering letztlich nur wenige Wahlkreise landesweit politisch umstritten sind und überhaupt ein Wechselpotenzial aufweisen.

Die sich daraus ergebende Konsequenz einer Fokussierung und Konzentration des Wahlkampfes und des politischen Diskurses trägt eher nicht dazu bei, den Bürgern den Eindruck zu vermitteln, es komme auf ihre Stimme entscheidend an. Das ist aber wesentlich und wünschenswert für eine lebendige und von den Bürgerinnen und Bürgern breit getragene parlamentarische Demokratie. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Ein Aufregerthema, wie wir merken! Ich habe einen Artikel über das Gerrymandering ausgedruckt und wollte ihn jetzt vorlesen. – Nein, wollte ich natürlich nicht. Es ist alles gesagt, nur noch nicht von jedem. SPD und CDU sind sich insoweit einig, als dass das Ergebnis – der Kollege Lienenkämper hat es gerade gesagt – nicht ideal ist, aber am Ende gibt es zumindest keine Ablehnung.

Wir Piraten als neutrale Beobachter dieses ganzen Prozesses können sagen: Das ist irgendwie die zarteste Enthaltung, seit es Schokolade gibt. So werden wir uns auch verhalten. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung verweist auf den Gesetzentwurf und empfiehlt Zustimmung.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Vor der Abstimmung weise ich darauf hin, dass die Abgeordneten Brockes und Witzel von der Fraktion der FDP gemäß § 47 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung dem Sitzungsvorstand eine kurze schriftliche Begründung zu ihrer Abstimmung überreicht haben. Diese werden in das Plenarprotokoll aufgenommen. (Siehe Anlage 1)

Darüber hinaus weise ich darauf hin, dass der Abgeordnete Schemmer von der Fraktion der CDU um Erteilung des Wortes zur Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung gemäß § 47 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung gebeten hat. Nach dieser Vorschrift soll die Erklärung, Herr Kollege, höchstens drei Minuten dauern. – Ich erteile dem Herrn Kollegen Schemmer das Wort.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich versuche, die vorgegebenen drei Minuten deutlich zu unterschreiten. Ich gebe die Erklärung gleichzeitig im Namen des Kollegen Tenhumberg ab.

Wir haben 128 Wahlkreise in Nordrhein-Westfalen. Sie sind eigentlich unter Beachtung gesetzlich weiterer Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Verwaltungsgrenzen, gleich groß aufzuteilen. Es sind im Übrigen genau doppelt so viele wie Bundestagswahlkreise.

Um meine Ausführungen nicht in die Länge zu ziehen, will ich das Augenmerk auf zwei Regionen richten.

Dem Münsterland stehen nach der Einwohnerzahl 12,03 Wahlkreise zu, und zwar aufgrund der positiven Einwohnerentwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Das Münsterland hat aber nur elf Wahlkreise. Der Stadt Duisburg stehen 3,3 Wahlkreise zu. Sie hat aber vier. Mehrere angrenzende Wahlkreise haben ebenfalls eine unterdurchschnittliche Bevölkerungszahl. Anstatt, wie es die Einwohnerzahlen zeigen, Duisburg einen überzähligen Wahlkreis wegzunehmen und dem Münsterland den zwölften Wahlkreis zuzugestehen, wie es im Übrigen bis 2000 auch der Fall war, wird so lange an den Wahlkreisgrenzen auch über Kreisgrenzen hinaus hin- und hergeschoben, bis die einzelnen Defizite in den Wahlkreisen unter den gesetzlich vorgegebenen 20 % liegen.

Nun haben wir heute Morgen den Kollegen Stinka im Landtag verpflichtet. Bei der Beratung über die Wahlkreiseinteilung hat er als Generalsekretär reine SPD-Positionen vertreten, um der Stadt Duisburg die vier Wahlkreise zu erhalten, die ihr ja aufgrund der Einwohnerzahl nicht zustehen. Auch von einem neuen Landtagsabgeordneten aus dem Münsterland erwartet die Bevölkerung, dass er die berechtigten Interessen der Region wahrnimmt und sich dafür einsetzt, aber bei der SPD kam immer erst die Partei, und dann kamen die Interessen der Region.

Ich kann nur sagen: Diesem Wahlgesetz stimmen wir nicht zu.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schemmer. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/10095, den Gesetzentwurf Drucksache 16/9794 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/10095 und nicht über den Gesetzentwurf. Wer seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann nicht zustimmen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/10095 angenommen, und der Gesetzentwurf Drucksache 16/9794 in der Fassung der Beschlüsse des Hauptausschusses in zweiter Lesung mit den Stimmen der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Nein-Stimmen der Kollegen Schemmer, Witzel, Brockes und Wegener bei Enthaltung der CDU-Fraktion, der FDP-Fraktion, der Fraktion der Piraten und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd in zweiter Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

18       Dem Hass und Terror gegen Flüchtlinge, Helfer und Verantwortliche entschieden entgegenstellen!

Antrag
des Abg. Daniel Schwerd (fraktionslos)
Drucksache 16/10055 – Neudruck

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/10147 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem fraktionslosen Abgeordneten Schwerd das Wort.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und an den Bildschirmen. Transitzonen – das ist ein schönes Beispiel für Politik-Sprech, also die Kunst, etwas mit einem wohlklingenden Namen zu bezeichnen, der von der tatsächlichen Bedeutung ablenken soll.

Transit heißt eigentlich Übergang oder Durchgang. Eine Transitzone ist also ein Bereich, den man durchquert, um in eine andere Gegend zu gelangen.

Doch das ist eine Lüge. Bei den Transitzonen, die wir hier heute Morgen debattiert haben, handelt es sich um das genaue Gegenteil. Diese Zonen sollen Flüchtlinge gerade nicht durchqueren, sondern sie sollen aufgehalten werden; auf engstem Raum eingesperrt und möglichst umgehend wieder zurückgeschickt werden. Das ist keine Transitzone, das ist ein Aussperrlager.

Das ist alles andere als Willkommenskultur. Das ist das Gegenteil von menschenwürdig. Damit beugt man sich den Hetzern und Scharfmachern, den Asylfeinden und Rassisten. Damit ermutigt man die Scharfmacher, die vom Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge faseln, den geistigen und den tatsächlichen Brandstiftern.

Nacht für Nacht erleben wir einen sich steigernden Terror gegen andere Menschen. Er reicht von Hass und Volksverhetzung auf Plakaten bei den sogenannten Spaziergängen über Bedrohung politisch verantwortlich handelnder verantwortlicher Personen bis hin zu Attentaten auf Flüchtlinge, Helfer und Politiker. Das soll Angst und Schrecken verbreiten, um einen politischen Wandel in der Asylpolitik herbeizuführen. Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, warnt schon vor einem neuen Rechtsterrorismus gegen Flüchtlinge. Was da geschieht, deckt sich nämlich mit der Definition von Terrorismus. Also lassen Sie uns bitte auch davon reden. Wie es aussieht, haben die Terroristen mit ihren terroristischen Taten sogar leider Erfolg.

Lassen Sie uns damit aufhören, solche Taten zu verharmlosen. Wer Häuser anzündet, in denen geflüchtete Menschen schlafen, der handelt nicht aus Angst oder Sorge, der handelt aus Hass. Der will Menschen töten. Lassen Sie uns das bitte auch genauso bezeichnen.

Wer den Boden für solche Gewalttaten bereitet, der ist kein Asylkritiker, der ist ein Rassist. Der ist ein Fremdenfeind, ein Menschenfeind und kein besorgter Bürger. Daran ändert auch nichts, wenn er aus der Mitte unserer Gesellschaft stammt. Wir konnten auf Videos beobachten, wie Nazis aus dem PEGIDA-Umfeld im Umland von Köln Messerangriffe auf Menschen übten. Später dann sehen wir genau einen solchen Angriff auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Das ist Terrorismus, und der kommt von rechts.

Das Recht auf Asyl ist ein universales. Menschen, die aus existenzieller Not zu uns kommen, die vor Krieg und Vertreibung fliehen, haben einen Anspruch auf unseren Schutz. Für diese humanitäre Pflicht gibt es keine Obergrenze. Die Diskussionen, die darüber geführt werden, sind brandgefährlich. Sie ermutigen die Rassisten und Attentäter doch nur, noch weiterzumachen. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen. Und jetzt erst recht! – Vielen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Yetim.

Ibrahim Yetim (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Schwerd, mit Ihrem Antrag stellen Sie eine alarmierende Entwicklung der letzten Wochen und Monate dar. Dass es eine Zunahme von Bedrohungen und Angriffen auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte, auf Helferinnen und Helfer, auf politisch verantwortliche Personen und Journalisten gibt, ist besorgniserregend. All diese Taten, so denke ich, verurteilen wir alle hier gemeinsam auf das Schärfste.

Diese Entwicklung aber, Herr Schwerd, ist der rot-grünen Landesregierung schon bekannt, und sie reagiert darauf auch bereits in vielfältiger Weise. Ich vermute, der Innenminister wird gleich noch darauf eingehen. Herr Schwerd, ich möchte aber auch an den Antrag „Alltagsrassismus und rechte Gewalt bekämpfen“ erinnern, den wir hier vor einem Jahr gemeinsam gestellt haben. In diesem Antrag finden Sie einige Dinge wieder.

Ich will daran erinnern, dass im Jahr 2011 die Landesregierung ein Acht-Punkte-Programm beschlossen hat. Auch dieses enthält viele Sachen, die Sie ebenfalls fordern. Von daher hat sich dieser Antrag eigentlich erledigt.

Ich will aber auf einen Punkt ganz kurz eingehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nämlich auf das, was wir heute schon einmal besprochen haben. Und zwar geht es um das Thema Wortwahl, was auch die Ursache für einen zunehmenden Hass ist. Wir müssen uns da alle an die eigene Nase packen. Vielleicht sagt der eine oder andere: ich nicht. – Aber ich denke, an der Stelle können wir alle dazu beitragen, dass wir nicht noch den Rechten Zulauf geben, indem wir uns so äußern, wie wir uns äußern.

Aber das betrifft nicht nur uns Politikerinnen und Politiker – ich will daran erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen –, auch andere Prominente wie Akif Pirinçci zum Beispiel – Sie werden sich an seine verbalen Ausfälle erinnern –, bei dem ich mir gedacht habe: Ist er geschichtslos oder ist er einfach nur naiv? Denn er als Türkischstämmiger ist der Nächste, wenn die Rechten in diesem Land in irgendeiner Form gewinnen sollten.

Den Antrag lehnen wir ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Kollege Yetim. – Als Nächste spricht für die CDU-Fraktion die Frau Kollegin Güler. – Ich sehe sie im Moment noch nicht. Dann hat zunächst Frau Kollegin Düker für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gegenwärtige Lage mit den hohen Zugängen von Flüchtlingen fordert Gesellschaft und Politik heraus. Das haben wir heute Morgen in der Diskussion deutlich gemacht. Eigentlich hätte dieser Antrag aus meiner Sicht mit in der Aktuellen Stunde diskutiert werden können, weil das eigentlich zum Thema dazu gehört.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Wer hat denn dagegen gestimmt?)

Sie fordern uns nicht nur heraus – deswegen gehört das eigentlich mit in die Thematik – bei den logistischen, strukturellen, unter Umständen auch rechtlichen Herausforderungen, die wir haben, sondern auch weil die Verunsicherung in der Bevölkerung steigt. Und wir wissen: Eine verunsicherte Bevölkerung ist der Nährboden für die Verbreitung extremistischer Anschauungen. Das breitet letztlich auch den Boden für rechte Gewalt gegen Flüchtlinge und gegen diejenigen, die sich für sie einsetzen.

Auch deswegen ist es so wichtig, dass wir in dieser Debatte hier keinen politischen Aktionismus, keine Symbolpolitik anbieten, sondern ehrliche Wege aufzeigen, auch wenn sie nicht schnell wirken, auch wenn sie nicht sofort und einfach umsetzbar sind und einige Mühen in Anspruch nehmen. Daher sind die Rufe nach Obergrenzen und auch nach Beschränkungen des Asylrechts kein Mittel zur Beruhigung besorgter Bürgerinnen und Bürger, sondern eher Wasser auf die Mühlen des rechten Spektrums.

Der Staat wird es aber nicht alleine schaffen. Daher sind für uns Grüne die vielen weiteren Maßnahmen zur Stärkung der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus auch so zentral. Ich bin sicher, dass wir hier in NRW gut aufgestellt sind. Wir sehen auch hier in Düsseldorf regelmäßig bei diesen PEGIDA-Ablegern, dass sie hier in NRW nicht Fuß fassen können. Darauf darf man sich nicht ausruhen. Aber das zeigt, dass unsere Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen nicht so anfällig ist für diese menschenverachtende Hetze und diesen Menschen auch keinen Raum in unseren Städten gibt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Alle, die den gemeinsamen Boden von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verlassen und die meinen, mit rechtem Terror und rechtem extremistischen Gedankengut, hier Fuß zu fassen, müssen wir in ihre Schranken weisen. Das tun wir, das tut in Nordrhein-Westfalen die Zivilgesellschaft, und das tut auch der Staat. Beispiele: An Flüchtlingsunterkünften gibt es überall funktionierende Ordnungspartnerschaften.

Wir haben Bürgerdialoge, runde Tische zur Steigerung der Akzeptanz im Gemeinwesen. Wir haben einen höheren Schutz da, wo es nötig ist, durch vermehrte Bestreifung, Präsens der Polizei, um die Menschen zu schützen. Wir haben ein hohes Engagement. Gerade nach der Aufdeckung der NSU-Anschläge, die hier in NRW stattgefunden haben, haben wir mobile Beratungsstellen und die Opferberatung verstärkt, um auch die Opfer stärker in den Blick zu nehmen und zu schützen. Wir haben das integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf den Weg gebracht.

Ich glaube, wir sind gut aufgestellt. Und wie die Präsidentin heute Morgen zu Beginn der Tagesordnung schon gesagt hat: Wir dürfen Nordrhein-Westfalen – ich denke, da sind wir geschlossen – keinen Fuß breit dem Hass und dem Terror überlassen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Als Nächster spricht für die FDP-Fraktion Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Schwerd spricht ein wichtiges und ernstes Thema an, das ist überhaupt keine Frage. Natürlich erleben wir auch selber in Hassmails oder beim Anschauen der sozialen Netzwerke, dass da mit Klarnamen Dinge vertreten werden, die strafrechtlich relevant sind. Da muss man sich auch fragen, wo der Diskurs in Deutschland teilweise hingekommen ist. Das ist gar keine Frage.

Wir haben auf der einen Seite viele fantastische Menschen, die helfen; aber wir haben auch eine gewisse Zahl von Leuten, die hetzen. Sich dagegen zu wehren, ist richtig.

Lieber Herr Schwerd, ich sage Ihnen ganz ehrlich: Was Sie hier vorschlagen, das sind nur Allgemeinplätze. Wenn das ein politischer Jugendverband so formulieren würde, dann würde ich sagen, dann ist das in Ordnung. Aber von einem professionellen Abgeordneten muss ich auch erwarten, dass man sich ein bisschen substanzieller mit der Sache auseinandersetzt und auch mit konkreten Vorschlägen kommt. Deswegen lehnen wir das hier ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Güler.

Serap Güler (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der 17. Oktober dieses Jahres war für mich als Kölnerin, aber auch als Demokratin ein schwarzer Tag, ein schwarzer Tag vor allem in der Stadtgeschichte meiner Heimatstadt Köln.

Als ich am Morgen dieses Tages die Nachricht erhielt, dass auf unsere damalige Oberbürgermeisterkandidatin und heutige Oberbürgermeisterin Henriette Reker ein Messeranschlag verübt wurde, bei dem sie schwer verletzt wurde, traf mich das nicht nur. Ich war auch schockiert, entsetzt und erschüttert.

Dass Politikerinnen und Politiker Opfer von Angriffen werden, müssen wir fast täglich erfahren. Wenn es aber eine Person trifft, die man auch noch sehr gut kennt und über Monate im Wahlkampf persönlich begleitet hat, dann wirkt dieses Ereignis über Wochen nach.

Ein Kölner mit rechtsradikaler Gesinnung hat sich die OB-Kandidatin bewusst als Opfer ausgesucht, weil sie sich als Sozialdezernentin der Stadt Köln engagiert für Flüchtlinge eingesetzt hat. Das alles macht deutlich, dass es uns alle, so wie wir hier sitzen, hätte treffen können. Die Gewalt an Henriette Reker ist bei Weitem kein Einzelfall.

Jeder einzelne Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim schmerzt jeden aufrichtig denkenden Menschen. Regelmäßig werden Flüchtlinge, ehrenamtlich Engagierte und Verantwortliche Opfer von Angriffen und Einschüchterungsversuchen. In unserer Bundesrepublik erhalten Mandatsträgerinnen und Mandatsträger Morddrohungen, weil sie sich für einen fairen Umgang mit Flüchtlingen einsetzen.

Dabei überrascht vor allem die Offenheit, mit der Menschen unter ihrem vollständigen Namen im Internet zu Gewalt aufrufen, als hätten sie jeden Skrupel und jedes Gefühl für die Unanständigkeit ihres Handelns verloren.

Wir erleben zurzeit einen erhöhten Andrang von Flüchtlingen, die aufgenommen und integriert werden möchten. Ja, für manche Menschen in Deutschland geht diese Entwicklung mit Fragen und Sorgen einher. All das müssen wir ernst nehmen. Aber Gewalt – ob offen oder subtil, ob dazu aufgerufen oder ob sie ausgeübt wird – werden wir in Deutschland nicht dulden. Es gibt keine Rechtfertigung für sie, und das müssen wir deutlich machen.

Kein Flüchtling, der vor Verfolgung und Krieg nach Deutschland geflüchtet ist, darf sich hier erneut unsicher fühlen. Weder Helfer noch Verantwortliche dürfen in ihrem Engagement beeinträchtigt werden. Sie brauchen unseren Schutz und die Gewissheit, dass sie sich auf uns verlassen können.

Doch damit Polizei und Staatsanwaltschaft konsequent gegen Gewalt und Straftaten im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften vorgehen, bedarf es unserer Ansicht nach keiner Aufforderung des Landtags. Das ist der gesetzliche Auftrag dieser Behörden, und wir haben keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass sie diesen nicht erfüllen. Insbesondere gibt es keine Hinweise darauf, dass entsprechende Taten in Nordrhein-Westfalen vonseiten der Behörden verharmlost würden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, richtig ist allerdings, dass wir nicht darin nachlassen dürfen, gegen diejenigen vorzugehen, die Hass säen und Unwahrheiten verbreiten. Hier müssen wir vielleicht noch sensibler werden. Wir dürfen PEGIDA und Parteien wie der AfD nicht das Hetzen gegen Schwache erlauben. Dort, wo Grenzen überschritten werden, müssen strafrechtliche Konsequenzen die Folge sein.

Auch müssen wir uns selbstkritisch hinterfragen, ob wir selbst bei der bisweilen gebotenen Notwendigkeit zur Überspitzung im politischen Tagesgeschäft immer den richtigen Ton treffen.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Beispielsweise im Kölner Wahlkampf, Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen und zu behaupten, der Vereinssport stünde auf der Kippe, wohlwissend, dass von den über 270 Turnhallen in Köln nur acht für die Flüchtlingsunterbringung zweckentfremdet wurden,

(Zurufe von der SPD)

ist nicht nur unredlich und unverantwortlich, sondern Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Hass säen wollen, erst recht in Anbetracht der Tatsache, dass wir in Köln

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

zwischen allen demokratischen Parteien einen Konsens hatten, dieses Thema fern vom Wahlkampf zu halten.

Wir müssen in Zukunft Drohungen ernster nehmen und den Helfern und verantwortlichen Trägern zur Seite stehen, wenn sie im Fokus gewaltbereiter Gruppen stehen. Wir dürfen uns keineswegs einschüchtern lassen und müssen die Werte unserer Gesellschaft verteidigen.

Ich bin der Meinung, das tun wir hier im Landtag. Deshalb halten wir als CDU-Fraktion diesen Antrag für überflüssig. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Güler. – Als nächster Redner spricht für die Piratenfraktion der Fraktionsvorsitzende Herr Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Das ist ein Antrag, lieber Kollege Schwerd, der zur richtigen Zeit kommt und das richtige Thema anspricht. Denn es geht um Menschenfeindlichkeit. Wir sollten über Menschenfeindlichkeit reden – auch hier im Landtag. Menschenfeindlichkeit ist kein Phänomen am rechten Rand, sondern leider ein Problem, das sich bis in die Mitte der Gesellschaft reicht.

Noch viel besser wäre gewesen, wenn wir über das Thema „Menschenfeindlichkeit“ und das damit zusammenhängende Thema „Gewalt gegen Flüchtlinge“ in der Aktuellen Stunde geredet hätten. Leider haben wir stattdessen über die Bezeichnung von Abschiebelagern diskutiert, ob sie Transitzone oder Einreisezentrum heißen sollen.

Der Antrag ist insoweit gut, als er das richtige Thema anspricht. Leider fehlen konkrete Lösungen. Wir liefern diese Lösungen mit unserem Entschließungsantrag nach und zeigen auf, was wir Piraten von diesem Thema halten.

Wir sagen zum Beispiel, dass ein Lagebild angelegt werden soll: die Bedrohung von Politikern – das wurde gerade schon angesprochen –, die menschenfeindlichen Drohungen gegen Flüchtlinge.

Zu der Bedrohung von Politikern fällt mir übrigens gerade ein: Ein guter Kollege von mir in Meerbusch wurde erst vor Kurzem – es war heute in der Presse zu lesen – mit den Worten bedroht: Wenn du dem Bau weiterer Asylantenheime zustimmst, bist du der Erste, der brennt.

Ich glaube, dass wir uns als Demokraten alle gemeinsam gegen solche Drohungen – ob in den sozialen Medien, per Brief, per Telefon oder auf der Straße – wehren müssen und so etwas nicht zulassen dürfen.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Bei den Drohungen gegen Flüchtlinge werden Sachen angegriffen, brennen Flüchtlingsheime. Die Experten warnen uns: Es ist nur ein kleiner Schritt, dass Gewalt gegen Menschen angewendet wird und es leider bald zu Verletzten, Schwerverletzten und Toten kommen könnte.

Wir sagen: Es sollte ein operatives Abwehrzentrum geben. In Sachsen hat man so etwas. Da sollten bei uns in Nordrhein-Westfalen zivilgesellschaftliche Initiativen einbezogen werden.

Wir sagen: Die Arbeit des Verfassungsschutzes muss man komplett neu denken. Wie kann es sein, dass ein Verfassungsschutz so ein Ereignis wie HoGeSa im letzten Jahr in Köln einfach völlig unterschätzt?

Wir sagen: Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten langfristig unterstützt werden – auch finanziell. Alle zwei Jahre einen Antrag zu stellen, damit eine weitere Unterstützung durch das Land gewährleistet wird, bindet Ressourcen und ist vollkommen unnötig. Wir sollten diese „Projekteritis“ einfach mal fallen lassen und uns tatsächlich langfristig binden.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir sollten in Einrichtungen der Flüchtlingshilfe einen Direktnotruf installieren, gerade wenn wir demnächst über Holzbau reden. In Rheinland-Pfalz ist das aktuell gang und gäbe.

Wir sollten über PMK-rechts reden: komplett und von Grund auf. Wir müssen darüber reden, dass es auch gegen die Roma, gegen die Sinti Straftaten gibt, die einfach nicht erfasst werden. Wir müssen die PMK-rechts komplett neu aufsetzen.

Ein Letztes: Wir sollten uns im Bund ganz klar und ganz stark dafür einsetzen, dass Hasskriminlität auf gar keinen Fall in irgendeiner Form möglich sein darf und dass die Gesetze dagegen verschärft werden müssen.

Wir Piraten sagen, es sollten konkreten Maßnahmen ergriffen werden. Wir sagen: Augen auf! Kein Fußbreit! Wehret den Anfängen! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Marsching. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An einem langen Plenartag zähle ich um 20:15 Uhr nicht zu denen, die stoisch an ihrem Redemanuskript festhalten. Das will ich auch heute nicht tun. Aber dieses Thema ist es wert, nicht einfach nur darüber hinwegzugehen, sondern sich einige Minuten konzentriert damit auseinanderzusetzen.

Mir macht wirklich Sorgen, was seit einigen Wochen im Netz und auf der Straße an Hass, an Aggressivität verdeckt und immer mehr offen verbreitet wird. Mich erinnern die Worte von Jens Stoltenberg – mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich zitieren – an die jetzige Situation. Er hat einmal gesagt:

Ihr werdet unsere Demokratie und unser Engagement für eine bessere Welt nicht zerstören. Wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Der eine oder andere weiß, in welchem Zusammenhang Jens Stoltenberg diese Worte gesagt hat, die, wie ich finde, eine unglaubliche Kraft, eine unglaubliche Energie verströmen in einer Situation, in der man eigentlich auf kalte Rache sinnt und Wut hat.

Mir kamen diese Worte in den Sinn, als ich von dem Attentat gegen Frau Reker am vorletzten Samstag hörte. Ich glaube, dass dieses Attentat den Blick auf die Flüchtlingsdebatte in dieser Gesellschaft verändert und auch verändern muss. Dieses Attentat hat offenbart: Es gibt in dieser Gesellschaft Menschen, die die Waffe erheben im vermeintlichen Glauben, Vertreter einer schweigenden Mehrheit zu sein. Und wenn eine Demokratie es zulässt, dass solche Extremisten glauben, Teil einer schweigenden Mehrheit zu sein, dann ist es Aufgabe der Mitte der Gesellschaft, klar und deutlich zu sagen: Ihr seid nicht die Mehrheit, ihr seid am Rand,

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

und wir lassen das in dieser Gesellschaft nicht zu.

Stoltenberg hat von mehr Demokratie, von mehr Offenheit, von mehr Menschlichkeit geredet. Ich glaube, alle Abgeordnete, alle Mitglieder der Landesregierung sind momentan in einer schwierigen Situation, in einer herausfordernden Situation, und trotzdem erleben wir Begegnungen und Situationen, in denen wir sagen, dass es unglaublich ist, dass dieses geschieht.

Ich war vor Kurzem beim Kollegen Münstermann in der kleinen Gemeinde Langerwehe. Ich habe dort einen Arbeitskreis Asyl ausgezeichnet, der sich in dieser 13.000-Seelen-Gemeinde für die Aufnahme von Flüchtlingen engagiert. Dabei ist mir sehr eindrucksvoll geschildert worden, zu welchen menschlichen Begegnungen es dort kommt.

Das passiert nicht nur und Gott sei Dank nicht nur in Langerwehe im Kreis Düren, sondern das passiert in unserem Bundesland jeden Tag an jedem Ort ganz häufig. Darauf, finde ich, müssen wir stolz sein, und die positiven Beispiele sollten wir als diejenigen, die Verantwortung in dieser Gesellschaft tragen, immer wieder nach vorne stellen:

Es gibt die am Rand, die nicht in die Mitte der Gesellschaft gehören. Aber es gibt in der Mitte der Gesellschaft ein breites Bündnis der Demokraten, die sagen: Ja, es ist zurzeit eine Herausforderung, aber es ist auch eine Herausforderung an unsere eigene Menschlichkeit, diese Herausforderung, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu meistern.

Es ist an der Zeit, dass wir die Situation nicht durch die rosarote Brille sehen, dass wir nicht den Pessimisten und der Schwarzmalerei folgen, sondern dass wir einen unverklärten, realistischen Blick auf die Realität haben.

Johannes Rau hat einmal gesagt: Integration ist nicht einfach, dort entsteht Reibungswärme, weil es nämlich auch Probleme gibt, die es nicht kleinzureden gilt.

Aber, meine Damen und Herren, was bei allen Problemen deutlich werden muss, ist – und darum bitte ich alle Abgeordnete des Landtags; denn das ist die Selbstverpflichtung dieser Landesregierung –, deutlich zu sagen: Wir müssen jetzt Haltung zeigen in einer solchen Situation, die schwierig ist, die herausfordernd ist, die Probleme bereitet. Denn das, was montags abends unter dem Deckmantel von AfD und PEGIDA demonstriert, was wie von Herrn Höcke menschenverachtend auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesagt werden darf, ist eben nicht Volkes Stimme. Vielmehr sind wir Demokraten in der Mitte unserer Gesellschaft Volkes Stimme, und das müssen wir gemeinsam nach außen kundtun. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung erstens über den Antrag des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd; das ist die Drucksache 16/10055Neudruck. Herr Schwerd hat direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Herr Schwerd. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Piratenfraktion wurde der Antrag mit den Stimmen von SPD, Grünen, CDU und FDP bei Zustimmung von Herrn Schwerd abgelehnt.

Wir stimmen ab zweitens über den Entschließungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/10147 – Neudruck. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Die Fraktion der Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD, Grüne, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen von SPD, Grünen, CDU und FDP abgelehnt.

Ich rufe auf:

19       Gesetz zur Änderung des Lehrerausbildungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9887 – Neudruck

erste Lesung

Ich darf hinweisen auf den Entschließungsantrag der Piraten Drucksache 16/10137. Dieser Entschließungsantrag wurde inzwischen von der Fraktion zurückgezogen.

Zur Einbringung des Gesetzes wollte ich Frau Löhrmann das Wort erteilen, aber Frau Ministerin Löhrmann hat ihre Einbringungsrede bereits zu Protokoll gegeben. Deshalb ist eine weitere Aussprache hier nicht vorgesehen. (Siehe Anlage 2)

Wir kommen für heute zur Abstimmung über die Empfehlung des Ältestenrats, diesen Gesetzentwurf Drucksache 16/9887 - Neudruck - zu überweisen an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung – federführend – sowie an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung. Gibt es dazu Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

20       Gesetz zur Änderung des Gebührengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10081

erste Lesung

Einbringen würde diesen Gesetzentwurf Herr Minister Jäger. Er hat mitgeteilt, dass er die Einbringungsrede zu Protokoll gibt. (Siehe Anlage 3) Herzlichen Dank dafür. Eine weitere Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/10081 an den Innenausschuss. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

21       Anmeldung zum Rahmenplan 2015 bis 2018 nach § 7 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK)

Unterrichtung des Landtags
gemäß § 10 Absatz 3 LHO
Vorlage 16/3102

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/10096

Eine Debatte ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt mit der Drucksache 16/10096, die mit Vorlage 16/3102 erfolgte Anmeldung zum Rahmenplan 2015 bis 2018 nach § 7 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ gemäß § 10 Abs. 3 LHO zur Kenntnis zu nehmen. Wer nimmt das so zur Kenntnis? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann haben wir das einstimmig so angenommen und zur Kenntnis genommen.

Wir kommen zu:

22       Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung, ob § 4 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG NRW) gegen Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 4 Abs. 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen (LV NRW) verstößt – Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 27. August 2015 (6 K 2793/13)

VerfGH 10/15
Vorlage 16/3266

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10097

Eine Debatte ist nicht vorgesehen.

Wir kommen gleich zur Abstimmung darüber, in dem Verfahren in dem Verfassungsgerichtshof keine Stellungnahme abzugeben. Wer der Beschlussempfehlung Drucksache 16/10097 folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Es wird einstimmig so verfahren.

Ich rufe auf:

23       Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Behauptung der Kreise Recklinghausen und Soest sowie der Stadt Essen, das Gesetz zur Weiterentwicklung des Landespflegerechtes und Sicherung einer unterstützenden Infrastruktur für ältere Menschen, pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige (Alten- und Pflegegesetz Nordrhein-Westfalen – APG NRW) vom 2. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 625), die Verordnung zur Ausführung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen und nach § 92 SGB XI (APG DVO NRW) vom 21. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 656), das Wohn- und Teilhabegesetz (WTG) vom 2. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 632) sowie die Verordnung zur Durchführung des Wohn- und Teilhabegesetzes (Wohn- und Teilhabegesetz-Durchführungsverordnung – WTG DVO) vom 23. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 686) verletzten die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung

VerfGH 11/15
Vorlage 16/3313

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10098

Hierzu ist keine Debatte vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt der Beschlussempfehlung Drucksache 16/10098 zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist beides nicht der Fall. Dann haben wir diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

24       Verfassungsbeschwerde der Frau Z. A., Sindelfingen – Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Schnabel & Kollegen, Brunnenstraße 19, 70372 Stuttgart
1.    unmittelbar gegen
a)    das Urteil des Bundesarbeitsgerichts            vom    12. August 2010 – 2 AZR 593/09 –,
b)   das Urteil des Landesarbeitsgerichts Ba-     den-Württemberg vom 19. Juni 2009 
       – 7 Sa            84/08 –,        
c)    das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart         vom 15. Oktober 2008 – 14 Ca 7300/07 –,
d)   die Abmahnung der Stadt Sindelfingen         vom 8. August 2007 – 10.2 – St –,        
2.    mittelbar gegen     
       § 7 des Gesetzes über die Betreuung und    Förderung von Kindern in Kindergärten,      anderen Tageseinrichtungen und der Kin    dertagespflege des Landes Baden-    Württemberg

1 BvR 354/11
Vorlage
16/3314

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/10099

Eine Debatte ist nicht vorgesehen.

Ich lasse abstimmen über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses Drucksache 16/10099, in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht keine Stellungnahme abzugeben. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen im Hohen Haus? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist beides nicht der Fall. Damit ist diese Beschlussempfehlung einstimmig so angenommen.

25       Nachwahl eines ordentlichen und eines stellvertretenden Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses I (BLB)

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache
16/10080

Eine Aussprache ist hierzu nicht vorgesehen.

Wir stimmen somit gleich ab über den Wahlvorschlag Drucksache 16/10080. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es dazu Gegenstimmen? – Sind Enthaltungen im Hohen Hause festzustellen? – Das ist beides nicht der Fall. Damit ist der Wahlvorschlag einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

26       In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 34
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 16/10100

Die Übersicht enthält fünf Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden, sowie einen Entschließungsantrag. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen entsprechend der Übersicht 34 Drucksache 16/10100. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die Abstimmungsergebnisse einstimmig bestätigt, wie zu erwarten war.

Ich rufe auf:

27       Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/36

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist augenscheinlich nicht der Fall.

Damit stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass diese Beschlüsse in Übersicht 16/36 damit bestätigt sind.

Wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich berufe das Plenum wieder für morgen, Donnerstag, den 5. November 2015, pünktlich um 10 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 20:27 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

 

 

Anlage 1

Zu TOP 17 – „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Wahlkreiseinteilung für die Wahl zum Landtag Nordrhein-Westfalen (Wahlkreisgesetz)“ – von Dietmar Brockes (FDP) und Ralf Witzel (FDP) nach § 47 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene schriftliche Begründung ihrer Abstimmung

Dietmar Brockes (FDP):

Die Koalitionsfraktionen haben mit LT-DS 16/9794 ein Wahlkreisgesetz für die kommende Landtagswahl 2017 initiiert, das auf der Vorlage 16/2641 von Innenminister Ralf Jäger (SPD) basiert, mit der dieser an verschiedenen Stellen im Land Vorschläge für einen Neuzuschnitt der Wahlkreise unterbreitet.

In Reaktion darauf hat die FDP-Landtagsfraktion zu den folgenreichsten Verwerfungen bei Umsetzung dieser Empfehlungen ihrerseits eine Bewertung in LT-DS 16/8135 durch Vorlage des eigenen Antrags „Gegen einen willkürlichen und parteipolitisch motivierten Wahlkreiszuschnitt“ vorgenommen, die der Unterzeichner dieser Erklärung als namentlicher Mitantragsteller unterstützt.

SPD und Grüne sind in darauf folgenden Gesprächen mit den anderen Fraktionen nicht allen Vorschlägen ihres Innenministers gefolgt, sodass die aktuelle Abstimmung über das Wahlkreisgesetz landesweit erfreulicherweise nicht so schlimm und gravierend ausfällt, wie dies der Innenminister ursprünglich beabsichtigt hat. An mehreren Stellen sind die Vorschläge des Innenministers verworfen worden.

Für das örtliche Zuständigkeitsgebiet meines Heimatkreises Viersen gibt es seitens der Koalitionsfraktionen nicht die Bereitschaft, den landschaftlich sowie sozialräumlich bestehenden Zusammenhang im Kreis Viersen zu erhalten.

Diesen massiven Eingriff in die Wahlkreiseinteilung, den ich noch nie so eklatant erlebt habe, halte ich persönlich für grundfalsch und kann ihn nur ablehnen:

Mit dem neuen Wahlkreisgesetz wird der Wahlkreis Viersen II aufgeteilt. Die Stadt Tönisvorst soll ab der Landtagswahl 2017 an den neu gebildeten Wahlkreis Krefeld I – Viersen III angeschlossen werden.

Mit dieser Neueinteilung wollen die Koalitionsfraktionen die sinkenden Einwohnerzahlen der Stadt Krefeld und die damit verbundene unterschrittene Zahl der Mindesteinwohner je Wahlkreis ausgleichen.

Während Städte wie Krefeld und Duisburg bei ihren Einwohnerzahlen signifikante Abweichungen für die Aufstellung der Wahlkreiszuschnitte bei den nächsten Landtagswahlen ausweisen, hat der Kreis Viersen nur außerordentlich geringe Abweichungen zu verzeichnen, die nach § 13 Abs. 2 LWahlG keinerlei Änderungen der Wahlkreiszuschnitte bedürfen. Für die Bürgerinnen und Bürger im Kreis Viersen ist es daher nicht hinnehmbar, dass der ländliche Raum des Kreises Viersen als Verteilmasse für schrumpfende Städte hinhalten muss. Nach den Ausführungen des Gesetzentwurfes LT-DS 16/9794, S. 14 gleicht die Stadt Tönisvorst die Einwohner-Abweichung in Krefeld auf nahezu 0 % aus, während der Wahlkreis Viersen II von einem Überschuss von fast 13 % auf eine Abweichung von fast minus 10 % fällt.

Entgegen allen Traditionen, bei der Wahlkreisfestlegung den landschaftlich sowie sozialräumlich bestehenden Zusammenhängen Rechnung zu tragen, wird nun erstmalig seit Bestehen des Wahlkreises Viersen II eine Kommune aus dem Landkreis Viersen herausgerissen.

Der ländliche Raum in Tönisvorst weist eine völlig andere Wählerstruktur auf als die der Stadt Krefeld, und auch die spezifischen Herausforderungen und Themenfelder für den ländlichen Raum haben nur wenige Schnittmengen mit denen der Stadt Krefeld. Folglich werden künftig die Bedürfnisse des ländlichen Raumes in Tönisvorst gegenüber den dominierenden Wählern der Großstadt Krefeld nicht mehr zur Geltung kommen und der/die jeweilige Landtagsabgeordnete kann seinen/ihren Wahlkreis nicht mehr sachgerecht im Landtag vertreten.

Letztendlich lässt sich daraus ableiten, dass die Politikverdrossenheit zunehmen wird, wenn die Wählerinnen und Wähler aufgrund der räumlichen und strukturellen Trennung keinen Bezug zu ihrem Direktwahlkandidaten haben bzw. aufbauen können.

Ein in dieser Weise angelegtes Gesetzesvorhaben kann ich aus tiefer persönlicher Überzeugung nur ablehnen.

Ralf Witzel (FDP):

„Die Koalitionsfraktionen haben mit LT-DS 16/9794 ein Wahlkreisgesetz für die kommende Landtagswahl 2017 initiiert, das auf der Vorlage 16/2641 von Innenminister Ralf Jäger (SPD) basiert, mit der dieser an verschiedenen Stellen im Land Vorschläge für einen Neuzuschnitt der Wahlkreise unterbreitet.

In Reaktion darauf hat die FDP-Landtagsfraktion zu den folgenreichsten Verwerfungen bei Umsetzung dieser Empfehlungen ihrerseits eine Bewertung in LT-DS 16/8135 durch Vorlage des eigenen Antrags „Gegen einen willkürlichen und parteipolitisch motivierten Wahlkreiszuschnitt“ vorgenommen, die der Unterzeichner dieser Erklärung als namentlicher Mitantragsteller unterstützt.

SPD und Grüne sind in darauf folgenden Gesprächen mit den anderen Fraktionen nicht allen Vorschlägen ihres Innenministers gefolgt, sodass die aktuelle Abstimmung über das Wahlkreisgesetz landesweit erfreulicherweise nicht so schlimm und gravierend ausfällt, wie dies der Innenminister ursprünglich beabsichtigt hat. An mehreren Stellen sind die Vorschläge des Innenministers verworfen worden.

Für das örtliche Zuständigkeitsgebiet meiner Heimatstadt Essen gibt es seitens der Koalitionsfraktionen jedoch keinerlei Bereitschaft zu irgendeiner auch nur teilweisen Änderung der Pläne des Innenministers, sodass die folgenreichen Änderungen für die Stadt Essen nun voll zur Geltung kommen.

Diesen massiven Eingriff in die Wahlkreiseinteilung, den ich noch nie so eklatant erlebt habe, halte ich persönlich für grundfalsch und kann ihn nur ablehnen.

Aufgrund der Verweigerungshaltung von SPD und Grünen gegen eine konstruktive, gemeinsam getragene Lösung bei der Essener Wahlkreiseinteilung bleiben die inhaltlichen Feststellungen der FDP-Landtagsfraktion in LT-DS 16/8135 jedenfalls für die Stadt Essen weiterhin voll gültig, zu denen der Antragsteller bereits am 10. März 2015 wörtlich Folgendes festgestellt hat:

„Die rot-grünen Absichten für den südlichen Essener Landtagswahlkreis Nr. 68 sind ein ganz offenkundiges Beispiel für den rein parteipolitisch motivierten Neuzuschnitt: Anstatt zur einzig naheliegenden historischen Lösung zu greifen und den erst 2005 dem südlichen Landtagswahlkreis hinzugefügten Stadtbezirk II (oder Teile davon) wieder auszugliedern, löst der Innenminister gezielt an mehreren ganz unterschiedlichen Rändern des WK 68 vier einzelne Stadtteile heraus.

Bei genau diesen vier Stadtteilen handelt es sich um bürgerliche Hochburgen, die der SPD-Direktkandidat bei den zurückliegenden Landtagswahlen nicht für sich gewinnen konnte, während die Herauslösung von Stadtteilen aus dem Stadtbezirk II Gebiete mit wechselnden Mehrheitsverhältnissen betrifft und daher ausgewogen wäre.

Bezogen auf ein landesweit zwischen beiden großen Parteien ausgeglichenes Wahlergebnis wie beispielsweise des Jahres 2010 bedeutet dies: Der Stimmenvorsprung des CDU-Direktkandidaten von über 1.000 Stimmen würde durch diesen Neuzuschnitt in einen Vorsprung des SPD-Kandidaten von knapp 2.000 Stimmen umgewandelt, also insgesamt eine wahlentscheidende Verschiebung von rund 3.000 Stimmen zugunsten der SPD in zwei andere Wahlkreise vollzogen, in denen diese Stimmen für den Wahlausgang völlig unerheblich sind.

Offensichtlicher kann interessengeleitete Wahlkreisgeometrie kaum aussehen. Entgegen allen Traditionen, den administrativen Grenzen mehrerer Stadtbezirke und landschaftlich sowie sozialräumlich bestehenden Zusammenhängen zu folgen sollen nun künstliche Wahlkreisverläufe gebildet werden, die im Ergebnis auf lange Zeit den Gewinn aller Essener Direktmandate durch SPD-Kandidaten sicherstellen dürften.“

Meine gleichgerichtete Argumentation wird detailliert begründet, fachlich vertieft und mit Rechenbeispielen untermauert in LT-DS 16/8092 und LT-DS 16/8393. Die von mir dort getätigten Aussagen haben leider nicht an Aktualität verloren. Insbesondere die Nichtbeantwortung wichtiger Fragen seitens des Innenministers spricht Bände und dürfte nicht rein zufälliger Natur sein.

Mein persönliches Fazit lautet:

Der Neuzuschnitt der Essener Landtagswahlkreise ist ein trauriges Musterbeispiel für interessengeleitete Wahlkreisgeometrie, die leider möglich ist, da allein eine einfache parlamentarische Mehrheit ausreicht, um derart unsachgemäße Entscheidungen durchzusetzen.

Vor diesem Hintergrund hege ich persönlich große Sympathie für eine Gesetzesänderung im Landesrecht, die analog zur Bestimmung der Wahlkreisgrenzen für Bundestagswahlkreise keine isolierten politischen Vorschläge allein des Innenministers vorsieht, sondern bei identifizierten Änderungsabsichten diese einer sachlichen Stellungnahme und fachlichen Vorprüfung externer Experten zuführt. Solche Verfahrensweisen zur Objektivierung der Wahlkreiseinteilung sind auch in anderen Ländern international gebräuchlich und verhindern Willkür. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein neutrales Gremium anstelle eines in seinen Auswirkungen parteipolitisch neutralen Rückgriffs auf historische Wahlkreisgrenzen eine solche Filetierung des Essener Wahlgebietes empfohlen hätte, wie SPD und Grüne dies nun beschließen wollen.

Die aktuellen Absichten von SPD und Grünen nehmen vielen Wählern in der Stadt Essen die Identifikation mit ihrem Wahlgebiet und führen zu Machtverschiebungen vor Ort, die ferner einen teuren Aufwuchs der Landtagsgröße durch Verursachung von Überhangmandaten bewirken.

Ein in dieser Weise angelegtes Gesetzesvorhaben kann ich aus tiefer persönlicher Überzeugung nur ablehnen.

 

Anlage 2

Zu TOP 19 – „Gesetz zur Änderung des Lehrerausbildungsgesetzes“ – zu Protokoll gegebene Rede

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung:

Vor sechs Jahren hat die Lehrerausbildung in Nordrhein-Westfalen ihre bisher grundlegendste Reform erfahren; vor allem mit Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse.

Über die Entwicklungen seit Inkrafttreten der Reform hat die Landesregierung dem Landtag 2013 Bericht erstattet. Mit der Reform wurde die Grundlage für eine praxisorientierte, professionelle und innovative Lehrerausbildung gelegt.

Lassen Sie mich dafür exemplarisch die Qualifizierung aller Studierenden im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ nennen. Um diese weitsichtigen Investitionen zur zukunftsgerichteten Gestaltung des Lernens in der Einwanderungsgesellschaft beneiden uns jetzt andere Länder. Der Bericht bestätigt auch die Grundstrukturen der neuen Lehrerausbildung, vor allem die Bachelor- und Masterstudiengänge mit gleich langen Studienzeiten in allen Lehrämtern sowie die frühe Praxisorientierung. Hier setzen wir auf Kontinuität.

Eine Novellierung ist aber notwendig – weil wir wollen, dass unsere Lehrerausbildung auf der Höhe der Zeit bleibt und weiterhin auf die anstehenden Herausforderungen eingestellt ist, zumal sich die Anforderungen an künftige Lehrerinnen und Lehrer in dieser Legislaturperiode zum Teil erheblich verändert haben.

Die wichtigsten geplanten Änderungen in den jetzt vorliegenden Regelungsentwürfen sind:

1. Wir wollen die Lehrkräfte befähigen, noch besser und professioneller mit Heterogenität und Vielfalt umzugehen – insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Inklusionsprozesses an den Schulen.

2. Wir erleichtern Fachhochschulabsolventinnen und -absolventen den Quereinstieg in das Lehramt an Berufskollegs.

3. Die Sekundarschule – die jüngste Schulreform in NRW – wird künftig in den Lehramtsbefähigungen abgebildet.

4. Wir wollen das Eignungspraktikum und das Orientierungspraktikum so zusammenführen, dass es sich besser in Studium und Schule integrieren lässt. Die so erwirtschaftete Ressource investieren wir in die Fachleitungen.

5. Die Dauer des Vorbereitungsdienstes wird auf 18 Monate festgeschrieben. Ich erinnere daran, dass unsere Lehrerausbildung in der ersten Phase ein 6-monatiges Praxissemester enthält.

6. Wir wollen die Fristen und die Regelungen zum Auslaufen der alten Staatsexamensstudiengänge zugunsten der Studierenden erweitern und über die in der vorletzten Legislaturperiode festgelegten Übergangsfristen hinausgehend den betroffenen Studierenden mit einer differenzierten Regelung zusätzliche Chancen eröffnen, ihr Studium nach altem Recht abzuschließen. Das heißt: Der Gesetzentwurf sieht vor, die Fristen für alle Studierenden um ein Jahr zu verlängern (bis Herbst 2017 bzw. 2018) und erweiterte Härtefallregelungen zu schaffen.

7. Hochschulen sollen die sog. Systemakkreditierung künftig auch mit Wirkung für ihre Lehramtsstudiengänge unter Beachtung der Interessen der Schulseite durchführen können.

8. Die Mindestanforderungen des Landes an den Nachweis fremdsprachlicher Kenntnisse – vor allem des Latinums – werden den heutigen schulischen Unterrichtsanforderungen und Anforderungen anderer Bundesländer angepasst. Ich betone: Das bedeutet nicht die Abschaffung des Fachs Latein.

9. Fragen der Alphabetisierung und des schulischen Ganztagsbereichs erhalten einen verbindlichen Platz in der Lehrerausbildung.

10. Fragen der Medienkompetenz werden einen festen und verbindlichen Platz im Vorbereitungsdienst bekommen. Dazu investieren wir auch in technische Ausstattungen.

Insgesamt hat Nordrhein-Westfalen mit seiner Lehrerausbildung in den letzten Jahren eine führende Rolle in Deutschland eingenommen. Die wollen wir mit den heute beschlossenen Weiterentwicklungen und Optimierungen bekräftigen und ausbauen.

 

Anlage 3

Zu TOP 20 – „Gesetz zur Änderung des Gebührengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Dieser Gesetzentwurf betrifft die Aktualisierung von Behördenbezeichnungen im Gebührengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen.

Das Gebührengesetz enthält in einer Vorschrift eine Aufzählung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die von der Zahlung von Verwaltungsgebühren befreit sind.

Gleichzeitig führt das Gesetz in einer Ausnahmeregelung diejenigen Behörden auf, für deren Amtshandlungen die privilegierten juristischen Personen des öffentlichen Rechts dennoch Gebühren entrichten müssen.

Die Bezeichnungen der Behörden in dieser Ausnahmeregelung sind aufgrund organisatorischer Änderungen in der Vergangenheit zum Teil nicht mehr aktuell. Sie müssen daher dementsprechend angepasst bzw. gestrichen werden.

Von der Anpassung der Behördenbezeichnungen sind folgende Behörden betroffen:

– das ehemalige Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen (heute: Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz)

– die ehemalige Landesanstalt für Arbeitsschutz (heute: Landesinstitut für Arbeitsgestaltung)

und

– das ehemalige Landesinstitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst (heute: Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen).

Ersatzlos gestrichen werden aus der Ausnahmeregelung die ehemaligen Chemischen und Lebensmitteluntersuchungsämter (heute: Chemische und Veterinäruntersuchungsämter).

Sie wurden bereits in der Vergangenheit mit ehemals kommunalen Behörden in die Rechtsform von Anstalten des öffentlichen Rechts überführt.

Im Interesse der Herstellung von Rechtssicherheit bei der Gebührenerhebung für Amtshandlungen der Rechtsnachfolger der Behörden bitte ich Sie, den Gesetzentwurf zu unterstützen.