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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/94

16. Wahlperiode

01.10.2015

94. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 1. Oktober 2015

Mitteilungen der Präsidentin. 9649

1   Vorstellung und Vereidigung neuer Mitglieder der Landesregierung  9649

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 9649

Vereidigung von Ministerin Christina Kampmann, Minister Franz-Josef Lersch-Mense, Minister Rainer Schmeltzer 9649

Minister Rainer Schmeltzer 9650

Ministerin Christina Kampmann. 9650

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 9650

2   Rot-Grün beschleunigt den Ausstieg aus der Braunkohle – Leitentscheidung schadet dem Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9862. 9650

Dietmar Brockes (FDP) 9650

Frank Sundermann (SPD) 9651

Thomas Kufen (CDU) 9653

Reiner Priggen (GRÜNE) 9654

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 9656

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 9657

Josef Hovenjürgen (CDU) 9658

Rainer Christian Thiel (SPD) 9660

Ralph Bombis (FDP) 9662

Wibke Brems (GRÜNE) 9663

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 9664

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 9665

Guido van den Berg (SPD) 9665

3   Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neufassung des Landesplanungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9809

erste Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Änderung des Landesplanungsgesetzes (LPlG)

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9805

erste Lesung. 9666

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 9666

Hendrik Wüst (CDU) 9667

Thomas Eiskirch (SPD) 9668

Herbert Franz Goldmann (GRÜNE) 9670

Holger Ellerbrock (FDP) 9671

Simone Brand (PIRATEN) 9673

Ergebnis. 9673

4   Den sogenannten ökologischen Abfallwirtschaftsplan zurückziehen und im Sinne der Nachhaltigkeit neu ausrichten

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9804 – Neudruck. 9674

Rainer Deppe (CDU) 9674

Norbert Meesters (SPD) 9674

Hans Christian Markert (GRÜNE) 9675

Henning Höne (FDP) 9677

Simone Brand (PIRATEN) 9678

Minister Johannes Remmel 9678

Rainer Deppe (CDU) 9679

Ergebnis. 9680

5   Unterschiedliche Bearbeitungszeiten dürfen nicht zu Ungleichbehandlung führen – Betreuungsgeldanträge bewilligen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9785. 9680

Daniel Düngel (PIRATEN) 9680

Regina Kopp-Herr (SPD) 9681

Bernhard Tenhumberg (CDU) 9681

Andrea Asch (GRÜNE) 9682

Marcel Hafke (FDP) 9683

Ministerin Christina Kampmann. 9683

Bernhard Tenhumberg (CDU) 9684

Britta Altenkamp (SPD) 9685

Andrea Asch (GRÜNE) 9685

Marcel Hafke (FDP) 9686

Daniel Düngel (PIRATEN) 9686

Bernhard Tenhumberg (CDU) 9687

Ergebnis. 9688

Nachtrag zu den Abstimmungen
zu TOP 13, 14, 22 und 26
der 93. Plenarsitzung. 9688

6   Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9795

erste Lesung. 9688

Hans-Willi Körfges (SPD) 9688

Ralf Nettelstroth (CDU) 9689

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 9691

Kai Abruszat (FDP) 9692

Torsten Sommer (PIRATEN) 9693

Minister Ralf Jäger 9694

Ergebnis. 9695

7   Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge – Entlastung bei den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9789. 9695

Ulrich Alda (FDP) 9695

Ina Spanier-Oppermann (SPD) 9696

Norbert Post (CDU) 9697

Martina Maaßen (GRÜNE) 9697

Torsten Sommer (PIRATEN) 9698

Ministerin Barbara Steffens. 9699

Ulrich Alda (FDP) 9700

Ergebnis. 9700

8   Gesetz über die Feststellung eines dritten Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2015 (Drittes Nachtragshaushaltsgesetz 2015)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9800 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/9820

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9893

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9894

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9895

zweite und dritte Lesung

In Verbindung mit:


Achtes Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9808

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/9821

zweite Lesung. 9700

Heike Gebhard (SPD) 9700

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 9702

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 9703

Ralf Witzel (FDP) 9705

Dietmar Schulz (PIRATEN) 9707

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 9707

Thomas Stotko (SPD) 9711

Claudia Middendorf (CDU) 9712

Frank Herrmann (PIRATEN) 9713

Minister Ralf Jäger 9714

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 9715

Ergebnis. 9716

9   Die Landesregierung muss ihrer Verantwortung in der Flüchtlingspolitik gerecht werden und ein Gesamtkonzept für den Schulunterricht von Flüchtlingskindern vorlegen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9798. 9716

Dr. Anette Bunse (CDU) 9717

Renate Hendricks (SPD) 9717

Sigrid Beer (GRÜNE) 9718

Yvonne Gebauer (FDP) 9719

Michele Marsching (PIRATEN) 9721

Ministerin Sylvia Löhrmann. 9722

Ergebnis. 9723

10 Rahmenbedingungen für das kommunale Ehrenamt weiter verbessern

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9791

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9888. 9723

Lisa Steinmann (SPD) 9723

Ralf Nettelstroth (CDU) 9724

Mario Krüger (GRÜNE) 9726

Thomas Nückel (FDP) 9727

Frank Herrmann (PIRATEN) 9727

Minister Thomas Kutschaty. 9728

Ergebnis. 9729

11 Fragestunde

Mündliche Anfragen
Drucksache 16/9822. 9729

Mündliche Anfrage 69. 9729

des Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)

„Folgekosten durch die Strategieänderung bei der WestLB-Abwicklung – Welche bislang nicht vorgesehenen Aufwendungen für das Land will der Finanzminister als Konsequenz aus der abgesagten PFS-Privatisierung nun zahlen?“ 9729

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 9730

Mündliche Anfrage 70. 9739

des Abgeordneten
Nicolaus Kern (PIRATEN)

„Welche im Rahmen der Durchführung nicht vorhersehbaren Gründe sind dafür verantwortlich, dass im Zusammenhang mit der Erstellung des Gutachtens zur Beförderung von E-Scootern in öffentlichen Verkehrsmitteln so massive terminliche Verzögerungen auftreten, dass mobilitätseingeschränkte Menschen nun seit Monaten von der Nutzung von Bussen in NRW ausgeschlossen sind, obwohl gerade sie besonders auf die Nutzung des ÖPNV in ihrem Alltagsleben angewiesen sind?“ 9739

Minister Michael Groschek. 9740



Mündliche Anfrage 71. 9741

der Abgeordneten
Angela Freimuth (FDP)

„Wie gestaltet sich der Haftpflicht- und Unfallversicherungsschutz für Ärztinnen und Ärzte, die ehrenamtlich Flüchtlinge untersuchen?“ 9741

Schriftliche Beantwortung (siehe Anlage)

12 Schutz vor Gewalt und Recht auf Unversehrtheit für Menschen mit Behinderung umfassend gewährleisten

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9793 – Neudruck. 9741

Regina Kopp-Herr (SPD) 9741

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) 9742

Walter Kern (CDU) 9743

Ulrich Alda (FDP) 9744

Marc Olejak (PIRATEN) 9745

Ministerin Barbara Steffens. 9746

Ergebnis. 9747

13 Kunstwerke im Besitz der öffentlichen Hand inventarisieren

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9796. 9747

Ergebnis. 9747

14 Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege bei der Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern aus Flüchtlingsfamilien besser unterstützen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9802. 9747

Dr. Anette Bunse (CDU) 9747

Ingrid Hack (SPD) 9748

Andrea Asch (GRÜNE) 9749

Marcel Hafke (FDP) 9750

Olaf Wegner (PIRATEN) 9751

Ministerin Christina Kampmann. 9752

Ergebnis. 9752

Anlage  9755

Schriftliche Beantwortung
der Mündlichen Anfrage 71

„Wie gestaltet sich der Haftpflicht- und Unfallversicherungsschutz für Ärztinnen und Ärzte, die ehrenamtlich Flüchtlinge untersuchen?“ 9755


Entschuldigt waren:

 

Minister Garrelt Duin    
(ab 14:30 Uhr)

Minister Ralf Jäger       
(ab 16 Uhr)

Ministerin Sylvia Löhrmann       
(ab 17 Uhr)

Minister Johannes Remmel      
(ab 14 Uhr)

Ministerin Barbara Steffens      
(bis 12 Uhr)

 

 

Eva Steininger-Bludau (SPD)

Uli Hahnen (SPD)

Andreas Kossiski (SPD)

Dr. Dennis Maelzer (SPD)

Jochen Ott (SPD)

 

Astrid Birkhahn (CDU)

Ursula Doppmeier (CDU)

Christian Haardt (CDU
(ab 14 Uhr)

Lothar Hegemann (CDU)

Heiko Hendriks (CDU)  
(ab 14:30 Uhr)

Ina Scharrenbach (CDU)           
(ab 17:30 Uhr)

Ulla Thönnissen (CDU)

 

Horst Becker (GRÜNE)

Arndt Klocke (GRÜNE)            
(ab 19 Uhr)

Martina Maaßen (GRÜNE)        
(ab 16:30 Uhr)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE)         
(ab 15 Uhr)

Josefine Paul (GRÜNE)
(ab 17 Uhr)

Verena Schäffer (GRÜNE)

Gudrun Zentis (GRÜNE)           
(ab 17:30 Uhr)

 

Marc Lürbke (FDP)

Dr. Ingo Wolf (FDP)

 

Oliver Bayer (PIRATEN)

Kai Schmalenbach (PIRATEN)

 


Beginn: 10:04 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserer heutigen, 94. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 15 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Auch heute dürfen wir zwei Kollegen zum Geburtstag gratulieren: den Herren Kollegen Hans Christian Markert von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Dr. Björn Kerbein von der Fraktion der FDP. Ihnen beiden ganz herzliche Glückwünsche und Grüße aus dem Parlament und einen schönen Geburtstag, der hoffentlich nicht ganz so lange mit der Plenarsitzung verbunden ist.

(Beifall von allen Fraktionen)

Wir treten sogleich in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein. – Nein, Sie merken, die Präsidentin ist ein bisschen nervös, weil heute etwas stattfindet, was im Parlament nicht jeden Tag stattfindet. Deswegen habe ich noch eine Bemerkung vergessen, die natürlich vor Eintritt in die Tagesordnung erfolgen muss.

Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben ihren Antrag Drucksache 16/9792 „Betreuungsgeld abgeschafft: Freiwerdende Mittel für frühkindliche Bildung verwenden!“, der ursprünglich heute als Tagesordnungspunkt 3 vorgesehen war, zurückgenommen. Das haben Sie aber schon mit Drucksache 16/9879 mitgeteilt bekommen. Vor diesem Hintergrund verschieben sich die heutigen Tagesordnungspunkte ab dem bisherigen Tagesordnungspunkt 4 um jeweils einen Punkt nach vorne. – Damit sind wir mit den Bemerkungen zu „Vor Eintritt in die Tagesordnung“ fertig.

Ich wiederhole mich: Wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Vorstellung und Vereidigung neuer Mitglieder der Landesregierung

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen hat mir mit Schreiben vom 30. September 2015 mitgeteilt, dass sich die Zusammensetzung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen geändert hat. Die Ministerpräsidentin hat weiter darum gebeten, in der nächsten Plenarsitzung die Vereidigung der neu ernannten Mitglieder der Landesregierung vorzusehen.

Das haben wir bereits vorsorglich in unserer Tagesordnung berücksichtigt und werden die Vereidigung gleich durchführen.

Ich habe Frau Ministerpräsidentin zugesagt, dass sie jetzt Gelegenheit hat, dem Parlament die Veränderungen persönlich vorzustellen.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir ein besonderes Anliegen, heute zunächst noch einmal diejenigen Mitglieder meiner Regierung zu würdigen, die am gestrigen Abend ihr Regierungsamt niedergelegt haben. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, unser Land Nordrhein-Westfalen voranzubringen. Ich danke Ihnen noch einmal von Herzen für die Zusammenarbeit und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Gleichzeitig freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit der neuen Ministerin und den neuen Ministern, die ich Ihnen nun vorstellen möchte.

Ich habe gestern gemäß Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Landesverfassung folgende Mitglieder der Landesregierung ernannt:

–   zum Minister für Arbeit, Integration und Soziales Herrn Rainer Schmeltzer

–   zur Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport Frau Christina Kampmann

–   zum Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien im Geschäftsbereich der Ministerpräsidentin und Chef der Staatskanzlei Herrn Franz-Josef Lersch-Mense

Herzlichen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Art. 53 unserer Landesverfassung leisten die Mitglieder der Landesregierung bei ihrem Amtsantritt vor dem Landtag den in dieser Vorschrift formulierten Amtseid.

Zu diesem Zweck bitte ich nun Frau Ministerin Christina Kampmann, Herrn Minister Franz-Josef Lersch-Mense und Herrn Minister Rainer Schmeltzer, in die Mitte des Plenarsaals zu kommen, um dort die Amtseide zu leisten.

Die übrigen Anwesenden bitte ich, soweit es ihnen möglich ist, sich von ihren Plätzen zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen.)

Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrte Herren Minister, ich werde nun die Eidesformel vortragen und Sie im Anschluss namentlich aufrufen. Bitte treten Sie dann einzeln an das Mikrofon, heben Ihre Schwurhand und leisten den in Artikel 53 unserer Landesverfassung vorgeschriebenen Eid mit den Worten:

Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Wenn Sie den Eid ohne religiöse Beteuerung leisten wollen, sprechen Sie bitte nur die Worte:

Ich schwöre es.

Der zu leistende Amtseid lautet:

Ich schwöre, dass ich meine ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das mir übertragene Amt nach bestem Wissen und Können unparteiisch verwalten, Verfassung und Gesetz wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.

Zuerst darf ich Herrn Minister Schmeltzer bitten, den Amtseid zu leisten.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Ich schwöre es.

Präsidentin Carina Gödecke: Herzlichen Glückwunsch, alles Gute und auf gute Zusammenarbeit mit dem ganzen Haus!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nun darf ich Frau Ministerin Kampmann bitten, den Amtseid zu leisten.

Christina Kampmann, Ministerin Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Präsidentin Carina Gödecke: Auch Ihnen, Frau Ministerin, herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Schließlich darf ich Herrn Minister Lersch-Mense bitten, den Amtseid zu leisten.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit haben die neuen Mitglieder der Landesregierung vor dem Landtag, also vor uns, den nach Artikel 53 unserer Landesverfassung vorgeschriebenen Eid geleistet.

Ich darf den neuen Mitgliedern der Landesregierung im Namen des gesamten Parlaments noch einmal ganz offiziell herzlich gratulieren. Wir wünschen Ihnen eine glückliche Hand bei den vor Ihnen liegenden verantwortungsvollen Aufgaben zum Wohl unserer Bürgerinnen und Bürger und zum Wohl unseres Landes Nordrhein-Westfalen. Dass Sie alle das Parlament schätzen und um seine Bedeutung wissen, setzen wir schlichtweg voraus. Herzlichen Glückwunsch!

Jetzt dürfen die anderen ihre Glückwünsche aussprechen, und die Kameras dürfen blitzen. Gleich geht es weiter.

(Beifall von allen Fraktionen – Die Abgeordneten nehmen ihre Plätze wieder ein. – Minister Rainer Schmeltzer, Ministerin Christina Kampmann und Minister Franz-Josef Lersch-Mense nehmen Glückwünsche entgegen.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit dem Aufruf von Tagesordnungspunkt 2 die Abarbeitung unserer Tagesordnung fortsetzen, will ich – damit es alle wissen – sagen, dass die Ministerin und die Minister im Laufe des Plenartages zum Teil einmal kurz den Landtag verlassen werden, um in ihre neuen Häuser zu fahren. Ich gehe davon aus, dass wir alle dafür Verständnis haben. Das werden die Ministerin und die Minister aber vom Verlauf der heutigen Plenardebatte abhängig machen.

Ich rufe auf:

2   Rot-Grün beschleunigt den Ausstieg aus der Braunkohle – Leitentscheidung schadet dem Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9862

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 28. September 2015 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu einer aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der FDP Herrn Kollegen Brockes das Wort.

Dietmar Brockes*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Laut Geschäftsordnung des Landtages hat die Landesregierung die Möglichkeit, bei Entscheidungen von landespolitischer Bedeutung hier in diesem Hohen Hause eine Unterrichtung vorzunehmen. Davon hat die Landesregierung gestern zweimal Gebrauch gemacht. Und ich erinnere daran: In der letzten Legislaturperiode, als es um den Erhalt von 3.300 Arbeitsplätzen bei Opel ging, wurde sogar eine Sondersitzung einberufen, um diese Unterrichtung vorzunehmen.

Bei der neuen Leitentscheidung zu Garzweiler II, bei der es um betroffene Anwohner geht, aber eben auch um 10.000 Arbeitsplätze im Tagebau und 40.000 bei den Zulieferern, bei dieser Entscheidung, die energiepolitisch und wirtschaftspolitisch von enormer Bedeutung für dieses Land ist, weil es um bezahlbare, sichere Energieversorgung geht – da macht die Landesregierung von dieser Unterrichtungsmöglichkeit keinen Gebrauch. Das ist beschämend, und das ist erbärmlich!

(Beifall von der FDP)

Frau Ministerpräsidentin, Johannes Rau hätte sich hier hingestellt und hätte die Traute gehabt, den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Betroffenen zu sagen, was Sache ist.

Diese Landesregierung jedoch hat vorhin erst die Leitentscheidung online veröffentlicht. Bis gestern Abend hatten wir die Information nur über eine läppische Pressemitteilung dieser Landesregierung, in der das Ganze auf drei Seiten zusammengefasst wurde. Dieses Verfahren, Frau Ministerpräsidentin, ist absolut undemokratisch.

Wenn Sie jetzt sagen, Sie hätten ja die Bürger informiert und in Erkelenz eine Informationsveranstaltung durchgeführt, dann entgegne ich: Es ist sicherlich richtig, die Bürger zu informieren. Es ist wichtig, so etwas zu machen; aber das darf auf keinen Fall die Debatte hier in diesem Hohen Hause ersetzen. Hier gehört die Diskussion hin. Hier müssen wir uns mit diesen Punkten auseinandersetzen,

(Beifall von der FDP)

weil es das ganze Land betrifft und nicht nur einen Ort!

Bei dem, was bisher bekannt ist, gibt es viele offene Fragen. Es geht darum, warum zum Beispiel der Erhalt einer Landesstraße, der L 19 – man könnte sie ja auch verlegen –, wichtiger ist als der Erhalt von Tausenden Arbeitsplätzen in diesem Land.

Oder nehmen wir einen anderen Punkt: die neue Abstandsregelung. Im Gegensatz zu allen bisherigen Abbaubereichen soll nun eine Abstandsregelung von 400 m festgelegt werden. Ich habe Verständnis dafür, dass die Anwohner dies fordern und dass das auch vor Ort von der Kommunalpolitik parteiübergreifend gefordert wird.

Aber wir müssen hier doch den Blick aufs Ganze haben! Wie ist es denn den Anwohnern in Wanlo, die am selben Tagebau leben, zu erklären, dass für sie nur eine Abstandsregelung von 100 m gilt? Und wie wollen Sie es denen erklären, die in anderen Bereichen bei anderen Tagebauen leben? Das ist nicht fair. Das ist nicht richtig. Deshalb müssen wir in diesem Hohen Hause darüber entscheiden.

(Beifall von der FDP und Josef Hovenjürgen [CDU])

Meine Damen und Herren, Sie sehen anhand dieser Punkten, dass die Entscheidung weder fachlich noch energiepolitisch oder wirtschaftspolitisch nachvollziehbar ist. Nein – sie ist rein willkürlich politisch getroffen worden. Herr Minister Remmel, man merkt – um es mit den Worten des SPD-Kollegen Müller zu sagen –: Da hat die grüne Blutgrätsche mal wieder zugeschlagen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

Die Grünen haben ja nur ein Ziel: Sie wollen die Braunkohle in Nordrhein-Westfalen zunichtemachen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Sie wollten 300 Millionen t rausnehmen, und sie haben es jetzt geschafft, 400 Millionen t Braunkohle rauszunehmen. Braunkohle ist ein wertvoller Energieträger, der auch langfristig in unserem Land für sichere und bezahlbare Energie sorgen soll.

Sie haben Ihr Ziel wieder einmal gegen den Koalitionspartner durchgedrückt. Das, Frau Ministerpräsidentin, ist ein Armutszeugnis für die Arbeiterpartei SPD. Dies ist traurig und schlecht für das Land und für die Bürgerinnen und Bürger, die hier auf eine verlässliche und vernünftige Politik warten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD spricht jetzt Herr Kollege Sundermann.

Frank Sundermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Brockes, Sie haben eben sehr lautstark – vielleicht inhaltsleer, aber zumindest lautstark – gefordert, dass dieses Thema im Landtag debattiert werden soll. Ihren Beitrag kann man sicherlich nicht als Grund dafür heranziehen, warum wir hier darüber debattieren sollen. Trotzdem sind wir sehr froh und dankbar, dass Sie uns die Möglichkeit geben, im Rahmen dieser Aktuellen Stunde auch unsere Sicht der Dinge darzustellen, Herr Brockes.

Vielleicht am Anfang noch ein Satz zu dem Kollegen Hans-Peter Müller: Sie können ja mal probieren, ihm die Ehrenmitgliedschaft in der FDP anzubieten. Dann werden Sie die entsprechende Antwort bekommen.

(Beifall von Marc Herter [SPD] – Zurufe von der CDU und FDP: Oho!)

– Immerhin, wunderbar! Vielleicht geht das ja.

Es ist nicht zu leugnen, dass es in den letzten Jahren wesentliche Änderungen in den energiepolitischen und energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegeben hat. Vor diesem Hintergrund ist die neue Leitentscheidung zu Garzweiler II sicherlich notwendig.

Wichtig ist uns vor dem Hintergrund der aufgeregten und öffentlich geführten Diskussion – Herr Brockes hat gerade noch einen weiteren Beitrag dazu geleistet –, dass es hier nicht um die Braunkohleförderung als Ganzes geht, sondern ausschließlich um einen der drei aktuell betriebenen Tagebaue, nämlich Ganzweiler II. Inden und Hambach sind von dieser Leitentscheidung nicht direkt betroffen.

Gerne wird in geneigten Öffentlichkeit der Eindruck erweckt – auch das wurde gerade wieder probiert –, dass mit der Leitentscheidung ein konkretes Enddatum – das wird schon in der Überschrift der Großen Anfrage so suggeriert – der Braunkohleförderung in unserem Bundesland festgelegt würde. Auch das ist nicht der Fall. Hier werden lediglich räumliche, aber keine zeitlichen Vorgaben gemacht.

Betrachten wir nun einmal rational den Gegenstand „Leitentscheidung“, über den wir hier sprechen. Wie kam es inhaltlich zu dieser Leitentscheidung? Wie wurde sie entwickelt? Welche Schwerpunkte und Vorgaben hat sie, und wie geht der Prozess weiter? Hier wird noch einmal deutlich, dass der Vorwurf eines „undemokratischen Verfahrens“ – ich finde es übrigens recht kritisch, wenn so etwas hier im Parlament gebracht wird – eindeutig nicht zutrifft. Vielmehr führen wir ein sehr offenes und transparentes Verfahren durch.

In einem ersten Schritt wurden nämlich in Expertengesprächen die entsprechenden Fragestellungen herausgearbeitet, die für das nachfolgende Planverfahren primär erforderlich sind. Der wichtigste Punkt – deswegen nenne ich ihn am Anfang – ist die langfristige Energieversorgung von Nordrhein-Westfalen. Die Braunkohle leistet aktuell einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung unseres Landes. Das wird sie auch in Zukunft leisten können und müssen. Dies sicherzustellen und die planungsrechtliche Absicherung zu ermöglichen, das ist die Kernaufgabe dieser Leitentscheidung.

Weiter zu klären war – darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen – der Erhalt der Ortschaft Holzweiler, der Siedlung Dackweiler und des Hauerhofes. Den dort lebenden Menschen ein klares Signal zu geben, dass sie nicht mehr von Umsiedlung bedroht sind und damit eine sichere und lebenswerte Perspektive für sich und ihre Familien bekommen – das ist ein zentraler Punkt. Die besondere Abstandsregelung von 400 m für diese Orte ist aus unserer Sicht daher folgerichtig.

Weitere wesentliche Fragen sind die nach der Wasser- und Umweltwirtschaft, wie zum Beispiel die Ausgestaltung der Restseen, sowie die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven des gesamten Reviers.

Aus unserer Sicht ist festzuhalten und zu berücksichtigen – darauf sind Sie auch nicht eingegangen, Herr Brockes; Sie stellen es hier so dar, als wenn es einen Riesenaufschrei gegeben hätte –, dass die Betroffenen – hier sind zu nennen der Bergbaubetreiber, die betroffenen Kommunen, auch die Gewerkschaft IG BCE – die Leitentscheidung in ihrem Grundtenor sehr positiv bewertet haben und dass wir – das haben Sie am Anfang anders suggeriert – am Anfang bzw. mitten in einem sehr langen Prozess stehen.

Nach umfassender, fachlich begleiteter Aufstellung haben wir jetzt diesen ersten Entwurf vorliegen; das haben Sie ja auch gesagt. Vorgestern gab es die erste Veranstaltung in Erkelenz, in der schon darüber diskutiert wurde. Am Ende des Prozesses wird im Frühjahr die endgültige Leitentscheidung stehen, und dann können wir weiter darüber diskutieren.

Fußend auf dieser endgültigen Leitentscheidung, werden wir dann ein mehrjähriges Planungsverfahren im Braunkohlenausschuss vor uns haben. Das mag für Sie als FDP und als Opposition allgemein positiv sein – Sie haben dann sicherlich noch viele Gelegenheiten, Aktuelle Stunden zu beantragen oder Anträge und Anfragen zu stellen. Ich kann für meine Fraktion sagen: Darauf freuen wir uns schon sehr, weil wir da sicherlich die deutlich besseren Argumente haben als Sie.

Wir halten für uns fest: Die Leitentscheidung schafft die Voraussetzungen für die weitere Nutzung der Braunkohle. Sie sorgt dafür, dass sichere Rahmenbedingungen für den Bergbaubetreiber und für die Bewältigung der durch die Energiewende ausgelösten Veränderungen geschaffen werden. Weiterhin werden damit Tausende von Arbeitsplätzen im rheinischen Revier langfristig gesichert. Das ist auch ein Ziel dieser Leitentscheidung.

Außerdem schafft sie Versorgungssicherheit für die Industrie und – das muss sicherlich auch noch einmal deutlich erwähnt werden – sorgt dafür, dass die Bewohner der nicht mehr von Umsiedlung betroffenen Ortschaften eine klare Zukunftsperspektive für sich haben. Sie schafft damit das, was ihr Titel verspricht: eine nachhaltige Perspektive für das rheinische Revier. – In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kufen. Während Herr Kollege Kufen das Redepult erklimmt, darf ich ihm im Namen des Hohen Hauses ganz herzlich zu seiner Wahl als Oberbürgermeister in Essen gratulieren.

(Beifall von allen Fraktionen – Thomas Kufen [CDU]: Vielen Dank!)

Es gibt noch mehr Kollegen, die zu Bürgermeistern und Oberbürgermeistern gewählt worden sind. Ich glaube, wir sollten allen gratulieren: Herrn Kollegen Breuer, Herrn Kollegen Eiskirch, Herrn Kollegen Abruszat. Ihnen allen unser herzlicher Glückwunsch. – Bei Ihnen ist es jetzt die letzte Rede vor dem Hohen Haus, Herr Kollege Kufen – aller Voraussicht nach. Sie haben das Mikrofon.

Thomas Kufen*) (CDU): Wenn ich nicht provoziert werde, ist es die letzte Rede, ja.

(Heiterkeit)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, auch für die freundliche Anmoderation! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat wird dies meine letzte Rede sein, und das genau zum Thema RWE. Wer hätte das gedacht?

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Das passt ja in Essen!)

Insofern ist es passend. Ich glaube auch, dass das wahrscheinlich doppelt auf die Goldwaage gelegt wird. Ich danke Ihnen schon zu Beginn sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.

Mit der jetzigen Leitentscheidung setzt sich im Kabinett das fort, was schon am Anfang stand: nämlich dass sich im Zusammenhang mit dem vierten Abschnitt und der Zukunft der Braunkohle in Nordrhein-Westfalen Rot-Grün von Kuhhandel zu Kuhhandel hangelt. Das ist so. Oder wie sagt man so schön: Von so was kommt so was.

Sie sind den ersten Schritt falsch gegangen und versuchen jetzt, im Stolperschritt die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. So erklären wir uns übrigens, sehr geehrter Herr Minister, dass Sie die Informationen im Zusammenhang damit, dass tatsächlich eine Kabinettsentscheidung getroffen wurde, dem Parlament nur so spärlich und sparsam zugänglich machen. Es hat ja Tage gedauert, bis die Kabinettsentscheidung öffentlich gemacht wurde.

Es hätte die Gelegenheit gegeben, Herr Minister, am Tag nach der Kabinettsentscheidung im Wirtschaftsausschuss zeitnah darüber zu informieren. Mir erscheint es gelegentlich so, als ob es Ihnen selber unangenehm ist, dass das Verfahren, das wir – mit Blick auf die Betroffenen vor Ort, mit Blick auf die Arbeitsplätze, mit Blick auf den Wirtschaftsstandort und Energiestandort Nordrhein-West-falen – bisher vorgeführt bekommen haben, im Zusammenhang mit der Leitentscheidung im vierten Abschnitt so abgelaufen ist, weil Sie wissen: Ordentliches Regierungshandeln sieht anders aus.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich will die Entscheidung im Detail noch einmal skizzieren. Die Tagebaue Inden und Hambach werden nicht angetastet. Der Braunkohletagebau wird auch von Rot-Grün für die Zeit nach 2030 als notwendig erachtet. Das erkenne ich ausdrücklich an. Durch die Entscheidung entsteht die Chance, zu einem Kompromiss zwischen allen Beteiligten zu gelangen, der die Interessen der Anwohner, aber auch des Unternehmens berücksichtigt. So weit, so gut. Ich glaube, das ist anzuerkennen.

Aber Sie wissen genauso: Sie haben sich auf einen Verfahrensweg begeben, auf dem jede beantwortete Frage in der Region und bei den Unternehmen automatisch weitere Fragen auslöst. Deshalb ist klar: Nach den Klarstellungen folgen jeweils immer dicke „Aber“. Was heißt denn die prinzipielle Festlegung der Abstandszahl, der Abbaugrenze, die zu begrüßen ist und die wir im März 2005 gefordert haben? Was heißt es denn, dass wir 400 m Abstandsfläche ausschließlich für Holzweiler garantiert haben? Was heißt das für die anderen, die an der Abbaukante leben werden?

(Beifall von der CDU)

Insofern ist deutlich zu machen, wieso es eigentlich 400 m sind. War das am Ende der Kompromiss zwischen Rot-Grün? Die einen wollten 100 m und die anderen 700 m – dann schneidet man es in der Mitte durch und nimmt 400 m? Was heißt das für die Landesstraße L 19? Was heißt das für den Restsee? Alles das sind Fragen, die Sie nach wie vor nicht geklärt haben und bei denen Sie weiter Getriebener Ihrer eigenen, am Beginn stehenden Fehlentscheidungen sind.

(Beifall von der CDU)

Von daher dürfen wir uns nichts vormachen: Auch diese Entscheidung, Frau Ministerpräsidentin, Herr Minister Duin, der Landesregierung wird am Ende zu einem Verlust von Arbeitsplätzen in der Region führen, und zwar beschleunigt und schneller – nicht nur bei dem betroffenen Unternehmen selbst, sondern auch bei der Zulieferindustrie und den Zulieferfirmen in der Region.

Deshalb finde ich, dass es ein guter Stil und ein guter Umgang – nicht nur mit dem Parlament, sondern auch mit der Öffentlichkeit – gewesen wäre, wenn Sie von Beginn an – auch an dem Tag nach der Kabinettsentscheidung – eine andere, transparentere Öffentlichkeitsarbeit betrieben hätten. Wir haben gelegentlich den Eindruck, dass nur durch Intervention des örtlichen Abgeordneten am Ende die Abgeordneten aus der Region zur Anhörung am vergangenen Dienstag eingeladen wurden. Das heißt: Das Thema „Garzweiler“ wird uns weiter beschäftigen.

Übrigens genauso, meine Damen und Herren, wie die Zukunft des RWE-Konzerns. Wer glaubt, er könne mit weiteren staatlichen Eingriffen im Unternehmen selber die Arbeit erleichtern, dem muss ich sagen: Ganz im Gegenteil, wir erschweren für den Wirtschaftsstandort und den Energiestandort Nordrhein-Westfalen – gerade auch mit Blick auf die RWE AG – die wichtigen Entscheidungen und notwendigen Umbaumaßnahmen.

Ich glaube, das ist das, was Ihnen immer wieder sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben wird, dass auch die Industrie, die energieintensiven und gerade auch die Energieunternehmen in Nordrhein-Westfalen eine Planungssicherheit brauchen. Das haben Sie heute nicht einlösen können.

(Beifall von der CDU)

Denn jedem muss bewusst sein: Wir werden die Energiewende am Ende nur zentral und dezentral mit leistungsstarken Bürgergenossenschaften genauso wie mit den großen Energieunternehmen stemmen. Sie treiben mit Ihren Entscheidungen gelegentlich genau dort den Keil dazwischen – koalitionsgetrieben. Sie wechseln Ihre Sprechzettel je nach Publikum. Ich glaube, das hilft uns am Ende nicht.

Wir brauchen aber ein klares Bekenntnis. So habe ich übrigens auch die Intervention von meinem Fraktionsvorsitzenden Armin Laschet verstanden, der deutlich machte, dass die Energiewende ohne die RWE AG nicht leichter zu stemmen sein wird. Das ist das, was uns einen muss.

(Beifall von der CDU)

Man muss nicht Oberbürgermeister von Essen sein, um das zu verstehen,...

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

… aber, Frau Ministerpräsidentin, es hilft.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich sehr, sehr herzlich für die Zusammenarbeit hier – nicht nur im Feld der Energiepolitik, denn meine politische Vita, meine politische Biografie in diesem Haus in dieser Landeshauptstadt ist länger. Ob in der Integrationspolitik oder im Ministerium oder zuletzt als Abgeordneter in der Opposition: Ich habe das freundschaftliche Verhältnis, die kollegiale Art, das kollektive Verständnis, dass wir alle gemeinsam dafür arbeiten – egal, auf welcher Seite des Tisches wir sitzen –, dieses Land jeden Tag Stück für Stück menschlicher und gerechter, leistungsfähiger, stärker und zukunftsfähiger zu machen, schätzen gelernt.

Ich habe gelegentlich den Eindruck, dass das die Bürgerinnen und Bürger so gar nicht wissen, was jeder einzelne Abgeordnete als Abgeordneter für die Menschen im Wahlkreis in dem jeweiligen Fachbereich eigentlich leistet. Es sind nämlich die kleinen Dinge, die angeschoben werden. Das geht vom aufmunternden Gespräch bis hin zur wichtigen Gestaltung von Rahmenbedingungen, damit Arbeitsplätze gesichert werden oder diese Welt ein Stück menschenwürdiger gestaltet wird. Insofern weiß ich: Dieses Land hat ein großes, starkes Herz. Das Herz dieses Landes schlägt in den Städten – nicht nur in den großen Städten. Deshalb freue ich mich auch auf die neue Aufgabe. Vielen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kufen. – Nochmals vielen Dank, Herr Kufen, für Ihre voraussichtlich letzte Rede hier im Parlament und noch einmal alles Gute für Sie und Ihre Heimatstadt Essen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Auch von meiner Seite persönlich und für meine Fraktion Herrn Kufen, Herrn Abruszat, Herrn Breuer und Thomas Eiskirch alles Gute für die neue Tätigkeit. Das wird eine anstrengende Herausforderung. Das wird noch einmal ganz anders als im Landtag. Man kann Ihnen dabei nur Erfolg wünschen für die Bürgerinnen und Bürger in den Städten, in denen Sie das machen. Dafür jedenfalls auch von uns aus alles Gute!

(Beifall von allen Fraktionen)

Dann muss ich aber etwas zu dem eigentlichen Kernpunkt der Debatte sagen:

Herr Brockes, Sie haben angefangen und das Wort „erbärmlich“ in den Mund genommen. Ich mache jetzt im Landtag 15 Jahre politische Arbeit auch in Bezug auf dieses Thema. Eine schlechtere Rede als die, die Sie zu dem Thema gehalten haben, kann man nicht halten. Das Adjektiv fällt völlig auf Sie zurück!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das hat nichts mit dem zu tun, was wir da an notwendiger Arbeit geleistet haben.

Herr Kollege Ellerbrock, Sie sind erfahren. Sie verfügen über Fachkunde in der Landesplanung. Sie wissen doch, dass man so nicht an ein solches Problem herangehen kann. Wie können Sie es zulassen, dass aus Ihrer Fraktion heraus in einer derartigen Art mit einer solchen Fragestellung umgegangen wird? Ich verstehe es nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will Ihnen einmal ganz klar sagen, um was es eigentlich geht: Es geht doch darum, dass wir wegen der Braunkohle weit mehr als 40.000 Menschen umgesiedelt haben. Die Braunkohle ist der Energieträger, der das größte Opfer von denjenigen verlangt, die auf diesen Flächen wohnen. Die müssen ihre Heimat aufgeben. Deren Häuser werden abgerissen. Sie müssen umziehen. Das verlangen wir. Und wenn man das von diesen Menschen verlangt, dann muss man sehr gute Argumente haben, warum sie dieses Opfer bringen sollen. Es waren in den letzten 50 Jahren über 40.000 Menschen betroffen!

Diese Regierung hat bei den letzten beiden Umsiedlungsabschnitten, die bei den Tagebauen anstanden – in Garzweiler beim dritten Abschnitt, in Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Beverath – vor der Frage gestanden: Lassen wir diese Menschen gehen oder nicht? Der Umsiedlungsprozess bei der Braunkohle fängt mehr als 20 Jahre vor dem Weggang der Ortschaften an. Die Entscheidung für Garzweiler ist 1994/95 getroffen worden. Da wussten die Menschen: Irgendwann ist es vorbei. Ab da geht in diesen Dörfern das Sterben auf Raten los, weil klar ist, dass man keine Perspektive hat.

Der Prozess kam näher. Dann bot die Kommune Erkelenz denjenigen, die umgesiedelt werden müssen, Standorte an. Die Menschen suchen sich den Umsiedlungsstandort aus. Sie fahren herum, und man einigt sich. Auf der Strecke bis zur Umsiedlung gehen 35 bis 40 % der Leute der Dorfgemeinschaft verloren. Es geht nicht das ganze Dorf mit. Dort ändert sich alles.

Wenn es dann wirklich soweit ist, fordern die Umsiedler Klarheit. Denn laut Regularien dürfen die Häuser nicht vom Bergbautreibenden aufgekauft werden. Von daher können die betroffenen Menschen die neuen Grundstücke nicht kaufen, bevor nicht feststeht, dass sie den Umsiedlerstatus erhalten. Denn diejenigen, die zusammen gehen wollen, sollen dann auch möglichst geschlossen gehen.

Die Entscheidung hatten wir für den dritten Abschnitt zu treffen. Da sind Menschen zu uns gekommen mit der Frage: „Muss das denn wirklich noch sein? Hat sich die Energiewelt nicht total geändert? Müssen wir das Opfer noch bringen?“ Andere sind gekommen und haben gesagt: „Lasst uns endlich gehen. Wir haben seit zehn Jahren abgeschlossen, wir wollen an den neuen Standort. Wir haben uns entschieden. Fällt eine Entscheidung.“

Wir wussten, dass die gleiche Frage beziehungsweise der gleiche Prozess zwei Jahre später für Holzweiler ansteht. Der Prozess ist es auch, der die Menschen mürbemacht.

Wir haben dann nicht aus Willkür oder Daffke, sondern in einem vernünftigen Diskurs – so, wie man das macht, wenn man Verantwortung trägt – entschieden: Wenn das so ist, dann müssen wir das auch zusammen betrachten, weil wir den Menschen diesen Prozess sonst nicht zumuten können.

Jetzt möchte ich hier einmal einen erleben, der mir sagt: Die energiepolitischen Bedingungen haben sich von 1995 bis 2015 nicht grundlegend weiterentwickelt beziehungsweise verändert. – Das kann doch allen Ernstes kein Mensch behaupten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zur Arbeit gehört Folgendes dazu: Wenn ich von Menschen dieses Opfer verlange und es begründe, dann muss ich die Grundannahmen überprüfen und anschließend abwägen.

Wir sind daraufhin zu dem Ergebnis gekommen: Wir lassen den einen Abschnitt der Umsiedlung planungsgemäß laufen. – Darauf hat auch die Kommune gedrängt, weil sie Klarheit haben wollte. – Wir haben gesagt: Ein Teil der Menschen muss gehen, und die anderen können gehen. Wir gucken uns aber auch den vierten Abschnitt an und schauen darauf, ob die ganze Tonnage noch gebraucht wird. – Wir haben dann entschieden: Aufgrund der veränderten Bedingungen brauchen wir weniger Tonnage. Das ist die Erforderlichkeit, die Notwendigkeit.

Es hat Unterrichtungen und Aktuelle Stunden dazu gegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin 15 Jahre Mitglied im Landtag. Einen Mangel an Diskussionsgelegenheiten zu Garzweiler und einen Mangel an Möglichkeiten, von den Entscheidungen des Kabinetts zu erfahren, hat es nie gegeben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Natürlich hat doch der frühere Chef der Staatskanzlei – Entschuldigung, das ist er ja immer noch; ich freue mich natürlich auf dessen erste Rede gleich, er soll ja auch Lampenfieber haben, wenn er einmal hier nach vorne geht – …

(Heiterkeit von allen Fraktionen)

… den Termin in Erkelenz dem Bürgermeister langfristig zugesagt, da dieser auf Klarheit gedrängt hatte. Das ist doch kein Komplott oder keine Verschwörung Abgeordneten gegenüber, dass diese das nicht hätten erfahren sollen. Es bedurfte auch keines Kollegen aus der CDU – der Bürgermeister von Erkelenz ist da offen; er ist Ihrer Couleur – und auch nicht des Chefs der Staatskanzlei, um damit da hingehen zu dürfen. – Das alles ist möglich, und wir haben es immer diskutieren können.

In der Koalition beziehungsweise in der Regierung mussten wir dann abwägen, was das für Holzweiler heißt, einen Ort, der über 20 Jahre lang wusste, dass er nach 2030 wegkommt? Von daher sind in Holzweiler natürlich bestimmte Entwicklungen nicht vollzogen worden. Bekommt er eine bestimmte Räumlichkeit, damit dort auch noch Ansiedlung und Wohnungsbau beziehungsweise eine gewisse Entwicklung möglich ist? Oder wird er rundum „abgeschält“, wie das einige wollen? Die FDP wollte ihn weghaben. Andere wollen ihm maximal 100 Meter oder weniger geben. Von daher ist es auch vernünftig – das ist kein Kuhhandel –, zu sagen: Dieser Ort braucht auch ein gewisses Gelände.

Die Vorredner haben in Bezug auf eine bestimmte Landstraße Spekulationen angestellt. Es ist ja immer wieder toll, zu lernen, dass sich die Opposition mangels eigener Themen an irgendetwas – in diesem Fall war es die L 19 – festklammert. Wenn man nur ein bisschen Ahnung hat, weiß man, dass vom Ort Holzweiler aus zu den Nachbarorten Beziehungen bestehen. Die verlieren mit Borschemich, Immerath und anderen Ortsteilen Hinterland. Deren Grundschule befindet sich aber in Kückhoven. Und natürlich ist es für die, die aus dem Hauptort nach Kückhoven kommen, wichtig, dass sie nicht Riesenumleitungen fahren müssen bzw. dass die notwendigen Flächen vorhanden sind. Das bringt ja auch ein Gefühl dafür, dass man noch einen Heimatort hat.

Wenn das alles so ist, dann ist es vernünftig, genau diese Beziehungen zu erhalten. Und das ist auch in der Leitentscheidung so hinterlegt worden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie sprechen, weil Sie es nicht anders wollen, vom „Kuhhandel“. Ich dagegen sage: Wenn man in der Verantwortung steht, ist man in der Verantwortung für alle, die davon betroffen sind, Entscheidungen zu treffen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Reiner Priggen (GRÜNE): Diejenigen, die 800 m Abstand wollen, und auch die, die fragen, ob das überhaupt noch sein muss, bekommen nicht alles, was sie wollen. Die Bürgermeister haben sich an die Ministerpräsidentin gewandt mit der Forderung nach 500 m Abstand.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Reiner Priggen (GRÜNE): Das Unternehmen hat 100 m zugestanden. Insofern sind 400 m, Frau Präsidentin, ein vernünftiger Kompromiss. – Von mir aus hätten wir auch eine Stunde darüber reden können; aber herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Heiterkeit von allen Fraktionen)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Vor der Stunde steht aber die Verabredung zur Redezeit. – Herr Kollege Rohwedder hat jetzt für die Piraten das Wort.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer drinnen und draußen! Die heutige Aktuelle Stunde nimmt Bezug auf die Leitenscheidung zu Garzweiler, von der seit mehr als einem Jahr bekannt war, dass sie in etwa in dieser Form kommen würde. Also ist das gar nicht so aktuell. Und doch: Als Dauerthema ist die Braunkohle immer aktuell.

RWE hat spätestens vor einem Jahr begonnen einzusehen, dass die Zeit der Braunkohle abgelaufen ist, und mitgeteilt, dass sie nicht den gesamten reservierten Bereich zerstören müssen. Die Landesregierung versucht das als ihren Erfolg zu verkaufen. Die FDP sieht in einer Leitentscheidung, die faktisch von RWE getroffen wurde, eine Gefahr. Ist das Ihr Ernst? Wen wollen Sie mit dieser Aktuellen Stunde jetzt eigentlich noch veräppeln? Das erschließt sich überhaupt nicht.

Heuchlerisch werden der Erhalt von Arbeitsplätzen und Investitionssicherheit angeführt. Wo waren denn die anderen Oppositionsparteien und die Landesregierung, als im letzten Jahr 90.000 zukunftsträchtige Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien in Deutschland verloren gingen, weil die Energiewende aus Berlin auf Betreiben der dreckigen Vier sabotiert wurde und immer noch wird? Wo ist beim Zerschießen des EEG die Investitionssicherheit für die vielen an der Energiewende interessierten Bürger geblieben?

(Beifall von den PIRATEN)

Wir erleben hier zum ersten Mal eine Reaktion auf den Strukturwandel, der längst im Gange ist und längst vorausschauend hätte begleitet und geformt werden müssen. Strategisch wichtig sind Umweltschutz, Klimaschutz, Flächenschutz, Immissionsschutz, Vermeidung weiterer Ewigkeitsschäden. Dekarbonisierung ist das Gebot der Stunde!

Das genaue Gegenteil der Behauptung der FDP in ihrer Begründung dieser Aktuellen Stunde ist richtig. Wer den stinkenden Kadaver Braunkohleverstromung künstlich am Leben erhalten will, setzt die Sicherheit und Bezahlbarkeit der Energieversorgung in Deutschland aufs Spiel.

Vor dem Hintergrund der sich rasant ändernden energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen will die FDP mit dem Festhalten an der Braunkohle energiepolitische Optionen für die Zukunft verbauen. Das hätte gravierende Auswirkungen auf den Industriestandort NRW und würde unsere Zukunftsfähigkeit gefährden – genau das Gegenteil von dem, was in Ihrer Begründung steht.

Um den Strukturwandel sozialverträglich durchzuführen und gezielt zu begleiten und zu beschleunigen, fordern wir hier zum wiederholten Male ein Braunkohleausstiegsgesetz. Kommt das nicht, dann werden wir überrollt wie weiland vom Strukturwandel im Ruhrgebiet, als sich Steinkohle und Stahl verabschiedeten und alle sehenden Auges mit den Händen in den Taschen danebenstanden und Krokodilstränen weinten.

Dass die Energiewende und die Dekarbonisierung unvermeidlich sind, das ist der großen Mehrheit der Menschen klar. Immer mehr Menschen setzen sich aktiv ein, sei es in der Antiatombewegung, der Antifrackingbewegung, der Antikohlebewegung. Sie beteiligen sich finanziell an der Energiewende in Bürgergenossenschaften oder als Einzelpersonen, und sie nehmen an Demonstrationen und Aktionen teil.

Die Menschenkette im Braunkohlerevier im Frühjahr, das Sommercamp, die Degrowth School, und „Ende Gelände“ in diesem Sommer hatten mehr Teilnehmer und damit mediale Aufmerksamkeit als je zuvor, und das ist gut so. Es ist eigentlich eine Schande, dass so etwas nötig ist.

(Beifall von Marc Olejak [PIRATEN])

Aber solange so viel in der Politik verkehrt läuft, wird der Widerstand weiter wachsen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir Piraten unterstützen ganz klar weiterhin alle legalen Mittel gegen die Tagebaue, darunter ausdrücklich zivilen Ungehorsam wie die Besetzungsaktion „Ende Gelände“, verwahren uns in diesem Zusammenhang gegen die Kriminalisierung der Aktivisten und Versuche,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Rechtsbruch!)

die Pressefreiheit durch Polizeiknüppel oder politischen Druck auf den WDR einzuschränken.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Die Behandlung der Themenbereiche „Ende Gelände“, „Polizeieinsatz auch gegen Journalisten“, „Zusammenarbeit zwischen Polizei und RWE-Werksschutz“ in der letzten Innenausschusssitzung war peinlich und blamabel. Unsere Fragen wurden nicht beantwortet. Der Innenminister schwieg, weil er bei diesem Thema sein Markenzeichen, den billigen Populismus, nicht anbringen konnte; stattdessen ließ er seine Polizeikader die Fragen nicht beantworten.

(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

SPD und CDU trugen Angriffe auf den WDR und andere Journalisten und damit die Pressefreiheit vor. Die FDP verteidigte Pressefreiheit und Bürgerrechte, indem sie sich den Ausführungen der SPD anschloss und nach der Reiterstaffel quengelte. Da fehlte nur noch die Forderung nach Pickelhaube und Säbel.

(Zuruf von der FDP: Rechtsstaatlichkeit!)

Der erste Preis für perfide Propaganda allerdings steht dem Kollegen van den Berg zu für seine Gleichsetzung von Klimaschützern und PEGIDA.

(Beifall von den PIRATEN)

Polizeiknüppel, Pfefferspray und Reiterstaffeln gegen Bürger und Medien werden Ihnen nicht helfen, genauso wenig die dumm-plumpe Propaganda in der Begründung für diese Aktuelle Stunde. Nehmen Sie endlich den Strukturwandel wahr! Wehren Sie sich gegen die Sabotage der Energiewende aus Berlin! Lassen Sie uns endlich gemeinsam die Versprechen zum Klimaschutz, Umweltschutz, Immissionsschutz und Flächenschutz auch im Rheinischen Revier einlösen! Wir müssen endlich gemeinsam mit der Dekarbonisierung beginnen. Wir brauchen das Braunkohleausstiegsgesetz. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Als Nächster hat für die Landesregierung – zum ersten Mal von diesem Pult aus – der neue Minister Lersch-Mense das Wort. Bitte schön.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kufen, ich hoffe, Sie sehen es mir nach, wenn ich zu Beginn meiner Rede einen anderen Bürgermeister der CDU zitiere, nämlich Herrn Bürgermeister Peter Jansen.

In der schon genannten Veranstaltung in Erkelenz, die wir zur Information der Bürger durchgeführt haben, lobte er ausdrücklich die Vorgehensweise der Staatskanzlei und den Inhalt des Entwurfes der Leitentscheidung. Er erfahre in Gesprächen vor Ort, dass man in Holzweiler wahrnehme, dass viel im Sinne der Menschen entschieden werde. Bürgermeister Jansen stellte heraus, dass die Landesregierung ein faires und transparentes Verfahren durchführt.

Meine Damen und Herren, das freut uns nicht nur, weil es ein Bürgermeister der CDU sagt, sondern weil es genau das ist, was wir wollen. Wir wollen im Sinne der Menschen entscheiden, und zwar in einem fairen und transparenten Verfahren.

Die Ministerpräsidentin – auch darauf ist schon hingewiesen worden – hat den Landtag bereits am 9. April 2014 über die Inhalte der Leitentscheidung informiert. Entscheidend ist, dass der langfristig erkennbare Rückgang der Braunkohleverstromung eine Neubewertung des Kohleabbaus im Rheinischen Revier erfordert.

Konkret geht es dabei um die Frage, wie den ca. 1.400 Menschen, die in Holzweiler in den Siedlungen Dackweiler und Gut Hauerhof leben, eine Umsiedlung und damit natürlich auch ein gravierender Eingriff in ihre individuellen Grundrechte erspart werden kann. Dies ist das Ziel der Leitentscheidung. Ich glaube, wir werden für diese Zielsetzung auch im Landtag eine breite Unterstützung finden.

Da fällt es schon auf, sehr geehrter Herr Brockes, dass im Antrag der FDP für die heutige Aktuelle Stunde die Menschen aus Holzweiler nicht vorkommen. Die Betroffenen und ihre Grundrechte scheinen für die FDP zumindest nicht im Vordergrund zu stehen.

Aber es kommt ja gerade darauf an, die wirtschaftlichen Interessen gegenüber den berechtigten Bürgerinteressen in einem transparenten Prozess abzuwägen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es müsste doch eigentlich gerade für eine liberale Partei wichtig sein, gravierende staatliche Eingriffe möglichst zu vermeiden und die notwendige Abwägung mit anderen Interessen transparent vorzunehmen.

Stattdessen versucht die FDP einmal mehr den Eindruck zu erwecken, als hänge die Sicherheit der Energieversorgung in ganz Deutschland von der Größe des Tagebaus Garzweiler ab. Sie unterstellt, die Landesregierung wolle kurzfristig und nahezu vollständig auf die Braunkohle verzichten. – Sie wissen, dass das Gegenteil richtig ist.

Mit der jetzt vorbereiteten Leitentscheidung wird die Landesregierung ihrer energiepolitischen, ihrer klimapolitischen und auch ihrer sozialen Verantwortung umfassend und eben nicht nur einseitig gerecht.

Auf der einen Seite wird den Menschen in Holzweiler eine Umsiedlung erspart. Dazu wird der Braunkohletagebau Garzweiler maßvoll verkleinert. Dabei ist klar, es geht um eine räumliche und nicht um eine zeitliche Beschränkung des Abbaus.

Auf der anderen Seite stehen auch nach dieser maßvollen Verkleinerung in den drei Tagebauen Garzweiler, Inden und Holzweiler noch Braunkohlevorräte für mehrere Jahrzehnte – ich betone: mehrere Jahrzehnte – zur Verfügung. Die Braunkohle wird auch weiter ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit in unserem Lande leisten.

Wesentlicher Inhalt der Leitentscheidung sind vier sogenannte Entscheidungssätze mit den dazugehörigen Erläuterungen, die die erforderlichen Festlegungen zur Energiewirtschaft, zum Umweltschutz, zur positiven Entwicklung von Holzweiler und zum Strukturwandel enthalten.

Entscheidungssatz 1 stellt fest, dass Braunkohleabbau im Rheinischen Revier weiter erforderlich ist. Dies ist eine klare und eindeutige Aussage. Aber durch den Rückgang der Braunkohleverstromung wird die Umsiedlung als energiepolitische Notwendigkeit für die Ortschaften Holzweiler und die Siedlungen darum herum nicht mehr erforderlich sein. Aber wir stellen auch fest, dass die Abbaugrenzen der Tagebaue Hambach und Inden unverändert bleiben.

Im Entscheidungssatz 2 setzt sich die Landesregierung mit den notwendigen Umweltschutzaspekten auseinander. Das betrifft insbesondere die Dimensionierung des Restsees, den Naturschutz, die Geologie und die Bodenfunktion.

Entscheidungssatz 3 widmet sich den zentralen Anliegen der Leitentscheidung, nämlich der weiterhin notwendigen positiven Entwicklung für die Ortschaft Holzweiler. Die Leitentscheidung soll dazu beitragen, dass eine Insellage für den Ort vermieden und gleichzeitig ein ausreichender Abstand der Abbaugrenze vom Ortsrand festgelegt wird. Wir haben uns hier für die 400 m entschieden, weil wir glauben, dass dies eine Grenze und ein Abstand ist, der lebenswertes Leben auch unter Umweltaspekten in Holzweiler weiter ermöglicht und die Insellage vermeidet.

Im vierten Entscheidungssatz widmen wir uns dem Strukturwandel im Rheinischen Revier. Denn eines ist klar: Die Nutzung der Braunkohle wird nicht ewig so weitergehen. Es wird eine Zeit nach der Braunkohle geben. Für das Rheinische Revier müssen Perspektiven für die Zeit danach entwickelt werden.

Meine Damen und Herren, dies ist der wesentliche Inhalt der vier Entscheidungssätze, die als Vorgaben jetzt für die nachfolgenden Braunkohleplanverfahren dienen. Wir schaffen damit die geforderte Planungssicherheit für die Region, wir schaffen Sicherheit für die Menschen in Holzweiler, und wir schaffen ebenfalls Sicherheit für die Beschäftigten im Rheinischen Revier. Wenn Sie uns das nicht glauben, dann glauben Sie es vielleicht dem IG BCE-Vorsitzenden Michael Vassiliadis. Ich denke, er versteht etwas von der Stabilisierung und Erhaltung von Arbeitsplätzen. – Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Lersch-Mense. Sie haben, was die Redezeit angeht, eine Punktlandung hingelegt. Das schafft auch nicht jeder bei seinem ersten Auftritt. – Jetzt hat Herr Kollege Hovenjürgen für die CDU-Fraktion das Wort.

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Minister Lersch-Mense, herzlichen Glückwunsch zum neuen Amt. Im Gegensatz zu Ihrer Tätigkeit, die Sie weiterhin ausüben, die eigentlich mit Geräuschlosigkeit verbunden ist, ist das neue Amt auch mit Dialogfähigkeit und mit Kommunikation verbunden. Ich glaube, da kann einiges besser werden, und zwar auch in der Thematik, die wir heute diskutieren, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Man muss natürlich immer zur Kenntnis nehmen, dass Energiepolitik nie frei war von politischen Einflüssen. Politische Einflüsse haben dann natürlich auch immer Unternehmenspolitik bestimmt. Insofern müssen wir uns als Politik mit diesen Problemen auseinandersetzen, und insofern ist die Kritik ausdrücklich berechtigt, die einen stärkeren Informationsfluss Richtung Politik und eine stärkere Möglichkeit der politischen Dialogfähigkeit zu diesem Thema in diesem Hause einfordert.

Das kann aber nicht so weit gehen, wie Herr Rohwedder es in seinem Vortrag andeutete. Herr Rohwedder, Rechtsbruch in einem Rechtsstaat ist nicht akzeptabel. Er ist kein Mittel der Auseinandersetzung. Rechtsbruch kann nie eine Form von Dialog sein. Das muss an dieser Stelle auch noch einmal ganz deutlich gesagt werden.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Deswegen noch einmal: Ja, wir brauchen die Braunkohle sicherlich als Übergangstechnologie noch viele, viele Jahre. Die Politik sagt den Energieunternehmen auch: Ihr habt einen Beitrag zur Energiesicherheit zu leisten. Wir als Politik schreiben sogar vor, dass Kraftwerke in Betrieb bleiben müssen, die aus betriebswirtschaftlichen Gründen eigentlich gar nicht mehr betrieben werden dürften.

Insofern hat die Politik natürlich nicht nur für die Menschen in den Revieren und deren Zukunft eine Verantwortung, sondern auch für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Unternehmen.

Meine Damen und Herren, deswegen sollten wir uns den Diskurs und den Dialog, den wir hierüber führen, nicht so leicht machen, sondern dabei wirklich vor Augen behalten, dass es hier in mehrfacher Hinsicht um die Menschen im Lande geht.

Zum einen müssen wir in Nordrhein-Westfalen unseren Unternehmen vor Ort durch Energiepreise und Energiegewinnung eine Wettbewerbsfähigkeit erhalten, die sie am Weltmarkt bestehen lassen. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass wir die Energiewende, die wir auf den Weg gebracht haben, auch gemeinsam bewältigen. Alles das ist in einen Guss zu fassen.

Dafür braucht man Dialog sowie Kommunikation. Die hat in bei diesen Entscheidungen, die hier getroffen worden sind, nicht ausreichend stattgefunden. Diese Kritik ist berechtigt. Deswegen ist der Antrag der FDP-Fraktion so, wie er heute gestellt worden ist, auch berechtigt. Deswegen ein Dankeschön an die Kollegen der Freien Demokraten!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, als CDU bieten wir diesen Dialog ausdrücklich an, weil wir es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ansehen, diese Fragen einer Energieversorgung für unser Land zu klären. Wir fordern dann aber auch Offenheit, Fairness und die Bereitschaft zu einem ehrlichen Dialog ein.

Die Landesplanung wird ein entscheidendes Instrument sein, wenn es um die Frage geht, wie sich die Dinge in unserem Land zukünftig entwickeln können. Der Ausbau der Windenergie und anderer regenerativer Energien ist gerade in Ihrem Haus, Herr Remmel, bedauerlicherweise nicht klar und deutlich geregelt und leider mit vielen Komplikationen versehen. Insofern stellt er sich mit viel Konfliktpotenzial im Lande dar.

Aktuell ist zum Beispiel ein Urteil ergangen, mit dem eine Windvorrangfläche der Stadt Haltern am See aufgrund von Mängeln im Gebietsentwicklungsplan gescheitert ist. Bei den Gebietsentwicklungsplänen der Mittelbehörden, für die Sie als Landesregierung Verantwortung tragen, wurden die Regelungen bis heute nicht einmal der Landesgesetzgebung angepasst.

Das wären Aufgaben der Landesregierung, die zu regeln sind. Das sind Aufgaben, Herr Lersch-Mense, die vor Ihnen liegen. Da müssen Sie eine Menge Arbeit leisten.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wenn Sie Ihr Amt in der Bereitschaft zum Dialog antreten, geben Sie uns bitte die Möglichkeit, mit Ihnen zu kommunizieren, damit Sie letztendlich eine Chance haben, einen gesellschaftlichen Konsens zu erreichen. Dieser Weg ist bisher nicht immer ausreichend beschritten worden. Ich habe es gerade schon ausgeführt; ebenso hat Thomas Kufen darauf hingewiesen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Es hat auch eben schon nicht gestimmt!)

– Es ist trotzdem richtig, lieber Herr Mostofizadeh. Dass gerade Sie, Herr Kollege Mostofizadeh, Herr Kollege Priggen oder auch Herr Kollege Römer, es zulassen, dass so wenig über das, was in der Regierung entschieden, im Parlament diskutiert wird, erfüllt mich mit mehr als Erstaunen. Ich kann es eigentlich nicht nachvollziehen. Das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen noch einmal: Den dringend notwendigen Energiekonsens erreiche ich nicht mit Rot-Grün allein, sondern nur mit einem gesellschaftlichen Konsens und einem Konsens in diesem Hause, weil er mitgetragen werden muss, damit er substanziell ist.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Dann tragt es vor Ort doch schon einmal schön mit!)

Auf diesen Weg sollten Sie sich endlich begeben. Nehmen Sie die Menschen mit. Nehmen Sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Energieversorgungsunternehmen mit. Nehmen Sie die Menschen im Tagebau mit. Aber nehmen Sie auch die Menschen in Nordrhein-Westfalen mit, die auf eine sichere Energieversorgung angewiesen sind.

Wir sind zu einer solchen Zusammenarbeit bereit. Da sind wir als Union auch klar aufgestellt, indem wir sagen: Entscheidungen, die getroffen sind, müssen Bestand haben, damit die Menschen Planungssicherheit haben. – Hieran hat sich für die Union nichts geändert. Es bleibt dabei: Unsererseits besteht das Angebot zum Dialog. Sie sollten endlich in den Dialog eintreten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Thiel.

Rainer Christian Thiel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Mostofizadeh und andere im Zwiegespräch Befindliche! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss hier deutlich sagen: Die FDP ist ihrem Anspruch für diese Aktuelle Stunde bei Weitem nicht gerecht geworden. Herr Brockes, das war kein guter Beitrag.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die FDP hat in ihrer Begründung zur Aktuellen Stunde gesagt, hier finde ein Einstieg in den Ausstieg statt, und sogar den Verzicht auf die Braunkohle schlechthin postuliert.

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Na, hoffentlich!)

– Rufen Sie nicht so dazwischen. Sie haben von diesem Thema überhaupt gar keine Ahnung und außerdem von Recht und Gesetz keine Ahnung.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Was die FDP tut, ist sehr durchschaubar: Sie malen ein Zerrbild, damit Sie draufhauen können, weil Sie sonst keine Argumente haben. Aber wie immer erzählen Sie nicht, was Sie eigentlich selber wollen. Wollen Sie den Erhalt von Holzweiler, oder wollen Sie das nicht? Es bleibt unklar. Allgemeine Auswirkungen wollen Sie zu Ihrem Thema machen. Aber nicht einmal dazu etwas zu sagen, haben Sie zustande gebracht.

An den Rahmenbedingungen der Energie- und Klimaschutzpolitik haben Sie als FDP allerdings mitgewirkt. Auch Sie als FDP haben das Ziel, 40 % CO2 bis 2020 einzusparen, in Ihrer Regierungszeit mitgetragen – auch wenn sich Ihr Fraktionsvorsitzender Christian Lindner, der jetzt nicht mehr da ist, davon verabschieden will; wahrscheinlich auch von dieser Debatte. Ihre Rolle im Prozess der Energiewende ist die der Kassandra. Ihr Schlachtruf lautet: Es droht Unheil! – Aber Kassandra wählt man nicht.

Währenddessen hat Ihr Kollege, der CDU-Fraktionsvorsitzende Armin Laschet – es wurde gerade noch einmal wiederholt –, längst erklärt, eine Leitentscheidung zur Verkleinerung von Garzweiler II nicht zurücknehmen zu wollen. Damit sollte vor der Kommunalwahl 2014 die CDU-Basis in Erkelenz beruhigt werden. Die CDU hat zu dem Thema außer Stilfragen – das war auch heute wieder in allen Reden bemerkenswert – keinen Beitrag zu leisten. Auch Ihr Beitrag, Herr Kufen – ich gratuliere Ihnen noch einmal zu Ihrer Wahl als Oberbürgermeister und störe Sie nur ungern –, fiel unter die Rubrik „Fragen eines lesenden Arbeiters“. Antworten haben Sie auch nicht gegeben.

Allerdings diskutiert die CDU nicht nur Stilfragen – Sie können jetzt gerne weiterreden –. Ihr Braunkohlesprecher Josef Wirtz erklärt im Wirtschaftsausschuss, dass der vierte Abschnitt im Tagebau Garzweiler verzichtbar und ein Abstand von 500 m notwendig sei. Das wäre insgesamt eine erhebliche Einschränkung des Tagebaus Garzweiler II und passt gar nicht zu den ansonsten vorgetragenen Empörungen der CDU über die Leitentscheidung der Landesregierung.

Darin wird eine deutlich kleinere Einschränkung vorgesehen. Es geht um den Erhalt von Holzweiler, Dackweiler und des Hauerhofs. Ich möchte hier noch einmal daran erinnern, dass es im letzten Jahr um den dritten Abbauabschnitt ging, dass die damit verbundenen Umsiedlungen – Kollege Priggen hatte davon eben noch erzählt – ebenfalls als energiepolitisch notwendig begründet wurden und auch stattfinden. Das führt dazu, dass bis 2030 jährlich bis ca. 100 Millionen t Braunkohle gefördert werden können. Damit ist Planungssicherheit für die Region verbunden. Ich muss wirklich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Ein Einstieg in den Ausstieg sieht wirklich ganz anders aus.

Den haben wir nämlich gerade verhindert: Das Land NRW, Gewerkschaften, Unternehmen und demonstrierende Bergleute konnten erreichen, dass ein Strukturbruch und ein vorzeitiges Ende der Tagebauenkraftwerke verhindert wurde. Der Baake-Plan zur Erreichung des 40%-Ziels ist eben nicht der Weg für NRW. Mit der Kapazitätsreserve wird der jährlich zu erreichende Beitrag der Energiewirtschaft eben auch anders erreicht.

Die Bundesregierung muss nun dafür sorgen, dass das in Konsultation mit der EU auch europakonform umgesetzt wird. Das sind die entscheidenden Rahmenbedingungen, die wir dann auch brauchen. Das bringt die notwendige Versorgungssicherheit und bezahlbare Energiepreise.

Wir brauchen diese Rahmenbedingungen auch für diese Leitentscheidung, die – das ist der Kern der Leitentscheidung – eine langfristige Perspektive und nachhaltige Perspektive für das Rheinische Revier aufzeigt.

Zitat aus der Leitentscheidung:

„Die Leitentscheidungen von 1987 und 1991 haben die Braunkohle als sicheren, heimisch verfügbaren und preiswerten Rohstoff bewertet. Diese Bewertung gilt weiterhin.“

Es geht eben nur um eine räumliche Begrenzung – das wurde schon gesagt – und nicht um eine zeitliche Begrenzung. Tagebau wird auch im vierten Abschnitt noch stattfinden. Dann werden auch Umsiedlungen nötig sein. Die Hofstellen Roitzerhof, Weyerhof, Eggerather Hof, also Betriebe nordwestlich von Holzweiler, werden dem Tagebau wohl weichen müssen. Die Lage und der Umfang des Restsees am Ende des Tagebaus Garzweiler werden das unvermeidbar notwendig machen. Auch das gehört zu Klarheit.

Die Landesregierung geht nun davon aus, dass die veränderten energiepolitischen Rahmenbedingungen eine Umsiedlung von Holzweiler nicht mehr begründbar machen. Um eine positive Entwicklung von Holzweiler zu gewährleisten, soll ein Abstand von 400 m gewährleistet werden. Letztlich kann ein solcher Abstand aus dem Tagebaugeschehen nicht begründet werden. Es geht vielmehr – das ist hier mehrfach betont worden – um eine sozial verträglichen Abstand für Holzweiler. Darum ist unerlässlich, klarzustellen, dass dieser Abstand keine Präzedenzwirkung auf laufende Tagebaubetriebe in Hambach, Inden und auch im Rest von Garzweiler hat und auch nicht haben darf.

Für andere Themen wie eine direkte Verbindung von Holzweiler und Kückhoven – auch davon war heute die Rede – ist letztendlich die Lage des Restsees entscheidend. Dieser soll westlich von der neu zu errichtenden A 61 liegen. „Restsee“ klingt ein wenig niedlich; aber dort entsteht ein 22 km2 großer See. Das ist nicht trivial; das muss sehr sorgfältig gemacht werden. Einen solchen See kann man nicht eben mal hin und her schieben; es sind hohe fachliche Anforderungen zu erfüllen, damit ein solch großer See ökologisch funktioniert. Das dauert Jahrzehnte. Das ist etwas für die Ewigkeit. Hier haben wir eine Ewigkeitsverpflichtung, das für die ganze Region gut zu machen und nicht nur für einen Ortsteil.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.

Rainer Christian Thiel (SPD): Wir begrüßen, dass die Leitentscheidung klarstellt, dass das Land den Strukturwandel im Rheinischen Revier weiter begleiten wird. Dazu werden die Mittel der geschätzten IRR um 250.000 erhöht und so auf 500.000 verdoppelt. Gleichzeitig werden Verfügungsermächtigungen verdreifacht. Damit ist gewährleistet, dass Projekte für die IRR auch finanziert werden können und der Strukturwandel gefördert wird.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.

Rainer Christian Thiel (SPD): Allerdings haben die CDU-Landräte ihre Beiträge gekürzt. Im Rahmen der Aufstockung des RWE um 70.000 € haben sie mal eben ihre Eigenmittel heruntergefahren. Solidarität mit der Region, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, sieht für mich anders aus.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.

Rainer Christian Thiel (SPD): Ich versuche, zum Ende zu kommen.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das kann schwierig werden!)

– Mein Kollege Vorredner im ersten Block war deutlich kürzer. Insofern darf man jetzt vielleicht noch die eine oder andere Anmerkung machen.

(Christof Rasche [FDP]: Die eine oder andere Anmerkung, natürlich!)

– Ja. Die ist Ihnen ja nicht eingefallen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Dann müssen wir das neu verhandeln.

Rainer Christian Thiel (SPD): Wir begrüßen auch, dass die Landesregierung den Rohstoff Braunkohle bei der Entwicklungsperspektive für das Rheinische Revier berücksichtigt. Hier wird ein Ergebnis der Enquetekommission zur Zukunft der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen aufgenommen:

(Zuruf von Hendrik Wüst [CDU] – Heiterkeit von allen Fraktionen)

die stoffliche Nutzung der Braunkohle. Die Landesregierung prüft die Schaffung eines Lehrstuhls und die Förderung einer Demonstrationsanlage. Eine Rohstoffoption für unsere chemische Industrie wird heute gesichert.

(Das Mikrofon ist für kurze Zeit inaktiv.)

... immerhin zugestimmt.

(Allgemeine Heiterkeit)

Die Leitentscheidung wird nun erläutert. Eine öffentliche Konsultation bietet die Möglichkeit, das, was Sie heute nicht …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, ich bitte Sie sehr herzlich, jetzt zu enden. Sie haben Ihre Redezeit um zweieinhalb Minuten überschritten.

(Heiterkeit von allen Fraktionen)

Ich habe Sie mehrmals gemahnt. Was sollen wir hier oben denn noch veranstalten, um Sie herzlich zu bitten, zum Schluss zu kommen? Ich meine, das ist eine beeindruckende Rede; aber ich …

(Heiterkeit und Beifall von allen Fraktionen)

Rainer Christian Thiel (SPD): Danke für die Anerkennung. – Ich möchte noch eine persönliche Anmerkung machen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Ja, klar!)

Wir haben den Menschen in Holzweiler eine gute Perspektive gegeben. Tagebau dient dem Allgemeinwohl. Die Kolleginnen und Kollegen sorgen für Versorgungssicherheit. Beides verdient unsere Anerkennung. – Schönen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Thiel. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Bombis.

(Zurufe von der CDU und der FDP – Lutz Lienenkämper [CDU]: Versuch mal, zum Anfang zu kommen! – Heiterkeit von allen Fraktionen)

Ralph Bombis (FDP): Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Ich finde es trotz aller vorherigen Heiterkeit enttäuschend und ernüchternd, was hier passiert. Das sage ich ausdrücklich nicht, Herr Priggen, in Richtung der Grünenfraktion. Sie, meine Damen und Herren von der Grünenfraktion, haben niemals aus Ihren Beweggründen, aus Ihrer Ideologie einen Hehl gemacht.

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Und jetzt kommt Ihre!)

Sie haben immer deutlich gemacht, dass es Sie nicht interessiert hat, welche negativen Auswirkungen für Arbeitsplatzsicherheit und für Planungssicherheit Ihre Politik für das Rheinische Revier hat.

(Beifall von der FDP)

Insofern kritisiere ich gar nicht die Politik Ihrer Fraktion.

Meine Damen und Herren, verehrter Kollege Thiel, aber dass die SPD als Partei, die sich seit ihrem Bestehen als Interessenvertretung der Arbeitnehmer verstanden hat, die sich insbesondere auch immer als Interessenvertretung der Arbeitnehmer der Industrie verstanden hat und die sich damit auch als Interessenvertretung der Kumpels im Rheinischen Revier verstanden hat, sich jetzt aus rein koalitionstaktischen Erwägungen von diesen Grünen

(Zuruf von den GRÜNEN)

durch dieses Land ins industriepolitische und energiepolitische Nirwana führen lässt, ist für jemanden wie mich, der selber aus dem Rheinischen Revier stammt, wirklich schwer zu begreifen.

(Beifall von der FDP)

Halten wir doch die drei entscheidenden Punkte noch einmal fest. Herr Priggen, natürlich haben sich die energiepolitischen Rahmenbedingungen in den letzten 15, 25 Jahren verändert.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Aha!)

Trotzdem wissen Sie genauso wenig wie ich, wie die zukünftige Situation in der Energiepolitik aussehen wird, auch wenn Sie das für sich in Anspruch nehmen. Das können wir alle nicht wissen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Deswegen brechen Sie ohne Not und insbesondere auch ohne jede energiepolitische Grundlage eine Diskussion um Garzweiler vom Zaun. Sie senden damit ein fatales Signal für die Investitionssicherheit in Nordrhein-Westfalen über das Rheinische Revier hinaus. Sie setzen damit ein fatales Signal für die Versorgungssicherheit in NRW über das Rheinische Revier hinaus. Sie setzen damit letztendlich ein fatales Signal für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen über das Rheinische Revier hinaus.

Herr Minister, natürlich geht es bei dieser Leitentscheidung um die Menschen. Es geht aber auch um die energiepolitischen Grundsätze und die industriepolitischen Grundsätze dieses Landes. Die bewerten wir als FDP-Fraktion anders. Da geht es nämlich um weit mehr Menschen als um diejenigen in den betroffenen Ortschaften, um die wir uns auch sorgen müssen. Da geht es um das ganze Land, Herr Minister!

(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU])

Herr Thiel, dass es sich dabei um den Einstieg in den Ausstieg handelt, ist keine Erfindung meines Kollegen Dietmar Brockes. Das ist ein Zitat von Herrn Priggen. Was wollen Sie denn da kritisieren? Wir haben ganz klar gesagt, dass es eben nicht nur um die Fragen geht, die ich gerade angesprochen habe, sondern zweitens auch um die vielen, vielen Betriebe aus Mittelstand und Handwerk mit zigtausend Mitarbeitern im Rheinischen Revier und darüber hinaus, um die wir uns ebenfalls Sorgen machen; denn sie verlieren durch Ihre Politik, meine Damen und Herren, auch an Planungssicherheit, sodass perspektivisch Wertschöpfung aus dem Rheinischen Revier abgezogen werden wird.

Sie haben mit diesem koalitionspolitischen Freibrief für die Grünen immer wieder Tor und Tür dafür geöffnet, dass die Politik auch in Zukunft nicht verlässlich ist und die Menschen das Gefühl haben, dass sie den Zufällen, Launen und Ideologien der grünen Politik weiterhin unterworfen sind. Wo wollen Sie denn anfangen, und wo wollen Sie aufhören?

Sie erreichen damit drittens keine Planungssicherheit für die Menschen im Rheinischen Revier, egal was Sie hier glauben machen wollen. Sie erreichen das Gegenteil. Wenn Sie anfangen, festgelegte Planungen, die nach einem langen Abwägungsprozess beschlossen worden sind, plötzlich einer politischen Beliebigkeit zu unterwerfen ...

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Übrigens, was die Frage der Informationspolitik angeht, Herr Priggen: Sie haben zum Beispiel an einem Freitagnachmittag nach Ende des Plenums über eine Pressemitteilung plötzlich bekannt gegeben, dass Sie die Grundlagen für Garzweiler völlig verändern wollen. Das hat nichts mit einer Information des Parlaments zu tun. Dadurch signalisieren Sie immer wieder, dass festgelegte Entscheidungen nach solch langen Abwägungsprozessen einer Beliebigkeit unterworfen sind. Natürlich bringen sie für viele Menschen auch Belastungen mit sich. Das stellen wir überhaupt nicht in Abrede.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.

Ralph Bombis (FDP): Wenn Sie aber zulassen, dass solche Entscheidungen ohne neue Entscheidungsgrundlagen immer wieder infrage gestellt werden, frage ich Sie noch einmal: Wo wollen Sie anfangen, und wo wollen Sie aufhören? Was ist mit den anderen Ortschaften? Warum gelten für Wanlo andere Regeln als für Holzweiler? Wo wollen Sie aufhören? Sie erleben die Reaktion doch bereits jetzt.

Eine solche Politik nach ideologischem Grundsatz ist Gift für den Industriestandort Nordrhein-West-falen. Damit ist sie auch Gift für den gesamten Wirtschaftsstandort, Gift für die hier lebenden Menschen und Gift weit über das Rheinische Revier hinaus. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer gedacht hat, von dem neuen energiepolitischen Sprecher der CDU, Herrn Hovenjürgen, würden wir jetzt hören, was genau die CDU hier will, ist leider enttäuscht worden. Wir haben sehr viel Unkonkretes, sehr viel Geschwurbel gehört.

Leider hat er schon wieder den Saal verlassen. Ich hätte gerne mit ihm die Auseinandersetzung gesucht, wie es denn wäre, wenn ihm angekündigt würde, dass sein Ort abgebaggert wird, dass er seinen wunderschönen Hof verlassen muss und dass seine Kinder dort nicht mehr leben können. Er wäre sicherlich ganz schnell unter der Decke. Aber so haben wir nur eine ganz ruhige, eher geschwurbelte Rede gehört und nichts Konkretes. Ich finde das schon sehr schwierig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Insgesamt stellen der Vorredner der CDU und die Kollegen der FDP hier Fragen über Fragen. Anstatt immer nur diese Fragen zu stellen, sollten Sie doch ganz ehrlich, klipp und klar sagen, was Sie eigentlich wollen. Die FDP will, dass Holzweiler abgebaggert wird. Sie wollen, dass auch diese 1.400 Menschen noch ihre Heimat aufgeben müssen. Sie wollen die Braunkohle vernichten. Denn – ganz ehrlich gesagt – was ist es denn anderes, wenn man Braunkohle verbrennt? Das ist eine Vernichtung der Braunkohle.

Wir Grüne haben, anders als Herr Brockes es eben gesagt hat, nicht das Ziel, die Braunkohle zunichtezumachen. Wir wollen, dass Nordrhein-Westfalen seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Wir setzen uns für eine Zukunft mit erneuerbaren Energien ein – und damit auch für den Erhalt der Braunkohle unter der Erde.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie, liebe FDP, wollen also, dass 1.400 Menschen ihre Heimat verlassen müssen, obwohl die energiepolitischen Rahmenbedingungen sich gravierend verändert haben. Ich finde das einen absoluten Irrsinn. Sie stellen sich hierhin und behaupten, dass es keine energiepolitische Notwendigkeit für diese Leitentscheidung gibt. Das haben wir eben von Herrn Brockes gehört. Wenn ich das höre, frage ich mich, mit welchen Scheuklappen Sie durch die Welt laufen.

Schauen wir es uns noch einmal an: 1995 hatten wir einen Anteil von erneuerbaren Energien von 2 % am Stromverbrauch. Heute haben wir einen Anteil von 30 %. Was ist das denn anderes als eine gravierende Veränderung der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen?

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Man kann natürlich den Entscheidern von 1995 überhaupt nicht den Vorwurf machen, dass sie diese Entwicklung nicht vorhergesehen haben; denn dieser Erfolg der erneuerbaren Energien war nun wahrlich nicht in dem Maße absehbar. Das muss man ganz klar sagen. Aber auch damals hat man schon gewusst und gesagt – schließlich überblickt man sehr lange Zeiträume –, dass man die entsprechenden Voraussetzungen auch immer wieder überprüfen muss. Genau das machen wir.

Herr Bombis, es geht genau darum, nach gesetzlichen Vorgaben diese Rahmenbedingungen zu überprüfen. Diese haben sich nun einmal gravierend verändert.

Ihnen kann ich daher den Vorwurf machen, dass Sie diese Entwicklung schlicht und einfach ignorieren und ideologisch getrieben an einem Energieträger festhalten, dessen Zeit nun einmal abläuft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, der Abschied von der Braunkohle hat begonnen. Unserer Meinung nach ist mit 3. Leitentscheidung der Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung geschafft.

Nun sollten wir alle gemeinsam nicht immer wieder längst geschlagene Schlachten aufleben lassen. Sie versuchen das an dieser Stelle immer wieder. Klar ist aber auch: Ein Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bedeutet nun wahrlich keinen Strukturbruch. Es ist vielmehr dringend notwendig, dass wir den Strukturwandel gemeinsam mit allen politischen Kräften im Sinne der Regionen jetzt anpacken.

Wenn man immer nur an dem festhält, was einen groß gemacht hat, und sagt, dass es einen auch groß hält, ist klar – das können wir an vielen unterschiedlichen Stellen in Regionen sehen –, dass das so nicht gelingt. Im Ruhrgebiet ist das zu beobachten. Es gibt Unternehmen wie RWE, die gerade am eigenen Leib ganz schmerzlich erfahren müssen, dass ein Festhalten an einem bestimmten Modell eben nicht auf Dauer trägt.

Deswegen ist es wichtig, sich für die Zukunft aufzustellen und der Region und dem Ort Holzweiler eine Perspektive zu bieten. Ganz klar ist: Die Perspektive der Braunkohle ist endlich. Diese Realität sollte von allen anerkannt werden, damit wir die Herausforderungen der Regionen gemeinsam anpacken können.

Sehr geehrte Damen und Herren, die 3. Leitentscheidung macht auch klar: Die Zukunft gehört den sauberen und bezahlbaren Energien. Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Fraktion der Piraten spricht noch einmal Herr Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Jetzt bin ich noch einmal am Rednerpult. Ich möchte auf die Eingangsrede von Herrn Brockes von der FDP eingehen, der sagte, der Regierung sei der Erhalt einer Landstraße wichtiger als Arbeitsplätze. Herr Brockes, Sie haben das Thema einfach nicht verstanden. Nicht die Grünen haben 400 Millionen t aus der Förderung genommen, sondern RWE hat das getan. Viel mehr als diese 400 Millionen t bleiben aber in der Planung und versauen Klima und Umwelt. Sie verursachen Flächenfraß und Ewigkeitsschäden, wenn sie abgebaut und verbrannt werden. Das schadet der Volkswirtschaft und den Arbeitsplätzen, weil es die Energiewende blockiert.

Herr Sundermann von der SPD sagte, dass Betreiber und IG BCE den Entwurf prinzipiell positiv sehen. Natürlich tun sie das. Schließlich stammt der Entwurf von RWE, und die IG BCE schlackerte als Wurmfortsatz einfach nur mit.

Sachlich richtig ist, dass die Leitentscheidung für die Weiterverwertung der Braunkohle sorgt. Aber es werden weitere Rücknahmen folgen, weil die Braunkohle stirbt. Ich wiederhole hier die Forderung nach einem Ausstiegsgesetz, um das sozial abzufedern.

Kollege Thiel wirft anderen hier vor, keine Ahnung zu haben, und liest selbst stammelnd jede Menge Details vom Blatt ab. Mit dieser Faktenhuberei überzieht er um zweieinhalb Minuten seine Redezeit, ohne den Blick aufs Ganze zu haben.

Herr Kufen von der CDU, ich möchte Sie zunächst einmal zu Ihrem neuen Mandat beglückwünschen und Ihnen eine glückliche Hand wünschen. Sie sagten, dies sei Ihre Abschlussrede gewesen; nur wenn man Sie sehr provoziere, würden Sie noch einmal ans Rednerpult gehen. Ich kann Sie wahrscheinlich nicht ausreichend provozieren; denn Ihre Rede war als Abschlussrede gar nicht einmal so schlecht.

Sie haben recht; die Regierung bleibt Getriebene ihrer Fehlentscheidungen. Ihre Begründung ist aber nicht richtig. Ich sage Ihnen einmal meine Begründung: Es liegt daran, dass die Regierung verzweifelt an der Braunkohle festhält. Da bleibt sie natürlich Getriebene ihrer Fehlentscheidung. Die „dreckigen Vier“ sind uns ein Klotz am Bein. Nur die dezentrale Energiewende, unter anderem mit Bürgergenossenschaften, hilft uns da weiter.

Die Einzigen hier im Landtag, die heute wirklich etwas Strategisches vorzutragen hatten, das auch in die richtige Richtung ging, waren die Grünen mit Herrn Priggen und Frau Brems.

Herr Priggen, ich bin einig mit Ihnen in der Einschätzung von Herrn Brockes’ Rede: Die war unterirdisch.

Sie erwähnten 40.000 Zwangsvertriebene in 50 Jahren. Ich sage Ihnen: Es darf keine weiteren Zwangsvertriebenen geben. Die Menschen im Revier brauchen eine dauerhafte Perspektive.

Und das heißt: Raus aus der Braunkohle. Das ist die einzige dauerhafte und nachhaltige Perspektive, die es dort gibt. Der Strukturwandel hat eingesetzt. Die Ausgangsbedingungen haben sich von 1995 bis 2015 grundlegend verändert. Das haben die Grünen hier eindeutig richtig dargestellt. Lassen Sie uns also gemeinsam ans Braunkohleausstiegsgesetz herangehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Lersch-Mense.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zu den aufgeworfenen Fragen und Kritikpunkten nur noch drei kurze Punkte erläutern.

Erstens: zur Frage der mangelhaften Beteiligung. Wir sind jetzt in der Phase, dass die Landesregierung den Entwurf einer Leitentscheidung beschlossen hat. Jetzt gehen wir in ein breites Beteiligungsverfahren. Wir haben den Entwurf online gestellt, und es findet ein Onlinekonsultationsverfahren statt.

(Dietmar Brockes [FDP]: Seit heute?)

– Ja, seit heute, Herr Brockes. Aber jetzt findet es statt, und jeder kann sich daran beteiligen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Gut, dass wir die Debatte geführt haben!)

Natürlich werden wir alle Beiträge, die dort eingehen, auswerten und dann der endgültigen Entscheidung des Kabinetts zugrunde legen. Wenn das Kabinett dann abschließend entschieden hat, werden wir den Landtag natürlich informieren – auch über die eingegangenen Stellungnahmen und darüber, wie wir sie bewerten. Es wird also noch ausreichend Gelegenheit sein, auch parlamentarisch über die Leitentscheidung zu diskutieren.

Herr Hovenjürgen – ich sehe ihn nicht mehr –, natürlich sind wir in allen Phasen und zu jeder Zeit zum Dialog bereit. Ich freue mich auf die Diskussionen, die wir an dieser Stelle führen können.

Das Thema „Abstand: 400 m“ ist diskutiert worden, auch vor dem Hintergrund – diese Frage ist durchaus berechtigt –: Warum für Holzweiler 400 m und für andere Tagebaurandgemeinden weniger?

Dabei ist zu berücksichtigen, dass kein anderer Ort am Tagebaurand sich zunächst auf eine Umsiedlung einstellen musste und jetzt seine Zukunft neu gestalten muss. Kein anderer Ort wird vom aktiven Tagebau für einen so langen Zeitraum umfahren wie Holzweiler. Im Zusammentreffen dieser Aspekte ist es durchaus berechtigt, in diesem Einzelfall einen besonderen Sicherheitsabstand zu wahren. Eine Veranlassung, weitere Planungen an anderen Orten zu verändern, besteht aus unserer Sicht ausdrücklich nicht.

Wenn Sie, Herr Bombis, der Landesregierung vorwerfen, sie würde sich nicht hinreichend für die energiepolitischen Notwendigkeiten einsetzen und sie falsch bewerten, dann bitte ich doch zu bedenken, dass wir hier über einen Zeitraum nach dem Jahr 2030 reden. Alles, was wir sagen, ist: Wir glauben, dass in diesem Zeitraum zwar noch weiter die energiewirtschaftliche Notwendigkeit besteht, Braunkohle zu nutzen, aber nicht mehr in dem Maße, dass eine ganze Ortschaft umgesiedelt werden müsste. Das ist, glaube ich, energiepolitisch verantwortlich und für die Zukunft – angesichts der großen Veränderungen in der Energiewirtschaft – eine richtige Entscheidung.

(Zuruf von der FDP)

Wenn Sie uns darüber hinaus vorwerfen, wir würden uns nicht für die Menschen im Revier, für die Arbeitsplätze und für die Braunkohle verwenden, will ich doch daran erinnern, dass es diese Landesregierung, dieser Wirtschaftsminister und diese Ministerpräsidentin waren, die in Berlin gegen die Klimaabgabe gekämpft und damit dafür gesorgt haben, dass die Braunkohlenutzung und die Braunkohleverstromung in unserem Land

(Zuruf von der FDP)

weiterhin eine Zukunft hat. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat Kollege van den Berg noch einmal das Wort.

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Dass Energiepolitik streitig diskutiert werden kann, ist wohl kein Novum in diesem Hause. Das soll auch so sein. Aber ich glaube, wir sollten im Umgang miteinander schon aufpassen, dass wir uns richtig zitieren und keine falschen Behauptungen in den Raum stellen. Ich muss mich noch mal zu Wort melden, weil in der Aktuellen Stunde keine Zwischenfragen oder Kurzinterventionen möglich sind.

Kollege Rohwedder hat vorhin behauptet, dass ich im Innenausschuss eine Äußerung zur Gleichsetzung von Klimaschützern und PEGIDA-Aktivisten getätigt hätte.

(Zuruf von Holger Ellerbrock [FDP])

Jeder, der dabei war, weiß, dass das großer Unfug ist, und ich will das an dieser Stelle sehr deutlich richtigstellen. Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, das wir als Demokraten über Parteigrenzen hinweg verteidigen. Auch ziviler Ungehorsam, wie wir ihn ebenfalls in Garzweiler beobachtet haben, gehört dazu. Was aber, glaube ich, nicht geht, ist, dass sozusagen „friedvolle Straftaten“ konstruiert werden oder dass „legitime Gewalt“ dargestellt wird, wie das durch den WDR und Herrn Döschner geschehen ist. Genau das habe ich thematisiert, Herr Rohwedder –

(Beifall von der SPD und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von den PIRATEN)

genau das und nichts anderes.

Denn, meine Damen und Herren, es gehört wohl zum Konsens der Demokraten, dass wir uns auf die Rechtsstaatsprinzipien und auf das Legalitätsprinzip verständigen und deutlich machen, dass eben nicht ein vermeintlich guter Zweck alle Mittel heiligt.

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Legale Mittel!)

In diesem Zusammenhang habe ich deutlich gemacht: Wenn wir uns dazu versteigen würden, dass es einen höheren Zweck gibt, der alles heiligt, dann haben wir auch Probleme, bei PEGIDA-Demon-strationen und bei anderen zu sagen, dass eine solche Gewaltüberschreitung eben nicht geht.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Das habe ich deutlich gemacht, und ich würde mich freuen, Herr Kollege Rohwedder, wenn solche Falschzitate in diesem Hause nicht mehr vorkommen würden. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache, und ich schließe die Aktuelle Stunde.

Ich rufe auf:

3   Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neufassung des Landesplanungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9809

erste Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Änderung des Landesplanungsgesetzes (LPlG)

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9805

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Landesregierung Herrn Minister Lersch-Mense das Wort.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, haben wir einen neuen Landesentwicklungsplan auf den Weg gebracht. Das erste Beteiligungsverfahren haben wir ausgewertet. Nach den Herbstferien startet das Beteiligungsverfahren zu den vorgenommenen Änderungen. Heute bringen wir die Novelle des Landesplanungsgesetzes in den Landtag ein. Damit modernisieren wir die beiden Säulen des Planungsrechts in Nordrhein-Westfalen.

Lassen Sie mich kurz die wesentlichen Eckpunkte der Änderungen erläutern. Mit der Föderalismusreform 2006 wurde die Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Raumordnung geändert. Die Rahmenkompetenz wurde abgeschafft und die Raumordnung in die konkurrierende Gesetzgebung überführt. Dies hat zur Folge, dass die Regelungen des Raumordnungsgesetzes des Bundes unmittelbar wirken, sodass im Zuge der Neufassung des Landesplanungsgesetzes die Vorschriften gestrichen werden sollen, die bereits im ROG enthalten sind.

Wir haben alle Normen des geltenden Landesplanungsgesetzes auf das Verhältnis zum Raumordnungsgesetz des Bundes überprüft und alle Doppelregelungen entfernt. Wir haben uns hierbei vom Zentralinstitut für Raumplanung an der Universität Münster beraten lassen, das uns auch hier wichtige Hinweise geben konnte.

Ergänzende oder abweichende Regelungen haben wir gekennzeichnet und alle Hinweise auf das ausgelaufene Landesentwicklungsprogramm gestrichen. Dies dient ebenfalls der Vereinfachung und der Rechtsklarheit. Verschiedene Änderungen dienen also der Anpassung an das Raumordnungsgesetz des Bundes im Lichte der Abweichungsgesetzgebung. Damit stellen wir Rechtsklarheit her und bereinigen das Landesplanungsgesetz um nicht mehr benötigte Regelungen.

Auf einige natürlich auch enthaltende wesentliche materielle Änderungen möchte ich ebenfalls hinweisen.

Zukünftig ist es nicht mehr bereits durch das Landesplanungsgesetz zwingend vorgegeben, dass Vorranggebiete und Eignungsgebiete starr gekoppelt sein müssen. Dies ermöglicht sachgerechte Unterscheidungen auf der Ebene der Regionalplanung, zum Beispiel für die Rohstoffgewinnung und die Windenergienutzung.

Windenergie soll auch außerhalb der Vorranggebiete genutzt werden können. Dies gibt den Kommunen größere Freiheit bei der Ausweisung ihrer kommunalen Konzentrationszonen zur räumlichen Steuerung der Windenergienutzung. Dies korrespondiert übrigens mit dem neuen LEP-Entwurf.

Darüber hinaus sehen wir eine verpflichtende Öffentlichkeitsbeteiligung für Raumordnungsverfahren vor und entfristen die Übergangsregelungen für Änderungen am regionalen Flächennutzungsplan. Dies entspricht inhaltlich voll dem FDP-Gesetzent-wurf, der sich bereits in der Beratung in diesem Hohen Haus befindet.

Die derzeitige Überleitungsvorschrift des § 39 Abs. 4 Landesplanungsgesetz räumt der Planungsgemeinschaft aus den Städten Bochum, Essen, Gelsenkirchen, Herne, Mülheim und Oberhausen nur bis zum 31. Dezember 2015 die Befugnis ein, Änderungen und Ergänzungen des regionalen Flächennutzungsplans vorzunehmen. Mit der Aufhebung der Frist wird diese Befugnis nun verlängert, bis ein Aufstellungsbeschluss für einen neuen Regionalplan Ruhr gefasst ist.

Als Ergebnis der Verbändeanhörung folgen wir Anregungen der Kommunen und verzichten auf eine Regelung zur Ermittlung des Mindestflächenbedarfs von Infrastruktureinrichtungen bei der Festlegung von Umsiedlungsstandorten in Braunkohleplänen und auf die Vorlagepflicht von Bebauungsplänen bei den Regionalplanungsbehörden. Hier bleibt es bei den geltenden Regelungen.

Ein Thema, das derzeit die öffentliche Debatte beherrscht, möchte ich besonders betonen: Die größte Herausforderung ist es, Flüchtlinge unterzubringen und zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Auch die Raumordnung ist gefordert, hier einen Beitrag zu leisten. Dabei stehen wir in einem Spannungsverhältnis: Einerseits braucht gerade das dicht besiedelte NRW klar zu beachtende raumordnerische Ziele. Andererseits müssen wir in Einzelfällen die Möglichkeit haben, Bauvorhaben von besonderer öffentlicher Bedeutung auch gegen kommunale Einzelinteressen durchzusetzen. Dies gilt im Übrigen auch für Forensikstandorte und Justizvollzugsanstalten.

Wir haben im sogenannten Zielabweichungsverfahren, das dazu dient, zügiger Ausnahmen gestatten zu können, vorgesehen, dass für Regionalpläne die Einvernehmensregelungen seitens der Belegenheitsgemeinde und des regionalen Planungsträgers im Falle von baulichen Anlagen des Bundes oder des Landes mit besonderer öffentlicher Zweckbestimmung im Sinne des § 37 Baugesetzbuch in eine Benehmensregelung überführt werden. Dadurch vereinfachen und beschleunigen wir den Ablauf des Verfahrens. Für andere Vorhaben bleibt es bei den bekannten Verfahrensabläufen.

Ich will aber abschließend und für die weiteren parlamentarischen Beratungen ausdrücklich sagen: Ob diese Vereinfachung des Zielabweichungsverfahrens ausreichend ist, um die nötigen Beschleunigungswirkungen zu erzielen, oder ob es planungsrechtlich konforme und zulässige weitere Beschleunigungsmöglichkeiten gibt, sollten wir in den Ausschussberatungen und in der parlamentarischen Anhörung noch einmal intensiv miteinander diskutieren. Wir sind offen für jeden Vorschlag, der in diese Richtung gemacht wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich möchte darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 53 Sekunden überschritten hat. – Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Kollegen Wüst das Wort.

Hendrik Wüst*) (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Zunächst einmal einen herzlichen Glückwunsch an den neuen Zuständigen, der auch der alte ist, jetzt aber im Ministeramt. So können wir im Plenum weiterhin miteinander über die Themen diskutieren, für die Sie auch früher schon die Verantwortung getragen haben.

Mein Glückwunsch geht auch an den Kollegen Eiskirch, der nach mir spricht – deswegen nehme ich die Glückwünsche vorweg –: Alles Gute für das neue Amt im Bochum! Ich werde zwar bedauern, dass wir nicht mehr die Klingen kreuzen können, freue mich aber auch auf die Zusammenarbeit mit dem Nachfolger. Toi, toi, toi für Deine neue Aufgabe in Bochum!

(Thomas Eiskirch [SPD]: Danke schön!)

Der neue Minister hat jetzt schon zum dritten Mal gesprochen. Die neue Wunderwaffe der Landesregierung ist fleißig bei der Arbeit. Ich will Sie deshalb gleich in ganz andere Höhen heben, die die irdische Arbeit der Landespolitik übersteigen: Es drängt sich – besser gesagt: es droht – der Vergleich mit dem jungen Robert Redford auf,

(Heiterkeit von der CDU)

und zwar deshalb, weil Robert Redford eine seiner ersten großen Rollen in dem Film „Der große Bluff“ hatte. Der eine oder andere kennt diesen Film. Ihr Entwurf für ein neues Landesplanungsgesetz ist ein Teil des großen Bluffs, den wir seit April an mehreren Stellen vorgeführt bekommen. Dieser große Bluff heißt „Kurswechsel – weg von einer wachstumsfeindlichen Politik“.

Monate später zeigt sich, dass bei der Landesentwicklungsplanung – so auch im Entwurf für das Landesplanungsgesetz – dieser Kurswechsel ausfällt. Im April wird groß propagiert und der Presse verkauft, man habe jetzt den Landesentwicklungsplan entschärft. Der Klimaschutz sei aus dem Landesentwicklungsplan herausgestrichen worden, die wirtschaftsfreundlichen Teile der Landesregierung hätten sich kraftvoll durchgesetzt, und der Landesumweltminister habe das Nachsehen gehabt.

Was man auf die Schnelle gar nicht sehen konnte, findet sich in § 12 des Entwurfs für das Landesplanungsgesetz. Dort steht nämlich, dass man den Klimaschutz nicht mehr landesweit beachten müsse, sondern bei der Aufstellung der Regionalpläne in allen Regionen des Landes, was am Ende nichts anderes heißt als: landesweit. Das war der erste Teil des großen Bluffs. Man könnte auch sagen, es war ein kleiner Hütchenspielertrick.

Das setzt sich fort, indem man in derselben Kabinettssitzung, in der man zwar die Tabuzonen für die Auskiesung – für die Rohstoffgewinnung – aus dem Landesentwicklungsplan herausnimmt, diese dann aber ins Landeswassergesetz wieder hineinschreibt. Das war also – in derselben Sitzung – der zweite Teil des großen Bluffs.

Dann wird das 5-ha-Ziel vom „Ziel“ zum „Grundsatz“ heruntergestuft. Ziele sind zu beachten, Grundsätze sind in die Abwägung einzubeziehen. Insofern ist das auf den ersten Blick sicher gut für die Entwicklung des Landes.

Durch die Hintertür kommt dann für die Ermittlung des Bedarfs an Flächen in den Regionen wieder die Berechnungsmethode von Professor Vallée ins Verfahren. Diese Professor-Vallée-Methode hat schon vor zwei Jahren für einen Sturm der Entrüstung bei Wirtschaft und Kommunen gesorgt. Man hatte geglaubt, das Thema sei passé, aber auf einmal ist es wieder da.

(Beifall von der CDU)

Auch das ist erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennbar.

Auch das Thema „newPark“ will ich hier noch einmal nennen, zu dem man zunächst den Minister reden hörte. Der sagte: Wir haben erst möglich gemacht, dass es einen Kompromiss gibt. – Dann gab es vor Ort Herrn Müller, der genau wusste, dass es diese Landesregierung war, die viele Probleme erst geschaffen hatte, sodass am Ende – so hört man – der Wirtschaftsminister dem örtlichen Landrat geraten hat, gegen die eigene Regierung und deren Politik zu klagen.

Das ist auf den ersten Blick immer der Versuch, einen Kurswechsel weg von der wachstumsfeindlichen Politik zu inszenieren. Hintenherum im Kleingedruckten kann Herr Remmel dann aber ganz unbesorgt seine Themen abhaken. Er hat in jedem einzelnen Punkt seine Position halten können.

(Beifall von der FDP)

Heute Morgen hatten wir nun das Thema „Garzweiler“. Da wird in Sonntagsreden sehr schön gesagt, die Energiesicherheit sei der Teil der Energiewende, den wir liefern könnten. Dann setzt man willkürlich eine Abbaugrenze auf 400 m fest und nimmt RWE die Möglichkeit, 400 bis 600 Millionen t zu fördern. So nimmt man diesem Standort einen Teil der in den Sonntagsreden propagierten Energiesicherheit; denn Sie können – wie es der Kollege van den Berg in der Presse richtig gesagt hat – nicht ausschließen, dass sich jetzt auch andere genau darauf beziehen werden.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Wir geben Ihnen heute mit unserem Antrag zum Landesplanungsgesetz die Möglichkeit, das zu tun, was Sie der Öffentlichkeit so schön verkauft haben, nämlich den Klimaschutz aus der Landesentwicklung herauszunehmen. Das schlagen wir Ihnen vor. Sie können sich ehrlich machen. Sie können den großen Bluff sein lassen. Sie können die Kurswechsel tatsächlich vollziehen, die Sie propagieren. Dazu geben wir Ihnen die Chance. Ich bin sehr gespannt, wie Sie damit umgehen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Eiskirch.

Thomas Eiskirch (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Kollege Wüst hat in seiner Rede gerade alles zusammengerührt, was irgendwie auch nur im Entferntesten mit dem Thema „Landesentwicklung“ zu tun haben könnte.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist ein richtiges Sammelsurium gewesen. Ich weiß nicht, ob Sie eine App haben, bei der Sie die Worte eingeben, auf „einmal mixen“ klicken, und dann kommt so eine Rede dabei heraus – egal ob es der LEP war oder das Landesplanungsgesetz. Ich habe mich gewundert, dass Sie nicht noch ein bisschen über das LEPro gesprochen haben oder das Klimaschutzgesetz. Das war alles einmal schön zusammengerührt.

In Wirklichkeit müssen Sie eingestehen, dass die Landesregierung das geschafft hat, was Schwarz-Gelb angekündigt und auf halbem Wege abgebrochen hat, weil Sie das politische Zutrauen in Ihre eigenen Reihen sowohl hier im Landtag als auch im Land in den Kommunen nicht hatten – nämlich eine wirkliche Überarbeitung des gesamten Themas „Landesplanung“, mit einem neuen LEP, mit einem überarbeiteten Landesplanungsgesetz und mit der Abschaffung bzw. Einbeziehung des Landesentwicklungsprogramms, sodass wir jetzt eine konsistente Rechtslage haben, sobald all diese Gesetzesvorhaben bzw. der Landesentwicklungsplan das Licht der Welt nicht nur erblickt haben, sondern auch wirksam sind. Wir haben dann ein komplettes, konsistentes Programm rund um das Thema „Landesentwicklungsplanung“.

Herr Kollege Wüst, Sie haben vorhin die Anmerkungen zu dem Film gemacht. Mich hat das, was Sie gerade vorgetragen haben, eher – ich habe keine Ahnung, welches Auto Sie fahren, weshalb Sie das bitte nicht falsch verstehen –an James Deans „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ erinnert denn an alles andere.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Lassen Sie mich Ihnen aber zu zwei oder drei inhaltlichen Punkten doch noch etwas mit auf den Weg geben.

Eines würde mich wirklich interessieren, Kollege Wüst; vielleicht können Sie dazu gleich noch einen Satz sagen. Sie haben jetzt einen Änderungsantrag vorgelegt, in dem unterschiedliche Dinge rund um das Thema „Klimaschutzgesetz“ eingefordert werden. Sie haben – das war beim Studium für mich das Spannende – aber nichts vorgelegt zur Frage: Wie sieht das mit dem Regionalen Flächennutzungsplan und der Entfristung aus?

Mich wundert das nicht, weil wir hier alle durchaus einig sind, und zwar fraktionsübergreifend. Ich meine den Antrag des Kollegen Ellerbrock und unsere Auffassung von Rot und Grün. Wenn ich Ihren Änderungsantrag richtig lese, ist es auch Ihre Auffassung, dass es richtig ist, eine Entfristung vorzunehmen.

Ich sage das hier deswegen, weil Ihre Kolleginnen und Kollegen im Ruhrgebiet – das sind ja die Einzigen, die von dieser Fragestellung im Moment aktiv betroffen sind – eine explizit andere Auffassung haben.

Deswegen wäre meine herzliche Bitte, Ihren Änderungsantrag – versehen mit den Worten „RFNP-Entfristung haben wir absichtlich nicht als Änderung vorgeschlagen“ – dem Kollegen Mitschke und vor allem dem Landtagskollegen Hovenjürgen, der auch Verantwortung im RVR hat, mitzugeben, damit der Streit, den die beiden anzetteln, dort aufhört. Wir benötigen eine klare Marschroute – nicht nur im Land Nordrhein-Westfalen, hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen, sondern auch im RVR –, dass die Entfristungsregelung des RFNP, so wie wir sie hier gemeinsam tragen wollen, der richtige Weg ist, um eine vernünftige Überführung gewährleisten zu können. Das wäre meine herzliche Bitte.

Ich weiß nicht, ob der Kollege Wüst, der da sein Handy in der Hand hat, das jetzt mitbekommen hat. Meine Bitte wäre wirklich – wenn ich zum Abschluss noch eine Bitte an dich äußern darf –: Sprich noch einmal mit Josef Hovenjürgen und mit dem Kollegen Mitschke, damit sie anders mit der Sache umgehen!

Meine zweite inhaltliche Bemerkung betrifft das Thema „Einvernehmen und Benehmen“. Ich will das hier ganz offen sagen: Ich kann das gut nachvollziehen. Das sage ich jetzt nicht aufgrund eines bevorstehenden Rollenwechsels, sondern in meiner Funktion als Landtagsabgeordneter. Ich habe das auch schon getan, bevor feststand, dass ich nun Oberbürgermeister der Stadt Bochum werden soll.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hovenjürgen zulassen?

Thomas Eiskirch (SPD): Sofort, wenn ich den Gedanken ausgeführt habe.

Das sollte man sich in der Anhörung sauber anschauen und von allen Seiten beleuchten, sodass man die beiden Zielsetzungen, nämlich eine beschleunigte Verfahrenssituation – was ich sehr gut nachvollziehen kann, sowohl was die Forensik als auch was die Flüchtlingsunterkünfte angeht – und die Selbstverwaltung von Kommunen, so abprüft, dass wir Lösungen finden, die auch beiden Anforderungen gerecht werden. Das wäre noch der inhaltliche Punkt.

Dann möchte ich gleich die letzten 30 Sekunden meiner Rede noch anders verwenden dürfen, aber vorher können Sie, Herr Kollege Hovenjürgen, gerne Ihre Frage stellen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herzlichen Dank, Herr Kollege Eiskirch, dass Sie die Frage zulassen. Zu Beginn noch einmal herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum Oberbürgermeister! Sie haben jetzt die Chance, als Oberbürgermeister besser zu arbeiten als Sie hier im Parlament gearbeitet haben.

(Zurufe von der SPD: Oh! – Thomas Eiskirch [SPD]: Damit hat sich die Antwort auf die Frage übrigens erledigt! – Weitere Zurufe)

Herr Eiskirch, mit Auslaufen des RFNP, des Regionalen Flächennutzungsplans, würde die rechtliche Situation so aussehen, dass diese Aufgabe an den RVR übergehen würde. Trauen Sie dem RVR diese Aufgabe nicht zu?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege.

Thomas Eiskirch (SPD): Erstens. Dem RVR traue ich alles zu. Zweitens. Dem Kollegen Kufen, mir und auch anderen Oberbürgermeistern im Ruhrgebiet traue ich zu, dass sie diesen Prozess ordentlich gestalten können.

Ich habe nur das Gefühl, dass Sie einer Entscheidung nicht trauen, die besagt: Das wird man vernünftig, ohne dauernd nachsteuern zu müssen, mit einer einmaligen Regelung bewerkstelligen können. Wenn das Vertrauen gegenüber dem RVR und gegenüber der Handlungsfähigkeit der Kommunen im Ruhrgebiet bei Ihnen und Ihrem Parteikollegen Roland Mitschke so gering ausgeprägt ist, sollten Sie hier nicht Statthalter oder Interessenswahrer dieser Kommunen spielen. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss eines sagen. Das Thema „Landesentwicklungsplanung“ kommt in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht manchmal zu kurz. Ich selbst habe es auch erst schätzen gelernt, seit ich Mitglied des Landtages bin. Dabei glaube ich, dass man damit die Entwicklungstendenzen und die Zukunftsentwicklungen im Land stärker steuern kann als mit anderen Instrumenten.

Ich persönlich freue mich sehr, dass ich meinen letzten Redebeitrag hier in diesem Hohen Hause nun zu einem Thema der Landesentwicklung führen darf; und das nicht nur, weil mich das Thema „Datteln 4“ über viele Jahre begleitet hat – sowohl in der Opposition als auch in der stabilen Regierungsphase ohne eigene Mehrheit, schließlich jetzt in der neuen Konstellation –, sondern auch, weil das Fragestellungen sind, von denen ich glaube, dass sie die Zukunft unseres Landes ganz explizit mit entscheiden werden.

Ich hoffe, dass die Diskussionen zu diesem Thema genauso sachlich und fruchtbar wie in der Vergangenheit laufen, auch parteiübergreifend – außer wenn der Kollege Wüst wieder alles zusammenrührt und mischt.

Ich persönlich möchte mich an dieser Stelle noch einmal herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen bedanken für die gute Zusammenarbeit der letzten zehn Jahre und für den meistens auch sehr fairen Umgang – nicht nur hier im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen des Landtages von Nordrhein-Westfalen.

Mir hat die Arbeit in diesem Hause ausgesprochen viel Spaß gemacht. Ich werde diesem Haus freundschaftlich verbunden bleiben und hoffe, auch weiterhin als Gast ab und zu reinkommen zu dürfen, um mit dem einen oder anderen von Ihnen den Austausch genauso zu pflegen wie in der Vergangenheit.

(Dietmar Brockes [FDP]: Sie kriegen einen Kaffee!)

– Wir schauen mal, welches Getränk wird nehmen. – Herzlichen Dank auch für die Aufmerksamkeit heute Morgen.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. Auch ich möchte mich im Namen des Präsidiums, aller Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren bedanken. Die schöne Zeit als Landtagsabgeordneter geht jetzt zu Ende, eine andere schöne Zeit als Oberbürgermeister in Bochum beginnt. Ihnen alles Gute für Ihren weiteren Weg, insbesondere auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der wichtigen Stadt Bochum in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von allen Fraktionen – Thomas Eiskirch [SPD]: Herzlichen Dank!)

Er ist schon da. Der Kollege Goldmann hat jetzt das Wort.

Herbert Franz Goldmann (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle es an den Beginn meiner Rede: Herr Lersch-Mense als Minister, Thomas als neuer Oberbürgermeister der Stadt Bochum: Ich wünsche Ihnen beiden viel Erfolg für die zukünftigen Funktionen, die Sie wahrnehmen. Ich bin sicher: Das wird auch von einem großen Erfolg getragen sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich auf den aus meiner Sicht beachtenswerten Antrag der CDU zu § 12 des LPlG etwas ausführlicher eingehe, erlauben Sie mir einige grundsätzliche fachliche Ausführungen zu dem Ihnen heute ebenfalls vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung zur Neufassung des Landesplanungsgesetzes NRW.

Herr Wüst hat das Thema aus meiner Sicht leider völlig verfehlt. Er hat sich weitestgehend über den LEP ausgelassen. Nur, das steht heute nicht auf der Tagesordnung.

Sowohl die vorab beteiligten Regionalplanungsbehörden als auch die kommunalen Spitzenverbände begrüßen uneingeschränkt, dass die Vielzahl der bisherigen Doppelregelungen in Bezug auf das Raumordnungsgesetz als Bundesgesetz entfallen sollen und die jetzt vorgelegte Fassung des Landesplanungsgesetzes somit zu einer deutlichen Rechtssicherheit und Klarheit beiträgt.

Zukünftig sprechen wir nur noch von einem Landesplanungsgesetz, nachdem das Landesentwicklungsprogramm und die anderen Regelwerke zwischenzeitlich ausgelaufen sind. Die nachgeordneten Planungsbehörden – da bin ich mir sicher – sollten also mit diesem Entwurf gut leben können, aber nicht nur diese.

Durch die Festlegung einer umfassenden Öffentlichkeitsbeteiligung für Raumordnungsverfahren wird einer politischen Forderung zu Recht voll inhaltlich entsprochen. Bei Aufstellung und Änderung von Regionalplänen ist zukünftig eine elektronische Auslegung nun erstmals verpflichtend vorgesehen. Das ist ein wegweisender, aus meiner Sicht aber auch ein sinnvoller Schritt zu einer qualifizierten Öffentlichkeitsbeteiligung.

Für die Regionalplanungsbehörden als Träger der Regionalplanung ist es besonders wichtig, dass die Rechtswirksamkeit des aus dem LEP entwickelten Regionalplanes Bestand entfaltet, sollte der LEP selbst oder in Teilen unwirksam werden. Dies – ich denke, da stimmen Sie mir alle zu – kann keine Landesregierung trotz aller Sorgfalt für alle Detailregelungen ausschließen. Auf die geplante Abschaffung der Informationsrechte des Braunkohlenausschusses wird verzichtet.

Ferner wird es zukünftig in allen Verfahren zu Braunkohleabbauvorhaben keine Einschränkungen der Umweltverträglichkeitsprüfungen geben. Der Minister hat es angesprochen: Die generelle Kopplung von Vorrang und Eignungsgebieten auf der Ebene der Landesplanung entfällt zukünftig. Die Regionalplanung wird hierdurch in ihren Festlegungsmöglichkeiten zukünftig nicht eingeschränkt, sondern faktisch eher gestärkt.

Die substanziell wichtigsten Aussagen entfaltet der Gesetzentwurf in § 16, der sich mit dem Instrument der Zielabweichungen befasst. Beim LEP bleibt die Landesplanungsbehörde wie bisher für das gesonderte Verfahren ergänzend zum Raumordnungsgesetz zuständig. Bei den Regionalplänen ist zukünftig sichergestellt, dass das Einvernehmen mit der Belegenheitskommune und dem regionalen Planungsträger garantiert ist, mit Ausnahme – auch darauf hat der Minister hingewiesen – von baulichen Anlagen des Bundes und des Landes, die einer besonderen öffentlichen Zweckbindung im Sinne des § 37 Baugesetzbuch unterliegen.

Um das an dieser Stelle noch einmal klarzumachen: Damit sind keine überregionalen Straßen oder Vergleichbares gemeint, sondern zum Beispiel Forensikstandorte und Justizvollzugsanstalten. Auch hier gilt – das, finde ich, ist besonders wichtig –, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt sein dürfen.

Zum CDU-Antrag: Natürlich werden wir der Überweisung in die Fachausschüsse heute zustimmen. Ich denke, das ist selbstverständlich. Aber ich muss Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, dass ich beim Lesen Ihres Antrages gezweifelt habe, ob Sie die Rechtssystematik der Landesplanung wirklich verstanden haben.

Der Reihe nach: Was haben Sie gemacht?

Zuerst einmal haben Sie – nahezu wortwörtlich – die Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände und der Clearingstelle Mittelstandsvereinigung zum Landesentwicklungsplan eins zu eins übernommen. Das – erlauben Sie mir die Feststellung – ist schon eine wirklich peinliche Nummer.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber ich denke, Karl-Theodor zu Guttenberg hätte seine helle Freude daran gehabt.

Sie kommen zu der aus meiner Sicht nur schwer nachvollziehbaren Einschätzung, dass das – Herr Wüst, Sie haben das angesprochen –, was im Klimaschutzplan in Bezug auf das LEP-Verfahren zurecht nicht gepasst hat, dann auch nicht für das Landesplanungsgesetz gelten könne. – Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, genau da gehört es hin. Der LEP – und das ist der Unterschied – legt als Ergebnis die unterschiedlichen Ansprüche an einen Raum nach einem abgeschlossenen Abwägungsprozess dar. Grundsätzliche Aussagen trifft das Landesplanungsgesetz.

Insofern wird auch deutlich, weshalb die kommunalen Spitzenverbände und die Regionalplanungsbehörden ihre rechtlichen Bedenken im Rahmen der Anhörung zum Landesplanungsgesetz in der Sommerpause an dieser Stelle nicht wiederholt haben. Vielleicht denken Sie bis zu den Fachausschussberatungen hierüber noch einmal nach oder lassen sich beraten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Goldmann. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Ellerbrock.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren – heute besonders Herr Lersch-Mense: Welcome in the club! Meine Damen und Herren, das Landesplanungsgesetz ist zwar staubtrocken, aber für die langfristige Landesentwicklung ausgesprochen wichtig.

Das wir das Landesplanungsgesetz aktualisieren und Doppelregelungen herausnehmen – das ist alles klar.

Hinsichtlich der Entfristung sind wir als FDP – das meine ich genauso, wie ich es jetzt sage – der Meinung: Richtig ist, was richtig ist – unabhängig von der Farbe. Deswegen haben wir den Antrag eingebracht. Ich würde mich freuen, wenn dieser Antrag entsprechend – wie ich es Ihren Worten entnommen habe – gewertet wird. Denn diese Aufforderung zur Entfristung – auch das gehört zur Wahrheit, Herr Kollege Eiskirch – kommt von der Bochumer Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz. Das war richtig, und wir haben uns darüber ausgetauscht. Das ist in Ordnung.

(Thomas Eiskirch [SPD]: Sagen Sie das den Kollegen aus der CDU!)

Hinsichtlich der Äußerungen des Kollegen Wüst bezüglich des Klimaschutzes: Den Antrag teilen wir. Da haben wir eine klare Aufstellung. Aber im Detail müssen wir im Ausschuss darüber reden.

Noch einmal zu § 12 des Gesetzentwurfs: Herr Lersch-Mense, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen sehr ernsthaft überlegen: Wollen wir wirklich Vorranggebiete – das hört sich jetzt alles sehr technisch an –, Eignungsgebiete und Vorbehaltsgebiete aufgeben? Darüber müssen wir uns unterhalten. Wenn wir eine Steuerung wollen, dann müssen wir am Darstellungsprinzip festhalten. Das hat auch – entgegen manchem vorgeschobenen Grund der Kommunen, die froh sind, wenn sie Darstellungsprivileg haben und sie daran gebunden sind –Vorteile. Ich selbst bin da gespalten.

Ich glaube, dass die Diskussion im Ausschuss interessant werden wird. Wollen wir so tief in die kommunale Planungshoheit eingreifen, ja oder nein? Es hat eine Menge Vorteile und führt auch zu einer Menge Rechtssicherheit. Auf der anderen Seite wollen wir natürlich den Kommunen entgegenkommen.

Von daher gehen Sie in § 16 – Zielabweichungsverfahren – anders vor. Nach meiner Überzeugung gibt es dort einen Systembruch. Wenn man Zielabweichungsverfahren auf Landesebene durchführt, dann ist das Benehmen des Ausschusses maßgeblich. Wenn wir das auf regionaler Ebene durchführen wollen, dann ist das Einvernehmen des regionalen Planungsträgers notwendig. Da meine ich – auch im Sinne des Selbstbewusstseins dieses Hauses –: Wenn auf der regionalen Ebene das Einvernehmen da sein muss, dann muss auch auf der Ebene des Landtags im Ausschuss das Einvernehmen vorhanden sein. Es ist mir nicht ganz klar, warum es dort solche Unterschiede gibt.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass man dort um des Konsens willen – ich will nicht sagen: Konsens bis zum Nonsens – den Konsensgedanken ein bisschen übertrieben hat. Da müssen wir systematisch auf den richtigen Weg kommen.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Aspekt fußt auf § 15 – Planerhaltung. Herr Kollege Goldmann hatte darauf hingewiesen, dass dies ein systemtechnisch wichtiger Punkt ist. Bei einem solch komplizierten Werk bestehen Rechtsunsicherheiten. Wir haben unsere Rechtsunsicherheit im Landesentwicklungsplan und sehen das. Kann es richtig sein, eine Negativplanung zu verantworten, was sonst unzulässig ist? Im Bereich Fracking sagen wir: Da darf gar nichts passieren. Dort machen wir eine solche Negativplanung. Darf das da drin sein? Mit den Vorgaben zum Nationalpark gehen wir sehr stark in die kommunale Planungshoheit. Das stellen wir auch infrage.

Zu der Frage der landesbedeutsamen und nichtlandesbedeutsamen Flughäfen und Häfen: Das sind alles Fragen, die große rechtliche Unwägbarkeiten beinhalten. Das Gesamtwerk, Herr Goldmann, da gebe ich Ihnen recht, soll bei hier im Einzelfall unterschiedlichen Fragestellungen hinsichtlich der Rechtssicherheit gewahrt bleiben. Da stimme ich Ihnen völlig zu.

Meine Damen und Herren, kurz ansprechen möchte ich noch den CDU-Antrag. Hier ist das System betroffen – Herr Lersch-Mense, da müssten Sie eigentlich aufstehen –: Landesplanung ist übergeordnet, überörtlich und zusammenfassend. Es kann doch nicht sein, dass wir den einen Faktor Klimaschutz als dominierend ansehen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Man kann natürlich sagen: Klimaschutz ist allumfassend. Klima ist ein Fachbeitrag. Wasser ist das wichtigste Lebensmittel, das wir haben. Also müssen wir einen wasserwirtschaftlichen Fachbeitrag nehmen.

(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])

– Ja, Herr Kollege, das ist richtig.

Dann müssten wir diesen Fachbereich nehmen, und sagen: Alles muss sich dem Wasser unterordnen. Wir können auch sagen, dass Luft zum Atmen wichtig ist. Deswegen muss der Emissionsschutz den absoluten Stellenwert haben, dem sich alles unterordnen muss. Wir haben auch den Begriff Gewerbe/Industrie/Handwerk. Das würde heißen: Industrieansiedlungsbereiche müssten die absolute Dominanz haben, denn Arbeit gehört zum Leben und ist nicht nur Geldverdienen. Arbeit bedeutet Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und hat etwas mit Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Eigenverantwortung zu tun – also müsste das rein.

Dafür ist die Landesplanung da: übergeordnet, zusammenfassend und übergreifend. Da müssten Sie als unser – jetzt fachbezogen – Minister eigentlich mit dem Kollegen Remmel reden. Im Gespräch habe ich überhaupt keine Probleme mit ihm, denn er sieht viele Sachen ähnlich, hat aber andere Schwerpunkte. Das ist richtig.

(Beifall von der FDP)

Es ist aber Ihre Aufgabe, verbunden mit dem entsprechenden Ärger – der kommt Ihnen jetzt dienstgradmäßig zu –, das in eine vernünftige Regelung zu bringen. Dabei wünschen wir Ihnen viel Glück!

(Beifall von der FDP)

Kollege Eiskirch, Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen eine gute Hand! – Ich muss eines sagen: Es gibt in diesem Landtag bei aller unterschiedlichen Interpretation mancher Grundlagen Kolleginnen und Kollegen – Sie gehören dazu, die Kollegen Remmel und Priggen, aber auch der Kollege Wüst gehören für mich dazu –, die sich immer über die Grundwerte verständigen konnten. Wir haben – auch das war der Fall – unterschiedliche Interpretationen bezüglich der Zielerreichung gehabt. Wir sind da aber nie unterhalb der Gürtellinie gewesen. Für diese sachliche Auseinandersetzung und auch den sachlichen Gedankenaustausch – das sage ich einfach einmal so – habe ich bei den eben Genannten immer ein offenes Ohr gefunden. Wir haben uns auch abseits der unterschiedlichen politischen Vorstellungen ganz vernünftig darüber austauschen können. Das sollte man bei allem Klamauk, den es manchmal gibt – „Klamauk“ als engagiertes Streiten für die Sache verstanden –, nicht vergessen.

Ich sage Ihnen schönen Dank und wünsche Ihnen wirklich von Herzen alles Gute zum Wohl Bochums und der Region. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ellerbrock. – Nun spricht für die Piratenfraktion Frau Brand.

Simone Brand (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer hier und zu Hause! Die Überarbeitung des Landesplanungsgesetzes dient nach Aussage der Landesregierung vor allem der Deregulierung, der Schaffung einer generellen Öffentlichkeitsbeteiligung und der Neubestimmung von Zielabweichungsverfahren für Regionalpläne. Leider macht sich die Landesregierung keine besondere Mühe, sich selber zu erklären. So bleibt es uns überlassen, in der Wildnis des bürokratischen Versteckspiels nach Indizien für die genannten Lösungsansätze zu fahnden.

Fangen wir mit der Deregulierung an. Vorneweg: Deregulierung ist kein Selbstzweck. Wo geregelte Verfahren der Rechtssicherheit dienen, haben sie zunächst ihre Berechtigung. Wo Regeln gar dem Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung dienen, sind sie unverzichtbar. Insofern haben sich Maßnahmen zur Verschlankung von rechtlichen Bestimmungen immer hinsichtlich der daraus folgenden Konsequenzen – zum Beispiel für die gelebte Demokratie – zu erklären.

Um ehrlich zu sein, ich habe aber gar keine Hinweise auf Deregulierung gefunden. Das Gesetz wird gewissermaßen nur entschlackt, wo geänderte Rahmenbedingungen dies erfordern. Damit wird Klarheit geschaffen, die wir begrüßen – mehr aber auch erst einmal nicht.

Ein gern prominent betonter Aspekt ist die verbesserte Öffentlichkeitsbeteiligung. Dazu hätten wir aber wirklich gerne deutlich mehr gelesen. Der Entwurf bleibt hier meilenweit nicht nur hinter den eigenen Ansprüchen zurück, sondern ignoriert zum Beispiel auch, was anderswo längst gelebte gute Praxis ist. Öffentlichkeitsbeteiligung ist ja mehr als nur die Schaffung der prinzipiellen Möglichkeit – erst recht, wenn die in den juristischen Untiefen eines Entwurfs fast verloren geht. Öffentlichkeitsbeteiligung ist eine Bring- und Holschuld des Gesetzgebers.

(Beifall von den PIRATEN)

Angesichts der am letzten Sonntag wieder erlebten historisch niedrigen Wahlbeteiligung sollte es wirklich keine Frage mehr sein, dass wir – und vor allem die Regierung – in diesem Haus in der Pflicht stehen. Es sind nicht die Menschen, die ihr Recht einklagen müssen: Wir sind es, die dieses Recht aktiv bewerben und ernsthaft anbieten müssen. Wer wirklich will, dass sich die Menschen draußen im Land an der politischen Willensbildung beteiligen, muss immer – und im Landesplanungsgesetz sowieso – alle erdenklichen Voraussetzungen dafür schaffen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir brauchen hier dringend eine Umkehr der Logik. Nicht die Bürgerinnen und Bürger müssen ihr Recht einklagen müssen. Der Gesetzgeber hat von vornherein alle Menschen im Land einzuladen, ja geradezu aufzufordern, die bestehenden demokratischen Beteiligungsrechte wahrzunehmen. Dafür sind Angebote zu entwickeln, wie sie zum Beispiel in den Niederlanden seit Jahren existieren. Dort wurde schon vor Jahren gerade für die Regionalplanung eine Institution geschaffen, deren originärer Zweck es ist, dafür zu sorgen, dass sich möglichst viele Menschen möglichst intensiv am Planungsprozess beteiligen. Das ist sozusagen staatlich organisierte und optimierte Transparenz- und Konsenspolitik.

Davon aber können wir in Nordrhein-Westfalen wohl weiterhin nur träumen. Das muss nicht sein. Dass sich die CDU in ihrem Antiklimaschutzplanantrag offen darauf beruft, dass die Landesregierung auf eine Umsetzungspflicht des Klimaschutzplans beziehungsweise des Klimaschutzkonzepts im Landesentwicklungsplan verzichtet, zeigt, dass wir hier noch ganz dicke Bretter zu bohren haben.

Auch wenn wir sehen, dass die in § 12 vorgesehene Umsetzungspflicht womöglich gegen das normierte Verhältnis der Fachplanung zur Raumordnung verstoßen könnte, ist die Verankerung des Klimaschutzkonzeptes doch essenziell. Wenn die Politik immer dann, wenn es ein bisschen wehtun könnte, Angst vor der eigenen Courage bekommt, können wir es uns eigentlich gleich schenken.

Was wir brauchen, ist ein Landesplanungsgesetz, das eine zukünftige Landesentwicklung ermöglicht. Und die kriegt man nicht ohne Klimaschutz – erst recht nicht ohne die Menschen in diesem Land.

Zum Schluss dir, Oliver, gute Besserung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir haben zwei Überweisungen vorzunehmen, und zwar entscheiden wir erstens über die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/9809. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend – sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig überwiesen.

Zweitens wird der Gesetzentwurf Drucksache 16/9805 – wenn Sie es so wollen – überwiesen. Der Ältestenrat empfiehlt nämlich die Überweisung des Gesetzentwurfes an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend – sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das alles ist nicht der Fall. Es ist auch hier einstimmig überwiesen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

4   Den sogenannten ökologischen Abfallwirtschaftsplan zurückziehen und im Sinne der Nachhaltigkeit neu ausrichten

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9804 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Deppe.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die heutige Debatte beantragt, um der Landesregierung noch einmal die Chance zu verschaffen, den sogenannten ökologischen Abfallwirtschaftsplan komplett zu überarbeiten. Spätestens die Anhörung am 31. August muss auch für Sie unübersehbar deutlich gemacht haben, dass dieser Plan so nicht in Kraft treten sollte.

Ich zitiere jetzt im Folgenden ausschließlich die Sachverständigen der Anhörung:

„Man kann sich aus formalen Gründen … darauf beschränken, nur die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsmengen in den Blick zu nehmen. … Dies ist … zu kurz gegriffen, wenn man daraus Schlussfolgerungen für die Frage ableiten möchte, ob die Kapazitäten richtig bemessen sind …“

„Das Prinzip der Nähe, das mit diesen Regionen umgesetzt werden soll, wird im Grunde nicht erfüllt; … Auch hier kann man nicht von einer Umsetzung des Prinzips der Nähe sprechen, weil es über den Regionenzuschnitt zwangsläufig immer zu Problemen in den Grenzbereichen … kommen wird.“

„Wenn das vorliegende Modell für verbindlich erklärt wird, kommen wir nicht umhin, uns andere Kooperationspartner zu suchen, und das wäre sicherlich kontraproduktiv; denn diese Partnerschaften sind gewachsen.“

„Dabei dürften die Entsorgungsregionen sozusagen keinen Todesstoß versetzen können; denn das A und O der ganzen Geschichte ist, jetzt zu versuchen, vernünftige Entsorgungsregionen auf freiwilliger Grundlage mit Kooperationen zu schaffen, die dann auch … positiv gelebt werden, …“

„Die Frage lautete, ob die Darstellungen im AWP zur Deponierung von Abfällen ausreichend seien. Das kann ich ganz klar mit Nein be-antworten.“

„Wenn man nicht weiter ausbaut, ist das Deponievolumen in Nordrhein-Westfalen für die Deponieklasse I in drei Jahren er-schöpft.“

„Heute das Thema nicht offensiv anzugehen, bedeutet, den Entsorgungsnotstand von morgen in Kauf zu nehmen.“

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Richtig!)

„Es macht nämlich wenig Sinn, vorher in die stoffliche Verwertung zu gehen und danach durch Sortieranlagen zu schicken, nicht auf die Qualität zu achten und am Ende doch wieder einen großen Teil der vorher getrennt erfassten Fraktionen in eine Verbrennung zu schieben.“

„Diejenigen mit Vorbildcharakter nach vorne zu stellen bringt vermutlich mehr, als mit der Keule zu drohen.“

So einige Zitate, die, glaube ich, ganz gut die Themenvielfalt beschreiben, die wir diskutiert haben. Wir haben es in unserem Antrag ausführlicher beschrieben, als man es hier darstellen kann.

Die Datenbasis des Abfallwirtschaftsplans ist seit fünf Jahren veraltet. Die Gewerbeabfallmengen fehlen komplett. Die beschriebenen Überkapazitäten bei der Verbrennung gibt es überhaupt nicht. Die Nähe und die gleichmäßige Auslastung werden durch das Fünfregionenmodell gerade nicht erreicht. Die aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen dringend erforderliche Öffnung der Entsorgungsanlagen für Abfallmengen aus dem Ausland fehlt.

Dieser Plan gibt keine Impulse für ein verbessertes stoffliches Recycling. Er schadet den Interessen der Kommunen und der Betreiber. Er kostet die Bürger viel Geld und wird noch nicht einmal den eigenen Ansprüchen gerecht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, nutzen Sie die Chance und ziehen Sie diesen Plan zurück.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Deppe. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Meesters.

Norbert Meesters (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Antrag wird die Landesregierung aufgefordert, wie Herr Deppe gerade ausgeführt hat, den vorgelegten Entwurf des Abfallwirtschaftsplans zurückziehen. Das ist, wie ich finde, ein bemerkenswerter Antrag, aber im negativen Sinne.

Bevor ich auf Ihren Antrag zurückkomme, möchte ich noch einmal auf Start gehen. Worum geht es hier eigentlich? – Mit der Abfallrahmenrichtlinie hat die EU die Mitgliedsstaaten zur Aufstellung von Abfallbewirtschaftungsplänen verpflichtet. In Deutschland sind dafür gemäß Kreislaufwirtschaftsgesetz wiederum, wie Sie wissen, die Länder zuständig.

Beim AWP ist der Blick auf die Siedlungsabfälle zu richten, also Abfälle aus privaten Haushalten und vergleichbaren Einrichtungen. Die Entsorgung des Siedlungsabfalls liegt ausschließlich in der Zuständigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und damit meist bei den Kommunen. Da wir alle Zahlen mögen: In NRW fallen rund 5 Millionen t Siedlungsabfall pro Jahr an. Diese werden in 16 Müllverbrennungsanlagen des Landes entsorgt. Insgesamt umfassen diese Kapazitäten 6,6 Millionen t.

Die weiteren Kapazitäten nutzen alle Müllverbrennungsanlagen zur Verbrennung des anfallenden hausmüllähnlichen Gewerbeabfalls.

Was soll nun die Neuaufstellung des Abfallwirtschaftsplans regeln? – Die Entsorgung möglichst in der Nähe, die Koordinierung einer langfristigen Anpassung der Kapazitäten bei Abfallbehandlungsanlagen und Deponien, Gebührenstabilität und gerechte Abfallgebühren sind das Ziel, die Förderung interkommunaler und regionaler Kooperationen sowie die stärkere Verwertung von Bioabfällen. – So weit die Ausgangslage.

Die Vorstellung des zuständigen Umweltministeriums kennen wir alle; Sie haben ja auf die Vorlage in Ihrem Antrag Bezug genommen. Nun sind wir im Verfahren. Wir müssen bewerten, ob diese Ziele mit dem vorliegenden Entwurf des AWP erreicht werden.

Sie selber haben die Anhörung angesprochen, die vor einem Monat auf Ihren Wunsch hin durchgeführt wurde, den wir gerne im Interesse der Sache unterstützt haben. Das bedeutet, wir sprechen derzeit über den AWP und setzen uns mit den Argumenten auseinander. Viele Gespräche haben gezeigt: Im Verfahren gibt es noch weiteren Diskussionsbedarf. Diese Diskussionen wollen und müssen wir in den nächsten Wochen führen.

Nun kommen Sie mitten im laufenden Diskussionsprozess und wollen den AWP einfach so zurückziehen. Was soll das denn? Der Beratungsprozess ist doch noch gar nicht abgeschlossen. Das Protokoll der Anhörung, auf die Sie sich beziehen, mit vielen wichtigen Hinweisen liegt erst seit einigen Tagen vor. Sie greifen sich einige für Ihre Argumentation passende Stellungnahmen heraus und basteln daraus eine Antragsbegründung, um Tabula rasa zu machen.

Ich kenne das von Ihrer Seite auch aus anderen Verfahren und Debatten über Gesetze hier im Hohen Hause. Sie wollen immer schnell einen Entwurf – ich zitiere – in die Tonne kloppen, einen Gesetzentwurf schreddern oder verschrotten – so Ihre Wortwahl in der Vergangenheit –, als wären Sie eine Art parlamentarisches Entsorgungsunternehmen; das Wortspiel sei mir bei dem Tagesordnungspunkt erlaubt.

Meine Damen und Herren, so geht nur Opposition. Regieren geht anders.

Wir wollen gestalten.

Eine Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag würde den aktuellen Diskussionsprozess einfach nur konterkarieren und brächte uns überhaupt keinen Schritt weiter.

Ihre inhaltlichen Argumente zur Ausgestaltung des Abfallwirtschaftsplanes möchte ich an dieser Stelle erst einmal gar nicht näher bewerten, da Sie am Ende zu einem völlig falschen Schluss kommen. Denn Sie wissen ja, dass der zuständige Minister Remmel bereits Gespräche zu Änderungen auf der VKU-Veranstaltung in Köln angekündigt hat, bei der Sie auch zugegen waren.

Wir als SPD-Fraktion wollen den Diskussionsprozess um den Abfallwirtschaftsplan fortsetzen und zu Ende führen. Wir haben eine gute und sinnvolle Ausgestaltung des AWP nach sorgfältiger Auswertung der Stellungnahmen, Herr Deppe, zum Ziel, und zwar der Stellungnahmen, die uns im Rahmen der von Ihnen gewünschten Anhörung vorgelegt wurden.

Deswegen werden und müssen wir den von Ihnen vorgelegten Antrag ablehnen. Andernfalls würden wir den vielen, die eine Stellungnahme abgegeben haben und die erwarten, dass wir uns damit in aller Sorgfalt und vernünftig auseinandersetzen, nicht gerecht. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Meesters. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Markert, der an seinem Geburtstag auch noch arbeiten muss, wie sich das gehört.

Hans Christian Markert (GRÜNE): Ja, Herr Präsident, da haben Sie in der Tat recht. Es ist aber auch nicht das erste Mal, dass ich die Ehre habe, an meinem Geburtstag hier sprechen zu dürfen. Das ist offensichtlich so vom Präsidium angelegt, dass ich meinen Geburtstag immer hier in großer Runde feiern darf. Das ist wirklich sehr schön.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen haben wir viele Nachrichten aus New York bekommen. Es ging um die Nachhaltigkeitsziele, die die Weltgemeinschaft sich auf die Fahnen geschrieben hat.

Nachhaltigkeit ist letztendlich auch, wenn wir über Abfallpolitik reden, das entscheidende Thema. Soziales, Ökonomisches und Ökologisches gemeinsam denken – darum geht es –, und zwar gleichberechtigt gemeinsam denken.

Wir haben als grüne Fraktion derzeit eine Ausstellung vor unseren Fraktionsräumen vom Eine Welt Netz NRW. Da kann man einen Einblick gewinnen, wie die Weltgemeinschaft mit dieser Thematik umgeht. Das Schlagwort „Buen Vivir“ – „Gutes Leben“ – findet sich beispielsweise in den neuen ecuadorianischen und kolumbianischen Verfassungen. Da geht es darum, die Grundversorgung aller in Harmonie mit der Natur zu einem zentralen Ziel zu entwickeln. Angestrebt wird ein Kreislauf von Produktion und Reproduktion.

Dieser Kreislaufgedanke ist das Gebot der Stunde, wenn wir über Abfälle reden. Denn es geht um Ressourcen. Abfälle sind nicht länger einfach zu verbrennende oder wegzuschmeißende Dinge, sondern Abfälle sind die Rohstoffe der Zukunft. Darum geht es, und darüber müssen wir in der Abfallpolitik viel stärker als in der Vergangenheit reden.

Wenn man sich allein vorstellt, dass bei dem täglichen Griff auf dem Bahnhof zu den Pappbechern, wenn man mal eben einen Kaffee mitnehmen will, für diesen einen Pappbecher ein halber Liter Trinkwasser verbraucht wird, dann wird die Dimension unseres ökonomischen Handelns mit den großen ökologischen Wirkungen konkret. Wenn man sich überlegt, dass 50 % der Lebensmittel, die wir anbauen, gar nicht erst bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern landen, sondern angebaut werden und dann schlicht und einfach untergepflügt, verbrannt oder vernichtet werden, dann wird die Dimension klar, was „Buen Vivir“ – „Gutes Leben“ – eigentlich meint, wenn wir in Kreisläufen denken.

Wenn das der Maßstab unserer Abfallpolitik ist, dann haben wir in Nordrhein-Westfalen die große Aufgabe bei der Novelle des Landesabfallgesetzes eigentlich noch vor uns. Schon jetzt sagt das Kreislaufgesetz des Bundes, also unser nationales Abfallrecht, dass wir die stoffliche Nutzung unserer Abfälle in den Vordergrund stellen müssen. Das ist eine Abkehr von der rein thermischen Verwertung. Die stoffliche Nutzung, der Lebenszyklus von unseren Abfällen, von unseren Produkten, von unseren Bedarfsgegenständen muss sich deutlich verlängern.

Das ist ein Thema, das man natürlich auch bei der Bewertung des Abfallwirtschaftsplans mit einbeziehen muss. Der Abfallwirtschaftsplan muss eben nachhaltig sein, dann muss er ökonomisch, dann muss er sozial und dann muss er ökologisch sein.

Ich finde den Punkt, den Kollege Meesters eben angesprochen hat und der auch in den Anhörungen eine große Rolle gespielt hat, sehr wichtig, nämlich die Frage des Prinzips der Nähe. Wie setzen wir eigentlich diese europarechtliche Vorgabe um? Wie schaffen wir es, dass die Abfälle einer Region tatsächlich in einer Region verwertet, entsorgt oder weiter genutzt werden? Darin besteht die Herausforderung.

Darum ist auch der Ansatz mit den Entsorgungsregionen grundsätzlich richtig. Das haben in den Anhörungen viele Vertreter genauso bestätigt. Die Frage ist, wie wir die Entsorgungsregionen stricken und wie wir das möglichst gerecht machen, sodass dabei beim Gebührenzahler auch eine landesweite Gerechtigkeit entsteht. Das ist im Grunde genommen die große Herausforderung.

Meine Damen und Herren von der CDU, ich habe den Eindruck, dass in der abfallpolitischen Diskussion zu sehr die Kreise im Vordergrund stehen, die nie eine Entsorgungsanlage gebaut haben. Es ist der Kreis Heinsberg und auch der Rhein-Kreis Neuss, die für sich in Anspruch nehmen, die Abfälle, die in diesen Kreisen entstehen, marktwirtschaftlich am günstigsten in anderen Regionen zu entsorgen, wo solche Anlagen gebaut worden sind. Das führt natürlich in der Tat zu einer Schieflage. Dann ist es tatsächlich günstig, den Abfall aus Heinsberg zu entsorgen, weil man dort nie eine Entsorgungsanlage finanzieren musste. Die Leute allerdings, die dort wohnen, wo dann verbrannt wird, zahlen für die Verbrennung ihres eigenen Abfalls – das kommt erschwerend hinzu – einen höheren Preis.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen ist für mich und für meine Fraktion bei der Bewertung des Abfallwirtschaftsplans unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten auch die Gebührengerechtigkeit – der soziale Aspekt – richtig. Darum habe ich immer gesagt – ich komme, Herr Präsident, auch an meinem Geburtstag hoffentlich noch halbwegs rechtzeitig zum Ende –, dass für mich die Gebührengerechtigkeit aufs Land bezogen wichtig ist. In Bielefeld und Aachen, im Bergischen Land und an der holländischen Grenze müssen sozial vergleichbare faire Abfallgebühren vorherrschen. Das muss der Maßstab bei der Bewertung sein.

Herr Deppe, Ihr Antrag kommt in der Tat etwas zu früh.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Wir hatten erst vor einigen Wochen eine Anhörung, die noch nicht ausgewertet ist. Am Ende werden wir bei der Auswertung der Anhörung sehen, wie die Regionen tatsächlich gestrickt sind. Ich habe den Eindruck, dass der Abfallwirtschaftsplan eine gute Diskussionsgrundlage ist, auf der sich weiter zu diskutieren lohnt.

Die grundsätzliche Frage einer modernen Kreislaufwirtschaft werden wir dann demnächst bei der Diskussion über das neue Landesabfallgesetz besprechen können. In diesem Sinne: Buen Vivir!

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Markert. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hans Christian Markert, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Das Kernstück des Abfallwirtschaftsplans – wir haben es schon gehört – ist die Einführung von Entsorgungsregionen. Das begründet die Landesregierung – auch das haben wir gerade schon gehört – mit dem Prinzip der Nähe aus dem EU-Recht.

Ich meine aber, dass das Prinzip der Nähe durch die starren Grenzen dieser nach Ihren Plänen jetzt neu zu schaffenden Regionen ad absurdum geführt wird. Wenn wir überhaupt über das Prinzip der Nähe sprechen, müsste man eigentlich mit dem Zirkel um jede einzelne Stadt Kreise ziehen, um individuell die Nähe zu jeder einzelnen Stadt festzustellen. So aber wird das Ganze zu völlig verrückten Auswirkungen in der Praxis führen.

In der Anhörung haben wir einige Beispiele dazu gehört, wie der Kollege Deppe schon angesprochen hat. Zur Stadt Dormagen, Rhein-Kreis Neuss, lieber Hans Christian Markert: 10 km beträgt die Entfernung zur Verbrennungsanlage in Köln. Das ist aber nicht mehr die Region. 90 km bis nach Aachen sind jedoch erlaubt. – Was das mit dem Prinzip der Nähe zu tun hat, ist mir noch nicht deutlich geworden. Aber Zahlen waren noch nie das Ding der rot-grünen Landesregierung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie verwenden also nicht nur ein falsches Instrument, sondern das von Ihnen gewählte Instrument ist sogar noch unwirksam. Zu guter Letzt halten Sie daran auch noch fest.

Herr Kollege Meesters, dann kann man natürlich sagen: Wir arbeiten daran; wir diskutieren das. – In welche Richtung das Ganze gehen könnte, haben Sie diesem Hohen Hause heute aber verschwiegen. Dazu haben Sie nicht ein Wort gesagt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unabhängig davon gilt – selbst wenn das Prinzip der Nähe mit diesem Abfallwirtschaftsplan gestaltbar wäre –: Wir haben in der Anhörung auch gehört, dass der Transport weniger als 1 % der Gesamtemissionen ausmacht. Das ist unseres Erachtens ein Grund mehr, das Prinzip der Nähe europaweit zu sehen. Mindestens aber müssten wir an dieser Stelle eine ehrliche Gesamtbilanz aufstellen. Eine umfassende, ganzheitliche Betrachtung auch von Emissionen im gesamten Verlauf scheint allerdings nicht gewünscht zu sein.

Die Realität und vor allem auch die übergeordnete Gesetzgebung müssen sich eben der Ideologie und der Meinung von Umweltminister Remmel anpassen. Herr Minister, Ihre Meinung scheint festzustehen. Darum sollen wir Sie bitte nicht weiter mit Tatsachen verwirren. Interesse an einer Fachdebatte besteht offensichtlich nicht.

(Beifall von der FDP – Beifall von den GRÜNEN)

Ein Beleg dafür: Die FDP-Fraktion hatte schon im Mai dieses Jahres für die Sitzung des Umweltausschusses angefragt, was denn die zentralen Kritikpunkte bei der vom Ministerium durchgeführten Verbändeanhörung gewesen seien. Im Prinzip gab es darauf keinerlei Antwort. Es gab den pauschalen Hinweis, das Konzept der Entsorgungsregionen sei durchaus kritisiert worden. Das Ergebnis dieser Kritik war: Na ja, dann machen wir nicht drei Regionen, sondern wir schränken das Ganze noch mehr ein und machen jetzt fünf Regionen daraus.

Bei der Parlamentsanhörung in diesem Plenarsaal kam dann heraus: Sie hatten schon seit Oktober letzten Jahres ein Schreiben des Bundeskartellamtes, das darauf hingewiesen hat, das wettbewerbs- und kartellrechtlich jegliche Einführung von Regionen abzulehnen sei.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Ministerium hat nicht nur Hinweise verschiedenster Verbände und auch des Kartellamtes einfach nicht weitergegeben; es hat sie ignoriert und tut dabei auch noch so, als sei es fachlich auf der richtigen Spur.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ihre Meinung steht fest. Also verwirren wir Sie nicht weiter mit Tatsachen. Sie sprechen von Überkapazitäten bei der Müllverbrennung. Die Anhörung aber hat etwas anderes ergeben. Es ist ein Fehler – ein Fehler, der die Bürgerinnen und Bürger möglicherweise teuer zu stehen kommt –, sich formal auf die reine Betrachtung des Hausmülls, des Siedlungsabfalls, zurückzuziehen. Darauf haben in der Anhörung übrigens auch die kommunalen Spitzenverbände hingewiesen. Es müssen eben auch die Abfälle aus dem gewerblichen Bereich mitberücksichtigt werden.

Der Herr Minister und der Kollege Meesters haben es schon angesprochen – der Kollege Markert hat es auch gesagt –:

(Norbert Meesters [SPD]: Dann muss ja etwas dran sein!)

Ziel an sich soll sein, Gebührenstabilität und Gebührengerechtigkeit zu erreichen. Sie greifen dazu in den Wettbewerb ein. Sie nutzen planwirtschaftliche Instrumente. Ich meine, Sie sollten ehrlich sein. Schenken Sie den Leuten doch reinen Wein ein. Sie meinen doch gar nicht „Gebührenstabilität“ – das ist ja ein Euphemismus sondergleichen –, sondern Sie meinen „gleich teuer und gleich ineffizient für alle“. Das bezahlen am Ende übrigens insbesondere die Familien in diesem Lande. Das halte ich für unfair.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Was wäre zu tun? Sie müssten Wettbewerb zulassen bei klaren, gerne auch ambitionierten ökologischen Standards. Dafür müssten Sie sich von den Entsorgungsregionen direkt verabschieden. Unsere Müllverbrennungsanlagen scheuen international keinen Vergleich. Vereinfachen Sie darum doch Müllimporte zumindest aus den Ländern, in denen der Müll aktuell alternativ auf Deponien landet – mit den Emissionen und Nachwirkungen, die wir alle kennen. Da könnten Sie etwas tun – sowohl für die Umwelt als auch für das Klima als auch für Arbeitsplätze als auch für die Wertschöpfung in Nordrhein-Westfalen. Lieber Kollege Markert, das wäre doch genau die Nachhaltigkeit, die Sie eben eingefordert haben.

(Beifall von der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Entwurf des Abfallwirtschaftsplans ist so verkorkst, dass Schönheitsoperationen bei laufender Fahrt das Ganze nur noch viel, viel schlimmer machen würden. Darum gibt es nur eine Lösung: Dieser Abfallwirtschaftsplan muss zurückgezogen werden.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Als nächste Rednerin spricht Frau Brand für die Piratenfraktion.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Mit dem ökologischen Abfallwirtschaftsplan will die Landesregierung die EU-Abfallrahmenrichtlinie umsetzen und Entsorgungssicherheit sowie eine Vergleichmäßigung der Abfallgebühren herstellen. Die dazu vorgesehene Bildung von fünf Entsorgungsregionen war das Hauptthema einer Anhörung zu dem Entwurf.

Wir teilen die Ziele der Landesregierung. Die Priorität liegt auf: Abfallvermeidung und Wiederverwertung, so wenig Müllverbrennung wie möglich und kein Mülltourismus.

Ob das mit dem Entwurf der Landesregierung erreicht werden kann, bezweifeln wir aber. Wir meinen, dass der Entwurf der Landesregierung überarbeitet und verbessert werden muss. Nach der Abfallvermeidung muss es eine klare Priorität der vier Ebenen Upcycling, Recycling, Downcycling und Deponieverbrennung geben, und zwar in genau dieser Reihenfolge.

Für uns priorisiert der Entwurf hier nicht ausreichend. Es hilft aber nicht, ihn ganz zurückzuziehen; er ist so schlecht nicht, dass er ganz neu geschrieben werden müsste, aber er ist deutlich verbesserungswürdig. Wenn wir daher jetzt den Antrag der CDU ablehnen, die Landesregierung aufzufordern, den Entwurf zurückzuziehen, bedeutet das keine Zustimmung unsererseits zum Entwurf. Er ist für uns in dieser Form noch nicht zustimmungsfähig.

Wir übernehmen den Appell auf Neuausrichtung im Sinne der Nachhaltigkeit aus der Antragsüberschrift und fordern die Landesregierung auf, bei der fälligen Überarbeitung und Verbesserung genau darauf zu achten. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich nehme gerne zum derzeit vorliegenden Entwurf des Abfallwirtschaftsplanes Stellung, wobei ich meine, dass der vorliegende Antrag der CDU, aber auch die Redebeiträge gerade vonseiten der Opposition aus der Fraktion der CDU und auch aus der Fraktion der FDP in weiten Teilen das Thema nicht richtig treffen.

Wir sprechen über die Regelungskompetenz, die nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz und dem Abfallgesetz sowie aufgrund der europäischen Rahmenbedingungen dem Land zugewiesen ist. Das beschränkt sich, meine sehr verehrten Damen und Herren – und insofern ist das, was Sie hier betreiben, etwas nebulös und verwirrend –, auf die Siedlungsabfälle. Dazu müssen wir eine Regelung treffen, um die Entsorgungssicherheit zu gewährleisten, um dem Prinzip der Nähe Geltung zu verschaffen und auch – was Sie an dieser Stelle immer verschweigen, was aber dazugehört – das Prinzip der Autarkie zu beachten. Das heißt, dass wir innerhalb unserer Landesgrenzen unseren eigenen Siedlungsabfall behandeln, entsorgen, möglichst nicht zustande kommen lassen und wiederverwerten. Das ist die Regelungskompetenz, die uns hier zusteht. Nicht mehr und nicht weniger!

Über Gewerbeabfall können wir gerne philosophieren. Aber die Hausaufgaben in Sachen Gewerbeabfall müssen an anderer Stelle gemacht werden, weil sie nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz überhaupt nicht der Regelungskompetenz der öffentlichen Hand unterliegen, sondern sozusagen frei handelbar als Ware, als Wirtschaftsgut zur Verfügung stehen.

Lieber Herr Deppe, da wünsche ich mir schon, dass Sie die Landesregierung in ihrem Bestreben, eine wirklich umfassende Rohstoff- und Recyclingwirtschaft auf den Weg zu bringen, unterstützen würden, beim Bund endlich – „endlich“ sage ich an dieser Stelle – ein umfassendes Wirtschaftsgesetz auf den Weg zu bringen.

Denn der viel größere Teil der Wertstoffe und Rohstoffe befindet sich tatsächlich im Gewerbeabfall, aber wir bekommen derzeit weder ein Wertstoffgesetz, das die Große Koalition verabredet hat, noch eine Umsetzung der Gewerbeabfallverordnung. Wir als Landesregierung plädieren dafür, beides in einem umfassenden Wertstoffgesetz auf Bundesebene endlich zu regeln, um hier die Abfallhierarchie zum Tragen zu bringen.

Wenn Sie den Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern draußen im Lande die Systematik erklären würden, würde auch schnell klar, was wir regeln können und wo wir vielleicht mit einem ökologischen Abfallwirtschaftsplan einerseits dazu beitragen können, dass die Gebühren stabil bleiben, und andererseits dafür sorgen können, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht für die Abfallverbrennung von Gewerbeabfällen aufkommen müssen. Erklären Sie doch einmal, warum in den Anlagen von Nordrhein-Westfalen die Bürgerinnen und Bürger 80 € bis 160 € je Tonne und darüber hinaus zahlen müssen, aber der Gewerbeabfall bei 30 bis 60 € liegt! Der gleiche Abfall, aber ein unterschiedlicher Preis!

Das führt meines Erachtens dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger sozusagen die Entsorgung des Gewerbemülls mitfinanzieren. Das darf nicht sein. Deshalb brauchen wir eine solche Regelung auf Bundesebene, um hier Klarheit zu schaffen.

Der Abfallwirtschaftsplan in Nordrhein-Westfalen soll Entsorgungssicherheit gewährleisten. Das macht er, meine sehr verehrten Damen und Herren. Aber er greift nicht in den Wettbewerb ein, wie das Kartellamt mutmaßt, sondern lässt Wettbewerb in den entsprechenden Regionen zu. Das Kartellamt sieht an dieser Stelle eindeutig nicht, dass aufgrund des Kreislaufwirtschaftsgesetzes die Möglichkeit bestehen würde – so war auch der ursprüngliche Impuls –, Einzelzuweisungen zu konkreten Anlagen zu treffen. Das ist die politische Forderung gewesen, die wir bewusst als milderes Mittel eben nicht gewählt haben, sondern hier ist das mildere Mittel die Bildung von Entsorgungsregionen, um in einer solchen Region die Möglichkeit eines Wettbewerbs zu gewährleisten.

Darüber hinaus führt es zur Verwirrung, über Deponiekapazitäten zu sprechen, die mit dem Abfallwirtschaftsplan bezogen auf die Siedlungsabfälle überhaupt nichts zu tun haben. Es geht um DK-I-Deponien. DK-I-Deponien beziehen sich vor allem auf die Notwendigkeit, Baustoffabfälle, Erdabfälle, Industrieabfälle mit leichter Belastung unterzubringen. Da ist es Aufgabe der kommunalen Seite und der Regionalplanung, hier für ausreichende Kapazitäten zu sorgen.

Wir haben das ganze Verfahren unterstützt, indem wir ein entsprechendes Gutachten auf den Weg gebracht haben, das die Notwendigkeit weiterer Ausweisung unterstreicht. Aber mit dem Abfallwirtschaftsplan, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat das nichts zu tun.

(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])

Auch das als Klarstellung: Es steht ausdrücklich im Abfallwirtschaftsplan, dass bestehende Kooperationen nicht infrage gestellt werden, das heißt, dass bestehende Kooperationen auch über die Beschlussfassung dieses Abfallwirtschaftsplans hinaus weitergeführt werden können. Insofern besteht hier keine Beeinträchtigung.

Zu guter Letzt noch ein Hinweis auf die Datenbasis: In der Tat liegt hier die Datenbasis des Jahres 2010 zugrunde. Wir können aber nachweisen – das wird Ihnen in Kürze auch zugehen –, dass sich mit den Daten 2011, 2012, 2013 und in der Perspektive 2014 an dem Aufkommens des Siedlungsabfalls kaum etwas geändert hat. Insofern sind die Daten die gleichen, und wir können auf dieser Grundlage eine gute Entscheidung treffen. Das werden wir dann nach der Beratung im Ausschuss auch tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Nun hat sich für die CDU noch einmal Herr Kollege Deppe zu Wort gemeldet.

Rainer Deppe (CDU): Herr Keymis! Meine Damen und Herren! Herr Meesters, man bereitet manchmal eine Rede vor und steckt dann auch in dieser Rede drin; das kenne ich selbst. Aber Sie hätten wenigstens den Antrag einmal lesen können.

(Beifall von der CDU)

Darin haben wir Sie darum gebeten, dass Sie diesen Plan zurückziehen und bis zum 1. Juli 2016, also nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern in einem guten halben Jahr, einen neuen Plan vorlegen. Natürlich sind diese Begriffe wie „in die Tonne kloppen“ völlig fehl am Platze.

Wir haben dann im Folgenden – wenn Sie den Antrag gelesen hätten, wüssten Sie es – auch die Punkte aufgezählt, die in diesem Plan gelöst werden müssen und auf die Sie heute überhaupt keine Antwort gegeben haben. Sie haben gesagt: „Wir sprechen darüber“, aber sind zum Inhalt jede Antwort schuldig geblieben.

Die Sachverständigen haben ja nicht ohne Grund erklärt, dass das Thema „Autarkie“ überhaupt kein Thema ist, weil wir in Nordrhein-Westfalen ausreichend Kapazitäten haben, zumindest was die Verbrennung angeht. Beim Deponieraum sieht es ganz anders aus.

Herr Remmel, dann kann man sich nicht hinstellen und sagen: Wir sind rechtlich nur für den Siedlungsabfall zuständig.

(Minister Johannes Remmel: Das ist aber so!)

Trotzdem brauche ich aber Kapazitäten, um den restlichen Abfall in diesem Lande bewältigen zu können. Im Verbrennungsbereich ist das gewährleistet. Da wollen Sie jetzt die Situation verknappen – mit der Folge, dass Gebühren steigen werden –, und im Deponiebereich machen Sie einfach die Augen zu. Das ist unverantwortlich. Sie kommen damit zwar über den nächsten Wahltermin, aber nicht weiter.

Das hilft unserem Land nicht weiter. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag.

Wenn es Ihnen helfen würde, Herr Meesters, würden wir uns auch damit einverstanden erklären, den Antrag in den Ausschuss zu verweisen, um ihn dort weiter zu diskutieren.

(Norbert Meesters [SPD]: Er wird nicht besser!)

Aber wenn Sie ihn heute ablehnen wollen, können wir auch damit leben. Es ist nur wichtig, dass wir die Probleme, die objektiv bestehen, auch wirklich zu lösen versuchen. Das sehen wir mit Ihrem Plan nicht.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Deppe. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die antragstellendenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt. Daher frage ich: Wer stimmt dem Antrag zu? – CDU und FDP. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD, Grüne und die Fraktion der Piraten. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist der Antrag Drucksache 16/9804 - Neudruck - mit breiter Mehrheit im Hohen Haus abgelehnt worden.

Wir rufen auf:

5   Unterschiedliche Bearbeitungszeiten dürfen nicht zu Ungleichbehandlung führen – Betreuungsgeldanträge bewilligen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9785

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Piratenfraktion Herrn Düngel das Wort.

Daniel Düngel*) (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Kampmann – sie nimmt noch Glückwünsche vom Geburtstagskind entgegen und hört gar nicht zu –,

(Hans Christian Markert [GRÜNE] gratuliert Ministerin Christina Kampmann.)

ich wollte die Gelegenheit nutzen, Sie zu Ihrem neuen Amt zu beglückwünschen und uns aus unserer gemeinschaftlichen Sicht eine gute Zusammenarbeit zu wünschen. Ich hoffe, dass wir an viele Dinge anknüpfen können. Gleich werden Sie ja Ihre erste Rede hier im Hohen Hause halten.

Ich komme nun zu unserem Antrag. Das Betreuungsgeld war zu keiner Zeit ein auch nur irgendwie geeignetes familienpolitisches Instrument. Wir Piraten begrüßen daher die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2015.

Jetzt werden Sie sich fragen, warum ich hier mit einem Antrag stehe, der etwas mit dem Betreuungsgeld zu tun hat. Ich will versuchen, Ihnen das zu erklären. Wir haben durch das Urteil vom 21. Juli 2015 die Situation, dass ab diesem Zeitpunkt keinerlei Betreuungsgeldanträge in den Kommunen mehr bewilligt werden konnten. Es konnten auch die Anträge nicht bewilligt werden, die vor dem 21. Juli 2015 dort eingegangen waren und vielleicht sogar schon in der laufenden Bearbeitung waren, also die Anträge, bei denen Familien fest mit gesetzlich zugesichertem Geld gerechnet haben. Die Kommunen können diese Anträge nicht mehr weiter bearbeiten bzw. sie nicht mehr positiv bescheiden.

Nach Auskunft des Ministeriums sind allein hier in Nordrhein-Westfalen knapp 10.000 Anträge liegen geblieben. Wir sind der Meinung, dass wir diesen Familien helfen müssen. Die Familien haben, wie ich gerade schon sagte, mit diesem Geld gerechnet. Wir fordern in unserem Antrag die Landesregierung auf, eine Übergangslösung zu schaffen, die diesen Familien diese Lücke in irgendeiner Form ausgleicht.

In unserem Antrag stehen bewusst keine Zahlen. Wir geben auch keinen Zeitraum vor, sagen also nicht, dieses Geld solle noch für soundso viele Monate bewilligt werden. Das ist ein Prozess, den wir an das Ministerium weiterleiten und bei der Landesregierung ansiedeln wollen. Dort soll geprüft werden, ob eine Übergangslösung von sechs oder zwölf Monaten, wie viel auch immer, ausreicht. Wir möchten den Familien aber zeigen, dass wir als Land Nordrhein-Westfalen da sind und ihnen helfen wollen.

Wir begrüßen natürlich ebenfalls, dass der rot-grüne Antrag, der heute zunächst auf der Tagesordnung stand und den wir fast auch beraten hätten, mittlerweile erledigt ist. Wir begrüßen die Entscheidung, dass die aus dem Betreuungsgeld freiwerdenden Mittel den Ländern zur Verfügung gestellt werden. Wir werden natürlich überwachen, dass das Geld auch wirklich dort ankommt, wo es gebraucht wird, nämlich bei dem Ausbau und der Finanzierung der Kitas und bei dem Ausbau der frühkindlichen Bildung zum Beispiel im Bereich der Flüchtlinge.

Ich komme noch einmal zurück zu unserem Antrag. Damit schließe ich auch. Ich will ganz klar darstellen: Es geht hier um den Ausgleich einer ungerechten Behandlung von Familien. Jemand, der in Dortmund einen Antrag gestellt hat, hat ihn vielleicht noch bewilligt bekommen, während jemand, der schon eine Woche früher in Bochum oder Oberhausen den entsprechenden Antrag gestellt hat, diesen Antrag nicht mehr bewilligt bekommen hat. Das ist eine Ungerechtigkeit.

Meines Erachtens wäre es eine gerechte Lösung, hier den Stichtag 21. Juli 2015 anzuwenden, um den Familien, die vorher noch den Antrag gestellt haben, zu helfen.

Ich bitte daher freundlich um Zustimmung zu unserem Antrag. Im Übrigen freue ich mich darüber, dass wir uns dazu entscheiden konnten, den Antrag in direkter Abstimmung abzuwickeln; denn es bringt nichts, wenn wir im Landtag im Verfahren noch monatelang über diese Thematik diskutieren. Schließlich muss den Familien jetzt geholfen werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Düngel. – Die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist Frau Kollegin Kopp-Herr.

Regina Kopp-Herr (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ministerin Kampmann! Liebe Christina, auch von mir einen herzlichen Glückwunsch zu dem neuen Amt! Viel Glück bei der Ausübung!

Eine persönliche Bemerkung sei mir gestattet: Es ist schon eine besondere Freude für mich, dass wir heute zu demselben Tagesordnungspunkt reden, wo wir doch nicht nur aus derselben Stadt kommen, sondern auch noch einem Ortsverein angehören.

(Beifall von der SPD)

Die Fraktion der Piraten möchte mit ihrem Antrag eine NRW-eigene Regelung für eine gerechte Übergangslösung unter der Berücksichtigung des Datums der Antragstellung zur Gleichbehandlung aller Antragstellenden erreichen. Die Forderung der Piraten ist unter einem gewissen Gerechtigkeitsgesichtspunkt nachvollziehbar, obwohl ich die Logik schwer nachvollziehen kann, sich auf der einen Seite gegen das Betreuungsgeld auszusprechen und auf der anderen Seite mit diesem Antrag eine Pro-Haltung einzunehmen. Diese Forderung ist jedoch nach gültiger Rechtslage nicht umsetzbar.

Ein Blick auf die Homepage des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend schafft eindeutige Klarheit. Dort ist zu lesen, welche Familien noch Betreuungsgeld erhalten, also welche Familien umfassenden Vertrauensschutz gewährt bekommen.

Familien, die einen Antrag gestellt haben, bei dem der Bewilligungszeitraum in der Zukunft lag oder liegt, erhalten Betreuungsgeld für die Dauer der Bewilligung. Für Familien, die nach dem 21. Juli 2015 einen Bewilligungsbescheid erhalten haben, entscheidet im Einzelfall eine Prüfung, ob Vertrauensschutz gewährleistet ist, also ob Betreuungsgeld noch ausgezahlt werden kann – so die Mitteilung des zuständigen Bundesministeriums. Seit dem 21. Juli 2015 werden keine Bewilligungsbescheide mehr erlassen.

Um es noch einmal ganz deutlich herauszustellen: Es gilt nicht das Datum der Antragstellung, sondern das Datum der Bewilligung des Betreuungsbescheides.

Nach meiner Kenntnis hat sich das Land NRW gemeinsam mit anderen Bundesländern um eine weiter gehende Regelung bemüht. Dem ist das Bundesministerium jedoch nicht gefolgt. So haben die Länder – auch Nordrhein-Westfalen – die geltende Rechtsprechung an die Betreuungsgeldstellen weiterzugeben, die dann die entsprechenden Anträge so beantworten.

Da das Bundesministerium den Ländern und Kommunen übergeordnet ist, kann es in Nordrhein-Westfalen keinen Sonderweg geben. Im Übrigen bergen Fristen auch immer einen gewissen Grad an Ungerechtigkeit. Das liegt in der Natur der Sache und ist für die Betroffenen bitter, aber leider nicht zu ändern.

Die Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Einer rechtswidrigen Beschlussfassung der Antragsforderung wird meine Fraktion nicht folgen. Wir lehnen den Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kopp-Herr. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Tenhumberg.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einen Widerspruch aufgrund dieses Antrags herbeizureden, finde ich nicht redlich. Das ist der Versuch, vom Thema abzulenken. Eines hat der Antrag der Piraten doch erkannt: Er ist lösungsorientiert. – Dazu komme ich gleich noch.

Daher werden wir uns enthalten. Die Vorbemerkungen passen uns natürlich nicht, Herr Düngel. Aber in der Analyse und den Forderungen haben Sie uns 100%ig an Ihrer Seite.

Der Piratenantrag verweist auf den Vertrauensschutz. Bei dieser Landesregierung – das haben wir in den letzten Jahren mehrmals gemerkt – ist der Vertrauensschutz nicht hoch gestellt.

(Ingrid Hack [SPD]: Das ist wirklich unmöglich!)

Bei uns hat er einen hohen Stellenwert.

Meine Damen und Herren, das Betreuungsgeld ist eine staatliche Leistung. Davon profitieren in Nordrhein-Westfalen 110.000 Familien. Es ist eine gute Leistung. Ich gönne diesen Familien dieses Betreuungsgeld, weil sich ihre finanzielle Situation dadurch verbessern kann.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Ingrid Hack [SPD])

Der Versuch, das schlechtzureden, ist nach meiner Auffassung eine Beleidigung dieser Familien.

Meine Damen und Herren, 10.000 Familien sind davon betroffen, weil man in Nordrhein-Westfalen nicht in der Lage ist, eine gerechte Lösung herbeizuführen. Herr Düngel hat es ausgeführt. Wir brauchen Gerechtigkeit in dieser Sache. Es kann nicht angehen, dass in einigen Teilen und in einigen Ämtern wegen der etwas verzögerten Bearbeitung – ich will das einmal höflich ausdrücken – Familien Nachteile erleiden.

Daher glauben wir schon, dass die Punkte II und III vollkommen berechtigt sind. Wir würden uns freuen, wenn die Landesregierung das im Sinne des Piratenantrags auch inhaltlich unterstützen würde. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tenhumberg. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Asch.

Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von meiner Seite ganz herzlichen Glückwunsch an die neue Frau Ministerin Kampmann! Ich freue mich, dass Sie Ihr neues Amt heute antreten. Ich wünsche Ihnen ganz viel Glück und Erfolg. Auf gute Zusammenarbeit!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um es einmal sehr klar zu sagen – ich glaube, das ist keine Überraschung –: Wir Grüne – ich denke, für die SPD-Fraktion gilt das auch – sind sehr froh, dass das Betreuungsgeld weg ist.

(Simone Brand [PIRATEN]: Wir auch!)

Ich will noch einmal festhalten: Das war eine der unsinnigsten Leistungen, für die jemals Steuergelder ausgegeben wurden. Wer finanzielle Anreize setzt, um Kindern die Bildungseinrichtung Kita vorzuenthalten, hat weder die gesellschaftlichen Herausforderungen noch den Wert frühkindlicher Bildung verstanden. Deshalb sind wir froh, dass das Bundesverfassungsgericht diesem Bildungsverhinderungsgeld einen Riegel vorgeschoben hat.

Ich darf an dieser Stelle daran erinnern, dass das Betreuungsgeld nicht das erste Projekt der CSU ist, welches das Bundesverfassungsgericht gestoppt hat. Mit der Maut sah es genauso aus. Es zeigt sich: Diese Partei schert sich nicht um verfassungsfeste Gesetze,

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Das passiert hier im Landtag gar nicht! Das ist ja lustig!)

sondern geht mit dem Kopf durch die Wand, wenn es ihr hilft, ihre konservative Klientel zufriedenzustellen.

Meine Damen und Herren, ausbaden müssen es dann – das ist richtig an diesem Antrag der Piraten; das ist richtig in der Problembeschreibung – die Bürgerinnen und Bürger, die sich in ihrer persönlichen Lebensplanung auf diese Geldleistung eingestellt haben. Aber da zeigt sich das unprofessionelle Handling dieser CSU/CDU. Es war ja absehbar, dass das nicht verfassungsfest sein wird.

Natürlich hätte man bundesseitig eine Übergangsregelung für eine gewisse Zeit einführen können. Die Bundesregierung hat sich dagegen entschieden. Es ist nicht an uns als Ländern, da jetzt den Ausfallbürgen zu machen. Wir leiten das Betreuungsgeld bis jetzt im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung weiter. Insofern haben wir die Entscheidungen, die in Berlin getroffen wurden, zu respektieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber eines ist mir noch wichtig, meine Damen und Herren: das, was wir in der vorletzten Debatte SPD-seitig angesprochen haben. Auch ich habe es angesprochen – damals als Appell, weil Herr Schäuble sich seinerzeit schlicht geweigert hat, das Geld, das im Haushalt über das Betreuungsgeld bereits für Familien und Kinder reserviert war, weiter über die Länder den Kindertageseinrichtungen und der frühkindlichen Betreuung zur Verfügung zu stellen.

Das ist jetzt gelungen, aber nur auf massiven Druck der Bundesländer innerhalb der Kompromisse um die Asylgesetzgebung. Das ist noch mal wichtig zu sagen. Ich bin froh, dass wir als Länder dieses Geld zur Verfügung haben.

Von Herrn Laschet konnte man gestern hören, dass er sich Sorgen darüber macht, ob wir das Geld dann tatsächlich für die frühkindliche Bildung zur Verfügung stellen. Ich kann nochmals betonen: Wir werden nicht so handeln, wie das damals die schwarz?gelbe Landesregierung unter Familienminister Laschet getan hat. Sie hat schamlos die Gelder aus dem Krippengeldgipfel in den eigenen Haushalt eingesackt und ist dann vor dem Landesverfassungsgericht unterlegen. Als Nachfolgeregierung mussten wir 1,7 Milliarden €

(Zuruf von Bernhard Tenhumberg [CDU)

– Bernhard! – gegenüber den Kommunen ablösen.

So seid ihr mit den Kommunen umgegangen! Wir werden nicht so mit dem Bundesgeld umgehen. Wir werden es in den Ausbau und die Qualität der frühkindlichen Bildung investieren. Da ist es notwendig. Das ist der richtige Schritt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Hafke das Wort.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fangen wir mit den guten Nachrichten an: Das Betreuungsgeld ist tot. Das hat im Großen und Ganzen jeder verstanden – bis auf die CSU.

Wir haben als FDP immer gesagt: Wir wollen nicht, dass Familien vor die schwierige Abwägung zwischen finanzieller Zuwendung und Förderung ihrer Kinder gestellt werden. Das Betreuungsgeld setzt gerade für bildungsferne Familien und für Familien mit Migrationshintergrund, deren Kinder in besonderer Weise von einer Förderung in der Kita profitieren würden, diesen falschen Anreiz.

(Beifall von der FDP)

Auch wenn das Betreuungsgeld nur aus formalen Gründen gekippt wurde, können wir diesen ideologischen Streit jetzt endlich beenden. Das sollte man eigentlich meinen. Aber die Piraten fordern in ihrem Antrag eine Verlängerung der Galgenfrist für das Betreuungsgeld. Dabei haben die Piraten in den bisherigen Debatten in diesem Haus stets betont, dass sie für die Abschaffung des Betreuungsgelds sind.

(Zurufe von den PIRATEN: Sind wir auch!)

Ausgerechnet diese Piraten-Landtagsfraktion plädiert nun also dafür, dass die Familien, die bereits einen Fuß auf den größten Irrweg in der Geschichte der Bundesrepublik in der Familienpolitik gesetzt haben,

(Zuruf von den PIRATEN: Das ist Quatsch! Das merken Sie selbst!)

diesen doch bitte zu Ende gehen. Das passt vorne und hinten nicht zusammen.

(Beifall von Gordan Dudas [SPD])

Die Motive der Piraten sind dabei verständlich. So wie sie erhalten derzeit alle Fraktionen Zuschriften, in denen sich über die besondere Härte des plötzlich gekippten Betreuungsgeldes beschwert wird, weil die eigentliche Lebensplanung darauf ausgerichtet war. Das ist zweifelsohne eine belastende Situation für die betroffenen Familien, weil dieses Geld auf der Habenseite fest eingeplant war.

Dass die Piraten der Forderung nach Anerkennung der bis zum 21. Juli 2015 eingereichten Anträge nachkommen wollen, zeugt allerdings leider von wenig Rückgrat. Wir Freien Demokraten sind der Meinung: Das Betreuungsgeld setzt falsche Anreize, und es gut, dass es nicht mehr bezogen werden kann.

Allerdings kam das Ende des Betreuungsgeldes nicht so unverhofft, wie oftmals getan wird. Dass es gekippt werden könnte, hat sich bereits in der mündlichen Verhandlung im April angedeutet. Insofern hätte man den Eltern schon frühzeitiger die rechtlichen Folgen eines möglichen Urteils des Bundesverfassungsgerichts kommunizieren müssen.

Außerdem müssen diese rechtlichen Folgen endlich auch den Piraten klargemacht werden. Es gibt durch das Urteil keinerlei rechtliche Grundlage mehr, auf der die Anträge, die vor dem 21. Juli 2015 gestellt wurden, bewilligt werden könnten. Ihr Antrag kann also, selbst wenn man es ernsthaft wollte, nicht umgesetzt werden.

Außerdem verkennen Sie, dass Sie damit nur die nächste gefühlte Ungerechtigkeit schaffen würden. Selbstverständlich haben auch die Eltern, deren Kinder erst kürzlich den 15. Lebensmonat vollendet haben, das Betreuungsgeld fest eingeplant, also beispielsweise weder die Rückkehr aus der Elternzeit beantragt noch einen Kindergartenplatz gesucht. Können Sie da wirklich zwischen den Situationen, in denen die jeweiligen Familien sich befinden, unterscheiden?

Frau Ministerin, wie Sie sehen, stehen viele Eltern in Nordrhein-Westfalen plötzlich unvermittelt vor einer anderen Lebensplanung. Gerade der letzte Punkt wird für Sie ein erster Prüfstein sein. Die betroffenen Eltern stehen jetzt vor der Frage, ob sie ihr Kind nun nicht doch in eine Kindertagesbetreuung geben möchten.

Die unterjährige Unterbringung in Nordrhein-Westfalen ist jedoch nach wie vor sehr bürokratisch. Zum Wohle dieser Kinder wäre es wünschenswert, wenn schnell Lösungen gefunden und eine unkomplizierte unterjährige Aufnahme ermöglicht würde. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Kampmann das Wort. Bitte schön.

Christina Kampmann, Ministerin Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann es eigentlich gar nicht oft genug sagen: Es ist gut, dass das Betreuungsgeld endlich vom Tisch ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn es schafft keine Perspektiven für Kinder und Familien und hält vor allem diejenigen Kinder von frühkindlicher Bildung fern, die diese am meisten gebrauchen könnten.

Wir brauchen keine falschen Anreize, die Kinder davon abhalten, in die Kita zu gehen, und die Eltern davon abhalten, arbeiten zu gehen. Was wir stattdessen brauchen, sind gute Kitas, die Kindern das bieten, was sie von Anfang an haben müssen, nämlich Chancengleichheit – unabhängig davon, woher sie kommen und welchen familiären Hintergrund sie haben.

Es ist auch gut, dass Ländern und Kommunen dieses Geld in Zukunft zukommen wird, um in die Kindertagesbetreuung zu investieren.

Beim aktuellen Ifo-Bildungsbarometer hat eine deutliche Mehrheit der Deutschen das Betreuungsgeld negativ bewertet. Es gibt bei aktuellen Umfragen auch eine ganz klare Mehrheit dafür, das nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts freigewordene Geld für die Kindertagesbetreuung zu nutzen.

(Zuruf von der CDU: Das stimmt nicht!)

Es ist gut, dass hierfür in der vergangenen Zeit Entscheidungen gegen das Betreuungsgeld und für zusätzliche Investitionen in Kitas getroffen worden sind, die nahe an den Wünschen, an den Bedürfnissen der Kinder und der Familien dran sind.

Die Länder und Kommunen haben das Betreuungsgeld im Rahmen der Bundeauftragsverwaltung wahrgenommen. Sie sind damit an die Weisungen des Bundes gebunden – und das gilt auch für die Behandlung der noch nicht beschiedenen Betreuungsgeldanträge, liebe Piraten.

Die Betreuungsgeldanträge in den Kreisen und kreisfreien Städten sind in aller Regel zügig bearbeitet worden. Dass bei einem in Geltung befindlichen Gesetz in den Behörden auch Anträge vorliegen, über die noch nicht entschieden worden ist, ist unvermeidlich – vor allem wenn man bedenkt, dass nur beim Betreuungsgeld die Antragstellung bereits 15 Monate vor dem Anspruchsbeginn möglich war.

Ich kann die Mütter und Väter trotzdem gut verstehen, die mit dem Betreuungsgeld geplant und sich andere Lösungen beim Übergang erhofft hatten. Nordrhein-Westfalen hat sich deshalb im Sinne der betroffenen Familien mit dem Bund intensiv ins Gespräch begeben, und auch andere Länder haben das getan.

Das Bundesfamilienministerium hat das Ganze daraufhin noch einmal rechtlich geprüft, mit dem Ergebnis: Allgemeiner Vertrauensschutz kann für Eltern gewährt werden, die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entweder bereits Betreuungsgeld erhalten hatten, im laufenden Betreuungsgeldbezug standen oder bereits einen Bewilligungsbescheid erhalten hatten, sodass die Zahlung in nächster Zeit aufgenommen werden sollte. Darüber hinaus sieht der Bund keine Möglichkeit, weitere Anträge auf Betreuungsgeld positiv zu bescheiden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines möchte ich zum Abschluss aber noch sagen: Ich freue mich ganz besonders, meine erste Rede zu dem Thema „Abschaffung des Betreuungsgeldes“ halten zu können – deshalb vielen Dank an die Piraten –; denn für mich stand das Betreuungsgeld von Anfang an für eine Familienpolitik von vorgestern, die so ziemlich allem zuwiderläuft, von dem ich glaube, dass es gut und richtig für Familien in Nordrhein-Westfalen ist.

Ich wünsche mir deshalb, dass wir das Ende des Betreuungsgelds gleichzeitig als Chance und Neuanfang für eine moderne Familienpolitik von morgen sehen, und ich freue mich, in Zukunft mit Ihnen gemeinsam daran arbeiten zu können. – Danke schön.

(Beifall von der SPD, von den GRÜNEN und von der Regierungsbank)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ausnahmsweise lasse ich die Beifallsbekundungen auf der Regierungsbank zu. Das ist eigentlich unüblich, in dieser Situation aber nachvollziehbar.

Das war Ihre erste Rede vor dem Landtag Nordrhein-Westfalen. Dazu möchte ich Ihnen im Namen des gesamten Hohen Hauses herzlich gratulieren. Noch einmal: Herzlich willkommen bei uns im Landtag Nordrhein-Westfalen. – Danke schön.

(Beifall von allen Fraktionen)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Tenhumberg noch einmal um das Wort gebeten, und er bekommt es natürlich auch.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Wenn die Ministerin sagt – was ihr aufgeschrieben worden ist –, dass Vertrauensschutz gewährleistet werden solle, dann können wir dem Antrag unter Punkt II und Punkt III zustimmen, denn nichts anderes fordert der Antrag.

Dann stimmen Sie doch bitte zu: Vertrauensschutz ist – so heißt es in der Rede der Ministerin – gewährleistet. Also, stimmen Sie zu! Genau das formuliert dieser Antrag unter den Punkten II und III. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie können aufgrund der Rede der Frau Ministerin – wenn Sie sie ernst nehmen – diesem Antrag zustimmen.

(Beifall von der CDU - Vereinzelt Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der SPD)

Falsch ist ihr allerdings aufgeschrieben worden, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt habe, dieses Geld sei für Kitas zu verwenden. Das hat das Bundesverfassungsgericht gar nicht gesagt. Das Betreuungsgeld war für Familien gedacht. Die Ministerin will es für die Kitas verwenden, nicht für die Familien.

(Zurufe von den GRÜNEN: Oh! – Weitere Zurufe)

– So ist es. Das wollen Sie, denn es ist ohne Zweckbindung. Ich habe den Worten von Frau Asch sehr aufmerksam zugehört. Frau Asch hat gesagt, das Geld werde tatsächlich zweckentsprechend verwendet werden.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich bin mal gespannt. Der Haushaltsplanentwurf, der vorgelegt worden ist, dokumentiert das in keiner Weise. In keiner Weise ist in dem Haushaltsplanentwurf gewährleistet, dass diese Gelder zweckentsprechend für Kinder und Familien verwendet werden. Das ist nicht der Fall.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE] – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Das, was Sie hier sagen, und das, was Sie hier tun, sind also wieder mal zwei Paar Schuhe. Wir wollen, dass die Gelder auch zur Förderung von Wahlfreiheit verwendet werden.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Insofern freue ich mich, dass Sie jetzt bei der Abstimmung – weil die Piraten eine direkte Abstimmung gefordert haben – auf Empfehlung der Ministerin diesem Antrag unter den Punkten II und III zustimmen können. Wir freuen uns auf das Abstimmungsergebnis.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Frau Ministerin, Sie sehen, welche Dynamik Ihr Beitrag gleich ausgelöst hat – unter anderem auch in Form einer spontanen weiteren Wortmeldung für die SPD-Fraktion von Frau Kollegin Altenkamp.

Britta Altenkamp (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bernhard, du bist wirklich ein alter Schlingel. Das ist wirklich nicht zu fassen. Aber okay, auch ich raufe mich gerne, und deshalb machen wir das einmal so.

Die kleinen Spitzfindigkeiten und Wortklaubereien, die du hier betreibst, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es an der Rechtslage tatsächlich nichts zu deuteln gibt. Es ist ganz eindeutig so, dass das Thema „Vertrauensschutz“ schon auf der Ebene geregelt worden ist, auf der es zu regeln war: in Form einer Auftragsverwaltung. Insofern verbietet es sich im Augenblick, über eine landeseigene Regelung, so, wie es die Piraten gerne hätten, überhaupt noch einmal nachzudenken. Das ist die Konsequenz.

Jetzt noch einmal zu dem Thema „Betreuungsgeld“: Man könnte sich natürlich auf den Standpunkt stellen, den Bernhard Tenhumberg übrigens hier immer vertreten hat. Deshalb habe ich mich immer gewundert, warum es kaum jemandem aufgefallen ist, wie nah das Münsterland an Bayern liegt. Aber lassen wir das einmal.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Das Betreuungsgeld war in seiner Konsequenz im Grunde immer die Herdprämie, als die es von uns tituliert worden ist. Warum? – Weil es darum gegangen ist, insbesondere Frauen – in der Konsequenz – und Menschen mit niedrigem Einkommen, die die Gebühren nicht aufbringen konnten, darin zu bestärken, auf einen Kitaplatz zu verzichten und das Kind lieber zu Hause zu erziehen.

Bernhard Tenhumberg, was das allerdings mit Wahlfreiheit zu tun hat, wirst du mir zu einem späteren Zeitpunkt mal erklären können; denn es gibt am Ende so viele Determinanten, die eben das Gegenteil von Wahlfreiheit sind und nichts anderes bedeuten, als dass die Menschen, die ein kleines Einkommen haben oder möglicherweise in einer Region wohnen, in der es schwer ist, einen Kitabetreuungsplatz zu bekommen, sozusagen dafür entschädigt werden, dass sie in dieser Lebenssituation sind, indem sie in der Zwischenzeit mit 150 € dafür belohnt werden, dass sie ihr Kind zu Hause betreuen.

Deshalb – das muss ich ganz ehrlich sagen –: Die Vorstellung von Wahlfreiheit, die die CDU mit Bernhard Tenhumberg an der Spitze hier heute präsentiert hat, hat mit der Vorstellung der SPD – und da bin ich mit den Grünen einig – nichts zu tun. Deshalb werden wir uns in den nächsten Jahren auch weiterhin darüber streiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Altenkamp. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Asch.

Andrea Asch (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir feststellen müssen, dass bei der CDU eine gewisse Verwirrung vorherrscht, insbesondere was die Kinder- und Familienpolitik angeht.

Aber, lieber Bernhard Tenhumberg – uns jetzt vorzuwerfen, dass wir im Haushaltsentwurf – ich erinnere daran: der wurde am 2. September 2015 hier eingebracht – noch nicht vorhersehen konnten und nicht antizipiert haben, dass genau am letzten Donnerstag der Bundesfinanzminister in Verhandlungen gezwungen wurde, dieses Geld den Ländern und Kommunen zur Verfügung zu stellen, ist ja nachgerade absurd!

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese Verhandlungen haben Ende letzter Woche zu dem positiven Ergebnis geführt. Wie sich Herr Schäuble vorher dazu verhalten hat, das wissen wir: nämlich strikt ablehnend. Er wollte das Geld für seine eigenen Haushaltslöcher in irgendeiner Form verbraten.

Ich bin jetzt sehr gespannt. Wir haben ja schön öfter die Situation erlebt, dass die CDU hier vollmundig Dinge reklamiert und für Dinge einsteht, wir dann aber hinterher, wenn es an die Haushaltsberatungen geht, nichts von dem in irgendeinem Haushaltsantrag substanziell wiederfinden. Ich bin sehr gespannt auf einen entsprechenden Antrag der CDU-Fraktion, den wir dann natürlich wohlwollend beraten werden.

Wir haben als Rot-Grün erklärt – das haben die Fraktionsvorsitzenden gemacht, Norbert Römer und Mehrdad Mostofizadeh –, dass wir dieses Geld eins zu eins in die frühkindliche Bildung einbringen wollen, in den Ausbau und in die Qualität. Dafür stehen wir.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die FDP-Fraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Hafke zu Wort gemeldet.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dann müssen wir doch noch einmal ein bisschen ausführlicher über das Thema diskutieren.

Ich glaube, dass wir in Bezug auf die Anträge, die zum 21. Juli 2015 gestellt wurden – zur Frage, ob diese weiterhin positiv beschieden werden können – hier im Hause einer Meinung sind, nämlich dass das nicht möglich ist – abgesehen von den Piraten.

Wenn wir allerdings über die Mittel sprechen, die mit dem Wegfall des Betreuungsgeldes jetzt frei werden, und die vom Bund an die Länder geleitet werden, dann müssen wir vielleicht doch noch einmal zwei oder drei Sätze darüber verlieren.

SPD und Grüne haben gesagt, dass das Geld für die frühkindliche Bildung ausgegeben werden soll. So weit, so gut. Ich denke, dass dann jetzt sehr zeitnah ein Antrag für den Haushalt kommen sollte, in dem diese Mittel eingesetzt werden. Das werden wir natürlich entsprechend kontrollieren. Wir haben ja erst gestern im Rahmen des Familienberichtes darüber diskutiert, dass in Nordrhein-Westfalen mindestens noch 60.000 U3-Plätze fehlen. Diese Landesregierung hat bislang keinen einzigen Cent an zusätzlichen Investitionen

(Beifall von der FDP und der CDU)

für U3 in den Haushalt eingestellt.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

Keinen zusätzlichen Cent haben Sie in den Haushalt eingestellt!

Jetzt bin ich gespannt, ob Sie einmal mehr

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

nur die Gelder vom Bund nehmen und Ihre eigenen Hausaufgaben nicht machen.

(Beifall von der CDU)

Das haben Sie bei den BAföG-Mitteln schon so gemacht. Da haben Sie den Bereich der Kindpauschalen mitfinanziert.

(Andrea Asch [GRÜNE]: Peinlich! – Weitere Zurufe)

Sie haben die Mittel zweckfremd verwendet. Das haben Sie damals schon gemacht. Ich bin wirklich gespannt, ob Sie es dieses Mal schaffen, die Mittel, die für Bildung und Familien vorgesehen werden, auch diesem Bereich zukommen zu lassen, oder ob die wieder irgendwo in der Hand des Finanzministers verschwinden. Darauf bin ich wirklich gespannt. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Piratenfraktion spricht noch einmal bis zu 37 Sekunden Herr Kollege Düngel.

Daniel Düngel*) (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident, bei 37 Sekunden und den zweieinhalb Minuten, die vorhin auch der Herr Thiel ausgeschöpft hat, habe ich ja noch ausreichend Zeit.

Halten wir noch einmal ganz deutlich fest, weil in den Reden hier so viel vermischt worden ist: Wir stellen uns ganz klar weiter gegen das Betreuungsgeld. Wir begrüßen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. An dieser Stelle, lieber Bernhard Tenhumberg, unterscheiden wir uns. Wenn unser Antrag in die richtige Richtung geht, liebe CDU-Fraktion, dann müsst ihr halt zustimmen. So ist das ganz klar zu sehen.

Ansonsten möchte ich nur noch einmal festhalten: Hier im Hause interessiert offenbar niemanden, dass es draußen 10.000 Familien gibt, die ein Problem damit haben, dass die Gelder nicht mehr bewilligt werden können. Diese Familien haben diese Gelder fest eingeplant. Wenn sie jetzt nicht mehr kommen, ist das ungerecht. Diese Problematik haben wir aufgegriffen. Das gesamte Haus – abgesehen von der Piratenfraktion – ist nicht dazu imstande, sich dieses Problems anzunehmen. Das ist traurig.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Düngel. – Sie wollen noch einmal, Herr Tenhumberg? – Bitte schön. Zur Orientierung: Sie haben noch 1 Minute und 20 Sekunden Redezeit zur Verfügung.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident, ich werde mich an der Zeit orientieren.

Wenn wir ehrlich sind: Der Haushaltsplan, der uns im Entwurf vorgelegt worden ist, ist eine Übertragung von 2015 auf 2016, mit dem Unterschied, dass die tariflichen Steigerungen bei den Landesbediensteten berücksichtigt worden sind. Sonst ist im Haushaltsplan eine Übertragung eins zu eins vorgesehen. Keine Innovationen! Nichts zur Verbesserung im Bereich von Bildung und Betreuung der Kleinkinder! Das wollen wir mal festhalten.

(Beifall von der CDU)

Dass Sie in diesem Haushaltsplan im Gegensatz zum Familienbericht Ihre eigene Zählmethodik haben, die sich mit IT.NRW nicht im Abgleich befindet, zeigt ja auch, wie unredlich Sie hier Haushaltspolitik betreiben.

Sie haben angekündigt, die Gelder zweckentsprechend eins zu eins zu verwenden. Und was haben Sie dann mit den BAföG-Geldern des Bundes gemacht?

(Dietmar Bell [SPD]: Die haben Sie zigmal verfrühstückt!)

Trotz Ihrer Ankündigung haben Sie die 287 Millionen € im Landeshaushalt verbraten. Sie sind nicht entsprechend zugeführt worden.

Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Altenkamp, wir verstehen uns in vielen Bereichen durchaus gut. Ihre Analyse ist auch gar nicht mal so verkehrt. Es gibt verschiedene Akzente, die wir als Christdemokraten setzen. Da sehen wir das eine oder andere etwas anders.

Aber in diesem Antrag, Frau Altenkamp, geht es eben nicht nur um das Betreuungsgeld oder um Wahlfreiheit. Es geht ganz einfach nur darum, dass denjenigen Gerechtigkeit widerfährt, die wegen einer verzögerten Bearbeitung diese Gelder jetzt nicht bekommen. So einfach ist das.

Der Antrag sagt lediglich: Bitte kümmert euch um die 10.000 Familien, damit diejenigen die Gelder bekommen, die sich darauf verlassen haben!

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Die lassen wir nämlich jetzt im Stich. Und darum geht es. Ich fordere Sie noch einmal auf: Aufgrund der Wortmeldung der Frau Ministerin müssten Sie eigentlich diesem Antrag unter den Punkten zwei und drei zustimmen. Wenn die Vorbemerkungen von Herrn Düngel gestrichen worden wären, würden wir auch zustimmen, weil die Punkte zwei und drei inhaltlich sehr richtig sind. – Vielen Dank.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. Bleiben Sie noch einmal einen kleinen Moment hier, denn Frau Kollegin Kopp-Herr wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Ich vermute, die lassen Sie zu.

(Bernhard Tenhumberg [CDU]: Ja!)

Bitte, Frau Kollegin.

Regina Kopp-Herr (SPD: Danke schön, Herr Präsident! Danke schön, Herr Kollege Tenhumberg, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass wir hier keine rechtswidrigen Beschlüsse fassen können? Würden wir dies tun, hätte die Ministerpräsidentin meiner Meinung nach die Aufgabe, den Beschluss einzuhalten. Teilen Sie diese Auffassung?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sie haben das Wort, Herr Kollege.

Bernhard Tenhumberg (CDU: Vielen Dank, Herr Präsident! In dem Antrag der Piraten sehe ich keine Rechtswidrigkeit. Wo ist in dem Punkt „Der Landtag stellt fest ...“ die Rechtswidrigkeit zu erkennen? Der Landtag fordert die Landesregierung auf: Wo ist denn da die Rechtswidrigkeit zu erkennen? Es ist eine Aufforderung, Gerechtigkeit zu schaffen – mehr nicht.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Das jetzt wieder mit Rechtswidrigkeit zu verbinden, das ist doch an den Haaren herbeigezogen! Es ist nicht fair, wie man mit diesem Antrag umgeht. Wir haben unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Vorbemerkungen. Das hat Herr Düngel auch klargemacht. So stehen wir. Da haben wir unterschiedliche Auffassungen. Aber in den Forderungen „Der Landtag stellt fest ...“ sind wir komplett bei diesem Antrag.

Deshalb fordere ich Sie noch einmal mit Blick auf die 10.000 Familien, die erwartet haben, diese Gelder zu bekommen, auf: Stimmen Sie dem Antrag zu, damit diesen Familien auch die Gerechtigkeit widerfährt, die sie verdient haben! – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. Meine Damen und Herren, jetzt liegen mir endgültig keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Sie wären auch gar nicht möglich, weil die Redezeit von allen Fraktionen überzogen worden ist. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung über den Inhalt ihres Antrags Drucksache 16/9785 beantragt. Deshalb frage ich: Wer möchte dem Antrag der Piratenfraktion zustimmen? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Ich stelle somit fest, dass der Antrag Drucksache 16/9785 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen

(Zurufe – Unruhe)

– darf ich einen kleinen Augenblick um Ruhe bitten! – und FDP gegen die Stimmen der Piratenfraktion bei Enthaltung der CDU-Fraktion abgelehnt worden ist. Ich schließe die Beratung zu Tagesordnungspunkt 5.

 

Bevor wir zum Tagesordnungspunkt 6 kommen, möchte ich für das Protokoll vier Abstimmungsergebnisse der gestrigen Plenarsitzung deklaratorisch feststellen, weil die Ergebnisse gestern nicht eindeutig zu Protokoll gegeben worden waren. Wir holen diese Feststellung jetzt nach. Aber Sie müssen nicht mehr abstimmen; das haben wir ja schon gestern getan.

Diese Klarstellungen betreffen zum einen TOP 13, das Gesetz zur Umsetzung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes Nordrhein-Westfalen. Der Gesetzentwurf Drucksache 16/9519 wurde entsprechend der Beschlussempfehlung in Drucksache 16/9810 unter Berücksichtigung der Vorlage 16/3244 einstimmig in zweiter Lesung verabschiedet.

Zu TOP 14 erfolgt folgende Klarstellung zu Protokoll: Es handelte sich dabei um das Vierte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die kommunalen Versorgungskassen und Zusatzversorgungskassen im Lande Nordrhein-Westfalen. Der Gesetzentwurf Drucksache 16/9517 wurde entsprechend der Beschlussempfehlung Drucksache 16/9811 einstimmig in zweiter Lesung verabschiedet.

Zu TOP 22 – es ging um die Nachwahl eines ordentlichen und eines stellvertretenden Mitglieds der Medienkommission der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen – darf ich feststellen, dass der Wahlvorschlag in Drucksache 16/9814 einstimmig angenommen wurde.

Zu guter Letzt zu TOP 26, „In den Ausschüssen erledigte Anträge“. Es ging um die Übersicht 33 gemäß § 82 Abs. 2 GO. Die Abstimmungsergebnisse in dieser Übersicht wurden einstimmig bestätigt.

Das nur noch einmal zur protokollarischen Klarstellung unserer gestrigen Tagungsergebnisse.

Wir treten ein in Tagesordnungspunkt

6   Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9795

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Körfges das Wort. Bitte, Herr Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen legen ein Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vor, das der Stärkung der Handlungsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaftsvertretungen dienen soll; deshalb auch die Bezeichnung Kommunalvertretungsstärkungsgesetz.

Was wir anstreben, ist eine wirksame Verbesserung der Handlungs- und Arbeitsmöglichkeit unserer kommunalen Vertretungen, die durch den Wegfall der Sperrklausel bei Kommunalwahlen im Jahre 1999 in ganz erheblichem Umfang gelitten hat.

Die Räte, Kreistage, auch Bezirksvertretungen, haben gesetzlich zugewiesene Aufgaben und sind dazu verpflichtet, diese ordnungsgemäß wahrzunehmen. Durch die enorme Zersplitterung, die unsere kommunalen Vertretungsgremien in den letzten Jahren erfahren haben, ist die ordnungsgemäße Wahrnehmung dieser Aufgaben gefährdet.

Das lässt sich alleine daran ablesen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass in vielen Kommunalparlamenten zwischenzeitlich die Zahl von mehr als zehn unterschiedlichen Parteien, Gruppen sowie Einzelbewerberinnen und Einzelbewerbern dazu führt, dass Sitzungen kaum noch ordnungsgemäß durchzuführen sind. Tagesordnungen und Sitzungen werden unverhältnismäßig in die Länge gezogen, Gremienarbeit wird erschwert.

(Lachen von den PIRATEN)

Man merkt, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, dass Sie sich bisher nur sehr rudimentär mit kommunaler Demokratie beschäftigt haben.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Denn man kann – da gibt es durchaus auch Parallelen zu der Arbeit in diesem Landtag – häufig genug erkennen, dass der Wortschwall – gerade von Einzelvertretern und politisch völlig irrelevanten Gruppen – im negativ-proportionalen Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Bedeutung steht. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Piraten, dafür treten Sie ja auch an mancher Stelle hier erheblichen Beweis an.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN – Zuruf von den PIRATEN)

Ich füge hinzu – das ist ein hohes Gut in unserem Bundesland –, dass alle kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger ihre Aufgaben ehrenamtlich neben ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen in ihrer Freizeit ausüben. Deshalb wiegen diese Umstände, wenn man am bewährten System unserer kommunalen Demokratie festhalten will, umso schwerer.

Kleinst- und Splitterparteien, die über faktisch keinen Rückhalt in der Bevölkerung verfügen, können in den Vertretungsorganen sozusagen Zünglein an der Waage spielen und auch an der Stelle das tatsächliche Verhältnis völlig umkehren – bezogen auf das, was sie versuchen, an politischem Einfluss zu gewinnen.

Wie reagiert die kommunale Demokratie darauf: mit der Bildung von großen Mehrheitszusammenschlüssen, großen Koalitionen. Das führt faktisch dazu, dass der Einfluss der kleinen und kleinsten Gruppen überhaupt nicht mehr gegeben ist, aber auch die mittleren Fraktionen sind von der Willensbildung weitestgehend ausgeschlossen – auch unter demokratietheoretischen Aspekten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist das Gegenteil von dem, was oft behauptet wird, der Fall: Demokratie wird nicht gefördert und belebt, sondern erschwert.

Wir streben seit langer Zeit – auch, weil uns die Frage umtreibt, was eine Stimme bei einer Kommunalwahl wert – Stichwort: Erfolgswert – ist – die Wiedereinführung einer Sperrklausel an. Es kann doch nicht angehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass eine kleine oder Kleinstgruppierung für die Erlangung eines ersten Mandates knapp die Hälfte der Stimmen benötigt wie eine mittlere oder größere Fraktion für ein jeweils weiteres Mandat.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Insoweit haben wir gemeinsam mit den anderen antragstellenden Fraktionen die Initiative ergriffen. Ich sage Ihnen ganz offen: Mir wäre es sogar sehr recht gewesen, wenn wir uns auf 3 % hätten einigen können. Eine solche Einigung gab es nicht.

Für alle, die immer noch dem Irrglauben der juristischen Halbbildung hinterherlaufen, dies sei mit Demokratie unvereinbar, kann ich nur empfehlen: Studieren Sie einmal die Stellungnahme des Parlamentarischen Gutachterdienstes unseres Landtages oder beschäftigen Sie sich mit dem, was der entsprechende Fachausschuss des Europaparlamentes im Augenblick berät und allen Mitgliedsstaaten zur Verhinderung der Zersplitterung anrät, nämlich: Die Einführung einer Sperrklausel zwischen 3 % und 5 %.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Aus Europa kommen nur gute Sachen!)

Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN – Torsten Sommer [PIRATEN]: Das war wirklich wenig!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Nettelstroth.

Ralf Nettelstroth (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte es mir jetzt leicht machen: Herr Körfges hat alles gesagt; ich kann mich wieder setzen. Aber ich habe es noch nicht gesagt. Nein, ich möchte ein paar neue Aspekte ansprechen.

In der Tat hat uns das Verfassungsgericht am 6. Juli 1999 einen Auftrag gegeben. Dieser Auftrag lautete: Soweit die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretung gefährdet ist, darf der Gesetzgeber erneut über eine Sperrklausel nachdenken. Wir schreiben jetzt das Jahr 2015. Wir haben drei Kommunalwahlen hinter uns gebracht, und wir konnten – wenn Sie dieses umfangreiche Papier sehr aufmerksam gelesen haben – feststellen, dass sich in dieser Zeit nachhaltig etwas verändert hat, nämlich, dass wir eine Zersplitterung der Parlamentsarbeit vor Ort beobachten. Darauf wollen wir reagieren.

Von daher war der Wunsch der kommunalen Familie nach Wiedereinführung einer Sperrklausel immer groß. Dennoch haben wir uns Zeit gelassen, weil es uns darum ging, zu einer verfassungsmäßigen Lösung zu kommen. Im Rahmen des Kompromisses haben wir uns auf 2,5 % geeinigt. Ich sage ganz offen: Ich denke, dass dies auch in Abstufungen zu den Klauselregelungen mit 5 %, die wir für Landtags- oder Bundestagswahlen haben, eine angemessene Regelung ist. Denn nach wie vor sind kommunale Körperschaften immer noch Selbstverwaltungsorgane und von daher natürlich noch viel näher an den örtlichen Problemen dran.

Eine besondere Schwierigkeit dabei ist natürlich, dass diejenigen ausscheiden, die unter 2,5 % liegen. Auch wenn jetzt nach mir die Piraten sprechen werden – Herr Sommer wird gleich vortragen, dass das alles undemokratisch sei, weil dann einige ausscheiden würden, nämlich all diejenigen, die unter 2,5 % liegen –, sage ich Ihnen, dass wir dabei auch andere Aspekte berücksichtigen müssen.

Das ist die Wahlgleichheit, die Herr Körfges eben auch angesprochen hat. Denn derzeit wird – das ist empirisch festgestellt und hinterlegt worden –, dass ein Mandat zwischen 0,6 % und 2,8 % gewährt. Hinter diesen 0,6 % verbergen sich meistens die Einzelbewerber. Da sind Sie dann bei der Wahlgleichheit und müssen die Frage beantworten: Ist es demokratisch legitim, dass ein solcher Bewerber eine Stimme bekommt, während andere weniger bekommen?

Ich nehme meine Heimatstadt Bielefeld. Wir haben einen Einzelbewerber, der mit 0,9 % in den Rat gewählt wurde. Wenn ich das auf unsere Kollegen aus der CDU-Fraktion vor Ort beziehen würde, so müssten wir statt 20 eigentlich 30 Mandate haben. So sehen Sie, welche Probleme damit verbunden sind.

Aber ich möchte noch auf etwas ganz anderes hinweisen, was ich eigentlich noch für viel, viel wichtiger halte. Hier verweise ich auf Seite 11 der Vorlage, auf der diese Problemlagen insbesondere beschrieben werden. Es geht darum, dass wir zunehmend erleben, dass immer stärker Partikularinteressen wahrgenommen werden.

Wir haben Vereinigungen, die dem Stadtrat angehören, weil sie gegen den Ausbau einer Straße sind. Aber diese müssen sich zukünftig natürlich auch zu sozialen Fragen, städtebaulichen Fragen, Energiefragen und vielen anderen Fragen einbringen und Texte formulieren. Dazu sind die nicht in der Lage. Damit sind sie dann auch ein Stück weit überfordert.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Das behaupten Sie!)

Das führt dazu, lieber Herr Kollege Sommer, dass sie Partner suchen. Deshalb finde ich es interessant – wieder meine Heimatstadt –, dass sich dann der Einzelbewerber – in diesem Fall – von einer Bürgerinitiativengruppe und der Piratenbewerber zusammentun mit dem Argument: Wenn wir eine Gruppe bilden, haben wir andere Möglichkeiten der politischen Teilhabe. – Außerdem gibt es auch ein bisschen mehr Mittel. 

Dazu sage ich Ihnen, lieber Herr Sommer und lieber Herr Herrmann: Regen Sie sich nicht auf, organisieren Sie sich dann doch bitte so, dass Sie die 2,5 % vorher anstreben, indem Sie Ihre politische Thematik breiter aufstellen. Sie werden dann einen größeren Erfolg haben, nämlich im Endeffekt daran auch teilhaben zu dürfen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von den PIRATEN: Darum geht es doch überhaupt nicht! Nichts verstanden!)

Wenn wir schon dabei sind: Diese Entwicklung der Partikularinteressen steht im Gegensatz zu einer Entwicklung, wie wir sie leider in Bezug auf die Kommunalparlamente hier immer wieder diskutieren und die ich als kommunalpolitischer Sprecher hier natürlich noch einmal aufgreifen muss.

Die finanziellen Spielräume der Gemeinden werden immer geringer. Damit wird die Notwendigkeit immer größer, mit möglichst klaren, politisch gestaltbaren Mehrheiten dauerhafte Entscheidungen zu treffen und durchzuhalten. Die sind teilweise natürlich unpopulär; denn die Zeiten, in denen wir neue Freibäder und neue Hallenbäder beschlossen haben, sind lange dahin. Heute geht es um Schließungsbeschlüsse und um Initiativen dagegen. Und auch die muss man in ein größeres Gesamtgefüge einbinden. Es wäre wünschenswert, wenn sich auch hierbei die entsprechenden Gruppeninteressen und Einzelbewerber zusammenfinden würden.

Hinzu kommt – das erleben wir auch ständig; die Piraten haben da ja auch etwas weniger kommunalpolitische Erfahrung als all die anderen –, dass man natürlich eine gewisse Kontinuität nur dann sicherstellen kann, wenn man in der Lage ist, darüber zu kommunizieren, abzustimmen und auch eine gewisse persönliche Kontinuität sicherzustellen.

Das ist natürlich bei Einzelbewerbern nicht gegeben. Ich selbst habe es erlebt – ich mache seit 20 Jahren Kommunalpolitik –, dass eine Ausschusssitzung dann quasi zum Unterrichtskurs für den Einzelbewerber wird, weil dieser natürlich eine Vielzahl von Fragen und Nachfragen hat, weil ihm bestimmte Usancen des gesamten Ablaufs nicht bekannt sind und weil er auch das Interesse hat, möglichst an allen Fragen teilhaben zu dürfen.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Wollen Sie denn Direktmandate abschaffen?)

Wenn er das in den Ausschüssen nicht kann, wird er das dann im Rat geltend machen – mit der Folge, dass die Ratssitzungen exorbitant lang werden.

Ich denke, all das macht sehr deutlich, dass es höchste Zeit ist, hier eine Sperrklausel einzuführen, von der wir meinen, dass sie mit 2,5 % angemessen ist. Deshalb werden wir heute natürlich der Überweisung in den Hauptausschuss zustimmen. Ich bin auch zuversichtlich, dass diese Regelung verfassungskonform ist, meine Damen und Herren, und dass wir im Jahr 2020 vor diesem Hintergrund die Wahlen ausschreiben können. – Vielen Dank.

(Zuruf von den PIRATEN: Viel Glück!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Nettelstroth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegen haben es eben schon angesprochen: In den Kommunalparlamenten erleben wir eine zunehmende Fragmentierung nicht erst seit der letzten Kommunalwahl. Bereits seit 1999 ist dies zu erkennen. 2004 gab es einen ersten massiven Sprung. Mittlerweile ist es eher die Regel, dass zehn, zwölf oder 13 Gruppierungen in den Räten der Großstädte sitzen.

Das führt zu erheblichen demokratiepolitischen Problemen; denn in den kleineren Gemeinden gibt es dieses Problem aus dem Grunde nicht, weil dort eine natürliche oder faktische Sperrklausel entsteht. Zumindest gibt es dies dort in viel geringerem Ausmaß.

Herr Bogumil geht von etwa 2,8 % aus. Das führt mich zum ersten Argument in Bezug auf das, was ich hinsichtlich der Ausführungen des Verfassungsgerichts nicht so ganz verstanden habe:

Es wäre ja eine Möglichkeit, die Zahl der Ratsmandate so zu reduzieren, dass wir uns über eine Sperrklausel nicht unterhalten müssten. – Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Ich halte es für einigermaßen abwegig, so vorzugehen. Das wäre allerdings verfassungspolitisch offenkundig okay. Ich halte das politisch für nicht vertretbar.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Ich will auch betonen: Die Kommunalparlamente sind – anders als es oft suggeriert wird – keine Parlamente zweiter Klasse oder dritte Liga oder Parlamente, in denen man „mal ein bisschen Politik üben kann“. Hier werden wichtige Kreationsaufgaben wahrgenommen. Hier wird auch der Widerstreit zwischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern – also Hauptverwaltungsbeamten – und dem Rat ausgefochten. Hier müssen in aller Offenheit und Bürgernähe sowie mit einer hohen Ehrenamtlichkeit die Prozesse behandelt werden, die politisch zu diskutieren sind. Sie müssen transparent beziehungsweise nachvollziehbar gemacht werden.

Gleichzeitig gibt es ja auch noch – das darf man in Nordrhein-Westfalen nun einmal nicht vergessen – Bürgerbegehren und Bürgerentscheide mit ihrer ergänzenden Funktion, die dazu führen, dass man – das wurde früher manchmal, auch aus meiner Sicht zu Recht, diskutiert – schon bei Erreichen nur sehr niedriger Schwellen sehr wohl in die Ratspolitik eingreifen kann.

Diese Räte – das ist eben angesprochen worden – arbeiten zum Teil unter Zeitdruck. Sie müssen Satzungen beschließen, müssen sich an vertragliche Bindungen halten, und das zeitgerecht. Deswegen können wir eben nicht so tun, als wenn sie alle Zeit der Welt hätten. Auch können wir nicht so tun, als wären diese Parlamente so nebenbei Übungsorgane für Politik. Dem möchte ich ausdrücklich widersprechen.

Ich möchte noch auf einen ganz anderen Punkt hinweisen, auf den die beiden Kollegen vor mir verständlicherweise nicht abgehoben haben. Die Fragmentierung führt nämlich auch dazu, dass mittlerweile stabile Mehrheiten häufig nur noch durch große Koalitionen herstellbar sind. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Diese großen Koalitionen sollten – das meine nicht nur ich, sondern das meinen, glaube ich, auch die Kollegen – eigentlich eher die Ausnahme sein. Sie unterliegen eher dem Prinzip „Teufel plus Beelzebub“.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: So wie beim RVR! – Schönes Eigentor!)

– Ich bitte da um Verständnis. – Man versucht, sich parlamentarische Mehrheiten dadurch zu erkaufen, dass man dann doch mit einem eigentlich meist ungeliebten politischen Partner – siehe meine Heimatstadt Essen – zusammenarbeitet, um eine Mehrheit herzustellen.

Ich glaube, wir sind uns einig: Das Modell „große Koalition“ muss die Ausnahme bleiben, weil sie eben nicht zu mehr Gleichgewicht und mehr Transparenz in den Räten führt, sondern unter Umständen dazu, dass man sehr schnell an den Räten oder zumindest der Transparenz vorbei Politik machen kann.

Ich will – wir haben heute ja nur fünf Minuten Redezeit; wir werden das Ganze aber noch sehr ausführlich in den Ausschüssen behandeln – noch einen weiteren Punkt ansprechen: Auch das Thema „Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt“ ist wirklich nicht mehr zu unterschätzen. Ich fand es einigermaßen merkwürdig, dass Sie sich, als es um die Länge der Ratssitzungen usw. ging, darüber lustig gemacht haben.

Ich kann Ihnen nur aus eigener Erfahrung sagen: Wenn man am Sonntagmorgen um fünf Uhr aufstehen darf, um seine Schicht zu fahren, damit man in der Woche für die Kinder da sein kann und auch um ein Ehrenamt wahrzunehmen, zehrt das bei manchen Leuten wirklich an der Substanz. Es führt nicht dazu, dass dieses Amt auf Dauer und auch fachgerecht ausgeübt werden kann. Ich finde es alles andere als angemessen, sich über diesen Tatbestand lustig zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will Ihnen auch klar sagen: Wenn Sie ein Modell anbieten, das diese Punkte in anderer Weise darbietet, dann wäre ich sehr dafür, dass wir das wählen.

Wir haben uns aber sehr intensiv mit den Fragen „Gibt es andere Möglichkeiten der Zählsysteme?“ und „Gibt es andere Möglichkeiten, Dinge einzuführen?“ auseinandergesetzt. Wir sind zum Schluss gekommen, dass wir die so nicht sehen.

Das Absurdeste, was ich in dieser Diskussion gehört habe, war: Ach, lass doch alle rein, und dann verwehrt ihnen Antragsrechte, Zugangsrechte zu Ratssitzungen und andere Elemente. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer im Stadtrat sitzt, muss vernünftig zusammenarbeiten können. Das müssen wir vorher regeln und nicht erst hinterher. Deswegen bitte ich um Überweisung an die Ausschüsse.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Abruszat das Wort.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute die Änderung des wichtigsten Regelwerkes in Nordrhein-Westfalen, nämlich die Änderung unserer Landesverfassung. Man kann schon Zweifel daran haben, ob die bisherige Debatte geeignet ist, den Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen dahin gehend zu beeindrucken, dass wir uns bisher mit juristischer, staatsrechtlicher Qualität hinreichend mit der Thematik befasst haben.

Ich sage das deshalb so deutlich, weil die Änderung einer Landesverfassung keine Petitesse ist. Diesen Eindruck konnte ich eben bei den Vorrednern gewinnen. Ich weiß, Sie haben sich intensiv mit dieser Frage befasst; auch wir tun das sehr intensiv.

Wir haben in diesem Hause im Jahre 2013 eine umfassende Expertenanhörung zu der Frage durchgeführt. Da ging es zwar nicht um die Änderung der Landesverfassung, sondern um die Änderung einfachgesetzlicher Regelungssysteme; und dennoch gelten die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei dieser Frage auch hier und heute.

Es ist am Ende die Kardinalfrage, ob wir den Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung durch unsere Debatte und durch die Änderung der Verfassung auch nachkommen.

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Nettelstroth, da reicht es aus meiner Sicht nicht, zu sagen, man sei zuversichtlich – so haben Sie es eben hier am Redepult ausgeführt –, diese Grundsätze einzuhalten. „Zuversichtlich“ reicht nicht. Man muss sich schon sicher sein, dass es am Ende des Tages keine verfassungswidrige Verfassungsnorm ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Denn das wäre verheerend, weil wir ja heute schon wissen, dass die Piratenfraktion die Änderung beklagen wird. Es wäre verheerend, wenn der Verfassungsgerichtshof dann zum Beispiel rechtsradikalen Splitterparteien, die gegen diese Änderung vorgehen werden, mit einem entsprechenden Urteilstenor recht geben und die Auffassung solcher Kläger auch noch höchstrichterlich bestätigen würde.

Das ist das, was ich zunächst an Bedenken unserer Fraktion definitiv mit auf den Weg geben will. Und ich will …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie die Unterbrechung.

Kai Abruszat (FDP): Ja, gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Aber Herr Kollege Hübner von der SPD-Fraktion würde Ihnen gern eine Frage stellen.

Kai Abruszat (FDP): Sehr gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte, Herr Kollege.

Michael Hübner (SPD: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Herr Hans-Willi Körfges hat in seinem Redebeitrag schon deutlich gemacht, dass sich auch der Gutachterdienst des Landtags im Jahr 2007 mit der Fragestellung auseinandergesetzt hat.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Anlässlich der Rundungsregeln!)

– Richtig. Der Hinweis von Hans-Willi Körfges ist richtig, dass das anlässlich der Rundungsregelung war. Auch der Gutachterdienst hat damals zusammenfassend festgestellt – ich zitiere –, „dass die Einführung einer Sperrklausel für die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich zulässig und möglich ist.“ – Wie beurteilen Sie die Aussage des Gutachterdienstes?

Kai Abruszat (FDP: Ich bedanke mich sehr für diese Frage, weil sie mir nämlich die Gelegenheit gibt, Herr Kollege Hübner, Ihnen mitzuteilen, dass ich selbst in meiner Eigenschaft als Abgeordneter dieses Hauses den Gutachterdienst des Landtags beauftragt habe; das Gutachten wird demnächst veröffentlicht. Ich habe es schon quergelesen und kann Ihnen sagen: Es stützt eher die Auffassung, dass es erhebliche Bedenken gibt, eine Sperrklausel zu verankern. Ich stelle es selbstverständlich für die erforderlichen Beratungen zur Verfügung. Insofern glaube ich, dass das Gutachten aus 2007 nur einen Teilaspekt abbildet, Herr Kollege Hübner.

Noch einmal: Ich bin auch nicht derjenige, der sagen kann, wie es am Ende ausgeht. Für die FDP-Fraktion möchte ich erklären: Wir wollen uns dem Thema sehr sorgfältig mit einer umfassenden Expertenanhörung nähern.

(Michael Hübner [SPD]: Ist auch schon beschlossen!)

– Herr Kollege Hübner, wir haben uns auch noch nicht abschließend entschieden, wie wir uns positionieren; das machen wir abhängig von dem weiteren Verfahren.

Für uns, verehrte Kolleginnen und Kollegen – das eint CDU, SPD, FDP und Grüne –, ist die Funktionsfähigkeit der Räte und Kreistage, der kommunalen Demokratie und damit auch des kommunalen Ehrenamtes ein ganz hohes Gut. Wir sehen auch an der einen oder anderen Stelle, dass es im praktischen Alltag der Kommunalpolitik schwieriger geworden ist.

Aber am Ende des Tages ist nach den bisherigen Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Funktionsbeeinträchtigung nicht ausreichend, sondern es ist eben eine Funktionsgestörtheit, eine Funktionsunfähigkeit erforderlich, die auch nachzuweisen ist. Der substanzielle Nachweis der Funktionsgestörtheit ist aus unserer Sicht der Knackpunkt. Darüber werden wir dann noch sprechen müssen.

Lassen Sie mich abschließend sagen, dass sich der ehemalige VGH-Präsident Bertrams nicht nur in seiner Eigenschaft als Präsident des Verfassungsgerichtshofs mit der Thematik auseinandergesetzt hat, sondern er hat sich auch im Nachgang damit befasst. Herr Bertrams hat im Oktober 2013 in einer Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, die betitelt war mit „Angriff auf lästige Kleinstparteien“, sehr deutlich gemacht, wie hoch die verfassungsrechtlichen Hürden sind.

Lassen Sie uns insgesamt Sorge dafür tragen, dass wir nicht zu einer verfassungswidrigen Verfassungsnorm kommen. Das wäre in der Tat am Ende ein verheerendes Signal für die kommunale Demokratie. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. Ihnen ist heute Morgen bereits zu Ihrer Wahl zum Bürgermeister von Stemwede gratuliert worden. Das war jetzt Ihre letzte Rede?

(Kai Abruszat [FDP]: Nein!)

– Kommt noch eine? – Umso besser.

(Christof Rasche [FDP]: Das ist unser Joker!)

Dann hat der Versuch einer Abschiedsbemerkung die Erwartung auf Ihre nächste Rede noch weiter gesteigert, Herr Kollege.

(Heiterkeit von allen Fraktionen)

Nehmen Sie mir das so ab. Wir freuen uns auf den nächsten Beitrag.

Jetzt ist in der laufenden Debatte aber erst einmal Herr Kollege Sommer für die Piratenfraktion an der Reihe. Bitte schön.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne und natürlich auch im Stream! Wir reden über – wie sagte es der Kollege Abruszat so schön – das höchste Rechtsgut, das wir im Lande haben. Die Art und Weise, wie wir die Diskussion darüber hier angefangen haben, finde ich nicht besonders gelungen.

Ich fange einfach einmal mit den Themen an, die meine Vorredner angesprochen haben, und beginne mit Herrn Körfges.

Herr Körfges, Sie sagten, zur ersten Stimme brauche man nur ab 0,6 % – das hängt immer von der Größe der Kommune ab, aber grundsätzlich ja –, und zogen dann, wie auch der Kollege Nettelstroth, den Vergleich dazu, wie viele Stimmen für die weiteren Sitze benötigt werden. Dadurch kam der Eindruck auf, dass die großen Parteien benachteiligt würden. Allerdings – und das gehört zur Wahrheit dazu –: Auch die großen Parteien brauchen für ihre erste Stimme nur diese geringere Stimmenzahl. Da wird also niemand benachteiligt. Erst für das nächste Ratsmandat braucht man dann überproportional mehr Stimmen.

(Zuruf von der SPD: Das ist spitzfindig!)

– Ja, das ist spitzfindig. Ich weiß. Das hat das mit dieser Verfassung aber so an sich. Wenn wir da nicht spitzfindig und genau arbeiten, dann brauchen wir erst gar nicht damit anzufangen.

(Beifall von den PIRATEN)

Eben ist ausgeführt worden, dass nach 16 Jahren – dieses Urteil ist ja schon 16 Jahre alt – die Räte heute mehr leiden als halt vor zwölf Jahren. – Das wundert mich ein bisschen, weil das, wie ich glaube, auch schon vor zwölf Jahren verdammt viel Arbeit war und verdammt viel Arbeit nebenher. Darin sind wir uns, denke ich, alle einig. Daran gibt es auch nichts zu deuteln. Wir haben uns eben auch nicht darüber lustig gemacht, sondern darüber, dass Ihnen die statistischen Grundlagen für Ihre Aussagen komplett fehlen.

Das sogenannte Bogumil-Gutachten ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt ist. Wenn man diesem Bogumil-Gutachten allerdings folgen will, dann ist es tatsächlich so, dass die Haushaltsberatung in den Kommunen aktuell eine Stunde länger dauert – vier Stunden statt drei Stunden. Einmal im Jahr.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Torsten Sommer (PIRATEN): Natürlich immer. Herr Körfges darf mir gerne eine Zwischenfrage stellen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wunderbar, wenn Sie die schon erwartet haben. Herr Körfges, bitte.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Kollege Sommer, können Sie mir vielleicht die wissenschaftlichen Grundlagen für Ihre Beurteilung des Gutachtens von Herrn Prof. Dr. Bogumil nennen?

Torsten Sommer (PIRATEN): Die wissenschaftliche Grundlage ist, dass ich es gelesen habe – von vorne bis hinten.

(Heiterkeit von der CDU – Beifall von den PIRATEN)

Ich bin sehr verwundert darüber, dass man dieses Gutachten überhaupt wissenschaftlich nennt. Ich fasse es einmal so zusammen: Wenn ich den Teich austrocknen will, frage ich demnächst auch immer die Frösche.

Wenn ich – wie bei diesem Gutachten geschehen – aus den Kommunen lediglich die Hauptverwaltungsbeamten nach ihrer Meinung frage, ob die Einzelvertreter stören, und diese Antworten hinterher als wissenschaftliches Gutachten verkaufe, ist das schon durchaus peinlich.

(Beifall von den PIRATEN)

Das braucht kein Mensch.

Aber selbst wenn ich diesem Gutachten folge, ist es so, dass bei dieser einen Haushaltssitzung im Jahr das Ganze eine Stunde länger dauert. Selbst wenn ich bei diesem, wie ich finde, nicht wissenschaftlichen Gutachten bleibe, ergibt sich für die anderen Sitzungen eine Verlängerung von zwölf Minuten pro Sitzung. Chapeau!

Wenn ich mir dann durchlese, was das Verfassungsgericht im Jahr 1999 dazu geurteilt hat, nämlich dass die Arbeitsfähigkeit grundsätzlich nicht mehr gewährleistet sein darf, bevor ich eine Sperrklausel als Landesgesetzgeber einführen kann, dann ist eine Verlängerung von zwölf Minuten pro Sitzung doch wohl kaum als ein Ende der Arbeitsfähigkeit unserer kommunalen Vertretungen anzusehen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich komme zur Zersplitterung. Herr Körfges und auch Herr Mostofizadeh sprachen an, dass es eine sehr starke Zersplitterung gegeben habe. – Schauen wir uns doch einmal an, wie diese Zersplitterung wirklich aussieht.

Schauen wir uns zum Beispiel einmal Soest an. Soest ist mein Lieblingsbeispiel. Da rührt die Zersplitterung nicht von den zwei oder drei Einzelbewerbern oder neuen Parteien her, die in den Rat gewählt worden sind, sondern geht zurück auf die Zerbröselung und Auflösung der Altparteien. SPD, CDU und Grüne – alle haben Federn gelassen. Alle haben Mandatsträger gehabt, die sich dann einer anderen Gruppierung zugewandt oder eine neue Gruppierung gegründet haben. Sie wollen einfach nur die Reihen schließen. Sie wollen nur parteiinternen Druck ausüben. Das ist alles.

(Beifall von den PIRATEN)

Das über unsere Verfassung zu machen, ist einfach unredlich.

„Die kleinen Parteien bringen übrigens auch gar nichts in den kommunalen Vertretungen“ – wie zum Beispiel die Freifunkinitiative, die die Frau Ministerpräsidentin hier so groß und breit gelobt hat. – Ohne die kleinen Fraktionen und Vertretungen in den Kommunen gäbe es diese Aktionen alle nicht. Dann würden diese Initiativen alle kein Gehör finden.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich komme jetzt auch zum Schluss – mir wird das Ende der Redezeit angezeigt –, will aber noch auf die Gespräche, die dazu in letzter Zeit hier im Landtag und extern stattgefunden haben, eingehen. Alle Staatskundler der Westfälischen Wilhelms-Universität haben sich gegen die Wiedereinführung einer Sperrklausel ausgesprochen. Deshalb sehe ich noch nicht einmal Beratungsbedarf für dieses Demokratieabbaugesetz.

Dieser Gesetzentwurf gehört einfach in den Mülleimer der Geschichte. Daher empfehle ich meiner Fraktion ausnahmsweise sogar die Ablehnung der Ausschussüberweisung.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit ist jetzt aber überschritten.

Ja, Frau Präsidentin. – Wir werden dieses Gesetz bis zum letzten Wort bekämpfen; und sei es, indem wir jedes einzelne Wort einem Änderungsantrag unterziehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die kommunale Neugliederung 1975 hat ein Ziel gehabt: Sie hatte das Ziel, 396 leistungsfähige Kommunen in diesem Land zu schaffen, die in der Lage sind, in einem hohen Kommunalisierungsgrad staatliche Aufgaben zu erledigen. Daneben steht eine kommunale Demokratie im Ehrenamt, die diese Leistungsfähigkeit durch eigene Entscheidungen der entsprechenden Gremien der Gebietskörperschaft sicherstellten muss, nämlich den Räten und den Bezirksvertretungen.

Ich glaube, dass die einzelnen Mitglieder dieses Landtags – mich eingeschlossen – seit 1999 die Erfahrung gemacht haben, dass insbesondere in den großen Kommunen Nordrhein-Westfalens die Zersplitterung der Räte in den Entscheidungsabläufen für die Verwaltung als steuerndes Gremium zunehmend problematischer wird.

Wir führen diese Diskussion seit 1999. Die Argumente sind ausgetauscht. Jetzt ist es an der Zeit, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen, damit die nächste Kommunalwahl unter klaren und gerichtlich überprüften Voraussetzungen stattfinden kann.

(Zuruf von den PIRATEN: Alle Staatsrechtler sagen schon seit 1999, dass das nicht geht!)

Wir brauchen Klarheit, auch für das geltende Wahlrecht. Alle Fraktionen haben deutlich gemacht – aus welch unterschiedlichen Argumentationen auch immer heraus –, wie sie dieses Gesetz beurteilen.

Ich bin der Meinung, dass die Einführung einer Sperrklausel in das kommunale Wahlrecht ein politisch und auch rechtlich sensibles Vorhaben ist, aber auch, dass es lohnenswert ist, jetzt diesen Weg zu gehen. Wir werden im Ausschuss und in der Anhörung sicherlich noch interessante Gespräche und Diskussionen haben. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor und können wegen Überschreitung der Redezeiten auch nicht vorliegen. Daher beende ich die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

Vor der Abstimmung weise ich gerne darauf hin, dass sich die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer inzwischen unter Berücksichtigung der Empfehlung des Ältestenrates auf eine Empfehlung zur Überweisung des Gesetzentwurfs in der Drucksache 16/9795 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik verständigt haben.

Wer möchte gegen diese Überweisung stimmen? – Das sind die Piraten. Wer stimmt für die Überweisung? – SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist dieser Gesetzentwurf Drucksache 16/9795 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis – ich glaube, zum ersten Mal seit langer Zeit wieder streitig – an die beiden Fachausschüsse überwiesen worden.

Damit schließe ich den Tagesordnungspunkt 6 und rufe auf den vormaligen Tagesordnungspunkt 8 und jetzigen Tagesordnungspunkt

7   Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge – Entlastung bei den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9789

Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem Herrn Alda für die antragstellende FDP-Fraktion das Wort.

Ulrich Alda (FDP): Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag macht ein Thema öffentlich, von dem über 8 Millionen Bürgerinnen und Bürger in diesem Land direkt betroffen sind. Indirekt – wenn man Ehepartner, Lebenspartner und Kinder dazuzählte – wären es round about 15 Millionen.

Worum genau geht es? Es geht um die betriebliche Altersvorsorge. Es geht aber auch um die Schnittstelle zwischen privater und betrieblicher Vorsorge. Die gesetzliche Rente kann bekanntlich vielen Menschen nicht den Lebensstandard sichern. Daher sind private und betriebliche Vorsorge unverzichtbar.

Lassen Sie mich in dieser komplexen Thematik mit einem Terminus beginnen, den fast alle kennen: Direktversicherung durch Entgeltumwandlung – ein Instrument, das seit den 1980er-/1990er-Jahren intensiv beworben wurde. Ich habe damals als junger Personalverantwortlicher den Arbeitnehmern stets davon abgeraten; denn Entgeltumwandlung bedeutete letztlich, dass der Arbeitnehmer auf einen Teil seines Gehalts verzichtet und der Arbeitgeber von der daraus resultierenden Sozialabgabenfreiheit profitiert und sich so den Arbeitgeberanteil spart. So weit, so gut – oder so schlecht; denn es kommt noch dicker.

Von Rot-Grün wurde 2004 mit schwarzer Unterstützung mit dem sogenannten GMG, dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung – wieder so ein Wortungetüm – die volle Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung eingeführt. Das bedeutet heute: Knapp 18 % von dem, was die Leute selbst erspart haben, sind an die Kassen abzuführen – und dies auch auf Kapitalauszahlungen, ohne Bestandsschutz für Altverträge und ohne Übergangsregelung. Meine Damen und Herren, Sie haben richtig gehört: rückwirkend und ohne Vertrauensschutz.

Der geneigte Zuhörer oder die geneigte Zuhörerin wird messerscharf erkennen, dass der Arbeitnehmer damit auch noch die Arbeitgeberbeiträge für die Krankenkasse übernehmen muss. Besonders ungerecht ist dies für Altverträge, bei denen die Beiträge aus dem Nettoeinkommen angespart wurden, für das man eigentlich schon Sozialbeiträge abgeführt hat. Sie waren dann eben nicht sozialversicherungsfrei.

Abgesehen von der Zahlung über den Arbeitgeber, der ja nur die Abwicklung macht und ansonsten nichts dazutut, entsprechen diese Verträge eigentlich einer privaten Kapitallebensversicherung. Die Krankenkassen und die Rechtsprechung der Sozialgerichte haben aber auch Auszahlungen aus diesen Verträgen beitragspflichtig gestellt. Hier brauchen wir unbedingt eine Klarstellung.

Ein weiteres Problem der betrieblichen Altersvorsorge sind die niedrigen Zinsen. Unternehmen müssen in der Folge in ihrer Bilanz Pensionsrückstellungen erhöhen – je weniger Zinsen man erwirtschaftet, umso mehr muss man einzahlen, um den Arbeitnehmern ihren Anteil geben zu können. Dadurch gehen aber Gewinne und Liquidität verloren. Einige Betriebe sind bereits existenziell bedroht.

Die Landesregierung hat zwar aktuell im Bundesrat das Problem hinsichtlich der Handelsbilanz aufgegriffen. Allerdings soll der steuerliche Rechnungszins bei 6 % festgesetzt bleiben. So können die höheren Rückstellungen die Steuerlast nicht reduzieren. Noch einmal: 1 % Zinsen, maximal vielleicht 1,2 %; aber ich zahle weiterhin 6 %, die ich an Steuern dafür abführen muss.

So können die höheren Rückstellungen die Steuerlast nicht reduzieren. Da wollen Sie – auch Rot-Grün hier – weiter aus fiktiven Gewinnen abkassieren, die im Prinzip nicht da sind.

Erlauben Sie mir, zum Abschluss noch zwei Punkte hervorzuheben, damit die Bedeutung der ganzen Sache im Raum bleibt. Wenn jemand von seinem Geld über 24 oder 25 Jahre beispielsweise 100.000 € zusammengespart hat – die hat er höchstwahrscheinlich nicht im Lotto gewonnen, sondern erarbeitet –, muss er davon bei der Auszahlung 18.000 € abgeben. Ich sage das nur, damit einmal greifbare Summen im Raum sind.

Jeder sollte sich die Frage stellen, ob in unserer Gesellschaft eigentlich noch der Vertrauensschutz gilt, gerade für normale Arbeitnehmer, weil es nur die trifft, die unter der Beitragsbemessungsgrenze liegen. Es betrifft also nicht die Spitzenverdiener, sondern den normalen, durchschnittlichen Arbeitnehmer.

In diesem Zusammenhang freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss und hoffe auf die Solidarität aller Fraktionen mit den betroffenen Menschen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Spanier-Oppermann.

Ina Spanier-Oppermann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Lieber Herr Alda, seit der Gesundheitsreform 2004, auf die auch mein Vorredner hingewiesen hat und die von einer breiten Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat verabschiedet wurde, müssen gesetzlich krankenversicherte Rentner unter anderem auf Betriebsrenten und Direktversicherungen den vollen Kassenbeitrag zahlen.

Bis zu dieser Neuregelung waren diese Bezüge bei den pflichtversicherten Rentnern mit dem halben Krankenkassenbeitrag und bei freiwillig versicherten Rentnern mit dem vollen Beitragssatz belegt. Ziel der Neuregelung war es, verschiedene Alterseinkünfte möglichst gleich zu behandeln. Dies gebietet der Anspruch, in einem sozialen Versicherungssystem Beiträge auch solidarisch aufzubringen.

Das GKV-Modernisierungsgesetz stellte mit Sicherheit, wie wir es gerade schon gehört haben, eine Zäsur dar, wurden doch nun alle Kapitalleistungen, die der Altersversorgung dienten, bei pflichtversicherten Rentnern der vollen Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung unterworfen. Viele Menschen, die von dieser Veränderung betroffen waren, klagten dagegen. Doch das Bundesverfassungsgericht hat die gesetzlichen Regelungen bestätigt. Die Verfassungsrichter entschieden, dass der volle Beitragssatz zugemutet werden könnte. Weder sei der allgemeine Gleichheitsgrundsatz noch der Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt.

Angesichts der Bemühungen des Gesetzgebers, das gesetzliche Versicherungssystem zu stabilisieren – ich denke, wir alle erinnern uns da noch an die heftigen Diskussionen –, hätten die Versicherten in den Fortbestand ihrer privilegierten Regelungen nicht uneingeschränkt vertrauen dürfen. Das Gemeinwohlziel zur Erhaltung des Systems der gesetzlichen Krankenkassen stand über allem.

Ich zitiere aus der Urteilsbegründung:

„Während auf das Arbeitsentgelt und die Renten schon seit langem der volle allgemeine Beitragssatz erhoben werde, habe für Versorgungsbezüge [bei pflichtversicherten Rentnern] nur der halbe Beitragssatz gegolten, weil der Gesetzgeber darauf Rücksicht habe nehmen wollen, dass auch Arbeitnehmer nur die Hälfte der Beiträge aus ihrem Arbeitsentgelt zu tragen hätten. Unausgewogen sei diese Regelung insbesondere im Verhältnis zu den freiwillig Versicherten gewesen, die auch auf Versorgungsbezüge stets Beiträge nach dem vollen allgemeinen Beitragssatz hätten zahlen müssen. … Die Erhöhung der Beitragslast für Versorgungsbezüge sei durch das legitime Ziel gerechtfertigt, Rentner mit Versorgungsbezügen in angemessenem Umfang an der Finanzierung der Leistungsaufwendungen zu beteiligen, …“

Es stand auch immer das Damoklesschwert der Lohnnebenkosten durch weitere Beitragssatzanhebungen im Raum.

„Der Gesetzgeber habe davon ausgehen können, dass die Neuregelung dem Prinzip der Finanzierung im Solidarsystem nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eher entspreche und im Regelfall auch nicht den größeren Betrag der Alterseinkünfte betreffe. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Rentenbezieher auf den Fortbestand der für sie günstigen Beitragslastregelung habe nicht bestanden.“

Ich kann mich sehr gut erinnern: Das hat auch nicht jeder verstanden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von der FDP, lieber Herr Alda, ich habe den Antrag gelesen und muss sagen: Der Antrag ist ein einziger Blick zurück. – Auch gerade habe ich das wieder gedacht. Er betrifft eine Regelung, die längst entschieden und abschließend durchprozessiert ist.

Zu betonen ist nicht zuletzt, dass auch alle Rentnerinnen und Rentner von dem umfassenden und qualitativ hochwertigen Leistungskatalog der Kassen profitieren.

Das Thema „Altersvorsorge“ ist ein wichtiges Thema und entwickelt sich mit der Gesellschaft immer weiter. Daher stimmen wir auch der Überweisung in den Fachausschuss zu.

Ich freue ich mich darauf – diesen Seitenhieb kann ich mir doch nicht ganz verkneifen –, dass ich in dem Fachausschuss einmal die Intention dieses Antrags erläutert bekomme. Ich hoffe nämlich nicht, dass zum Ausdruck kommt, dass dies doch ein für eine ganz bestimmte Gruppe gemachter Antrag ist. Wenn das nicht so ist, muss ich davon ausgehen, dass es sich erneut um einen – wenn auch untauglichen – Versuch handelt, unser Solidarsystem wieder einmal infrage zu stellen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Spanier-Oppermann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Post.

Norbert Post (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Drei Säulen sind wichtig und werden von Tag zu Tag immer wichtiger, nämlich die drei Säulen der Altersversorgung: die Renten, die betriebliche Versorgung und die persönliche zusätzliche Versorgung. Mit diesen drei Säulen gibt es im Moment große Probleme. Bei einer Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank erbringen die Säulen nicht das, was sie erbringen sollen, und müssen deshalb hinterfragt werden.

Herr Alda, deshalb verstehe ich, dass Sie jedwede Möglichkeit nutzen, um Verbesserungen herbeizuführen. Die Verbesserungen bezogen auf die Steuerbilanz und den Zinssatz mag ich noch nachvollziehen können. Es ist schon problematisch, bei einer 0-%-Verzinsung 6 % anzusetzen. Darüber muss zu reden sein – aber sicherlich nicht hier bei uns im Landtag; das wird im Bundestag zu entscheiden sein.

Das Thema der nachträglichen Versicherungspflicht für die nach 2004 schon bestehenden Verträge ist, was ich für wichtig halte, durch Gesetzgebung und richterlich entschieden. Daran werden wir nichts ändern können.

Aber es wird insgesamt nötig sein, mehr Möglichkeiten zu schaffen, damit die Menschen sich selbst und über die Betriebe besser versorgen und versichern können und eine bessere Alterssicherung herbeigeführt wird. Dazu gibt es derzeit ein großes Gutachten im Rahmen eines wissenschaftlichen Auftrags der Bundesregierung an ein Würzburger Institut, ich meine sogar, an die Hochschule selbst. Es wird schon überlegt, ob die 70 %, die sich derzeit dieser Alterssicherung zuwenden, genug sind. Wenn wir die demografische Entwicklung richtig und ernsthaft betrachten, werden wir nämlich alle in Zusatzversicherungen und Ähnliches hineinkommen müssen.

Diese Diskussion wird dann ergebnisoffen bis zum Ende des Jahres im Bundestag diskutiert werden. Da werden auch Ihre Probleme noch einmal aufgegriffen. Ich denke, wir sollten uns in unserer Ausschussberatung mit diesem Gutachten ein bisschen weiter bewegen können und so die Probleme – auch die zwei, die Sie konkret angesprochen haben – aufnehmen.

Den Punkt 1 Ihres Antrags kann ich in der Allgemeinheit, in der Sie ihn formulieren, nicht übernehmen. Das müssten Sie ein bisschen stärker konkretisieren. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Post. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Maaßen.

Martina Maaßen (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Unbestritten ist die Notwendigkeit, sich neben der gesetzlichen Rentenversicherung eine betriebliche und private Altersvorsorge aufzubauen. Dabei ist festzustellen, dass Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge ähnlich wie Lebensversicherungen vor besonderen Herausforderungen durch das Niedrigzinsumfeld stehen.

Es stellt sich die berechtigte Frage, welche Wirkungen das andauernde Niedrigzinsumfeld auf die Stabilität der Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge haben wird. Grundsätzlich ist denkbar, dass die verzögerte Aufwertung der Rückstellungen zur Verschleierung problematischer Solvenzsituationen der Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge führen kann.

Die höhere Belastung von Renten der betrieblichen Altersversorgung mit Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung ist, wie eben schon von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern erwähnt, auf das GKV-Modernisierungsgesetz zurückzuführen, das bereits seit dem Jahr 2004 in Kraft ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Beiträge auf Betriebsrenten wurden verdoppelt. Dies war der Tatsache geschuldet, dass unsere Sozialversicherungssysteme mit erheblichen Finanzproblemen zu kämpfen hatten und insbesondere durch die demografische Entwicklung die Krankenversicherung der Rentner erheblich belastet war und ist.

Die von der FDP angestrebte Reduzierung der Beitragspflicht würde zu Einnahmeverlusten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung führen. Ich frage Sie, Herr Alda: Wie will die FDP diese Einnahmelücke schließen? Welche Maßnahmen der Gegenfinanzierung müssen hier gefunden werden? Im Lichte des gedeckelten Arbeitgeberbeitrages bleiben ja letztendlich nur Zusatzbeiträge von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Dies würde aus unserer Sicht zu Ungleichbehandlungen führen – es sei denn, die FDP befürwortet wieder eine paritätische Finanzierung durch Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen, den Einbezug weiterer Einkommensarten und eine Bürgerversicherung, wie sie von uns Grünen gefordert wird.

Da diese Forderungen bei der FDP nicht auf Widerhall stoßen und auch auf Bundesebene derzeit nicht mehrheitsfähig sind, lehnen wir Grünen es ab, die derzeit geltende Beitragsregelung aufzuheben.

Nachzuvollziehen ist jedoch die Forderung hinsichtlich des Handels- und Steuerrechts in Bezug auf die Bewertung der Pensionsrückstellungen.

Diese Inkonsistenz ist nicht recht nachvollziehbar. Die handelsbilanziellen Pensionsrückstellungen sollten hier entschärft werden, um die betriebliche Altersvorsorge zu stärken. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Maaßen. – Für die Piraten spricht der Kollege Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne und auch im Livestream! Ich kann mich der Kollegin Maaßen in Bezug auf die handelsbilanziellen Effekte nur anschließen. Das muss natürlich entschärft werden. Lieber Uli Alda, das ist ein Punkt, den wir direkt unter „Zustimmung“ abhaken können.

Insgesamt geht es aber bei der Altersvorsorge im Moment wirklich turbulent zu. Wir sollten uns jetzt nicht nur diesen einen Part heraussuchen, den dieser FDP-Antrag beleuchtet. Ich denke, wir müssen, was die Renten- und Pensionsansprüche angeht, das Ganze wirklich groß denken, weil die Säulen zwei und drei, die private und die betriebliche Altersvorsorge, ein wenig darben. Bei der betrieblichen Altersvorsorge geht es noch; aber bei der privaten Altersvorsorge sieht es wirklich bitter aus. Die Nullzinspolitik ist hier eben genannt worden. Es ist vor allem eine dauerhaft anhaltende Niedrigzinspolitik. Ob sie so einfach vorbeigeht, wird sich zeigen. In Japan haben wir sie seit 30 Jahren.

Daher brauchen wir meines Erachtens neue Ansätze, wie wir das Ganze regeln können.

Ein Punkt, der mir in der Diskussion fehlt: Wir sagen, dass wir eine private Altersvorsorge brauchen, und schicken dann die Leute los, um sich am Aktienmarkt Pakete zu kaufen, bei denen es sich immer um hoch volatile Anlagemöglichkeiten handelt. Das müssen wir nicht unbedingt machen. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn wir kommunale Anleihen ausgeben. Es wäre gar nicht schlecht, wenn unsere Bürger einfach in die eigene Infrastruktur investieren würden. Das wäre durchaus einen Gedanken wert und meines Erachtens auch sinnvoller.

Bei der betrieblichen Altersvorsorge finde ich es ärgerlich, dass dort Rückstellungen gebildet werden, die dann nicht unbedingt dem Unternehmen und auch nicht dem Einzelnen zur Verfügung stehen. Auch wenn ich die amerikanischen Rentenversicherungsmodelle sicherlich nicht loben will, sehe ich die Möglichkeit, dass man betriebliche Anteile des eigenen Unternehmens, in dem man arbeitet, als Altersvorsorge erwerben kann, als bedenkenswerten Part an.

Da sollte das Ganze breiter geöffnet werden. Da müssen wir unsere Arbeitgeber ein bisschen in Bewegung bekommen. Das wäre klasse.

Jetzt komme ich zu einem Punkt, der auch auf Bundesebene – es ist eigentlich auch ein sehr bundesaffines Thema – sehr wichtig ist. Das ist die Scheinselbstständigkeit, die aktuell durch die sogenannte Arbeit 4.0 und den digitalen Wandel befördert wird. Wir haben über den Missbrauch der Werkverträge schon Probleme. Das Ganze wird sich in Zukunft noch exponenzieren, wenn alles digital abläuft, wenn alles an Aufgaben im Prinzip ohne eine unternehmerische Hülle ablaufen kann.

Da zitiere ich Joachim Möller vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im Expertengespräch des Bundestagsausschusses Digitale Agenda: Da tickt eine Zeitbombe. Das sind überhaupt nicht abgesicherte Scheinselbstständige.

Dieser Punkt stellt sogar noch die Handelsbilanzdefizite gnadenlos in den Schatten. Insofern werden wir das Ganze viel umfangreicher besprechen müssen.

Dass wir das hier im Landtag auch tun, finde ich übrigens gar nicht schlimm. Selbstverständlich muss es bundesgesetzlich geregelt werden. Gleichwohl bewegt sich ohne regelmäßige Antreiberei aus den Ländern auf Bundesebene sehr wenig.

Daher freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss. Wir werden allerdings auch für Renten- und Pensionssicherungen und -regelungen in Zukunft noch eigene Anträge einbringen. Ich freue mich auch auf diese Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ziel, dass die betriebliche und private Altersvorsorge gestärkt werden muss, ist im Grundsatz richtig. Ich glaube, das ist überhaupt keine Frage. Das ist gerade aus allen Redebeiträgen hervorgegangen.

Die Frage ist nur: Wie ist der richtige Weg? Aus Sicht der Landesregierung ist der Vorschlag, den Sie gerade machen, nicht der richtige Weg, sondern ein Weg, der uns nicht wirklich weiterhilft, sondern andere Probleme aufwirft. Die Bedeutung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge wächst – ich glaube, das ist unumstritten –, weil das Rentenniveau sinkt – das haben auch schon die Vorredner und Vorrednerinnen gesagt – und gleichzeitig die Lebenserwartung steigt. Diese Herausforderung ist eine, der wir uns gemeinsam stellen müssen.

Der Antrag spricht die höhere Belastung von Renten der betrieblichen Altersvorsorge mit Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung an. Auch dazu haben schon viele Vorredner etwas gesagt, nämlich zu der Frage, wieso im November 2003 das GMG beschlossen worden ist. Die Idee, die beim GMG dahinterstand, war ein Gesamtpaket, und zwar ein Gesamtpaket zur Stärkung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Ich glaube, dass man sich dabei nicht nur den einen Teil, nämlich den Lastteil, ansehen kann. Herr Alda, Sie haben eben gesagt, wie viele Millionen Menschen das betrifft. Wenn man das Ganze umkehren und den Beschluss von damals zurücknehmen würde, wären sehr viel mehr Menschen betroffen, nämlich alle gesetzlichen Krankenversicherten, weil bei dem damaligen Paket gleichzeitig viele Leistungseinschnitte gemacht worden sind. Die OTC-Arz-neimittel sind herausgenommen worden, weshalb die Menschen plötzlich nicht verschreibungspflichtige Medikamente, die sie dringend brauchen, selbst bezahlen müssen, die Sehhilfen sind herausgenommen worden, die Fahrtkosten sind herausgenommen worden, und die Praxisgebühr ist dazugekommen.

Die Konsequenz wäre: Wollten wir jetzt das Mehr an Beiträgen, das in der Krankenversicherung durch das Schließen dieser Ungerechtigkeitslücke entstanden ist, herausnehmen, müssten Leistungen für sämtliche Versicherten in Deutschland gestrichen werden oder Leistungen wieder zusätzlich selbst finanziert werden.

Ihr Vorschlag bedeutet also, dass ein kleiner Teil von Menschen eine Besserstellung gegenüber den damaligen Beschlüssen haben würde, der größte Teil der Bevölkerung aber eine Schlechterstellung hätte. Das funktioniert gar nicht. Das ginge zulasten der gesamten Versichertengemeinde. Gerade vor dem Hintergrund der Situation, die wir heute bei der gesetzlichen Krankenversicherung haben, geht das nicht.

Wir haben es nämlich damit zu tun, dass die Kassen wieder Defizite machen. Ende des letzten Halbjahres waren es ca. 500 Millionen €. Die Ausgaben der GKV steigen, weil wir mit einer älter werdenden Bevölkerung mehr gesundheitliche Versorgungsbedarfe haben. Die Arzneimittelausgaben sind auf einem Höchststand. Das hat etwas mit unserer älter werdenden Bevölkerung zu tun.

Zusätzliche Maßnahmen, die wir gemeinsam beschließen, um die Gesundheitsstrukturen sicherzustellen, verursachen zusätzliche Kosten. Die GKV ist aber kein Selbstläufer. Vielmehr haben wir große Probleme, wie wir sie mit den ganzen Bedarfen, die wir haben, stabil halten können.

Wir wollen den Menschen die Leistungen, die sie brauchen, nicht wegnehmen. Wir wollen nicht zusätzliche finanzielle Belastungen in der Breite für alle haben. Also ist dieser Vorschlag so nicht akzeptabel.

Trotzdem müssen wir die Diskussion darüber führen, wie wir eine Sicherung erreichen und die Probleme bewältigen können – aber ohne solche Vorschläge, bei denen wir mit Zusatzbeiträgen nur die Arbeitnehmerinnen belasten. Wir müssten eigentlich sogar Diskussionen in die andere Richtung führen: Wie schaffen wir eine finanzielle Entlastung der Arbeitnehmerinnen, also Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung? Das sind Diskussionen, die für viele ganz wichtig sind und dringend notwendig wären.

Doch zurück zu dem, was der Kern Ihres Antrags ist: Wie schaffen wir es, die Menschen hier zu entlasten? Sie wissen, dass die Landesregierung dazu schon tätig geworden ist. Bei der 936. Sitzung des Bundesrates am 25. September 2015 sind wir aktiv geworden und haben zu dem Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie die Bundesregierung aufgefordert, entsprechende Maßnahmen zur Entschärfung der Problematik sinkender Zinsen für die Altersversorgung zu ergreifen.

Wir müssen gemeinsam mit der Bundesregierung Wege finden, wie die betriebliche Altersversorgung in der Nullzinsphase oder Niedrigzinsphase, die wir zurzeit haben, trotzdem gesichert bleiben kann. Der Weg, den Sie einschlagen, ist nicht unser Weg. Aber die Diskussionen können wir gemeinsam führen. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin Steffens. – Nun hat Herr Alda noch einmal um das Wort gebeten. Das bekommt er selbstverständlich auch. Ich darf Sie jedoch vorsorglich darauf hinweisen, dass Sie jetzt eine sehr sportliche Leistung hinzulegen haben. Sie haben noch 25 Sekunden Redezeit.

Ulrich Alda*) (FDP): Liebe Frau Ministerin! Was ist der richtige Weg? Dafür diskutieren wir hier. Dafür sitzen wir hier zusammen. Sonst könnten wir alle nach Hause gehen.

Liebe Frau Spanier-Oppermann, es ist ein Blick zurück. Das geht auch nicht anders. Die Leute haben vor 25 Jahren eingezahlt. Das mit der Änderung und Abschaffung des Systems lasse ich einmal unter sportlichen Gesichtspunkten laufen.

Kollege Post, Kollege Sommer, Kollegin Maaßen, ja, ihr alle hättet diesen Antrag stellen können. Ihr seid alle angeschrieben worden. Es sind übrigens ein paar Leute auf der Tribüne, die mich und auch euch angeschrieben haben. Ich habe euch in dem Verteiler gesehen.

Ihr hättet diesen Leuten ebenso gut helfen können, um diese Sache anzustoßen. Ihr könnt der FDP nicht vorwerfen, wenn wir Benachteiligten helfen wollen, dass wir das dann auch tun. – Danke.

(Beifall von der FDP - Zurufe von der SPD: Och!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Alda, Sie haben die sportliche Leistung in 35 Sekunden geschafft. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/9789 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Auch nicht. Damit haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

8   Gesetz über die Feststellung eines dritten Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2015 (Drittes Nachtragshaushaltsgesetz 2015)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9800 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/9820

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9893

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9894

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9895

zweite und dritte Lesung

In Verbindung mit:

Achtes Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9808

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/9821

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache, und für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Gebhard das Wort.

Heike Gebhard (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Erst gestern sind der Dritte Nachtragshaushalt und in Verbindung mit ihm das neue Flüchtlingsaufnahmegesetz eingebracht worden. Bereits heute steht die abschließende Beratung an – ein sicherlich außergewöhnliches Vorgehen.

An den Anfang meines Beitrags möchte ich einen recht herzlichen Dank an die Oppositionsfraktionen stellen, dieses verkürzte Verfahren mitzugehen. Das setzte unser aller Bereitschaft voraus, dieses heute – bereits vor dieser Plenarsitzung – parallel in vier Ausschüssen zu beraten, um es gemeinsam voranzubringen.

Voraussetzung für die Oppositionsfraktionen, sich auf diesen Weg einzulassen, war, dass sich dieser Dritte Nachtragshaushalt ausschließlich darauf konzentriert, die Mittel zur Bewältigung der großen Aufgabe in Verbindung mit der Zuwanderung, mit der großen Zahl von Flüchtlingen, die wir aufzunehmen haben, bereitzustellen. Das heißt, in diesem Parlament gibt es große Einigkeit, dass der Zuzug von bundesweit etwa 800.000 Flüchtlingen, von denen 170.000 nach Nordrhein-Westfalen kommen, uns in eine Situation bringt, die diese außergewöhnliche Maßnahme notwendig macht und uns allen eine große Flexibilität abverlangt.

Es gibt aber Anzeichen, dass es weitaus mehr werden können als die prognostizierten 800.000. Deshalb sieht dieser Nachtragshaushalt insbesondere an zwei Stellen schon Verstärkungsmittel vor, um nicht im Laufe der letzten drei Monate dieses Jahres nochmals in die Situation zu kommen, gegebenenfalls haushaltstechnisch nachbessern zu müssen.

Wir haben in der Tat nur noch drei Monate in diesem Jahr. Umso wichtiger war es – das ist heute Morgen in den Ausschüssen ausführlich geklärt worden –, deutlich zu machen, dass die anstehenden Maßnahmen, für die die Mittel bereitgestellt werden müssen, bereits eingestielt sind. Das heißt, insbesondere die Vorarbeiten zur Besetzung der Stellen in den Bereichen Schule und Polizei sind weit gediehen, und wir sind hoffnungsfroh, dass die Stellen in der Tat kurzfristig besetzt werden können.

Alles in allem stellen wir in 2015 mit diesem Dritten Nachtragshaushalt 1,7 Milliarden € bereit. Das ist sicherlich kein kleiner Beitrag und macht deutlich, mit welcher Ernsthaftigkeit wir uns in Nordrhein?Westfalen in diesem Jahr um diese Aufgabe kümmern und uns der Entwicklung stellen.

Frau Präsidentin hat schon darauf hingewiesen, dass es darüber hinaus heute zu diesem Dritten Nachtragshaushalt einen Änderungsantrag gibt, der bereits gestern im Plenum von unserem Fraktionsvorsitzenden Norbert Römer angekündigt worden ist. Mit diesem Änderungsantrag wollen wir Vorkehrungen dafür treffen, die Ankündigung der Bundesregierung beim Flüchtlingsgipfel in der letzten Woche auch umzusetzen, nämlich die zusätzliche 1 Milliarde € für 2015 bereitzustellen und die Möglichkeit zu verschaffen, diese eins zu eins an die Kommunen weiterzuleiten.

Es ist gut, und ich freue mich ausdrücklich darüber, dass die Fraktionen von CDU und FDP diesem Antrag von Rot-Grün beigetreten sind und wir das Ganze gemeinsam in die Wege leiten. Aber ich denke, gerade an diesem Punkt bedarf es einiger klarer Worte zu dem Versuch der Legendenbildung seitens der Opposition, insbesondere der CDU.

(Zuruf von der CDU)

– Ja, das ist notwendig. – Ich will daran erinnern: Es gab in der Tat eine erste Charge des Bundes in Höhe von 500 Millionen € bundesweit. Das heißt, 108 Millionen € sind für Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt worden, wobei – das verschweigen Sie immer – 54 Millionen € – sprich: 50 % – tatsächlich frisches Geld des Bundes ist, während die anderen 54 Millionen € von den Ländern – von uns, von Nordrhein-Westfalen -zurückzuzahlen sind. Es ist also ein Kredit für Nordrhein-Westfalen.

Um das auch noch mal klarzustellen: Diese 54 Millionen € sind direkt an die Kommunen weitergeleitet worden, und von den zweiten 54 Millionen €, die das Land Nordrhein-Westfalen als Kredit erreicht haben, sind 40 Millionen € über das Flüchtlingsaufnahmegesetz ebenfalls direkt an die Kommunen geflossen.

Wir haben damals mit dem Haushalt 2015 weitere 34 Millionen € für Maßnahmen zur Versorgung und Begleitung von Flüchtlingen bereitgestellt. Wer rechnen kann, ist klar im Vorteil und erkennt, dass wir damit deutlich mehr ausgegeben haben als die 108 Millionen €. – Das ist das eine.

Ich möchte hinzufügen: Daran, dass beim Land nur 14,2 Millionen € für zusätzliche Lehrerstellen verblieben sind, sieht man auch, dass der Restbetrag, der für die Maßnahmen vor Ort eingesetzt worden ist, immer noch über 108 Millionen € beträgt und sehr konkret bei der Arbeit in den Kommunen und den dort Beteiligten hilft.

Die zweite Charge – vor der Sommerpause seitens der Bundesregierung angekündigt und politisch verkündet – haben wir sofort im zweiten Nachtragshaushalt etatisiert.

Das heißt, wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das Geld, wenn es denn kommt, sofort vollständig weitergeleitet wird. Bis heute konnten die Mittel leider noch nicht durchgeleitet werden – nicht etwa, weil das Land irgendetwas versäumt hätte, sondern deshalb, weil das Bundeskabinett formal erst im September beschlossen hat und der Bundestag bis heute noch gar nicht hat beschließen können.

Was hat die CDU hier im Land Nordrhein-Westfalen daraus gemacht? – Sie hat, nachdem der politische Beschluss gefasst worden ist, eine erste Kampagne gestartet: Oh, Land, bitte schön sofort an die Kommunen durchleiten, und ja keine klebrigen Finger haben! – Es gab keine Veranlassung dafür. Wir haben das im zweiten Nachtragshaushalt geregelt.

(Zurufe von der CDU)

Als der Kabinettsbeschluss kam, war die gleiche Leier zu hören: Noch einmal Neuverkauf; juchu, vom Bund kommen weitere Millionen; die soll das Land, bitte schön, weitergeben. – Alles Schnee von gestern. Das heißt, Sie haben diese Kampagnen wider besseres Wissen gefahren.

Heute musste ich mir tatsächlich die Augen reiben, als ich die Pressemeldung des Kollegen Hovenjürgen gelesen habe.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Er schreibt doch tatsächlich, er fordere die Umsetzung der Punkte, die am 24. September 2015 auf dem Flüchtlingsgipfel beschlossen worden seien, insbesondere die Weiterleitung der zusätzlichen, vom Bund zugesagten 1 Milliarde € an die Kommunen. Klasse!

Schauen wir doch einmal genauer hin: Am 24. September 2015 abends fand der Gipfel statt, und am 25. September 2015 erklärte der Innenminister von Nordrhein-Westfalen in der Person von Ralf Jäger, dass diese 1 Milliarde € selbstverständlich eins zu eins an die Kommunen weitergeleitet werde.

(Zurufe von der CDU)

Die Ministerpräsidentin erklärte am 25. September 2015 – ebenfalls in einem WDR-Interview –, dass dies so erfolgt. Gestern geht der Vorsitzende der SPD-Fraktion – eines nicht gerade kleinen Teil des Haushaltsgesetzgebers dieses Hauses – hin und erklärt: Ja, wir werden den Antrag stellen. – Dann haben Sie die Stirn, zu meinen, Sie müssten uns noch dazu auffordern!

Herr Kollege Hovenjürgen,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Frau Kollegin Gebhard!)

es kommt mir ein bisschen so vor wie bei der Geschichte von Hase und Igel: Sie meinen, schneller laufen zu müssen, aber Sie müssen leider feststellen: Wir sind cleverer, wir sind schon da. Wir haben das schon erledigt.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Sie müssen leider erkennen, dass dieses Räppelchen – „klebrige Finger“ – nicht funktioniert. Ich kann Ihnen nur sagen – aus meiner Erfahrung als Mutter weiß ich das ganz genau –: Kaputtes Spielzeug birgt eine hohe Verletzungsgefahr. Man sollte es ganz schnell entsorgen. Es gehört auf den Müll. – In diesem Sinne ein herzliches Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebhard. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Dr. Optendrenk das Wort.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in der Tat, wie die Kollegin Gebhard das hier schon ausgeführt hat, den Dritten Nachtrag zum Landeshaushalt 2015 in einem absoluten Rekordtempo.

Der Landtag macht das aus gutem Grund: Seit dem Sommer haben sich nämlich die Herausforderungen durch die Flüchtlingsströme in ganz Europa in einer Weise entwickelt, dass dadurch auch die Handlungsfähigkeit des Landes und der Kommunen gefährdet ist. Auf einen solchen Zustrom von Flüchtlingen war keiner vorbereitet, und wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen, es konnte in der Form wohl auch keiner darauf vorbereitet sein.

Deshalb ist der Landtag als Haushaltsgesetzgeber heute gefordert, die notwendigen Mittel zu bewilligen, um Ministerien und Kommunen schnell über die bis zum Jahresende absehbar notwendigen Mittel verfügen zu lassen. Wir haben als Opposition ausnahmsweise auf alle Fristen und Minderheitenrechte verzichtet, damit schnell geholfen werden kann.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Die Kollegin Gebhard hat es geschildert: Heute Morgen haben wir deshalb in mehreren Ausschüssen gemeinsam über die gestern auch von der Landesregierung eingebrachten Änderungen beraten und eine Beschlussempfehlung formuliert. Wir haben eine Vielzahl von Einzelfragen gestellt und auch die vorgelegten Etatpositionen näher beleuchtet.

Dabei hat sich gezeigt, dass vieles weiterhin im Fluss ist. Das ist angesichts der Dimension, wie wir sie zuletzt vielleicht beim Fall der kommunistischen Regime in Osteuropa vor 25 Jahren hatten – mit der dann damit verbundenen Öffnung der Grenzen –, auch verständlich.

Gestern haben wir im Plenum ausführlich darüber debattiert, nach welchen Grundsätzen wir diese Herausforderungen angehen wollen und müssen. Das ist deshalb heute nicht das Kernthema der Haushaltsberatung.

Es ist aber mit Blick auf den Haushalt festzuhalten: Nur eine weit überdurchschnittlich laufende Konjunktur und die daraus resultierenden Rekordsteuereinnahmen in Größenordnungen von 8 % oder 9 % an Mehreinnahmen im Vergleich zum Vorjahr machen es dem Land möglich, diese Aufgabe in einem Nachtrag ohne eine höhere Neuverschuldung zu finanzieren.

Fünf Jahre lang hat Rot-Grün hier eine Haushaltspolitik ohne Konsolidierungsabsicht betrieben. Es handelte sich um Konsolidierungsrhetorik.

(Beifall von der CDU)

Sie haben in Ihrer Konsolidierungsrhetorik anschließend die überdurchschnittlich stark steigenden Steuereinnahmen, für die weder Sie noch wir etwas können, gern mitgenommen und sie als Konsolidierung verkauft. Kombiniert haben Sie das mit einer Zahlenakrobatik, die teilweise die Seriosität von Hütchenspielern vermuten ließ.

Warum sage ich das heute hier? – Jetzt steht Nordrhein-Westfalen erstmals in diesen fünf Jahren Ihrer Regierung vor echten Herausforderungen, vor Herausforderungen, an denen sich erweisen wird, ob die Regierung in der Lage ist, in Zukunft große von kleinen Kartoffeln zu unterscheiden. Der Kollege Hovenjürgen kann das mit Sicherheit auch noch näher ausführen, wenn Frau Gebhard dazu etwas hören möchte.

Jeder ahnt, dass wir erst am Anfang einer Reihe besonders schwieriger Jahre stehen. Umso mehr hätten wir als CDU erwartet, dass die Regierung Kraft die Zeichen der Zeit auch bei den Haushaltsplanungen erkennt. Das ist – wenn man auf die Beratungen des Haushalts 2016, der hier ja auch schon eingebracht ist, vorgreift – bisher nicht erkennbar.

Es werden auch da in den Ankündigungen der Ministerpräsidentin und des Finanzministers bisher nur Ausgaben für die Bewältigung der Flüchtlingsthematik angehoben werden im Rahmen von Ergänzungsvorlagen. Wenn der Finanzminister das so weiter prognostizieren kann, wird er auch höhere Steuereinnahmen nach der Novembersteuerschätzung veranschlagen.

Aber die Landesregierung hätte eine andere Aufgabe. Sie müsste jetzt umschichten und Prioritäten neu setzen. Aber genau das ist offenbar nicht ihr Ding. Genau das wäre die richtige Antwort einer verantwortlich handelnden Regierung. „Weiter so“ ist die völlig falsche Losung. Deshalb werden wir auch dem heutigen Nachtragshaushalt nicht in Gänze zustimmen können.

Ausdrücklich unterstützen wir aber die zwei Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen – wir haben sie auch als Mitantragsteller unterschrieben –, die darauf setzen, die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels vom 24. September 2015 mit der Soforthilfe für die Kommunen umzusetzen. Dadurch können – das ist sicherlich hier im Parlament eine seltene Einvernehmlichkeit, die aber der Situation geschuldet ist – sehr bald die 216 Millionen €, die anteilig auf die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen entfallen, eins zu eins weitergeleitet werden.

(Beifall von der CDU)

Da die Kollegin Gebhard eben gesagt hat, das sei doch alles selbstverständlich und das habe man schon ganz früh gesagt, will ich mit Blick auf die nächsten Wochen sagen: Offensichtlich ist das nach dem, was wir gestern gehört haben, für 2016 nicht selbstverständlich. 2016 soll nämlich nach dem, was die Ministerpräsidentin an diesem Pult hier gesagt hat, nur der Großteil der Mittel des Bundes weitergeleitet werden.

Genau an dieser Stelle entzündet sich der politische Streit. Es kann doch nicht wahr sein, wenn wir am Anfang der Probleme stehen und die Kommunen an den Belastungsgrenzen sind, dass jetzt nicht die klare Erklärung aus diesem Landtag hier kommt: Alles das, was in Berlin verabredet worden ist, wird eins zu eins für die Kommunen eingesetzt, wird eins zu eins an die Kommunen weitergegeben. – Diesen Konsens müsste dieses Hohe Haus hier und heute feststellen.

(Beifall von der CDU)

Alles andere wären solche Taschenspielertricks, wie wir sie schon im Zusammenhang mit den BAföG-Mitteln im letzten Jahr erlebt haben.

Herr Finanzminister, wer eine fallende Linie der Neuverschuldung nur mit solchen Tricksereien in dreistelliger Millionenhöhe erreicht, der ist schlichtweg nicht seriös. Genau das wäre aber die Herausforderung unserer Zeit, nämlich dass wir seriöse Prioritäten setzen. Das heißt allerdings auch, dass wir uns von vielem, was vielleicht wünschenswert ist, aber nicht zwingend, so lange verabschieden, wie wir das Geld für das Zwingende sonst nicht aufbringen können. – Danke schön.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mit einem ausdrücklichen Dank an die Oppositionsfraktionen beginnen, dass sie das beschleunigte Verfahren so mittragen. Sie tragen damit Ihren Teil dazu bei, dass wir fundamentale Maßnahmen treffen können, die sich aus der Bewältigung der Zahlen, die Herr Dr. Optendrenk und auch Frau Gebhard ja schon skizziert haben, und der Bewältigung der Aufgaben, die wir mit der Unterbringung und der Integration von Flüchtlingen haben, ergeben. Dafür auch von unserer Fraktion an dieser Stelle noch einmal ausdrücklichen Dank!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Heute ist ein Artikel von Florian Pfitzner erschienen, der die Debattenkultur hier im Hause zum Gegenstand hat. Jetzt ist leider gar niemand auf der Pressetribüne; dennoch möchte ich noch einmal kurz ausführen, was das überhaupt heißt.

Das heißt zum Beispiel für den Schulbereich, dass am nächsten Montag Ausschreibungen erfolgen, um neue LehrerInnen einzustellen. Das heißt für den Polizeibereich, dass bereits im November neue Anwärter angestellt werden. Das heißt für die Justiz, dass ab sofort neue Richterstellen zu besetzen sind.

Damit das alles funktioniert, mussten entsprechende Vorbereitungen getroffen werden. Dafür haben vor allen Dingen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Häusern und den nachgeordneten Behörden gearbeitet, um alles so in die Wege zu leiten, dass nach unserem Beschluss heute quasi gleich der Startknopf gedrückt werden kann und dass das alles schnellstmöglich seinen Gang nimmt.

Das sollten wir an dieser Stelle – weil es eine immense Dimension hat; auch in der Geschwindigkeit – noch einmal erwähnen. Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen, die daran gearbeitet haben, danken.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich habe den Artikel erwähnt, weil ich finde, dass das, worüber wir in diesen letzten Wochen hier debattiert haben, ein wenig untergeht; ganz abgesehen davon, dass die Medien dieser Debatte gar nicht folgen. Wir haben jetzt Anfang Oktober. Wir reden über den dritten Nachtrag in diesem Jahr. Wir haben insgesamt – einschließlich der 900 Millionen €, über die wir heute reden –, 1,7 Milliarden € für das drängende Problem der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen aufgewendet.

Wenn ich eben ausgeführt habe, dass wir bereits Vorbereitungen getroffen haben, dann zeigt das für mich, dass wir als Politik, wir als Parlament – aber auch die Regierung – handlungsfähig sind. Wir sind in der Lage, zeitnah auf Notwendigkeiten – auch in dieser Dimension, bei der wir alle im Grunde ja nur den Nachrichten hinterherhecheln können –, die auf uns zukommen, reagieren zu können. Auch unsere Exekutive mit all ihren nachgeordneten Behörden ist in der Lage, das Ganze zeitnah umzusetzen.

Ich bin lange nicht dabei, zu behaupten, so etwas sei noch nie dagewesen. Aber mit Blick auf die Historie dieses Landes gab es, glaube ich, keine Situation mit einer so kurzen Abfolge von Nachtragshaushalten mit diesen Volumina – wenn ich jetzt einmal die WestLB/Portigon ausklammere. Man braucht keine prophetischen Gaben zu besitzen, um zu erahnen, dass das nicht letzte Mal sein wird, dass wir bei einem Haushalt, den wir Ende eines Jahres für das nächste Haushaltsjahr verabschiedet haben, noch einmal nachsteuern müssen.

Wir reden auch darüber, dass wir vom Bund zusätzliche Leistungen bekommen haben. Am 24. September 2015 fand der Gipfel statt. Herr Laschet hat das hier gestern so dargestellt, als ob wir uns alle der Bundeskanzlerin und ihrer Politik anschließen würden und das auch so sagen müssten.

Ich kann hier nur noch einmal daran erinnern, dass sich der Bund über eine beträchtliche Zeit mit Händen und Füßen gewehrt hat, überhaupt einen Flüchtlingsgipfel einzuberufen. Er hat vielmehr so getan, als wenn er mit dieser Sache gar nichts zu tun hätte und als sei das alles Aufgabe der Länder und Kommunen.

Es hat immensen Drucks der Länder bedurft, und es gab auch immense Diskussionen in Ihrer Partei, meine Damen und Herren von der Christdemokratie. Dieser Gipfel ist dann einberufen worden, und die Ergebnisse sind ein Kompromiss. Wir werden auch nicht schlechtreden, was dort erreicht wurde. Wir werden aber auch nicht so tun, als wenn das die alleinige Idee der Bundesregierung gewesen wäre. So zu tun, als wenn das alles eins zu eins die Politik der Bundeskanzlerin wäre, wäre auch ein bisschen zu viel des Guten, meine Damen und Herren von der CDU!

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch bei der Verteilung der Bundesmittel für Flüchtlinge ist völlig klar: Die 216 Millionen €, die vom Bund in diesem Jahr zusätzlich kommen, werden ohne jede Diskussion eins zu eins, Herr Dr. Opten-drenk, an die Kommunen überwiesen. Auch für 2016 ist völlig klar, dass alle Ausgaben für die Kommunen in dem Sinn erfolgen müssen, dass diejenigen, die Flüchtlinge betreuen, natürlich dann auch eins zu eins die Kosten erstattet bekommen. In dieser Frage gibt es überhaupt keinen Dissens.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Wenn allerdings das Land diese Einrichtungen unterhält, dann können Sie nicht verlangen, dass wir den Kommunen Kosten erstatten, die bei uns anfallen. Das haben wir gestern in der Debatte auch schon erklärt. Das ist auch mit dieser Formulierung „ein Großteil“ gemeint. Ich bitte Sie, das dann auch so zur Kenntnis zu nehmen und nicht so zu tun, als wenn hier irgendwelche Pläne existierten oder als wenn hier irgendjemand „klebrige Finger“ hätte, um damit den Kommunen das Geld vorzuenthalten. Das ist Blödsinn.

(Beifall von den GRÜNEN)

Anlass für den Dritten Nachtrag ist die enorm gestiegene Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Wir werden laut der Prognose in diesem Jahr voraussichtlich 800.000 Flüchtlinge in der Bundesrepublik aufnehmen, 170.000 davon in Nordrhein-Westfalen. Dank des beschleunigten Verfahrens, das vom Bund beschlossen wurde, können wir das auch umsetzen.

Wir haben vor allen Dingen mit dem Zweiten Nachtragshaushalt bereits nachgesteuert. Wir haben eine immense Anzahl von zusätzlichen Stellen bei den Bezirksregierungen geschaffen. Ich will nur noch einmal die Zahlen nennen: Über 3.000 LehrerInnenstellen werden jetzt geschaffen, 250 Stellen für Polizeianwärter, 37 Stellen bei der Justiz. Das Haushaltsvolumen beträgt fast 1 Milliarde €; 900 Millionen € ist dieser Nachtrag groß geworden. Als wir angefangen haben, darüber zu beraten, lagen wir noch bei Größenordnungen von etwa der Hälfte.

Rund 152 Millionen € alleine an zusätzlichen Ausgaben planen wir in diesem Haushalt für den Ausbau der Unterbringungskapazitäten, um eine ausreichende Zahl an Unterkunftsplätzen bereitzustellen. Insgesamt sollen es bis zu 50.000 Unterbringungsplätze werden; derzeit insbesondere Notunterkunftsplätze. Aufgrund der erheblichen Unwägbarkeiten bei den weiteren Planungen sind in den Mehrausgaben auch Verstärkungsmittel in Höhe von 100 Millionen € enthalten.

Ob das reichen wird, werden wir sehen. Für dieses Jahr wird es gehen. Wir werden in den Haushaltsberatungen 2016 noch über eine Ergänzungsvorlage reden. Ich möchte noch einmal festhalten, dass wir hier in dem beschleunigten Verfahren gemeinsam vorgehen. Ich hoffe, dass diese Mittel schnell ankommen und dass es bei denjenigen, die sich jetzt auf die Stellen bewerben, alles reibungslos funktioniert. Kurz vor den Herbstferien können wir an dieser Stelle jedenfalls sagen: Das, was wir im Moment tun konnten, haben wir getan; und dazu dient dieser Nachtrag. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal ist es so: Bestimmte Mehrausgaben sind ungeplant, aber dennoch unabweisbar. Da wir natürlich eine konstruktive Opposition sind und stets differenziert die Initiativen dieser Landesregierung beurteilen, stellen wir uns auch einer Beschlussfassung nicht in den Weg, die notwendig ist, um kommunale Belastungen zu lindern, Bundesmittel in Empfang zu nehmen und diese an Kommunen weiterzuleiten.

(Beifall von der FDP)

Gleichwohl sind Fragezeichen zum Umgang mit den Flüchtlingsströmen und deren Finanzierung angebracht, die hier im Rahmen einer offenen Debatte auch sachgerecht angesprochen werden müssen. Der Bund erstattet zukünftig rund 8.000 € je Asylbewerber jährlich im Wege einer Spitzabrechnung für die tatsächliche Aufenthaltsdauer. Das Land vergütet nur rund 7.500 € bei seiner Pauschalabrechnung mit einem Stichtag zum 1. Januar eines jeweiligen Jahres. Während des Jahres hinzukommende Flüchtlinge werden also erst im Folgejahr berücksichtigt.

(Heike Gebhard [SPD]: 2016 beraten wir später!)

Die Bundesgelder werden also nicht vollständig weitergegeben. Die kommunalen Spitzenverbände halten übrigens eher einen Verrechnungssatz von 12.000 € für angemessen. Auch das zeigt, welche Lücke sich je nach kommunaler Kostenkonstellation hier ergibt.

Nordrhein-westfälische Kommunen werden also weiter stark leiden müssen unter dem rasanten Anstieg der Migration. Die FDP-Landtagsfraktion schlägt hier eine quartalsweise Neuberechnung und eine zeitnahe Erstattung auf Basis der tatsächlichen Flüchtlingszahlen vor.

Viele weitere ungeklärte Probleme bereiten den Kommunen Sorge, wie die explodierenden Kosten für die Inobhutnahme allein reisender Minderjähriger oder der unzureichende Härtefallfonds bei den Krankheitskosten, der Erstattungen vonseiten des Landes eben erst oberhalb eines Schwellenwertes von 70.000 € vorsieht. Darunter sind allein die Kommunen im Obligo.

Ministerpräsidentin Kraft hat Optimismus geäußert, dass die Verfahren nun beschleunigt würden. Das ist wichtig. Das würden auch wir uns wünschen, damit einerseits tatsächlich asylberechtigte menschliche Schicksale von politischer Verfolgung schneller integriert werden können und andererseits eine zügigere Abschiebung der Armutsflüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern erfolgen kann.

Ebenso wie einerseits die bessere und schnellere Integration dauerhaft Aufenthaltsberechtigter absolut notwendig ist, ist es umgekehrt auch eine zentrale Verantwortung des Landes, die Rückführung abgelehnter Asylbewerber umgehend zu vollziehen.

Haushalterisch ist eindeutig zu kritisieren, dass durch Migration bedingte dauerhafte Kostenstrukturen aufgebaut werden, ohne an anderer Stelle vonseiten der Landesregierung im Haushalt etwas einzusparen. Einmal mehr verteilt der Finanzminister einfach das Geld des Bundes und immer neue Rekordhöhen von Steuermehreinnahmen, die teilweise aus Mehrbelastungen wie der kalten Progression oder eigenen Steuererhöhungen des Landes wie der Verdoppelung der Grunderwerbsteuer resultieren.

Einsparbemühungen werden wieder einmal nirgendwo unternommen. Der Haushaltsausgleich wird daher scheitern, sobald die Bestbedingungen beendet sind und sich wieder auf ein Normalmaß hinbewegen.

Mehrere Jahre haushaltspolitisch idealer Rahmenbedingungen sind daher leider nicht für strukturelle Verbesserungen in unserem Land Nordrhein-Westfalen genutzt worden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dieses Vorgehen wird sich für zukünftige Haushalte rächen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Die Steuermehreinnahmen betragen seit dem Amtsantritt von Rot-Grün – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen –, also in der Zeitspanne 2010 bis zu Ihrem neuen Haushaltsentwurf für 2016, gigantische 12,5 Milliarden € bezogen auf einen Ausgangswert des Jahres 2010 von 38 Milliarden €. Sie haben also heute rund ein Drittel Ihrer ursprünglichen Einnahmebasis mehr.

Im Vergleich zu 12,5 Milliarden € Mehreinnahmen sinkt die Neuverschuldung aber nur um 3,5 Milliarden €. Das heißt: Über 70 % Ihrer Steuermehreinnahmen werden von Ihnen konsumiert, und der Schuldenberg wächst deshalb weiter beständig an. Das kritisieren wir.

Mit diesem Nachtragshaushalt realisiert die Landesregierung an einer Stelle aktuell das, was die FDP-Landtagsfraktion seit Längerem fordert, nämlich angesichts stetig wachsender Aufgaben und Herausforderungen für die Polizei nicht gerade dort auch noch Stellen abzubauen. Denn wenn hier nicht gehandelt wird, werden zukünftig die Altersabgänge ansonsten die Ausbildungskapazitäten überschreiten.

In der Tendenz ist die Ansatzerhöhung also richtig. Sie ist aber nicht nachhaltig, nicht dauerhaft und nicht planungssicher nach dem, was Sie als Landesregierung bislang vorgelegt haben.

Dabei ist die Situation bei der Kriminalität und der polizeilichen Arbeitsbelastung so, wie wir das verschiedentlich hier in den letzten Wochen und Monaten diskutiert haben, nämlich geprägt von zahlreichen Herausforderungen. Wie gegenwärtig Kriminalität in unserem Alltag heute in Nordrhein-Westfalen leider ist, hat auch Innenminister Jäger persönlich am eigenen Leib erfahren dürfen. Gerade haben Sie aufgrund eines Fahrraddiebstahls Anzeige erstattet, und unlängst wurde Ihnen vor großem Publikum trotz Personenschutz das Handy entwendet.

Infolge von Krankenstand, faktischer Nichtbesetzung von Planstellen durch Teilzeit und Elternzeit, Abordnungen und Auslandseinsätzen sowie Verwendungseinschränkungen sprechen die eigenen Experten des Innenministers von einer gravierenden dauerhaften Schwächung des Personalkörpers um bis zu 25 %, welche mit dem Bestand bei gleichen Aufgaben und gleicher Arbeitsorganisation nicht kompensierbar ist.

Die derzeitige Polizeidichte in Nordrhein-Westfalen bewegt sich danach für ein Flächenland mit ausgeprägten Ballungs- und Ballungsrandzonen im Ländervergleich auf einem nicht mehr zu unterschreitenden, niedrigen Niveau an drittletzter Stelle bundesweit. Das sagen jedenfalls, Herr Innenminister, Ihre eigenen Experten, die dafür auch Kennziffern bilden.

Zweimal bedurfte es eines Nachtragshaushalts im vereinfachten Verfahren, um die Polizeianwärterstellen einmalig etwas zu erhöhen. Im Februar ging es um die Kompensation von 385 Polizeibeamten zur Terrorabwehr, die aus den Kreispolizeibehörden in Nordrhein-Westfalen abgezogen wurden.

Nun soll ein dritter Nachtragshaushalt erneut nur Flickschusterei mittels einmaliger Erhöhung betreiben. Wir als FDP-Landtagsfraktion fordern eindringlich eine notwendige strukturelle, planmäßige Erhöhung der Polizeianwärterzahlen zur Kompensation der Altersabgänge.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Wer vor dem Hintergrund der enormen Flüchtlingszahlen – in Nordrhein-Westfalen sind es bislang über 150.000 Menschen, 200.000 sind prognostiziert – glaubt, die Zahl der in Nordrhein-Westfalen wohnenden Menschen werde in den nächsten Jahren schrumpfen, ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Es gibt deshalb sicherlich keine demografische Rendite, also keine Möglichkeit zum Personalabbau. Wer das anders sieht, lebt wohl nicht in der Wirklichkeit.

Die Dichteziffer, die wir an dieser Stelle für die polizeiliche Arbeit haben, aus dem Jahr 2013 beträgt 1:438. Man muss rund 400 zusätzliche Beamte einstellen, um die auch zukünftig bei der nun deutlich größer gewordenen Bevölkerung aufrechterhalten zu können.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist um.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident, ich komme zu meiner letzten Bemerkung zum Abschluss. Zusammenfassend ist festzustellen:

Die heutigen Beschlüsse sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber zu kurz gesprungen für eine dauerhafte und planungssichere Lösung. Rot-Grün muss an vielen Stellen nachbessern, damit vor Ort in den Kommunen kein Chaos herrscht und diese endlich nach einer grundlegenden Aufgabenkritik einen Bürokratieabbau betreiben, damit die richtige Prioritätensetzung bei öffentlichen Aufgaben in der Haushaltspolitik erfolgt…

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Jetzt ist Ihre Redezeit über eine Minute überzogen.

Ralf Witzel (FDP): …und der Haushalt nicht dauerhaft überfordert wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Fraktion der Piraten spricht nun der Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim am Stream! Es bleibt bezüglich des Dritten Nachtragshaushaltes die Frage im Raum: Warum erst jetzt? Bis heute gibt es leider auch kein Bekenntnis zur späten Einbringung. Es war nämlich bereits spätestens Mitte August angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen absehbar, dass die Mittel nicht reichen.

Der Finanzminister hat vor gut einem Monat an diesem Pult stehend ausgeführt, dass man angesichts der Zahl von 800.000, die für das Jahr 2015 prognostiziert war, bundesweit von 10 Milliarden € Kosten ausgeht. Er hat diese Rechnung auf der Annahme basierend vorgenommen, dass 12.500 € Kosten pro Kopf in Rede stehen.

Dementsprechend ist es auch kein besonderes Ruhmesblatt, Herr Kollege Abel, wenn einschließlich der Bundesmittel – sie stehen hier heute auch zur Beratung an – in diesem Jahr insgesamt 1,7 Milliarden € aufgewendet worden sein werden. Denn vor dem Hintergrund der von dem Herrn Finanzminister selbst hier vorgenommenen Rechnung müssten am Jahresende 2,16 Milliarden € herauskommen. Es fehlen also 500 Millionen €, um die Flüchtlingssituation, die Unterbringung und die Versorgung, zu bewältigen.

Dennoch stehen wir heute hier zur Beratung des Nachtragshaushalts auch insofern, als dass durch die vorgelegten Änderungsanträge Mittel an die sehr stark belasteten Kommunen weitergeleitet werden sollen.

Dem werden wir zustimmen. Allerdings sind wir dem Antrag nicht beigetreten, weil wir grundsätzlich Kritik an den Ergebnissen des Flüchtlingsgipfels vom 24. September haben.

Allenfalls ausreichend ist dieser Nachtragshaushalt vor dem Hintergrund der Prognose von 800.000 Flüchtlingen. Bereits jetzt steht nach der Prognose per Jahresende – Herr Minister, Sie wissen es – die Zahl von rund 1,1 Millionen Flüchtlingen im Raum. Dementsprechend müssen wir einfach berücksichtigen, dass der Nachtragshaushalt – so er denn auch vorausschauend und nicht nur hinterherlaufend, was vonseiten der Landesregierung bisher der Fall war, etwas bewirken soll – die Prognosen – das betrifft alle maßgeblich auf der politischen Seite Beteiligten – nicht abbildet.

Jede Fehleinschätzung der Landesregierung, jedes Zuspätkommen bestraft letztendlich diejenigen, die es betrifft. Das sind in diesem Falle die Flüchtlinge, die in unser Land kommen und Schutz suchen. Es betrifft auch die Kommunen, die eine wirklich überbordende Arbeitsleistung an den Tag legen.

Herr Minister Jäger, wir müssen feststellen, dass in Hamburg – das Beispiel hatte ich in anderem Zusammenhang auch gestern schon einmal gebracht – 500 Menschen, die hier Schutz suchen, auf der Straße schlafen müssen, weil es eben nicht die entsprechenden Kapazitäten gibt. Das sollte – im Hinblick auf die Prognose beziehungsweise die Vorausschau – vermieden werden. In Nordrhein-Westfalen sollte so etwas um Gottes willen bloß nicht eintreten. Dazu bedarf es aber – das wissen wir alle – des Geldes.

Gleichwohl gibt es im dritten Nachtragshaushalt eine ganze Menge Aspekte, die auch von der Piratenfraktion durchaus begrüßt werden, denen wir auch zustimmen. Dazu gehört insbesondere auch die Finanzierung der Kommunen. Wie wir aber auch schon an anderer Stelle ausgeführt hatten: Es gibt auch in diesem Nachtragshaushalt Licht und Schatten. Die grundsätzliche Kritik wurde schon gestern, aber auch heute – auch von anderen Fraktionen – geäußert. Deswegen werden wir uns hinsichtlich des Nachtragshaushaltes insgesamt enthalten. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister:: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eigentlich an dieser Stelle nur noch eines sagen, was ich aber schon gestern gesagt habe. Ich möchte einen herzlichen Dank dafür sagen, dass wir über diesen Nachtragshaushalt schnell und unkompliziert entscheiden können.

(Beifall von der SPD)

Damit haben wir die Möglichkeit, den Menschen, denen dringend geholfen werden muss, auch so schnell wie möglich zu helfen.

Warum belasse ich es nicht dabei? – Weil das, was hier mit dem „Ja, aber“ wieder vorgetragen worden ist, nicht unwidersprochen im Raum stehen bleiben darf. Hier ist verschiedentlich der Begriff des Hütchenspielers erwähnt worden. Ich kann nur sagen: Herr Witzel, was Sie da vorgetragen haben, ist Hütchenspielerei – allerdings mit durchsichtigen Hütchen und der klaren Erkenntnis, dass man ganz genau weiß, wo unter welchem Hut was ist und unter welchem nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Sie meinen, dass diese Rechnung, wenn Sie sie zwanzigmal wiederholen, …

(Ralf Witzel [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)

– Nein, den Begriff „Hütchenspieler“ hat Herr Optendrenk benutzt. Und Sie haben die Hütchenspielerei gemacht. Ich komme aber auch noch zu Herrn Optendrenk.

Sie haben die Steuermehreinnahmen vorgerechnet. Und Sie haben gesagt, dass die nicht zur Senkung der Verschuldung eingesetzt worden seien. Dafür seien nur 3,5 Milliarden € oder 3,6 Milliarden € benutzt worden.

Mir liegt sogar eine Statistik vor, der zu entnehmen ist, dass es nicht nur 12,5 Milliarden €, sondern sogar 13,7 Milliarden € Steuereinnahmen mehr waren. Und es sind auch 1,4 Milliarden € weniger Zinsen zu bezahlen. Die nehmen wir noch dazu. Wir haben also wirklich – Sie haben recht – gegenüber 2010 eine Verbesserung von über 15 Milliarden €.

Von den über 15 Milliarden € bekommen die Kommunen des Landes Nordrhein-Westfalen 7,1 Milliarden €, weil sie nämlich fast ein Viertel der Steuermehreinnahmen des Landes über den Steuerverbund erhalten. Außerdem haben wir noch einen Stärkungspakt gemacht. Wenn Sie das alles zusammenzählen, dann hat dieses Land 7,1 Milliarden € – also eine knappe Hälfte dieser Mehreinnahmen – an die Kommunen weitergegeben.

Und Sie stellen sich hier hin und spielen den Kommunalfreund, dem jetzt auf einmal auffällt, dass den Kommunen geholfen werden muss, während die Kommunen in der schwarz-gelben Zeit an jeder Ecke und an jedem Ende geschröpft worden sind, um Ihren Landeshaushalt zu konsolidieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie sind in den letzten Jahren ja auch zum obersten Vertreter der Beamteninteressen geworden. Das Land gibt in dieser Zeit 4,4 Milliarden € mehr für Personal aus. Dann sind wir schon bei 11,5 Milliarden € von Ihren 15 Milliarden €.

Wir können weiterrechnen und berücksichtigen, was sich ansonsten noch an Preisen – wenn man nur allein das gehalten hätte, was es im Jahre 2010 an Standards gab – verändert hat. Wenn wir das tun, dann schmilzt Ihre Zahl nicht nur weg. Vielmehr werden Sie feststellen, dass eine Senkung der Nettokreditaufnahme auch durch Einsparungen erreicht werden konnte. Das ist das Ergebnis.

(Ralf Witzel [FDP]: Wo denn?)

– Das haben wir Ihnen schon an vielen Stellen vorgerechnet. Die Einsparungen reichen von Förderprogrammen bis hin zu diversen anderen Bereichen.

Diese billige Rechnung, die Sie jedes Mal wiederholen, wird nicht glaubwürdiger. Sie wird immer durchsichtiger. Jeder merkt mittlerweile, dass Sie mit Zahlen agieren, die wirklich gegen die Interessen des Landes gerichtet sind.

Jetzt komme ich zu Herrn Optendrenk. Dabei geht es um die Behauptung, der Bund sei der große Wohltäter. Ich habe das schon beschrieben: Er hat sich tragen lassen müssen, bis er erkannte, dass die internationalen Verwerfungen in Syrien und Libyen sowie in anderen Teilen des Vorderen Orients vielleicht nichts mit Länder- und Kommunalhaushalten zu tun haben. Bei Ihnen ist angekommen – das finde ich gut –, dass es nicht der Kommunalhaushalt sein kann, der das zu tragen hat. Dass das aber der Landeshaushalt zu tragen hat, hat diese Opposition offenbar noch nicht begriffen.

Dass die Kommunen ihre kommunalen Interessen vertreten, ist völlig richtig. Dafür sind deren Vertreter da. Das müssen die auch tun. Dass die Bundesvertreter die Bundesinteressen vertreten, ist ebenfalls völlig richtig. Dass aber die Vertreter der Opposition in diesem Land nicht die Interessen des Landes vertreten, sondern Obstruktion betreiben, um möglichst deutlich zu machen, dass es schlecht um diesen Landeshaushalt steht, ist nicht richtig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie …?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich möchte erst einmal zu Ende reden. – Das Ergebnis, das wir haben, ist: Wir haben eine solide Haushaltsplanung. Die ist nicht durch Tricks entstanden, sondern wir haben von 2010 an eine fallende Linie erreicht, die wir jedes Jahr immer weiter abgesenkt haben. Sonst wäre es auch keine fallende Linie. Mit der arbeiten wir, und wir streben an, 2019 die Null-Grenze zu durchstoßen.

Weil wir das solide zugrunde gelegt haben, können wir tatsächlich flexibel sein. Dabei hilft uns – das ist überhaupt keine Frage – die gute Konjunktur. Aber die hilft doch nicht nur Nordrhein-Westfalen. Als könnten andere Länder – bei den Herausforderungen, die sie haben – ohne Kreditaufnahme auskommen, wenn sie keine Steuermehreinnahmen hätten!

Dazu stellen wir noch fest – man musste nur heute Morgen die Nachrichten im WDR hören –, dass sich Nordrhein-Westfalen an seine Aufnahmequote hält und diese schafft, während einige andere Länder die Quote deutlich unterschreiten. Die können sogar noch auf Rücklagen zurückgreifen, die sie bilden durften, die Sie dem Land Nordrhein-Westfalen per Verfassungsgerichtsklage verwehrt haben. Da muss ich sagen: Wenn Sie das anschließend als vorbildliches Verhalten hinstellen, dann muss man sich daran mal orientieren. Allerdings wollen wir das gar nicht.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Würden Sie jetzt?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Deswegen noch einmal: Der Landeshaushalt hat Erstaufnahmeeinrichtungen, Polizei, Lehrer, Richter zu finanzieren. All diese Ausgaben sind nicht durch Sparunwillen der Landesregierung entstanden, sondern weil wir in einer äußerst kritischen internationalen Situation Verantwortung wahrzunehmen haben und das auch tun.

Wenn Sie es jetzt so darstellen, als hätte all das anderswo herausgeschnitten werden müssen, dann bitte ich Sie wirklich, den Mut zu haben und hier zu sagen: Die Steuereinnahmen sollen genutzt werden, um die Verschuldung zu senken; das soll aus dem Landeshaushalt gezahlt werden. Das, was sich nach langem Bitten mittlerweile der Bund bereit erklärt hat zu zahlen, geht an die Kommunen, und der Rest wird durch Verzicht im Landeshaushalt kompensiert. Dann benennen Sie bitte die Dinge, die in diesem Land nicht mehr stattfinden sollen, weil wir die Aufgaben und Lasten alleine zu bewältigen haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP] – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Setzen Sie sich hier nicht einen Heiligenschein auf und tun so, als würde sich das Land der Verantwortung entziehen. Das geht nicht.

Solche Punkte zerstören auch ein Stück der guten Grundlage, die wir hatten, als wir erklärt haben: Wir brauchen jetzt 900 Millionen €. – Ja, Herr Schulz, wir brauchen vieles sehr spontan, weil wir nicht wissen, was morgen passiert.

Ich habe auch ausgeführt: Wir wissen noch nicht, wie es aussehen wird, wenn der Haushalt des Jahres 2016 verabschiedet wird – das ist im Dezember der Fall –, ob das, was jetzt in der parlamentarischen Beratung ist, dann noch so Bestand hat oder ergänzt werden muss. Es wird sicher ergänzt werden müssen. Es wird auch im nächsten Jahr vermutlich noch Nachträge geben müssen; ich glaube, da muss man kein Prophet sein. Wenn es anders kommt, ist es schön.

Wir sollten aber nicht anfangen, uns gegenseitig etwas vorzuwerfen, weil man diese Entwicklung nicht vorausgesehen hat und nicht schon gleich alle Schreckensbilder, die gemalt wurden – auch wenn der eine oder andere möglicherweise sogar recht behält –, in die Planung aufgenommen hat.

Ich finde, wir haben eine solide Grundlage. Aus der konjunkturellen Situation ergibt sich eine gute Flexibilität. Die beiden Dinge bringen wir zusammen, so wie wir in den letzten Jahren die gute Konjunktur immer für beide Seiten genutzt haben. Auf der einen Seite konsolidieren wir den Haushalt, und auf der anderen Seite erledigen wir die Aufgaben des Landes.

Die Haushaltskonsolidierung ist nicht das einzige Ziel. Es ist wichtig, aber wir haben in diesem Land auch noch etwas anderes zu tun. Das beides haben wir mit der fallenden Linie zusammengebracht. Ich glaube, das kann sich sehen lassen. Das verstehen auch die Menschen im Land. Deswegen sollten wir das weiter beraten und in den Haushaltsberatungen für 2016 darüber streiten.

Jetzt geht es um die dringende Aufgabe, für die wir eigentlich eine gemeinsame Grundlage gefunden haben. Auf der Basis sollten wir beschließen. Dann haben auch die Menschen etwas davon, für die diese Grundlage des Jahres 2015 im Nachtrag gedacht ist.

Einen Punkt habe ich beinahe vergessen; darauf hat mich die Kollegen Sylvia Löhrmann hingewiesen.

(Ministerin Sylvia Löhrmann überreicht dem Redner ein Schriftstück. – Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)

Es gibt einen Brief der Präsidentin der Kultusministerkonferenz – das ist die sächsische Kultusministerin Brunhild Kurth von der CDU – vom 14. September an den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz. Sie schreibt:

Ich bitte Sie, sich zusammen mit den Kultusministerinnen und Kultusministern dafür einzusetzen, dass die enormen Anstrengungen und großen Leistungen des Bildungsbereichs bei der Integration von Kindern und jungen Menschen mit Fluchthintergrund gewürdigt und bei den weiteren Verhandlungen über die Vergabe der im Koalitionsausschuss vereinbarten zusätzlichen Mittel berücksichtigt werden.

Mit anderen Worten: Es gibt auch noch Menschen Ihrer Partei, die verstehen, dass auf der Landesebene Lasten entstehen und dass die Landeshaushalte dafür – auch unabhängig von Nordrhein-Westfalen – Hilfe brauchen. Das ist nicht mehr als gerecht, weil nicht hier die Ursachen für den Zerfall von Syrien und Libyen liegen; die liegen anderswo. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, jetzt haben wir noch zwei Zwischenfragen, zunächst eine von Herrn Dr. Optendrenk, der auf dem Platz von Herrn Lienenkämper sitzt. – Bitte schön, Herr Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU: Danke schön, Herr Minister, dass Sie die Frage noch zulassen. – Ich habe mit Erstaunen Ihre Aufregung vernommen, als Sie sich unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung von Landesinteressen mit der Opposition beschäftigten.

Ist Ihnen denn schon entfallen, dass wir in der ganz wesentlichen Frage der Interessenwahrnehmung beim Bund-Länder-Finanzausgleich hier im Landtag mit Ihnen gemeinsam vor der Sommerpause sehr grundlegende Weichenstellungen vorgenommen haben, gerade weil wir zusammen die Landesinteressen vertreten wollen? Wir haben auch den dritten Nachtragshaushalt 2015 gemeinsam so schnell beraten, weil wir das Landesinteresse sehen. Wir machen ja nicht nur bei den Ausgaben mit, die konkret die Kommunen bekommen, sondern die 900 Millionen € umfassen ja ganz wesentlich Landesaufgaben.

Insofern: Haben Sie das vergessen, oder wollten Sie sich an der Stelle vielleicht korrigieren?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Erstens. Die 900 Millionen, die wir jetzt ausgeben und denen Sie zustimmen oder bei denen Sie sich enthalten – wie auch immer –, stellt uns ja nicht irgendjemand zur Verfügung, sondern wir hätten sie genauso gut auch ein Stück weit zur weiteren Konsolidierung des Landeshaushalts einsetzen können. Ich finde es richtig und gut, dass Sie sich dem jedenfalls nicht entgegenstellen, sondern dass wir das gemeinsam passieren lassen, um es mal so zu sagen.

Der zweite Punkt ist: Ich will Ihnen persönlich ja keine Schwierigkeiten machen. Aber wenn man mit Ihnen persönlich darüber redet, an welcher Stelle es gut und richtig wäre, die Interessen des Landes auch in Berlin zu vertreten, dann stimmt das manchmal nicht ganz mit Ihrer Fraktionsposition überein. Ich weiß nicht, inwiefern man da auch ein Stück korrigiert wird.

Tatsache ist: Ich bestreite überhaupt nicht die Positionierung, die ganz sicher auch ein Stück weit auf Ihre Initiative zurückgeht. Bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen wäre es wirklich sehr seltsam gewesen, wenn die Opposition bzw. die CDU – es ist ja nicht mal die gesamte Opposition – da nicht mitgezogen hätte, wenn wir da nicht eine gemeinsame Position vertreten hätten. Dafür bin ich Ihnen dankbar.

Aber umso befremdlicher ist doch – ehrlich gesagt –, wenn möglicherweise aus anderen Quellen Ihrer Fraktion Vorstöße kommen, die danach riechen, dass es am besten ist, wenn das Land auf Lasten sitzenbleibt, die es dann nicht bewältigen kann, damit man wenigstens gebetsmühlenartig die immer wieder erhobenen Vorwürfe, dass die Haushaltskonsolidierung nicht zustande kommt, aufrechterhalten kann. Ich bitte dringend darum, das voneinander zu trennen und gemeinsam Verantwortung wahrzunehmen.

Und: Wenn Sie immer fordern, Dinge anders zu machen, warte ich immer noch auf Ihre Aussage, woraus sich das, was dann zu bezahlen ist, dann speisen soll, ohne auf Steuermehreinnahmen zurückzugreifen. Das ist ein Widerspruch. Der liegt nicht bei mir, sondern der liegt eher in der CDU-Fraktion.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt noch eine Frage des Kollegen Schulz von der Fraktion der Piraten.

Dietmar Schulz (PIRATEN: Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie diese abschließende Zwischenfrage noch zulassen.

Sie hatten eben gesagt – ich greife das auf, was der Kollege Optendrenk angesprochen hatte –, dass die Opposition hier die Länderaufgaben anmahnt, aber den Bund aus dem Spiel lässt, und die Landesregierung nunmehr den Bund quasi in die Pflicht genommen und dazu bewegt habe, Zahlungen zu leisten und überhaupt seine strukturellen Verpflichtungen anzuerkennen.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen – ich hatte das eben auch in meiner Rede ausgeführt –, dass Sie vor rund einem Monat hier selbst auch von anderen Zahlen ausgegangen sind, allein vor dem Hintergrund der Prognose von 800.000 Flüchtlingen bundesweit, was also ungefähr 175.000 für NRW bedeutet und bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland und bei 800.000 ein 10-Milliarden-€-Kostenpaket darstellt, mit der Folge, dass bei den Nachträgen in Nordrhein-Westfalen von jetzt insgesamt – mit den Bundesmitteln – 1,7 Milliarden € in Anbetracht der anzunehmenden prognostizierten Aufwendungen 500 Millionen € für das Jahr 2015 fehlen und dass zum anderen die Opposition zumindest in Form der Piratenfraktion sie nämlich vor anderthalb Monaten auf den Weg nach Berlin geschickt bzw. das angemahnt hat, allerdings die Länderaufgaben zuvor natürlich von Ihnen wahrzunehmen sind? Natürlich können wir von Ihnen auch nicht einfordern, die Bundesinteressen hier zu vertreten; das will auch keiner. Es wäre ganz nett, wenn Sie mir dazu noch etwas sagen könnten.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, für einen solchen längeren Beitrag gibt es die Möglichkeit der Kurzintervention. Darauf will ich in aller Freundlichkeit hinweisen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Ich glaube, das war ein Satz, Herr Präsident! – Heiterkeit)

Ja. Aber, Herr Schulz, es gibt trotzdem die Möglichkeit einer Kurzintervention, wo man das alles unterbringen kann. – Herr Minister, bitte schön.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Schulz, können Sie die die Frage noch einmal wiederholen?

(Große Heiterkeit bei allen Fraktionen und Beifall – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das mache ich!)

Ich versuche einmal eine Zusammenfassung, die so aussieht, dass Sie meinen, eigentlich hätten wir viel mehr kriegen müssen oder ich hätte mehr fordern müssen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Ja! – Zuruf: Früher!)

– Früher, mehr und besser.

Ich habe schon einmal gesagt, dass ich die Zahlen nicht erfunden habe. Der Städtetag hat von 10.000 € gesprochen, andere von 12.500 €, manche von der Hälfte, manche vom Doppelten dieses Betrages. Ich habe einmal die ganz grobe Rechnung vor den Verhandlungen, wobei man natürlich auch Verhandlungspositionen beschreibt, aufgemacht und Folgendes gesagt: Gehen wir einmal von den 800.000 aus, und gehen wir einmal von 12.500 € aus, dann sind wir bei 10 Milliarden €. Die Zahl kann auf der Basis von 800.000 auch ein Stück kleiner sein. Auf der anderen Seite sagen Sie selbst, es werden möglicherweise auch deutlich mehr als 800.000. Also kommen wir irgendwo wieder in eine Größenordnung dieser Art.

Es ging am Ende mit Sicherheit auch nicht darum, die Erwartung zu äußern, dass das alles am Ende eins zu eins nur Bundesangelegenheit ist. Das macht niemand auf der kommunalen und niemand auf der Landesebene. Ich beschreibe aber noch einmal, dass wir hier über die Folgen der Bewältigung von Konflikten reden, die sich nicht im inneren Gefüge des Föderalismus von Deutschland abspielen, sondern die von außen hereingetragen worden sind. Da hat der Bund eine besondere Verantwortung.

Jetzt kommt es auf Folgendes an: Wir haben nun etwas erreicht. Wenn Sie dazu vorrechnen, das seien erst 2,6 oder 2,7 Milliarden €, dann wissen Sie, dass darin viele Variablen enthalten sind. Es geht um die richtige Zahl, die am Ende da sein wird, es geht um die tatsächliche Dauer des Verfahrens. Das heißt, diese Zahl wird sich von daher meiner Meinung nach mit Sicherheit erhöhen. Es wird natürlich im Zweifel auch weitere Verhandlungen geben müssen.

Wir haben eine Menge an Ausgaben. Wir haben – ich erkenne das doch an – Ausgaben auf der kommunalen Ebene. Es geht doch nicht darum, den Kommunen das vorzuenthalten. Vielmehr geht es darum, dass die vorhandenen Mittel mit Blick auf die Wahrnehmung der Verantwortung in Bund, Ländern und Kommunen so verteilt werden müssen, dass sie bei allen in einer ähnlichen Weise Lasten von den Schultern nehmen.

Dass wir am Ende alle ein ganzes Stück mehr an Belastung zu tragen haben und dass wir nicht einfach nur sagen können, dafür lassen wir alles andere in diesem Land, was notwendig ist, sein, das müsste, denke ich, unser gemeinsames Verständnis sein. Das ist die gegenwärtige Verhandlungs- und Ergebnisposition. Aber wir sind in allen Punkten – was die Entwicklung der Zahlen angeht, was die Haushalte betrifft und was die Beziehungen zum Bund betrifft – sicher nicht am Ende aller Gespräche.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Stotko das Wort.

Thomas Stotko (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mann, was bin ich froh, dass bei einer haushaltsspezifischen Diskussion auf die Wortbeiträge von Herrn Optendrenk und Herrn Witzel der Minister die Antworten geben durfte und nicht ich das tun musste. Ich hätte das nämlich null hingekriegt. Ich bin Ihnen auch sehr dankbar, dass Sie das in einer gewissen Klarheit und mit einer gewissen Spitze gemacht haben.

Das erleichtert es mir, das zu tun, was Sie vielleicht, Herr Minister, hätten tun wollen, nämlich eigentlich noch einmal daran zu erinnern, dass man hier dreimal Dank aussprechen kann. Auch wenn das mehrfach getan wurde, mache ich das noch einmal, in der Hoffnung, dass das in der zweiten Runde etwas mehr Anklang findet.

Es ist ein Dank an die Oppositionsfraktionen, dass wir binnen 28 Stunden einen Nachtrag über 900 Millionen € einbringen und verabschieden in gemeinsamer Verantwortung dieses Parlaments in einer solch wichtigen Frage. Dafür dankt Ihnen das Parlament zumindest mit einem lauten Applaus.

(Beifall von der SPD)

Das hätte man nicht machen müssen. Ich weiß, dass auch mancher Pirat dieses Thema viel lieber mit Anhörungen belegt hätte.

(Widerspruch von den PIRATEN)

Alle haben sich ins Zeug gelegt und gesagt: Wir machen das. – Für alle, die da oben sitzen, und für die 10 Millionen, die uns laut den Piraten im Stream zugucken: Das ist nicht immer so. Es ist – das will ich betonen – eine große Leistung dieses Parlaments.

Als Zweites möchte ich ausdrücklich der Regierung und der Ministerpräsidentin danken. Nicht von ungefähr mussten sie in ihren Ressorts das Geld bereitstellen und Überlegungen anstellen, wie der Haushalt aussieht, über welche Stellen wir reden und welche Inhalte besetzt werden. Auch das ist in dieser kurzen Zeit eine große Leistung. Deshalb geht auch zumindest aus Sicht der SPD-Fraktion ein Dank an alle beteiligten Fachministerien und die Ministerpräsidentin, die, wie ich finde, zu Recht noch einmal deutlich gemacht hat, dass das Geld, das wir jetzt in die Hand nehmen, an keiner anderen Stelle eingespart wird. Das ist ein wichtiges Signal an die Menschen nicht nur hier in Nordrhein-Westfalen, sondern in der ganzen Bundesrepublik Deutschland zu diesem Thema.

(Beifall von der SPD)

Damit komme ich zum dritten Dank. Ich glaube, dass es ein bisschen untergeht und wir als Parlamentarier das gerne als selbstverständlich hinnehmen. Für die Innenpolitik kann ich aber sagen: Wer in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen seit vielen Monaten diese politischen Themen zu bewältigen versucht, der weiß, dass die Abteilungen in den Ministerien, die sich mit dem generellen Thema der Flüchtlingspolitik beschäftigen – nicht nur im Bereich des Innern –, alle bis zur Oberschnur überarbeitet sind. Dass es den Beschäftigten in den Ministerien noch gelungen ist, diesen Nachtragshaushalt mit zu erstellen, zu erarbeiten und zu begleiten, ist ebenfalls einen Dank des gesamten Parlaments wert, glaube ich. Allen Beschäftigten für die viele Arbeit recht herzlichen Dank!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Das ist eine einfache Rede. So eine Rede würde ich gerne immer halten. Ich finde das super. Wem soll ich noch danken?

(Zuruf)

– Ich soll auch Herrn Schulz danken? Ich habe den Piraten ja schon gedankt.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Ich will nur sagen: Ich finde es super und will aus dem Bereich der Innenpolitik, die mit immerhin 250 Stellen bei der Polizei und mit vielen Millionen im Flüchtlingsbereich betroffen ist, deutlich machen, dass ich allen Beteiligten für diese kurze, schnelle und, wie ich finde, auch sehr sinnvolle Entscheidung danke. Ich hoffe auf eine breite Zustimmung in diesem Parlament. – Besten Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Middendorf.

Claudia Middendorf (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Über den Anlass der heutigen Beratung zum dritten Nachtragshaushalt und zur Anpassung der Stichtagsregelung sowie anderer Rechnungsgrundlagen ist bereits viel gesagt worden. Das möchte ich auch nicht wiederholen. Bei der Betrachtung der finanzpolitischen Aspekte kann ich mich nur den Ausführungen meines geschätzten Kollegen Marcus Optendrenk anschließen und mich bedanken.

Bislang wurde in diesem Jahr auf Basis von 28.000 Flüchtlingen die Pauschale erstattet. Dabei waren zum 1. Januar dieses Jahres mehr als doppelt so viele Flüchtlinge zu versorgen. Effektiv zahlte man gerade einmal knapp 4.000 € bei der kommunalen Aufwendung von rund 12.500 €.

Jahrelang – ich glaube, das kann man nicht oft genug hören, meine Damen und Herren von der Regierung – haben die Kommunen eine Erstattung gebraucht, weil sie völlig überfordert waren. Jetzt wurde endlich auf den Druck der Kommunen reagiert, zumindest an dieser Stelle. Der Stichtag der Erstattung wird endlich angepasst und damit eine reale Pauschale gezahlt – ein überfälliger und notwendiger Schritt. Aber auch dieser Schritt kann nur ein erster Schritt hin zu einer vollen Erstattung der kommunalen Flüchtlingskosten sein.

(Beifall von der CDU)

Um es noch einmal zu sagen, weil das ganz entscheidend ist und um – auch für die Zuschauer auf der Tribüne – klare Fakten zu schaffen : Der Bund zahlt mit der nun beschlossenen Soforthilfe 216 Millionen € zusätzlich für die Kommunen. Es ist gut, dass wir heute nun die Grundlagen für eine Weiterleitung schaffen. Auch die Neuregelungen zum Ablauf des Verfahrens und zur Aufenthaltsdauer von Asylbewerbern in den Erstaufnahmeeinrichtungen müssen ihren Niederschlag in der Flüchtlingspolitik des Landes finden.

Künftig wird sich der Bund dauerhaft, dynamisch und strukturell an den Kosten beteiligen. Es ist das Entscheidende – da spreche ich auch für die Kommunen –, dass 670 € pro Asylbewerber für die Dauer des Asylverfahrens getragen werden.

Jetzt ist auch unser Land Nordrhein-Westfalen – das hat gestern auch die Ministerpräsidentin gesagt, von der ich dachte, dass sie beim Nachtragshaushalt auch anwesend sein würde – in der Verantwortung, dass es auch umgesetzt wird. Vielleicht könnten Sie als ihre Stellvertreterin es an die Ministerpräsidentin weiterleiten, Frau Löhrmann. Sie stehen gegenüber den Kommunen – das sind hier die wichtigsten Organe – in der Verantwortung, die Mittel des Bundes Cent für Cent an sie weiterzugeben. Das ist das Entscheidende.

Lassen Sie mich einige weitere Worte verlieren. Da kann man ruhig auch einmal ein bisschen in die Vergangenheit abschweifen – der Kollege Optendrenk wird gleich noch einmal auf die finanzielle Seite eingehen – und auf die Erstaufnahmeeinrichtungen schauen. Sie wissen, dass das ein Dauerthema für meine Heimatstadt Dortmund ist und für uns auch eine Herzensangelegenheit ist, wobei wir sowohl vom Finanzministerium als auch vom Innenministerium immer im Stich gelassen worden sind.

Daher bitte ich die Landesregierung ganz inständig, hier und jetzt noch einmal auf die Kommunen zu schauen. Spätestens jetzt steht die Landesregierung bei den Kommunen im Wort, die Mittel im Interesse ihrer eigenen Glaubwürdigkeit weiterzuleiten. Also: Halten Sie Wort, und lassen Sie die Taten folgen! – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Middendorf. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Wir Piraten wären grundsätzlich bereit gewesen und sind grundsätzlich bereit, die Hilfe für die Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und Not zu uns nach Deutschland kommen, auch auf Kreditbasis, also mit der Aufnahme neuer Schulden, zu finanzieren.

Das sage ich deshalb, weil ich es für sehr schwer vermittelbar hielte, dass sich Deutschland, dieses große und wirtschaftsstarke Land, hinstellte und sagte: Wir können die Hilfe für Flüchtlinge nicht bezahlen.

(Unruhe)

Nun müssen wir es im Moment nicht kreditfinanzieren. Herr Optendrenk und alle anderen Redner haben schon darauf hingewiesen, dass sowohl im Bund als auch im Land viele Überschüsse in den Haushalten vorhanden sind. Diese Überschüsse müssen nun natürlich auch hier im Land verteilt werden. Die Aufstockung der Haushaltstitel im Bereich der Landesmaßnahmen für Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge ist demnach nur folgerichtig und dringend notwendig.

Die Weiterleitung der sogenannten Flüchtlingsmilliarde direkt und vollständig an die Kommunen unterstützen wir; mein Kollege Schulz hat das eben schon ausgeführt.

Wir werden dazu auch den beiden Änderungsanträgen zustimmen.

Nicht unterstützen werden wir vor allem die weiteren seitens der Landesregierung in Berlin vereinbarten Regelungen zur Verschärfung und Verschlechterung des Asyl- und Aufenthaltsrechtes. Wir haben andere Vorstellungen von einer humanen Flüchtlingspolitik. Das haben wir bereits gestern ausführlich dargestellt.

Lassen Sie mich noch ein paar Worte darüber verlieren, wohin das Geld geht – in das FlüAG zum Beispiel. Die Änderung der Stichtagsregelung begrüßen wir ausdrücklich. Aber es ist ärgerlich, dass das Land an so vielen Stellen strukturell so schlecht vorbereitet ist, die Hilfe für die Menschen im Land auch zu leisten. Dabei stellen wir nicht infrage, dass es gerade aktuell ein ganz besonders großer Aufwand und eine besonders große Anstrengung ist, Tausende von Menschen täglich zu versorgen. Gute Strukturen lassen sich aber skalieren. Das ist in Nordrhein-Westfalen leider nicht möglich; denn wo keine Strukturen sind, lässt sich auch nichts skalieren.

(Unruhe)

Noch heute Morgen während der Beratungen im Innenausschuss gemeinsam mit anderen Ausschüssen sprach der Minister selbst von der Frustration der Flüchtlinge, die gerade in Deutschland angekommen sind und in den Notunterbringungseinrichtungen des Landes zu Tausenden sitzen und nichts tun können, außer zu warten. Sie bekommen keine Informationen, was wann wo…

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, einen Moment! – Ich bitte Sie, die Gespräche im Plenarsaal einzustellen und dem Redner zuzuhören.

(Beifall von den PIRATEN)

Frank Herrmann (PIRATEN): Danke. Das würde ich auch begrüßen. – Ich sprach über die Flüchtlinge in den Notunterkunftseinrichtungen, die nichts tun können, außer zu warten. Sie bekommen keine Informationen, was mit ihnen geschieht oder was sie eventuell machen müssen. Es gibt nämlich in den Notunterbringungseinrichtungen keine Strukturen, die für Menschen Beratung anbieten, wie und auf welche Art das Verfahren der Asylantragstellung hier in Deutschland überhaupt funktioniert. Nur in Regelunterkünften gibt es eine Verfahrensberatung.

Das ist insoweit fatal – nicht nur, dass im Moment über 100 Notunterkünfte des Landes zur Verfügung stehen, die auch genutzt werden –, als das ganze Antragsverfahren, besonders die Verfahrensdauer, sehr stark von der Mitwirkung der Bewerber abhängig ist. Nur: Wer nicht weiß, was kommt oder was er vielleicht selbst tun kann oder muss, der kann eben nur warten.

Wir haben bereits vor einem halben Jahr dafür geworben, mit einer Smartphone-App den Flüchtlingen in ihrer jeweiligen Landessprache eine Erstinformation über das kommende Verfahren zu übermitteln. Das haben Sie abgelehnt.

Gestern haben Sie in einem eigenen Antrag die Ausstattung der Regelunterkünfte mit Internetzugängen verabschiedet. Das haben wir bereits vor zwei Jahren beantragt. Sie haben es damals abgelehnt.

Wenn alles so lange dauert, dann sehe ich für den Aufbau einer skalierbaren Struktur in Nordrhein-Westfalen sehr schwarz – und auch für eine Politik aus Sicht der Flüchtlinge.

Das und noch vieles Weitere werden wir in den nächsten Wochen zu besprechen haben. Regeln für die Verfahrensberatung gehören in das Flüchtlingsaufnahmegesetz, auch eine Neuregelung der Krankheitskostenerstattung und im Übrigen endlich die Regeln für die Umsetzung der EU-Aufnahme-richtlinie und der EU-Verfahrensrichtlinie.

Wir haben uns alle gemeinsam hier zu einem verkürzten Verfahren entschlossen, damit dringend notwendige Gelder schnell bewilligt werden können. Meiner Fraktion empfehle ich daher, sich bei der Beschlussfassung zum Achten Änderungsgesetz zum Flüchtlingsaufnahmegesetz zu enthalten. Das Neunte Änderungsgesetz zum Flüchtlingsaufnahmegesetz ist bereits in Arbeit.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ihre Redezeit ist beendet.

Frank Herrmann (PIRATEN): Herr Kollege Stotko, ob wir für die vielen Regelungen Anhörungen brauchen, müssen wir dann sehen. Dadurch, dass der Minister schon viele Probleme kennt, wie er es heute Morgen gesagt hat, geht das vielleicht auch alles im verkürzten Verfahren.

Ich freue mich da schon auf die Beratung. Zum Achten Änderungsgesetz werden wir uns an dieser Stelle enthalten.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur noch zwei, drei Bemerkungen zu der vorangegangenen Debatte machen.

Herr Optendrenk, ich finde, Sie haben eine sehr ehrliche Analyse vorgenommen, indem Sie gesagt haben, dass dieser Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland, nach Nordrhein-Westfalen von niemandem vorhersehbar gewesen ist. Das ist auch meine Auffassung. Es ist gut, dass Sie das klargestellt haben, weil noch vor kurzer Zeit aus Ihrer Fraktion ganz andere Töne zu hören waren. Ich darf daran erinnern, dass wir mitten in der Sommerpause im Landtag eine Sondersitzung des Innenausschusses zu diesem Thema hatten. Es war also gut, dass Sie das gesagt haben.

Herr Schulz ist nach wie vor der Auffassung, dass man diese Flüchtlingszahlen bereits im August hätte erkennen können.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Da waren sie verkündet!)

Sie scheinen einen sehr engen Draht zur Kanzlerin zu besitzen, die erst am 5. September für sich beschlossen hat, das Dublin-III-Verfahren für Deutschland – diesmal für die Flüchtlinge aus Ungarn – auszusetzen, was noch einmal zu einer Verdoppelung der Flüchtlingszahlen nach Deutschland geführt hat.

Wenn Sie einmal Zeit haben, mit Ihrer Glaskugel bei uns im Ministerium vorbeizuschauen, Herr Schulz: Sie sind herzlich eingeladen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schulz zulassen?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Gerne.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Minister Jäger, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die hier der Debatte zugrunde liegende Prognosezahl von 800.000 am 19. August des Jahres, also Mitte August, verkündet worden ist und meine Aussage sich exakt auf diese Prognosemitteilung des Innenministers der Bundesrepublik Deutschland bezogen hat?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Das nehme ich zur Kenntnis, Herr Schulz. Es stimmt trotzdem. Schauen Sie einmal mit Ihrer Glaskugel bei uns vorbei – oder in jedem anderem Innenministerium, zum Beispiel beim Bundesinnenminister. Sie wären mit Ihrer Prognosefähigkeit heiß begehrt.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Der war gut!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, um es deutlich zu sagen: Herr Schulz, in der Tat ist zurzeit nicht genau ermittelbar, wie viele Flüchtlinge sich in Deutschland befinden. Es ist nicht prognostizierbar, wie viele noch nach Deutschland kommen und wie groß damit der nordrhein-westfälische Anteil werden wird.

Mit dem dritten Nachtragshaushalt nähern wir uns eher der tatsächlichen Zahl, wissen aber, dass wir einen Puffer brauchen. Deshalb wäre es gut, wenn Sie gleich dem dritten Nachtragshaushalt zustimmen, der noch einmal einen Puffer von 130 Millionen € an Verstärkungsmitteln vorsieht, die wir auch dringend brauchen werden, wenn sich die Zahlen so weiterentwickeln werden.

Meine Damen und Herren, was mir Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass wir jeden Tag darum ringen, in diesem Land Obdachlosigkeit für Flüchtlinge zu verhindern. Gestern Abend ist das den Hamburger Kollegen nicht mehr gelungen. Dort hatten einige Hundert Flüchtlinge letzte Nacht kein Dach über dem Kopf.

Deshalb danke ich Herrn Stotko ausdrücklich, der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelobt hat, die in den Kommunen, in den Hilfsorganisationen, aber auch in den Bezirksregierungen und bei mir im Ministerium Großartiges leisten. Deshalb haben wir es geschafft, bisher noch jeden Flüchtling so zu versorgen, dass er ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit im Bauch hat. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bleiben dabei, dass der Nachtrag jetzt notwendig und sinnvoll ist. Wenn aber alleine die Tatsache, dass wir hier am Rednerpult eine Erwartungshaltung für die Zukunft zum Ausdruck bringen, nämlich für die weitere Ausgestaltung des Haushaltes 2016, der hier noch in der Beratung ist, dazu führt, dass ein Finanzminister anfängt, sich hier in Beschimpfungen darüber zu ergehen, was die in der Opposition denn für vaterlandslose Gesellen seien, dann haben Sie, Herr Minister, wie ich finde, Ihre Hausaufgaben nicht gemacht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann muss man sehr deutlich zu der Einschätzung kommen, dass Sie auch gar nicht vorhaben, mit der Ergänzungsvorlage, die Sie im November vorlegen wollen, Ihre Hausaufgaben noch zu machen. Das ist das, was wir kritisieren, Herr Minister. Sie haben jetzt bitte große und kleine Kartoffeln zu unterscheiden. Sie haben diesem Parlament Vorschläge zu unterbreiten, wie man das, was an Herausforderungen vorhanden ist, im Haushalt umsetzen kann. Wenn Sie das nicht tun, dann nehmen Sie Ihre Verantwortung als Landesregierung insgesamt nicht ernst.

(Beifall von der CDU und Ralf Witzel [FDP])

Das ist ein Unterschied zu der Sachfrage, bei der wir mit dem Innenminister hier einer Meinung waren. Der finanzpolitische Teil muss auch stimmen, Herr Minister, nicht nur der kommunikative.

Wenn wir an dieser Stelle über den Haushalt reden, dann haben Sie deshalb die Probleme mit dem Haushalt insgesamt, weil Sie im Moment nicht wissen, was Sie mit den Steuereinnahmen machen sollen und ob Sie eventuell noch einen vierten Nachtrag auf den Weg bringen, um vielleicht einige Ausgaben des Jahres 2016 vorzuziehen, damit die fallende Linie kommunikativ noch vermittelt werden kann.

Wenn Sie die Prognose anstellen, was der Haushalt 2016 bringen wird, dann wissen Sie, dass die Lasten ganz erheblich werden. Da Sie immer sehr kommunikativ unterwegs sind und es besonders wichtig finden, dass die fallende Linie gegeben ist und dass wir in diesem Jahr besonders sorgsam mit dem Geld umgehen, kann ich mir vorstellen, was sich in Ihrem Kopf gerade abspielt.

Dazu passt dann auch die Sache mit den Rücklagen. Sie sagen uns, wir hätten ein böses Verfassungsgerichtsurteil erwirkt, sodass Sie keine Rücklagen mehr bilden dürften. Doch, Sie dürfen Rücklagen bilden, und zwar aus Überschüssen – aber eben keine kreditfinanzierten Rücklagen, und darum geht es.

(Beifall von Christian Möbius [CDU])

Andere haben Rücklagen, weil sie Überschüsse bilden.

Das Verfassungsrecht gilt auch in Nordrhein-Westfalen, und es gilt auch für Sie – auch wenn es Ihnen vielleicht nicht passt.

(Beifall von Christian Möbius [CDU] und Robert Stein [CDU])

Ich will aber noch einen Gedanken zu dem äußern, was die Ministerpräsidentin Anfang September zum Thema „unbürokratisch“ und zur Suche nach pragmatischen Lösungen gesagt hat.

Ich möchte anregen, dass alle Ressorts der Landesregierung und vielleicht auch die Ministerpräsidentin und der Finanzminister darüber nachdenken, ob unbürokratische Hilfe nicht auch heißen kann, Förderprogramme der NRW.BANK so zu verschlanken und zu entschlacken, dass Dinge, die in normalen Zeiten selbstverständlich möglich sind, den Kommunen leichter gemacht werden – ob das die Kombination mit KfW-Programmen im Wohnungsbau mit 100-%-Förderung ist oder ob das der Verzicht auf Standards ist, die eben nicht den Brandschutz betreffen, sondern beispielsweise Stellplätze für Asylbewerberheime. Damit müssen wir jetzt vielleicht alle miteinander pragmatisch umgehen.

Wenn Sie diese Anregung bitte noch mitnehmen, werden Sie auch keinen Zweifel daran haben, dass diese Opposition hier im Landtag konstruktive Arbeit leistet.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Optendrenk. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache und kommen nun zu den Abstimmungen. Es sind insgesamt sechs Abstimmungen, die wir jetzt hier bewältigen müssen.

Erstens stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 16/9894 ab. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/9894 von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einstimmig angenommen.

Zweitens stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 16/9895 ab. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Auch der Änderungsantrag Drucksache 16/9895 der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist einstimmig angenommen.

Drittens stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/9893 ab. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der CDU, der FDP und der Piraten angenommen.

Viertens rufe ich den Gesetzentwurf zum Dritten Nachtragshaushaltsgesetz 2015 Drucksache 16/9800 – Neudruck – in der zweiten von drei Lesungen auf. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/9820, den Gesetzentwurf Drucksache 16/9800 – Neudruck – unverändert anzunehmen. Unter Berücksichtigung der soeben angenommenen Änderungen stimmen wir nun nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den so geänderten Gesetzentwurf selbst ab. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/9800Neudruck – entsprechend der Beschlussempfehlung unter Berücksichtigung der soeben angenommenen Änderungen mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der CDU-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Piratenfraktion in zweiter Lesung angenommen.

Fünftens kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/9808 zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 16/9821, den Gesetzentwurf Drucksache 16/9808 unverändert anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über diesen Gesetzentwurf, also die Drucksache 16/9808 selbst. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf Drucksache 16/9808 zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der CDU-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Piratenfraktion in zweiter Lesung verabschiedet.

Wir kommen nun, wie zwischen allen Fraktionen im Ältestenrat vereinbart, unmittelbar zur dritten Lesung des Gesetzes über die Feststellung eines dritten Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2015 (Drittes Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Drucksache 16/9800 – Neudruck.

Eine Rücküberweisung hat nicht stattgefunden. Grundlage für die dritte Lesung ist der Gesetzentwurf in der geänderten Fassung nach der zweiten Lesung. Eine Aussprache zur dritten Lesung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen in der dritten Lesung zur Abstimmung über den Gesetzentwurf zum Dritten Nachtragshaushaltsgesetz 2015 in der Fassung nach der zweiten Lesung. Wir stimmen in der dritten Lesung nicht über die Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses, sondern über den Gesetzentwurf Drucksache 16/9800 – Neudruck – selbst ab. Da das Beratungsverfahren hiermit abgeschlossen wird, handelt es sich um eine Schlussabstimmung nach § 76 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung. Wer also für die Annahme des Gesetzentwurfs ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/9800Neudruck – in der Fassung nach der zweiten Lesung in dritter Lesung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der CDU-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion der Piraten angenommen und verabschiedet.

Ich bedanke mich für das Abstimmungsverhalten und rufe nun auf:

9   Die Landesregierung muss ihrer Verantwortung in der Flüchtlingspolitik gerecht werden und ein Gesamtkonzept für den Schulunterricht von Flüchtlingskindern vorlegen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9798

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion der Abgeordneten Dr. Anette Bunse das Wort.

Dr. Anette Bunse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir erkennen Ihre Leistungen durchaus an, meinen aber trotzdem: Aus den integrationspolitischen Fehlern der Vergangenheit sollte man bekanntlich lernen. – So beteuert man auch hier fraktionsübergreifend: Das Beherrschen der deutschen Sprache ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Stimmt! Und: Sprachkenntnisse sind auch die Voraussetzung für eine interessierte und fördernde Teilnahme eines jeden Flüchtlingskinds am Unterricht. Stimmt auch!

Dazu – auch das wissen alle hier – bedarf es räumlicher, personeller und finanzieller Ressourcen. Ein unerlässliches Muss ist aber auch eine multiprofessionelle Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer. Kein Lehrer kann in der jetzigen Situation, wo er en passant Inklusion leben soll, auch noch Flüchtlingskinder, die vielfach traumatisiert sind, ohne professionelle Unterstützung beschulen, den Kindern dabei gerecht werden und ihre Potenziale frühzeitig erkennen. Ebenso bedarf es landesweiter Vorgaben und entsprechender Materialien, um eine zielführende Unterrichtsgestaltung zu ermöglichen.

Der hier im Plenum geführte Streit um die Bezahlung der Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter holt uns heute ein. Die beschlossene Verkleinerung von Schulklassen darf nicht ausgesetzt werden. Denn nur so ist gerade jetzt qualitätsvolle Unterrichtsgestaltung möglich. Sprache hat auch immer einen direkten Zusammenhang zu Inhalten. Wo sind die Konzepte der Landesregierung zur Vermittlung dessen, was Flüchtlingskinder an unseren Schulen über unsere Werte, unser Land und unsere Gesellschaft lernen sollen?

Aus Studentenwerken Studierendenwerke zu machen, reicht wohl kaum, um den Flüchtlingskindern von Anfang an zu vermitteln, dass wir unbedingt die Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen, von Mann und Frau in unserem Land zu leben verpflichtet sind.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es bedarf eines Gesamtkonzeptes, das die Flüchtlingskinder entsprechend ihrer Fähigkeiten in unser Schulsystem integriert und die Schulen von bürokratischem Aufwand befreit. Ein besonderer Fokus muss dabei auch auf der Gruppe der Jugendlichen liegen, die zwar nicht mehr schulpflichtig sind, aber über keinen Abschluss verfügen. Deren Zugang zur Ausbildung bzw. zur Weiterbildung oder zum Studium nach unseren geltenden Regeln muss unter Einbindung der Arbeitsvermittlung und anderer beratender Strukturen garantiert werden. Hierzu bedarf es einer strukturellen Bündelung der verschiedenen Anforderungen in einem Konzept oder an einer Stelle.

„Ich bin weder amtsmüde noch krank; ich habe es lediglich am Knie“ – sprich: ich würde gerne weitermachen –, wird der in Pension geschickte Integrationsminister dieses Landes in der „WELT am SONNTAG“ vom 27. September 2015 zitiert. Statt eines Konzepts wird ein Integrationsneuling präsentiert, dem ich übrigens eine glückliche Hand und alles Gute wünsche. Aber wir hätten uns ein Konzept vorgestellt.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und hoffe, dass sie sehr offen und sehr konstruktiv sein wird, sodass am Ende ein tragfähiges Konzept für das System „Schule in NRW“ steht. Denn bei 40.000 Flüchtlingskindern und der Weigerung, den tatsächlichen Unterrichtsausfall zu benennen,

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

ist allein die angekündigte Neueinstellung von Lehrerinnen und Lehrern noch keine zufriedenstellende Herangehensweise. – Danke.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Dr. Bunse. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Hendricks.

Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe CDU, ich habe mich, als ich den Antrag gelesen habe, schon gefragt, warum Sie ihn gestellt haben, weil das Gesamtkonzept im Schulausschuss von Frau Ministerin Löhrmann in der letzten Woche vorgestellt worden ist.

(Petra Vogt [CDU]: Das war doch kein Konzept!)

Nun habe ich gerade gehört, dass offensichtlich die Überschrift über Ihrem Antrag gar nicht die Intention war, sondern Sie Ihre Forderungen in Richtung des Integrationsministeriums und nicht in Richtung des Schulministeriums gestellt haben. Die Überschrift signalisiert aber etwas völlig anderes. Sie sollten vielleicht in der Fraktion einmal klären, an wen Sie Ihre Anträge tatsächlich adressieren.

Da der Antrag jedoch an die Schule adressiert war, würde ich mich jetzt ganz gern mit Ihrem Antrag ein wenig auseinandersetzen und darauf hinweisen, womit dieser Antrag eigentlich ins Leere läuft.

Sie fordern, dass alle Schüler und Schülerinnen in Nordrhein?Westfalen, die als Flüchtlinge hierherkommen, eine Beschulung bekommen. – Meine Damen und Herren, das ist Praxis in Nordrhein-Westfalen. Jedes Kind oder jeder Jugendliche hat ein Anrecht, die Schule zu besuchen, weil die Schulpflicht ab dem Moment gilt, an dem die Jugendlichen und Kinder den Kommunen zugewiesen sind. Das steht bei uns ganz oben auf der Agenda, genau das zu erfüllen, nämlich dass Kinder und Jugendliche in die Schule gehen können.

Sie fordern räumliche, personelle und finanzielle Ressourcen. – Wir haben gerade gemeinsam den Nachtragshaushalt verabschiedet. Sie haben sich enthalten, aber immerhin das Verfahren möglich gemacht. Sie sehen: Die finanziellen Ressourcen kommen. Wenn Sie aber auf räumliche Ressourcen abstellen, dann ist das Aufgabe der Kommunen und nicht Aufgabe des Landes.

Dann kommt gleich noch die Forderung: Wir müssen dafür sorgen, dass das Verkleinern der Klassen, das wir im Schulkonsens miteinander vereinbart haben, auch tatsächlich umgesetzt wird.

Ja, das würden wir gerne tun, wenn vor Ort die entsprechenden Klassenräume zur Verfügung stünden. Schauen Sie sich doch einmal die Schulen bzw. die Schulträger an! Sie lassen derzeit allein deshalb die Klassen volllaufen, weil sie für etwas anderes nicht die entsprechenden Räume haben. Mit anderen Worten, Ihre Forderung, jetzt endlich einmal kleine Klassen zu bilden, wird so nicht funktionieren, wenn wir nicht gleichzeitig die Räume haben, die die Kommunen schaffen müssen.

Dann fordern Sie landesweite Vorgaben für Materialien. – Ich frage mich manchmal, welches Bürokratiemonster Sie noch auf den Weg bringen wollen. Wir haben die kommunalen Integrationszentren. Wir haben Materialien. Wir haben Lehrer und Lehrerinnen, die verantwortlich damit umgehen.

Sie fordern multiprofessionelle Teams. – Auch diese haben wir. Wir haben Schulsozialarbeiter. Wir haben die Möglichkeit, Stellen mit Schulsozialarbeitern zu besetzen. All dies ist Realität in Nordrhein-Westfalen.

Dann fordern Sie – ich will den Forderungskatalog einfach abarbeiten –, dass die Jugendlichen und Kinder die unterschiedlichen Hintergründe der kulturellen, politischen und gesellschaftspolitischen Möglichkeiten in Nordrhein?Westfalen lernen. – Sind Sie eigentlich mal in Vorbereitungsklassen, in internationalen Klassen, in Auffangklassen gewesen? Genau das wird dort gemacht. Ich würde Ihnen dringend empfehlen: Besuchen Sie die Schulen mal! Schauen Sie sich doch mal an, was dort gemacht wird! Dann müssten Sie heute keinen so unsinnigen Antrag stellen.

Sie haben noch mal darauf hingewiesen, dass auch die Jugendlichen, die nicht mehr schulpflichtig sind, zur Schule gehen sollen. – Ja, ich unterstütze Sie an dieser Stelle ausdrücklich. Allerdings – schauen wir uns doch mal an, in welcher Falle wir stecken! – hat die Bundesregierung die BAföG-Regelungen verändert und uns gezwungen, die Schulen der 2. Chance so umzubauen, dass sie von Flüchtlingskindern eigentlich nicht mehr zu besuchen sind.

Wenn Sie sich konstruktiv mit uns über die Frage der Beschulung und der Perspektiven für Flüchtlinge mit einbringen wollen, setzen Sie sich doch bitte beim Bund dafür ein, die BAföG?Regelungen so zu verändern, dass in den Schulen der 2. Chance auch für diese Jugendlichen tatsächlich eine Perspektive eröffnet werden kann!

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, Ihr Antrag geht ins Leere. Der Antrag ist überflüssig. Es wäre nicht nötig gewesen, ihn heute zu stellen. Wir brauchen ihn im Grunde nicht. Aber ich fände es ganz gut, wenn wir uns an den Punkten, die offen sind – die Adresse ist hier der Bund –, gemeinsam konstruktiv einbringen würden. Dann könnten wir in der Tat Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen eine bessere Perspektive geben. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die grüne Fraktion spricht Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Renate Hendricks, darf ich dir gleich am Anfang widersprechen?

(Christof Rasche [FDP]: Das hast du uns noch nie gefragt!)

– Bei euch brauche ich nicht zu fragen, da mache ich das so.

Ich muss der lieben Kollegin widersprechen. Der Antrag war dringend nötig, weil der Bericht der Ministerin offensichtlich gar nicht verstanden worden ist.

(Heiterkeit von Ministerin Svenja Schulze)

Deshalb müssen wir mit diesem Antrag im Ausschuss noch mal nacharbeiten. Dann kann man das Ganze noch mal wiederholen und kleinarbeiten, damit es auch der Letzte und die Letzte versteht. Da muss man manchmal noch nachgehen. Deshalb sei mir erlaubt, so zu widersprechen.

(Zuruf von Petra Vogt [CDU])

– Ja, aber Frau Vogt, jetzt frage ich Sie: Die Ministerin trägt vor, und Sie sagen: Es gibt kein Konzept. – Das ist wunderbar. Wenn Sie den Bericht gelesen haben, wissen Sie, dass da sehr genau aufgeschrieben ist, was wir an Infrastruktur im Land haben, auf die wir aufsetzen können.

Sie waren sogar mitbeteiligt. Es war 2009 eine richtige Entscheidung, das Thema „Deutsch als Zweitsprache“ in der Lehrerausbildung zu verankern. Es ist eine richtige Entscheidung – da haben Sie sogar die Stellen nicht abgebaut –, zwischen 2005 und 2010 Integrationsstellen vorzusehen, weil wir längst eine Schule in der Migrationsgesellschaft haben, weil wir längst eine Migrationsgesellschaft sind. Auf dieses System ist Nordrhein-Westfalen wie kein anderes Bundesland vorbereitet.

Im Zuge dieser Entwicklung, die niemand hat absehen können, müssen wir nacharbeiten. Das ist doch vollkommen klar. Aber dass wir diese Ressourcenhausaufgaben gemacht haben, das ist doch sehr deutlich geworden. Das war im Schulausschuss schon sehr klar bei der Beratung der Einbringung des Dritten Nachtrags. Das haben wir heute zu einem guten Ende geführt, womit dafür gesorgt wird, dass die Stellen sofort besetzt werden können, sodass allen Kindern in Nordrhein-Westfalen die zusätzlichen Lehrerstellen zugutekommen. Das ist wichtig.

Zum Thema „Infrastruktur“, Frau Vogt, darf ich Ihre Aufmerksamkeit noch einmal erheischen. Infrastruktur heißt auch, die kommunalen Integrationszentren, die regionalen Bildungsnetzwerke wahrzunehmen, in denen die Koordinationsarbeit stattfindet. Im Dritten Nachtrag werden auch die kommunalen Integrationszentren noch einmal gestärkt. Da ist genau diese Verknüpfungsarbeit sehr wichtig.

Sehr geehrte Frau Bunse, wenn Sie die BA ansprechen und die Koordination: Da bin ich sehr froh, dass Herr Weise jetzt in beide Richtungen arbeitet – sowohl was die Anerkennungsfrage wie auch die Kompetenz aus der BA angeht. Vielleicht geht das dann da auch zusammen. Da sind wir auf die Kooperationspartner im Bund angewiesen, Frau Bunse.

Das ist eine ganz neue Entwicklung. Da muss man schauen, wie Herr Weise das Ganze stemmen kann und wie das gelingt, vor Ort damit umzugehen.

Ich nehme vor Ort wahr, dass sich sowohl die Handwerkskammern als auch die Industrie- und Handelskammern entsprechend offensiv aufstellen, dass diese Dinge überall laufen und dass sie ihren Anknüpfungspunkt in den regionalen Bildungsnetzwerken, in den kommunalen Integrationszentren finden. Mit der zusätzlichen Ressource, die hineinkommt, hat das natürlich eine Verbindung. Das macht man doch nicht einfach so nebenher, als ob man sich nichts dabei gedacht hätte.

Von daher zu sagen: „Es gibt kein Konzept“, das finde ich schon ein bisschen abenteuerlich.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Wir müssen das einfach noch einmal nacharbeiten.

Aber, Frau Bunse, was mich ein bisschen erschüttert hat, ist, dass Sie hier auch noch das Thema „Schulsozialarbeit“ aufmachen haben. Ich glaube, auch da muss man noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass es der Bund war, der uns diese Dinge entzogen hat, und dass wir als Land die Aufgabe zusätzlich übernommen haben, damit das nicht vor die Wand gefahren wird und dieser Zweig, den wir in der Multiprofessionalität unbedingt brauchen, erhalten bleibt. Auch hier hat das Land mehr als seine Hausaufgaben gemacht.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Ich will jetzt gar nicht erwähnen, dass wir auch bei der Kitafinanzierung mehr tun, als wir tun müssten, und auch Anteile der Kommunen kompensieren, die diese nicht übernommen haben.

Sie sprechen überall davon, hier passiere etwas ohne Konzept. Dem entgegne ich: Wir investieren mit Sinn und Verstand in die Bildung, und wir nehmen die Aufgaben an. Wir verknüpfen sie, und wir können auf eine Infrastruktur aufsetzen, die selbst in dieser herausfordernden Situation besser aufgestellt ist als die in allen anderen Bundesländern. Ich freue mich darauf, das alles mit Ihnen im Ausschuss noch einmal im Kleinen nacharbeiten zu können. – Ich danke für den Antrag.

(Beifall von den GRÜNEN – Eva Voigt-Küppers [SPD]: Wir auch!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Nun hat die FDP das Wort. Für die Fraktion spricht Frau Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Beer

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ja!)

– da ist sie, genau –, Sie haben mit einem Widerspruch angefangen. Den nehme ich an dieser Stelle gerne auf. Ich widerspreche Ihnen auch ganz konkret –

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Schade!)

– ja, das tue ich –, weil ich den Bericht, den die Ministerin im Ausschuss vorgetragen hat, tatsächlich verstanden habe.

(Beifall von der FDP)

Ich widerspreche nicht nur Frau Beer, sondern auch Frau Hendricks, die gesagt hat, es liege ein Gesamtkonzept vor; der Bericht sei also ein Gesamtkonzept. Nein, der Bericht bestand in einem Aufführen der Einzelmaßnahmen, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, aber von einem Gesamtkonzept war weit und breit keine Spur.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Da steht etwas von Infrastruktur!)

Von daher bin ich der CDU äußerst dankbar, dass sie heute diesen Antrag – darin stimme ich wieder mit Ihnen überein – eingebracht hat.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Ja, es gibt die eine oder andere Sache, an der wir uns gemeinsam reiben. Aber es gibt eben auch das eine oder andere, dem wir gemeinsam zustimmen können. – Ich bin also dankbar, dass es diesen CDU-Antrag gibt, denn zu diesem Thema ist doch noch einiges zu sagen.

Wir erkennen an, dass die gegenwärtige Situation für die Landesregierung sicher eine sehr große Herausforderung darstellt. Aber, wie gesagt, es sind Einzelmaßnahmen, die uns hier vorgestellt worden sind. Rot-Grün ergreift Maßnahmen zeitversetzt statt zeitnah. Auch das muss gesagt werden.

(Zuruf von der SPD: Noch schneller geht’s doch nicht! – Sigrid Beer [GRÜNE]: In der Tat!)

– Ich komme gleich dazu. – Frau Löhrmann – auch das hat Frau Dr. Bunse schon gesagt –: 40.000 Kinder – die erwartete Zahl an Flüchtlingskindern und -jugendlichen – ins Verhältnis zu setzen zu den 2,5 Millionen Schülerinnen und Schülern und dann zu verkünden: „Na ja, so viele sind es dann doch nicht“, wird der Sache nicht gerecht. Da die Spannweite bei diesen 40.000 Kindern – nicht bei allen, aber bei diesen besonders – von Analphabeten über Traumatisierte bis zu Hochbegabten reicht, sind die Schulen an dieser Stelle noch einmal extrem gefordert.

Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal exemplarisch das Thema „multiprofessionelle Unterstützung“ nennen. Die Schulen und die Lehrerverbände appellieren händeringend an uns – das dürfte hier allen Beteiligten klar sein, weil sie im Zweifelsfall dieselben Mails erhalten wie ich –, dass mehr professionelle Unterstützung von Psychologen, Sozialarbeitern und Dolmetschern zur Verfügung gestellt wird.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Dazu hat die Ministerin auch schon etwas im Ausschuss gesagt!)

– Ja, Frau Beer, ganz genau. Dazu komme ich gleich. Wenn Sie sich nämlich diese Ausschusssitzung vor Augen führen und sich daran erinnern, dass vonseiten der SPD und der Grünen immer nur gesagt wurde, dass sie dafür nicht zuständig seien, erkennen Sie, dass das an der Stelle kleingeistiges Karo ist.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Das darf doch nicht wahr sein!)

Darüber müssen wir aber hinwegkommen, um letztendlich allen Kindern gerecht zu werden.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir sprechen jetzt über Entscheidungen, die sich in den nächsten Jahrzehnten auswirken: Es geht jetzt um eine psychologische Betreuung, es geht jetzt um die Alphabetisierung, es geht jetzt darum, frühzeitig gesellschaftspolitische Bildung zu ermöglichen

(Zurufe von Sigrid Beer [GRÜNE] – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– ich spreche einfach weiter, Frau Beer –, und es geht jetzt darum, eine stringente und kontinuierliche Sprachförderung sicherzustellen; denn was wir jetzt an Integrationsmaßnahmen versäumen, kann sich Jahre später als Bumerang erweisen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Beer?

Yvonne Gebauer (FDP): Ja, natürlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett von Ihnen. – Frau Beer, bitte.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön. – Entschuldigung, es hat mich wirklich getrieben, bei Ihren letzten Ausführungen dazwischenzurufen. Ihr Kollege Witzel hat sich eben hierhingestellt und von weiteren Sparanstrengungen gesprochen, und Sie fordern dazu auf, weitere Aufgaben von allen Ebenen zu übernehmen, ob das nun die Schulträgerebene ist oder die Bundesebene. Können Sie mal erklären, wie das laufen soll? Wie schätzen Sie im Augenblick die Investitionen des Landes Nordrhein-Westfalen im Bundesvergleich ein?

Yvonne Gebauer (FDP): Frau Beer, vielen Dank für die Frage. Ich sage nur: Geld ist im System vorhanden. Es ist nur die Frage, wie man es verteilt und wer welche Prioritäten setzt.

(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Wo sparen Sie denn? An welchen Stellen tun Sie das?)

Das ist der entscheidende Punkt, an dem wir uns als Opposition – auch die CDU – ganz klar von der Politik Ihrer beiden Fraktionen unterscheiden. Ich bleibe auch dabei: Die Maßnahmen, die Sie ergriffen haben – die ich zu honorieren weiß, das will ich gar nicht bestreiten –, kommen zu spät und sie sind nicht ausreichend. Daran müssen wir arbeiten.

Dass Sie zeitversetzt reagiert haben, hat sich schon beim Zweiten Nachtragshaushalt gezeigt. Schon bei diesem Nachtrag, den wir vor der Sommerpause verabschiedet haben, war klar, dass die 1.000 Stellen, die von den Schulen für die Sprachförderung beantragt worden sind, gar nicht genehmigt worden sind.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Die sind nicht genehmigt worden?)

– Nein, die 1.000 sind nicht genehmigt worden, nicht in der Höhe. – Das Stellenjonglieren mit 674 plus 300 plus 2.625, das wir jetzt haben, klingt für denjenigen, der sich nicht damit beschäftigt, erst einmal sehr beeindruckend. Aber am Ende des Tages müssen wir ganz genau hinschauen, und beim Bildungsausschuss muss man – gerade wenn es sich um Zahlen handelt – noch genauer hinschauen.

Frau Löhrmann, Sie verkünden, es stünden nun 4.728 Integrationsstellen für die Sprachförderung zur Verfügung. Aber was Rot-Grün an der Stelle nicht sagt, ist, dass Hunderte von bisherigen Stellen für die Sprachförderung in den Klassen 5 und 6 bereits mit den Integrationsstellen zusammengefasst worden sind. Auch das muss man der Ehrlichkeit halber dazu sagen.

Jetzt kommt es nämlich dazu – das zeigen diese Rückmeldungen, die Sie sicherlich auch bekommen, meine Damen und Herren von Rot-Grün –, dass die dringend benötigte Sprachförderung anderer Kinder, zum Beispiel derer mit Migrationshintergrund, vor Ort gar nicht mehr möglich ist. Hier droht ein Verschiebebahnhof, bei dem die eine Integration zulasten der anderen Integration erfolgt.

Meine Damen und Herren, das tragen wir so nicht mit. Deswegen sind wir dankbar über den CDU-Antrag und freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Gebauer. – Nun spricht für die Piratenfraktion der Fraktionsvorsitzende Herr Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Ich beginne mal wieder mit einem Zitat, so wie gestern auch. Das ist diesmal die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 26: „Jeder hat das Recht auf Bildung.“

Für uns in Nordrhein-Westfalen sollte es vor allen Dingen darum gehen, dieses Recht für alle zu gewährleisten. Zu „alle“ gehören eben auch Flüchtlingskinder. Das ist eine große Aufgabe in der heutigen Zeit. Aber ich persönlich glaube, das ist eine würdige Aufgabe und es ist eine Aufgabe, die wir schaffen können. Wir können sie schaffen mit der Hilfe von vielen Leuten, die sich in diesem Bereich schon jetzt engagieren. Unser gemeinsamer Dank sollte an diejenigen gehen, die sich tagtäglich tatkräftig dieser Aufgabe widmen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ziel der Politik sollte sein, dass allen zugewanderten und allen geflüchteten Kindern Teilhabe an Bildung ermöglicht wird, und dass gleichzeitig auch die Bildungsangebote insgesamt verbessert werden. Wir haben im Ausschuss da schon mehrfach nachgefragt.

Wenn ein gewisser Prozentsatz der Kinder in der Schule einen sonderpädagogischen Förderbedarf hat, dann wird das auch bei syrischen Kindern und bei afghanischen Kindern so sein. Dann müssen wir grundsätzlich die Inklusionsstellen aufstocken. Wir sollten in allen Bereichen zusehen – das nur als ein Beispiel –, wie wir die Qualität in der Schule erhöhen.

Bevor ich auf einen Punkt des Antrags eingehe, sei noch eben gesagt – Frau Beer, darf ich Sie kurz im Gespräch unterbrechen? –:

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ich bin ganz aufmerksam! Multitaskingfähig!)

– Sehr gut. – Sie haben gerade Frau Vogt vorgeworfen, dass sie ein Gesamtkonzept fordert. Sie kritisieren auch, dass davon im Antrag die Rede ist. Selbst wenn – ich unterstelle das jetzt mal, um mich aus dieser Debatte herauszuhalten – die Ministerin ein Gesamtkonzept vorgelegt hat, sollten wir an einer Stelle fair sein: Der Antrag ist vom 22., einem Dienstag; die Unterrichtung war am 23., einem Mittwoch. Also ist es durchaus legitim, die Forderung in den Antrag zu schreiben.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Man kann einen Neudruck machen!)

– Ja, man kann einen Neudruck machen. Aber ich glaube, wir verstehen uns.

(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Wenn es am 21. gewesen wäre, hätte in dem Antrag auch nichts anderes gestanden!)

– Das stimmt. Am 21. wäre es ja auch vor der Unterrichtung gewesen; von daher wäre das durchaus genauso legitim.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN)

Ich möchte auf einen Punkt eingehen. Das ist der Unterpunkt „Erstellung eines Konzeptes zur Vermittlung von Werten und demokratischen Grundprinzipien im Sinne des Grundgesetzes“. Da habe ich ein bisschen gezuckt. Denn dieses Konzept gibt es schon. Das nennt sich „Politikunterricht“.

Unser großes Problem ist, dass der Politikunterricht nicht gut aufgestellt ist und dass 85,5 % des Politikunterrichts fachfremd erteilt wird. Vielleicht sollten wir uns hier im Landtag, wenn wir vor dieser Herausforderung mit Flüchtlingskindern stehen, auch darüber unterhalten, dass nicht immer nur der MINT-Lehrermangel in den Blick genommen wird, sondern dass auch dieses Versorgungsproblem hier ein Thema sein sollte.

Wir Piraten sind für möglichst gute Bedingungen im Zusammenhang mit dem Schulunterricht von Flüchtlingen. In diesem Sinne hoffe ich einfach darauf, dass die Beratungen im Ausschuss dafür genutzt werden, nicht immer nur das Nötigste zu tun – irgendwie –, sondern dass wir immer wieder offen dafür sind, kritisch zu hinterfragen und zu überprüfen, ob die Regeln und Rahmenbedingungen, die gesetzt werden, dafür geeignet sind, die großen Herausforderungen zu bestehen, sodass wir das Neue, das immer wieder auf uns zukommt, auch meistern können.

Wir sollten den Ausschuss als Prüfstand für alle Maßnahmen nutzen, die das Land trifft. Von daher freue ich mich auf die Beratungen zu diesem Antrag im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Marsching. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Ich nehme sehr gerne auch im Hohen Haus noch einmal Stellung zu dem Gesamtkonzept. Ich bin Herrn Marsching dankbar, dass er den Gesamtrahmen dargestellt hat und sich nicht wie andere damit aufgehalten hat, vermeintliche Haare in der Suppe zu finden.

Ich fände es auch angemessen, wenn die Opposition – in dem Fall auf der rechten Seite des Hauses – mal sagen würde: Ja, das ist eine wirklich gigantische Leistung, hier so viele zusätzliche Lehrerstellen zu schaffen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Als ich die ersten Stellen vorgestellt habe – die 300 und die 674 – habe ich auch aus Gewerkschaftskreisen gehört: Oh, das war ja gut. Das hätten wir so schnell nicht erwartet.

(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Genau!)

Ich glaube, dass zu dem Zeitpunkt die Leute nicht gedacht hätten, dass es nach so kurzer Zeit noch einmal eine so deutliche quantitative Ausweitung bei den Lehrerstellen geben würde.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das wäre einfach redlich, wenn Sie das hier auch würdigen würden.

(Beifall von den GRÜNEN – Eva Voigt-Küppers [SPD]: So ist es!)

Frau Gebauer, Sie vermischen hier – ich unterstelle: bewusst – verschiedene Dinge, um den Eindruck zu erwecken, hier würde etwas gekürzt.

(Beifall von der SPD)

Ich will das noch einmal sehr deutlich sagen: Die Integrationsstellen, die es vorher gegeben hat – ungefähr 3.000 –, sind mit anderen Sprachförderstellen zusammengeführt worden, weil uns zum Beispiel der Landesrechnungshof sagt: Besser größere Stellentöpfe und nicht so viele kleine, um diese Mittel effizienter einsetzen zu können. – Da ist nichts gestrichen worden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese Stellen kommen weiterhin der Sprachförderung aller Kinder und Jugendlichen, die Bedarf haben, zugute. Das kommt jetzt nicht nur den Flüchtlingskindern zugute.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich verwahre mich dagegen, dass die verschiedenen Kinder, die Sprachförderbedarf haben, hier gegeneinander ausgespielt werden!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist Teil unseres Gesamtkonzepts, meine Damen und Herren. Das ist mir sehr, sehr wichtig.

Ich bin auch irritiert, aber nicht darüber, dass die CDU den Antrag gestellt hat. Der Bericht war allerdings schon angekündigt; es ist nicht erst aufgrund des Antrags zum Bericht gekommen. Das zu betonen, ist mir auch wichtig. Aber ich bin irritiert darüber, dass Sie den Antrag nicht zurückgezogen haben, weil ich nämlich umfänglich alles, was die Landesregierung tut – und zwar in der Kombination von Integrations- und Schulpolitik – vorgestellt habe.

Die Bedeutung, die die CDU dem beimisst, kann man daran ablesen, dass sie meint, jetzt dem scheidenden Minister Guntram Schneider noch mal eins mitgeben zu müssen. Ich finde, das entwertet doch auch Ihren Wortbeitrag. Das entwertet auch diesen Antrag, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall von der SPD und Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Nun zu den Zahlen: Ja, wir kalkulieren im Moment mit zusätzlichen 40.000 Flüchtlingskindern an den Schulen. Die Zahl muss als vorläufig betrachtet werden. Ich zitiere den deutschen Vertreter des UNHCR in der „Zeit“: „Mit Zahlen, selbst mit ungefähren Schätzungen, verbrennt man sich nur die Finger.“

Ich will auch noch einmal – das habe ich bereits im Ausschuss gesagt, aber weil es mir wichtig ist, sage ich es jetzt auch hier gerne – die Aussage der Bundeskanzlerin zitieren, wonach das Asyl als Grundrecht für politisch Verfolgte als nach oben offen betrachtet werden muss. Auch das wiederhole ich gerne.

Der Landtag hat die Landesregierung hinsichtlich der Realisierung der Schulpflicht unterstützt – ich zitiere aus der Debatte vom 2. September 2015 –:

Auch weiterhin wird das Land zu seiner Verantwortung stehen und die Stellen für Lehrerinnen und Lehrer an die tatsächliche Entwicklung der Flüchtlingszahlen anpassen.

– Das tun wir.

Was ich noch einmal betonen will – ich weiß es in diesem Fall ziemlich genau, weil ich selber schon in den 80er-Jahren in diesem Kontext gearbeitet habe, meine Damen und Herren von CDU und FDP –: Die Voraussetzungen für die Integration der bei uns Zuflucht suchenden Kinder und Jugendlichen sind strukturell gut. Das verdanken wir dem großen und gemeinsamen Engagement aller Akteure in Land, Kommune und Zivilgesellschaft.

Außerdem können wir in Nordrhein-Westfalen an ein inzwischen breit getragenes Verständnis als Einwanderungsland anknüpfen. Strukturen, die infolge der Gastarbeiterzuwanderung in den 60er-Jahren punktuell entstanden sind, wurden systematisch und nachhaltig verstetigt.

Zentrale Grundlagen sind außerdem das hier einstimmig verabschiedete Teilhabe- und Integrationsgesetz vom Februar 2012 sowie die zur Ausgestaltung der kommunalen Integrationszentren und zur Weiterentwicklung der Integrationsstellen erforderlichen Erlasse vom Juni 2012.

Es wundert mich schon sehr, wenn die Fraktion eines ehemaligen Integrationsministers offenbar die systematische Arbeit der Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen nicht gekannt hat, die wir zu den kommunalen Integrationszentren weiterentwickelt haben. Da ist bei Herrn Laschet offenbar vieles an der Oberfläche geblieben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte darüber hinaus – das war im Ausschuss offen geblieben; darum hatte mich Herr Kaiser gebeten – darauf hinweisen, wie vielfältig das Material ist, das es hier für alle Lehrinnen und Lehrer gibt. Im Internet findet sich ein umfassendes niedrigschwelliges Beratungs- und Materialangebot für unsere Lehrkräfte, beispielsweise im Bildungsportal unter www.learn:line.de, unter www.kommunale-integra-tionszentren.nrw.de.

Sehr zu empfehlen ist auch die Materialsammlung der Universität Duisburg-Essen: Förderunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Auch dazu nenne ich gerne die Internetadresse: www.uni-due.de/foerderunterricht.

Dort ist besonders die Seite 5 interessant. Da heißt es nämlich „Pädagogische Grundsätze des Förderunterrichts (seit 1974)“ – ich lese sie jetzt vor, um deutlich zu machen, dass wir beileibe nicht bei Null anfangen –: „Deutschförderung, fachliche Förderung, Beobachtung von schulischer Entwicklung und Noten, Einbeziehung der muttersprachlichen Fähigkeiten, weitgehende Repressionsfreiheit, Erziehung zur Toleranz, Gleichberechtigung der Geschlechter, pädagogische Betreuung, Unterstützung bei sozialen und schulischen Konflikten, Beratung und Begleitung bei Fragen der Schullaufbahn.“

Ich glaube, die Menschen, die bei uns vor Ort schulische und Integrationsarbeit leisten, brauchen keine Nachhilfe von der CDU-Fraktion in Sachen umfassende ganzheitliche Bildung von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen. Und darauf können wir stolz sein.

Wir sollten angesichts der Aufgabe, angesichts der großen Herausforderungen, die Kinder umfassend zu fördern, weil sie unsere Zukunft sind, unsere Kraftanstrengungen gemeinsam darauf lenken, statt die Haare in der Suppe zu suchen, wo wirklich keine sind. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Löhrmann. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Beratung.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/9798 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Stimmt jemand dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist einstimmig so überwiesen, wie zu erwarten war.

Wir rufen auf:

10       Rahmenbedingungen für das kommunale Ehrenamt weiter verbessern

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9791

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9888

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Kollegin Steinmann das Wort.

Lisa Steinmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Liebe Zuschauer und Zuhörer! Protokollarisch möchte ich an dieser Stelle ganz besonders unsere Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker im ganzen Land begrüßen, die jetzt vermutlich eher nicht ihre Freizeit im Livestream verbringen, sondern die sich wahrscheinlich eher durch den berufsunfreundlichen Sitzungsnachmittag kämpfen und zwischen Ortsterminen und Debatten ihren üblicherweise beladenen Terminkalender abarbeiten.

Wir erleben gerade in NRW aktuell eine Zivilgesellschaft, die sich ehrenamtlich in besonderem Maße einbringt. Es scheint, die Menschen in unserem Land sind vor Ort aktiver denn je. Aber auch die Kommunen selbst, das hauptamtliche Personal in den Verwaltungen und die gewählten Volksvertreter in den Räten leisten hier Enormes.

Das kommunale Mandat in Nordrhein-Westfalen stellt weiterhin eine Besonderheit dar und zieht für die Menschen, die kommunalpolitisch Verantwortung übernehmen, die sich neben Beruf und Familie ehrenamtlich einsetzen, zunehmend große Herausforderungen nach sich.

Aber die Kommunalpolitik hat auch ein Imageproblem. So wird es für die Parteien immer schwieriger, Menschen für ehrenamtliche Arbeit in den politischen Gremien zu gewinnen. Wer sich hierzulande in der Kommunalpolitik engagieren will, wagt einen großen Spagat zwischen beruflicher Tätigkeit, familiärer Verantwortung und zuvorderst in der professionellen Erfüllung seines Mandats. Das muss man sich nicht nur zeitlich, sondern auch finanziell leisten können.

Wir legen Ihnen heute einen Antrag mit konkreten Forderungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für das kommunale Ehrenamt vor, den wir aus den Handlungsempfehlungen der Ehrenamtskommission erarbeitet haben.

Wir bitten die Landesregierung, den zur Zeit in Überarbeitung befindlichen Erlass „Zuwendung kommunaler Körperschaften an Fraktionen der Vertretung“ zügig in Kraft zu setzen, damit zukünftig vor allem die Ausstattung für die Fraktionen klar definiert und landeseinheitliche Grundlagen geschaffen werden.

Wir bitten die Landesregierung, durch eine Änderung der Entschädigungsverordnung zum 1. Januar 2016 eine einmalige Anhebung der Aufwandsentschädigung um 10 % für alle kommunalen Mandatsträger zu erwirken. Ausschussvorsitzende sollen eine zusätzliche Aufwandsentschädigung erhalten.

Wir empfehlen eine Erweiterung und Anhebung zugunsten der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, und – ganz wichtig – es sind die verordnungsrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, um diese Anpassung auch für die Regionalräte verbindlich zu machen. Da dies sowohl die Gemeindeordnung als auch das Landesplanungsgesetz betrifft, sind hier das MIK wie auch die Staatskanzlei gleichermaßen beauftragt.

Ferner sollen die gesetzlichen Voraussetzungen zur landeseinheitlichen Vereinheitlichung der Verdienst-ausfallgrenze geschaffen werden, die den Mindestlohn in Höhe von 8,50 € festsetzen und einen Höchstsatz – dann nachweislich – von 80 € definieren.

Es soll eine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt werden, die mögliche Nachteilsausgleiche im Hinblick auf eine Abstandsregelung zwischen Sitzungsende und dem Beginn von Nacht- und Schichtarbeit zum Ziel hat. Außerdem soll geprüft werden, ob die Rechtsgrundlagen für Livestreams aus kommunalen Gremien präzisiert werden sollen, wodurch die Informationsmöglichkeiten der Bürger vergrößert werden können und die Anerkennung der kommunalpolitischen Arbeit gestärkt werden kann.

Sehr geehrte Damen und Herren, ohne durch Wahl legitimierte Personen, ohne verlässliche Verfahren und ohne klare Verantwortlichkeiten lässt sich keine Kommune regieren. Diesen Leistungsträgern gerecht zu werden, das war unser Ziel.

An dieser Stelle möchte ich einen kurzen Schwenk in Richtung der Piraten wagen, die dazu heute noch einen Entschließungsantrag vorgelegt haben. Ich muss Ihnen mit ein bisschen Enttäuschung sagen: Wer wie Sie mit Ihrem Entschließungsantrag kommunalpolitische Leistungsträger unentgeltlich in die professionale Pflicht ziehen will, der hat sich meines Erachtens mit der Leistung vor Ort und mit der kommunalen Leistungskraft in den Großstädten und im gesamten Land nicht hinreichend auseinandergesetzt.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Ich persönlich freue mich sehr, dass unser Antrag breit getragen ist und wir ihn mit immerhin vier von fünf Fraktionen gemeinsam erarbeitet haben. Ich hoffe, dass wir so den Nachwuchsmangel ein Stück weit überwinden und Kommunalpolitik zukünftig nicht nur einer Zeitelite vorbehalten ist, sondern für Menschen aller Bevölkerungs- und aller Berufsgruppen attraktiver wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser Stelle im Besonderen auch meinen Mitstreitern der Ehrenamtskommission danken, die mir in der Zusammenarbeit 18 anstrengende, inhaltsschwere, aber auch sehr spannende Monate bereitet haben. Ich denke, dieser Antrag ist ein gutes Ergebnis unserer intensiven Auseinandersetzung. Ich bitte Sie allesamt um Unterstützung und Zustimmung zu diesem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Steinmann. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Nettelstroth.

Ralf Nettelstroth (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Rahmenbedingungen für das kommunale Ehrenamt weiter verbessern – das war das Ziel, das war der Auftrag, den Sie uns, dieser Kommission, gegeben haben. Ich glaube, wir haben heute mit diesem Papier Rahmenbedingungen vorgelegt, die dazu beitragen, genau diese Situation zu verbessern.

Frau Steinmann, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie den Antrag im Wesentlichen vorgestellt haben. Deshalb möchte ich mich nur noch auf einige Aspekte konzentrieren, die insbesondere auch von den Piraten noch einmal angegriffen worden sind.

Aber lassen Sie mich zuvorderst noch auf eines hinweisen: Über 20.000 Bürger in diesem Land sind ehrenamtlich tätig, nehmen sich die Zeit, die sie anderweitig verbringen könnten, um in Ausschüssen dafür zu arbeiten, dass das Gemeinwohl vor Ort möglichst gut organisiert ist, bringen sich mit Anträgen ein, machen sich Gedanken und bereiten sich auf Sitzungen vor.

Wir erleben, dass sich dieses kommunale Ehrenamt in den letzten Jahren verändert hat. Auf der einen Seite verdichtet sich die Arbeitssituation der Menschen immer mehr. Es wird erwartet, dass man seine Arbeit erbringt und sein kommunales Ehrenamt dann bitte in der wirklichen Freizeit erledigt.

Auf der anderen Seite wird dieses kommunale Ehrenamt auch immer anspruchsvoller, weil die Vorgänge immer komplizierter und umfassender werden und von einer Verwaltung vorbereitet werden, die über unheimlich viel Sachverstand verfügt, während man selber Zeit braucht, diese Dinge reflektieren zu können. Dafür braucht man auch einen entsprechenden Hintergrund.

Unter diesem Aspekt ist es ganz klar unser Ziel, die Fraktionen vor Ort zu stärken. Deshalb haben wir auch den Auftrag erteilt, in diesem Sinne nachzudenken, wie sich die Fraktionen vor Ort besser organisieren können, damit sie in der Lage sind, das hauptamtlich Geleistete ehrenamtlich entsprechend zu begleiten.

Meine Damen und Herren, die Piraten greifen heute eine von uns allen mitgetragene Regelung auf, nämlich die Frage der Ausschussvorsitzenden. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass das ganz bestimmt auch ein Stück weit daran liegt, dass Sie nicht so viel kommunalpolitische Erfahrung haben. Denn hätten Sie diese Erfahrung, dann würden Sie diesen Antrag heute nicht stellen. Dann wüssten Sie, welcher erhebliche Aufwand mit einer solchen Tätigkeit verbunden ist.

Ich selber bin Ausschussvorsitzender in meiner Heimatstadt Bielefeld. Als Sprecher in anderen Ausschüssen habe ich natürlich auch die Vorsitzenden anderer Ausschüsse begleitet und beobachtet, durfte teilweise auch an Vorbesprechungen teilnehmen. Wenn Sie das sehen, werden Sie sehr schnell feststellen, dass es ein erheblicher Aufwand ist, zum Beispiel als Ausschussvorsitzender im Stadtentwicklungsausschuss tätig zu sein.

Denn es ist nicht nur die Vorbereitung der Sitzung; ihr gehen auch noch eigene Sitzungen voraus, in denen man sich inhaltlich bespricht, die Abläufe diskutiert und entsprechend vorbereitet sowie der Verwaltung Hinweise gibt, wo sie noch nachzuarbeiten und aufzubereiten hat, wie man im Einzelnen damit umgeht.

Und es geht auch um viele auswärtige Termine und auch um viele Ansprachen der Bürger, die sich mit einer Bitte – sei es um einen Bauplatz, sei es um andere persönliche Anliegen – an den Ausschussvorsitzenden wenden und um entsprechende Bearbeitung nachsuchen.

Das ist ein erheblicher Aufwand. Diesem erheblichen Aufwand wollten wir hier Rechnung tragen. Vor diesem Hintergrund haben wir auch gesagt: Es ist an der Zeit, dem Ausschussvorsitzenden diese zusätzliche Aufwandentschädigung zuzuordnen.

Sie sprechen als zweiten Aspekt die Frage des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der größeren Fraktionen an. Ich habe da eher den Eindruck, dass Sie sich selber so einschätzen, dass Sie niemals in solch eine Situation kommen werden und deshalb nicht einsehen, dass Sie das mittragen sollen.

Vom Grundsatz her muss man eigentlich ganz klar feststellen, dass es doch Sinn macht. Denn Sie wissen sehr wohl, dass die Arbeit vor Ort sehr umfangreich ist. Auch die Arbeit der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden ist wichtig. Sie decken in der Regel auch bestimmte Bereiche mit ab und haben diese nicht nur im Fraktionsvorstand, sondern auch nach außen hin in die Öffentlichkeit und in den entsprechenden Sitzungen zu vertreten. Vor diesem Hintergrund ist es allemal gerechtfertigt, hierfür tätig zu werden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die letzte Minute meiner Redezeit dazu nutzen, noch einmal für etwas mehr Selbstvertrauen im Ehrenamt zu werben. Ich weiß, dass viele Leute gerade auch vor dem Hintergrund der Einspardiskussionen, die wir allenthalben führen, darüber nachdenken, wie man mit Ehrenamt umgeht.

Ich sage Ihnen ganz offen: Demokratie kostet Geld. Auch sage ich ganz offen: Wir müssen ein Stück weit – damit meine ich jetzt mich als Ratspolitiker – mit dem Selbstbewusstsein antreten, zu sagen: Wir machen hier etwas Sinnvolles. Ich habe der Stadt Geld gespart. Mit meinem Wissen als Anwalt habe ich entsprechende Informationen eingebracht. – So geht es vielen anderen, die aus ihren persönlichen Sachverhalten heraus diese Kompetenz mit einbringen und vor Ort entsprechend einsetzen.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Das führt zu Erfolgen allenthalben. Dafür müssen wir ein Stück weit dankbar sein.

Wir stellen aber fest, dass viele Leute vor dem Hintergrund der verdichteten Arbeitssituation sagen: Das ist mir alles ein wenig zu schwierig; ich habe nicht so viel Zeit, meine Kompetenz hier einzubringen. Dabei wäre es schön, wenn in den jeweiligen Selbstverwaltungskörperschaften vor Ort eine Vielzahl von verschiedenen Arbeitsumfeldern, die wir heute wahrnehmen, vertreten wäre.

Vor diesem Hintergrund nochmals meine Aufforderung: Lassen Sie uns die Selbstverzwergung der Kommunalpolitik beenden. Lassen Sie uns mit Selbstvertrauen da herangehen. Lassen Sie uns durchaus mit dem Wunsch auftreten, hier mitgestalten zu wollen. Und lassen Sie uns heute einen Beitrag dazu liefern, dass das etwas attraktiver wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege. – Und nun spricht für die grüne Fraktion Herr Kollege Krüger.

Mario Krüger*) (GRÜNE): Herr Vorsitzender! Meine Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir schließen mit diesem heutigen Entschließungsantrag eine 18-monatige Arbeit ab. Ich möchte erst einmal all denjenigen danken, die an dieser Arbeit innerhalb der Kommission selbst beteiligt waren. Das betrifft zum einen die Vertreter aus den Fraktionen, zum anderen die Vertreter aus den kommunalpolitischen Vereinigungen, zum Dritten die Vertreter aus den kommunalen Spitzenverbänden und selbstverständlich auch die Mitarbeiter aus den einzelnen Fachgebieten.

Ich glaube, dass wir in der Summe ein gutes Ergebnis erreicht haben. Das wird auch deutlich, wenn wir uns den Entschließungsantrag ansehen, der beit – von den Fraktionen der SPD, der CDU, der Grünen und der FDP – getragen wird. Auf die Piraten gehe ich gleich noch ein.

Ich sage das auch deshalb, weil nicht alle Empfehlungen eins zu eins Gegenstand des Entschließungsantrages sind. Ich denke hier an die Frage der Mindestfraktionsgrößen. Es wird aber deutlich, dass es in diesem Zusammenhang bezogen auf das Gesamtarbeitsergebnis sehr wohl einen Konsens gibt.

Ohne Zweifel gibt es einen Handlungsbedarf. Herr Nettelstroth, Sie haben das gerade aufgezeigt. Ich will das einmal an einem kleinen Beispiel, an dem einer berufstätigen Ratsfrau, deutlich machen, die alleinerziehend ist und einen neunjährigen Sohn hat. Ihre Arbeitszeit geht von 7:30 Uhr bis 16 Uhr, Kernarbeitszeit ist von 9 bis 15 Uhr. Sie hat eine Anfahrtszeit von 30 Minuten bis zum Rathaus.

Wenn man sich erstens die entsprechenden Satzungen ansieht, stellt man fest, dass der Arbeitszeitausfall in der Zeit von 14:30 Uhr bis 16 Uhr nicht finanziert wird. Warum? Es gilt die Kernarbeitszeit. Die Konsequenz ist, dass die Frau tatsächlich einen entsprechenden Verdienstausfall hinnehmen muss.

Zweitens. Sie hätte normalerweise ihren Sohn um 16:30 Uhr abgeholt. Das geht nicht. Man muss sich auch um die Kinderbetreuung kümmern. Der Sohn ist neun Jahre alt. In Mülheim hat man nur dann Anspruch auf Kinderbetreuungskosten, wenn das Kind nicht älter als acht Jahre ist. Das heißt, er würde dort von vornherein herausfallen. In der Gemeinde Holzwickede beispielsweise greift die Regelung bis zum Alter von elf Jahren. In Mülheim werden Kinderbetreuungskosten in Höhe von 7 € pro Stunde zugestanden. In Holzwickede sind es 8 €.

Wenn man beispielsweise eine Studentin oder einen Studenten ansprechen und um entsprechende Hilfestellung bitten würde, dann bekommt man folgende Antwort: Mit 15 € bist du dabei, aber nicht mit 7 oder 8 €. Bittet man eine pädagogische Kraft um Hilfe, ist man bei 20 € oder 25 €.

Anders formuliert: Die gute Frau, die sich politisch ehrenamtlich engagiert, zahlt wirklich drauf. Das wollen wir ändern. Wir haben das in der Ehrenamtskommission auch in weiten Bereichen des Berichtes deutlich gemacht. Das ist ein Auftakt, den wir hier im Rahmen des Entschließungsantrages aufgreifen.

Ich komme zu dem von den Piraten vorgelegten Entschließungsantrag. Herr Herrmann, Sie beschreiben diesen Antrag mit der Formulierung „Das Füllhorn wird über einzelne Ratsmitglieder ausgeschüttet“. – Wenn ich mir vor Augen führe, dass Sie landauf, landab technische Fraktionen mit anderen Gruppierungen gebildet haben – mit der Zielsetzung, über eine entsprechende Fraktion Zuwendungen der öffentlichen Hand, sprich: der Kommune, zu erhalten –, kann ich nur sagen: Sie predigen Wasser, in Wirklichkeit trinken Sie Wein.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Wir reden hier nicht von 200 € zusätzlicher Aufwandentschädigung für einen Ausschussvorsitzenden in einer Gemeinde bis 150.000 Einwohner. In meiner Gemeinde mit mehr als 450.000 Einwohner sind es 306 €. Dann reden wir über mehrere 10.000 €, die Ihnen in diesem Zusammenhang zur Verfügung gestellt werden.

Selbstverständlich nehmen Sie auch das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes in Münster vom 19. Juni 2013 nicht zur Kenntnis, in dem unter anderem ausgeführt wurde, dass, „Fraktionsgemeinschaft“ voraussetzt, bereits ein gleichgerichtetes Wirken auf der Grundlage grundsätzlicher politischer Übereinstimmung vorliegt. Das ist nur dann glaubhaft, wenn es seinen sichtbaren praktischen Ausdruck gefunden hat.

Selbst die Rechtsprechung sagt also in diesem Zusammenhang, dass das so normalerweise nicht geht. Insofern ist es schon verwunderlich, dass Fraktionsgemeinschaften, wie sie in der Vergangenheit gebildet worden sind, von den Beteiligten dann auch genehmigt worden sind.

Mit Ihrem Antrag schüren Sie Sozialneid, Sie bedienen sich eines populistischen Vokabulars, und Sie erweisen dem politischen Ehrenamt letztendlich einen Bärendienst. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Krüger. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heutige Tagesordnungspunkt lässt mich ein bisschen an mein altes röhrendes Faxgerät mit Thermopapierrolle erinnern. – Keine Sorge, Lisa Steinmann, damit will ich jetzt nicht die Arbeit der Kommission beschreiben. Er erinnert mich an das erste Dokument, das ich auf Thermopapier gefaxt bekam. Das war der Schnoor-Erlass, der bis heute in vielen vergilbten Aktenordnern gut gehütet wird, die Minibibel für Fraktionsvorsitzende in Räten und Kreistagen, bis heute gültig. Nun wird er modernen Zeiten angepasst.

Den Anstoß zur Bearbeitung des Erlasses über Zuwendungen kommunaler Körperschaften an Fraktionen gab unser – so nenne ich es mal – farbenübergreifendes Projekt zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ehrenamtlicher Kommunalpolitiker. Die Kommission hat diese Dinge in den letzten 18 Monaten erörtert und Verbesserungen geprüft bzw. lässt sie in Zukunft noch prüfen.

Zunächst war es eine Neuauflage der erfolgreichen interfraktionellen Zusammenarbeit in der 14. Wahlperiode, welche auch in ein gemeinsames Gesetz mündete. Wichtig war diesmal einerseits die Einbeziehung der Perspektiven der Betroffenen durch die Mitwirkung der kommunalpolitischen Vereinigungen, andererseits der Perspektiven der Verwaltung durch die Anwesenheit der kommunalen Spitzenverbände. Auch das Innenministerium stand uns mit seinen Mitarbeitern mit Rat und Tat zur Seite.

Positiv waren die Abkoppelung vom parteipolitischen Alltagsgeschäft und eine über weite Zeiträume sehr sachorientierte Zusammenarbeit. Das Ergebnis ist eine respektable Anzahl gemeinschaftlicher Verbesserungsvorschläge zur zeitnahen Umsetzung; die begrüßenswerten Regelungen im Detail wurden ja bereits gewürdigt und genannt.

Mir war beispielsweise ein Punkt wichtig, den ich deswegen noch einmal unterstreichen möchte: die gebotene Gleichstellung der Aufwandsentschädigung für Regionalräte mit der für Landschaftsverbände und den RVR. Wichtig ist sicherlich auch die Beauftragung der Landesregierung, eine Expertise zu der Fortentwicklungsmöglichkeit der Freistellungsregelung für flexible Arbeitszeitmodelle einzuholen. Insofern gehen die Arbeit und der vorliegende Antrag in Ordnung.

Aber wo Licht ist, war auch immer ein wenig Schatten, und den blauen Himmel trüben zumindest kleinere dunkle Wolken. Denn ich musste schon feststellen, dass auf den letzten Metern der sonst konsensorientierten Zusammenarbeit von interessierter Seite versucht wurde, zur Durchsetzung – ich nenne es mal so – parteistrategischer Vorteile, die Arbeit von Ehrenamtlern von Minderheiten zu erschweren. Konkret geht es um den Versuch, den auch Herr Krüger gerade nannte, die Mindestgrößen von Fraktionen heraufzusetzen. Nach Intervention unter anderem der FDP konnte dies in letzter Minute abgewehrt werden. Ansonsten hätte es, glaube ich, heute kein gemeinschaftliches Ergebnis gegeben und dann sicherlich auch keinen fraktionsübergreifenden Antrag.

Dass nun trotz gefundener Einigung just am selben Plenartag ein Gesetzentwurf zur Einführung kommunaler Sperrklauseln eingebracht wurde, ist sicherlich kein Versehen und auch kein Zufall. Alles in allem hat die Vertrauensbasis für Gemeinschaftsprojekte wie die Ehrenamtskommission durch diese Ereignisse schon einen gewissen Schaden genommen. Ob es vor diesem Hintergrund in Zukunft eine weitere Ehrenamtskommission aller Fraktionen geben wird, ist, glaube ich, nicht ganz sicher.

Dem Antrag heute stimmen wir natürlich zu. – Danke sehr.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Nückel. – Für die Piratenfraktion hat Herr Herrmann das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Herr Nückel, vielen Dank, dass Sie noch einmal ein bisschen die Stimmungslage dargestellt haben. Beim Thema „Mindestgröße“ zum Beispiel haben wir auch im Ausschuss mit einer Stimme gesprochen.

Liebe Abgeordnete der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU, bei der Einbringung Ihres Gesetzentwurfs zum kommunalen Demokratieabbau heute Mittag hatten Sie nach meinem Eindruck keinen leichten Stand; irgendwie fehlten da die Argumente. Jetzt kommen Sie mit einem Antrag, der sich zunächst auch wieder richtig und wichtig liest, besonders in der ersten Zeile:

„Unsere Städte und Gemeinden sind das Fundament unseres Landes und die Keimzellen der Demokratie.“

Das ist vollkommen richtig. Auch ehrenamtliches Engagement bildet die Basis und das Fundament unserer Demokratie. Auch die Einschätzung, dass die Anforderungen an die Freizeitpolitiker steigen, teilen wir Piraten. Die Aufgaben werden zeitintensiver, komplexer und schwieriger. Die Überwachung und Kontrolle der gesamten Verwaltung ist für Politiker im Ehrenamt fast nicht mehr zu leisten.

Obwohl wir von der gleichen Ausgangslage und der gleichen Problembeschreibung ausgehen, kommen wir, verehrte Kolleginnen und Kollegen, zu unterschiedlichen Positionen. Wir Piraten sind der Auffassung, dass sich die steigenden Anforderungen und die immer komplexer werdenden Verfahren nicht einfach mit einer Erhöhung der Aufwandsentschädigung erledigen. Hier braucht es strukturelle Reformen, Entbürokratisierung und weitere Verbesserungen. Es geht eben nicht darum, nur die Vorsitzenden zu stärken.

(Beifall von den PIRATEN)

Nur weil Fraktionsvorsitzende nach Ihren Plänen in Zukunft mehr Geld in der Tasche haben, vergrößert sich nicht die kostbare Freizeit aller kommunalen Ehrenamtler.

Ihre Vorschläge, große Fraktionen der großen Parteien sowie Ausschussvorsitzende mit mehr Geld auszustatten, werden die Rahmenbedingungen für das kommunale Ehrenamt insgesamt nicht verbessern. Mehr Geld ist nicht das richtige Argument für die Stärkung des kommunalen Ehrenamts.

Die Erweiterung und Anhebung der Aufwandsentschädigungen zugunsten von stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und die zusätzliche einfache Aufwandsentschädigung für die Ausschussvorsitzenden in den Räten, Kreistagen und Landschaftsversammlungen lehnen wir Piraten ab. Das bringen wir mit unserem Entschließungsantrag zum Ausdruck.

Aber neben den finanziellen Aspekten haben wir in der Arbeitsgruppe auch über andere Themen gesprochen, etwa das Livestreaming. Die Prüfung, ob die Rechtsgrundlagen für Livestreams aus kommunalen Gremien präzisiert werden sollen, ist ein guter Anfang. Wir müssen den Kommunen, die dies möchten, durch klare Regelungen Rechtssicherheit verschaffen. Das haben Sie in Ihren Antrag aufgenommen, und das begrüßen wir ausdrücklich.

Wir Piraten finden es wichtig, dass Zugangsbarrieren zu Ratssitzungen abgebaut werden. Eine Saalöffentlichkeit – also: wer Zeit hat, kann kommen – reicht heute nicht mehr aus. Wir haben das Wissen und die Technologie, dass wir Menschen das zeitversetzte Verfolgen von Ratssitzungen ermöglichen können, so wie wir es auch hier im Plenum praktizieren.

Die Transparenz der kommunalen Vertretungen in Form von offenen Ratsinformationssystemen und weitere Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger müssen ebenfalls noch intensiver umgesetzt werden. Das wurde leider durch die Arbeitsgruppe noch nicht ausreichend berücksichtigt.

Deshalb begrüßen wir auch, dass unser Fazit, die Entwicklung und Stärkung des kommunalen Ehrenamts als Daueraufgabe wahrzunehmen, es in Ihren Antrag geschafft hat. Trotzdem werden wir Ihren Antrag ablehnen und werben dafür, unseren Entschließungsantrag anzunehmen.

Einen Satz habe ich aber noch in Richtung der Fraktionen, die heute Morgen den Antrag eingebracht haben. Ihr Vorhaben, die insgesamt steigenden Anforderungen an die kommunalen Ehrenamtler auch mit der steigenden Anzahl kommunaler Fraktionen und Gruppen zu begründen, muss scheitern. Ein Kommunalparlament muss den Wählerwillen abbilden. Wählerstimmen zu ignorieren und wegzuwerfen, darf kein Vorschlag sein, der im Haus Beifall findet. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung von Minister Jäger Herr Minister Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir vorab, auch stellvertretend für die Landesregierung, allen Mitgliedern der Ehrenamtskommission und denjenigen, die ihnen zugearbeitet haben, ein herzliches Dankeschön zu sagen. Die Arbeitsergebnisse, die sie vorgelegt haben und die in diesem Antrag noch einmal auf den Punkt gebracht werden, sind, denke ich, ein ganz wichtiger Beitrag, das kommunale Ehrenamt zu stärken, ja, es sogar attraktiver zu machen.

Deswegen kann ich Ihnen auch schon zusichern, dass die Landesregierung diese Ideen und Vorschläge nach besten Kräften unterstützen und umsetzen wird. Das nicht nur, weil Ihr Antrag uns so nett dazu auffordert, sondern auch, weil wir als Landesregierung davon überzeugt sind, weil wir daran glauben, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen die Arbeitsbedingungen von unzähligen Frauen und Männern in unserem Land verbessern werden, die sich ehrenamtlich für die Kommunalpolitik und damit für das Gemeinwohl in unserem Land engagieren.

Viele von uns in diesem Saal wissen es aus eigener Erfahrung: Vor Ort wird Demokratie handfest, vor Ort wird sie ganz konkret. Die kommunale Demokratie ist nicht die Kreisklasse gegenüber der vermeintlichen Bundesliga Landtag oder der vermeintlichen Champions League Bundestag. Dazu muss man nur einmal die Debatten in den unterschiedlichen Gremien vergleichen. So sehr unterscheiden sie sich manchmal gar nicht, meine Damen und Herren.

Ratsmitglieder, Kreistagsmitglieder, sachkundige Bürgerinnen und Bürger und Einwohnerinnen und Einwohner – das sind nicht die Kellerkinder unserer Demokratie. Das sind Menschen, die sich mit Herzblut für ihre Gemeinde und für ihren Kreis einsetzen, sich kümmern und konkrete Lösungen für konkrete Probleme erarbeiten.

Der überwältigend große Anteil dieser Menschen macht das nicht, um sich persönlich zu bereichern, was bei diesen Summen ja auch sehr schwer fallen dürfte. Wer bis spät nachts über halbe Prozentpunkte beim Hebesatz feilscht, diskutiert und streitet, während zu Hause Kind, Partner oder Partnerin bereits im warmen Bett liegen, der tut das nicht aus Spaß an der Freud, sondern weil es ihm um die Sache geht.

Als Dank dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden diese Menschen nicht selten für ihre Entscheidungen beschimpft und verunglimpft. Uns Berufspolitikerinnen und Berufspolitikern geht das oft auch so, aber wir werden dafür bezahlt. Nicht, dass dies das besser machen würde. Aber viele Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker nehmen da schon einiges auf sich. Sie schlagen sich unzählige Abende ehrenamtlich um die Ohren, nachdem sie tagsüber schon ihren eigentlichen Beruf ausgeübt haben.

Es ist daher richtig und nur angemessen, die Bedingungen, unter denen Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen gemacht wird, zu verbessern. Es freut mich, dass wir die Maßnahmen sehr schnell und ganz konkret voranbringen können. Ganz besonders freut mich auch, dass dieser Antrag mit einer sehr großen und breiten Mehrheit in diesem Landtag eingebracht wird. Das zeigt den Respekt dieses Hauses gegenüber den Leistungen in allen unseren 396 Gemeinden, 31 Kreisen, zwei Landschaftsverbänden und unzähligen Bezirksvertretungen und anderen Gremien. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

 

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Kutschaty. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Wir haben zwei Abstimmungen vorzunehmen, erstens über den Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 16/9791. Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt dem Antrag zu? – SPD, CDU, Grüne und FDP. Wer stimmt dagegen? – Die Piratenfraktion stimmt dagegen. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/9791 mit breiter Mehrheit des Hohen Hauses angenommen.

Wir stimmen zweitens ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/9888. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – Die Fraktion der Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, CDU, Grüne und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen gibt es nicht. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/9888 gegen die Stimmen der Piraten abgelehnt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

11       Fragestunde

Mündliche Anfragen
Drucksache 16/9822

Mit der Drucksache 16/9822 liegen Ihnen die Mündliche Anfrage 71 sowie die Mündlichen Anfragen 69 und 70 aus der letzten Fragestunde vor.

Ich rufe als Erstes aus der letzten Fragestunde die

Mündliche Anfrage 69

des Herrn Abgeordneten Ralf Witzel von der Fraktion der FDP auf, und zwar zu dem Thema:

Folgekosten durch die Strategieänderung bei der WestLB-Abwicklung – Welche bislang nicht vorgesehenen Aufwendungen für das Land will der Finanzminister als Konsequenz aus der abgesagten PFS-Privatisierung nun zahlen?“

Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans hat dem Parlament am 19. August 2015 mitgeteilt, dass er im Hinblick auf die Interessen der WestLB-Bad Bank Erste Abwicklungsanstalt (EAA) von der seit Jahren fest vorgesehenen Privatisierung der Portigon Financial Services (PFS) absehen möchte. Der Verkauf hätte einen Erlös zugunsten der EAA eingespielt, der in der Zwischenzeit mit 300 Millionen € bilanziell angesetzt worden ist. Die EAA bevorzugt es aber offenbar dennoch, lieber die PFS selbst in die eigenen Strukturen einzugliedern als eine Veräußerung durchzuführen.

Der Finanzminister weist in diesem Kontext auf den Umstand hin, dass wohl Vereinbarungen existieren, aufgrund des unterlassenen Verkaufs der PFS nun der EAA eine kompensatorische Zahlung aus Mitteln des Landes zu leisten.

In der HFA-Sitzung vom 19. August 2015 hat der Finanzminister ausweislich des Protokolls 16/951 unter anderem Folgendes ausgeführt:

„… es reicht bis hin zu der protokollarisch festgelegten Äußerung: Sofern sich keine Zuführungen durch die – zustande gekommene oder nicht zustande gekommene – Veräußerung an die EAA ergeben, werden sich die Träger auf Basis der eingeführten Instrumente auf zusätzliche Maßnahmen verständigen.“

Zu diesem Sachverhalt sind der Börsenzeitung bereits am 13. August 2015 die nachfolgenden Informationen zu entnehmen:

„Darüber hinaus muss die EAA den in den Abwicklungsplan eingearbeiteten Verkaufserlös für PFS von bis zu 300 Millionen € wieder ausbuchen. Wie Walter-Borjans ausführte, sind sich die Träger der EAA in der Sache einig. Noch nicht festgelegt sei allerdings der Betrag, den das Land PFS mit auf den Weg geben müsse.“

Für Parlament und Öffentlichkeit ist aber unklar, auf welcher Rechtsgrundlage Zahlungen des Landes an die EAA für einen unterlassenen Verkauf der PFS fußen sollen und welche dazu bereits getroffenen Vereinbarungen unter der Beteiligung des Landes existieren.

Die Ausführungen des Finanzministers im HFA sind so allgemeiner Natur, dass diese gerade auch im Hinblick auf die Zahlungshöhe und die Modalitäten einer Bewertung einen immensen Handlungsspielraum lassen.

Ebenso gibt es bislang keinen Hinweis dieser Landesregierung darauf, in welchem Verfahren der Landtag vor Festlegung von Entscheidungen noch in die Beratung einbezogen wird.

Es ist außerdem nicht sachlogisch ersichtlich, warum das Land Zahlungen an die EAA leisten soll, wenn aufgrund von deren Interessenlage die lange Zeit fest angekündigte Privatisierung der PFS und damit auch deren Erlös ausbleiben soll.

Da die Kosten der WestLB-Abwicklung immer auch zumindest indirekt den Landeshaushalt tangieren, ist eine frühzeitige Information des Parlaments über die Pläne und Absichten der Landesregierung angezeigt.

Welche bislang nicht vorgesehenen Aufwen-dungen für das Land will der Finanzminister als Konsequenz aus der abgesagten PFS-Privatisierung nun zahlen?

Das interessiert uns alle jetzt. Herr Finanzminister, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Witzel, wir haben eine Frage zu behandeln, die nun wirklich nicht mehr neu ist. Sie ist jetzt wiederholt gestellt worden. Diese Wiederholung wird auch nicht zu anderen Antworten führen.

Wenn Sie mich nach den Folgekosten durch die Strategieänderung bei der WestLB-Abwicklung fragen, dann muss ich sagen, dass es keine gibt, weil es auch keine Strategieänderung bei der WestLB-Abwicklung gibt. Das haben wir oft genug besprochen.

Die Abwicklung bei der WestLB bestand in der Strategie, aus der Portigon AG eine Financial Services auszugliedern und diese entweder zu privatisieren oder abzuwickeln. Das war die Strategie. An ihr hat sich nichts geändert. Sie ist auch vorgegeben.

Der zweite Teil der Frage bzw. die eigentliche Frage, die am Ende steht, lautet:

„Welche bislang nicht vorgesehenen Aufwendungen für das Land will der Finanzminister als Konsequenz aus der abgesagten PFS-Privatisierung nun zahlen?“

Der Finanzminister zahlt nichts. Es geht nicht um Zahlungsvorgänge des Landes, sondern es geht darum, dass die Portigon AG und die EAA bzw. alle Beteiligten auf der Grundlage des, glaube ich, im Juni 2012 geschlossenen Rahmenvertrages Vereinbarungen getroffen haben, wie der Erlös aus der Übertragung der PFS, wohin auch immer, zu verwenden ist.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Nun hat sich als Erster mit einer Frage Herr Kollege Abruszat gemeldet. Bitte schön.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Walter-Borjans, Sie sagten es bereits: Wir haben das Thema schon häufiger beraten, auch hier im Plenum in der letzten Plenarwoche.

Wenn ich es noch richtig weiß, haben Sie in der letzten Plenarwoche zum Thema der Privatisierungsmöglichkeiten für die PFS ausgeführt, dass diese im Juli 2015 in ihren Ausprägungen durch neue Entscheidungen und Auflagen der EU geschmälert worden seien. In diesem Zusammenhang folgende ergänzende Frage mit der Bitte um Antwort: Gibt es Anstrengungen der Landesregierung, und wenn ja, welche, damit die EU von neuen Privatisierungsauflagen abgehalten kann, um an der ursprünglichen Planung einer möglicherweise gewinnbringenden Veräußerung festhalten zu können?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe schon bei der letzten Fragestunde gesagt, dass die hier in Rede stehende Mail vom Juni oder Juli 2015 nicht der Auslöser einer veränderten Haltung war, sondern nur den Weg ein Stück weiter bestärkt hat.

Vielleicht noch einmal die Bausteine dazu: Ja, es bestand im Zuge dieser Umwandlung die Absicht – noch getragen von allen, die damals an der WestLB beteiligt waren –, die Portigon Financial Services, die bis Ende 2016 entweder veräußert oder abgewickelt werden soll, zu veräußern. Damals hat es eine Einschätzung gegeben, dass diese Veräußerung sehr gut möglich ist, weil in dieser Gesellschaft Kompetenzen vorhanden sind, die auf einem in Bewegung befindlichen Bankenmarkt, in dem viele Banken Portfolien abbauen und restrukturieren müssen, gefragt sind.

Dazu hätte man natürlich am besten große Ankerkunden gebraucht. Zum einen ist das die EAA, und zum anderen wäre es die FMS Wertmanagement gewesen. Damals gab es sehr klare Äußerungen – ich will nicht von Zusagen sprechen; man hätte sie aber fast als solche begreifen können, auch seitens des Bundesfinanzministers –, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis auch eine Kooperation zwischen der FMS Wertmanagement in München und der Portigon Financial Services zustande komme. Dazu ist es nicht gekommen. Über die Gründe können wir gerne spekulieren. Im Ergebnis ist es aber nicht dazu gekommen.

In der Folgezeit hat es dadurch weitere Erschwernisse gegeben, dass etwa der Bitte der PFS, an Standorten in anderen Ländern, wo Geschäft hätte generiert werden können, Niederlassungen zu gründen, seitens der Kommission nicht entsprochen worden ist – nicht einmal im Tausch gegen Niederlassungen, die sie hat und dafür geschlossen hätte. Damit war im Prinzip auch ein Kundenkreis in anderen Ländern Europas ausgeschlossen, weil die Voraussetzung hierfür gewesen wäre, vor Ort präsent zu sein.

Dann gab es den nächsten Punkt, dass die Zeit, die man bis Ende 2016 hat, immer knapper wurde. Auch das hat dazu geführt, dass der Kreis der Interessenten für einen Kauf der PFS kleiner wurde. In diesem Zuge ist, wie die verbleibenden Optionen es offenließen, die stärkere Gewichtung von der Privatisierung in Richtung einer Übertragung auf die EAA als Gedanke entstanden und hat sich weiter verfestigt, je schwieriger die Bedingungen für eine Veräußerung wurden. Wir haben ja selbst erlebt, wer sich alles an der Veräußerung der WestLB versucht hat und mit welchem Aufwand das verbunden war.

Das hat uns zu folgendem Punkt gebracht: Wenn man merkt, dass der Kreis der Interessenten auf Finanzinvestoren reduziert ist und nicht auf diejenigen, die aus inhaltlichen Gründen etwas mit der PFS machen wollen, muss man aufpassen, nicht die Stabilität der EAA in Gefahr zu bringen. – Das war der nächste Punkt.

Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kommission auch noch verlangt, dass der Vertrag mit dem einzigen großen Kunden der PFS gar nicht mit der PFS verkauft werden dürfte. Ein Unternehmen ohne Kunden verkaufen zu müssen, ist natürlich praktisch das Urteil: Du kannst es gar nicht verkaufen.

Am Ende kommt auch noch die für den Trustee – der uns zwischen Kommission, Landesregierung und Eigentümern begleitet – überraschende Aussage, dass nun auch noch gezeigt werden muss, dass man einen Veräußerungsversuch unternommen hat, bevor man die Übertragung vornehmen kann.

Das sind Punkte, die mich beim letzten Mal schon zu der Zusammenfassung gebracht haben: Die WestLB hatte zu ihren Lebzeiten keine Freunde in Brüssel, und sie hat sie auch nach ihrem Tod nicht.

Das bedeutet, dass wir natürlich versuchen, in Brüssel dafür eine andere Grundhaltung zu bekommen. Wir sind dazu im Gespräch sowohl mit dem Trustee, der die Interessen Brüssels uns gegenüber mitteilt, als auch mit dem Bundesfinanzministerium als auch mit dem Bundeswirtschaftsministerium, weil über das Bundeswirtschaftsministerium die Hauptkontaktlinie läuft.

Wir sind uns mit dem Bundesfinanzministerium einig, dass es im Augenblick nicht sinnvoll wäre, von Landesseite jetzt die letzte Karte zu ziehen und zu sagen: Wir versuchen, dass es zu einem Treffen zwischen dem Finanzminister und der Kommissarin kommt. – Vielmehr wollen wir auf der offiziellen Schiene all diese Vorstöße unternehmen und darauf hinwirken, dass die Übertragung am Ende zumindest nicht noch einmal dadurch erschwert wird, dass man erst wieder viel Geld dafür ausgeben muss, um zu belegen, dass das, was durch eine Privatisierung hereinkäme, nicht das ist, was für EAA, für PFS und am Ende dann auch für das Land sinnvoll wäre.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Ellerbrock.

Holger Ellerbrock (FDP: Lassen Sie mich der Frage vorausschicken: Herr Minister, Sie beklagen am Anfang Ihres Statements, dass der Kollege Witzel in der ihm eigenen sachgerechten Art laufend nachfragt. Das kann natürlich auch den Grund haben, dass Ihre Antworten oftmals wolkig sind und nicht zu hinreichender Klarheit beitragen. Das könnte ja auch sein.

Deswegen eine ganz einfache Frage: Mit welchen bislang noch nicht angefallenen Kosten rechnen Sie nach Ihren heutigen Erkenntnissen im weiteren Abwicklungsprozess?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Die Herrn Witzel eigene Art, zu fragen, führt durchaus dazu, dass wir viele Fragen mehrfach behandeln; das will ich gerne zugestehen.

Ihre Frage bezog sich jetzt auf die Kosten für das Land. Dazu kann ich Ihnen sagen: Es besteht weiterhin die Grundlage, dass die PFS bzw. die PAG, die Portigon AG, mit dem Kapital auskommen muss, das ihr mitgegeben worden ist. Das sind 4,2 Milliarden € gewesen. Die werden am Ende dieses Prozesses – da waren sich alle Beteiligten einig – vermutlich aufgebraucht sein. Das heißt: Die PAG muss mit dem Kapital, mit dem sie ausgestattet ist, am Ende so dastehen, dass das dazu führt, dass sie sich quasi, wenn man so will, selbst auflöst. Das ist die Maßgabe. Daran hat sich durch diese Veränderung in der Gewichtung innerhalb einer Strategie nichts verändert.

Was sich in der Planung in jedem einzelnen Schritt der PAG tut, gehört zum operativen Geschäft. Wir können doch nicht bei jeder Handlung der PAG hier im Landtag fragen: Wieviel hat es das Land gekostet? Es hat, solange die mit dieser Maßnahme klarkommen, erst einmal nichts gekostet.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Also nix!)

– Die Frage wird in einer Endabrechnung beantwortet sein, die ich Ihnen heute nicht bieten kann. Wenn es unterwegs dahin ein gutes Wirtschaften sowohl bei der EAA als auch bei der PAG gibt, dann muss das nicht heißen, dass diese 4,2 Milliarden € exakt 4,2 Milliarden € sind. Vielleicht werden dann 4,0 Milliarden € ausgegeben sein, und man hat noch 200 Millionen €. Das stellt sich dann heraus, wenn das ganze Projekt beendet ist. Das kann ich Ihnen nicht bei jedem einzelnen Schritt, der dazwischen erfolgt, beschreiben.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Also Blindflug!)

– Nein. Ich meine, Sie können jetzt jede Interpretation dazu vornehmen. Wenn Sie eine Tochtergesellschaft haben oder Eigentümer einer Gesellschaft sind und ihr 4,2 Milliarden € geben und ihr sagen, das sei die Ausstattung, die nach vielerlei Berechnungen ausreichen müsse, um am Ende eine eigene Auflösung zu betreiben, dann ist, wenn sie am Ende aufgelöst ist und dieses Geld dafür gereicht hat, das Projekt erfolgreich beendet. Das ist kein Blindflug. Dann würden Sie nämlich unterstellen, dass in dieser PAG nur Blinde arbeiten, die das zu bewältigen haben. Das ist nämlich nicht Sache des Finanzministers.

(Zuruf von Holger Ellerbrock)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Jetzt machen wir weiter in der Reihenfolge der Meldungen. Die nächste Frage kommt von Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich habe noch eine Nachfrage. Der bisherige Vorstandsvorsitzende der Portigon AG, Dr. Franzmeyer, bewertet die Chancen und die Vorteilhaftigkeit der Privatisierungslösung anders als Sie. Da Dr. Franzmeyer in geschäftlichen Fragen bislang wohl Ihr Vertrauen genossen hat, frage ich: Aus welchen Gründen bzw. aus welchem Anlass ist es zu der anderen Lagebewertung zwischen Ihnen und dem Portigon-Vorstand gekommen, die letztlich sogar seine Entlassung nach sich gezogen hat?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Auch hier verwechseln Sie die Landesregierung mit dem Aufsichtsrat der Portigon. Es gab in der Einschätzung der künftigen weiteren Ausfüllung der Strategie der Portigon Differenzen zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und dem Aufsichtsrat, sodass der Aufsichtsrat – das habe ich hier auch schon einmal beschrieben – einvernehmlich zu der Entscheidung gekommen ist, dass es besser ist, an dieser Stelle getrennte Wege zu gehen.

Ich kann Ihnen gerne meine persönliche Meinung, die nur eine innerhalb dieser Willensbildung ist, mitteilen. Ich habe großen Respekt vor allen Menschen, die anderer Auffassung sind und bei ihrer Gewichtung zu anderen Ergebnissen kommen. Aber ich nehme mir auch heraus, zu eigenen anderen Gewichtungen zu kommen.

Wie sich zeigt, ist das auch nicht eine Einzelmeinung. Wenn Sie sehen – das habe ich eben wohl hinreichend beschrieben –, dass sich aufgrund der zeitlichen Enge und der engen Rahmenbedingungen der Kreis der möglichen Interessenten auf vage zwei Interessenten reduziert, die Finanzinvestoren sind, dann finde ich es durchaus zu rechtfertigen, wenn man selbst, in diesem Fall ich, zu dem Ergebnis kommt, dass das keine hinreichend gute Bedingung dafür ist, für den Gesamtkomplex, den das Land zu verantworten hat, nämlich Portigon und Erste Allgemeine Abwicklungsanstalt, eine stabile Entwicklung so, wie sie seit Jahren läuft, beizubehalten.

Wenn jemand anders aus seiner eigenen Sicht nur eines dieser Teile der Portigon AG meint, dass ein Verkauf der Portigon AG an einen Finanzinvestor etwas bringen kann, dann ist das durchaus eine legitime Sicht.

Es ist aber durchaus auch legitim, wenn man am Ende im Rahmen dieser Diskussion in der Gesamtbewertung im Aufsichtsrat zum Ergebnis kommt, dass wir hier über Schritte nachdenken, die am Ende für das, was Sie hier mit der Frage im Auge haben, nämlich den Landeshaushalt, zum richtigen Ergebnis kommen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Die nächste Frage kommt von Frau Kollegin Schmitz.

Ingola Schmitz*) (FDP): Herr Präsident, vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister, der Sparkassenverband Westfalen-Lippe hat Nachverhandlungen im Zusammenhang mit der PFS-Verwertung angekündigt und wollte sich dazu Ende September auch förmlich in Gremiensitzungen positionieren. Welche Forderungen des Sparkassenverbandes bzw. Erkenntnisse zu dessen Gremienbeschlüssen liegen der Landesregierung vor?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich will Ihnen – weil das offenbar Ausgangspunkt der immer wiederkehrenden Fragerunden ist – aus der Rahmenvereinbarung, die im Juni 2012 zwischen den Trägern der damaligen WestLB, der FMSA, dem Bund und allen Beteiligten geschlossen worden ist, einen Punkt vortragen, der hier auch in der Frage, jedenfalls in einem kleinen Stück, zitiert wird.

Da heißt es: Sollte im Jahr 2016/2017 ein Verkaufserlös für die Portigon fließen, steht dieser der EAA – ohne Gewährung von weiteren Trägerrechten für das Land NRW – zu, sofern die 1 Milliarde € der Sparkassen-Finanzgruppe mindestens bis 2016/2017 bei der Helaba verbleibt.

Dieser Punkt ist schon einmal erledigt. Wir haben damals, wie Sie wissen, 1 Milliarde € als Land in die Portigon gegeben, und die Sparkassen-Finanz-gruppe hat 1 Milliarde € in die Helaba gegeben, sodass sich beide mit 1 Milliarde € zusätzlich beteiligt haben. Das war eine Voraussetzung, die erfüllt wurde. Also heißt es jetzt hier zusammengefasst: Der Verkaufserlös für die Portigon steht der EAA zu.

Dann steht hier: Der zu übertragende Betrag reduziert sich in der Höhe, in der das Land Nordrhein-Westfalen seit dem 30. Juni 2012 mehr als 1 Milliarde € für die WestLB/Portigon notwendigerweise als Eigenkapital aufgewendet hat.

Sie sehen daran schon, dass damals durchaus eine Befürchtung bestanden hat – das haben wir nie verschwiegen –, dass es am Ende auch teurer werden könnte. Wir haben aber immer gesagt, dass es das absolute Ziel ist, hier nicht zu einem erhöhten Eigenkapitalbedarf zu kommen. Auch diese Bedingung ist erledigt. Es ist nicht zu mehr als 1 Milliarde € gekommen. Es hat eine gute Entwicklung gegeben.

Sofern sich hieraus keine Zuführungen in die EAA ergeben – das war der nächste Punkt –, wenn jetzt also die PFS nicht verkauft wird und damit der Betrag, der erlöst wird, nicht in die EAA fließt oder der Abwicklungsplan des Jahres 2016 zusätzliche Eigenkapitalerfordernisse indiziert, werden sich die Träger auf Basis der eingeführten Instrumente auf zusätzliche Maßnahmen verständigen. – Das ist der kleine Teil, den Sie hier in der Fragestellung zitiert haben.

Genau dieser Punkt läuft jetzt. Man kann davon ausgehen, dass die PFS nicht zu einem hohen Betrag verkauft werden kann. Selbst wenn man sie verkaufen würde, wäre das ein Betrag, der unter den Erwartungen, die die Träger der EAA damals gehabt haben, bleiben würde.

Dann hätte sich die Frage gestellt: Was heißt das denn jetzt? – Es muss sich also auf Basis der eingeführten Instrumente auf zusätzliche Maßnahmen verständigt werden. Dazu gibt es Gespräche zwischen PAG und EAA. Diese sind nicht abgeschlossen, sondern man muss sich das ansehen. Dazu braucht man auch eine Due Diligence. Man muss ermitteln, wie viel die PFS jetzt eigentlich wert ist, unabhängig davon, ob ich sie verkaufe oder der EAA übertrage. Das ist uninteressant. Es geht gar nicht darum, dass durch die Übertragung etwas teurer geworden wäre – es sei denn, Sie hätten jemand anderen, der viel mehr bieten würde.

Über diesen Punkt muss jetzt gesprochen werden. Er ist nicht abgeschlossen. Er ist aber erst einmal Sache zwischen PAG und EAA. Damit werden natürlich die Träger der EAA beschäftigt. Das sind wir und die Sparkassen. Damit werden natürlich auch die Träger der PAG beschäftigt. Das sind wir auch.

Dieser Prozess ist nun im Gange. Dazu gibt es nicht irgendeinen Preis, der jetzt genannt ist, der am Ende zu bezahlen wäre.

Das ist alles im Rahmen dessen, was damals mit dem Gesamtkonstrukt – 4,2 Milliarden € stehen zur Verfügung, um die gesamte Abwicklung inklusive der Veräußerung der PFS am Ende damit zu finanzieren – gemeint war. Das ist alles darin enthalten. Deswegen ist die Frage, was es jetzt das Land kostet, definitiv fehl am Platz.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, wir können trefflich darüber sprechen, ob es sich ausschließlich um das Geld des Landes handelt, wenn es aus dem Landeshaushalt fließt, oder ob eine in einer relevanten Millionen-Größenordnung geleistete Zahlung einer zu 100 % im Landeseigentum stehenden Gesellschaft nicht auch mittelbar eine Zahlung mit Landesmitteln ist. Das will ich aber dahingestellt sein lassen.

Ich wollte Ihnen die Chance geben, nach Ihren gerade getätigten Ausführungen eine Frage ganz konkret zu beantworten. Dann hätten wir sie schon einmal geklärt. Sie haben in der Sondersitzung des Haushalts- und Finanzausschusses am 19. August 2015 öffentlich erklärt, Sie wollten bis Ende September dieses Jahres Gespräche führen, um genau die Frage, welche Erwartungen es an die Portigon AG gibt, möglicherweise auch noch Flugbenzin zur PFS dazuzugeben, zu klären. So ist das angekündigt gewesen.

Wir fragen Sie heute, Anfang Oktober: Was ist das Ergebnis? Welche Belastungen gibt es da? Wer fordert noch was ein? – Genau das sind die Fragen, die ich Sie bitte, klar zu beantworten. Was ist die konkrete Zahl oder die Größenordnung, die Sie sich vorstellen und bei Ihren Gesprächen angeboten haben, auch noch der PFS mitzugeben, wenn sie an die EAA übertragen wird?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Zu Ihrer ersten Bemerkung: Ja, natürlich ist es so, dass es am Ende nach der Schlussabrechnung von EAA und Portigon um die Frage geht: Bleibt für das Land Geld übrig, oder ist das Kapital verbraucht? Das hat natürlich damit zu tun, dass es auch um Landesgeld geht.

Sie verlangen allerdings einen Zwischenstand, bei dem Sie dann etwas ausblenden. Auch wenn es beispielsweise möglich wäre, die PFS zu einem Preis zu verkaufen, der von mir aus ganz ansehnlich wäre, aber dazu führen würde, dass das operative Geschäft der EAA in Probleme gerät, müssen Sie beide Seiten betrachten. Dann können Sie nicht sagen: „Wenn ich das nicht mache, verzichte ich auf den Verkaufserlös“, wenn Sie auf der anderen Seite den Gewinn haben, dass Sie die operative Stabilität der EAA sichergestellt haben.

Das heißt, dass die Komponenten als solche nicht aussagefähig sind. Es geht am Ende darum, für den Gesamtkomplex, der das Land betrifft, nicht nur nicht zusätzliches Kapital in die Hand nehmen zu müssen, sondern, wenn eben möglich, Kapital übrig zu haben. Das ist das erklärte Ziel. Aber das betrifft beide Teile zusammen.

Um diesen Punkt geht es uns. Und da ist nach gegenwärtiger Auffassung des Aufsichtsrats, der Portigon-Führung und auch der EAA die Übertragung der PFS auf die EAA der bestmögliche Weg. Es geht genau darum, Landesmittel zu schonen und möglichst am Ende sogar einen Überschuss zu behalten. Genau um diesen Weg geht es. Und er richtet sich nicht daran aus, ob veräußert wird oder nicht, sondern daran, was die wirtschaftlichste Lösung in der Gesamtsicht ist.

Dazu sind auf der Basis dessen, was ich eben zitiert habe, Gespräche geführt worden. Diese Gespräche – wir haben heute den 1. Oktober 2015 – dauern an, weil es am Ende natürlich darum geht: Was hat die EAA in ihre Überlegungen eingestellt? Wie gehen die Sparkassenverbände damit um? Was ist unter der Maßgabe, dass die PAG mit dem Kapital auskommen muss, darstellbar? Wie viel hat die Due Diligence erbracht? Was ist die PFS also schon wert?

Das sind alles Dinge, die dort einfließen. Dies hat zurzeit noch nicht zu einem klaren Ergebnis geführt, dass wir sagen könnten: Es wird ein Betrag als Unterschied zu zahlen sein oder nicht zu zahlen sein. – Das ist am Ende auch nicht, wie Sie immer zwischendurch fragen, eine Frage von rechtlichen Vorschriften, sondern es sind vertragliche Vereinbarungen. Hier müssen zwei Verhandlungspartner auf der Grundlage dieser vertraglichen Vereinbarungen zusammenkommen, und zwar am besten natürlich – das ist meine Erwartung – zugunsten der Gesamtpositionierung des Landes.

Ich sage gern noch einmal: Wenn das feststeht, wenn diese Transaktion ausgehandelt ist, dann kann man gewiss über die Komponenten dieser Entscheidung sprechen. Im Moment kann man das noch nicht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, Sie hatten gerade selbst auf die Erwartungen, die ursprünglich aus einem Erlös aus dem Verkauf der PFS resultieren sollten, abgehoben. Die „Börsen-Zeitung“ berichtete am 13. August 2015, durch Absage der Privatisierung der PFS würde auf einen Verkaufserlös von 300 Millionen € verzichtet.

Uns interessiert, welche Erkenntnisse der Landesregierung zum Unternehmenswert der PFS vorliegen, der nun nicht mehr durch Veräußerung realisiert werden soll. Letztlich möchten wir wissen: Welcher bislang angenommene Verkaufserlös ist im Abwicklungsplan auszubuchen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe mich daran zu halten, dass Werte, die in den Gremien und gerade auch als Gegenstand der Verhandlungen genannt werden, nicht öffentlich zu machen sind. Aber ich kann Ihnen sagen, was im öffentlichen Umlauf ist – nämlich, dass vonseiten der EAA in Bezug auf den Abwicklungswert seinerzeit über einen Betrag in der Größenordnung von, wie man dazusagen muss, bis zu 300 Millionen € gesprochen worden ist.

Das bedeutet, dass natürlich – das ist ein ganz normales Verfahren – die Träger der EAA ein Interesse haben – da gibt es nun einmal zwei Träger, die Sparkassen und das Land –, von dem, was sie sich selbst in dieser Diskussion einmal als Ziel gesetzt haben, möglichst viel zu erreichen. Dafür gibt es aber nicht – damit das auch klar ist – eine gesetzliche oder eine vertragliche Grundlage, die das festlegt, sondern es ist sozusagen ein angestrebter Zielwert derer, die die Interessen dieser Seite zu vertreten haben.

Dagegen steht die Frage: Wieviel bringt denn die PFS, sei es im Rahmen einer Veräußerung oder sei es im Rahmen der Übertragung? Was ist also durch die Due Diligence herausgekommen? Im Augenblick kann ich Ihnen sagen, dass wir hier eher von einem zweistelligen Millionenbetrag reden. Dann kommen natürlich eine Menge Dinge dazu, die für eine EAA von Wert wären, wenn sie die PFS in ihrem Eigentum hätte. Es ist nicht bloß die Due Diligence, sondern es sind eine Reihe von Dingen, die sie auch an Vorzügen haben – inklusive der Stabilität, die sie ihnen wert ist.

Wir reden hier, wie gesagt, auch nicht davon, dass am Ende 300 Millionen € erreicht werden müssen, sondern wir reden darüber, dass das ein Verhandlungsergebnis und ein Ergebnis ist, das aus diesen Komponenten zusammenkommt.

Es sind jetzt schon ziemlich viele konkrete Daten, bei denen ich sagen muss: Den Rest möchte ich erst einmal den Akteuren in den Gremien und vor allen Dingen auch den beiden Vorständen überlassen. – Schließlich werden damit bei unterschiedlichen Teilen wieder unterschiedliche Erwartungen geweckt, die Sie mir anschließend in diesem Punkt – vielleicht sogar zu Recht – vorwerfen würden, indem Sie sagen: Jetzt meinen die, am Ende könne dieser oder jener Betrag erzielt werden.

Im Moment gibt es außer Wunschvorstellungen, was man gern erzielen würde, keine Grundlage. Die 300 Millionen € sind auch relativ einfach zu erklären. Sie sind dadurch zu erklären, dass man über diesen Betrag zu Zeiten gesprochen hat, als man sicher davon ausgegangen ist, dass neben der EAA die FMS Wertmanagement als Kunde dazukommt, dass man weitere Dritte gewinnen kann und dass man dadurch langsam, aber sicher ein Unternehmen aufbaut, das einen erheblichen Wert generieren kann.

Dann haben natürlich diejenigen, denen das zufließt – die EAA, wie ja hier steht –, gesagt: Dann haben wir ungefähr einen Wert, mit dem wir rechnen können.

Die Bedingungen sind andere. Über die muss verhandelt werden. – Das ist die Grundlage, und das ist der Verlauf, vor dem wir im Moment stehen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, es ist naturgemäß ein Anliegen des Parlaments, bei finanzwirksamen Entscheidungen zur WestLB-Abwicklung beteiligt zu werden, die zumindest mittelbar auch perspektivisch den Landeshaushalt betreffen können. An welcher Stelle im weiteren Umgang mit der PFS sehen Sie die Entscheidungskompetenz des Landtags berührt, und werden Sie die Abstimmung mit parlamentarischen Gremien suchen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Wir haben immer wieder Abstimmungen im Sinne von Austausch vorgenommen. Das machen wir auch an solchen Stellen wie jetzt. Aber Sie reden von finanzwirksamen Entscheidungen der PAG. Die PAG trifft jeden Tag finanzwirksame Entscheidungen. Der Landtag müsste bei jeder Transaktion, bei jeder Veräußerung eines Portfolios, bei allem, was die PAG für die EAA tut, aber auch umgekehrt, was die EAA macht, entscheiden. Das gehört aber zum operativen Geschäft.

Das heißt, für uns ist am Ende Folgendes interessant: Wir haben der PAG hier aus dem Parlament einen Rahmen gegeben: ursprünglich 4,2 Milliarden €, mit denen sie auskommen muss. Wenn sie damit aus irgendeinem Grund nicht auskommt, ist das eine Angelegenheit des Landtags. Das zeichnet sich nicht ab.

Das Gleiche gilt für die EAA. Da haben wir eine Kaskade, wer zu welchen Zeitpunkten in welchem Maße beteiligt ist. Wir kennen das vom Phoenix?Portfolio, wann das Land in Anspruch genommen wird, wann es die Sparkassen sind und wann es die Landschaftsverbände sind.

All das sind Punkte, die von hier aus geregelt sind. Die müssen jetzt mit diesem Regelwerk klarkommen. Dazu kann es gerne Unterrichtungen geben. Das machen wir im Haushalts- und Finanzausschuss immer wieder. Aber es besteht im Moment kein Entscheidungsbedarf vonseiten des Parlaments.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Kollege bekommt Herr Ellerbrock zu seiner zweiten Frage das Wort, dem ich versichern kann, dass sein Mikrofon funktioniert und er es nicht dem üblichen Funktionstest unterziehen muss.

(Lachen von Holger Ellerbrock [FDP])

Holger Ellerbrock (FDP): Danke. – Herr Minister, aus Ihren Äußerungen habe ich entnommen: Portigon kriegt 4,2 Milliarden. Damit müssen sie auskommen. Wenn sie damit nicht auskommen, sagen Sie bei der Endabrechnung ein kräftiges bayerisches „Schau‘n wir mal“.

Zweitens habe ich gelernt – das war für mich neu –: Sie sagen, aus Sicht des Landes oder aus Ihrer Sicht ist es der beste Weg, die PFS in die Erste Abwicklungsgesellschaft zu überführen.

Dabei geht es ja auch um Menschen. Wie sieht das denn aus? Wie soll das geschehen? Sollen die Menschen in die EAA eingegliedert werden? Sollen die Strukturen im Sinne einer Verschmelzung übernommen werden? Oder soll ein neuen Verkaufsversuch unternommen werden, wenn verschmolzen oder eingegliedert ist?

Das interessiert doch auch die Leute vor Ort. Bei dem Geld sagen Sie: Wissen wir nicht, schau‘n wir mal. Aber die Leute wollen doch eine etwas klarere Antwort haben. Die können Sie doch nicht auf dem Trockenen sitzen lassen.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Ellerbrock, Sie sollten Ihre Sicht der Dinge nicht zu Antworten meinerseits umfunktionieren. Ich habe an keiner Stelle gesagt: Schau‘n wir mal. Ich habe auch eben nicht das gesagt, was Sie …

(Holger Ellerbrock [FDP]: Das ist die Konsequenz!)

– Ja, die Konsequenz, die Sie daraus ziehen, scheint Ihre ganz eigene Art der Interpretation zu sein.

Ich sage Ihnen: Sie liegen falsch. Ich habe nicht gesagt, die müssen mit 4,2 Milliarden auskommen, und wenn das nicht der Fall ist, dann schau‘n wir mal. Es gibt feste Vereinbarungen, was dann passieren würde. Es gibt Vereinbarungen. Als wir das damals hier beschlossen haben, ist über all das diskutiert worden.

Die PAG wird nicht erst damit ausgestattet, sondern ist schon lange damit ausgestattet, und zwar nicht nur vom Land, sondern auch vom Bund. 2 Milliarden sind vom Bund. Von früher ist 1 Milliarde von Sparkassen und Land dringeblieben. Und es gibt 1 Milliarde, die wir 2012 schon beschlossen haben. Dann sind wir bei 4 Milliarden. Es gibt 200 Millionen an stillen Einlagen. Das sind die 4,2 Milliarden, die bereits lange drin sind.

Mittlerweile sind sie auch zur Hälfte weg. All das ist bekannt. Denn die sind schon weit hinter der Mitte ihrer Abwicklung. Das ist genau der Punkt, der läuft. Da ist nichts mit „Schau‘n wir mal“, sondern jetzt ist absehbar, dass es gute Chancen gibt – man kann davon ausgehen, und das tun wir auch –, dass der noch vorhandene Restbetrag für die bestehende Restaufgabe reicht.

Jetzt kommt der Punkt: Wenn sie nicht reicht, gibt es Vereinbarungen in dem damaligen Rahmenwerk, dass dann die Überschüsse der EAA, die jährlich immer wieder prognostiziert werden und die deutlich sind, als Nächstes einbezogen werden müssten. Es gibt also auch eine echte Kaskade, was passiert, wenn es zum Worst Case oder zum Bad Case, wie immer man das nennen will, kommt. Da ist nichts mit „Schau‘n wir mal“. Das war Ihre Interpretation, die nicht zutrifft.

(Zuruf von Holger Ellerbrock [FDP])

– Daraus haben Sie abgeleitet, beim Geld sagen wir: Schau‘n wir mal. – Falsch! Das machen wir nicht, sondern es gibt klare Vereinbarungen und Regeln, die auch über den Fall hinausgehen, den wir erwarten.

Das Zweite ist: Was passiert mit den Menschen? Genau darum geht es. Was passiert mit den Menschen, wenn Sie die PFS an einen Finanzinvestor verkaufen, weil Sie meinen, das wäre der bessere Weg? Das ist ein Punkt, warum ich der Auffassung bin: Das ist nicht der richtige Weg. Der Finanzinvestor hat nicht unbedingt vor, die PFS als Unternehmen arbeiten zu lassen.

Uns geht es um zwei Punkte. Erstens. Wir möchten sicherstellen, dass diese Menschen, weil sie für die EAA-Abwicklung gebraucht werden, an Bord bleiben. Das ist ein wichtiger Punkt. Zweitens. Das tun sie am besten dann, wenn sie auch noch mit einer Perspektive leben können und nicht sagen: Ich werde hier gebraucht, bis alles fertig ist, und dann kann ich gehen. – Also soll die PFS nicht der EAA einverleibt werden, sondern praktisch als Gesamtportfolio, wenn Sie so wollen, an die EAA gehängt werden.

Jetzt gibt es in der Tat auch da wieder eine Debatte, weil die EU es am liebsten sähe, wenn man die PFS nicht noch mal verkaufen kann. Das hängt aber auch mit der auf europäischer Ebene überprüfungsbedürftigen Haltung zu allem zusammen, was mal irgendwie den Stempel „WestLB“ getragen hat. Aber uns geht es wirklich darum, diese Einheit mit ihrer Kompetenz zu erhalten und damit auch eine Perspektive zu erhalten.

Das ist im Augenblick der Punkt, über den wir nachdenken – gerade aus der Sicht der Menschen, die im Übrigen nicht im Dunkeln stehen, sondern von ihrer Führung immer gut informiert werden. Die Führung der PFS macht das hervorragend. Es geht darum, dass wir uns angucken müssen: Wie stellen wir sicher, was wir nach unserer Auffassung mit dem Verkauf an einen Finanzinvestor nicht hätten sicherstellen können?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Schmitz mit ihrer zweiten Frage.

Ingola Schmitz*) (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben in Ihren Antworten mehrfach die Due Diligence angesprochen. Erlauben Sie, dass ich noch mal konkret nachfrage: Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung dazu bereits vor? Und falls noch nicht, wann würde das sein?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Über die Due Diligence? – Ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Uns liegen Erkenntnisse vor, dass die Due Diligence zu – ich sage einmal – erfreulichen Werten geführt hat. Es gab nämlich Menschen, die angesichts all der Rahmenbedingungen, über die ich eben gesprochen habe, befürchtet haben, dass sie am Ende von einem Euro reden könnten oder es sogar zu negativen Kaufpreisen kommen könnte. Das ist definitiv nicht der Fall.

Wer die PFS übernehmen würde – wer auch immer das wäre –, müsste schon etwas in die Hand nehmen, um zu entlohnen, was sie wirklich wert ist, denn in ihr ist Kompetenz gebündelt, und es gibt in ihr einen wichtigen Kunden. Aber, wie gesagt, es würde sich schon anders darstellen, wenn man sie veräußern müsste und dann von der EU die Auflage bekäme, dass man sich von dem Kunden vorher trennen muss.

Uns liegt also die Erkenntnis vor, dass es einen positiven Wert gibt. Ich habe schon davon gesprochen, in welcher Größenordnung sich das bewegt – zumindest grob, denn den Rest möchte ich wirklich den Verhandlungen überlassen, die von denen diskret zu führen sind, die über die Übertragung der PFS reden oder gegebenenfalls auch Alternativen, wie eine Veräußerung, testen müssen, und das sind PAG und EAA.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage von Herrn Kollegen Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, ich möchte in meiner nächsten Frage auf die Interessen zu sprechen kommen, die Sie persönlich hier verfolgen. Wir sind uns einig: Sie haben eben gesagt, dass die EAA in ihren Kalkulationen vielleicht einen Unternehmenswert der PFS von 300 Millionen € annimmt, bedeutet nicht, dass sie diesen Betrag automatisch zahlen wollen.

Mir stellt sich die Frage: Warum sehen Sie sich bei den vertraglichen Grundlagen, die Sie eben für die Gespräche, die anstehen, vorgetragen haben, überhaupt in der Verpflichtung, Geld aus der Portigon zu geben, wenn Sie auf Bitten und auf Wunsch der EAA – weil sie es für sich vorteilhaft findet, die PFS nicht zu verkaufen – im Ergebnis die PFS an die EAA übertragen? – Das ist meine Frage. Sie erfüllen einen Wunsch der EAA, an der Sie eine Minderheitsbeteiligung haben, mit der Konsequenz, dass Sie selbst bei Portigon, bei der Sie Alleineigentümer sind, tief in die Tasche greifen. Wo ist da die Logik, und was ist die Veranlassung dafür?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Die Logik besteht darin, dass hier zwei Partner miteinander verhandeln müssen, und zwar Partner, die jeweils bestimmte Hebel in der Hand haben.

Die Frage, die Sie gestellt haben, kann ich direkt beantworten: Eine Verpflichtung sehe ich überhaupt nicht. Ich bin nicht der Auffassung, dass es eine Verpflichtung gibt, sondern ich bin der Auffassung, dass hier zwei Partner sind, die in einem – ich sage einmal – ziemlich komplexen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Ich teile wahrscheinlich die Auffassung mit Ihnen, dass die EAA nicht ohne Weiteres einen Ersatz für die PFS finden würde, zumindest keinen billigen, denn man müsste dann IT-Systeme migrieren und die richtigen Leute finden.

Von daher hätte die EAA sicherlich etwas davon, wenn sie sich darauf verstehen könnte, die PFS zu übernehmen. Das ist sozusagen ein Hebel in der Hand der PAG. Aber man darf sich nicht vertun: Es ist nicht so, als ob hier das berühmte Wort „alternativlos“ zutreffen würde, sondern das kann man auch überreizen. Man kann am Ende an dem Punkt stehen, an dem man feststellt, es gab doch eine Alternative, und jetzt hat die PAG das Nachsehen.

Der zweite Punkt ist, dass die EAA ein Vetorecht hat. Sie kann sich bei einer Veräußerung von 25 % oder mehr dagegen aussprechen, denn damals haben alle Beteiligten von vornherein gesagt haben, die operative Stabilität der EAA müsse erhalten bleiben.

Ich kann jetzt gar nicht alle Rahmenbedingungen aufzählen. Aber es gibt eine ganze Reihe von Hebeln in der Hand der EAA, mit denen sie sicherstellen will, dass ihr Geschäft so günstig und so sicher wie möglich abgewickelt werden kann, und es gibt einige Hebel in der Hand der PAG, bei denen das auch so ist.

Was macht man unter diesen Bedingungen? – Man setzt sich zusammen und verhandelt. Wir als Land haben als hälftiger Anteilseigner der EAA und als vollständiger Anteilseigner der PAG natürlich einen Blick darauf, was das am Ende für den Gesamtkomplex heißt.

Ich sage es noch einmal: Der Rahmen, in dem die sich bewegen müssen, ist: Die PAG muss mit dem auskommen, was sie hat, und die EAA muss in ihrem Abwicklungsprozess stabil bleiben. Dafür müssen die beiden sorgen. Insofern werden wir da sicher ein Wort mitreden. Aber ich werde zunächst nicht derjenige sein, der festzustellen hat, ob dieser Preis 0 Millionen € oder 10 Millionen € beträgt oder ob Geld in die andere Richtung fließt. Darum geht es zunächst einmal in den Verhandlungen zwischen den beiden Unternehmensführungen.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

– Bei der einen, ja. Ich habe nicht „der Unternehmenseigentümer“, sondern „der Unternehmensführungen“ gesagt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage ist von Herrn Kollegen Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, gegenüber den parlamentarischen Gremien des Landtags ist bis zur Sommerpause 2015 die Privatisierung der PFS als favorisiertes Vorgehen dargestellt worden. Erst im August 2015 ist dies gegenüber Parlament und Öffentlichkeit revidiert worden. Die „Börsen-Zeitung“ berichtete am 13. August 2015, bereits ein knappes Jahr vorher, also im Herbst 2014, hätten Sie bereits die Privatisierungsoption verworfen.

Daher die Frage: Haben Sie die Landtagsgremien jeweils vollständig und korrekt informiert, oder ist die Privatisierung schon im Herbst 2014 verworfen worden?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Wedel, ich bin bis heute der Auffassung, dass die wirtschaftlichste Lösung umzusetzen ist. Wenn morgen der Weiße Ritter kommt, der die PFS für eine hohe Summe kauft und gleichzeitig sicherstellt, dass die operative Stabilität der Ersten Abwicklungsanstalt erhalten bleibt, bin ich auch heute noch für eine Privatisierung – um überhaupt keinen Zweifel aufkommen zu lassen.

Aber ich habe auch immer gesagt: Wenn es diesen Weißen Ritter nicht gibt und man sich auf den Boden der Realität stellt und sich anschaut, wie die Alternativen aussehen, stellt man fest, es gibt zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Prognosen. In der Zeit um 2012 und noch lange danach war das für mich auch ohne einen Weißen Ritter eine klare Option. Heute ist es ohne Weißen Ritter keine Option, sondern ich glaube, dass der für das Land insgesamt am Ende in der Endabrechnung günstigste Weg die Übertragung der PFS auf die EAA ist.

Ich bleibe dabei: Wir sind noch immer innerhalb einer Strategie. Je nach Konstellation der Rahmenbedingungen ist das eine oder das andere günstiger. Im Augenblick angesichts eines zusammenschmelzenden Zeitraums bis Ende 2016, eines einzigen großen externen – wenn man so will – Kunden EAA und der gegebenen Rahmenbedingungen kann man nicht die Erwartung haben, dass die PFS gewinnbringend und stabilitätssichernd für die EAA zu veräußern ist. Deswegen bin ich der Auffassung, sie sollte übertragen werden.

Ich habe jeweils in den parlamentarischen Gremien zu den Zeitpunkten, zu denen ich gefragt worden bin, nach bestem Wissen und Gewissen die Gewichtung vorgetragen, die ich innerhalb dieser einen Strategie für die wahrscheinliche gehalten habe.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage stellt Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben in den letzten Wochen verschiedentlich öffentlich erklärt, wie wichtig die Rolle der EU-Kommission für die weitere Abwicklung der WestLB ist. Jetzt ist es ja so, dass die EU üblicherweise die Privatisierung von öffentlichen Beteiligungen favorisiert. Wie bewertet die EU Ihnen gegenüber Ihre neuen Planungen, doch auf die seit vielen Jahren vom Land angekündigte PFS-Privatisierung verzichten zu wollen, weil der Weiße Ritter noch nicht angeklopft hat?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Nückel, die EU ist definitiv auf Privatisierung getrimmt, aber dann, wenn sich ein Unternehmen auch auf privaten Märkten tummelt. Das heißt, die Schwerpunktsetzung auf Privatisierung stand damals unter der Maßgabe, dass nicht nur wir, sondern auch die EU davon ausgegangen ist, dass diese PFS weitere Drittkunden einwirbt, dass sie quasi ein auf dem Markt tätiges Unternehmen ist. Deshalb stand für die EU-Kommission fest: Ein solches Unternehmen ist aus der staatlichen Hand abzugeben und zu privatisieren.

Das sieht anders aus, wenn es dieses Drittmarktgeschäft der Portigon Financial Services gar nicht gibt. Wir reden im Moment in der Tat de facto von einem – ich sage mal – ausgelagerten Betrieb der EAA, der den Job für die EAA macht. Dann stellen sich natürlich auch die Ansprüche daran, ob das ein privates Geschäft sein muss in der Hand von privaten Eigentümern oder – ich sage das jetzt mal etwas übertrieben – eine Abteilung oder ein Tochterunternehmen der EAA, eben anders.

Unsere Auffassung, die wir im Übrigen zusammen mit dem Bundesfinanzministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium nach Brüssel kommunizieren, ist, dass wir hier überhaupt nicht mehr in dem Tatbestand sind, bei dem es um die Privatisierung eines am Markt tätigen Unternehmens geht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Zu seiner dritten und letzten Nachfrage Herr Kollege Witzel, bitte.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, ich hoffe, wir sind uns zumindest in dem einen Punkt einig, dass es in dem komplexen Zusammenwirken der unterschiedlichen Akteure, das Sie auch eingangs beschrieben haben, bei dem natürlich jeder auch ein bisschen seine Perspektive hat, letztlich für Sie entscheidend sein sollte, als Finanzminister zu gucken: Wo steht das Land als Alleineigentümer in der Verantwortung? – Denn alles, was man dort in finanzieller Hinsicht nachgibt, belastet das Land natürlich am stärksten.

Ihnen ist bekannt, dass als direkte Reaktion auf die Infragestellung der Privatisierung der PFS der Sparkassenverband Westfalen-Lippe erklärt hat, dann könne man jetzt ja noch einmal etwas grundlegender nachverhandeln und über neue Forderungen sprechen. Das ist ja auch alles öffentlich vom Präsidenten so in den Medien transportiert worden mit dem Hinweis, dass auch in den entsprechenden Sparkassengremien bis Ende September geklärt werden sollte, welche Erwartungshaltung dort neu an Sie adressiert wird.

Deshalb frage ich Sie, Herr Minister Dr. Walter-Borjans: Welche Erkenntnisse liegen Ihnen nun zu den Forderungen und Erwartungen vonseiten des besagten Sparkassenverbandes vor respektive inwieweit sind Sie bereit, die Erwartungshaltung auch finanzieller Art für Nachverhandlungen dort zu erfüllen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich sage noch einmal: Das ist eine rein wirtschaftliche Abwägung. Insofern ist nicht ganz zutreffend, wenn Sie sagen, ich müsste doch alleine auf den Teil gucken, bei dem das Land alleiniger Eigentümer ist, und außer Betracht lassen, wo wir hälftiger Eigentümer sind.

Ich mache mal eine ganz einfache Beispielrechnung auf. Wenn wir die Möglichkeit hätten, die PFS für 50 Millionen zu verkaufen und dabei am Ende ein Schaden von 150 Millionen bei der EAA entstehen würde, den wir hälftig zu tragen haben, dann sind das 75 Millionen, die wir schlechter stehen bei 50 Millionen, die wir erreicht haben. Das würde dazu führen, dass ich mich zu einer solchen Transaktion nicht bereit erklären würde.

Das ist eine gegriffene Größenordnung. Aber es geht ja in der Tat nicht bloß darum, für die PFS etwas zu erlösen, wo ich den 100%igen Eigentümer vertrete, sondern auch darum: Was passiert mit der Stabilität der EAA? Da reden wir über deutlich größere Summen, die ja da noch im Spiel sind. Also ist es, glaube ich, nicht ganz illusorisch, zu sagen: Da kann auch schnell mal ein dreistelliger Betrag an Schäden entstehen. Das wäre dann am Ende auch bei der Hälfte für uns erheblicher als der Teil, bei dem wir alleine zuständig sind. Das muss ich im Blick behalten. Das behalte ich auch im Blick.

Das behalte ich auch dann im Blick, wenn die beiden Managements der Unternehmen Portigon und Abwicklungsanstalt Ergebnisse vorschlagen und die Eigentümer und Träger gefragt werden, ob sie damit leben können oder nicht. Sicher ist, dass ich hier nicht ein Befehlsempfänger des einen oder anderen Sparkassenverbandes bin, sondern dass am Ende für uns eine Lösung herauskommen muss, die genau diese Darstellung möglich macht. Anderenfalls muss man sich auch über Alternativen unterhalten.

Wie gesagt, es kann dann auch sein, dass wir für die PFS ein Resultat zulasten der EAA erwägen müssen, bei dem die Hälfte dieser Lasten der EAA kleiner ist. Dann hätte aber in diesem Fall die EAA mit ihren Trägern das Nachsehen.

Das ist die Verhandlungsposition, die wir als Träger haben. Deswegen ist das ein Punkt, bei dem wir auch noch nicht zu Ende sind und bei dem es bestimmt noch ein paar Gespräche und auch durchaus ein bisschen Streit geben wird, weil jeder seine Interessen zu vertreten hat. Sie können sicher sein, dass ich die Interessen des halben Trägers der EAA und des ganzen der Portigon vertreten werde.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, damit ist die Mündliche Anfrage 69 des Herrn Kollegen Witzel beantwortet.

Etwas Zeit haben wir noch. Deshalb rufe ich jetzt die

Mündliche Anfrage 70

des Herrn Kollegen Kern von der Fraktion der Piraten aus der letzten Fragestunde auf:

„Welche im Rahmen der Durchführung nicht vorhersehbaren Gründe sind dafür verantwortlich, dass im Zusammenhang mit der Erstellung des Gutachtens zur Beförderung von E-Scootern in öffentlichen Verkehrsmitteln so massive terminliche Verzögerungen auftreten, dass mobilitätseingeschränkte Menschen nun seit Monaten von der Nutzung von Bussen in NRW ausgeschlossen sind, obwohl gerade sie besonders auf die Nutzung des ÖPNV in ihrem Alltagsleben angewiesen sind?

In der Sitzung des Ausschusses für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr vom 05.03.2015 wurde durch die Vertreterin des MBWSV mitgeteilt, der Gutachter habe als Vorlage für das Gutachten zur Beförderungsfähigkeit von E-Scootern in Bussen als Zeitpunkt „Ende März angepeilt“. Im Anschluss solle am sogenannten „runden Tisch“ über das Gutachten gesprochen und Lösungen erarbeitet werden. Alle Beteiligten waren sich darüber einig, dass die Angelegenheit zwar sorgfältig, aber doch mit höchster Priorität bearbeitet werden solle.

Der genannte Termin wurde nicht eingehalten. Statt dessen wurde intern Ende Mai angegeben, man wolle noch die Erkenntnisse einer separaten Studie der Kölner Verkehrsbetriebe in das Gutachten mit einfließen lassen, wodurch sich die Fertigstellung des Gutachtens noch etwas verzögern würde.

In seiner letzten Sitzung vom 27. August – also mittlerweile fünf Monate nach dem ursprünglich angepeilten Termin – wird dem Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr nun mitgeteilt, man warte zum Abschluss des Gutachtens noch auf den Abschluss anderweitiger Untersuchungen. Währenddessen sind die Nutzer von E-Scootern seit Monaten vom Transport durch Busse in NRW ausgeschlossen.

Da weder der beauftragte Gutachter noch das Land NRW zum ersten Mal mit technischen Gutachten beschäftigt sind, ist diese Verzögerung und die damit einhergehende Kommunikation von Zeiträumen mittlerweile nicht mehr nachvollziehbar.

Mit einer schriftlichen Beantwortung dieser Anfrage bin ich nicht einverstanden.

Zur Beantwortung gebe ich Herrn Minister Groschek hiermit das Wort. Bitte, Herr Minister.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Vielen Dank, sehr geehrter Herr Präsident. – In der vorletzten Sitzung des Ausschusses für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr gab es zum vorgenannten Punkt einen umfänglichen schriftlichen Bericht. Aus diesem schriftlichen Bericht möchte ich jetzt zunächst einmal zitieren, weil ich hoffe und erwarte, dass die Sachverhaltsaufklärung dann leichter nachvollziehbar und möglich sein wird. Im Bericht – Vorlage 16/3124 – heißt es auf Seite 2:

„Zwischenzeitlich sind weitere Fahrversuche anderer Gutachter bekannt geworden. Konkret sind hier Fahrversuche der KVG Kiel und der Regionalverkehr der Ruhr-Lippe GmbH (RLG), Soest, zu nennen. Die zur Beurteilung der Relevanz dieser Fahrversuche notwendige Bereitstellung des Datenmaterials von den Dritten an die STUVA“

– Studiengesellschaft unterirdische Verkehrsanlagen –

„sowie der Abgleich der Zwischenergebnisse für den Bus- und den Stadtbahnbereich haben längere Zeit in Anspruch genommen und damit zu einer Verzögerung bei der Erstellung der Studie geführt.“

– Zitat Ende; das ist aus dem Bericht für die vorletzte Sitzung des Ausschusses für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr.

In dieser Ausschusssitzung wurde ergänzend dazu ausgeführt, dass die Daten der anderen Gutachter erst im Spätsommer vorlagen. Erst dann konnte die Studiengesellschaft unterirdische Verkehrsanlagen die Erkenntnisse für das Landesgutachten auswerten.

Aus Sicht des Ministeriums und auch des Ministers haben alle Menschen einen Anspruch auf Mitnahme im ÖPNV, im öffentlichen Personennahverkehr, wenn Ihre Beförderung sicher ist – sicher für sie selbst und auch für andere Fahrgäste.

Wenn Gerichte, darunter auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, auf der Grundlage des Gutachtens im Auftrag des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen das von einigen, nicht von allen verhängte Mitnahmeverbot von E-Scootern bestätigen, müssen wir das ernst nehmen. Das Landesgutachten muss die Fragestellungen solide bearbeiten. Dafür benötigt unser Gutachter die notwendigen technischen Daten, die ihm seit dem Spätsommer vorlagen.

Ergänzend zu diesem für die letzte Sitzung des Landtags vorbereiteten Text möchte ich Ihnen jetzt aktualisiert auf die Frage mitteilen, dass wir davon ausgehen, dass das Landesgutachten innerhalb der nächsten zehn Tage vorliegen wird. Sobald dieses Landesgutachten vorliegt, werden wir es dem runden Tisch zur Verfügung stellen. Der runde Tisch wird dann so fristgerecht eingeladen zur gemeinsamen Beurteilung des Gutachtens, das einerseits das Bedürfnis nach baldmöglichster Klärung und andererseits das Bedürfnis nach vernünftiger, gründlicher Vorbereitung beim Studium dieses Gutachtens in Einklang zu bringen sind.

Unser größtes Anliegen ist es, eine vermeintliche Rechtsunsicherheit durch eine rechtliche Sicherheit abzulösen. Es wäre aus Sicht des Ministeriums und aus meiner persönlichen Sicht misslich, wenn wir durch ein Richterrecht unterschiedliche Aspekte bei der Mitnahme von mobilitätseingeschränkten Menschen, die auf einen E-Scooter angewiesen sind, über weitere Zeiträume keine vernünftige Perspektive entwickeln könnten.

Ich glaube, wir sind gut beraten, mit einem Vertrauensvorschuss dem runden Tisch zu begegnen, an dem nicht nur die fachlich zuständigen Ressorts versammelt sind, sondern auch die unterschiedlichen Verbände und Interessenvertretungen, sodass das Know-how, das an diesem Tisch versammelt ist, sicherlich konsensual eine wertschätzende Beurteilung des Gutachtens vornehmen wird, die dazu führen wird, dass mobilitätseingeschränkte Menschen die Chance bekommen, für sich sicher und auch für andere sicher befördert zu werden – auch mit einem E-Scooter, wenn das durch das Gutachten abgesichert ist.

Ob das Gutachten Hinweise darauf liefert, dass alle Typen von E-Scootern unzweifelhaft sicher zu transportieren sind, vermag ich jetzt nicht einzuschätzen, weil die Ergebnisse des Gutachtens auch dem Ministerium noch nicht bekannt sind. Wenn uns das Gutachten, wie wir unterstellen dürfen, innerhalb der nächsten zehn Tage bekannt wird, werden wir natürlich auch eine eigene Meinungsbildung vorantreiben. Die werden wir in die Diskussion und die Beurteilung des runden Tisches einbringen. Der Landtag wird dann natürlich auch zeitnah unterrichtet.

Ich gehe davon aus, dass wir nicht genötigt sein werden, mit Zwangsmaßnahmen zu reagieren, sondern dass wir konsensual mit den Anbietern der Verkehrsdienstleistungen eine angemessene Beförderungsgarantie gewährleisten können. Das jedenfalls ist ausdrücklicher Wunsch des Ministeriums.

Soweit wir die Vorarbeiten unseres Gutachters beurteilen können, wird das Gutachten auch eine Qualität besitzen, die dies möglicherweise so seriös begründet, dass auch Zweifler überzeugt sind und konsensstiftend die Diskussionen des runden Tisches bereichern.

(Zuruf von der SPD: Keine weiteren Nachfragen! – Heiterkeit)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt eine Nachfrage bei Frau Kollegin Brand. Bitte schön.

Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Minister Groschek. Da die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung mit ÖPNV-Leistungen ein Teil der grundsätzlich verankerten Daseinsvorsorge ist, wird derzeit ein bestimmter Personenkreis faktisch von einem grundgesetzlich verankerten Recht ausgeschlossen. Wer trägt die Kosten für den Mehraufwand, den diese Menschen nun zur Sicherstellung ihrer Mobilität betreiben müssen?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Ich bin sehr sicher, dass das im Laufe der nächsten zehn Tage vorliegende Gutachten Hinweise darauf geben wird, dass zumindest ein großer Teil der mobilitätseingeschränkten Menschen, die auf die Nutzung eines E-Scooters angewiesen sind, für sich und für andere sicher befördert werden können.

Das Maß an Selbstsicherung und Sicherheit der übrigen Mitfahrgäste ist natürlich dominant zu sehen. Ohne die Gewährleistung von Sicherheit für den mobilitätseingeschränkten Menschen und für die übrigen Fahrgäste ist eine Transportdienstleistung nicht zu verantworten. Sicherheit ist durch nichts zu ersetzen. Das gilt gerade auch beim Transport im öffentlichen Personennahverkehr.

Dieses Maß an Sicherheit wird sicherlich im Gutachten präzisierter definiert, sodass wir dann über das Gutachten und die konsequente Umsetzung des Gutachtens in eine ÖPNV-Beförderungspraxis gemeinsam werden diskutieren können; hoffentlich möglichst wenig kontrovers – sowohl am runden Tisch als auch im Landtag –; denn die betroffenen Menschen haben ein Recht auf Klarheit und auf ein breites Recht auf Mitnahme im üblichen ÖPNV, damit sie für sich selbst und andere sicher befördert werden können.

Es mag sein – ohne dass ich das prognostizieren möchte –, dass das Gutachten auch Hinweise gibt, wie man die Sicherheit für die mobilitätseingeschränkten Menschen und die übrigen Fahrgäste durch eine angepasste Bauweise so erhöhen kann, dass der Transport von mehr E-Scooter-Typen möglich sein wird. Auch das ist eine Perspektive.

Das ist ja nicht nur eine mögliche Anforderung an die sicherheitsrelevante Gestaltung von ÖPNV-Fahrzeugen auf Schiene und Straße, sondern das ist ja möglicherweise auch eine Handlungsanleitung zur künftigen Baugestaltung und Ausgestaltung der E-Scooter, damit das Maß an Sicherheit beim Transport erhöht wird. Das sind manchmal nur recht einfache konstruktive Hinweise zur Balance eines solchen Fahrzeuges beim Anfahren oder Abstoppen.

Ich glaube, dass wir jetzt eine vernünftige, kurzfristige Perspektive haben, um hinreichend sichere Antworten auf diese komplexe Herausforderung geben zu können.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, damit ist die Mündliche Anfrage 70 beantwortet.

Die 60 Minuten, die wir uns jeweils für die Fragestunde vornehmen, sind auch schon überschritten.

Es liegt noch die

Mündliche Anfrage 71

der Frau Abgeordneten Angela Freimuth von der Fraktion der FDP vor.

Wie gestaltet sich der Haftpflicht- und Unfallversicherungsschutz für Ärztinnen und Ärzte, die ehrenamtlich Flüchtlinge untersuchen?“

 (Angela Freimuth [FDP]: Ich möchte eine schriftliche Beantwortung von Frau Ministerin!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. Auch dazu ist die zuständige Ministerin sicherlich gerne bereit. Dann bekommen Sie in Kürze von Frau Ministerin Steffens die gewünschte schriftliche Antwort. (Siehe Anlage)

Damit schließe ich die Fragestunde und rufe auf:

12       Schutz vor Gewalt und Recht auf Unversehrtheit für Menschen mit Behinderung umfassend gewährleisten

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9793 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Kopp-Herr das Wort, bitte schön.

Regina Kopp-Herr (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, und ganz besonders liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten! Prima, dass Sie bei diesem Antrag ebenfalls Antragsteller sind.

Zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen debattieren wir das wichtige Thema „Gewalt – auch sexualisierte Gewalt – gegenüber Menschen mit Behinderung“ sowie das Recht auf Unversehrtheit, das wir mit unserem Antrag gewährleisten möchten.

So haben wir einen sehr umfangreichen Antrag eingebracht, der neben den wichtigen Inhalten des Themas bereits auf den Weg gebrachte Initiativen in Nordrhein-Westfalen aufgreift, der aber auch feststellt, wo Handlungsbedarfe liegen und natürlich die dazugehörenden Forderungen an die Landesregierung enthält.

Deshalb möchte ich auf Folgendes Bezug nehmen und es ganz besonders herausstellen: Menschen mit Behinderung – besonders Frauen – sind häufig Opfer sexualisierter Gewalt. Deshalb ist es hier besonders wichtig, dass wir uns, aber auch der Öffentlichkeit, ins Bewusstsein rufen, dass Menschen mit Behinderung das Recht auf Sexualität und auf ein selbstbestimmtes Sexualleben haben.

Lange Zeit war dieses Thema mit einem Tabu belegt – sowohl in Elternhäusern wie stationären Einrichtungen, aber auch in der Gesamtgesellschaft. In einem Beitrag der „Lebenshilfe“ ist zu lesen – ich zitiere –:

„Sexualität ist von Geburt an ein alles durchdringendes Potenzial, das den Menschen als sexuelles Wesen betrifft, welches entwickelt und gefördert werden will. Sowohl im Kindes- und Jugendalter als auch im Erwachsenenalter sind Menschen mit Behinderung meist mit besonderen Lebensbedingungen konfrontiert und in größerem Maß auf Unterstützung und Förderung angewiesen – auch beim Thema Sexualität.“

Das bedeutet, dass Menschen mit Behinderung so viel wie möglich über ihren eigenen Körper Bescheid wissen müssen. Sie sollen in der Lage sein, eigene Entscheidungen zu treffen und über Mitspracherechte ebenso Bescheid wissen, um diese nutzen zu können.

Das gilt auch für das Wissen zur Gestaltung ihres Lebensumfeldes. Je mehr Menschen mit Behinderung in ihrem Wissen um Sexualität und Selbstbestimmungsrechte gestärkt werden, umso besser können sie sich gegen sexuelle Übergriffe wehren.

Um die Selbstbestimmungsrechte für diese Menschen umzusetzen, brauchen wir Barrierefreiheit in allen Bereichen – beispielsweise für einfache Sprache, zur Erreichbarkeit von Beratungsstellen, aber auch von medizinischer Versorgung. Ebenso brauchen Eltern sowie das Personal in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung ein Beratungs-, Gesprächs- und Fortbildungsangebot, damit sie die ihnen anvertrauten Menschen mit Behinderung sach- und fachgerecht in all ihren Bedürfnissen stärken können.

Im April dieses Jahres hat der UN-Ausschuss für die Rechte der Menschen mit Behinderungen abschließende Bemerkungen über den ersten Staatsbericht Deutschlands veröffentlicht. Unter der Ziffer 36 des Berichtes wird unter anderem angemerkt, dass der Ausschuss dem Vertragsstaat, also der Bundesrepublik, anrät, eine umfassende und wirksame Strategie aufzustellen, um in allen öffentlichen und privaten Umfeldern einen wirksamen Gewaltschutz für Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu gewährleisten.

Wie wichtig dem UN-Ausschuss diese Forderung ist, belegt die erste Aussage zu den Folgemaßnahmen, in denen der Vertragsstaat, also die Bundesrepublik, innerhalb von zwölf Monaten Informationen über die von ihm ergriffenen Maßnahmen, die unter Ziffer 36 beschrieben wurden, vorlegen soll. Das war im April dieses Jahres.

Wir sind nun nicht der Vertragspartner; wir befinden uns im Land Nordrhein-Westfalen. Ich will aber noch einmal deutlich zum Ausdruck bringen, dass wir mit diesem Antrag auf einem richtigen und guten Weg sind, Bedarfe erkannt und beschrieben haben, die auch der entsprechende UN-Ausschuss identifiziert und zur Umsetzung empfohlen hat.

Jetzt gilt es, diese Maßnahmen zeitnah und praxistauglich umzusetzen. Unsere umfangreichen Forderungen, die der Landtag an die Landesregierung stellt, zeigen, wie vielfältig Unterstützungsmaßnahmen sein müssen, um ein Recht auf Unversehrtheit für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten. Ein starkes Signal, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre heute Abend eine breite, vielleicht sogar einstimmige Verabschiedung unseres Antrags. Dazu möchte ich Sie alle einladen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Kopp-Herr. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding. Irgendwann lerne ich, den Namen fließend auszusprechen; aber manchmal stolpert man darüber. Entschuldigung!

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen mit Behinderung sind wesentlich häufiger Opfer vielfältiger Gewalt als Menschen ohne Beeinträchtigung. Dabei handelt es sich um sexuelle Gewalt, aber auch um Misshandlungen und Vernachlässigung.

Das Gewaltspektrum reicht von der erniedrigenden Behandlung bis hin zu massiver körperlicher und psychischer Gewalt – oft mit erheblichen Folgen für die Gesundheit. Insbesondere Frauen, aber auch Männer sind betroffen. Wir sind uns wohl einig, dass es sich um besonders verwerfliche Angriffe handelt, wenn das Ziel ein Mensch mit besonderem Unterstützungsbedarf ist.

Gewalt und Erniedrigung finden im öffentlichen Raum, aber auch in häuslicher Umgebung statt, wobei auch hier Frauen deutlich und in höherem Maße betroffen sind als Männer. Diese Situation der Menschen mit Behinderung wird in verschiedenen Studien deutlich gemacht; sie werden auch in unserem Antrag benannt.

Die Vereinten Nationen fordern in ihrer Behindertenrechtskonvention zu Recht Maßnahmen zur Vermeidung und Vorbeugung gegen Gewalt und Missbrauch und ebenso zur Unterstützung der Menschen. Auch die Istanbul-Konvention – also das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt – fordert Maßnahmen zum Schutz der Rechte von Opfern sowie Hilfe ohne Diskriminierung. Auch das scheint nicht selbstverständlich zu sein.

Bundesweit gibt es Aktivitäten, die Frauen darin bestärken, für ihre Rechte einzutreten. Auch die haben wir in unserem Antrag benannt. In NRW haben wir bereits vor Jahren begonnen, ein Beratungs- und Unterstützungswerk für Frauen und Mädchen mit Behinderung aufzubauen. So leisten sowohl das NetzwerkBüro Frauen und Mädchen mit Behinderung/chronischen Erkrankungen als auch die Kompetenzzentren für selbstbestimmtes Leben gerade im Rahmen des Peer Counseling wichtige Arbeit.

In Bereichen wie Alter und Pflege, der Jugendhilfe und der Schule wird an der Sensibilisierung der Akteure gearbeitet, und es werden Präventionsmaßnahmen ergriffen. All das geschieht mit dem Ziel, Menschen vor jeder Form von Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch zu schützen. Die beste Hilfe ist allerdings auch hierbei die Hilfe zur Selbsthilfe. So geht es vor allem darum, das Selbstbewusstsein und die Selbstschutzkompetenz der Menschen zu stärken.

Ein wichtiges Ziel ist hier – die Kollegin Kopp-Herr hat das auch schon erwähnt –, ein Bewusstsein und die Sensibilisierung für Übergriffe auf Menschen mit Behinderung zu schaffen. Das muss natürlich bei den Betroffenen selbst geschehen, aber auch bei den Menschen in ihrer Umgebung und in der Gesellschaft allgemein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserem Land gibt es Beratungsstellen für die verschiedensten Bedarfe. Leider sind sie für Menschen mit Behinderung nicht uneingeschränkt zu finden und auch nicht uneingeschränkt aufzusuchen. Hier müssen wir besser werden. Das ist deshalb natürlich ein Punkt in unserem umfangreichen Forderungskatalog an die Landesregierung.

Ebenso muss die ambulante Akutversorgung für Menschen, die durch Gewalttaten traumatisiert werden, auch auf die Belange von Menschen mit Behinderung ausgerichtet werden. Der Schutz von Menschen mit Behinderung vor Gewalt und Missbrauch muss weiter verbessert werden, und zwar für Männer und Frauen gleichermaßen.

Daneben ist auch die Bundesregierung gefordert. Ja, sie ist gefordert, das Gewaltschutzgesetz zu überarbeiten, um die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung, die in stationären Einrichtungen leben, zu gewährleisten. Denn dieses Gesetz ist in seiner jetzigen Form lediglich für den privaten Raum zuständig. Die Bitte an die Landesregierung, eine entsprechende Bundesratsinitiative zu ergreifen, rundet daher unseren umfangreichen Forderungskatalog bzw. unseren umfangreichen Antrag ab. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kern.

Walter Kern (CDU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir dieses wichtige Thema heute wieder behandeln und erneut darüber sprechen. Ich will für die regierungstragenden Fraktionen die Erinnerung ein wenig auffrischen – das hat ja schon ein bisschen mit Demenz zu tun –:

Am 14. Mai 2014 hat die Fraktion der CDU den Antrag „Sexuelle Gewalt an Frauen und Männern mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung konsequent bekämpfen!“ eingebracht.

Am 17. September 2014 fand eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema statt, die im Schwerpunkt zustimmend war.

Unser Antrag ist nach wirklich langer und intensiver Behandlungsphase am 26. August 2015 im Fachausschuss beraten worden, und es wurde darüber abgestimmt.

Die Aussprache und Abstimmung zu unserem Antrag erfolgten am 3. September 2015; das war erst in der vergangenen Plenarrunde. Frau van Dinther hat hierzu ausführlich Stellung bezogen und die Forderungen unseres Antrags begründet. Dann kommt es mir schon fast pharisäisch vor, wenn Sie jetzt fordern, wir sollten hier zustimmen. Sie hätten diesem guten Antrag, der mit Ihrem identisch ist, schon in der letzten Plenarwoche zustimmen können,

(Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE]: Nein! – Regina Kopp-Herr [SPD]: Identisch ist der nicht!)

oder Sie hätten selbst einen Entschließungsantrag einbringen können, meine Damen.

Es erscheint mir angesichts des heute von SPD und Grünen vorgelegten Antrags sowie der dazu geführten Debatte auch erforderlich, die Forderungen unseres Antrags, der mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und Grünen abgelehnt wurde, noch einmal in Erinnerung zu rufen. Wir haben konkrete Forderungen gestellt, die Sie offensichtlich nicht umsetzen wollen, und zwar:

„-  die Öffentlichkeit durch geeignete Maßnahmen für das Thema ‚sexuelle Gewalt gegen Menschen mit Behinderung‘ in stärkerem Maße zu sensibilisieren,

–   behinderte Menschen über Sexualerziehung und Sexualaufklärung darüber zu informieren, wie man auf Versuche von sexuellen Übergriffen reagieren sollte bzw. wie nach einem Übergriff vorgegangen werden kann,

–   das Bewusstsein von Angehörigen behinderter Menschen zu schärfen und ihnen in Veranstaltungen, Informationsheften etc. aufzuzeigen, wo sexuelle Übergriffe beginnen und wie mit Gefahren oder den Folgen eines Missbrauchs umzugehen ist,

–   ein Konzept vorzulegen, wie insbesondere Kinder in Einrichtungen wirksam geschützt werden können,

–   Informationen über Hilfen bei sexuellem Missbrauch auch in leicht verständlicher Sprache bereitzustellen“

– alles sehr konkrete Vorschläge –,

„-  die Kooperation mit und zwischen Ärzten sowie den Einrichtungen zu stärken und gemeinsam Präventions- und Hilfekonzepte bei sexuellem Missbrauch bzw. bei Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen zur Verfügung zu stellen und ggf. weiterzuentwickeln,

(Beifall von der CDU und Ulrich Alda [FDP])

–   Angebote sicherzustellen, die Betreuer und in der Behindertenhilfe Tätige über Besonderheiten, Erkennung, Prävention und Therapiewege sexueller Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen aufklären,

–   Kontrollmechanismen zur Verhinderung von Übergriffen in Einrichtungen zu schaffen bzw. zu verbessern,

–   den Zugang behinderter Menschen zu unabhängigen Vertrauenspersonen außerhalb von Einrichtungen zu gewährleisten und zu erleichtern,

–   sicherzustellen, dass der Zugang zu fachgerechter psychotherapeutischer Behandlung für Opfer sexueller Übergriffe gegeben ist und diesen zu erleichtern“

– alles konkret –,

„-  die Perspektive von Menschen mit Behinderung insgesamt stärker in den Fokus zu nehmen und in die Arbeit der Landesregierung stets einzubeziehen sowie

–   Maßnahmen der Bundesregierung zur Unterbindung sexueller Gewalt gegen behinderte Menschen konstruktiv zu unterstützen und …“

In diesem Zusammenhang will ich sagen: Sie stützen sich auf eine Studie der Universität Bielefeld, die damals durch unsere gemeinsame Bundesregierung – Herr Alda! – in Auftrag gegeben worden ist. Hört, hört! Es ist schon ein Stück aus dem Tollhaus, dass man dann nur von einer Bielefelder Studie spricht und hier schlicht verschweigt, dass die Bundesregierung diesen Antrag gestellt hat.

Es geht weiter:

(Beifall von der CDU und der FDP)

„-  dem Parlament ein Jahr nach Verabschiedung dieses Antrages einen Bericht über die bis dahin durchgeführten und noch geplanten Maßnahmen vorzulegen.“

Wir werden Sie in dieser Angelegenheit daran messen, ob Sie Ihrem Antrag tatsächlich Taten folgen lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Forderungen, die ausweislich des Anhörungsprotokolls von der überwiegenden Zahl der Experten und Verbände begrüßt worden sind, lehnten die Regierungsfraktionen ab. Das ist ein starkes Stück für Nordrhein-Westfalen und ein Zeugnis dessen, dass Sie selbst bei einem so wichtigen Thema leider nicht Ihre parteipolitische Brille ablegen können und nicht zu einem Kompromiss im Sinne dieser Menschen bereit sind. Das offenbart aus meiner Sicht ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Man muss sich für Sie fremdschämen. Aus meiner Sicht ist es völlig unparlamentarisch, wie hier verfahren wird.

Zum heute vorliegenden Antrag möchte ich daher sagen: Wir stellen keine Schaufensteranträge. Allein die Tatsache, dass Sie auf eine direkte Abstimmung fokussieren, zeigt, dass Sie sich inhaltlich nicht damit auseinandersetzen.

Die CDU hat sich in der letzten Plenarsitzung positioniert. Ich komme daher zum Ende: Wir werden heute keinen Schaufensterantrag stellen. Sie fordern die Landesregierung auch noch auf, eine Bundesratsinitiative zu ergreifen und den eigenen Aktionsplan zu unterstützen. Was schreiben Sie eigentlich in Ihre Papiere? – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Alda.

Ulrich Alda*) (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich hat Walter Kern alles gesagt, aber ich bin ja auch noch dran.

Zunächst gilt es festzuhalten, dass genauso ein Antrag vor mehr als einem Jahr eingebracht worden ist, damals von der CDU. Vor vier Wochen ist dieser dann abgelehnt worden. Das war Ihr starkes Signal, Frau Kopp-Herr, das Sie jetzt von uns verlangen. Wir haben den Antrag damals unterstützt. Aber getreu dem Motto, nach dem diese Regierungskoalition arbeitet, wird ja alles von der Opposition Kommende abgelehnt.

Wirklich in Harnisch bringt mich aber die Chuzpe, mit der Rot-Grün einen fast identischen Antrag noch nicht einmal ein Quartal später hier einbringt. Es gab im gesamten Beratungsverlauf des CDU-Antrags immer wieder Möglichkeiten, sich an einen Tisch zu setzen,

(Ministerin Barbara Steffens: Das wollte man doch auch!)

um das Thema mit der gebotenen Sorgfalt und ohne Hektik aufzuarbeiten und eine gemeinsame Linie – bestenfalls in einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen – zu finden, oder zum Beispiel, wie von Walter Kern genannt, zu einem Entschließungsantrag zu kommen. Aber das scheint bei den Regierungsfraktionen als Instrument nicht bekannt zu sein.

Ich bedauere sehr, dass dies letztendlich nicht gelungen ist. Es ist müßig, umfangreiche Analysen anzustellen, woran die Zusammenarbeit nun gescheitert ist. Klar war aber durch die Ausschussberatungen, dass mit dem Antrag wohl ein wunder Punkt getroffen wurde, und dass Rote und Grüne auch keine Antwort auf die guten Fragen haben, die der Antrag damals stellte und für die im Sinne der Betroffenen Antworten gefunden werden müssen; um die geht es ja hier.

Besonders beschämend ist die mehrheitlich ablehnende Haltung vor dem Hintergrund des laufenden Prozesses, welcher mittlerweile in sehr viele Politikbereiche ausstrahlt. Es ist richtig, dass wir uns Gedanken machen, wie der Inklusionsprozess vorangebracht werden kann.

Alle Fraktionen hier im Landtag bekennen sich zu diesem Ziel. Darum gab es auch nie Streit. Wenn es aber zum Schwur kommt, scheint der rot-grüne Ansatz „Wir nehmen alle mit“ nicht viel wert zu sein. Da hätte ich von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, doch mehr erwartet.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird sich bei der Abstimmung zum vorliegenden Antrag der Stimme enthalten, weil wir mit der CDU die grundsätzliche Auffassung teilen, dass bei der Bekämpfung und Zurückdrängung von sexueller Gewalt an Frauen und Männern mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung noch einiges getan werden muss.

Die Antragsteller haben viele einzelne Punkte aufgeschrieben, an denen man ansetzen müsste. Es ist richtig, dass die Sensibilisierung innerhalb der Öffentlichkeit für dieses Thema verbessert werden muss. Es ist richtig, dass auch die behinderten Menschen, die potenziellen Opfer sexueller Übergriffe, über eine verbesserte Sexualaufklärung und Sexualerziehung auf die Gefahren hinzuweisen und in den Möglichkeiten des individuellen Abwehrverhaltens zu trainieren sind.

Es ist auch richtig, ein enges Netz aus Ärzten, Angehörigen und Betreuungseinrichtungen zu spannen, um Präventions- und Hilfskonzepte rasch zur Verfügung zu stellen. Es wäre darüber hinaus aber auch richtig – das wäre eine sinnvolle Ergänzung des CDU-Antrags damals gewesen –, übergreifend sicherzustellen, dass sexuelle Vorkommnisse von allen Verantwortlichen – also in den meisten Fällen den Einrichtungsträgern und Leistungsanbietern auf der einen und den Aufsichtsbehörden auf der anderen Seite – zügig und rückhaltlos aufgeklärt werden.

Nur wenn es uns gelingt, auftretende Fälle aufzuklären und die Täter zur Verantwortung zu ziehen, werden wir einen nachhaltigen Verbesserungseffekt erreichen. Davon bin ich überzeugt. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Piraten spricht jetzt Herr Kollege Olejak.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es wurde eigentlich alles gesagt, aber noch nicht von jedem.

Ich greife einmal direkt den Punkt auf, den Herr Kern eingangs genannt hat. Ich beziehe mich kurz auf den Antrag der CDU, der im vergangenen Plenum hier abgelehnt worden war, also auf die Drucksache 16/5555. Ganz lieben Dank für diesen Antrag. Das hatte ich auch schon beim letzten Mal gesagt. Es gibt allerdings einen ganz schwierigen Aspekt in dem alten Antrag. Das war der Satz mit der Kostenneutralität.

Die Anhörung hatte ergeben, dass all diese Maßnahmen kostenneutral gar nicht umsetzbar sind. Dieser Aspekt ist aus dem nun vorliegenden Antrag herausgenommen worden. Aus Sicht der Piraten ist es nach der langen Behandlung des CDU-Antrages in Ausschuss und Plenum, mit der Anhörung und allen Ergebnissen zu einem Effekt namens „copy remix share“ gekommen“. Weil Rot-Grün jetzt so schnell war, haben wir ganz einfach festgestellt: Der Antrag ist so gut, dass wir ihm eigentlich nur beitreten können.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist somit einfach ein Punkt, wo wir nur zustimmen können. Von daher: Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN - Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Olejak. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es wichtig, dass wir über einen solchen Antrag heute hier reden können. Ich finde es wichtig, dass das Thema im Landtag nach wie vor obenan steht.

Für uns alle ist nämlich klar: Inklusion ist eine Querschnittsaufgabe der gesamten Landesregierung. Gerade dieser Antrag zeigt, wie viele Ressorts bei diesem Thema berührt sind. Er zeigt, wie viele Bereiche angesprochen sind und wie viele Schritte umgesetzt werden müssen.

Die Forderungen sind nach wie vor aus Sicht der unterschiedlichen Ressorts nachvollziehbar. Denn Menschen mit Behinderung sind insgesamt deutlich stärker von Gewalt – und nicht nur von sexualisierter Gewalt – betroffen als Menschen ohne Beeinträchtigung.

Klar ist dabei, dass zu der Behinderung zusätzliche Risiken durch weitere persönliche Merkmale hinzukommen. Das heißt, Frauen mit Behinderung sind stärker von Gewalt betroffen, Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung mit Behinderung sind stärker von Gewalt betroffen, genauso wie Menschen, die eine Beeinträchtigung durch Sinnesbehinderung haben, geistige Behinderung, Menschen nicht deutscher Herkunft und Menschen höheren Alters.

Wir haben auf Landesebene ein breites Spektrum von Aktivitäten in dieser Richtung und insgesamt für diesen Bereich auf den Weg gebracht. Wir arbeiten weiter daran. Das ist aus dem MAIS der Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“, das ist in unserer Zuständigkeit das GEPA und das WTG. Das ist der „Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“, wo ein Stück weit auch dieses Thema eine Rolle spielt.

Das sind die Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben. Das sind der frauenspezifische Einsatz des NetzwerkBüros Frauen und Mädchen mit Behinderung/chronische Erkrankungen NRW. Das ist die Entschließung der Landesgesundheitskonferenz von 2013, das ist das Netz von Trauma-Ambulanzen mit den dort tätigen Therapeutinnen, die auch zum Umgang mit Menschen mit Behinderung ausgebildet sind, und das ist das Büro für Leichte Sprache bei der Agentur Barrierefrei.

Das heißt, es gibt einen breiten Strauß von Aktivitäten hier in Nordrhein-Westfalen, auch bezogen auf diese Problematik und diese Zielgruppe. Ich finde, Herr Kern, wir müssen auch gemeinsam sehen, welche Stärken wir schon in diesem Land haben. Das sind schließlich nicht Aktivitäten, die wir alleine machen, sondern daran hängen unglaublich viele Kräfte in diesem Land.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es sind aber nicht nur die Aktivitäten, die wir auf Landesebene machen, sondern es gibt auch eine Reihe von Punkten auf Bundesebene mit der Beteiligung an Länderinitiativen, zum Beispiel die Ausdehnung eines erweiterten Führungszeugnisses für Fachkräfte in Einrichtungen, die vom MAIS vorangetrieben worden ist, oder das Vorantreiben der Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention durch das Justizministerium.

Dazu zählt aber auch auf Bundesebene die Beteiligung an der Kommission für das BMJ zur Erarbeitung einer umfassenden Reform des 13. Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, der sich genau mit diesen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung befasst. Dabei werden auch die Fälle in den Blick genommen, in denen eine Behinderung für einen Missbrauch ausgenutzt wird. Das heißt, auch hier gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die wir gemeinsam ressortübergreifend angehen.

Aber es ist klar, dass wir nach wie vor weitere Punkte haben, die wir auch gemeinsam voranbringen müssen. Es gibt besonders vulnerable Gruppen, die noch immer vernachlässigt werden: Menschen mit Sinnesbehinderungen und geistigen Behinderungen haben einfach einen anderen Bedarf und brauchen eine andere Betrachtung, genauso wie Menschen mit Beeinträchtigungen, die in Einrichtungen leben.

Ein wichtiger Punkt ist auch: Es muss der geschlechtsspezifische Blick auf Jungen und Männer geschärft werden, ebenso wie der Blick auf Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und geschlechtlicher Identität.

Wir haben also noch einen weiten Weg vor uns, wie auch in anderen Bereichen der Inklusion; denn es setzt voraus, dass wir ein gesellschaftliches Neudenken bzw. ein Umdenken in der Fläche erreichen, und das braucht oft Zeit. Wir müssen Bewusstsein dafür schaffen, dass Einrichtungen und Familien nicht immer geschützte Orte sind, und wir brauchen ein Bewusstsein, dass diese Gruppen von Menschen einer mehrfachen Risikogefährdung unterliegen.

Das Thema Gewaltprävention muss intensiviert werden – überhaupt keine Frage. Aber ohne ein ressortübergreifendes, also auch ein interdisziplinäres Angehen des Themas werden wir keine nachhaltigen und keine flächendeckenden Erfolge erreichen. Deswegen brauchen wir auch hier Konzepte für eine inklusive Gewaltprävention und ?be-kämpfung, die wir sozusagen in den Mainstream implementieren müssen.

Wir als Landesregierung werden das in den entsprechenden Arbeitsgruppen, im IMAK, im Inklusionsbeirat und an vielen anderen Stellen weiter diskutieren. Wir werden den Aktionsplan „NRW inklusiv“ natürlich auch diesem Sinne weiterentwickeln. Wir hoffen darauf, dass die Diskussion dann auch breit getragen und die Umsetzung vor allem durch die Menschen in Nordrhein-Westfalen, die sich an vielen Stellen engagieren, auch die entsprechende Anerkennung findet. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Das bleibt auch so. Dann kann ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 12 schließen.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten haben direkte Abstimmung beantragt. Die führen wir jetzt auch durch. Wer dem Inhalt des Antrags mit der Drucksachennummer 16/9793 – Neudruck – zustimmen möchte, bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piraten. Stimmt jemand dagegen? – Die CDU-Fraktion. Wer möchte sich enthalten? – Die FDP-Fraktion. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist damit der Antrag Drucksache 16/9793 – Neudruck – angenommen worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 12, um aufzurufen – vormals Tagesordnungspunkt 14, jetzt – Tagesordnungspunkt

13       Kunstwerke im Besitz der öffentlichen Hand inventarisieren

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9796

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich inzwischen darauf verständigt, die Aussprache zu diesem Antrag nicht heute, sondern nach Vorlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien durchzuführen.

Damit kommen wir direkt zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/9796  an den Ausschuss für Kultur und Medien. Wie eben mitgeteilt, soll die Aussprache und Abstimmung nach Vorlage der Beschlussempfehlung hier im Plenum erfolgen. Ist jemand mit diesem Überweisungsvorschlag nicht einverstanden oder möchte sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann werden wir so verfahren.

Ich rufe auf vormals Tagesordnungspunkt 15, jetzt Tagesordnungspunkt

14       Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege bei der Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern aus Flüchtlingsfamilien besser unterstützen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9802

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion der CDU hat Frau Dr. Bunse das Wort.

Dr. Anette Bunse (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Kampmann, nicht erst seit der Expertenanhörung im Ausschuss wissen wir: Viele der Kitas in NRW sind finanziell fast am Ende. Die psychische und physische Belastung des Kitapersonals soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Dabei brauchen wir die Fachkompetenz der verschiedenen Träger im Kitabereich heute mehr denn je – gerade vor dem Hintergrund der Herausforderung vieler neu ankommender Kinder aus Flüchtlingsfamilien.

Bereits im ersten Halbjahr 2015 sind einige Tausend Flüchtlingskinder im Alter von einem bis sechs Jahren nach NRW gekommen, und das Ministerium geht von weiter steigenden Zahlen aus.

(Unruhe – Glocke)

Die kommunalen Jugendämter sind in der Pflicht, auch für diese Kinder Plätze in Kindertageseinrichtungen oder in der Kindertagespflege bedarfsgerecht vorzuhalten. Hier setzt unser Antrag an: Der Bund muss helfen, und das tut er auch. Jetzt ist auch das Land ausdrücklich in der Pflicht.

Wir fordern deshalb ein Landesinvestitionsprogramm zum qualitativen und quantitativen Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder bis sechs Jahren, um ein bedarfsgerechtes und hochwertiges Platz- und Bildungsangebot ausdrücklich für alle Kinder auf den Weg zu bringen – sonst lassen wir eine ganze Generation zurück.

Bei der Realisierung muss das Land die Kommunen unterstützen. Besondere Unterstützung benötigen auch die Erzieherinnen und Erzieher. Vor allen Dingen werden die personellen Ressourcen deutlich erhöht werden müssen.

(Beifall von der CDU)

Aus Sicht der Kinder kann Integration sicher gelingen, wenn die Verantwortlichen durchdachte Konzepte vorhalten. So berichtet die „WAZ“, auf die Frage des in Gladbeck lebenden Musikers Fard an den kleinen Niklas, ob auch Ausländer seinen Kindergarten besuchten, habe die Antwort des kleinen Jungen gelautet: „Nein, da sind Kinder!“

Die in diesem Jahr vom Land bereitgestellten 6Millionen € für zusätzliche und vor allem niederschwellige Betreuungsangebote in den Kommunen sind da eindeutig zu wenig. Sie ermöglichen den Kindern und deren Eltern eine erste Kontaktaufnahme zu unserem Kitasystem. Eine Eingliederung der Kinder in das System bedarf jedoch weiterer umfangreicher finanzieller und personeller Ressourcen.

Vor allen Dingen muss eine Eingliederung der Flüchtlingskinder in den Kitaalltag für die Kommunen bürokratiearm gestaltet werden. Dabei muss sich der besondere Unterstützungsbedarf der neu ankommenden Flüchtlingskinder auch in der Höhe eines entsprechenden Fördersatzes wiederfinden.

Ein letzter Punkt. Wichtig ist – bei allem, was wir tun –, die Flüchtlingsmütter und -väter mit einzubeziehen; denn Betreuung, Bildung und Erziehung in den Kitas und in der Kindertagespflege sind auch eine Chance, die Mütter und Väter mit unserem Bildungs- und Wertesystem vertraut zu machen. Diese Chance sollten wir gemeinsam nutzen. Deshalb bitte ich Sie, unseren Antrag zu unterstützen und im Ausschuss mit uns zu diskutieren. – Danke.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Bunse. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Hack das Wort.

Ingrid Hack (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gestrige und auch die heutige Debatte in unserem Hause hat – das haben wir alle verfolgen können – die vielfältigen Herausforderungen für alle staatlichen Ebenen thematisiert, die durch die Flucht Zehntausender Menschen nach Deutschland und damit auch nach Nordrhein-Westfalen entstanden sind, täglich neu entstehen und bewältigt werden müssen.

Dazu gehört zweifellos – das teilen wir völlig, Frau Kollegin Dr. Bunse – die Versorgung und Betreuung der hier ankommenden Kinder nicht nur mit sicherem Obdach, sondern auch mit kindgerechten Betreuungs- und Bildungsangeboten. Ihr Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, macht darauf nochmals aufmerksam und fordert zu Recht die Sicherstellung und den notwendigen Ausbau dieser Angebote ein.

Wie in allen Bereichen, für die das Land Nordrhein-Westfalen Verantwortung trägt, sind auch in der Kindertagesbetreuung in diesem Jahr Schritte unternommen worden, um für Kinder im Alter von null bis sechs Jahren Kitaplätze zusätzlich zur Verfügung zu stellen bzw. Kommunen und Träger in die Lage zu versetzen, dies zu tun. Auch wir halten die Betreuung und Bildung der Jüngsten in einer Kita für die beste Möglichkeit, sie und ihre Familien zu unterstützen und vor allem mit der Integration zu beginnen.

Alle Kinder, die zugewiesen in einer Kommune leben – ich drücke das einmal so technokratisch aus; sehen Sie mir das bitte nach – und ein Jahr alt sind, haben einen Rechtsanspruch – Sie haben es erwähnt, Frau Dr. Bunse – auf einen Kitaplatz, egal, woher die Kinder, woher die Eltern stammen. Das Land finanziert – wir sprachen hier bereits sehr häufig darüber – alle von den Jugendämtern angemeldeten Plätze. Seit August dieses Jahres ist auch dank der KiBiz-Änderungen die Finanzierung der unterjährigen Aufnahme von Kindern verbessert. Seitens des Landes steht also der Erweiterung dieses Platzangebotes überhaupt nichts im Weg.

Wie aber in allen Bereichen des alltäglichen Lebens, sei es Wohnen, sei es Schule, sei es Gesundheitsversorgung oder eben der Bereich Kindertageseinrichtungen, zeigt sich natürlich auch hier vor Ort die Herausforderung, die große Zahl Neuankommender in kurzer Zeit in vorhandene Einrichtungen, also auch Kitas, zu integrieren. Natürlich ist es auch im Bereich Kindertageseinrichtungen an vielen Stellen eine Frage von zusätzlichem Raum und von zusätzlichem Personal, die gemeistert werden muss.

Das Land hat – Sie haben es angesprochen und erwähnen es in Ihrem Antrag – 6 Millionen € für die sogenannten Brückenprojekte zur Verfügung gestellt, die mit sehr geringem Aufwand – dafür bin ich sehr dankbar – von den Jugendämtern abgerufen werden können. Diese Mittel werden erwartungsgemäß sehr gut in Anspruch genommen. In meiner Heimatstadt Köln sind beispielsweise verschiedene konfessionelle Träger, aber beispielsweise auch der Kinderschutzbund unter denjenigen, deren Projekte bewilligt wurden. Gerade heute, wenn ich mich recht erinnere, endete die zweite Antragsrunde.

Mit diesen Projekten werden Gruppen ermöglicht, die auf vielerlei Art Kinder im Kitaalter und ihre Mütter und Väter an die ihnen nicht immer vertraute institutionalisierte frühe Bildung heranführen. Sie ermöglichen zudem eine kindgerechte und eine sicherlich auch beruhigende Umgebung, so möchte ich es einmal nennen, für die Kleinsten.

Diese Projekte werden wir erstens weiterführen, zweitens ausbauen, und der Haushalt für 2016 wird dafür einen beträchtlichen Betrag neben dem für die regulären angemeldeten Kitaplätze bereitstellen. Dann ist es an Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, dem Haushalt wenigstens für diesen Bereich – das hoffe ich – zuzustimmen. Das werden wir dann sehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vor dem Hintergrund, dass wir den Antrag heute überweisen, will ich es bei diesen Anmerkungen belassen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hack. – Für die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Asch.

Andrea Asch (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig, dass wir unsere besondere Aufmerksamkeit den Flüchtlingen zuwenden. Wir wissen, ungefähr 50 % – das sind die Hälfte der Menschen, die bei uns Schutz und Zuflucht suchen – sind Kinder. Und diese Kinder haben ganz schreckliche Erfahrungen hinter sich, oft eine monatelange Flucht. Wenn sie hier ankommen und sich auf sicherem Boden befinden, müssen sie die Situation in den Massenunterkünften bewältigen. Von einer kindgerechten Umgebung kann man dort wahrlich nicht sprechen.

Deswegen brauchen diese Kinder unsere besondere Fürsorge und besondere Unterstützungsangebote.

Deswegen hat auch die Landesregierung schon vor Monaten ein Programm und 6 Millionen € bereitgestellt und in sehr enger Abstimmung mit den Wohlfahrtsverbänden und den Kirchen Maßnahmen auf den Weg gebracht. Es wurden die sogenannten Brückenprojekte aufgebaut, die vor allen Dingen in den Not- und Erstaufnahmeunterkünften wichtig sind, weil die Kinder ja aufgrund des bevorstehenden Ortswechsels keine dauerhafte Betreuung haben können.

Diese geschaffenen niedrigschwelligen Angebote wie zum Beispiel die mobile Kita, die insbesondere zu nennen ist, haben sich bewährt, und wir werden sie weiter ausbauen. Das hat Frau Ministerin Schäfer bereits in der Sitzung des Ausschusses am 17. September 2015 erklärt. Das heißt konkret: Zu den 6 Millionen €, die bereits im Haushalt stehen und die in diese Projekte fließen, kommen noch einmal – das steht im Haushaltsentwurf 2016 – 4,5 Millionen € hinzu.

In den kommunalen Unterbringungseinrichtungen ist die Kinderbetreuung mit den finanziellen Pauschalen für die Betreiber eigentlich abgedeckt. Mit diesem Geld sollen Spielstuben oder Eltern-Kind-Gruppen eingerichtet werden. Ich sage „eigentlich“, weil wir Rückmeldungen aus den Kommunen haben – die Medien haben das als Problem aufgegriffen –, dass diese Kinderbetreuungsmöglichkeit nicht überall in den Unterkünften realisiert wird.

Hier ist es Aufgabe der kommunalen Kontrolle oder auch der Bezirksregierungen, sicherzustellen, dass dieses Betreuungsangebot, für das die Betreiber ja die finanziellen Mittel erhalten, auch umgesetzt und vorgehalten wird. Das ist ein Punkt, den wir sicher noch einmal gemeinsam anschauen und im Ausschuss besprechen sollten.

Viele Flüchtlingsfamilien kennen aus ihren Heimatländern das Angebot der frühkindlichen Bildung als Regelangebot nicht. Deswegen soll mit diesen niedrigschwelligen Maßnahmen eine Überleitung in die Kita oder in die Kindertagespflege erreicht werden. Denn die frühkindliche Bildung ist der Grundstein für die Integration, den Spracherwerb und natürlich auch für das erfolgreiche Lernen in der Schule.

Klar ist aber – das hat Frau Kollegin Hack eben gesagt und das sollte eigentlich auch die CDU-Opposition wissen, Frau Dr. Bunse –, dass jedes Kind einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz in Nordrhein-Westfalen hat. Das heißt natürlich, dass wir für die Flüchtlingskinder zusätzliche Plätze brauchen. Das ist aber im Haushaltsentwurf bereits so vorgesehen. Auch Herr Kollege Tenhumberg hat das heute Morgen nicht wissen wollen oder er weiß es tatsächlich nicht, aber ich empfehle ihm, sich mit dem Haushaltsentwurf intensiver zu beschäftigen.

Auf Seite 65 finden wir das. Es gibt 840 Neuplätze für die U3-Kinder und 3.600 Plätze für die Kinder über drei. Das findet sich auf Seite 65 des Einzelplans; das nur als Förderhinweis.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir werden diese Platzzahlen entsprechend den wachsenden Bedarfen weiter anpassen müssen. Insofern braucht es aber nicht die Aufforderung der CDU-Fraktion; der Prozess ist bereits im Gange. Auch ich bin – das muss ich sagen – sehr gespannt, ob die CDU-Fraktion dann auch entsprechende Haushaltsanträge vorlegen wird, damit das, was Sie hier im Antrag fordern, auch substanziell mit Haushaltsmitteln unterlegt werden kann.

Ebenso wenig ist es nötig, wie Sie das in Ihrem Antrag schreiben, zu fordern, dass eine unterjährige Aufnahme in die Kitas möglich sein soll. Auch da ist Ihnen offenbar wieder etwas entgangen. Das haben wir im zweiten KiBiz-Änderungsgesetz bereits geregelt. Die unterjährigen Aufnahmen sind möglich. Das heiß: Auch hier sind Sie offenbar nicht ganz à jour.

Meine Damen und Herren, es ist gut, wenn wir die Situation der Flüchtlingskinder im Ausschuss weiter in den Blick nehmen. Wir haben das bereits gemacht. Frau Ministerin Schäfer hat auch den Obleuten angeboten, sie regelmäßig darüber zu unterrichten. Ich würde mich freuen, wenn Sie, Frau Kampmann, das weiterführen würden.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Andrea Asch (GRÜNE): Dieser Antrag kann für die weiteren Beratungen zu dem Thema im Ausschuss nur Anlass, aber sicher nicht Leitlinie unserer Beratungen sein. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der großen Zahl an Flüchtlingskindern, die derzeit nach Nordrhein-Westfalen kommen, ist es in der Tat an der Zeit, über die Herausforderungen zu diskutieren, die sich zukünftig für die Kindertagesbetreuung ergeben. Denn die Aufgaben, vor denen unsere Erzieherinnen, Erzieher und Tageseltern stehen, sind unbestritten groß.

Der Umgang mit traumatisierten Kindern, die keine oder kaum Deutschkenntnisse haben, wird viel Einfühlungsvermögen, Geduld und Arbeit erfordern. Das hat die CDU in der im Antrag geschilderten Ausgangslage auch sehr richtig beschrieben.

Wie viele Flüchtlingskinder zwischen null und sechs Jahren in den nächsten Jahren hier zusätzlich leben werden, ist allerdings völlig unklar. Frau Ministerin Kampmann, da sind Sie nun gefordert. Wir brauchen dringend Zahlen, Kalkulationen, vorläufig zumindest Schätzungen, wie sich die Zahl der zusätzlich zu betreuenden Kinder in Nordrhein-Westfalen entwickeln wird.

Die FDP-Fraktion hatte bereits mit zwei Kleinen Anfragen Ende des vergangenen Jahres bzw. Anfang des Jahres auf diese Problematik hingewiesen. Handlungsbedarf wurde vonseiten der Landesregierung damals jedoch noch nicht gesehen. Ich hoffe, dass die aktuelle Entwicklung zu einem Umdenken geführt hat. Ich habe allerdings eine gewisse Skepsis, ob der im CDU-Antrag geforderte zusätzliche Fördersatz für Flüchtlingskinder tatsächlich der beste Weg ist, die Integration und Bildung von Flüchtlingskindern voranzutreiben.

Wir Freien Demokraten wollen zu den bereits existierenden, vielfältigen, bürokratiebeladenen Pauschalen eigentlich keine weiteren. Unser Kitafinanzierungssystem muss zunächst grundsätzlich auf solide Beine gestellt werden. Denn wenn wir die Auskömmlichkeit der Kindpauschalen wieder herstellen, ist auch wieder eine solide Grundfinanzierung der Betreuung von Flüchtlingskindern gesichert.

Neben der Auskömmlichkeit der Kindpauschalen ist es aus meiner Sicht die Sprachförderung, bei der die Landesregierung ansetzen muss. Dass derzeitige, von Rot-Grün geschaffene System der Finanzierung der Sprachförderung ist leider überhaupt nicht passgenau. Die Kommunen haben die Verteilung der Sprachfördermittel jetzt teilweise auch schon für die nächsten Jahre beschlossen. In ganz Nordrhein-Westfalen erhalten nur 40 % der Einrichtungen Sprachförder- und/oder plusKITA-Mittel. Trotz des erheblichen zusätzlichen Sprachförderbedarfs werden viele Flüchtlingskinder keinen Platz in einer Kita bekommen, in der es auch Mittel für eine zusätzliche Förderung gibt. Hier offenbart sich die große Schwäche Ihres Verteilungsschlüssels. Ihr Prinzip, Ungleiches ungleich behandeln, ist endgültig ad absurdum geführt.

Meine Damen und Herren, es gibt und gab viel berechtigte Kritik an Delfin 4. Der große Vorteil dieses Verfahrens war jedoch, dass zusätzlicher Sprachförderbedarf in Kindertageseinrichtungen nicht übersehen werden konnte.

(Beifall von der FDP)

Es deutet sich nun an, dass die Abschaffung dieses Screenings in Kindertageseinrichtungen ein Fehler war.

(Beifall von der FDP – Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Die Integration von Flüchtlingskindern darf nicht daran scheitern, dass sich die rot-grüne Landesregierung aus ideologischen Gründen weigert, den Sprachstand der Kinder in Kindertageseinrichtungen festzustellen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Zudem ist Delfin 4 auch gar nicht komplett abgeschafft. Es gilt ja noch für die Kinder, die nicht in einer Kindertageseinrichtung sind. Im CDU-Antrag sind auch Forderungen, die ich voll und ganz teile. So sind schnelle und unkomplizierte Regelungen zur unterjährigen Aufnahme von Kindern in Kindertageseinrichtungen grundsätzlich längst überfällig.

(Ingrid Hack [SPD]: Das steht im KiBiz, Herr Hafke!)

In einem Kindergartenjahr können sich die Lebensumstände rapide verändern. Da sind flexible Lösungen ganz einfach ein Gebot der Zeit.

Die Landesregierung darf sich außerdem bei dem Ausbau von Betreuungsplätzen nicht nur auf die Mittel des Bundes verlassen. Das hatten wir heute Morgen schon diskutiert. Diese allein werden angesichts des steigenden Bedarfs nicht ausreichen. Zudem werden wir auch wieder mehr Ü3-Plätze schaffen müssen.

Kollegin Asch, diese Landesregierung hat in dem aktuellen Haushalt keinen zusätzlichen Cent für weitere Investitionsmittel Ü3 vorgesehen. Das ist der Vorwurf, den ich Ihnen heute Morgen gemacht habe und jetzt wiederhole. Bei diesem Ansturm von Flüchtlingskindern den Kommunen keine zusätzlichen Mittel für Investitionen zur Verfügung zu stellen, ist ein völlig falscher Ansatz, der auch noch in die Irre führen wird.

Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, die Landesregierung muss hier endlich Verantwortung übernehmen und den Kommunen die entsprechenden finanziellen Mittel für die Investitionen zur Verfügung stellen. Dann kann der Flüchtlingsansturm in den Kitas auch bewältigt werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Wegner.

Olaf Wegner*) (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und der letzte auf der Tribüne!

(Zuruf von der SPD: Zwei!)

– Zwei. Oh! Ja, dann alle beide – Entschuldigung –, einen nicht gesehen.

In diesem Jahr kamen viele Kinder, die vor Elend, Hunger und Krieg geflohen sind, nach Deutschland und somit auch nach Nordrhein-Westfalen, und es werden noch viele weitere kommen. Gestatten Sie mir eine Bemerkung: Das ist auch gut so. Nicht, dass sie fliehen müssen – nicht, dass wir uns da missverstehen –, sondern dass sie, wenn sie schon fliehen müssen, in Deutschland ankommen. Das ist gut so.

Ein so reiches Land wie Deutschland müsste aufgrund der Flüchtlingslage sichere Fluchtwege nach Deutschland einrichten und sichern, statt mit militärischen Mitteln zusammen mit den anderen EU-Staaten die Grenzen nach Europa versuchen dichtzumachen. Aber das ist ein anderes Thema. Wir Piraten jedenfalls freuen uns über jeden Flüchtling, der es bis zu uns geschafft hat. Refugees welcome! Kommt zu uns!

Die meisten Flüchtlingskinder sind nicht nur vor Hunger und Krieg geflüchtet, sondern auch traumatisiert, traumatisiert von dem Leid, welches sie in ihrer Heimat und auf der Flucht ertragen mussten, Leid, welches unter anderem mit deutschen Waffen und durch deutsche Politik verursacht wurde und immer noch wird, Leid, auf dem wir hier in diesem Land einen Teil unseres Wohlstands aufgebaut haben. Ich sage nur: Waffenlieferungen sichern Arbeitsplätze.

Ich könnte mich übergeben bei all der Arroganz und Dekadenz, mit dem dieses Thema in Deutschland behandelt wird. Da heißt es zum Beispiel: Wir können nicht alle Flüchtlinge der Welt aufnehmen,

(Zuruf von der CDU)

aber Waffen in die ganze Welt liefern, das können wir. Man muss Verantwortung für sein Handeln übernehmen und die Konsequenzen ertragen. Dass jetzt so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, hat Deutschland zum großen Teil durch seine Außen-, Handels- und Wirtschaftspolitik mit verursacht.

Ich erwähne diese Zusammenhänge, um zu verdeutlichen, welche moralische Verpflichtungen die Menschen in Deutschland und somit auch in Nordrhein-Westfalen gegenüber den Flüchtlingen haben und damit natürlich auch besonders gegenüber den flüchtenden und oftmals traumatisierten Kindern.

Kommen wir jetzt konkret zum Antrag der CDU-Fraktion. Der Antrag der CDU-Fraktion ist in unseren Augen ein Skandal. Dass wir uns da nicht missverstehen: Nicht der Inhalt des Antrags ist der Skandal, sondern der Umstand, dass er überhaupt gestellt werden muss. Gestellt werden muss er, weil die Landesregierung ihren moralischen Verpflichtungen gegenüber den Flüchtlingskindern nicht ausreichend nachkommt.

In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, ausdrücklich für diesen Antrag bedanken, da er ein sehr großes Manko bei der Betreuung von Flüchtlingskindern aufzeigt.

Wie die CDU-Fraktion in ihrem Antrag dargelegt hat, wird über kurz oder lang für immer mehr Flüchtlingskinder ein Anspruch auf einen Kitaplatz in Nordrhein-Westfalen geltend gemacht werden. Die Zahlen werden nicht nur zahlenmäßig, sondern über eine lange Zeit auch anteilsmäßig steigen, nicht zuletzt durch die von der Landesregierung unterstützten Brückenprojekte in den Kommunen, die wir sehr begrüßen.

Das ist auch das, was wir wohl alle wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar den Anteil der Kinder und somit natürlich auch den Anteil der Flüchtlingskinder, die Betreuung und Bildung in Kitas genießen, zu erhöhen. Darin sind wir uns hoffentlich einig.

Neben den steigenden Bedarfszahlen wirft der Antrag der CDU-Fraktion aber auch die Frage auf, ob der finanzielle Aufwand, den das Land für die Betreuung und Bildung von Flüchtlingskindern pro Kind aufbringen muss, höher ist als für Nichtflüchtlingskinder. Dazu sagen wir Piraten ganz klar und deutlich: Ja. Denn die Betreuung eines traumatisierten Kindes, das Krieg, Gewalt, Hunger und Flucht erleiden musste, benötigt mehr personelle Ressourcen als die Betreuung nicht traumatisierter Kinder. Und personelle Ressourcen kosten nun einmal Geld. So einfach ist das.

Da wir als Deutschland und damit auch als Nordrhein-Westfalen – wie ich am Anfang meiner Rede dargelegt habe – nicht unschuldig an der Flucht und an der Traumatisierung dieser Kinder sind, ist es unsere moralische Pflicht, die finanziellen Mittel dafür bereitzustellen, damit diese Kinder angemessen betreut werden können. In diesem Sinne freue ich

mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Kampmann das Wort.

Christina Kampmann, Ministerin Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie können uns glauben, es ist ein zentrales Anliegen der Landesregierung, die Flüchtlinge, die derzeit zu uns kommen, auch bestmöglich zu versorgen. Es geht uns dabei nicht nur darum, ihnen ein Dach über dem Kopf zu bieten, nein, wir haben natürlich auch die Eingliederung in den Kitaalltag im Blick, liebe Frau Dr. Bunse.

Integration vom ersten Tag an muss hier das Stichwort sein. Das schaffen wir aber nur, wenn wir uns alle gemeinsam dafür stark machen und den jungen Menschen, die zu uns kommen, eine echte Chance geben. Die Förderung und Sprachbildung im Elementarbereich, die eng an den individuellen Bedarfen der Kinder ausgerichtet ist, ist für die Integrations- und Bildungschancen von Flüchtlingskindern dabei enorm wichtig. Die Kinder, die zu uns kommen, sollen deshalb von Angeboten der Kindertagesbetreuung profitieren, und zwar von Anfang an. Das ist für uns ein ganz wesentlicher Punkt in dieser Debatte.

Nach der Zuweisung an eine Kommune haben Flüchtlingskinder einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, so, wie alle anderen Kinder auch. Das Land fördert diese Plätze im Finanzierungssystem des Kinderbildungsgesetzes. Dabei gibt es seit diesem Kindergartenjahr im KiBiz eine wichtige Änderung, die Sie in Ihrem Antrag auch ansprechen. Seit dem 1. August dieses Jahres ist nämlich sichergestellt, dass auch bei der unterjährigen Aufnahme der Kitabesuch von Kindern vom ersten Tag an ohne Abzüge finanziert wird, lieber Herr Hafke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das erleichtert den Trägern die zeitnahe Aufnahme von Flüchtlingskindern.

Die Kommunen und die örtliche Jugendhilfeplanung stehen bei dem Thema „Kindertagesbetreuung“ aber noch vor ganz anderen Herausforderungen. Im laufenden Kindergartenjahr stehen in Nordrhein-Westfalen rund 572.000 Kitaplätze zur Verfügung. Das Land hat derzeit bereits weitere Mittel für weitere 4.500 Kindpauschalen eingeplant, insbesondere für Flüchtlingskinder.

Um darüber hinaus noch Plätze zu schaffen und die Betreuungsqualität zu sichern, werden wir die Träger von Kindertagesbetreuungsangeboten im kommenden Jahr noch zusätzlich unterstützen. Das hat im Übrigen die Ministerpräsidentin in ihrer Unterrichtung zur Flüchtlingspolitik Anfang September angekündigt.

Ich bin sehr froh, dass im Rahmen des Flüchtlingsgipfels in der vergangenen Woche entschieden worden ist, die Mittel aus dem Betreuungsgeld für Verbesserungen bei der Kinderbetreuung einzusetzen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Weichen für eine bessere finanzielle Unterstützung sind an dieser Stelle ganz klar gestellt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Von den Trägern, Verbänden und örtlichen Jugendämtern wissen wir auf der anderen Seite aber auch, dass nicht alle Eltern ihre Kinder sofort in eine Betreuung geben können oder wollen: oftmals wegen belastender Flüchtlingserfahrung – auch das ist in dieser Debatte zum Tragen gekommen – und wegen Sprachbarrieren.

Die Landesregierung hat deshalb schnell und sehr bedarfsorientiert gehandelt. Wir haben zusätzliche Mittel bereitgestellt, um Flüchtlingskindern und deren Eltern an institutionalisierte Formen der Kindertagesbetreuung heranzuführen. In diesen sogenannten Brückenprojekten werden die Kinder gezielt und nach ihren ganz spezifischen Bedürfnissen gefördert. Für Erstaufnahmeeinrichtungen und Zentrale Unterbringungseinrichtungen des Landes ist in den entsprechenden Leistungsanforderungen geregelt, dass Ausstattung und Betrieb einer Kinderspielstube unter Einsatz von geeignetem Personal sichergestellt werden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel ist es, Flüchtlingskinder so früh wie möglich erstens einzubeziehen, zweitens zu fördern und drittens ihre Familien entsprechend zu unterstützen. Davon profitieren Familien, und davon profitiert unsere gesamte Gesellschaft. – Ich freue mich dabei auf Ihre Unterstützung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin Kampmann. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir auch am Ende dieser Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/9802 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dagegen stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so. Der Überweisungsempfehlung ist zugestimmt.

Wir sind am Ende unserer heutigen Plenarsitzung.


Ich berufe das Plenum wieder ein für Mittwoch, den 4. November 2015, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend, Ihnen und Ihren Familien eine angenehme sitzungsfreie Zeit und, wenn Sie Gelegenheit zur Erholung haben, auch eine gute Erholung. Alles Gute!

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 19:04 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.


Anlage

Schriftliche Beantwortung
der Mündlichen Anfrage 71

Die Mündliche Anfrage 71 der Abgeordneten Angela Freimuth (FDP) lautet:

Wie gestaltet sich der Haftpflicht- und Unfallversicherungsschutz für Ärztinnen und Ärzte, die ehrenamtlich Flüchtlinge untersuchen?“

Angesichts der großen Zahl neu ankommender Flüchtlinge und der nicht ausreichenden personellen Kapazitäten des Öffentlichen Gesund-heitsdienstes zeichnen sich erhebliche Engpässe bei der Organisation der Eingangs- und Röntgen-untersuchungen ab. Um die Ausbreitung von Infektionen zu vermeiden und notwendige Behandlungen umgehend einzuleiten, sind aber frühzeitige medizinische Untersuchungen aller neu ankommenden Flüchtlinge unabdingbar.

Eine große Hilfe in der Durchführung der Unter-suchungen besteht im Einsatz von freiwillig bzw. ehrenamtlich tätigen Ärztinnen und Ärzten. Die Bereitschaft zum Engagement wird aber teilweise dadurch eingeschränkt, dass Unsicherheit über den Versicherungsschutz besteht.

Die ärztliche Berufshaftpflicht umfasst je nach individuellem Versicherungsvertrag teilweise keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Bei einer eh-renamtlichen Untersuchung und Behandlung von Flüchtlingen in vom Land betriebenen Ein-richtungen bzw. bei einer Vergütung durch das Land besteht grundsätzlich eine Absicherung im Rahmen der Staatshaftung. Eine entsprechende Amtshaftung der jeweiligen Kommune kommt auch bei einer Tätigkeit in kommunalen Einrichtungen bzw. auf Grundlage eines kommunalen Auftrages infrage. Zudem besteht für ehren-amtliches Engagement ein nachrangiger Schutz durch die pauschale Absicherung über den Haftpflicht-Sammelversicherungsvertrag des Landes.

Beim Unfallschutz kann eine Absicherung über die gesetzliche Unfallversicherung in der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege bzw. in der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen infrage kommen. Für ehrenamtlich Engagierte, die nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen, besteht ein pauschaler Versicherungsschutz über den privatwirtschaftlichen Unfall-Sammelversicherungs-vertrag des Landes.

Angesichts der Vielzahl der Möglichkeiten der Absicherung bedarf es der öffentlichen Klarstellung, in welcher Konstellation welcher Versicherungsschutz vorrangig greift.

Die schriftliche Antwort der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter lautet:

In der Mündlichen Anfrage 16/9822 vom 28.09.2015 wird die grundsätzliche Forderung aufgestellt, den Versicherungsschutz für Ärztinnen und Ärzte aufzuzeigen, wenn sie in Flüchtlingsunterkünften ärztlich tätig sind. Dabei solle unterschieden werden zwischen

     –     Behandlungsfehlern der Ärztinnen und Ärzte sowie

–     ihrem eigenen Unfallversicherungsschutz.

Zum ersten Punkt hat MGEPA bereits mit Erlass vom 17.09.2015 an die unteren Gesundheitsbehörden umfassend Stellung genommen. Entsprechende Informationen waren den Ärztekammern am 04.09.2015 zur Kenntnis gegeben worden. Diese haben sie auf ihren Homepages eingestellt.

Zu den Inhalten:

–     Soweit Ärztinnen und Ärzte in Landeseinrichtungen ehrenamtlich, angestellt, auf Honorarbasis, nebenamtlich, in Nebentätigkeit entgeltlich oder unentgeltlich tätig sind und Behandlungsfehler aufgetreten sind, kommt eine Staatshaftung in Betracht.

–     Dies gilt sowohl für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte als auch aktivierte Pensionärinnen und Pensionäre, Selbstständige, in Krankenhäusern beschäftigte Ärztinnen und Ärzte oder sonstige in- und ausländische Kräfte, die in Landeseinrichtungen mit Zustimmung des Landes tätig sind.

–     Die aktuelle Rechtsprechung – vgl. OLG Hamm vom 22.05.2015 – I-11 U 101/ 14 – betont, dass die Tätigkeit noch zum Bereich hoheitlicher Betätigung gehören muss, es also auf die Funktion bzw. Aufgabe des Handelnden ankommt. Der Staat muss damit grundsätzlich einverstanden sein. Zudem muss das Land unmittelbare Einflussmöglichkeiten auf die Tätigkeit haben, sie also erlauben oder verbieten können. Diese Voraussetzungen müssen im Einzelfall erfüllt sein.

–     Soweit Behandlungsfehler vorsätzlich oder grob fahrlässig gemacht worden sind, hat das Land eine Rückgriffsmöglichkeit gegenüber den betreffenden Ärztinnen und Ärzten.

–     Auf die eigene Haftpflichtversicherungssituation der handelnden Ärztinnen und Ärzte kommt es nicht an. Diese könnte allenfalls in Rückgriffssituationen eine Rolle spielen.

Zum zweiten Punkt (Unfallversicherungsschutz) ist zu sagen:

–     Soweit Ärztinnen und Ärzte ehrenamtlich im Auftrag einer Kommune oder des Landes NRW tätig werden, besteht Unfallversicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung über die Unfallkasse NRW. Die Zahlung einer Aufwandsentschädigung zur Abgeltung von tatsächlichem Mehraufwand steht dem Versicherungsschutz nicht entgegen.

–     Selbstständig tätige Honorarärztinnen und ?ärzte sind von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung befreit. Sie können sich aber auf schriftlichen Antrag bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege freiwillig versichern.

–     Im Falle der Entsendung einer angestellten Ärztin/eines angestellten Arztes besteht ebenfalls ein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz über den jeweils zuständigen Unfallversicherungsträger.