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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/91

16. Wahlperiode

03.09.2015

91. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 3. September 2015

Mitteilungen der Präsidentin. 9311

1   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9300

erste Lesung

In Verbindung mit:

Finanzplanung 2015 bis 2019 mit Finanzbericht 2016 des Landes Nordrhein-Westfalen

Drucksache 16/9301

Und:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2016 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2016 – GFG 2016) und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9302

erste Lesung

Sowie:

Gemeindefinanzierung reformieren – GFG 2016 demographiefest ausgestalten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9598. 9311

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 9311

Armin Laschet (CDU) 9316

Norbert Römer (SPD) 9323

Christian Lindner (FDP) 9328

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 9335

Michele Marsching (PIRATEN) 9339

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 9345

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 9351

Stefan Zimkeit (SPD) 9354

Christian Lindner (FDP) 9356

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 9358

Dietmar Schulz (PIRATEN) 9361

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 9363

Michele Marsching (PIRATEN) 9365

Ralf Witzel (FDP) 9365

Gemeindefinanzierungsgesetz 2016. 9366

Minister Ralf Jäger 9366

Ralf Nettelstroth (CDU) 9367

Michael Hübner (SPD) 9370

Thomas Nückel (FDP) 9372

Mario Krüger (GRÜNE) 9374

Dietmar Schulz (PIRATEN) 9376

Minister Ralf Jäger 9378

Ergebnis. 9379

2   Verteilnetze fit für die Zukunft machen: Investitionen ermöglichen, Energiewende gestalten – Zur Novelle der Anreizregulierungsverordnung

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9582. 9380

Frank Sundermann (SPD) 9380

Josef Hovenjürgen (CDU) 9381

Wibke Brems (GRÜNE) 9381

Dietmar Brockes (FDP) 9382

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 9383

Minister Garrelt Duin. 9384

Ergebnis. 9385

3   Landesregierung muss Breitbandförderfonds für flächendeckendes schnelles Internet in allen Kommunen auflegen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9596

In Verbindung mit:

Ohne Glasfaser-Strategie verhindert die Landesregierung den Sprung in die Gigabit-Gesellschaft

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9591. 9386

Ralph Bombis (FDP) 9386

Michele Marsching (PIRATEN) 9387

Alexander Vogt (SPD) 9388

Thorsten Schick (CDU) 9389

Matthi Bolte (GRÜNE) 9390

Minister Garrelt Duin. 9391

Ergebnis. 9393

4   Mehr Pflegepersonal für eine menschliche Versorgung und Patientensicherheit

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9586 – Neudruck. 9393

Daniel Düngel (PIRATEN) 9393

Angela Lück (SPD) 9394

Oskar Burkert (CDU) 9395

Arif Ünal (GRÜNE) 9396

Susanne Schneider (FDP) 9398

Ministerin Barbara Steffens. 9399

Ergebnis. 9400

5   Informationsfreiheit darf nicht an der Universitätstür Halt machen! – Landesregierung muss endlich für Transparenz sorgen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9589. 9400

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 9400

Dietmar Bell (SPD) 9401

Lothar Hegemann (CDU) 9402

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 9403

Angela Freimuth (FDP) 9404

Ministerin Svenja Schulze. 9405

Ergebnis. 9406

6   Deutsch als europäische Sprache stärken

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9515. 9406

Ilka von Boeselager (CDU) 9407

Volker Münchow (SPD) 9407

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 9408

Dr. Ingo Wolf (FDP) 9409

Nicolaus Kern (PIRATEN) 9410

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 9410

Ergebnis. 9412

7   Netzneutralität ist zum Abschuss freigegeben: Pläne von EU-Kommissar Oettinger lassen das freie und offene Internet sterben

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9590. 9412

Nicolaus Kern (PIRATEN) 9412

René Schneider (SPD) 9413

Robert Stein (CDU) 9414

Matthi Bolte (GRÜNE) 9415

Thomas Nückel (FDP) 9417

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 9417

Ergebnis. 9418

8   Modellprojekt zur gesicherten Abgabe von Cannabis für Erwachsene

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9587

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9658. 9418

Lukas Lamla (PIRATEN) 9418

Serdar Yüksel (SPD) 9419

Oskar Burkert (CDU) 9421

Arif Ünal (GRÜNE) 9421

Susanne Schneider (FDP) 9423

Ministerin Barbara Steffens. 9424

Lukas Lamla (PIRATEN) 9425

Dr. Gerhard Papke (FDP)
gem. § 47 Abs. 2 GeschO
zu Protokoll (siehe Anlage 1)

Ergebnis. 9426

9   Sexuelle Gewalt an Frauen und Männern mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung konsequent bekämpfen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5555

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation
Drucksache 16/9606. 9427

Regina Kopp-Herr (SPD) 9427

Regina van Dinther (CDU) 9428

Josefine Paul (GRÜNE) 9429

Susanne Schneider (FDP) 9430

Marc Olejak (PIRATEN) 9431

Minister Guntram Schneider
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)

Ergebnis. 9431

Anlage 1. 9433

Zu TOP 8 – „Modellprojekt zur gesicherten Abgabe von Cannabis für Erwachsene“ – von Dr. Gerhard Papke (FDP) nach § 47 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene schriftliche Begründung seiner Abstimmung

Anlage 2. 9435

Zu TOP 9 – „Sexuelle Gewalt an Frauen und Männern mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung konsequent bekämpfen!“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Guntram Schneider 9435


Entschuldigt waren:

 

Minister Garrelt Duin    
(ab 19 Uhr)

Minister Thomas Kutschaty      
(ab 13:30 Uhr)

Thomas Eiskirch (SPD)
(ab 15:30 Uhr)

Stephan Gatter (SPD)

Uli Hahnen (SPD)

Jochen Ott (SPD)

Dr. Wilhelm Droste (CDU)

Christian Haardt (CDU
(ab 14 Uhr)

Heiko Hendriks (CDU)

Matthias Kerkhoff (CDU)          
(von 12 bis 15 Uhr)

Thomas Kufen (CDU)   
(ab 17:30 Uhr)

Andrea Milz (CDU)       
(ab 13 Uhr)

Ina Scharrenbach (CDU)           
(bis 13 Uhr)

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU)       
(bis 15 Uhr)

Dagmar Hanses (GRÜNE)        
(von 11 bis 16 Uhr)

Martina Maaßen (GRÜNE)        
(ab 18 Uhr)

Hans Christian Markert (GRÜNE)

Verena Schäffer (GRÜNE)

Kai Abruszat (FDP)      
(ab 11 Uhr)

Ingola Schmitz (FDP)

Dirk Wedel (FDP)        
(ab 14 Uhr)

Lukas Lamla (PIRATEN)           
(bis 16 Uhr)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)

Kai Schmalenbach (PIRATEN)

 


Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Guten Morgen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie zu unserer heutigen, der 91. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Willkommensgruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich zehn Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Auch heute dürfen wir einem Kollegen zum Geburtstag gratulieren. Ganz herzlich gratulieren wir Herrn Kollegen Matthias Kerkhoff aus der CDU-Fraktion zu seinem 36. Geburtstag. Die Zahl darf man bei einem so herrlich jungen Alter nennen.

(Beifall von allen Fraktionen)

Alles Liebe, alles Gute!

Nachdem die Kolleginnen und Kollegen Herrn Kerkhoff auch persönlich gratuliert haben, treten wir ein in die Beratung der heutigen Tagesordnung.

Ich rufe auf:

1   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9300

erste Lesung

In Verbindung mit:

Finanzplanung 2015 bis 2019 mit Finanzbericht 2016 des Landes Nordrhein-Westfalen

Drucksache 16/9301

Und:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2016 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2016 – GFG 2016) und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9302

erste Lesung

Sowie:

Gemeindefinanzierung reformieren – GFG 2016 demographiefest ausgestalten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9598

Zur Einbringung des Entwurfes des Haushaltsgesetzes 2016 sowie der Finanzplanung 2015 bis 2019 und des Finanzberichts 2016 erteile ich nunmehr für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort. Herr Minister, das Redepult ist für die nächsten Minuten Ihres.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwischen dem 23. Juni 2015 – das war der Tag, an dem das Landeskabinett den Haushaltsentwurf 2016 beschlossen hat – und dem 3. September 2015, also dem heutigen Tag der Einbringung und der ersten Lesung im Landtag, haben sich unser Land, Deutschland und Europa verändert. Vom heutigen Tag bis zur geplanten Schlussabstimmung am 16. Dezember 2015 wird sich noch mehr in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland und in Europa verändern.

Das alles enthebt uns aber nicht der Verpflichtung, die finanzielle Grundlage für die Politik in unserem Land gewissenhaft zu planen und Veränderungen Schritt für Schritt aufzunehmen und im Haushalt abzubilden, ohne die Ziele aus dem Auge zu verlieren, die uns die Verfassung unseres Landes, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, aber auch die Verantwortung für die hier lebenden und für die hierher kommenden Menschen auferlegen. Deshalb steht diese Einbringung unter ungewöhnlichen Vorzeichen.

Wir wissen, dass dieser Haushalt vom Parlament sicher nicht so beschlossen werden wird, wie er heute eingebracht wird. Demjenigen, der behauptet, er hätte das bei der Kabinettsbefassung schon gewusst – wir haben gestern gehört, welche Zahlen beim Flüchtlingsgipfel prognostiziert worden sind –, würde ich raten, auf dem Jahrmarkt als Wahrsager aufzutreten. Da kann man eine Menge Geld verdienen und darf auch schon mal danebenliegen.

In der Haushaltsberatung 2016 wird Flexibilität gefordert sein. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, auch im Bund, in den anderen Ländern und in den Kommunen wird es enormen Anpassungsbedarf im Rahmen von Haushaltsaufstellung, Haushaltseinbringung und Haushaltsberatung geben.

Die Regeln für die parlamentarische Haushaltsberatung in diesem Landtag bieten dazu ausreichend Möglichkeiten. Ja – das kann ich jetzt schon sagen –, wir werden eine Ergänzungsvorlage brauchen, und es ist für 2015 ein weiterer Nachtrag erforderlich. Ich denke, es ist keine Prophetie, wenn ich sage: Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir auch in 2016 einen Nachtrag zum Haushalt 2016 benötigen werden.

Der Haushaltsentwurf ist also ohne Frage eine fortschreibungsbedürftige Momentaufnahme, Stand zunächst einmal: Juni 2015. Aber die Arbeiten an der notwendigen Ergänzung laufen auf Hochtouren. So stellen wir sicher, dass wir rechtzeitig vor dem Jahresende einen Haushalt auf dem dann aktuellen Stand verabschieden. Aber, wie gesagt, auch an dem Dezembertag wird der Stand nicht abschließend sein.

Warum lege ich nicht schon heute eine Ergänzung vor? – Weil die Dynamik im Augenblick besonders groß ist, weil jede Aktualisierung morgen obsolet wäre, vor allem aber, weil erst Ende September die Regierungschefs und ?chefinnen mit der Kanzlerin über die angemessene Beteiligung des Bundes reden werden und weil erst Anfang November Klarheit über die zu erwartenden Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen bestehen wird.

Klar ist, dass die humanitäre und integrative Verantwortung vor Ort liegt: bei den Ländern und Kommunen. Klar ist aber auch, dass die finanzielle Verantwortung für den Zerfall Syriens oder Libyens nicht auf der Ebene der Länder oder der Kommunen abzubilden ist. Sollen wir womöglich jetzt schon Vorsorge für weitere, noch gar nicht existierende Konfliktherde in der Welt einplanen? Für welche in welcher Höhe? Und sollen wir dafür schon mal vorsorglich Infrastruktur und Bildung herunterfahren? Das wäre wohl eine etwas seltsame Debattengrundlage.

Der heute eingebrachte Entwurf gibt mir aber auch in dieser Fassung die Gelegenheit, zu zeigen, dass der Haushalt auch 2016 die anderen großen Aufgaben für das Land nicht außer Acht lässt. Sie behalten auch Bestand, wenn wir das Zahlenwerk um die große Aufgabe der Aufnahme, der Betreuung und der Integration von Menschen auf der Flucht ergänzen werden.

Meine Damen und Herren, auch im Haushalt 2016 werden wir die Schwerpunkte der letzten Jahre fortsetzen und unsere politische Zielrichtung deutlich machen. Wir werden auch in Zukunft viel Geld für die Bildung ausgeben. Familien werden in Nordrhein-Westfalen spürbar entlastet. Der Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren, das beitragsfreie letzte Kindergartenjahr, zusätzliche Mittel für schulische Inklusion und das Studieren ohne Studiengebühren bleiben eine wichtige Grundlage einer sozial gerechten Politik, die allen Kindern und jungen Erwachsenen gleiche Bildungschancen bietet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nordrhein-Westfalen bleibt ein Bildungsland.

Für die frühkindliche Bildung werden im Haushalt 2016 insgesamt rund 2,43 Milliarden € zur Verfügung gestellt. Das sind 4,5 % mehr als im Vorjahr. Zusätzlich erhalten wir für den Zeitraum 2016 bis 2018 noch 118 Millionen € Investitionsmittel aus dem Bundesprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“. Dementsprechend planen wir bis zum Kindergartenjahr 2016/17 im U3-Bereich rund 10.000 neue Kitaplätze. Das bedeutet weitere rund 7.300 U3-Plätze in den Kindertageseinrichtungen und zusätzliche 2.700 Plätze in der Kindertagespflege. Das ist eine konsequente Fortsetzung der erfolgreichen Politik der letzten Jahre.

Die Landesregierung wird sich dafür einsetzen, dass die beim Bund freigewordenen Mittel zum verfassungswidrigen Betreuungsgeld den Ländern für den Kitaausbau zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Damit landet das Geld endlich dort, wo es hingehört. Wir brauchen mehr Förderung von Kindern und keine Prämien für das Fernhalten von Kindern aus den Kitas.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Wir werden auch hohe Investitionen im Schulbereich vornehmen. Um den Umbau der Schullandschaft auf der Basis des Schulkonsenses im Haushaltsjahr 2016 fortführen zu können, bleiben die Demografiegewinne im System und steigern so die Personalausgaben rechnerisch um 773 Millionen €. Das kommt eins zu eins den Schülern zugute.

Besonders zu erwähnen wäre hierbei noch der weitere Ausbau des offenen Ganztags. Am Ende des Schuljahrs 2016/17 werden wir insgesamt 292.600 Plätze im offenen Ganztag im Primarbereich fördern. Das sind 10.000 zusätzliche Plätze, die der Bildung der Kinder dienen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich unterstützen werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es ist gut, dass sich immer mehr Menschen mit Hochschulreife oder einer beruflichen Qualifikation für ein Studium in Nordrhein-Westfalen entscheiden. Derzeit schreiben sich so viele Studierende an den nordrhein-westfälischen Hochschulen ein wie noch nie. Erstmals seit Bestehen des Landes gibt es hier mehr als 700.000 Studierende. Das ist bei den Flächenstaaten der größte Anteil im Verhältnis zur Bevölkerung. Zehn Jahre vorher waren es nicht einmal 500.000 Studierende in unserem Land.

Den Studierenden kommt zugute, dass Nordrhein-Westfalen nicht nur die dichteste Wissenschafts- und Forschungslandschaft in Europa, sondern auch eine besonders vielfältige Hochschullandschaft hat. Das lassen wir uns auch etwas kosten. Allein in die Hochschulen investieren wir knapp 5,1 Milliarden € und 1,2 Milliarden € aus dem Hochschulpakt, den sich das Land und der Bund hälftig teilen. Insgesamt investieren wir damit im Jahr 2016 rund 27,7 Milliarden € in die Bildung, in die Köpfe unseres Landes.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Neue Projekte, die wir auf den Weg gebracht haben, werden die digitale Basis unseres Landes stärken. In ihrer Regierungserklärung im Januar hat die Ministerpräsidentin schon den digitalen Wandel als Schwerpunkt der Landesregierung in dieser Legislaturperiode deutlich herausgestellt.

(Zurufe von der CDU)

Die Landesregierung hat im Jahr 2014 die Initiative „Digitale Wirtschaft NRW“ gestartet. Die Initiative wird neben der digitalen Wettbewerbsfähigkeit der klassischen Industrie und des Mittelstandes auch die digitale Innovationskraft stärken und aktivieren. Junge Start-ups werden angesprochen und unterstützt. Mit Blick auf die vielen globalen Player in der Industrie und die rund 150 international erfolgreichen Hidden Champions des Mittelstands hat Nordrhein-Westfalen beste Chancen, die Herausforderung der digitalen Transformation auch zu meistern.

Unser Ziel ist die Verlinkung zwischen der klassischen Industrie und den innovativen Start-ups. Wir wollen einen Standortvorteil der Zukunft für Nordrhein-Westfalen – so, wie wir einmal mit unseren Bodenschätzen einen Standortvorteil hatten – und zum digitalen Vorreiter in Deutschland werden.

(Beifall von der SPD)

Auch in der Landesverwaltung soll die Digitalisierung vorangetrieben werden. IT-gestützte Verfahren sind im Bereich der öffentlichen Verwaltung zu einem unverzichtbaren Element geworden. Das gilt für viele Bereiche. Ich kann es im Einzelnen für das beschreiben, was in der Finanzverwaltung schon passiert, was sich da entwickeln wird. Das gilt auch für die elektronische Rechtsakte. Am Ende wird die weitere Digitalisierung die Verwaltungsprozesse beschleunigen; sie dient der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land.

Ein weiterer Schwerpunkt sind Investitionen in die Krankenhausinfrastruktur. Die medizinischen Fakultäten und die Universitätskliniken spielen dabei ebenso eine wichtige Rolle. Grundvoraussetzung dafür ist eine sichere, effiziente und leistungsfähige bauliche Infrastruktur. Wir werden 2016 neben den jährlichen Investitionszuschüssen von 185,2 Millionen € noch 500 Millionen € aus dem Modernisierungsprogramm zur Verfügung stellen. Dieser Betrag wird bis 2017 noch einmal um weitere 100 Millionen € an Planungs- und Baukostenzuschüssen aufgestockt.

Neben den Hochschulkliniken stärken wir auch die übrigen Krankenhäuser des Landes. Die Gesundheitswirtschaft ist ein wichtiger Motor für Innovationen und zukunftsorientierte Arbeitsplätze.

Insgesamt stocken wir die Mittel in drei Ausbauschritten bis 2018 dauerhaft von 190 Millionen € auf dann 217 Millionen € pro Jahr auf. Hieran beteiligen sich die Gemeinden mit 40 %.

Zusätzlich stellen wir sicher, dass die auf Nordrhein-Westfalen entfallenden Mittel der vom Bund ab 2016 geplanten Strukturfonds zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen im Umfang von voraussichtlich ca. 106 Millionen € vollständig abgerufen werden können. Im Ergebnis steigen die Gesamtausgaben für die Krankenhausförderung auf 533 Millionen € allein in 2016 an, also auf deutlich mehr als eine halbe Milliarde Euro.

Zusammen mit den Universitätskliniken erreichen wir damit ein Investitionsvolumen von deutlich über einer Milliarde Euro. Das ist ein Anstieg, der sich in den Folgejahren fortsetzen wird. Damit stellt die Landesregierung die Weichen, den Krankenhausstandort Nordrhein-Westfalen auch in Zeiten der Haushaltskonsolidierung zukunftssicher zu gestalten.

Damit mache ich noch einmal deutlich, dass jetzt nicht etwa alles nur unter der Fragestellung steht: Was machen wir mit der Zuwanderung? Wie werden wir dieser Herausforderung gerecht? Sondern es gibt viele zentrale, wichtige Aufgaben in diesem Land, die nicht weniger bedeutsam sind, sondern genauso wahrgenommen werden müssen.

(Beifall von der SPD)

Ein weiterer großer Schwerpunkt, zu dem aber der Kollege Ralf Jäger mehr sagen wird, sind unsere Kommunen. Die Landeszuweisungen an die Kommunen bewegen sich auf einem Rekordniveau. Wir stellen unseren Städten und Gemeinden rund 22 Milliarden € direkt und indirekt zur Verfügung. Der Anteil an den Gesamtausgaben beträgt mehr als ein Drittel. Das ist nicht nur vom Volumen her ein Rekord – das ist immer so, wenn die Steuern und insgesamt die Einnahmen steigen –, es ist auch vom Anteil am Landeshaushalt her ein Rekord. All denen, die immer sagen, die Kommunen würden stiefmütterlich behandelt, möchte ich diese Zahlen und auch den Anteil am Landeshaushalt gerne noch einmal ins Stammbuch schreiben.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich will ein paar weitere Eckpunkte des Haushaltsentwurfs erwähnen: Die Steuereinnahmen werden 2016 um 3,9 % auf 50,5 Milliarden € steigen. Diese Veränderungsrate ist nicht irgendeine gegriffene Zahl, sondern sie ergibt sich aus den Ergebnissen der Steuerschätzer von Bund und Ländern. So haben wir es in den letzten Jahren gehalten. Mit dieser Schätzung – verglichen mit dem, was anschließend als Ist aufgekommen ist – sind wir immer sehr gut gefahren.

Ich habe schon gesagt: Wir warten jetzt auf die neue Steuerschätzung von Anfang November. Ich bin sicher, dass es in dem Punkt eher eine deutliche Korrektur nach oben als nach unten geben wird.

Die Gesamtausgaben im Haushalt 2016 steigen gegenüber dem Vorjahr um knapp 2,4 Milliarden € bzw. 3,7 % auf rund 67 Milliarden € an. Die Ausgabensteigerung liegt damit unter der Einnahmensteigerung. Dabei entfallen die Mehrausgaben überwiegend auf zwangsläufige Zahlungen und Verpflichtungen, weil Preise und Mieten steigen, aber eben auch, weil Mittel durchgeleitet werden. Dazu gehören in 2016 eine um 250 Millionen € erhöhte Bundesbeteiligung an den Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie 60 Millionen € mehr an Leistungen für Unterkunft und Heizung.

Darüber hinaus haben wir durch frühzeitige Weichenstellungen für diesen Haushalt erneut umfangreiche Einsparungen umsetzen können, in Summe 1,4 Milliarden €. Strukturell fortwirkende Einsparungen im Bereich der landeseigenen Förderprogramme machen wie schon 2013 145 Millionen € aus. Genauso möchte ich fortwirkende Effekte bei der Beamtenbesoldung nennen, zum einen – darüber haben wir diskutiert – aus den im Jahr 2013/2014 erwirtschafteten 220 Millionen €, zum anderen aus der Fortwirkung des vereinbarten Ergebnisses, die wir anschließend in den Gesprächen mit den Gewerkschaften und Verbänden erzielen konnten.

Meine Damen und Herren, die parlamentarische Beratung des Haushaltsentwurfs 2016 wird – das habe ich schon angekündigt und angedeutet – anders verlaufen, als es in den vergangenen Jahren der Fall war. Die Ministerpräsidentin hat es gestern schon angekündigt: Wir stehen gemeinsam vor der großen Herausforderung, aus einer Tragödie internationaler Dimension Chancen und Perspektiven auch für unser Land zu entwickeln. Wenn wir das richtig anpacken, dann wird die Zuwanderung ein Gewinn für unser Land. Dazu ist im wahrsten Sinne des Wortes mehr denn je präventive, vorausschauende Politik gefragt – mehr noch, als es bisher schon der Fall war.

Das, was wir heute an Hilfen zum Ankommen und zur Integration versäumen, werden die sozialen und sicherheitsrelevanten teuren Folgen von morgen.

Das, was wir heute erreichen, wird zu der neidvollen Ausgleichsforderung derer führen, die sich heute verweigern und morgen feststellen, was sie versäumt haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das fängt bei dem syrischstämmigen Bundesligaspieler bei einem NRW-Verein an und wird bis zum libyschstämmigen Landarzt reichen, um den sich dann viele reißen werden – das alles aber nur, wenn es uns gelingt, die Schattenseiten und Risiken versäumter Integration zu vermeiden.

Das sage ich als Finanzminister ganz bewusst, um deutlich zu machen: Da sitzt nicht einer nur auf der Schatulle und lehnt alle Forderungen ab, sondern es wird darum gehen, die Enden zusammenzubringen, die vor uns liegenden Aufgaben mit der Einnahmenentwicklung zu verknüpfen.

Deswegen ist die alte Leier, es nur an einer einzigen Größe zu messen, ob Ausgaben sinken und die Kreditaufnahme schneller steigt, als sogar vom Grundgesetz gefordert, nicht der Maßstab, wie man anständige Politik macht. Man muss vielmehr die beiden Dinge zusammenbekommen. Das ist unser Ziel, das war unser Ziel, und das wird auch unser Ziel bleiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

All das, was ich eben beschrieben habe, wird viel Geld kosten. Allein die Verlegung des Abrechnungsstichtags für die Flüchtlingspauschale in den Kommunen wird 2015 über 200 Millionen € mehr kosten, als bisher veranschlagt. 2016 wird der Mehrbetrag nicht weit unter einer Milliarde liegen. Das muss man einfach aussprechen, das wird so sein.

Das ist eine riesige Entlastung für die Kommunen – das an die Adresse derjenigen, die meinen, da habe jemand klebrige Finger, wenn es darum geht, dass eine Überweisung von 108 Millionen €, von denen die Hälfte vom Land selbst bezahlt ist, für Flüchtlingsaufgaben eingesetzt wird, aber innerhalb des Landeshaushalts, und die nächsten 108 Millionen, die vom Bund kommen, ganz weitergegeben werden. Daran kann man die Dimension sehen, was bisher überhaupt an Bundeshilfe vorgesehen ist und mit welchen Größen das Land schon plant.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir werden dazu – das habe ich schon gesagt – sicher eine Ergänzung des Haushalts brauchen, und wir werden einen Nachtrag für 2015 brauchen. Wer glaubt, dass damit die Finanzplanung obsolet ist, und sich schon klammheimlich freut, die alte Gebetsmühle wieder aufleben lassen zu können, dass diese Regierung die Einhaltung der Schuldenbremse nicht schafft, den muss ich enttäuschen. Die Einhaltung der grundgesetzlich verankerten Regel bis 2019 werden wir nicht aus dem Blick nehmen.

Wenn auch Vergleiche zwischen öffentlichen und privaten Haushalten ihre Tücken haben, finde ich ihn hier angebracht. Ich nehme dazu nicht die schwäbische Hausfrau, sondern ich nehme dazu wahlweise die rheinische oder die westfälische Familie, die eine solide Finanzplanung hat und bei der es klingelt und Freunde in großer Bedrängnis vor der Tür stehen. Dann müssen sie umplanen. Dann stellt sich die Frage: Was wird jetzt dringend gebraucht und was nicht? Auch das, auch mit Blick auf die nächsten Jahre!

Das Gleiche tun wir. Deshalb wird der Nachtrag 2015 nichts enthalten, was nicht eindeutig mit der Aufnahme, der Betreuung, der Begleitung und der Integration von Menschen auf der Flucht zu tun hat, einschließlich der Mittel für eine raschere Entscheidung, wer bleiben kann.

Bei diesen Familien stellt sich aber auch die Frage, an wen gegebenenfalls Ansprüche zu richten sind. Im Fall von Ländern und Kommunen ist das ohne Frage der Bund. Wir reden über die Folgen eines internationalen Konflikts, einer internationalen Krise.

Die Legende, dass der Bund nur deshalb mit spürbarer Unterstützung zögert, weil er bezweifelt, dass das Geld bei den Kommunen ankommt, lasse ich nicht unwidersprochen stehen. Das heißt ja unausgesprochen, dass Haushaltslasten aus der Flüchtlingshilfe nur bei Bund und Kommunen anfallen.

Richtig ist, dass vom Bund bisher sehr wenig kommt; das habe ich schon gesagt. Richtig ist auch, dass die Kommunen dringend Hilfe brauchen. NRW zahlt aber schon jetzt einen hohen neunstelligen Betrag an seine Kommunen für diesen Zweck.

Aber auch Erstaufnahmeeinrichtungen, zusätzliche Mittel für Kinderbetreuung und Unterricht, für Richter, für schnellere Asylverfahren und verstärkte Polizeipräsenz bedeuten einen enormen Aufwand, und zwar unmittelbar in den Landeshaushalten. Es gibt hier nicht nur Ausgaben der Kommunen und dann gegebenenfalls Ausgaben des Bundes. Das ist ausschließlich Folge internationaler Konflikte. Länder und Kommunen – daran gibt es keinen Zweifel – tragen vor Ort, und zwar gern, in diesem Land die Verantwortung für die Aufnahme, Betreuung, Sicherheit und Integration.

Die enormen finanziellen Folgen – das habe ich auch schon gesagt – des Zerfalls von Libyen oder Syrien können am Ende weder in den Haushalten der Kommunen noch in denen der Länder hängen bleiben, während sich der Bund seiner schwarzen Null im Haushalt rühmt. Das ist keine anständige Verteilung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann stellt sich, wenn Lasten da sind, die man tragen muss, in den von mir beschriebenen Familien die Frage, ob es finanzielle Puffer gibt, mit denen der zusätzliche finanzielle Aufwand zu bewältigen sein könnte. Auch die gibt es im Haushalt des Landes.

Die Steuereinnahmen werden 2015 deutlich höher ausfallen als veranschlagt, übrigens nicht, weil die Steuerzahler mit höheren Steuertarifen belastet werden, sondern weil sie mit genau diesen Tarifen und mit einer guten Politik im Land und im Bund Rekordgewinne, Rekordbeschäftigung und Rekordeinnahmen erzielen. Die Folge sind dann auch Rekordsteuereinnahmen. Das ist nicht Folge einer stärkeren Belastung des Einzelnen.

Im Klartext: Die Mehraufwendungen 2015 werden ungeachtet der Verantwortung des Bundes aller Voraussicht nach nicht zu einer höheren Kreditaufnahme führen. Wir müssen beide Seiten betrachten. Das ist eine gute Entwicklung. Damit haben wir auch einen Raum, um das zu tun, was jetzt notwendig ist.

Auch für 2016 wird sich aller Voraussicht nach eine deutlich verbesserte Ausgangsposition ergeben, wenn das Niveau 2015 so gut sein wird, wie man es jetzt vermuten kann. Man muss aber auch deutlich sagen: Wer dann als Erstes wieder nach einer wie auch immer gearteten Entlastung ruft, der muss auch so ehrlich sein und sagen, wie er das machen will. Denn wir haben Herausforderungen – nicht nur in Nordrhein-Westfalen; das wird kein Thema nur dieses Landes sein. Man muss auch ehrlich sagen: Wenn wir durch eine florierende Wirtschaft, durch eine florierende Beschäftigung Freiräume haben, dann kommt es darauf an, damit anständig und verantwortungsvoll umzugehen.

Das gilt im Übrigen nicht nur in Bezug auf die zu erwartenden Steuereinnahmen, sondern das gilt auch in Bezug auf die Zinsentwicklung. Die ist in unserer mittelfristigen Finanzplanung nämlich eben nicht – wie gerne immer wieder beschrieben wird – ein tickender Sprengsatz, der sofort, wenn sich etwas in kleinem Umfang ändert, zu völlig anderen, und zwar schlechteren Haushaltsdaten führen wird. Wir haben im Moment ein Zinsniveau von rund 1,25 %. Wir planen bis 2019 in diesem Haushalt mit einem Zinsniveau aufwachsend auf 3,5 %.

Das ist nicht nur ein von Fachleuten nicht erwartetes Zinsniveau, sondern es ist selbst dann, wenn es leicht steigt, eines, das deutlich unter dem liegt, zu dem die abgelösten oder die abzulösenden Kredite aufgenommen worden sind. Also auch hier befindet sich nicht irgendwo ein Sprengsatz, sondern hier besteht eher eine Möglichkeit der Rückversicherung für Schwierigkeiten, die auf uns zukommen können. Wir sehen jetzt, wie wichtig es ist, eine solche Planung erstellt zu haben.

(Beifall von der SPD)

Ziel eines ausgeglichenen Haushalts bis 2019 muss daher sein – ohne Wettlauf, ob man es noch ein Jahr eher schaffen kann –, mit Blick auf die Konsolidierung sowie Augenmaß für die Aufgaben, die wir gemeinsam zu erledigen haben, vorzugehen.

Ich bleibe noch einmal bei den Familien, die ich eben beschrieben habe. Diese werden sicher auch im Bekanntenkreis fragen, ob auch andere vor ähnlichen Herausforderungen stehen und wie sie damit umgehen. Auch das machen wir: Ich habe meinen hessischen Kollegen Dr. Thomas Schäfer von der CDU, der derzeit der Vorsitzende der Finanzministerkonferenz ist, gebeten, für die nächste Woche zu einem Meinungsaustausch einzuladen.

Davon erwarte ich zweierlei: Ich erwarte mir, dass wir uns über den Umfang und den richtigen Umgang mit einer Herausforderung austauschen, die in diesem Ausmaß für alle neu ist. Mir ist aber genauso wichtig, dass wir dieses sensible Thema nicht für eine verhängnisvolle Frontenbildung zwischen den Ländern nutzen, die am Ende den Falschen in die Hände spielt.

Bei den Finanzministerinnen und Finanzministern bin ich mir nach mittlerweile gut fünfjähriger Erfahrung sehr gewiss, dass uns das gelingt. Das sagt mir die Erfahrung aus der Zeit, die ich mit diesen Kolleginnen und Kollegen zu vielen und zum Teil auch kritischen Fragen und gemeinsamen Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, verbracht habe. Bei der Opposition hier im Landtag wäre ich mir dessen auch gerne gewiss. Ob das so ist, und wie weit das „Ja, aber“ geht, das sicher zu erwarten ist, wird sich im Verlauf der nächsten Debatten zeigen.

Ich wünsche uns jedenfalls eine sachliche, aber auch streitige Auseinandersetzung, die der Verantwortung entspricht, der wir in diesem ungewöhnlichen Jahr und in dieser ungewöhnlichen Situation einer Einbringung dieses Haushalts gerecht werden müssen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Finanzminister, vielen Dank für die Einbringung des Haushaltsentwurfes 2016. – Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner in der Debatte hat der Fraktionsvorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Kollege Armin Laschet, das Wort.

Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Finanzminister hat bei der Einbringung des Haushaltsentwurfs mit dem Zeitraum 23. Juni bis 3. September begonnen und damit, was sich seit der Aufstellung des Haushalts bis zur heutigen Debatte verändert hat. Er hat auch prophylaktisch darum gebeten, dass niemand sagt, wir hätten das alles besser gewusst. Dem möchte ich ausdrücklich zustimmen.

Die Entwicklung der Lage der Flüchtlinge in diesem Jahr – das hat übrigens in der gestrigen Debatte auch keiner gesagt – hat so niemand voraussehen können. Wenn der Bundesinnenminister im März oder April, als 200.000 Flüchtlinge da waren, davon gesprochen hätte, dass es am Ende 800.000 Flüchtlinge sein würden, wäre gesagt worden: „Du machst Panik.“ Es gibt ja jetzt auch schon einige Menschen, die bereits von einer Million Flüchtlinge ausgehen, und man überbietet sich mit Zahlen, nur um Panik zu erzeugen.

Deshalb: Eine Veränderung dieser Zahlen wird Ihnen niemand zum Vorwurf machen, und es ist auch logisch, dass sich dies auf den Haushalt auswirkt. Das hat uns immer beschäftigt, und ich habe mir unterschwellig immer eher kritische Bemerkungen – auch der Frau Ministerpräsidentin – in Interviews anhören müssen, dass ich mich im Vorfeld auch schon einmal mit der Lage in Syrien beschäftigt habe.

In der Tat: Es ist klug, sich mit Syrien, der Ukraine und solchen Konflikten zu beschäftigen und hinzusehen, anstatt das abzutun und zu sagen: Mich interessieren die internationalen Fragen nicht, denn ich lebe hier in Nordrhein-Westfalen. – Wenn dort etwas schiefläuft, erreicht das aber jedes einzelne Dorf und jeden einzelnen Ort in Nordrhein-Westfalen. Insofern konnte Ihnen das niemand vorwerfen.

Ich gebe hier aber auch zu Protokoll – ich werde das nachher vorrechnen –: Wir haben seit Jahren ein Mehr von Steuereinnahmen in Milliardenhöhe. Herr Minister, ich bitte Sie jetzt schon, sich nicht in einem halben Jahr, in einem Jahr oder irgendwann vor der Landtagswahl an dieses Pult zu stellen und zu sagen: Ja, ich muss jetzt wegen der Flüchtlinge doch viel mehr neue Schulden aufnehmen. Vielleicht wird es nicht so kommen; wir haben bei Ihnen aber schon manche Drehungen in den Argumenten gehört.

Aber auch das ist heute Konsens: Wir verfügen über so viele Milliarden an Steuermehreinnahmen, dass wir diese Aufgabe schaffen, ohne neue Schulden aufzunehmen.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Wir werden aber beobachten, wie Sie sich in dieser Sache einlassen. Es ist völlig selbstverständlich, dass dieser Haushalt nachreguliert werden muss. Was wir an dem Haushalt, den Sie uns heute vorlegen, kritisieren, ist, dass Sie den politischen Gestaltungsanspruch weitgehend aufgegeben haben.

Ich möchte noch einige Zahlen nennen, wie sich die Länderhaushalte in diesem ersten Halbjahr 2015 entwickelt haben: Alle Bundesländer verzeichnen im Durchschnitt ein Plus von 490 Millionen €. Neun Länder in Deutschland schreiben schwarze Zahlen: Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen und Hamburg.

(Zurufe von der SPD: Mit unserem Geld! – Er begreift es einfach nicht! – Unruhe)

– Sie brauchen gar nicht zu brüllen; es sind auch sozialdemokratisch regierte Länder dabei. Es sind außerdem nicht nur ostdeutsche Länder dabei, sondern mit Schleswig-Holstein und mit Niedersachsen auch Länder, die besser aufgestellt sind als dieser Haushalt von Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb ist das, was wir hier vorgetragen haben, ein Sonderproblem. Es gibt noch sieben Länder, die machen ein Minus von 3,6 Milliarden € – die Hälfte davon in Nordrhein-Westfalen. Das heißt, unter den 16 Ländern wird über die Hälfte der neuen Schulden in Nordrhein-Westfalen aufgenommen. Das ist kein Zustand für unser starkes Bundesland.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Schuldenstand ist seit 2010 um 12 Milliarden € auf inzwischen 142 Milliarden € angestiegen.

Parallel dazu muss man die Steuereinnahmen sehen, die ich eben erwähnt habe. Die Steuereinnahmen des Landes Nordrhein-Westfalen werden von rund 38 Milliarden € – das war der Ist-Zustand bei der Regierungsübernahme 2010 – auf knapp 57 Milliarden € im Jahre 2019 steigen.

Gleichzeitig erleben wir niedrige Zinsausgaben, so niedrig wie noch nie. Das, was öffentliche Haushalte freut, ärgert Private, die ihr Geld anlegen wollen. Die Gewinner jedoch sind überall in Deutschland im Grunde die Finanzminister. In den Jahren vor 2010 musste man 5 Milliarden € an Zinsen bezahlen. Im Moment ist dieser Betrag auf 3,5 Milliarden € gesunken.

Also: Trotz 19 Milliarden € Steuermehreinnahmen bis 2019 und Minderausgaben durch Niedrigzinsen in Höhe von fast 8 Milliarden € können Sie nur durch das Frisieren des Haushalts – nämlich mit dem Eingriff in den Pensionsfonds – überhaupt die schwarze Null erreichen. Und das ist unverantwortlich.

(Beifall von der CDU)

Stattdessen vertrauen Sie weiterhin auf sprudelnde Steuereinnahmen und niedrige Zinsen. Die Präsidentin des Landesrechnungshofs, Frau Mandt, hat das auf die wunderbare Formel gebracht: Mit den hohen Steuereinnahmen und den Niedrigzinsen ist das so wie mit Botox: Solange es wirkt, sieht alles gut aus.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU)

Das ist genau das Facelifting, dem Sie diesen Haushalt unterziehen.

Hier im Landtag bestand bis vor wenigen Wochen ein Konsens aller Landtagsfraktionen, dass für jeden neu eingestellten Beamten eine 70%ige Vorsorge für zukünftige Versorgungsausgaben angespart werden soll. Die Enquetekommission zur Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte, die morgen ihren Bericht in dieses Plenum einbringen wird, hat diesen Bericht noch nicht einmal fertig, da kommen Sie mit einem neuen Haushalt, der genau dieses Prinzip außer Kraft setzt.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Sie schaffen Fakten, bevor der Enquetebericht überhaupt erörtert werden kann. Da wird ein Demgrafiecheck für alle Gesetze gefordert. Ihr Haushalt, den Sie jetzt vorlegen, hält schon diesen Demografiecheck nicht aus – der ist schon gescheitert, bevor es losgeht.

(Beifall von der CDU)

Ich wundere mich insbesondere über die Grünen, die 2008, als sie noch in der Opposition waren, genau diese Nachhaltigkeit und Demografietauglichkeit für öffentliche Haushalte in einem wirklich bemerkenswerten Konzept formuliert haben. Sie machen sich hier zum Handlanger und sorgen durch das Aussetzen dieses Pensionsfonds und das Einfrieren für gewaltige Lasten ab dem heutigen Tag für künftige Generationen.

(Beifall von der CDU)

Was heißt das konkret? – Kollege Optendrenk wird das nachher noch etwas präziser erläutern. Sie frieren den Anteil am Versorgungsfonds des Landes auf 200 Millionen € ein, legen da zwei Fonds zusammen – das ist das „Frisieren“ –, aber in der Wirkung zahlen Sie bis zum Jahre 2025 nur noch 200 Millionen € und entziehen dadurch dem Versorgungsfonds 9 Milliarden € von 2017 bis 2025.

(Beifall von der CDU – Lutz Lienenkämper [CDU]: So ist es!)

Auf diese Weise kommt man dann irgendwie zur schwarzen Null. In Wirklichkeit ist dieser Haushalt heute die Ankündigung: Präventive Finanzpolitik wird in Nordrhein-Westfalen selbst bei den Pensionen für Beamte ab sofort nicht mehr gemacht. Und das ist unverantwortlich.

(Beifall von der CDU – Stefan Zimkeit [SPD]: Wer hat Ihnen denn den Unsinn erzählt?)

Das konterkariert jedes Gerede davon, „kein Kind zurückzulassen“. Das ist eher ein Finanzminister, der da sitzt und sagt: Es wird kein Euro zurückgelassen. Ich sehe zu, wo ich tricksen kann, nur um diese schwarze Null zu erreichen.

(Beifall von der CDU)

Nun weiß ich auch – das haben wir schon in der letzten Haushaltsdebatte deutlich gemacht –, dass Sie die schwarze Null nicht durch Kürzen im Landeshaushalt erreichen können. Sie können gar nicht so viel streichen, um eine nachhaltige Finanzpolitik zu erreichen. Sie müssen zwar die Ausgaben herunterfahren, aber unser Problem ist und bleibt die mangelnde Wirtschaftskraft und die mangelnde Steuerkraft. Das ist und bleibt unser Problem.

Wir liegen im Länderdurchschnitt bei 97 %. Das heißt, wir hinken dem Wirtschaftswachstum in Deutschland hinterher – und das, obwohl wir das starke Industrieland sind, über das wir alle gerne mit Stolz und mit Recht in der Europäischen Union reden.

(Beifall von der CDU)

Deshalb, Frau Ministerpräsidentin, würde politische Führung bedeuten, zu sagen: Wir haben Tausende Dinge zu erledigen, aber ich erwarte von meinen Ministern, dass wir jetzt Schwerpunkte setzen. Und die Schwerpunkte müssen sein: Verbesserung der Rahmenbedingungen für Industrie und Mittelstand und eine vorausschauende Infrastrukturpolitik, damit wir nicht bei den Straßen und dem schnellen Internet immer hinterherhinken.

(Beifall von der CDU)

Das Ergebnis ist immer das gleiche: Wir tragen das hier vor, und dann wird in den Medien lanciert: Ja, es gibt jetzt einen Richtungswechsel. Die Ministerpräsidentin kümmert sich jetzt doch um die Wirtschaft. Die Ministerpräsidentin – es gibt ein paar Zeitungen, die das gerne auch gerne schreiben – hat jetzt den Richtungswechsel eingeleitet. – Dann gibt es Streit in der Koalition, dann einigt man sich – und dann ist wieder Stillstand. Das ist immer so der Mechanismus, den wir hier erleben.

Frau Ministerpräsidentin, lieber Herr Römer, Sie haben in dieser Woche dieses schöne Wirtschaftsforum der SPD-Fraktion durchgeführt – mit beeindruckenden Rednern: Sigmar Gabriel, Hannelore Kraft, einige Vertreter der Wirtschaft. Ich habe mal genau zugehört, was der Sigmar Gabriel da gesagt hat. Er hat vieles gesagt;

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das erste Mal, dass Sie zugehört haben!)

aber er hat vor allem gesagt …

(Minister Ralf Jäger: Wir haben Sie gar nicht gesehen, Herr Laschet!)

– Sehen Sie mal, man kann den Bundeswirtschaftsminister sogar wahrnehmen, wenn man gar nicht da war.

(Minister Ralf Jäger: Sensationell! Und in die Glaskugel können Sie auch schauen!)

– Nein, in Glaskugeln kann ich nicht schauen.

(Zurufe von der SPD)

Es ist schon erstaunlich, was hier für eine Unruhe ausbricht, wenn man Sigmar Gabriel zitiert.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU)

Ich möchte ihn jetzt trotzdem gerne zitieren. – Sigmar Gabriel hat gesagt: Bei allen Differenzen mit anderen Parteien: Sozialdemokraten wollen immer die Industrie bewahren. – Und er hat gesagt: Die Schwäche der Konservativen war immer, dass sie keine regionale Strukturpolitik machen.

(Beifall von der SPD)

Ich glaube, er hat newPark gemeint.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

Er hat dieses ursozialdemokratische Gefühl gemeint, dass da, wo die Arbeitslosigkeit besonders groß ist, dass da, wo die Zahl sozialer Leistungsempfänger besonders hoch ist, ein Sozialdemokrat doch aus ganzem Herzen – wie es früher Sozialdemokraten aus Nordrhein-Westfalen mehrheitlich taten – sagen muss: Hier muss Industriepolitik stattfinden. Da, wo die Arbeitslosigkeit groß ist, müssen Arbeitsplätze hin.

(Beifall von der CDU)

Das muss doch die Priorität einer sozialdemokratisch geführten Regierung sein.

(Beifall von der CDU – Stefan Zimkeit [SPD]: Haben Sie das Herrn Lammert schon mal gesagt?)

Dieses Projekt wird jetzt seit 20 Jahren geplant, es ist endlich auf dem Weg, und das Land hat gesagt: Eine Landesbürgschaft geben wir nicht – dafür kann man sogar noch Verständnis haben; das kann man so oder so entscheiden –, aber wenn die das vor Ort hinkriegen, dann werden wir alles tun, um sie dabei zu unterstützen. – So lauteten die Versprechen.

Nun ist das eigentlich logisch, wenn die Arbeitslosenquote in der Emscher-Lippe-Region fast doppelt so hoch ist wie im bundesdeutschen Schnitt. Es ist auch logisch, dass man – schließlich gingen seit dem rot-grünen Amtsantritt in 2010 immerhin 162 Hektar Industrie- und Gewerbefläche in der Emscher-Lippe-Region verloren – wenigstens an der einen Stelle, wo es eine Entwicklungsmöglichkeit gibt, alles tut, um sich zu engagieren.

Aber der Fall war ganz anders. In der „WAZ“ war zu lesen, dass es einen Streit zwischen Herrn Duin und Herrn Remmel gab. Die Ministerpräsidentin hat sich am Samstag erst einmal auf die Seite von Herrn Remmel geschlagen – was mich, als ich die Überschriften las, äußerst gewundert hat –; dann hat es am Dienstag eine größere öffentliche Debatte in der SPD-Fraktion gegeben,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Oh, waren Sie da auch dabei?)

in der ein paar Leute noch so ticken, wie es Sigmar Gabriel auf dem Forum beschrieben hat.

Aber dann schreibt der Landrat des Kreises Recklinghausen in einem Brief an den Wirtschaftsminister, er habe die Weisung Remmels erstaunt und entsetzt wahrgenommen. Weiter heißt es:

„Für diesen Vorgang fehlt mir jedes Verständnis. Ich bin mehr als empört und verärgert. Wir brauchen bei unseren Anstrengungen für den Strukturwandel Unterstützung. Was wir nicht brauchen, sind widersprüchliche und hinterhältige Haltungen und Handlungen des Landes.“

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ja, da hat der Landrat des Kreises Recklinghausen recht!

Die SPD-Kollegen Hans-Peter Müller, Michael Hübner, Andreas Becker und Carsten Löcker wissen, was vor Ort los ist. Sie sagen, Herr Remmel trete alle Kraftanstrengungen der Region mit Füßen. Dann geht das hin und her; dann gibt es Koalitionsausschüsse und alles, was so erforderlich ist.

(Marc Herter [SPD]: Die hat es bei Ihnen nie gegeben!)

– Doch, die hat es immer gegeben.

(Marc Herter [SPD]: Aha!)

Es müsste aber einen Ministerpräsidenten geben, der schon zu Beginn des Prozesses – und nicht erst am Ende, wie der Moderator einer Talkshow – sagt: Egal, was ihr da abzuwägen habt, egal, wie ihr das Recht anwendet: Das ist richtig.

(Marc Herter [SPD]: Genau das ist Ihr Problem! – Zurufe von der SPD – Unruhe)

– Nein, nein, nein! Das ist die Kernfrage.

(Marc Herter [SPD]: Das ist das Problem! – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie verstecken sich. Sie müssen das Recht anwenden, und Sie können doch wohl Ihrem Wirtschaftsminister zutrauen, dass er zumindest …

(Zurufe von der SPD – Unruhe)

– Wenn Sie schon Herrn Gabriel nicht glauben, dann glauben Sie doch wenigstens Ihrem eigenen Wirtschaftsminister. Glauben Sie der Rechtsauslegung …

(Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben das …

(Marc Herter [SPD] und Josef Hovenjürgen [CDU] führen lautstark einen Dialog.)

– Josef Hovenjürgen, darf ich kurz den Satz zu Ende bringen?

(Heiterkeit und Beifall – Stefan Zimkeit [SPD]: Er will es gar nicht hören! – Minister Ralf Jäger: Ordnungsrufe sind Sache der Präsidentin! – Heiterkeit)

Wir haben das gleiche Spiel bei Datteln 4 erlebt.

(Zurufe von der SPD: Ja! – Zurufe)

Führungsaufgabe heißt …

(Zuruf von der SPD: Nicht zu scheitern, Herr Laschet!)

Das politische Ziel des Ministerpräsidenten ist: Wir wollen dieses Gewerbegebiet, diesen Industriepark ermöglichen. – Dann ist es Aufgabe der Rechtsexperten des Umwelt- und des Wirtschaftsministeriums, dies hinzukriegen und nicht eine Verhinderungstaktik zu betreiben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber das macht Sie unruhig.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: So wie Horst Seehofer mit der Maut, nicht wahr?)

Sie müssten am Anfang sagen: Ich habe ein politische Ziel, das ich umsetzen will, und dann soll der Minister zusehen, wie die rechtlichen Möglichkeiten dafür sind. – Sie machen es aber genau umgekehrt: Sie lassen zwei Minister laufen; der eine will es, der andere will es nicht.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Dann begeht er im Zweifel Rechtsbruch!)

Dann hetzt jeder seine Akteure irgendwie ins Feld, und am Ende müssen Sie im Koalitionsausschuss mühsam den Stillstand herstellen. So wird das aber nicht funktionieren.

Herr Remmel hat dann am Ende gesagt – das wäre eigentlich das letzte Totschlagargument –: Wir haben eine großartige Ministerpräsidentin, „sie hat sehr weitsichtig und weise den Weg gewiesen“.

(Beifall von der SPD)

– Also, wenn mir Herr Remmel das sagen würde, dann würde ich als Industriepolitiker denken, ich habe etwas falsch gemacht.

(Beifall von der CDU – Norwich Rüße [GRÜNE]: Zu Ihnen würde er das nie sagen!)

Ich habe übrigens nicht gehört, dass Herr Duin gesagt hat: Sie haben sehr weise den Weg gewiesen. – Ich habe das nur bei Herrn Remmel gehört, und deshalb ist das das eine Ergebnis.

(Zurufe von der SPD)

– Ja, Sie finden das alles lustig. Nur Ihre Kollegen aus dem Kreis Recklinghausen finden das nicht ganz so lustig, Frau Ministerpräsidentin, was Sie hier gerade machen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann das zweite Beispiel: Ich komme zum Landesentwicklungsplan, der in Ihrer Verantwortung liegt. Sie haben …

(Stefan Zimkeit [SPD]: Kommen Sie auch noch zu den Haushaltsberatungen?)

– Sie verstehen es eben nicht, Herr Zimkeit. Ich habe am Anfang gesagt, wir müssen die Steuer- und Wirtschaftskraft steigern. Ihnen geht es nicht in den Kopf hinein, dass Sie das Geld, das der Finanzminister braucht, nur dann haben, wenn wir hier mehr Arbeitsplätze existieren. Das ist es, was Ihnen nicht nahezubringen ist.

(Beifall von der CDU)

Deshalb können Sie nicht sagen: Wir haben hier zwar einen Haushalt liegen, aber wir machen dauerhaft eine Politik – Stichworte: Landesentwicklungsplan, newPark, Infrastrukturpolitik –, die Arbeitsplätze vernichtet. Dann wundern Sie sich auch noch, dass Sie im Haushalt zu wenige Einnahmen haben. Das müssen Sie zusammen sehen. Das ist das Kernproblem.

(Beifall von der CDU)

Ich komme zum Landesentwicklungsplan. Sie wissen, dass seit 2010 etwa 3.500 ha Industrie- und Gewerbeflächen verloren gegangen sind. Es muss immer einen Ausgleich geben. Man muss den Flächenverbrauch stoppen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Aha!)

– Das hat schon der Kollege Uhlenberg, der neben Ihnen sitzt, als Minister gemacht. Sie brauchen hier nicht „Aha“ zu rufen. Wenn Sie das erst nach fünf Jahren merken, ist das Ihr Problem.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Norwich Rüße [GRÜNE]: Theoretisch!)

Die Frage ist aber, wer das besser beurteilen kann. Kann das eine Staatskanzlei beurteilen? Kann das jemand fernab in Düsseldorf beurteilen? Oder weiß nicht der Stadtrat einer Kommune vor Ort in Südwestfalen, auf deren Gebiet sich ein Gewerbebetrieb befindet, wo ein Weltmarktführer sitzt und sich erweitern will, weil der Markt boomt, besser, wo neue Gewerbeflächen entstehen können?

(Beifall von der CDU)

Das ist doch der Unterschied zu Ihnen: Sie glauben, Sie können das alles mit einem Plan aus dem Umweltministerium heraus steuern. Wir vertrauen den Kommunen vor Ort, dass sie besser wissen, was für die Entwicklung ihrer Region und ihrer Stadt erforderlich ist.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ich komme zum Tariftreue- und Vergabegesetz. Das ist nun wirklich eine Endlosstory. Die „Rheinische Post“ spricht vom „Sorgenkind der Landesregierung“. Seit Februar liegt die Evaluierung vor. Die Novelle lässt noch immer auf sich warten. Es ist schon zigmal medial verkündet worden, dass alles nicht ganz so schlimm wird und man die schlimmsten Dinge herausnimmt. Der Europäische Gerichtshof hat schon Teile außer Kraft gesetzt. Jetzt hat auch noch das Verwaltungsgericht Düsseldorf eine Entscheidung getroffen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Es hat gar nichts entschieden!)

– Sie können das ruhig mit Händen und Klauen vertreten. Das wird jetzt wieder in Münster landen. Wenn Sie klug wären, würden Sie es vorher aus der Welt räumen; sonst kommt die fünfte Klatsche vor dem Landesverfassungsgericht auf Sie zu.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie kennen sich ja mit Klatschen aus!)

Fünf Jahre – fünf Urteile: Da müsste also langsam einmal ein Urteil kommen. Sie haben es bisher geschafft, jedes Jahr einmal vor dem Landesverfassungsgericht zu scheitern. Sie hätten jetzt die Chance, das zu verhindern,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie haben es zweimal jährlich geschafft!)

aber Sie begeben sich wieder auf den Weg.

(Marlies Stotz [SPD]: ) Wissen Sie noch, wie oft Sie das geschafft haben?)

Es wäre politisch klug, dieses Gesetz endgültig abzuschaffen. Nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns auf Bundesebene sind überhaupt nur noch Fragmente von Relevanz. Das ist eine bürokratische Belastung für alle, die in diesem Land eigentlich investieren, planen und neue Ideen entwickeln sollten und nicht Formulare ausfüllen, um Ihre Bürokratieanforderungen zu erfüllen. Das ist doch der Unterschied bei diesem Thema.

(Beifall von der CDU)

Der Wirtschaftsminister sah sich im Sommer genötigt, einen Wutbrief an die eigene Fraktion zu schreiben, in dem er noch einmal die ganze Debatte rund um die Klimaabgabe auf den Punkt gebracht hat:

(Zuruf von der CDU: Ziemlich beste Freunde!)

Das Gejammer aus großen Teilen der Umweltecke sei ideologisch begründet und verleugne die Realität. So manche Behauptung sei sogar gelogen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Das passt in der Tat zu dem, was Sigmar Gabriel gesagt hat. Es ist doch keine sozialdemokratische Politik, hier potenziell Zehntausende Arbeitsplätze zu opfern, die völlig ohne jede Wirkung auf das Weltklima sind. Es ist Ihr Verdienst, Herr Minister – das möchte ich loben –, und übrigens auch das Verdienst der IG BCE und vieler anderer, dass in Berlin am Ende ein Kompromiss erzielt werden konnte, mit dem die gleichen Klimaziele erreicht und trotzdem nicht Zehntausende Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen gefährdet werden. Das war eine gemeinsame Kraftanstrengung.

(Beifall von der CDU)

Wie darüber diskutiert wird und die Tatsache, dass bei Vorstellung der Gegenmaßnahmen Regierungsmitglieder mit großen Schildern noch immer für diese Klimaabgabe gefochten haben, zeigt aber doch die totale Zerrissenheit und dass es nicht einen gemeinsamen Willen der Regierung gibt, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Zahl der Hartz-IV-Empfänger durch neue Arbeitsmöglichkeiten zu verringern. Als entschieden werden musste, war ein solcher Kraftakt mit Zehntausenden Bergleuten in Berlin erforderlich, um das Schlimmste zu verhindern.

Eigentlich müsste man zusammensitzen und sich fragen, wie man gemeinsam einmal proaktiv sein und Dinge abschaffen könnte. Es geht darum, im Ministerium ein Klima zu erzeugen, sodass ein Beamter morgens nicht in sein Büro kommt und sich überlegt, welche Vorschriften er noch erfinden kann, sondern sich fragt, welche Vorschriften er abschaffen könnte. Schaffen Sie doch einmal Vorschriften ab, anstatt neue zu erdenken!

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wenn unsere Infrastruktur weiter so leidet – das ist das nächste Thema –, werden weitere Arbeitsplätze verloren gehen. Ein Unternehmen aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein brauchte früher – 2008 – eine Nacht, um ein Gerät – große Walzmaschinen oder anderes – an den Hafen in Duisburg zu bringen. Heute benötigt es für diese 150 km in Nordrhein-Westfalen mehrere Tage.

Man kann sagen: Das ist halt so. Das sind aber wertvolle Stunden, die im internationalen Wettbewerb für ein Unternehmen verloren gehen. Deshalb ist die Infrastruktur nicht irgendetwas. Die Leute bauen nicht aus reiner Lust Straßen in die Landschaft, sondern es ist der Quell unseres Wohlstands, dass die Infrastruktur gut ist.

(Beifall von der CDU)

Lieber Herr Groschek, Sie liefern sich ja einen amüsanten Streit mit dem Bundesverkehrsminister.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Nein, er ist nicht amüsant!)

Auf mehreren Ebenen gibt es ein Organisationsversagen – leider auch in Ihrem Haus. Das beginnt damit, dass von der Europäischen Union 1,7 Milliarden € an EU-Mitteln nach Deutschland fließen, auf Nordrhein-Westfalen aber nur 100 Millionen € entfallen, weil es für die EU hier nicht genug Projekte gab.

Kommissionspräsident Juncker hat nun den großen Juncker-Plan entwickelt. Weltweit werden Milliardenprojekte für die Infrastruktur ausgeschrieben. Dafür muss privates Kapital gehoben werden.

Wieder wird Nordrhein-Westfalen nicht dabei sein, weil Sie Skepsis hinsichtlich der Kooperation mit Privaten haben. Das kann man machen. Das kann man sich nur nicht leisten, wenn die Infrastruktur bei uns in einem Zustand ist, wie wir sie hier kennen.

Dann kommt als Drittes das aktuelle Paket aus der Sommerpause. Am 20. Juli hat der Bundesverkehrsminister 2,7 Milliarden € für Projekte vorgestellt. Nur 128 Millionen € fließen nach Nordrhein-Westfalen, nach Bayern 621 Millionen €, nach Baden-Württemberg 537 Millionen € und selbst ins kleine Rheinland-Pfalz 293 Millionen €. Erster Reflex des Verkehrsministers: Typisch Dobrindt, parteipolitisch motiviert, weil ich ein solcher „Mautheld“ bin, werde ich jetzt bestraft. – So war die Tonlage Groschek.

(Beifall von der CDU)

Ich weiß nicht, ob Sie den grünen Verkehrsminister in Baden-Württemberg kennen, Herrn Hermann, auf dem eher politisch linken Flügel der Grünen angesiedelt, ein vehementer Kritiker der Maut. Er schafft es trotzdem, dass Baden-Württemberg 537 Millionen € bekommt. Also kann es doch nicht an der Parteipolitik liegen, sondern an der Fähigkeit, ein Ministerium zu leiten und Pläne fertigzustellen! Das ist doch Ihr Problem.

(Beifall von der CDU) – Zuruf von Minister Michael Groschek!)

Nun war es bei Verkehrsminister Voigtsberger, Ihrem Vorgänger, so, dass nicht einmal die Planfeststellungsverfahren abgeschlossen wurden. Dann kamen Sie hierher. Herr Ott hat damals gesagt – Herr Ott ist der Kandidat aus Köln …

(Achim Tüttenberg [SPD]: Sie haben ja keinen!)

– Wir haben eine unabhängige Kandidatin.

(Heiterkeit von der SPD)

Das ist aber kein Grund, dass Sie deshalb „SPD“ so fett auf die Stimmzettel drucken, nur weil da eine unabhängige Kandidatin ist.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Ich glaube, spätestens seit gestern weiß der letzte Kölner, dass bei dieser Sumpfverwaltung wirklich Unabhängigkeit an der Spitze gut wäre. Ich glaube, das ist seit gestern eklatant.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN – Zuruf von Achim Tüttenberg [SPD])

Aber lassen Sie mich zurückkommen zu der Frage des Kollegen Ott. Herr Kollege Ott hat im Mai den schönen Satz gesagt – er hat es positiv gemeint –: Eines ist doch klar. Dieser Minister, der da sitzt, Mike Groschek, ist doch das, was PISA für den Bildungsbereich ist.

(Lachen von der CDU)

Er hat gemeint, es soll jetzt ein Wachrütteln beginnen. Dass der Satz eine gewisse Komik hat, merkt man erst beim Nachlesen.

Dann hat Herr Groschek gesagt: Ich mache jetzt das Planfeststellungsverfahren fertig. Er hat dann viele Tricks erklärt, welche Projekte angemeldet sind. Aber den Kern, den man braucht und den die anderen Kollegen von Ihnen geschafft haben, ist, wenn das Planfeststellungsverfahren fertig ist, einen sofortigen Vollzug anzuordnen. Das hat Ihnen der Minister ja erklärt. Es gibt auch einen freundlichen Briefwechsel zwischen Ihnen. Er hat gesagt: Wenn der sofortige Vollzug angeordnet wird, kommt auch das Geld. – Dies haben Sie versäumt.

(Zuruf von Carsten Löcker [SPD])

Es ist doch ein großes Angebot von Minister Dobrindt, zu sagen: Wenn Sie jetzt kommen, kriegen Sie das Geld immer noch.

(Minister Michael Groschek: Auf einmal!)

Also, um Himmels willen, machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben! Dann kommt auch das Geld nach Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU)

Wir werden es erleben: sofortigen Vollzug anordnen.

(Zuruf von Minister Michael Groschek)

Wahrscheinlich machen Sie es nicht, weil ein paar Grüne wieder Bedenken angemeldet haben, warum auch immer. Aber einen sofortigen Vollzug für eine Maßnahme anzuordnen, ist doch die Priorität, die wir brauchen. Das ist ein Beispiel, wo ich mir von Ihnen, Frau Ministerpräsidentin, wünschen würde, dass Sie sagen: Ich will jetzt, dass Industriearbeitsplätze im Ruhrgebiet entstehen und will Flächen schaffen; newPark. Ich will, dass endlich unsere Infrastruktur in Ordnung kommt.

Sagen Sie Ihrem Minister: Ordne jetzt einfach mal an. Beweise doch Herrn Dobrindt, ob das stimmt! – Wenn er es macht, kommt das Geld. Warum macht er es nicht? Sagen Sie es ihm doch. Sie haben eine Richtlinienkompetenz. Handeln Sie doch endlich, anstatt hier große Reden zu halten!

(Beifall von der CDU)

Das gilt für viele Beispiele. Sie haben das ganze Theater um das große CARE-Institut in Münster erlebt, Zentrum für Angewandte Regenerative Entwicklungstechnologien. Es gibt allein an diesem Institut hundert Arbeitsplätze. Da sagt die Ministerin: Ich kann doch nicht dem Herrn Professor die Anträge ausfüllen.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft nickt.)

– Da nickt sie auch noch. – Das ist kein Stil. Die bayerische Ministerin füllt auch keine Anträge aus, aber das Land Bayern wirbt um die klügsten Köpfe. Das wirbt einen solchen Forscher, wenn man ihn haben will. Das sagt ihm „Du bist hier willkommen“.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Das ist Ihnen alles wurscht. Die Arbeitsplätze sind weg, und das Geld ist weg.

(Beifall von der CDU)

So kommt man nicht voran. Herr Kollege Sternberg hat den schönen Spruch gemacht: Frau Schulze bekommt demnächst den bayerischen Verdienstorden. Ihnen ist zu verdanken, dass in Bayern neue Arbeitsplätze, neue Forschungskapazitäten entstehen. Ich würde mir wünschen, die nordrhein-westfälische Ministerin würde sich darum kümmern, dass exzellente Forscher hier im Land bleiben.

(Beifall von der CDU)

Beim Hochschulfreiheitsgesetz haben Sie das schon erschwert, und jetzt ist es ein erneutes Beispiel, wo Sie nicht genügend handeln.

Liebe Frau Ministerpräsidentin, wenn man so regiert – meine Stimme geht weg –, …

(Christian Lindner [FDP]: Zweitstimme!)

– Die Zweitstimme bekommt immer die FDP, habe ich gelernt. – Nein.

Die Ministerpräsidentin hat der Landespressekonferenz den Wunsch abgeschlagen, einmal im Monat über die Landespolitik zu sprechen. Herr Kretschmann tut das jede Woche.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Bewerben Sie sich doch endlich mal im Kabinett Kretschmann! – Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)

– Ich muss sagen, er macht vieles …

(Minister Ralf Jäger: Fragen Sie, ob Sie die Post sortieren können! – Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)

Er macht vieles richtig. Ich will nicht dauernd nur die Bayern zitieren. Man kann doch auch von anderen Ländern lernen. Ich frage mich: Warum können Grüne in Hessen, Grüne in Baden-Württemberg kluge Dinge machen, die Grüne in Nordrhein-Westfalen bis aufs Messer bekämpfen?

(Beifall von der CDU)

Da ist doch irgendetwas falsch.

(Beifall von der CDU)

Die können eine solide Haushaltspolitik machen, die können in Hessen neue Arbeitsplätze schaffen, die können ohne all die bürokratischen Dinge etwas machen, die können die Straßenbaumittel nach Hessen holen. Das ist alles in den anderen Ländern möglich. Ich denke, es fehlt hier an der Führung.

Und, liebe Frau Ministerpräsidentin, Sie wurden im „Stern“ zitiert, dass es Ihnen Freude macht, wenn Sie durch das Land reisen oder jemand ein Selfie mit Ihnen machen will. Ich würde mich mehr freuen, wenn Landesbeamte sich freuen würden, wenn sie Sie sehen, weil Sie für eine sichere Altersversorgung kämpfen.

(Beifall von der CDU)

Ich würde mich freuen, wenn die Menschen in der Emscher-Lippe-Region sich freuen und mit Ihnen ein Selfie machen würden, weil Sie für newPark kämpfen. Ich würde mich freuen, wenn sich die Autofahrer, die rund um Köln jeden Tag auf der Leverkusener Brücke stehen, freuen würden, wenn sie Sie sehen würden.

Sie haben gesagt, Sie spielen gerne das Gesellschaftsspiel Activity. Frau Ministerpräsidentin, das wäre mal etwas für eine Kabinettsitzung. Spielen Sie mit Ihren Ministern Activity, dann bewegt sich auch etwas in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Langanhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht deren Vorsitzender, Herr Norbert Römer.

Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Laschet, es gibt ein schönes jüdisches Sprichwort, an das ich öfter denken muss, wenn Sie sich hier über die Wirtschaftspolitik des Landes auslassen. Das Sprichwort heißt: „Wen Gott strafen will, dem erfüllt er seine Wünsche.“

Immer dann muss ich an dieses Sprichwort denken, wenn Sie einmal mehr – so wie heute Morgen auch – die Abschaffung des Tariftreue- und Vergabegesetzes fordern. Die Abschaffung des Tariftreue- und Vergabegesetzes, Herr Kollege Laschet, ist Alpha und Omega christdemokratischer Wirtschaftspolitik. Ja, so haben Sie es gerade wieder dargestellt. Das Schlimmste, was wir Ihnen antun könnten, wäre, das Gesetz tatsächlich abzuschaffen. Dann stünden Sie über Nacht ohne wirtschaftspolitisches Programm da.

(Lachen von Hans-Willi Körfges [SPD])

Sie lamentieren, Herr Kollege Laschet, immer über eine vermeintliche Überregulierung in Nordrhein-Westfalen, reden von unzähligen Vorschriften, die Sie abschaffen wollen. Und wenn Sie dann konkret werden müssen, sind Sie auf das Tariftreue- und Vergabegesetz angewiesen.

Alle Ihre anderen Beispiele, sei es der Klimaschutz, sei es der Landesentwicklungsplan, sind rhetorische Popanze. Sie müssen sich an das Tariftreue- und Vergabegesetz klammern, weil sonst Ihre ganze Argumentation von der Realität sofort hinweggespült werden würde.

Ich sage Ihnen aber: Wir werden das Gesetz, Herr Kollege Laschet, weil wir es brauchen, da anpassen, wo es nötig ist, da verbessern, wo es vernünftig ist. Wir werden Ihnen das Gesetz aber nicht wegnehmen. Sie können sich darauf verlassen, das machen wir in jedem Fall: Sie behalten Ihren Popanz, Herr Kollege Laschet. Das ist doch für Sie eine ganz wichtige Information.

(Beifall von der SPD)

Weil Sie so viel über Wirtschaftspolitik gesprochen und uns einen Rat gegeben haben, der lautete: Egal, wie ihr das Recht anwendet, macht es doch! – so wie Sie bei Datteln 4 –: Dann kommt halt das Oberverwaltungsgericht, und dann ist Feierabend damit.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja, ja!)

Wir sind jetzt dabei, die handwerklichen Schludereien, die Sie planungsrechtlich zu verantworten haben,

(Zuruf von der CDU)

zu beseitigen, damit Datteln 4 noch eine Chance bekommt. Ich weiß nicht, ob das gehen kann, wie das Oberverwaltungsgericht am Ende urteilen wird, weil Sie so viele handwerkliche Fehler gemacht haben, dass es schwindelerregend ist, sich daranzumachen, das auszubügeln. Das Schlimmste, was Ihnen das Gericht ins Stammbuch geschrieben hat, war doch: Es ist deshalb bei Datteln 4 zur Nichtigkeit des Bebauungsplans gekommen, weil die Landesregierung es versäumt hat, überhaupt abzuwägen. Abwägungsausfall ist Ihnen attestiert worden! Das ist Ihr Ergebnis, wenn man

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

das Recht einfach anwendet, wie man es will. – Nein, wir machen das nicht.

Herr Kollege Laschet, ich will Sie aber nicht aus dem, was für das Land Nordrhein-Westfalen wichtig ist, entlassen. Wo sind denn Ihre Strategien? Gehört habe ich von Ihnen nichts zu den großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen unseres Landes. Wo ist denn Ihr Konzept für einen erfolgreichen Übergang unserer Wirtschaft in das Zeitalter digitaler Industrien und Dienstleistungen? Im Haushalt kann man viel dafür finden. Der Finanzminister hat das herausgestellt. Sie sind gar nicht darauf eingegangen.

Woche um Woche, Herr Kollege Laschet, die gleiche Pressemitteilung zum Breitbandausbau zu veröffentlichen, ist doch kein Konzept. Der Breitbandausbau – das gebe ich gerne zu – ist für die Zukunft unserer Unternehmen elementar. Aus diesem Grunde sorgen wir dafür, dass es bis zum Jahr 2018 eine flächendeckende Breitbandversorgung in Nordrhein-Westfalen geben wird. Aber mit dem Breitbandausbau beginnt doch erst eine moderne Wirtschaftspolitik. Für Sie hört sie damit aber schon auf.

Moderne Wirtschaftspolitik – Herr Kollege Laschet, auch dazu finden Sie im Haushalt eine ganze Menge – muss vor allem Innovationsförderung sein. Unsere Regierungskoalition hat eine Digitalisierungsstrategie. Sie haben keine. Ich habe noch nichts davon gehört. Wo ist denn Ihr Konzept für die Energiewende in Nordrhein-Westfalen? Haben Sie denn überhaupt den Anspruch, Herr Kollege Laschet – ich würde es gerne von Ihnen vernehmen –, die Energiewende in und für Nordrhein-Westfalen zu gestalten?

Sie sind doch in den vergangenen Monaten nur deshalb so oft in das Rheinische Revier gefahren, weil Sie von der Zukunftsangst der Bergleute profitieren wollen. Die Zukunft der Braunkohle, Herr Kollege Laschet, hat Sie noch nie interessiert und interessiert Sie auch heute nicht. Wo ist denn Ihr Zukunftskonzept für das Rheinische Revier? Wir haben eins. Sie nicht, Herr Kollege Laschet!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Im Grunde kann man all das, was Sie Alternative nennen und hier mit einem verschwenderischen Einsatz von Worten und Gesten vorgetragen haben, auf einen Satz reduzieren. Da sind Sie sich treu. „Privat vor Staat“, und dann alles einfach laufen lassen. Das ist Ihr wirtschaftspolitisches Credo. Wir machen das nicht mit, Kollege Laschet.

Sie wollen weder eine aktive Innovationspolitik noch eine aktive Klimaschutz- oder Energiepolitik für Nordrhein-Westfalen. Sie wollen weniger Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber höhere Belastungen für junge Eltern und Studierende durch mehr Kitagebühren und die Wiedereinführung der Studiengebühren. Sie stecken noch immer im gesellschaftspolitischen Denken des ausgehenden 20. Jahrhunderts, Herr Kollege Laschet. Was Sie uns hier als Alternative präsentieren, verheißt so viel Zukunft wie ein abgeräumter Kirmesplatz.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die großen Herausforderungen unseres Landes sind der demografische Wandel, die Energiewende, die Ausbildung einer digitalen Wissensökonomie und der Erhalt der Handlungsfähigkeit unserer Kommunen. Wie man diese Herausforderungen angehen muss, dokumentiert der Haushaltsentwurf für das Jahr 2016.

Im Zeitalter der digitalen Wissensökonomie gibt es wirtschaftliche Prosperität und soziale Sicherheit nur in einem Innovationsland. Das Innovationsland Nordrhein-Westfalen zeichnet sich durch eine vorsorgende und vorausschauende Wirtschafts- und Finanzpolitik aus. Dazu gehören vor allem Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur, die niemand schaffen würde, wenn sie nicht die öffentliche Hand schafft. Wir bieten Unternehmen, Beschäftigten und Familien hochwertige Dienstleistungen, um Dinge möglich zu machen, die ohne die öffentliche Hand nicht möglich wären.

Auch mit dem Haushalt 2016 investieren wir in die Mobilität von Menschen, Gütern und Daten. Wir fördern Forschung und Technologieentwicklung auf allen Wissensgebieten und Leitmärkten, die für zukünftiges Wachstum, für Beschäftigung und Fortschritt von herausragender Bedeutung sind. Wir vernetzen Wirtschaft und Wissenschaft, damit besonders kleine und mittelständische Unternehmen mit neuen Technologien innovative und marktreife Produkte und Dienstleistungen entwickeln können.

Wir werden den Mut der privaten Unternehmer auch stärken, indem wir Existenzgründungen anschieben und absichern. Herr Kollege Laschet, wir sind mit der Wirtschaft, mit dem Initiativkreis Ruhr einig. Nordrhein-Westfalen soll das Gründerland Nummer eins werden. Wir machen das gemeinsam.

(Zurufe von der CDU)

Wir machen es gemeinsam mit der Wirtschaft, gemeinsam mit dem Initiativkreis. Deshalb war Klaus Engel, Evonik-Chef und Moderator des Initiativkreises Ruhr, auch auf unserem Wirtschaftsforum. Sie hätten erleben sollen, wie wir die Probleme gemeinsam angehen.

(Zurufe von der CDU)

Vor allen Dingen in einem Punkt unterscheiden wir uns ganz gewaltig von Ihnen. Wir machen das in Nordrhein-Westfalen in der guten Tradition der Sozialpartnerschaft. Wirtschaft, Unternehmensleitungen und Belegschaften, Gewerkschaften und Betriebsräte zusammen werden die Herausforderungen der Zukunft stemmen.

(Zurufe von der CDU)

Sie wollen doch vor allen Dingen Mitbestimmung beseitigen. Wir wollen Mitbestimmung fördern, meine Damen und Herren. Das unterscheidet uns.

(Beifall von der SPD – Zurufe von Armin Laschet [CDU] und Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir werden die Voraussetzungen für technologische Innovationen, für wirtschaftliche Dynamik und für gesellschaftlichen Fortschritt schaffen.

Wir werden durch unsere Strategie „Digitale Wirtschaft NRW“ die Chancen der Digitalisierung noch besser nutzen. In Nordrhein-Westfalen wird ein regional ausgerichtetes Innovationssystem mit fünf Gründerzentren entstehen. Zudem werden wir ein Beteiligungsprogramm auflegen, um die Anschubfinanzierung und die Wachstumsphasen von Start-ups zu unterstützen. Wir werden ein Förderprogramm „Mittelstandsinitiative Forschungsförderung“ auf den Weg bringen, das mit einem Volumen von 37,5 Millionen € die Kooperation von Start-ups und Mittelstand mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen schnell und unbürokratisch unterstützt.

Lassen Sie mich einen Hinweis zum Ruhrgebiet und zu einer erfolgreichen regionalen Strukturpolitik geben, Herr Kollege Laschet. Wir haben seit vielen Jahren erstmals im Ruhrgebiet höhere Wachstumsraten als im Bundesdurchschnitt. Darauf sind wir stolz, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Das ist auch eine Leistung, die wir zusammen mit den Menschen und den Unternehmen geschafft haben.

(Beifall von der SPD)

Ja, wir werden mit dem Programm „HochschulStart-up.NRW“ sicherstellen, dass wissenschaftliche Innovationen aus NRW noch schneller und in deutlich höherer Anzahl zu einer wirtschaftlichen Wertschöpfung bei uns führen. Fast 70 Millionen € stellen wir in den kommenden Jahren dafür bereit.

Wir bleiben ein verlässlicher Partner der Kommunen, im Gegensatz zu Ihrer Zeit. Sie sind dabei gewesen, den kommunalen Kassen im Raubzug 3,5 Milliarden € zu entnehmen. Die Kommunen wissen, dass sie sich auf uns verlassen können. Das neue Gemeindefinanzierungsgesetz wird mit einem Volumen von fast 10 Milliarden € auf ein erneutes Rekordniveau steigen, meine Damen und Herren. Auch das ist eine Leistung, auf die wir stolz sind.

(Beifall von der SPD)

Der Finanzminister hat herausgestellt: Wir erhöhen die Krankenhausbaupauschale um fast 10 % auf 217 Millionen €. Wir stellen noch einmal rund 100 Millionen € zum Abruf weiterer Strukturfondsmittel bereit. Wir legen ein Programm mit 500 Millionen € Volumen zur Sanierung der Universitätskliniken auf. Wir setzen unsere Anstrengungen, kein Kind, kein Talent zurückzulassen, auch beim Projekt „Kein Abschluss ohne Anschluss“ konsequent fort. Im nächsten Jahr geschieht das mit einem Volumen von 55 Millionen €. Wir starten eine E-Government-Initiative mit Investitionen von rund 150 Millionen € für mehr Bürgerfreundlichkeit und Effizienz. Nicht zuletzt – das will ich noch einmal herausstellen – werden wir 2016 weitere 10.000 neue Kitaplätze schaffen.

Meine Damen und Herren, die rot-grüne Koalition unter der Führung von Hannelore Kraft als Ministerpräsidentin hat 2010 die Regierungsverantwortung übernommen, um Nordrhein-Westfalen zu einem starken Wirtschaftsland im Zeitalter der digitalen Wissensökonomie zu machen, um ein gerechtes und leistungsstarkes Bildungssystem zu schaffen, das mit der Kita beginnt und mit der Hochschule nicht aufhört, und um die Handlungsfähigkeit unserer Städte und Gemeinden wieder zu verbessern, damit diese unseren Bürgern und Bürgerinnen ein lebenswertes Zuhause bieten.

Das sind die drei langen Linien unserer Politik. Zusammen sind sie der Weg, der Nordrhein-Westfalen in eine gute Zukunft führt; denn moderne Wirtschaftspolitik, Herr Kollege Laschet, muss mehr denn je Innovationspolitik sein. Eine moderne und vorausschauende Wirtschaftspolitik ist aber immer auch eine vorbeugende Bildungs- und Sozialpolitik, eine moderne Familienpolitik und eine Politik für Städte und Gemeinden.

Wenn es stimmt, dass Wirtschaftskraft mehr denn je Innovationskraft voraussetzt, dann müssen wir dafür sorgen, meine Damen und Herren, dass es in Zukunft dem demografischen Wandel zum Trotz noch ausreichend arbeitende Menschen gibt, die für Innovation sorgen, seien es Arbeitnehmer, seien es Selbstständige. Mit jedem Schulabbruch, den wir vermeiden, mit jedem jungen Menschen, dem wir zu einer Ausbildung oder zu einem höheren Bildungsabschluss verhelfen, und mit jeder Mutter und jedem Vater, denen wir die Vereinbarung von Familie und Beruf erleichtern, wird Nordrhein-Westfalen nicht nur gerechter, sondern auch stärker, wirtschaftlich stärker. Das ist unsere Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

In Zukunft werden sich neue Unternehmen nur dort ansiedeln und etablierte Unternehmen nur dort noch investieren,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wo sie Flächen finden! Die finden sie nicht bei uns!)

wo sie eine ausreichende Zahl von Fachkräften finden. Diese Fachkräfte, meine Damen und Herren, werden sie nur in jenen Städten und Gemeinden finden, die ihren Bürgerinnen und Bürgern ein lebenswertes Zuhause bieten. Das ist der Zusammenhang, auf den ich vorhin hingewiesen habe.

Aus allen diesen Gründen haben wir seit 2010 die Investitionen in Wissenschaft und Forschung um sage und schreibe 41 % erhöht. Gemessen an dem, was Sie damals zustande gebracht haben, 41 % mehr!

Nach fünf Jahren Rot-Grün gibt das Land mittlerweile fast jeden dritten Euro für Bildung aus. Allein unsere Investitionen für Kitas und frühkindliche Bildung sind seit 2010 um 66 % gestiegen.

Die fast 10 Milliarden € – ich wiederhole das noch einmal –, die wir 2016 unseren Kommunen über das GFG zukommen lassen, bedeuten ein Plus von 26 % im Vergleich zu 2010.

Auch unsere Investitionen in Landes- und Gemeindestraßen sind in den vergangenen Jahren um 20 % gewachsen. Herr Kollege Laschet, gestatten Sie mir da einen Hinweis zu Verkehrsminister Dobrindt und zu dem, was Sie vorhin wieder völlig faktenfrei dargestellt haben.

(Armin Laschet [CDU]: Was? – Josef Hovenjürgen [CDU]: Bisher ist Ihre Rede völlig frei von Fakten!)

Der IHK-Experte Brendel, überhaupt nicht verdächtig, Sozialdemokrat zu sein, hat in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hingewiesen, dass Herr Dobrindt gar nicht daran vorbeikommen wird, diese 242 Millionen € für nordrhein-westfälische Bauvorhaben auch tatsächlich nach Nordrhein-Westfalen zu schicken.

Dann wird auch der Zusammenhang klar. Wenn die Finanzierungszusagen endlich da wären, könnte auch sofort mit dem Bau begonnen werden, ohne dass die rechtlichen Auseinandersetzungen noch eine Rolle spielen. Das ist der Zusammenhang, Herr Kollege Laschet.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das ist kompletter Unfug! – Zurufe von Josef Hovenjürgen [CDU] und Armin Laschet [CDU])

Aber Sie können noch viel lernen, weil Sie hier ja immer faktenfrei vortragen.

(Beifall von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE] – Armin Laschet [CDU]: Woher kommen denn die anderen 50 %?)

Und weil Sie vorhin versucht haben, uns etwas vorzuhalten: Sie mussten ja inzwischen aufgeben, uns immer wieder vorhalten zu wollen, wir würden die schwarze Null im Jahre 2020 nicht erreichen und die Neuverschuldung bis dahin nicht auf null bringen können. Ich gehe davon aus, dass Sie das auch deshalb immer vorgetragen haben, weil Sie gehofft haben, wir würden es nicht zustande bringen. Jetzt wissen Sie, dass das in jedem Fall geht. Wir werden schon 2019 die Neuverschuldung auf null drücken können. Wir werden das also schaffen.

Deshalb haben Sie das vorsorglich schon mal gesagt. Ich hatte geglaubt, das sei an die Adresse des Bundesfinanzministers gerichtet gewesen. Der will nämlich die aus dem höchstrichterlichen Beschluss resultierenden Einsparungen zum Betreuungsgeld nicht für Familien und für Kinder zur Verfügung stellen, sondern, wie der Parlamentarische Staatssekretär Spahn gesagt hat, zur Kompensation für steigende Ausgaben vor allen Dingen für Flüchtlinge und anderes, Herr Kollege Laschet.

Das war an den Landesfinanzminister falsch adressiert. Sagen Sie dem Bundesfinanzminister, dass er so etwas nicht machen soll. Der soll das Geld dorthin lenken, wo es vernünftig angebracht ist, nämlich zu den Familien und zu den Kindern. Das würde helfen, meine Damen und Herren!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt kritisieren Sie uns und halten uns andere Länder vor, zum Beispiel auch wieder Sachsen. Ich freue mich ja darüber, dass Sie uns Sachsen immer als Vorbild vorhalten.

(Armin Laschet [CDU]: Sie haben sich doch gefreut, dass die Eltern das Geld kriegen! 100.000 Eltern in Nordrhein-Westfalen!)

Jetzt kritisieren Sie uns dafür, dass wir die Neuverschuldung nicht noch schneller absenken. Sie sagen aber nicht, wie das möglich sein soll, Herr Kollege Laschet, wenn Sie nicht gleichzeitig auf Lehrer, Polizisten und Kitas verzichten, wenn Sie nicht gleichzeitig auf Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur verzichten. Ich frage Sie einmal: Wie soll das möglich sein? Lassen Sie mich raten. Sie könnten es uns erklären, aber Sie tun es nicht. Die Wahrheit ist doch: Eine schnellere Senkung der Neuverschuldung ohne den Verzicht auf Zukunftsinvestitionen können Sie genauso wenig erklären wie 35 Noten für nur 21 Klausuren, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Weil der Kollege Laschet auch kein Kind von Traurigkeit ist, will ich ihn doch wissen lassen, wie sehr ich seinen Einsatz geschätzt habe. Der größte Beitrag, Herr Kollege Laschet, den Sie zur Stärkung des Hochschulstandortes Nordrhein-Westfalen geleistet haben, ist womöglich Ihr Rücktritt vom Amt des Lehrbeauftragten der RWTH Aachen. Der größte Beitrag zur Stärkung des Hochschulstandortes!

(Beifall von der SPD, den PIRATEN und Andrea Asch [GRÜNE] – Unruhe von der CDU)

– Sie müssen das ertragen. Wer Klausuren verliert, Noten an Studierende verteilt, die gar keine Klausur geschrieben haben, und über den ganzen Komplex – das ist doch das Schlimme daran – bis heute nur trickst und täuscht, hat tatsächlich keinerlei hochschulpolitische Kompetenz, Herr Kollege Laschet.

(Beifall von der SPD)

Das zeigt sich ja auch an Ihrer Forderung, die Studiengebühren wieder einzuführen.

(Armin Laschet [CDU]: Ihnen würde man den Lehrauftrag ja gar nicht geben!)

Mal abgesehen davon, dass dieses ein politischer Offenbarungseid ist. Mit dieser Forderung sind Sie selbst in der Union ein Alleinstellungsmerkmal.

(Armin Laschet [CDU]: Lesen Sie nur ab oder reagieren Sie auch auf Ihre Vorredner? – Lutz Lienenkämper [CDU]: In freier Rede soll man hier sprechen!)

Wissen Sie eigentlich, Herr Kollege Laschet, dass Sie aufgrund Ihrer Schlampereien in Aachen in Regress genommen worden wären, wenn wir Studiengebühren wieder eingeführt hätten? Wissen Sie das eigentlich?

(Zurufe von der SPD)

Wie sagte noch eine Ihrer Studentinnen über Sie? Sie sagte, Herr Laschet sei ein sympathischer Chaot.

(Heiterkeit von der SPD)

Ich finde, das beschreibt Ihren Politikstil ziemlich gut.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Als Mitglied einer schwarz-gelben Landesregierung führten Sie ja das G8 ein – unüberlegt, überhastet und voller Fehler. Heute kritisieren Sie uns dafür, dass wir nicht schnell genug das reparieren, was Schwarz-Gelb kaputtgemacht hat.

(Christian Lindner [FDP]: Sie regieren mittlerweile auch fünf Jahre!)

Heute kritisieren uns dafür, dass wir nicht schnell genug das repariert haben, was Sie kaputtgemacht haben. Mal sind Sie für G8, mal dagegen. Opportunistischer, Herr Kollege Laschet, geht es kaum.

(Armin Laschet [CDU]: Was sagt Ihre Stellvertreterin dazu?)

Ich nehme ein anderes Beispiel: Während Sie den Bergleuten im Rheinischen Revier weismachen wollen, Sie stünden auf ihrer Seite, fordert Ihre CDU, Herr Kollege Laschet, man solle im Rahmen der Leitentscheidung zu Garzweiler II auf die Fläche des vierten Abschnittes ganz verzichten. Das wäre das Ende von Garzweiler II. Also lassen Sie es sein, den Bergleuten Sand in die Augen zu streuen! Die glauben Ihnen sowie nicht!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Mit Blick auf Ihre ehemalige Studentin frage ich: Ist das doppelzüngig oder einfach nur chaotisch? – Ich nenne das unseriös.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Ihre Rede ist jedenfalls chaotisch!)

Und unseriös, Herr Kollege Laschet, um nicht zu sagen: dummdreist, ist Ihr Vorwurf, die Ministerpräsidentin würde sich in Berlin zu wenig für die Interessen Nordrhein-Westfalens einsetzen.

(Armin Laschet [CDU]: Ist eigentlich „dummdreist“ zu rügen, Herr Präsident?)

Auf diesen absurden Vorwurf kann man nur kommen, wenn man das Plappern in Talkshows oder das Geschnatter auf Twitter für seriöse Politik hält.

(Zurufe von der CDU)

Herr Kollege Laschet, wem ist denn das kommunale Investitionspaket des Bundes zu verdanken? – In erster Linie doch der Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Nicht von ungefähr nennt man in Berlin auch und vor allem in den Reihen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion das Investitionspaket auch das NRW-Paket. Wer hat denn in Berlin dafür gesorgt, dass Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen wird, ohne dass es zu Strukturbrüchen im Rheinischen Revier kommt?

(Armin Laschet [CDU]: Da wollen wir mal schauen! Wer schreibt Ihnen das Zeug auf? – Beifall von der SPD – Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Das waren Hannelore Kraft und Garrelt Duin.

(Beifall von der SPD)

Herr Kollege Laschet, Ihr Anteil an diesem Erfolg ist ein so gut gehütetes Geheimnis, dass noch nicht einmal Ihre Parteifreunde es kennen. Das ist Ihr Anteil an diesem Erfolg.

(Armin Laschet [CDU]: Ich habe Herrn Vassiliadis gelobt!)

Und wer hat dafür gesorgt, dass die Benachteiligung …

(Armin Laschet [CDU]: Loben Sie ihn einmal!)

– Mit Michael Vassiliadis sind wir Hand in Hand gelaufen, Arm in Arm, weil wir das hinbekommen haben, Herr Kollege Laschet. Ja, Sie müssen mir das nicht erzählen!

(Beifall von der SPD – Armin Laschet [CDU]: Sie loben nur Frau Kraft! Loben Sie beide! – Zurufe von Lutz Lienenkämper [CDU])

Herr Kollege Laschet, ich führe das noch weiter fort: Und wer hat dafür gesorgt, dass die Benachteiligung unseres Landes

(Armin Laschet [CDU]: Römer!)

im Länderfinanzausgleich heute allgemein anerkannt ist?

(Armin Laschet [CDU]: Die Ministerpräsidentin!)

Das waren Hannelore Kraft und Norbert Walter-Borjans, jawohl!

(Lebhafter Beifall von der SPD – Armin Laschet [CDU]: Ja, Jubel, Jubel, Jubel! – Zurufe von Lutz Lienenkämper [CDU])

Herr Kollege Laschet, zu Ihrer Erinnerung will ich das ein wenig auffrischen: Es war doch Ihr stellvertretender Vorsitzender Steffen Kampeter, der die berechtigten Forderungen Nordrhein-Westfalens noch im November letzten Jahres als völlig realitätsfremd bezeichnet hat. Und diese Forderungen sind so „realitätsfremd“, dass sie heute selbst vom Bundesfinanzminister für richtig gehalten werden, meine Damen und Herren. So realitätsfremd sind die!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber ich habe ja vernommen, Herr Kollege Laschet, dass mittlerweile unsere Forderungen nach einem gerechten Länderfinanzausgleich auch Ihre Forderungen sind. Nur, den Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.

(Armin Laschet [CDU]: Das haben wir hier gemeinsam beschlossen!)

Leider machen Sie, Herr Kollege Laschet, die Interessen Nordrhein-Westfalens immer erst dann zu Ihrer Sache, wenn Sie ansonsten taktische Nachteile befürchten müssten. Und das, Herr Kollege Laschet, lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Armin Laschet [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

– Sie haben noch Redezeit genug; das können Sie gleich alles sagen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollegen, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Laschet zulassen?

Norbert Römer (SPD): Nein, danke, ich will durchreden. Er hat nachher noch Zeit, zu reden.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Genau das passiert jetzt schon wieder. Ich spreche von der Flüchtlingspolitik, Herr Kollege Laschet, und der fairen Verteilung ihrer Kosten zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

(Weitere Zurufe von der CDU)

Wir können uns ja, meine Damen und Herren, ausgiebig mit Leidenschaft und streitig über Wirtschafts-, Finanz- und auch Bildungspolitik hier auseinandersetzen. Aber wenn es gilt, die Interessen unseres Landes und unserer Kommunen gegenüber dem Bund oder anderen Ländern zu vertreten, dann sollten wir, meine Damen und Herren, beieinanderstehen. Zumindest in der Flüchtlingspolitik sollte ein solcher Konsens doch möglich sein. Es war gestern wohltuend, wie Herr Stamp für die FDP sich von Ihrem Wortbeitrag abgehoben hat, Herr Kollege Laschet,

(Dietmar Brockes [FDP]: Hoffentlich haben Sie die Kritik auch verstanden, Herr Kollege?)

weil er selbstverständlich mit uns gemeinsam dafür sorgen will und sorgen wird, dass sich der Bund endlich an diesen Kosten angemessen beteiligt und auch seiner Verantwortung nachkommt. Ich habe das als angenehm empfunden. Bei Ihnen habe ich das vermisst, Herr Kollege Laschet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber Sie haben sich ja in den vergangenen Monaten als durchaus lernfähig erwiesen. Sie haben sich in der Diskussion um die Bund-Länder-Finanz-beziehungen jetzt hinter der Position von Hannelore Kraft und Norbert Walter-Borjans versammelt. Das geschah zwar erst, Herr Kollege Laschet, als sich der gestrenge Bundesfinanzminister den klugen Argumenten und dem öffentlichen Druck nicht mehr erwehren konnte. – Geschenkt!

Dass Sie bei diesen Prozessen nicht gefragt sind, das müssen Sie in der CDU klären.

Aber hier geht es um Nordrhein-Westfalen. Da sollten Sie zu einer konstruktiven Haltung und einer gemäßigten Rhetorik fähig sein, wenn Ihnen einmal nicht das Herz in die Hose rutscht, weil Sie einmal mehr von Ihren Eskapaden und Affären eingeholt werden. Das wäre ein echter Fortschritt – für Sie, Ihre Partei allemal, auch für unser Land. Ich hoffe, Herr Kollege Laschet, Sie bleiben da lernfähig. – Vielen Dank fürs Zuhören, meine Damen und Herren.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die FDP-Fraktion spricht der Fraktionsvorsitzende Christian Lindner.

Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Norbert Römer hat den überwiegenden Teil seiner Redezeit darauf verwendet, sich an Armin Laschet abzuarbeiten. Der Kollege Römer hat Armin Laschet jetzt jede wissenschaftspolitische Expertise abgesprochen, weil er Klausuren verloren habe. Herr Römer, wenn Sie diesen Maßstab anlegen, wie bewerten Sie dann eine Wissenschaftsministerin, die Atomkugeln verloren hat?

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Herr Finanzminister, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede auf die besondere Situation in den Haushaltsjahren 2015 und 2016 hingewiesen. Wir sehen auch, dass sich das Land Nordrhein-Westfalen in einer Sonderlage befindet. Wir können darüber diskutieren, in welchem Umfang sie vielleicht zu Jahresanfang hätte absehbar sein können, aber das würde der Ernsthaftigkeit der Aufgabe, denke ich, nicht gerecht.

Sie können sich sicher sein, dass sich meine Fraktion im Beratungsverfahren in jeder Form konstruktiv einbringen wird und Ihnen auch jede notwendige Flexibilität einräumen wird. Wir stehen auch dazu, dass das Land Nordrhein-Westfalen die Kommunen dabei unterstützt, Menschen in Not Obdach zu bieten und Integration vorzubereiten. Gerade diese Frage der Solidarität mit Flüchtlingen verbietet es, dass man ein Preisschild an sie hängt.

Diese Sonderlage, Herr Finanzminister, entlässt Sie allerdings nicht aus der Verantwortung, die besonders jetzt geforderte Solidarität mit Schwächeren zu verbinden mit maximaler Solidität der Haushaltsführung hier im Land.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dass wir über Nachträge und gegebenenfalls auch eine höhere Kreditaufnahme sprechen müssen, offenbart ja, wie auf Kante genäht Ihre Finanzplanung ist. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die in den letzten Jahren bestehende wirtschaftspolitische Situation keine Garantie für die Zukunft enthält, sondern dass wir Risikopuffer brauchen – jetzt wegen der Flüchtlinge. Wir haben gesehen, was nach dem Börseneinbruch in China passiert ist, welche Auswirkungen er auf Deutschland und auf unsere Aktienmärkte hat. Wer weiß, was noch für unsere exportorientierte Wirtschaft daraus erwächst.

Also spätestens jetzt sollten Sie die großen Aufgaben in der Flüchtlingspolitik als ein Menetekel begreifen, einen grundlegenden finanzpolitischen Richtungswandel einzuleiten.

(Beifall von der FDP)

Das beziehe ich übrigens nicht ausschließlich auf die Finanzpolitik, Frau Ministerpräsidentin. Ihre Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik – ich werde das gleich noch im Einzelnen ausführen – weist große Schwächen auf. Unsere Sorge ist, dass sich angesichts Tausender Menschen, die jetzt nach Nordrhein-Westfalen kommen und integriert werden, erst recht die Defizite in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik zulasten der Schwächsten darstellen werden. Deshalb brauchen wir auch hier einen politischen Wechsel, der endlich die richtigen Prioritäten setzt.

Frau Kraft, es ist der sechste rot-grüne Haushalt, den wir jetzt beraten. Sechsmal steigende Steuereinnahmen, die Ihnen in den Schoß gefallen sind, sechsmal sinkende Zinsausgaben, von denen Sie profitiert haben. Sechsmal haben Sie nichts daraus gemacht, weil Sie sechsmal falsche Schwerpunkte gesetzt haben. Jetzt – im Jahr 2015 – verfügen Sie verglichen mit den Zahlen von 2010 über Haushaltsverbesserungen von 14 Milliarden € gegenüber dem letzten Landeshaushalt, den Helmut Linssen zu verantworten hatte.

Obwohl es Haushaltsverbesserungen in Höhe von 14 Milliarden € gibt, müssen Sie dennoch neue Schulden in Milliardenhöhe machen. Ich werde Ihnen nachweisen, dass das insbesondere mit der Hasenfüßigkeit der SPD gegenüber Ihrem grünen Koalitionspartner zusammenhängt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Diese Schwächen in der konzeptionellen Anlage Ihrer Politik, Frau Ministerpräsidentin, zeigen sich nicht nur im Landeshaushalt, sondern inzwischen ist das nach einem halben Jahrzehnt an vielen Stellen zu beobachten – in den Schulen, bei Straßen und Brücken und am Arbeitsmarkt. Überall dort sieht man nach fünf Jahren Auswirkungen Ihrer falschen Politik in diesem Land, Ihrer falschen Investitionspolitik. Die Wirtschaft schreibt nicht nur ihre Produktionsmittel ab, sondern in zunehmendem Maße schreibt die Industrie den gesamten Standort Nordrhein-Westfalen ab.

Es ist aber in meinen Augen die Kapitulationserklärung Ihrer Landesregierung gewesen, Frau Ministerpräsidentin, dass der Bundestagspräsident das Ruhrgebiet eine erstarrte Region nennen konnte, ohne dass Ihre Landesregierung auch nur ein einziges Argument dagegen vorbringen konnte.

Bereits in drei Jahren gilt die Schuldenbremse des Grundgesetzes. Trotzdem nehmen Sie jetzt noch 1,5 Milliarden € neue Kredite auf.

(Norbert Römer [SPD]: In drei Jahren!)

– Ja, Herr Römer, in drei Jahren. Wir wollen einmal schauen – das werde ich gleich ausführen –, wie Sie die 1,5 Milliarden €, die Ihnen noch fehlen, erbringen wollen.

Es wird ja ungefähr so sein, wie Sie das in den vergangenen Jahren gemacht haben. Da haben Sie nämlich nicht auf Einsparungen, auf Effizienzsteigerungen gesetzt – siehe die kläglichen Ergebnisse des Effizienzteams –,

(Zuruf von Norbert Römer [SPD])

sondern darauf, dass Ihnen andere die Kastanien aus dem Feuer geholt haben: die günstige Konjunkturlage. Und Sie haben darauf gesetzt, dass Ihnen beispielsweise die Menschen mehr Geld zur Verfügung stellen, indem Sie die Grunderwerbsteuer erhöht haben oder jetzt versuchen, an der Schraube der Erbschaftsteuer zu drehen.

Sie haben, obwohl die SPD dort mitregiert, immer auf den Bund gezeigt, wenn es darum ging, für Nordrhein-Westfalen neue Mittel zu bekommen: siehe der Finanzminister in seiner heutigen Rede mit Blick auf die Gelder, die nicht mehr für das Betreuungsgeld aufgewendet werden. Das ständige Zeigen auf andere, Frau Ministerpräsidentin, ist nicht nur einfallslos, sondern auch larmoyant und würdelos, wie es das stolze Land Nordrhein-Westfalen nicht verdient hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Denn mit einer anderen Politik könnte es Nordrhein-Westfalen – so wie andere auch – aus eigener Kraft schaffen.

(Zuruf von Minister Dr. Norbert Walter-Borjans)

– Sie schaffen es ja nicht aus eigener Kraft. Jetzt kommt wieder die Leier mit dem Finanzausgleich. Gerade haben Sie die CDU verantwortlich gemacht. Sie haben Herrn Spahn und den Bundesfinanzminister zitiert und für die gegenwärtige Konstruktion des Bund-Länder-Finanzausgleichs kritisiert.

Rufen wir uns mal Folgendes in Erinnerung! Die SPD hier klagt über einen Länderfinanzausgleich, der im Jahre 2005 auf Initiative von Hans Eichel und Peer Steinbrück beschlossen worden ist. Das ist Ihr eigenes Gesetz.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Defizite im Länderfinanzausgleich sind die Defizite sozialdemokratischer Politik. Sie wollen in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik diese Form der Umverteilung: Geld von Menschen, die sich selber etwas erarbeiten können, hin zum Staat. Im Länderfinanzausgleich, bei dem Sie selber davon betroffen sind, wollen Sie diese Form von Umverteilungspolitik nicht, weil Sie für Ihre eigenen Leistungen gewürdigt werden wollen. Das müssen Sie mir mal erklären, wie das zusammengeht. Den Menschen wollen Sie eine andere Politik aufoktroyieren, als Sie für sich selbst für richtig halten.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie rühmen sich, Herr Finanzminister, die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr reduziert zu haben. Da lohnt ein genauerer Blick. Der hochverschuldete Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes Nordrhein-Westfalen ist der breiteren Öffentlichkeit nicht unbedingt als die Cashcow des Landes bekannt. Aber mit einem Federstrich muss der BLB im kommenden Jahr 400 Millionen € …

(Lachen von Minister Dr. Norbert Walter-Borjans)

– Was lachen Sie? Stimmt das nicht? § 26 Abs. 1 …

(Zuruf von Minister Dr. Norbert Walter-Borjans)

– Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb will dem Land Nordrhein-Westfalen zusätzliches Geld überweisen! Das ist ja großartig!

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Unter welcher Aufsicht steht der BLB?

(Zuruf von Minister Dr. Norbert Walter-Borjans)

– Lieber Herr Finanzminister, wenn der Bau- und Liegenschaftsbetrieb mit 7,6 Milliarden € verschuldet ist und jetzt an das Land Nordrhein-Westfalen Geld überweisen will, wie Sie sagen, damit Sie weniger Kredite aufnehmen, ist das keine solide Finanzpolitik. Das ist Bilanzkosmetik, was Sie da machen.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Das setzt sich ja fort. Das ist der Witz des Tages: Der BLB will an das Land zusätzliches Geld überweisen!

(Heiterkeit von der FDP und der CDU – Zuruf von Minister Dr. Norbert Walter-Borjans)

– Ja, entschuldigen Sie, Sie können das später noch mal erläutern, in welcher Weise Sie hier argumentieren wollen. Da wird Ihnen bestimmt eine wunderbare Formulierung einfallen. Wir kennen Sie ja; das ist Ihr großes Talent, neue Steuern zu erfinden und immer neue Begründungen für Schulden in die Welt zu setzen. Ich bin gespannt, was uns da gleich erwartet.

Aber in Wahrheit ist es eine Strategie. Armin Laschet hat das eben mit Blick auf den Pensionsfonds und die Rücklagen für die Altersversorgung der Beamten schon vorgetragen. Das ist doch eine Strategie, dass dort in den nächsten Jahren Geld herausgenommen wird, damit Sie im Haushalt Erleichterungen haben.

Die Enquetekommission hat die Zukunftslasten aufgezeigt. Das beeindruckt Sie allerdings nicht; Sie nehmen stattdessen Geld zurück.

(Zurufe von der SPD)

Das Bemerkenswerteste in diesem Zusammenhang ist – deshalb habe ich gerade Ihr Talent argumentativ hervorgehoben –, wie Sie das immer schaffen, das auf den ersten Blick nachvollziehbar darzustellen. Sie haben Ihre Entscheidung, die Vorsorgeaufwendungen reduzieren zu wollen, in Ihrer Pressemitteilung dazu – leider habe ich sie nicht mitgenommen, sodass ich die Formulierung nur ungefähr wiedergeben kann – damit begründet, Sie machten es so wie die Bayern. – Stimmt doch, oder?

(Zuruf von Minister Dr. Norbert Walter-Borjans)

Sie machten es sogar noch besser als die Bayern. – Der Unterschied ist nur, Herr Finanzminister, Bayern tilgt Schulden und wird 2030 schuldenfrei sein. Wenn die Bayern Vorsorgeaufwendungen zurückführen, ist das etwas völlig anderes als das, was Sie als hochverschuldetes Land machen.

(Zuruf von Norbert Römer [SPD])

Sie machen es nicht wie Bayern; Sie machen in dieser Frage das Gegenteil von bayerischer Politik und handeln somit unsolide.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Ich erlaube mir, einen letzten Aspekt zur allgemeinen finanzpolitischen Lage hinzuzufügen, weil ich glaube, er enthüllt ein Stück von der Mentalität der Regierung Kraft. Ich habe mir aufschreiben lassen, wie sich die Entwicklung Ihrer Staatsausgaben und die Entwicklung unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit seit 2010 darstellen. Da sieht man Bemerkenswertes, Herr Finanzminister:

Die NRW-Wirtschaft ist zum Beispiel im letzten Jahr real um 1,3 % gewachsen. Ihre Ausgaben dagegen sind um mehr als das Dreifache – etwa 4,5 % – gestiegen. Das gilt, seit Sie Verantwortung tragen.

Seit Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen Verantwortung trägt, ist der Staatshaushalt in jedem Jahr bedeutend schneller gewachsen als die nordrhein-westfälische Volkswirtschaft. Weniger diplomatisch ausgedrückt: Sie geben das Geld schneller aus, als die Menschen es erwirtschaften können. Das ist das Grundproblem Ihrer nordrhein-westfälischen Finanzpolitik.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Um es für die Grünen zu sagen: Nachhaltigkeit ist nicht nur ein ökologischer Begriff, sondern auch ein finanzpolitischer. Man kann auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben, als zur Verfügung steht.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Nordrhein-Westfalen braucht nach unserer Überzeugung eine haushaltspolitische Wende. Der Staat darf zumindest nicht mehr schneller wachsen als die Wirtschaft, wenn wir auf Dauer seine Handlungsfähigkeit sichern wollen. Das ist die einzige Strategie, die wir haben, um Nordrhein-Westfalen aus der Abhängigkeit von den Kapitalmärkten zu befreien.

Nordrhein-Westfalen muss dazu auch die attraktivsten Investitionsbedingungen in Deutschland schaffen: durch weniger Bürokratie – lediglich ein Beispiel für Bürokratie ist das Tariftreue- und Vergabegesetz –, neue Flächen, beste Infrastruktur und – wie es auch Norbert Römer mit seiner bemerkenswerten Formulierung „In der digitalen Wissensökonomie gibt es Prosperität und soziale Gerechtigkeit nur in einem Innovationsland“ gesagt hat – Innovationen. Also ich ahne, was Sie meinen. Trotzdem hat der Satz etwas von Loriot.

(Heiterkeit von der FDP und der CDU)

Es geht um Innovation und attraktives Standortmarketing. Das brauchen wir für Nordrhein-Westfalen. Aber wie ist die Realität? Ich habe Frau Schulze eben schon angesprochen. Jetzt will ich sie schonen. Sie hat viel zu tun, sie muss die Umbenennung der Studentenwerke in „Studierendenwerke“ organisieren. Da kann man schon einmal übersehen, dass in Münster ein exzellentes Forschungsinstitut kurz davor steht, nach München umzuziehen. – Genau das ist dann ja auch passiert. Die „FAZ“ hat daraus eine Riesenmeldung gemacht. Frau Ministerpräsidentin, ich muss Ihnen sagen: Ich würde mir sehr wünschen, dass der Journalist Reiner Burger in der „FAZ“ mal wieder eine Erfolgsmeldung über Nordrhein-Westfalen platziert bekommt.

Johannes Remmel lobt mit 800 Millionen € eines der größten Subventionsprogramme für grüne Projekte aus. Das sind – Stichwort „digitale Wissensökonomie“, Herr Römer – zehnmal mehr Mittel, als Sie für den Breitbandausbau zur Verfügung stellen. Es ist ein Symbol, dass diese 800 Millionen € an Subventionen, die Herr Remmel bis 2020 ausgeben darf, finanziell von Herrn Duin verwaltet, aber inhaltlich von Herrn Remmel verantwortet werden. Der Wirtschaftsminister wird also zum Sachbearbeiter von Herrn Remmel kastriert – nach dem Motto: „Wo ein grüner Wille ist, da ist auch Geld.“

Für das Projekt newPark hingegen werden die Hürden in den letzten Jahren systematisch erhöht. Wir sind wieder – wie bei Garzweiler – Zeugen eines bemerkenswerten Schauspiels geworden: Die Ministerpräsidentin zieht sich in die Rolle der unabhängigen juristischen Prüfstelle zurück. Herr Duin darf dem Projekt newPark rhetorische Girlanden umhängen, und im Verwaltungsapparat zieht Herr Remmel alle Bremsen, die er in Griffweite hat. Für diese Strategie hat Ihr sozialdemokratischer Landrat dort vor Ort ja inzwischen ein neues Wort geprägt. Er spricht von einer „Remmelei“, die sich da ereignet hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Eine „Remmelei“ sei das.

Über den konkreten Standort hinaus ist das ein weiteres fatales Signal. Es gilt nicht nur „Wo ein grüner Wille ist, da ist auch Geld“, es gilt auch: Wo kein grüner Wille ist, da ist auch kein Weg. – Das ist eine ganz schlechte Nachricht für Nordrhein-Westfalen und alle, die investitionsbereit sind.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, wir kennen das schon – das betraf übrigens genau diesen Standort newPark –: Vor ungefähr 15 Jahren suchte BMW bundesweit nach einem neuen Standort. Infrage kamen auch die Rieselfelder dort in der Emscher-Lippe-Region. Dann hat Bärbel Höhn hier im Landtag – ich erinnere mich noch an die Debatten – alle Register gezogen, damit BMW nicht auf die Rieselfelder in der Emscher-Lippe-Region geht und da ein neues Werk aufbaut, sondern dass die woanders hingehen. Heute können Sie in Leipzig sehen, was für ein enormer Treiber das für die Region war und wie viele Tausend Menschen dort Arbeitsplätze gefunden haben. Die hätte es hier in Nordrhein-Westfalen geben können!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Also machen Sie daraus nicht einen Fortsetzungsroman, indem sie den jeweiligen grünen zuständigen Kabinettsmitgliedern die Möglichkeit in die Hand geben, solche Zukunftsprojekte für Nordrhein-Westfalen auf Dauer zu vereiteln.

Im Juli haben wir in der Energiepolitik noch einmal ein echtes Zerwürfnis erlebt. Herr Duin hat die eben auch von Herrn Römer gelobten Beschlüsse der Großen Koalition zur Energiepolitik und insbesondere zur Braunkohle gelobt. Herr Remmel hingegen hat getwittert „Kein guter Tag“, weil der Kohle nicht komplett der Garaus gemacht worden ist.

Ich glaube, dass sowohl Herr Duin als auch Herr Remmel in der Energiepolitik nicht richtig liegen; denn es kann nicht richtig sein, dass wir Strukturbrüche in der Braunkohle nur dadurch verhindern, dass dort wiederum Milliardensubventionen hingelenkt werden. Besser wäre es, eine europäisch eingebettete Energiepolitik zu machen, die weder Subventionen an Erneuerbare noch an die Braunkohle auszahlt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir haben aber hier jetzt keine energiepolitische Debatte.

Weil ich gerade Herrn Mostofizadeh sehe: Es ist im Zusammenhang mit dem Thema „Braunkohle“ bizarr, Herr Kollege, dass aus den Reihen der Grünen kritisiert wird, dass es Strafanzeigen gegen die Garzweiler-Besetzer gegeben hat. Aus den Reihen der Grünen ist das kritisiert worden: Kohle hätte eh keine Zukunft. Und wie könne es denn sein …? – Das ist deshalb bemerkenswert, weil ja ihre eigene Parteizentrale im Jahre 2013 von Klimaaktivisten gestürmt worden ist und Sie dann ihre Parteizentrale von der Polizei haben räumen lassen. Es ist schon ein bisschen Heuchelei, wenn das bei der Braunkohle nicht gilt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Naja! – Ich will aber eigentlich auf einen anderen Punkt hinaus, nämlich wie Nordrhein-Westfalen als Wirtschafts- und potenzieller Investitionsstandort wahrgenommen wird. Dieser Zusammenstoß in der Energiepolitik hat ja zu dem legendären – wie soll man sagen? – Wutbrief des Ministers Duin geführt. Herr Duin, Sie müssen mich korrigieren, wenn das jetzt falsch zitiert ist. Herr Duin hat geschrieben:

„Das Gejammer aus großen Teilen der Umweltecke ist ideologisch begründet und verleugnet die Realität. Und so manche Behauptung ist sogar gelogen.“

(Zuruf von der FDP: Stimmt! Da hatte er auch recht!)

Dann haben Sie, wenn ich das richtig zitiere, weiter geschrieben:

Es stelle sich die Frage, ob wir, also Sozialdemokraten und Grüne, die gleichen Vorstellungen von der Gestaltung unseres Landes haben.

Das war der Wutbrief.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das steht nicht drin!)

– Das steht nicht drin? Herr Mostofizadeh, das, was Herr Duin da gemacht hat, ist das Stilmittel der rhetorischen Frage gewesen. Die Koalition hat natürlich offensichtlich nicht dieselben Vorstellungen von der weiteren Entwicklung des Landes. Das Traurige ist nur, dass die SPD bereit ist, die Arbeitsplätze der Zukunft dem Koalitionsfrieden zu opfern.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Zweiter Punkt: Nach dem Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen geht es nun um die Situation unserer Infrastruktur. Frau Ministerpräsidentin, Sie haben im März völlig zu Recht zum Investitionsprogramm des Bundes gesagt: Wir müssen dringend mehr investieren, um für die Zukunft vorzusorgen. – Bei dem Ziel stimmen wir alle überein.

Nur, jenseits der Rhetorik müssen wir uns natürlich auch die Realitäten in Ihrem Haushalt ansehen. Der Landesrechnungshof rügt, dass Nordrhein-West-falen im Jahr 2014 unter Ihrer Verantwortung die niedrigste Investitionsquote seit 20 Jahren hat. Der Anteil der Landesmittel für Investitionen wird in den nächsten Jahren noch weiter sinken, 2019 auf nur noch 6,5 %. Frau Ministerpräsidentin, Ihre Landesregierung fährt Nordrhein-Westfalen auf Verschleiß.

(Beifall von der FDP)

Der Bundesverkehrsminister hat Herrn Groschek sogar Schlamperei attestiert. Herr Minister Groschek, ich kenne Alexander Dobrindt noch aus unseren gemeinsamen Tagen als Generalsekretäre der Bundesparteien von CSU und FDP. Ich kann Ihnen insofern nur sagen: Ich gönne Ihnen den Kollegen Dobrindt. Dennoch hat er recht. Nordrhein-Westfalen setzt die falschen Prioritäten, wenn Sie trotz mehrfacher Aufforderung – wie er mitteilt – nicht in der Lage sind, baureife Projekte darzustellen. Das hat Gründe.

Ein Grund ist: 2010 haben die Grünen durchgesetzt, dass eine Vielzahl von Projekten nicht mehr weiterverfolgt wird.

Ein Grund ist, dass die grüne Fraktion generell

(Zuruf von Norbert Römer [SPD])

gegen den Straßen- und Brückenbau in Nordrhein-Westfalen mobilisiert.

Ja, natürlich, Herr Mostofizadeh, sagen Sie, das sei nicht so. – Es ist so.

Wir haben gegenwärtig im Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2016 mit 32 Millionen € den niedrigsten Ansatz aller Zeiten für Investitionen in die Landesstraßen. Trotzdem ist das Ihrer Fraktion noch zu viel.

Herr Mostofizadeh, Sie müssen doch wissen, was Ihre Kollegen sagen. Der Kollege Klocke lässt sich im „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit dem Hinweis zitieren, er fordere eine Halbierung des Etats für Landesstraßen, und stattdessen solle der Radwegebau um 16 Millionen € aufgestockt werden. Das ist ein ideologischer Radwegewahn,

(Beifall von der FDP und der CDU)

der zu Staus auf den Straßen führt.

Die nächste grüne Trophäe im Verkehrsbereich ist doch schon in Reichweite. Ich sage nur: Der Flughafen Düsseldorf will wachsen. Herr Groschek sagt: Na ja, dann müssen wir schauen, ob wir da was ermöglichen können. Die Grünen sind dagegen und erklären: Das brauchen wir nicht. – Und Herr Remmel hat angekündigt, dass er seinen Apparat in die Prüfung des Vorhabens einbringen wird.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

Ja, wenn das keine Drohung ist! Da droht die nächste Trophäe. Man muss das wohl als Warnung auffassen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Nicht zuletzt, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich weiß ja, was kommt –: Gleich heißt es wieder, bei Straßen.NRW stimmen die Kapazitäten bei der Planung nicht usw. Dann ist die Standardreplik, dass man natürlich auch etwas an private Büros geben kann. Aber Sie hätten natürlich locker fünf Jahre Zeit gehabt, die Defizite bei Straßen.NRW zu beseitigen. Das ist ja nicht Ihr Premierenhaushalt, sondern Sie sind seit einem halben Jahrzehnt verantwortlich.

Aber wie ist die Entwicklung dort? – Straßen.NRW hat seit 2010 166 Stellen abgegeben. Seit 2010, zu Ihrer Verantwortungszeit! Im gleichen Zeitraum hat übrigens Herr Remmel 100 Stellen zusätzlich erhalten. Auch im Haushaltsgesetz 2016 bekommt das LANUV 23 zusätzliche Stellen, während es nur eine einzige neue Stelle bei Straßen.NRW gibt. In der Verkehrspolitik kann man also sagen: Remmel gegen Groschek 23 zu 1, wieder eine Niederlage für das Land Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Wir fordern einen Politikwechsel für Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen, eine Verstärkung der Planungskapazitäten, die Nutzung der Mittel, die der Bund bereitstellt, eine Aufstockung auch der Landesmittel für den Straßenbau.

Sie haben ja damals mal die Linkspartei für einen Haushalt zugunsten der Minderheitsregierung einkaufen müssen. Seinerzeit haben Sie auch zweistellige Millionen-Euro-Beträge im ÖPNV für Projekte der Linkspartei bereitgestellt.

Unser Vorschlag ist: Widmen Sie das um, was Sie damals gar nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur für die Linkspartei – 30 Millionen € waren es übrigens – an Zahlungen für kommunalen ÖPNV in den Haushalt eingestellt haben. Wir brauchen keine Erinnerung an die Linkspartei im Landeshaushalt. Das Geld ist in einem Sonderprogramm Landesstraßenbau besser aufgehoben.

(Beifall von der FDP)

Dritter Punkt: Um 11 Uhr wurde gerade der Bildungsmonitor für dieses Jahr vorgestellt, der die Länder rankt. Herr Römer hat eben dargestellt, eine lange Linie der nordrhein-westfälischen Landespolitik sei das, was die Ministerpräsidentin „Kein Kind zurücklassen“ nennt. Fünf Jahre, ein halbes Jahrzehnt, regieren Sie. Das Ergebnis ist: Bei der Bildungsarmut, Frau Ministerpräsidentin, steht Nordrhein-Westfalen jetzt auf dem 13. Platz. Nur die Stadtstaaten sind noch schlechter als Nordrhein-Westfalen.

Statt immer neue Verteilungsdebatten gegen reiche Erben zu organisieren, unseren Mittelstand beispielsweise, sollten Sie sich den eigentlichen sozialpolitischen Fragen widmen. Die liegen darin begründet, dass in Nordrhein-Westfalen im Jahr fünf Rot-Grün immer noch jeder 20. Jugendliche die Schule ohne einen Abschluss verlässt. Das ist der Skandal,

(Beifall von der FDP und der CDU)

nämlich die Ungleichverteilung von Chancen.

Ihre Schulpolitik, Frau Löhrmann, ist eine einzige Großbaustelle. Es ist nichts abgeschlossen. Es droht überall der Bauabbruch, zum Beispiel in der Inklusion.

„Quatsch“, sagt Frau Löhrmann. Wo leben Sie? Der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung läuft alles andere als reibungslos.

(Armin Laschet [CDU]: Selbst die Gesamtschulen klagen!)

– Selbst die Gesamtschulen klagen. 52 Städte haben inzwischen Klage erhoben, weil sie die Landesmittel für die Inklusion als nicht ausreichend empfinden. So viel zur Haltbarkeit Ihres damals hier verkündeten Kompromisses. Jetzt wird schon dagegen geklagt.

Man kann unter dem Strich sagen: Aus dem sinnvollen Ziel der Inklusion haben Sie eine strukturelle Gefährdung des Kindeswohls gemacht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Baustelle Schulfrieden: Viele Gymnasien haben bereits Konzepte entwickelt, um mit der Verkürzung des gymnasialen Bildungsganges pädagogisch sinnvoll umzugehen. Wenn es jetzt in der Praxis dennoch Probleme gibt, Frau Löhrmann, hängen die überwiegend nicht mit G8 im engeren Sinne zusammen, sondern damit, dass die Gymnasien bei der Versorgung mit Fachlehrern, bei der Klassenfrequenz und beim systematisch ausgebauten Ganztag benachteiligt wurden.

Sie sagen schon wieder: „Quatsch.“ Sie sagen, es stimmte nicht, was wir über das, was Sie in den letzten fünf Jahren getan haben, sagen. – Wir haben doch vom Landesrechnungshof die Zahlen bekommen, Frau Löhrmann: 71 % der Schüler am Gymnasium können aufgrund der Unterversorgung bei den Lehrerstellen nicht einmal die Pflichtstundenzahl laut Stundenplan erhalten.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Genau diese strukturelle Benachteiligung des Gymnasiums führt dazu, dass von den Eltern, den Lehrern und teilweise auch von den Schülern G8 als das Problem erachtet wird. Das eigentliche Problem ist aber nicht die Verkürzung des Bildungsganges bis zum Abitur, sondern die Benachteiligung durch Ihre Politik.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir haben Sie eindringlich davor gewarnt, Frau Löhrmann. Wir haben darauf hingewiesen, dass es hier ein Problem gibt, weil sich das Gymnasium aufgrund der steigenden Schülerzahlen und der größeren Heterogenität der Lerngruppen in einem Wandel befindet. Es bedarf also auch einer Binnendifferenzierung; es gibt nicht mehr das Gymnasium wie vor 30 Jahren.

Wir haben Sie davor gewarnt, die 2.000 Stellen, die durch G8 wegfallen, komplett einzusparen. Wir haben hier beantragt, dass Sie mindestens 627 Stellen – also eine zusätzlich für jedes Gymnasium – erhalten. Sie haben aber die 2.000 Stellen, die Sie durch G8 eingespart haben, bis auf den letzten Mann, die letzte Frau einkassiert. Deutlicher kann man nicht zeigen, was man vom Gymnasium hält.

(Beifall von der FDP)

Wir brauchen einen Stärkungspakt für Gymnasien und Realschulen. Für diese haben Sie nichts übrig; das wurde bei der Jahresauftaktpressekonferenz überdeutlich, Frau Löhrmann.

Gelobt haben Sie, dass es seit 2010 schon 220 neue Schulen des längeren gemeinsamen Lernens gäbe. Liebe Kollegen von der CDU, hören Sie genau hin, was unter „Schulfrieden“ verstanden wird, nämlich 220 neue Schulen des längeren gemeinsamen Lernens. – Das ist auch Ihr Schulfrieden.

Jetzt könnte man erwarten, dass die Landesregierung wenigstens bei den Ergebnissen ihrer Schulpolitik für Transparenz und Vergleichbarkeit sorgt, Frau Löhrmann. Sie haben eben, als wir auf der Ebene von Zwischenrufen einen kurzen Disput hatten, gesagt, Sie als Grüne seien in der Lage, auch Fehler einzugestehen, wenn es Probleme gäbe. Das spricht für mich dafür, dass Sie durchaus bereit sind, für Transparenz zu sorgen.

Insbesondere aus Baden-Württemberg hören wir – Herr Remmel, mit Ihnen bin ich leider schon „fertig“ –, dass es bei den dortigen Gemeinschaftsschulen erhebliche Probleme gibt. In der „FAZ“ heißt es, gemäß einer unter Verschluss gehaltenen wissenschaftlichen Begleitforschung – Achtung – würden die Lernzeiten nicht effektiv genutzt, die Lehrer hätten keinen Überblick, die Leistungsbeurteilung sei fragwürdig, leistungsstärkere Schüler würden nicht ausreichend individuell gefördert usw. usf. – Das lässt doch aufhorchen.

Wie ist die Lage in Nordrhein-Westfalen? Was gibt es dazu zu sagen? Was aber machen Sie, Frau Löhrmann? – Es wird eine neue Kategorie eingeführt. Die Kategorie heißt jetzt: Schulen des längeren gemeinsamen Lernens.

Auch am Montag, als Sie Ergebnisse vorgestellt haben, wurden alle Schulen des längeren gemeinsamen Lernens in einen Topf geworfen, egal welche. Frau Löhrmann, ich fordere Sie auf: Zeigen Sie uns schulformscharf, am besten noch schulscharf die Ergebnisse der Evaluation der Leistungen, weil wir sonst den Eindruck haben, dass Sie etwas vertuschen wollen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir wollen einen echten Schulfrieden. Wenn ich hier für die Gymnasien spreche, dann nicht, weil ich Privilegien für Gymnasien und Realschulen möchte …

(Unruhe – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

– Nein, Herr Mostofizadeh. – Nein, Herr Marsching. Da waren Sie noch gar nicht dabei. Zu unserer Verantwortungszeit …

(Zurufe)

– Machen Sie einmal den Versuch, sich von Fakten beeindrucken zu lassen.

(Lachen)

Zwischen 2005 und 2010 hat die frühere schwarz-gelbe Landesregierung 8.000 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen, und zwar für alle Schulformen, weil wir Ihr selektives Gerechtigkeitsverständnis nicht teilen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Man müsste noch einiges über die Innenpolitik dieser Landesregierung sagen; denn auch dort verliert sich die rot-grüne Koalition im Klein-Klein. Herr Jäger gewinnt zwar viele Titel für Nordrhein-West-falen, aber Bonn ist Einbruchshauptstadt, Köln ist gefährlicher als Berlin, NRW ist das Paradies der Einbrecher.

Was ist die Antwort darauf? – Aktionsprogramme, Blitzmarathon. Sie warnen die Menschen nach dem Motto „Augen auf und Taschen zu“ vor Taschendiebstählen, „Riegel vor!“ bei Diebstählen. Jetzt fehlt noch, dass Sie den Bürgern in Duisburg-Marxloh empfehlen, nachts das Haus nicht zu verlassen. – Herr Jäger, das kann doch nicht die Antwort unseres Rechtsstaates sein.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es kann doch keine Antwort sein, mit aktionistischer PR über reale Defizite – 51 % Steigerung bei der Einbruchskriminalität seit 2010 – hinwegzutäuschen.

Ich mache Ihnen einen konkreten Vorschlag: Sparen Sie die Stunden für die Blitzmarathons komplett ein und führen stattdessen nachts an Autobahnauffahrten systematisch Kontrollen der Leute durch, die aus Wohngebieten wegfahren, um zu schauen, wer möglicherweise Diebesgut im Kofferraum hat. Damit würden Sie einen Beitrag zu mehr Sicherheit in Nordrhein-Westfalen leisten.

(Beifall von der FDP – Zurufe von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, die Frau Ministerpräsidentin sieht sich außerstande, der Öffentlichkeit zumindest einmal im Monat in Form unserer Landespressekonferenz Rede und Antwort zu stehen. Was woanders im Wochenrhythmus möglich ist, das kann Frau Kraft noch nicht mal einmal im Monat, weil sie angeblich so viel zu tun hätte. – Frau Ministerpräsidentin, ich glaube, das hat einen anderen Grund. Das zeigt nicht nur Ihr defensives Verständnis von Politik, sondern auch, dass Sie eigentlich keine politischen Projekte mehr vorhaben, über die Sie Auskunft geben können.

Wir haben in der Sommerpause gelernt, dass Sie die Kölner Rheinbrücken nicht mehr befahren dürfen, weil Ihr Dienstwagen zu schwer sei. Man würde sich wünschen, dass Sie die Rheinbrücken wegen Ihres eigenen politischen Gewichts nicht befahren dürften.

(Heiterkeit von der FDP)

Aber das große Schwergewicht in Ihrem Kabinett sitzt leider hier drüben, bei Herrn Remmel. Meine Damen und Herren, in Nordrhein-Westfalen wird erst wieder etwas besser, wenn es grundlegend anders wird.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Lindner. – Als nächster Redner ist nun Herr Mostofizadeh, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, am Pult.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss sich nach der Rede von Herrn Lindner schon fragen, was im Jahre 2010 passiert ist, warum diese „fulminante“ Regierung abgewählt worden ist.

(Beifall von den GRÜNEN und Norbert Römer [SPD])

Ich will nur auf zwei Punkte eingehen, die Herr Lindner vorgetragen hat: Herr Lindner, es ist falsch, wie Sie das Zustandekommen des Länderfinanzausgleichs beschreiben. Das habe ich schon einmal gesagt. Vielleicht sollten Sie einmal zuhören; das könnte weiterbilden.

(Christian Lindner [FDP]: Sagen Sie mal, wie es war!)

– 2005 ist das Maßstäbegesetz erneuert worden und nicht grundsätzlich der Länderfinanzausgleich auf neue Füße gestellt worden.

(Christian Lindner [FDP]: Das Maßstäbegesetz ist vorher gekommen!)

– Der Länderfinanzausgleich ist bereits in den 90er-Jahren in den Grundstrukturen ausgearbeitet worden. Er ist nicht neu verändert worden.

Fakt ist allerdings, Herr Kollege, dass im Jahre 2019 sowohl Korb I als auch Korb II auslaufen werden. Insofern ist in jedem Fall eine grundlegende Reform erforderlich. Deswegen müssen die Ministerpräsidentin und der Finanzminister Nordrhein-Westfalen in der Finanzministerkonferenz und auf Bundesebene entsprechend aufstellen.

Anders als die CDU-Fraktion ist die FDP leider die einzige ernst zu nehmende Fraktion, die sich dem Beschluss Nordrhein-Westfalens, nämlich den Umsatzsteuervorwegausgleich endlich infrage zu stellen, angeschlossen hat. Das ist Ihr persönliches Problem.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Frage, welches Weltbild Sie offensichtlich von uns haben. In welcher peinlichen Form Sie teilweise mit dem Kollegen Remmel umgehen, will ich jetzt im Raum stehen lassen, weil der Kollege selbst in der Lage ist, das intensiv zu bearbeiten. Aber dass Sie tatsächlich in diesem Landtag ein Weltbild verbreiten wollen, dass die Grünen quasi mit Strickpullis und Bärten durch die Gegend liefen und in einer radfahrenden Ideologiefalle säßen, das ist Ihr ganz persönliches Problem.

(Christian Lindner [FDP]: Ich habe mich nicht einmal über Ihre Kleidung geäußert!)

– Wollen Sie gerade unter die Gürtellinie oder kurz zuhören?

Die Ministerpräsidentin hat mir in der Tat am Freitag symbolisch einen Strickkorb geschenkt. Dafür möchte ich mich im Nachhinein noch ganz herzlich bedanken. Ich werde jetzt auch versuchen, das Stricken zu lernen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber Fakt ist: Herr Klocke hat im „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf einen ganz wichtigen Zusammenhang hingewiesen. Sie haben wieder bewusst ein Wort ausgelassen. Es ging nicht darum, Radverkehrsmittel zulasten der Straßenbaumittel insgesamt infrage zu stellen, sondern es geht um Folgendes:

Sie haben uns vorgeworfen, wir wären gegen Brückenbau und Straßenbau. Das ist schlicht falsch. Die grüne Fraktion ist zusammen mit den Sozialdemokraten unterwegs, den Grundfehler deutscher Politik, neue Straßen zu bauen, bevor die alten in Ordnung gebracht werden, auf den Kopf zu stellen. Das ist der richtige Weg, und das machen wir auch. Dazu stehe ich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Fahren Sie mal mit dem Auto oder besser noch mit einem Lkw auf der Sauerlandlinie. Das werden Sie in den nächsten Jahren nicht mehr tun können, wenn Herr Dobrindt in Bayern und im Bund weiter so wütet wie im Moment.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Um eines hinzuzufügen: Ja, wir brauchen mehr Radbaumittel, weil die Radwegeverbindungen im Ruhrgebiet – anders, als Sie es suggerieren wollen – beispielsweise ein Innovationsfaktor sind. Im Gegensatz zur FDP haben das alle anderen Parteien, auch die CDU, bereits begriffen. Nur Sie machen hier wieder Ideologieschauspiele – FDP wie in alten Zeiten!

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der Kollege Laschet hat der Landesregierung vorgeworfen, sie würde ihre Hausaufgaben nicht machen. Bei der Beurteilung dieses Vorgangs nehme ich einmal auch die mündliche Beteiligung hinzu, wie es einige Lehrbeauftragte tun. Aber selbst da konnte ich in der heutigen Debatte keinen Vorschlag von der Opposition erkennen.

Doch, einen Vorschlag hat Herr Lindner unterbreitet. Als einzige Veränderung der Haushaltspolitik in Nordrhein-Westfalen hat er tatsächlich vorgeschlagen, dass die Polizisten statt Blitzmarathons durchzuführen jetzt auf der Autobahn kontrollieren sollen, ob Lastwagen mit Diebesgut wegfahren. Das ist die Umkehr in der Wirtschaftspolitik Nordrhein-Westfalens. – Guten Morgen!

(Beifall von den GRÜNEN)

Noch einen Punkt möchte ich in dem Zusammenhang ansprechen, das Thema „newPark“.

(Dietmar Brockes [FDP]: Den Witz haben die eigenen Leute nicht verstanden!)

– Herr Brockes, dass Sie das nicht verstehen, mag sein.

(Minister Johannes Remmel: Ich habe es auch verstanden! Ich fand es gut!)

Zum Thema „newPark“ nur so viel: Dass Herr Laschet hier sagt, ein Ministerpräsident – das waren seine Worte – müsse zunächst einmal vorgeben, in welche Richtung es geht, und dann müssten die Genehmigungsbehörden die Genehmigung in diese Richtung auslegen, das finde ich schon ein starkes Stück, was die Rechtsstaatsgläubigkeit Ihres Fraktionsvorsitzenden betrifft.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Eins kann ich Ihnen versprechen: Das Problem, dass sich ein Ministerpräsident diese Frage vorhalten muss, wird sich auf absehbare Zeit in Nordrhein-Westfalen nicht stellen, weil wir eine Ministerpräsidentin haben, die hier noch etliche Jahre regieren wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Weil Sie – das möchte ich auch am Anfang noch wegräumen – vom Gegensatz der Braunkohle und der Erneuerbaren gesprochen und erklärt haben, die Grünen würden als Schwergewicht in dieser Landesregierung die wirtschaftliche Entwicklung Nordrhein-Westfalens blockieren, nenne ich Ihnen einmal zwei Zahlen:

Bei der Braunkohle sind wir in Nordrhein-Westfalen, selbst wenn wir die Zulieferbetriebe hinzunehmen – da bin ich ganz großzügig – vielleicht bei 10.000, vielleicht bei 12.000 Arbeitsplätzen. Auch um die müssen wir uns kümmern, um gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.

Bei den Erneuerbaren haben wir in Nordrhein-Westfalen jetzt schon 32.000 bis 50.000 Arbeitsplätze. Tun Sie nicht so, als wenn das ein Gegensatz wäre. Wir müssen uns um beide Bereiche kümmern. Wir sind Innovationsmotor, was die Erneuerbaren anbetrifft. Darum geht es.

(Beifall von den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Innovationsbremse!)

Ich hatte ja überlegt: Wie werden Herr Laschet und Herr Lindner ihre Haushaltsstrategien anlegen? Ich habe gedacht, dass Sie wahrscheinlich wieder auf die alten Muster kommen werden, und Sie haben mich nicht enttäuscht. Auf der einen Seite haben Sie das Land schlechtgeredet, auf der anderen Seite sind Sie jeden Vorschlag schuldig geblieben.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Zu Ihrer Vorhaltung, was die allgemeine Haushaltslage des Landes betrifft: Zugestanden, wir haben 14 Milliarden € mehr Steuereinnahmen. Wir haben eine gute Zinsentwicklung. Das ist alles in Ordnung.

Und jetzt Ihre Vorschläge: Heute kamen keine. Dann schaue ich mir einmal die an, die Sie in der Vergangenheit gemacht haben. Sie haben – CDU- und FDP-Vorschlag waren gleich – 20 % auf alles vorgeschlagen – außer auf Tiernahrung.

(Heiterkeit)

Das heißt, 20 % Kürzung in allen Förderbereichen, also 20 % Kürzung bei der offenen Ganztagsschule, 20 % Kürzung im Kulturbereich, 20 % Kürzung bei den Sportfördermitteln, und so könnte ich fortfahren.

Jetzt wollen Sie nichts mehr davon wissen. Erst waren die Kommunen bei der Kürzung mit drin, jetzt sind sie wieder draußen.

Dann wollten Sie 10 % pauschal beim Personal kürzen. Dieser Irrsinnsvorschlag ist mittlerweile auch Geschichte.

Dann wollten Sie das Steuerabkommen mit der Schweiz durch den Bundesrat bringen, und NRW sollte zustimmen. 569 Millionen € zusätzliche strukturelle Steuereinnahmen haben Sie aufgeschrieben. Tatsache ist, das Steuerabkommen mit der Schweiz ist nicht gekommen. Das Land Nordrhein-Westfalen alleine hat zusätzliche Einnahmen im Milliardenbereich generiert. Gott sei Dank ist Ihr Vorschlag in Nordrhein-Westfalen nicht durchgekommen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dann zum Bildungsbereich: Thema „Betreuungsgeld“. Es ist aus meiner Sicht ein Skandal, wenn ausgerechnet das Bundesfinanzministerium erklärt, dass das Betreuungsgeld, das den Kindern und Eltern zur Verfügung gestellt werden sollte, nun in Haushaltslöchern des Bundes versickern soll. Das können Sie doch nicht ernsthaft auch noch gutheißen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es wäre ein Fortschritt, wenn die entstandene „Laschet-Lücke“ in der Kitabetreuung jetzt durch echtes „Spahn-Geld“ aus dem Bund ersetzt werden könnte.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Zickzackkurs – der eine CDU-Mann sagt dieses, der andere jenes – zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Politik.

Ich nehme das eben angesprochene Beispiel von Herrn Lammert: Herr Lammert hat beklagt, das Ruhrgebiet bekäme zu viele Fördermittel. Das will ich einmal so stehen lassen.

Der Bundestagsabgeordnete Wittke läuft durch die Gegend und sagt mit Blick auf das Kommunalinvestitionsfördergesetz, es sei ein Skandal, dass Nordrhein-Westfalen jetzt dem Vorschlag der Landesregierung folge und keine Sonderförderung für Städte mit besonders hohen Kassenkrediten vornehmen würde. Da müssen Sie sich schon entscheiden: Mehr Lammert oder mehr Wittke?

Ich empfehle Ihnen: Nehmen Sie weder den einen noch den anderen. Denn Herr Lammert hat auch nicht recht. Das Ruhrgebiet hat, wie viele andere Städte auch, unter der Arbeit des Bundes zu leiden. Der Bund ist nicht bereit, die Kosten der Eingliederung zu übernehmen, obwohl dies 2013 im Koalitionsvertrag versprochen wurde. Darüber redet heute niemand mehr, aber wir warten.

Gestern haben wir dem 12-Punkte-Papier der CDU/CSU entnommen: Bis Sonntag wollen CDU und CSU nicht mitteilen, mit welcher Summe die Kommunen entlastet werden sollen. Es ist doch Betrug an den Städten und Gemeinden, was da abläuft!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dann haben Sie in einer zweiten Phase Ihrer Vorschläge gesagt: Gut, das mit der Haushaltskonsolidierung hat nicht verfangen; jetzt spielen wir mal „Wünsch dir was im Himmelreich“.

Ich zähle nur einmal kursorisch auf, was Sie alles aufgetischt haben: Sie wollten 760 Millionen € mehr für die Besoldung von Personal ausgeben, 400 Millionen € für die Abschaffung der kalten Progression, 90 Millionen € für den Stärkungspakt, 1 Milliarde € für die Absenkung der Grunderwerbsteuer, 250 bis 400 Millionen € – mittlerweile kann man wahrscheinlich von 600 Millionen € ausgehen – für die Inklusion. Der Kulturetat soll verdoppelt werden; das wären 100 Millionen €. Der Unterrichtsausfall ist eben noch einmal von Herrn Lindner angesprochen worden. Dafür sollen 3.000 zusätzliche Stellen geschaffen werden; das macht 200 Millionen €.

In den Einzeletatberatungen stand dann noch: mehr Straßenbaumittel, mehr für den Hochwasserschutz, mehr Geld für den Sport, mehr Geld für die Kommunen, mehr Geld für die Flüchtlinge, mehr Geld für die Eine-Welt-Politik, mehr Geld für die Polizei usw. usf. Das ist der klare Kompass von FDP und CDU in diesem Landtag.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Gestern haben wir eine teilweise emotionale Auseinandersetzung über die Flüchtlingspolitik geführt, und ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell recht bekomme würde, was meine Einschätzung der ideologischen Grundlagen der CDU in Deutschland angeht.

Ich war erschüttert, als Herr Körfges das Zitat von Herrn Krings vorgelesen hat. Da habe ich noch gedacht: Na ja, Günter Krings ist vielleicht ein besonderer Scharfmacher in der CDU. – Aber die Position von Krings ist nicht mehr nur die Position von Krings, sondern die Position von CDU und CSU in Deutschland.

 Dieser Krings sagt, dass die Gesundheitskarte, die wir in Nordrhein-Westfalen eingeführt haben, ein Anreiz für die Menschen sei, hierherzukommen, und diesen Anreiz müssten wir beenden. Wir müssten jetzt also dafür sorgen, dass nicht nur die Menschen schlechter behandelt werden, sondern dass in unseren Kommunen weiterhin Chaos bei der Gesundheitsversorgung herrscht. Das ist die Position von CDU und CSU in Deutschland. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren!

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Michele Marsching [PIRATEN])

Auch bei solchen Nickeligkeiten wie der Wiedereinführung der Residenzpflicht als Konzept für die Bearbeitung der Flüchtlingsfragen frage ich: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo sind wir denn, dass Sie das hier ernsthaft vortragen?

Kümmern Sie sich doch um die Punkte, die wir gestern diskutiert haben: Beschleunigen Sie die Asylverfahren. Sorgen Sie dafür, dass die Arbeitsschranken für Migrantinnen und Migranten und für Flüchtlinge wegfallen. Dann würden wir Fortschritte verzeichnen. Es ist doch eine abenteuerliche 70er-Jahre-Politik, die Sie uns hier auftischen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn wir nach Ungarn schauen, wo die Menschen die Züge stürmen, weil sie Angst haben, dass die Grenzen komplett dichtgemacht werden könnten, dann frage ich mich wirklich, was der Vorschlag bringen soll, die Visapflicht wieder einzuführen. Glauben Sie ernsthaft, dass im Bahnhof in Budapest die Visa kontrolliert werden, während die Leute mit Stöcken aufeinander einschlagen? Das ist doch nicht Ihr Ernst, was Sie hier abliefern!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will es noch einmal in Erinnerung rufen – wir haben konkret darauf reagiert, aber von Ihnen kam kein Wort dazu –: noch 2015 600 Millionen € zusätzlich für die Flüchtlingsunterstützung, 2.625 zusätzliche Lehrerinnen- und Lehrerstellen, 400 Beamtinnen und Beamte für die Registrierung, 250 Polizistinnen und Polizisten sowie eine klare Entlastung der Kommunen. Das ist ein sinnvolles Paket. Sie haben keine Vorschläge. Sie machen Restriktionspolitik.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Finanzminister hat darauf hingewiesen – ich will es noch einmal wiederholen –: Die Entwicklung der Nettoneuverschuldung ist von 6,6 Milliarden € in 2010 auf 1,9 Milliarden € in diesem Jahr zurückgegangen; für das nächste Jahr sind 1,5 Milliarden € geplant. In der mittelfristigen Finanzplanung gehen wir von einer quasi schwarzen Null im Jahr 2019 aus.

Das sind gute Zahlen, das ist eine positive Entwicklung. Das ist uns gelungen, obwohl und weil wir die Politik der Prävention damit verknüpft haben. Das ist eine solide Haushalts- und Finanzpolitik.

Wir haben bei der Kitabetreuung hervorragende Erfolge erzielt. 2015 und 2016 haben wir allein 161.500 U3-Plätze zu verzeichnen. Das ist ein Anstieg um 82 % gegenüber 2010. Bis Ende 2015 werden wir dort 1,2 Milliarden € investieren. Das ist ein echter Quantensprung bei der Kinderbetreuung im U3-Bereich.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Weil Herr Lindner es eben angesprochen hat: Wir haben bei der Regierungsübernahme 1.500 Stellen ausfinanzieren müssen, die Sie schlicht vergessen und mit denen Sie Haushaltskonsolidierung betrieben haben. Weitere 9.500 Stellen sind aus demografischen Effekten hinzugekommen. Allein 11.000 Stellen zusätzlich im Schulbereich: Das sind echte Erfolge, die hier zu beschreiben sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, lassen Sie sich den Schulkonsens von der FDP nicht madig reden. Es ist gut, Sie an dieser Stelle an unserer Seite zu haben. Lassen Sie ihn uns vernünftig weiterführen und nicht madig reden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Christof Rasche [FDP]: Da würde ich jetzt nachdenken!)

Diese Politik hat auch Folgen. Zuletzt konnte man sehen, dass aus der Schullandschaft NRW die beste Schule Deutschlands kommt, nämlich die Gesamtschule Wuppertal-Barmen: eine Gesamtschule, der es in exzellenter Weise gelingt, alle Schülerinnen und Schüler zu besseren Leistungen zu führen – wie gesagt, aus Nordrhein-Westfalen.

Weil Herr Lindner das vorgetragen hat: Mit 64,5 % liegt unser Bundesland bei der Anzahl der jungen Menschen, die zur Hochschulreife geführt werden können, auf Platz 2 und nicht auf Platz 13, wie er hier behauptet hat.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Finanzierung in Bildung und Innovation, und nicht das Nachheulen über alte Strukturen in der Braunkohle ist die Basis für die wirtschaftliche Entwicklung in Nordrhein-Westfalen. Hier sind wir führend, und da haben wir wichtige Fortschritte gemacht. Das ist eine Abkehr von der schwarz-gelben Verhinderungspolitik.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zuletzt möchte ich zumindest noch einmal darauf hinweisen, dass wir im Bereich der Kommunalfinanzierung erhebliche Fortschritte gemacht haben. Wir investieren allein 4 Milliarden € in den Stärkungspakt. Aus der Grunderwerbsteuer haben die Kommunen seit 2010 über 1,5 Milliarden € zusätzlich vom Land bekommen. Im Einheitslastenausgleichsgesetz haben wir dafür gesorgt, dass über 1 Milliarde € mehr bei den Kommunen ankommt. Das Gemeindefinanzierungsgesetz ist mit 10,5 Milliarden € so stark wie nie. Das ist kein Zufall, sondern die Folge einerseits der guten Entwicklung und andererseits der richtigen Entscheidungen dieser Landesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen.

Dieses Land wird aus meiner Sicht gut regiert. Es liegt hier ein guter Haushaltsplanentwurf auf dem Tisch. Da die Oppositionsfraktionen heute hier schon eine Generaldebatte angezettelt haben, hätte ich mir gewünscht, dass Vorschläge von ihr gekommen wären, sodass wir sie hätten weiterführen können, und dass Anträge und Grundlinien dieser Opposition erkennbar geworden wären. Das alles habe ich nicht gehört.

Ich freue mich zwar auf die Haushaltsberatungen, die jetzt in den Ausschüssen geführt werden, allerdings muss ich sagen: Ein bisschen mehr Einsatz wäre gut gewesen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Nun spricht für die Piratenfraktion der Fraktionsvorsitzende Herr Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Willkommen, Herr Präsident! Willkommen, Frau Ministerpräsidentin! Willkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Willkommen, liebe Bewohner der digitalen Welt! Willkommen, liebe Flüchtlinge! Willkommen in der Gegenwart, willkommen in der Zukunft und vor allem willkommen in der Realität!

Das ist also Tag eins nach dieser epischen Regierungserklärung gestern zum Thema „Flüchtlinge“, und wir haben gerade vom Finanzminister gehört: Es wird einen Nachtragshaushalt und eine Ergänzungsvorlage zum Haushalt 2016 geben.

Warum jetzt keine Ergänzungsvorlage vorliegt, hat Norbert Walter-Borjans gerade gesagt. Zum Nachtragshaushalt muss ich aber meckern; denn schon am 18. August 2015 hat unser haushaltspolitischer Sprecher, Dietmar Schulz, diesen Haushalt gefordert, und zwar aufgrund der steigenden Zahl an Asylsuchenden. Die Landesregierung hätte diesen Nachtrag schon lange aufsetzen und somit für die Kommunen hier Planungssicherheit schaffen können.

(Beifall von den PIRATEN)

Dieser dritte Nachtragshaushalt ist aus heutiger Sicht völlig überfällig. Er hätte heute als Erstes auf die Tagesordnung gehört und nicht erst auf die Tagesordnung am Ende des Monats September.

Nur damit das allen hier im Haus klar ist: Diese Verzögerung durch die Landesregierung ist natürlich gewollt. Das hängt damit zusammen, dass man wieder einmal auf Zeit spielt und auf Geld aus dem Bund hofft. Gestern konnte man aber trotzdem mitteilen, wie dieser Nachtragshaushalt ganz genau und detailliert aussehen wird. Das Zitat war: Die Kommunen können sich auf uns verlassen. Nur garantieren können wir leider nichts. – Von daher frage ich: Wo ist der Nachtrag zu diesem Haushalt jetzt, heute, und hier?

(Beifall von den PIRATEN)

Die Landesregierung sitzt auf 2,2 Milliarden € Mehreinnahmen. Die Flüchtlinge bräuchten eigentlich ein festes Dach über dem Kopf und keine Zeltstädte. Lehrer müssten eingestellt werden. Die Kommunen bräuchten Geld, und zwar heute und jetzt.

Frau Ministerpräsidentin, nach Ihren eigenen gestrigen Angaben waren Sie bei Evonik und haben dort nach Unterstützung für die Flüchtlingsarbeit und nach Freiwilligenhilfe gefragt. Herr Finanzminister, ich mache Ihnen kurz einen Vorschlag: Fragen Sie doch einmal bei der Portigon nach, ob es da nicht ein paar hochbezahlte Banker gibt, die Ihnen auch noch helfen wollen.

(Beifall von Dietmar Schulz [PIRATEN])

Ich wiederhole noch einmal, was ich gestern schon gesagt habe: Die Zivilgesellschaft in Nordrhein-Westfalen rettet der rot-grünen Landesregierung den Hintern. In diesem Haushalt steckt die Rettung auf jeden Fall nicht drin. Willkommen in der Realität!

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Kraft, heißen Sie mit diesem Haushalt auch die Zukunft in unserem Land willkommen? Wir haben gerade nur sehr wenig über wirklich wichtige Zukunftsthemen gehört. Dabei haben Sie noch im Januar hier im Landtag „NRW 4.0“ ausgerufen. Was ist daraus eigentlich geworden?

Wir hatten doch einen netten Urlaub im Neuland und haben ein bisschen darüber geredet, wie das jetzt mit der Digitalisierung ist. War die Presseresonanz da wirklich so schlecht, dass Sie das jetzt schon wieder einstampfen müssen? Wenn ich auf den Haushalt blicke, dann muss ich diese Frage leider mit Ja beantworten.

Denn wie viele Haushaltsmittel stellt die Landesregierung 2016 für die Herausforderungen des digitalen Wandels, der digitalen Revolution, zur Verfügung? – Sechs halbe Lehrerstellen für Informatikkurse an Grundschulen, 1 Million € mehr für Open.NRW, nur rund 5 Millionen € mehr für die digitale Wirtschaft – und das bei einem Gesamthaushalt von 67 Milliarden €.

Sie sagen: MegaBits. MegaHerz. MegaStark. – Ich sage: Das ist einfach nur megaschwach.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD)

Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn dieser Haushalt ist quasi nur eine Betavision voller Bugs.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle ein paar Tipps geben bzw. über ein paar Themen reden, von denen wir glauben, dass Sie dort nach Fehlern suchen können. Ich will nicht über newPark reden, auch nicht über „Dobrindt gegen Groschek“, über das Tariftreue- und Vergabegesetz, über Niederlagen am Landesverfassungsgericht, verlorene Klausuren oder falsche Wahlzettel, sondern ich möchte viel lieber auf wichtige Zukunftsthemen eingehen.

Leider ist das Internet für die Landesregierung nur ein Urlaubsziel, eine kurze Werbetour wert. Ich fordere Sie hiermit auf: Kommen Sie bitte im digitalen Zeitalter an. Helfen Sie sich nicht mit Landespressekonferenzen, wo Sie irgendwelche pseudohippen Anglizismen raushauen, die nur noch zum Fremdschämen sind. Wobei: Kamikaze-Konferenzen kann der Wirtschaftsminister gut. Er hat ja diesen Beauftragten Prof. Dr. „Wir committen zu supporten“ Kollmann.

Tun Sie was! Die digitale Welt besteht aus Einsen und Nullen, und wie man nur mit digitalen Nullen im Kabinett arbeiten kann, das ist mir schleierhaft.

(Beifall von den PIRATEN)

Die digitale Revolution ist allumfassend, und das ist diesem Parlament leider immer noch nicht annähernd bewusst. Da reichen keine dubiosen Absichtserklärungen, ein paar Verpflichtungsermächtigungen oder ein kleiner Zuschuss der NRW.BANK. Die digitale Revolution umfasst all unsere Lebensbereiche, sie transformiert gerade unsere Gesellschaft grundlegend, und unsere Aufgabe als Politik ist es, hier Leitplanken zu setzen und diese Revolution mitzugestalten. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, unter denen diese Revolution zum größtmöglichen gesamtgesellschaftlichen Nutzen vollzogen wird. Wir müssen sie zu einer digitalen Revolution für die Menschen in diesem Land machen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich nenne Ihnen ein paar Rahmenbedingungen: Wir brauchen die entsprechende Infrastruktur, wir brauchen eine gesetzliche Sicherstellung der informationellen Selbstbestimmung, wir brauchen eine gleichberechtigte Sicherung der Teilhabe aller Menschen, und wir brauchen eine verbesserte Transparenz von politischen Prozessen.

Und eines sagen wir hier nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal: Wir brauchen endlich eine digitale Daseinsvorsorge für die Menschen in diesem Land.

(Beifall von den PIRATEN)

Doch dieses Ziel braucht Gestaltungswillen. Das geht nur aus einer Hand, das geht nur unter einem Dach, und – wir haben es schon einmal gefordert und fordern es weiterhin – wir brauchen ein eigenes Internetministerium. Denn nur ein Internetministerium kann all diese politischen Handlungsfelder bündeln, sodass wir die digitale Daseinsvorsorge sicherstellen können.

(Beifall von den PIRATEN)

Im Moment sieht es so aus: In allen möglichen Ministerien werden die verschiedensten Themen behandelt oder im schlimmsten Fall leider nicht behandelt. Diese Verteilung der Zuständigkeiten ist einfach nicht zielführend, sie ist nicht praktikabel.

Das beste Beispiel dafür ist die aktuelle Auseinandersetzung im Kabinett. Herr Duin und Herr Groschek streiten jetzt darum: Wie soll der Ausbau der Infrastruktur vollzogen werden? Dem Bürger aber ist es vollkommen egal, ob das eine oder das andere Ressort bezahlt. Wir brauchen jetzt schnelle Glasfaserleitungen, und zwar flächendeckend in ganz Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn die Landesregierung unseren Antrag damals umgesetzt hätte, dann wären wir in Deutschland jetzt Vorbild. Vorgestern ist das wohl auch der Ministerpräsidentin klar geworden. Sie hat sich gegen ihren eigenen Parteivorsitzenden gestellt und gesagt: Wir brauchen Glasfaser, wir brauchen keine alte Technologie wie Kupfer. – Zu dieser offensichtlichen Einsicht beglückwünschen wir die Ministerpräsidentin. Aber wir müssen fragen: Wie genau werden Ihre Pläne finanziert? Denn das wollen die Menschen jetzt wissen, und da gilt es zu handeln.

Vor zweieinhalb Jahren haben wir hier einen Antrag eingebracht. Der hieß: „Fahrplan Breitbandausbau für Nordrhein-Westfalen“. Was dann folgte, war ein langer Winterschlaf der Landesregierung, und dieser wurde halbjährlich durch einen Gesprächskreis – einen runden Tisch – unterbrochen. Die zuständigen Minister – Remmel für den ländlichen Raum, Groschek für die Infrastruktur und Duin für die Wirtschaft – ließen sich dabei alle nicht aus der Ruhe bringen und auch nicht in die Karten blicken.

Zweieinhalb Jahre lang haben Sie nicht NRW 4.0 gemacht, sondern „Buddhistische Meditation 4.0“. Ein Internetministerium könnte an dieser Stelle helfen – ich wiederhole es gebetsmühlenartig –, denn das wäre zumindest handlungsfähig gewesen. Ja, das kostet Geld und muss im Haushalt veranschlagt werden. Aber die digitale Revolution zu verschlafen, kostet noch viel mehr Geld und ist umso schlimmer.

(Beifall von den PIRATEN)

Das Ziel ist dabei ganz einfach. Wir wissen: Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche – aber natürlich nur da, wo sie ankommt. Deswegen brauchen wir schnelles Internet, nicht nur in den Städten, sondern flächendeckend im ganzen Land. Glasfaser bis ins Haus ist kein Luxus, sondern die Grundlage für eine moderne, vernetzte Wissensgesellschaft.

Denn während in Deutschland Ausreden vorgebracht werden, sind andere Länder längst viel weiter. In Japan und in Südkorea gehört Glasfaser bis ins Haus zum Standard. In Schweden sind 40 % der Haushalte angeschlossen. In Schleswig-Holstein hat man sich gerade eine Glasfaserstrategie verordnet, und 23 % der Haushalte sind versorgt. Das ist immer noch viel zu wenig, aber in Nordrhein-Westfalen liegt die Ausbauquote bei gerade 7 %, und es gibt eben keine Glasfaserstrategie. Was hieran megastark sein soll, das kann uns die Landesregierung vielleicht gleich noch kurz erklären.

(Beifall von den PIRATEN)

Symptomatisch – ich habe es schon angesprochen – für das Versagen ist hier Verkehrsminister Groschek. Herr Groschek, ich glaube, das Thema haben Sie leider immer noch nicht ganz verstanden. Denn seit Jahren hätten Sie die Leerrohre in die Erde bringen können, Sie hätten sie mitverlegen können. Jetzt kommt heraus, Sie haben es nicht gemacht, frei nach dem Motto: Ich kümmere mich um den Straßenbau, und das mit diesem Internet soll halt irgendjemand anderes machen. Wenn es jetzt noch mit den Straßen und Brücken klappen würde, wäre es sogar relativ gut.

Die Regierungserklärung war also anscheinend keine Erklärung von der Regierung, sondern wahrscheinlich für die Regierung, damit die Minister endlich einmal etwas über Digitalisierung hören. Aber der Erfolg – das kann ich Ihnen leider nur sagen – war mangelhaft.

Jetzt erwidern Sie vielleicht: Bald ist ja die Frequenzauktion, und dann haben wir frisches Geld für den Breitbandausband, also ist alles gut. – Ich sage Ihnen: Nichts, gar nichts ist gut. Denn die zur Verfügung gestellten Mittel für den Breitbandausbau reichen höchstens für den „Ausbau Light“ durch das sogenannte Vectoring, die Kupfertechnik; und die funktioniert nur, wenn lediglich ein Anbieter auf der Leitung ist und der Wettbewerb ausgeschaltet wird. Da ist es kein Wunder, dass sich die Telekom geradezu großzügig bereit erklärt: Ja, wir machen das. 

Was aber alle außer Acht lassen, ist die Tatsache, dass wir in ein paar Jahren wieder vor demselben Problem stehen, trotz Bevorzugung der Telekom. Die Verbindungsgeschwindigkeiten werden wieder nicht ausreichen, sodass wir wieder fördern müssen, und das Land hängt wieder zurück.

Wir Piraten sind gegen eine milliardenschwere Förderung der Telekom mit Vectoring, wir sind gegen eine Remonopolisierung der Netze, wir sind gegen den telekompolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Jochen Ott, und stattdessen für den Sprung in die Gigabitgesellschaft, für die Förderung von kommunalen Glasfasernetzen und für Netze in Bürgerhand.

(Beifall von den PIRATEN)

Glasfaser statt Kupfer – das haben wir seit jeher gesagt, und dazu stehen wir auch heute noch. Wenn wir aber über schnelle Leitungen sprechen, dann müssen wir auch über die Daten sprechen, die da hindurchgehen. Da kann ich nur sagen: Willkommen in der Welt der Überwachung. Denn die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung zeigt das Demokratieverständnis der Ministerpräsidentin. Auf Drängen des Innenministers Jäger und auf Geheiß des Parteivorsitzenden wird hier die Vorratsdatenspeicherung durch die SPD in Nordrhein-Westfalen gepeitscht, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste.

Wir Piraten mögen zwar in der Öffentlichkeit als debattenfreudig gelten – naja, sagen wir streitfreudig – aber ich sage Ihnen: Wir achten auf unsere innerparteiliche Demokratie. Sie, Frau Ministerpräsidentin, haben Parteikollegen auf Linie gebracht, haben gedroht, dass sie in Zukunft kein Amt mehr bekleiden würden. Ich bin froh, dass unsere Fraktion nicht unter der Herrschaft einer Frau Kauder steht.

(Beifall von den PIRATEN – Heiterkeit von Armin Laschet [CDU])

Die Grünen machen es sich derweil megaeinfach. Sie behaupten großmäulig, mit ihnen sei die Vorratsdatenspeicherung einfach nicht zu machen. Wenn die Landesregierung im Bundesrat dann aber abstimmen muss, dann ziehen Sie den Schwanz ein, zeigen mit dem Finger auf den großen Koalitionspartner und sagen: Wir müssen das Gesetz im Bundesrat ja passieren lassen, wenn auch durch Enthaltung. Das passt einfach nicht zu Ihrem Verhalten auf Bundesebene, wo Sie immer wieder eindeutig sagen: Mit uns gibt es keine Vorratsdatenspeicherung.

Hier in NRW beugen Sie sich dem Minister für innere Sicherheit, der meint, er könnte mit der Vorratsdatenspeicherung als starker Sicherheitspolitiker auftreten, als jemand, der sich für die Sicherheit der Bevölkerung einsetzt. So wird aus einem sogenannten Sicherheitspolitiker ein Sicherheitsrisiko für unsere Verfassung.

Die höchsten Gerichte Europas kippen dem SPD-Genossen Jäger nacheinander all diese Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung. Auch dieses Gesetz der Großen Koalition wird als verfassungswidrig gekippt werden, und nur Sie – SPD und CDU, die Ewiggestrigen, – halten verzweifelt daran fest.

Ich möchte gar nicht darüber reden, was das die NRW-Internetwirtschaft und die Bürger in diesem Land kostet. Wir wollen nicht den gläsernen Bürger, Frau Kraft, sondern wir wollen den gläsernen Staat. Willkommen, Transparenz.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Seit dem Jahr 2012 drängen wir Sie in Nordrhein-Westfalen, endlich ein Transparenzgesetz auf den Weg zu bringen. Im Jahr 2013 haben wir dazu einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser wurde dann großspurig abgelehnt – den Vorschlägen der Piraten folgt man nicht. Seitdem ist genau nichts passiert. Das sage ich hier übrigens viel zu häufig. Wir haben nun das Jahr 2015, und es liegt nicht einmal den Entwurf eines solchen Gesetzes vor.

Wie man es ansonsten mit der Transparenz hält, sieht man tagtäglich hier im Parlament. Wir verfügen seit einem knappen Jahr endlich über die technischen Möglichkeiten, Ausschusssitzungen zu streamen. Aber Sie, die versammelten Altpapierparteien – SPD, Grüne, CDU und FDP –, haben sofort dafür gesorgt, dass ein Streaming grundsätzlich nicht angeboten wird.

Wir leben doch nicht mehr in einer Zeit, in der die Königin Hof hält und man persönlich zu ihr hingehen muss, um zu erfahren, was im Staat überhaupt geschieht. Wieso wird zum Beispiel von der SPD das Streaming zur Anhörung „Autonomes Fahren“ blockiert? Herr Breuer sagte – und ich frage ihn, ob er das ernst meint –: Ein Streaming hat nicht genügend öffentliches Interesse. Beim Thema „Autonomes Fahren“, eines der Zukunftsthemen, haben wir nicht genügend öffentliches Interesse?

Dazu passt auch, dass die Ministerpräsidentin angeblich einen so vollen Terminkalender hat, dass sie nicht einmal monatlich der Presse Rede und Antwort stehen kann. Das passt nicht in eine moderne Demokratie, das ist mutlos und zeigt Ihre Frucht vor kritischen Fragen. Das ist megaschwach!

(Beifall von den PIRATEN)

Ihr Mauern wird nicht mehr lange funktionieren, denn die Menschen wollen Transparenz von Verwaltung und Politik. Warum gibt es immer noch keinen Entwurf für ein Transparenzgesetz? Die Antwort ist leider so einfach, wie sie frustrierend ist: Die Verantwortung für dieses Gesetz läge im Ressort des Ministers Jägers, und der hat leider mit der Vorratsdatenspeicherung und mit seinen Blitzmarathons genug zu tun, und dem geht die Transparenz leider völlig ab.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Und mit der Unterbringung von Flüchtlingen!)

Das lässt sich immer wieder in den Berichten vom Innenministerium nachlesen, zum Beispiel wenn unverhältnismäßige Polizeieinsätze „kritisch aufgeklärt“ werden.

Herr Minister Jäger, Sie wissen, es gibt zahlreiche Baustellen in Ihrem Ressort, die drängen. Reden wir beispielswiese über das Thema „Datensicherheit“. Das wird nur stiefmütterlich behandelt, da passiert – oh, ich muss mich wiederholen – schlichtweg gar nichts. Da wird Geld gespart, statt Investitionen für die Sicherheit der Bevölkerung zu tätigen.

Von 2006 bis 2013 diskutierte die Landesregierung darüber, ob wir einen obersten Experten für die IT-Sicherheit in diesem Land brauchen. Die Frage dümpelte auch in der Regierungszeit von CDU und FDP vor sich hin. Dann kommt im Jahr 2013 endlich dieser Chief Information Officer, der nur eine Handvoll Mitarbeiter erhält. Und schon Anfang des Jahres 2014 sollte der Bericht zur Sicherheit der Landes-IT vorliegen. Jetzt arbeitet dieser Mensch daran. Aber vorgelegt wurde dieser Bericht bis heute immer noch nicht. Ich möchte noch einmal anmerken: Wir haben Mitte 2015.

Derweil erfahren wir, dass unsere IT-Systeme so löchrig sind wie Schweizer Käse. Wir haben eine Anhörung zur IT-Sicherheit des Landes durchgeführt. Ich bin sehr beschämt darüber, dass es außer unserer Fraktion keine Fraktion für nötig hielt, einen Sachverständigen einzuladen. Der Sachverständige, der zur Anhörung gekommen ist, hat von seinen Erfahrungen berichtet. Er berichtete, dass er maximal acht Stunden benötigte, um in das Netz eines kommunalen Dienstleisters einzudringen, in das er eindringen sollte.

Er hat das komplette Netz übernehmen können. Er hatte teilweise Schreibrechte. Er hatte Zugriff auf Meldedaten. Er konnte sogar auf die Daten von Zeugenschutzprogrammen zugreifen. Von dort hätte er auch ins Landesnetz eindringen können, wenn sein Auftrag ihm dies erlaubt hätte. Wo ist da das Programm des Chief Information Officers? Wo ist der Bericht?

Letzte Woche hörten wir bei der großen Anhörung zu Ihrem schnieken neuen Katastrophenschutzgesetz – an dem Sie immerhin sieben Jahre lang gearbeitet haben – von den Vertretern der Feuerwehr, dass Nordrhein-Westfalen für einen Angriff auf kritische Infrastrukturen gar nicht gewappnet ist. Ein erfolgreicher Angriff auf das Stromnetz könnte eine solche Kettenreaktion auslösen: kein Strom, kein Telefon, kein Internet usw. Die Experten haben es drastisch auf den Punkt gebracht: Nach wenigen Stunden hätte Nordrhein-Westfalen Tote zu beklagen.

Frau Ministerpräsidentin, Ihre einzige Idee zum Thema „Datensicherheit“ ist, dass Sie den Austausch zwischen Forschern fördern wollen. Stattdessen müssten Sie aber den Austausch mit der Wirtschaft und dem Land fördern, damit die Forschung tatsächlich in praktische Sicherheitsprojekte überführt werden kann.

Herr Minister Jäger, Sie schaffen sich einen CIO, der nach außen sagt, er sei der Experte für Datensicherheit. Aber nach nur einem Jahr sagt uns der Landesrechnungshof bereits: Der Mann ist völlig unterfinanziert, dem fehlen Ressourcen und Kompetenzen. – Wo ist der Ansatz in diesem Haushalt, der erheblich nachbessert? Hier muss noch einmal einiges Geld in die Hand genommen werden.

Herr Minister Jäger, Sie nennen sich „Minister für die innere Sicherheit dieses Landes“. Datensicherheit ist Sicherheit der Bevölkerung und damit ein ganz reales Thema. Wir brauchen Politiker, die sich nicht nur Sicherheitsminister nennen, sondern die von Sicherheit auch Ahnung haben. Es tut mir total leid, aber die sitzen dort.

(Michele Marsching [PIRATEN] zeigt auf seine Fraktion.)

Die können Sie gerne fragen. Die geben Ihnen auch gerne Nachhilfe.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wenn Sie sonst schon keiner lobt, dann wenigstens Sie selbst!)

Wenn wir schon bei „Nachhilfe“ sind, kommen wir zu meinem persönlichen Lieblingsthema und zu meiner Lieblingsministerin, Frau Ministerin Löhrmann.

(Zuruf von der SPD: Da läuft doch was! – Weitere Zurufe von der SPD: Oh!)

– Da läuft was, ja, ja.

Auch der Ministerin Löhrmann täte Nachhilfe an einigen Stellen ganz gut; denn NRW hat einen großen Aufholbedarf. Bei den Ausgaben pro Schüler ist NRW traditionell das Schlusslicht aller Bundesländer. Das bedeutet, in Nordrhein-Westfalen hat die Jugend mit die geringsten Chancen. Man könnte sagen: Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, geben ihr diese Chancen nicht.

Die Folgen zeigt die aktuelle Sozialberichterstattung: Das Armutsrisiko wächst auch in Nordrhein-Westfalen. 2014 lag es bei 17,4 %. Das war der zweithöchste Wert unter allen Bundesländern. Das Armutsrisiko wächst aber vor allem für Geringqualifizierte. Mit 17,6 % hatte Nordrhein-Westfalen im Jahr 2014 beim Anteil der Personen mit geringem Bildungsniveau bundesweit den zweithöchsten Wert. Wir sehen: Eine armselige Bildungspolitik erzeugt Armut.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn Sie den Worten Ihrer Sonntagsreden endlich Taten folgen lassen und sich entschlossen an die Verbesserung von Bildungschancen machen würden, würden wir Sie dabei unterstützen. Doch es fehlt die notwendige Entschlossenheit. Das zeigt sich in falscher Prioritätenlegung.

Jetzt noch mehr und noch schneller etwas für die Haushaltskonsolidierung zu machen, wie es Finanzminister Walter-Borjans neulich angekündigt hat, ist der falsche Weg. Wir müssen zuerst die Investitionen angehen, und zwar insbesondere die Investitionen in die Köpfe und in die Zukunft unserer Jugend. Da haben wir in Nordrhein-Westfalen viel Versäumtes aufzuholen.

Es sind erhebliche Anstrengungen notwendig. Das Bildungssystem steht vor riesigen Herausforderungen: die Inklusion, die Zuwanderung, die Integration der Zugewanderten, der Strukturwandel und die Digitalisierung.

Digitalisierung ist auch ein Bildungsthema. Wir müssen die digitale Spaltung überwinden. Sie verstärkt die bereits vorhandene Ungleichheit zwischen den Privilegierten und den Bildungsbenachteiligten. Nur eine Bildungspolitik, die dies ignoriert, nimmt in Kauf, dass viele Kinder und Jugendlichen, die jetzt schon Nachteile erleiden, noch schlechtere Chancen auf eine spätere gesellschaftliche Teilhabe haben.

Deshalb ist es eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste Aufgabe in der Bildungspolitik, Antworten auf die Herausforderungen der Digitalisierung der Gesellschaft zu finden. Von grundlegenden Kenntnissen über Informationstechnologie und vom souveränen Umgang mit dem Internet hängt doch schon heute ein Großteil der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ab. Nicht weniger als das!

Liebe Frau Ministerpräsidentin und liebe Frau Ministerin Löhrmann, Sie haben im Januar dieses Jahres auch für den Bildungsbereich den Sprung in das digitale Zeitalter angekündigt. Aber seitdem ist – ach, diese Wiederholungen! – nichts passiert. Soweit ich das sehe, hat Ministerin Löhrmann letzten Freitag bei ihrer Pressekonferenz noch einmal dieselben Programme und dieselben Projekte vorgestellt wie bereits im Januar. Man hat hier den Eindruck, die Landesregierung arbeite an diesem Thema ungefähr so gedrosselt wie eine Internetleitung am Monatsende.

Schritt für Schritt und systematisch wollen Sie vorgehen. Das sagen Sie bei jeder Gelegenheit. Aber Sie sagen nicht, wohin die Reise gehen soll. Sie lassen das Ziel unbestimmt. Dabei liegt es klar auf der Hand: Die digitale Medienbildung muss im Bereich „Bildung“ Priorität haben. Das Land muss Verantwortung übernehmen und endlich den Bildungs- und Erziehungsauftrag verwirklichen, den es laut Schulgesetz nun einmal hat.

(Beifall von den PIRATEN)

Dafür müssen wir aus dem Projektstadium herauskommen, und wir müssen Verbindlichkeiten herstellen. Es braucht ein Gesamtkonzept für eine umfassende medienpädagogische Angebotspalette an unseren Schulen. Wir müssen jetzt verbindliche Angebote zur Medienbildung schaffen, und zwar in allen Schulstufen und in allen verschiedenen Bildungsgängen, und wir müssen jetzt über den Stellenwert der Informatik an unseren Schulen reden. Es gibt keinen Weg zurück ins analoge Auenland.

Das gilt auch in der Hochschul- und Forschungspolitik; denn dort ist ebenfalls keine klare Handschrift zu erkennen. Wenn denn NRW das Gründerland Nummer eins werden soll, muss ich mich schon wundern, warum hier von der Landesregierung nicht die notwendigen Schritte eingeleitet werden. Wenn Ministerin Schulze durchs Land fährt und Best-Practice-Beispiele sammelt, viel Presse-Tamtam macht und dann eine Plakette mit der Aufschrift „Ort des Fortschritts“ an die Wand hängt – am besten drückt sie noch medienwirksam einen Dübel in die Wand –, ist das mit Sicherheit gute Werbung in eigener Sache; aber innovativ ist das bei Weitem nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Wo ist hier die Antwort der Landesregierung auf die digitale Revolution? Für Sie heißt Wissenschaftspolitik: Hochschulpaktmittel, also zeitlich begrenzte Erhöhung von Mitteln.

Was das für die Hochschulen und die Bediensteten bedeutet, liefern Sie in Ihren eigenen Berichten. Im Monitoringbericht „Bewältigung des doppelten Abiturjahrgangs …“ wird das ganze Ausmaß der falschen Ausrichtung sichtbar; denn neun von zehn der neu geschaffenen Stellen an Universitäten sind prekäre Beschäftigung, an Fachhochschulen mehr als die Hälfte. Gleichzeitig geben Sie sich einen Kodex für „Gute Arbeit“ an Hochschulen. Damit wollen Sie Befristungen minimieren. Ich bin ja Programmierer. In meinem Gehirn löst das – es tut mir sehr leid – einen Error aus.

Aber das ist die Politik, die hier verfolgt wird: Wir machen Symbolpolitik, wir tackern Plaketten an Häuserwände, und wir halten die Hochschulen in der Mangelverwaltung.

Wir werden wieder hören, dass der Haushalt aufgestockt worden sei. Die Hochschulen bekommen ja mehr Geld. Gebetsmühlenartig wiederholen Sie den Vergleich mit 2010. Da vergleichen Sie Äpfel mit Birnen; denn die Parameter an den Hochschulen haben sich drastisch geändert. Wir haben immer mehr Studierende an den Hochschulen, und die Hochschulen bekommen immer weniger Mittel pro Studierendem. Das erfolgt alles auf dem Rücken des Hochschulpersonals und auf dem Rücken der Studis. Willkommen in Ihrer hochschulpolitischen Realität!

Apropos Realität: Wie sieht es denn jetzt mit dem Dienstwagen aus, Frau Ministerpräsidentin? Ich gebe zu: Die Frage von Herrn Lindner war polemisch. Sie war wahrscheinlich auch rhetorisch. Der Wagen ist ja nicht leichter geworden.

Beim Thema „Verkehr der Zukunft“ haben wir aber auch noch ein paar wirklich spannende Fragen. Denn wie sieht der Mobilität der Zukunft in Nordrhein-Westfalen eigentlich aus? Wir werden durch die digitale Revolution eine Umwälzung in der Mobilität erleben. Wir benötigen in der Infrastrukturpolitik nicht nur dringend Instandhaltungsinvestitionen, sondern wir brauchen ein grundsätzliches Systemupdate.

Das autonome Fahren bietet große Chancen für eine Erneuerung von Verkehr und Mobilität in unserem Land. Autohersteller werden Mobilitätsdienstleister. Die Gewinner auf den Märkten werden diejenigen sein, die die besten und serviceorientiertesten Dienstleistungen anbieten. Die Digitalisierung und die Vernetzung des Analogautos hin zu einem fahrerlosen, sich selbst steuernden, autonom agierenden Fahrzeug ist für sich genommen bereits faszinierend. Aber das Zusammenspiel von digital gesteuerten Verkehrsinformationssystemen mit intelligenten Transportketten, mit einem innovativen Nahverkehr, könnte mit dem autonomen Fahren ein Killerfeature für eine zukünftige Mobilität schaffen, und zwar ohne Staus und ohne unnötige Verschwendung von Raum und Zeit.

Das ist unsere Vision der Mobilität der Zukunft. Das selbstfahrende Auto bringt Sie zum Zug; der Zug bringt Sie pünktlich zu Ihrem Ziel; dort steht das nächste Auto; das bringt Sie dahin, wohin Sie eigentlich wollen. Das ist weitergedacht. Das ist Leben in der Zukunft.

(Beifall von den PIRATEN)

Sie leben hier aber leider noch in der Vergangenheit – wie in so vielen Bereichen. Willkommen in Jurassic World! Wen wundert’s?

Wir müssen kurz über die Braunkohle reden. Im Rheinischen Revier verzockt Wirtschaftsminister Duin auch weiterhin die klimapolitischen Ziele des Ministers Remmel – falls Sie, Herr Minister, diese Ziele nicht beim Eintritt in die Kraft-Kohle-Koalition abgegeben haben. Dank der Intervention bei Herrn Gabriel wird der Weiterbetrieb der Tagebaue eingerichtet, und die Kraftwerks-Dinos dürfen weiterlaufen bis … Ja, bis wann eigentlich? Wie lange will Innenminister Jäger eigentlich, wie am vorletzten Wochenende, den Widerstand der Klimaschützer mit Polizeigewalt und mit dem Werkschutz von RWE brechen?

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der CDU: Oh!)

Da hilft auch diese gespielte Betroffenheit nicht. Was helfen würde, wäre eine Aussage der grünen Fraktion zu dem Thema. Die verweigern Sie hier aber. Das Gewissen der Abgeordneten bleibt bei diesem Thema auf der Strecke. Das ist für die grünen Kollegen leider längst der Normalfall, wenn man hier von Kohlegenossen regiert wird. Ich frage mich: Schämen Sie sich dafür eigentlich nicht? Haben Sie dabei keine Schmerzen? Denn so wie Gorleben Brennpunkt der Atomkraftgegner wurde, wird Garzweiler ein Fanal der verfehlten Energiepolitik dieses Landes.

Wir fordern einen geplanten, einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle, damit das Land NRW endlich in der Welt der erneuerbaren Energien ankommt.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn man Energieland Nummer eins ist, muss man sich auf die Fahne schreiben, auch die Nummer eins bei den Erneuerbaren zu werden. Das muss Ziel der Landesregierung sein.

Dieses Ziel wird nur erreicht, wenn die Landesregierung aufhört, auf die Technologien der Vergangenheit zu setzen. Stattdessen brauchen wir Investitionen in intelligente Stromnetze und in virtuelle Kraftwerke. Hier liegen die Chancen für neue Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen – und nicht im Braunkohletagebau.

(Beifall von den PIRATEN)

Wer sich heute die Aktienkurse von RWE ansieht, der kann sehen, wohin es führt, die Zukunft zu verschlafen; denn spätestens, wenn die Kosten des Atomausstiegs fällig werden, wird RWE den Offenbarungseid leisten müssen.

Die sogenannten sicheren Rückstellungen stecken doch im Dinopark in Garzweiler. Den Preis werden die Kommunen zahlen müssen, und den werden die Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen zahlen müssen. Die Regierung treibt diesen Preis immer weiter in die Höhe, statt endlich einen Schnitt zu machen und ein Braunkohleausstiegsgesetz auf den Weg zu bringen.

Willkommen in der Gegenwart! Willkommen in der Zukunft! Willkommen in der Realität! Willkommen beim Bug-Fixing! Damit Sie nicht weiter in der Vergangenheit denken, sondern damit Sie die Chancen der digitalen Revolution endlich nutzen: Willkommen bei den Haushaltsberatungen 2016! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die Landesregierung erteile ich der Ministerpräsidentin Frau Kraft das Wort.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie üblich werde ich in der zweiten Runde auf die Vorredner eingehen.

Bei Herrn Marsching werde ich mich auf folgenden Punkt konzentrieren, weil er mich maßlos ärgert, nämlich auf Ihren Angriff auf den Innenminister mit dem Satz – ich habe ihn mitgeschrieben –: Wie lange will der Innenminister den Protest der Klimaschützer noch brechen? Und er solle sich dafür schämen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das habe ich nicht gesagt!)

Da kann ich Ihnen nur sagen: Dieser Innenminister wird das Eigentum von Menschen und Unternehmen in diesem Land schützen, weil das seine Aufgabe ist.

(Beifall von der SPD – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Gegenüber der Presse?! Das ist ja wohl ein Scherz!)

Ich bin sehr dankbar, dass die Polizei das tut.

(Lebhafter Beifall von der SPD)

Das war nämlich kein friedlicher Protest, sondern sie sind in das Gelände dieses Unternehmens eingedrungen. Dann ist es Aufgabe der Polizei zu schützen, so wie bei allen anderen Delikten dieser Art.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Zusammen mit dem Werkschutz! Der hat das schon im Namen drin! – Weitere Zurufe)

– Wissen Sie, wenn Sie unser Rechtssystem nicht kennen, sollten Sie sich damit intensiv auseinandersetzen. Ich bin jedenfalls sehr dafür, dass dieses Rechtssystem in dieser Form aufrechterhalten bleibt.

(Beifall von der SPD)

Ich komme zu Herrn Lindner.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Der Werkschutz als unser Rechtsstaat!)

Wir haben hier wie üblich in einer Haushaltsdebatte einen Debattenbeitrag mit markanten und markigen Sätzen zu Beginn erlebt. Auch da habe ich mitgeschrieben: Die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik weist große Schwächen auf zulasten der Schwächsten. – Ich weiß nicht, ob Sie schon zu viel und zu regelmäßig in Berlin sind und zu wenig in Nordrhein-Westfalen.

Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben eine Beschäftigung, die sich auf höchstem Stand „ever“ befindet, wir haben eine Arbeitslosenquote, die rückläufig ist, und wir haben dank des Ausbildungskonsenses Ausbildungsverträge, deren Zahl nach oben weist. Das sind die Daten und Fakten zum Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen. Und die haben mit Ihrer Realität offensichtlich nichts zu tun.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zum Bildungsbereich, zu den Gymnasien: Ich sage das hier noch einmal in aller Deutlichkeit, weil Sie immer in den Details nicht so drin sind. Vielleicht kriegen Sie das eine oder andere nicht mit.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Er ist nicht so oft da!)

Wie im Schulkonsens vereinbart, werden die Klassenfrequenzen auch an Realschulen und Gymnasien Schritt für Schritt abgesenkt. Alle Anträge auf Ganztag – anders, als Sie das eben suggeriert haben – sind genehmigt worden. Zur individuellen Förderung gibt es sogar ein spezielles Unterstützungsprogramm nur für Gymnasien: „Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymnasium.“ Dieses Programm findet gemeinsam mit der Mercator-Stiftung statt.

Wenn Sie auf den Landesrechnungshofbericht zurückgehen, werden Sie feststellen, dass sich die monierten Mängel auf vier schwarz-gelbe Regierungsjahre und auf zwei rot-grüne beziehen.

(Christof Rasche [FDP]: Sprechen Sie einmal mit den Schulleitern!)

Und auch der Rechnungshof fordert Maßnahmenbündel, vertiefte Analysen …

(Zuruf von der FDP)

– Sie müssen auch einmal da genau hineinschauen und nicht immer nur einzelne Sätze vortragen. Sie müssen sich mal mit den Details beschäftigen, dann kommt er zu einer differenzierten Bewertung der Dinge.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das verlange ich von jemandem, der sich hier hinstellt und plakative Sätze von sich gibt.

Kommen wir zum Bildungsmonitor. Auch da kommen Sie erst einmal mit so einem markigen Satz raus; ich habe da gleich noch einmal nachgeschaut. MINT: Wir reden ja gleich noch über Wirtschaft. Herr Laschet hat sich ja damit intensiv auseinandergesetzt. Wir alle wissen, wie wichtig MINT-Ausbildung ist.

(Christian Lindner [FDP]: Reden Sie über Bildungsarmut!)

Bei MINT liegen wir vor Bayern. Bei der Akademiker-Ersatzquote, wie es so schön heißt, liegen wir bei den Absolventen vor Bayern.

(Christian Lindner [FDP]: Wo liegen Sie bei der Bildungsarmut?)

Bei der Ingenieurersatzquote liegen wir vor Baden-Württemberg und Bayern.

(Christian Lindner [FDP]: Bildungsarmut!)

Bei der Schulabbrecherquote haben wir uns verbessert auf Platz 7.

(Christian Lindner [FDP]: Wo liegen Sie bei der Bildungsarmut?)

Bei der Integration liegen wir auf Platz 7 vor Baden-Württemberg,

(Christian Lindner [FDP]: Bildungsarmut!)

bei der Wiederholerquote vor Bayern und bei der Bachelor-Anfängerquote auf Platz 2. Nennen Sie nicht immer nur die negativen Dinge,

(Christian Lindner [FDP]: Bildungsarmut!)

sondern geben Sie einmal ein vernünftiges Gesamtbild über dieses Land ab!

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der Regierungsbank – Christian Lindner [FDP]: Sie wollten kein Kind zurücklassen, und ausgerechnet die Bildungsarmut nennen Sie nicht! Das ist ein Eigentor!)

– Sie haben doch schon Ihre Gelegenheit gehabt, vielleicht haben Sie gleich noch Zeit zur Entgegnung übrig.

(Unruhe)

Noch so ein markiger Satz von Ihnen: Die Industrie schreibt die Standorte NRW ab. – Ich weiß nicht, wo Sie leben. Ich war gerade bei Evonik, ich war bei UPS, ich war bei Bayer. Allein bei dem, was ich persönlich an Neuinvestitionen in diesem Land erlebt habe, weiß ich nicht, wie Sie zu diesem Bild kommen.

(Christian Lindner [FDP]: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung!)

Und Sie wissen von unseren Daten und Fakten, dass wir die höchste Quote von ausländischen Direktinvestitionen in NRW haben, weit vor Bayern und Baden-Württemberg!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der Regierungsbank)

In welcher Realität leben Sie denn hier, Herr Kollege Lindner?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der Regierungsbank – Lachen von Christian Lindner [FDP])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerpräsidentin, entschuldigen Sie kurz. Auch wenn die Begeisterung in Ihrem Kabinett groß ist, darf ich doch als sitzungsleitender Präsident darauf aufmerksam machen, dass es nicht dem parlamentarischen Brauch entspricht, von der Regierungsbank zu applaudieren.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Die anderen reichen auch! – Heiterkeit von der SPD)

Wenn die gewählten Mitglieder es machen wollen, dann bitte von ihren Plätzen als Abgeordnete aus.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

Erlauben Sie mir diesen Hinweis.

(Unruhe)

– So sind die Regeln des Hauses, die wir seit vielen Jahren und Jahrzehnten, egal bei welcher Regierung, beachten. – Frau Ministerpräsidentin.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Die sind auch gut so! – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Meine Erinnerungen an die tatsächlichen Realitäten – das erlaube ich mir, Herr Präsident – sind allerdings etwas andere. Aber lassen wir das. Das ist ja in Ordnung.

(Zuruf von der CDU: Unverschämt!)

Ich will nur sagen, dass ich mich gut an Zeiten erinnere, wo Ministerpräsident Rüttgers dauernd Applaus von der Regierungsbank bekommen hat. Ich kann mich gut an diese Zeit erinnern.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das war genauso falsch! – Zurufe von der CDU – Christof Rasche [FDP]: Das stimmt auch wieder nicht! – Weitere Zurufe)

Ich würde gern noch etwas zu den Punkten sagen, die Herr Lindner vorgetragen hat, weil es sich ja lohnt, wie ich gerade schon dargestellt habe, genauer hinzuschauen. Da spricht er über das, was sich im Landeshaushalt zum Thema „Bau- und Liegenschaftsbetrieb“ spiegelt, und er erweckt den Eindruck, als würde sozusagen der BLB den Landeshaushalt sponsern. Das ist der Eindruck, den Sie erweckt haben und den Sie auch erwecken wollen.

Die Realität ist wie immer eine andere. Der BLB hatte Darlehen des Landes, die er jetzt zurückzahlt, auch um damit Zinsen zu sparen. Das ist die Realität bei diesem Punkt und nicht das, was Sie damit suggerieren wollen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Lachen von der FDP – Ralf Witzel [FDP]: Welch ein Zufall!)

Gut, ich glaube, länger muss ich mich mit Herrn Kollegen Lindner nicht auseinandersetzen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nein!)

Kommen wir zu Herrn Kollegen Laschet.

(Christian Lindner [FDP]: Arroganz der Macht! – Gegenrufe von der SPD – Lachen von Christian Lindner [FDP])

– Das ist keine Arroganz der Macht. Sie hätten ja etwas Substanzielleres beitragen können, dann hätte ich dazu auch Stellung bezogen. So viel Substanzielles habe ich in Ihren Redebeiträgen nicht gefunden; es tut mir leid.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Oh, oh, oh! – Weitere Zurufe)

Ich könnte mich natürlich noch zu Herrn Lammert äußern. Sie haben ja Herrn Lammert und seine Äußerungen zum Ruhrgebiet angesprochen und gefragt, warum wir dazu keine Stellung bezogen hätten. So habe ich Sie verstanden. Das kann ich Ihnen sagen: Weil es eine konzertierte Aktion der CDU im Rahmen des Kommunalwahlkampfes ist. Und dafür gebe ich mich nicht her. Punkt.

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich könnte auch noch etwas zu dem „Wutbrief“ von Herrn Duin sagen, denn wie immer sind Sie nicht ganz in der Realität. Sie müssten ein bisschen darauf achten, wann denn dieser „Wutbrief“ entstanden ist und wohin er sich gerichtet hat.

(Armin Laschet [CDU]: Frau Hendricks zum Beispiel! Frau Hendricks!)

Es mag vielleicht für Sie anders sein, vielleicht sogar noch schlimmer. Es mag auch Leute innerhalb der SPD bundesweit geben, die sich zu den Themen geäußert haben, und darauf hat der Kollege Duin reagiert. Aber das können Sie nicht wissen. Wenn Ihnen der Text solcher Briefe entgegenschallt, ziehen Sie manchmal die falschen Schlüsse. Aber ich sage Ihnen: Es sind die falschen Schlüsse, die Sie gezogen haben.

(Armin Laschet [CDU]: Wen meinte er denn? Frau Hendricks?)

– Das werde ich Ihnen doch nicht sagen.

(Armin Laschet [CDU]: Herr Kelber denn dann?)

– Es ist doch meine Sache, worüber ich hier rede, oder?

(Zustimmung von Armin Laschet [CDU])

– Herr Kollege Laschet, kommen wir zu Ihnen. Ich würde gerne nach Ihrer Rede sagen: Mit Ihnen „Activity“ zu spielen, daran hätte ich wenig Spaß.

(Heiterkeit von der SPD, den GRÜNEN, der Regierungsbank und Armin Laschet [CDU])

– Das lasse ich mal so stehen.

(Zuruf von den PIRATEN: Oh!)

Aber ich habe eine andere Idee. Ich habe mal nachgeschaut: Eine Empfehlung für das Spiel des Jahres 2015 heißt „Simsala … Bumm?“. Ich sage Ihnen, worum es geht: Abschlussprüfung des Magiestudiums, einen Drachen herbeirufen, ein Geisterwesen beschwören oder die Konkurrenz mit Gewittern und Feuerbällen beeindrucken. Das ist das geforderte Repertoire. Ich finde, das ist das passende Spiel. 21,95 €!

(Allgemeine Heiterkeit – Lebhafter anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Kollege Laschet, Sie haben sich ja dankenswerterweise auch mit dem Haushalt auseinandergesetzt. Ich würde hier gerne noch ein paar Daten und Fakten erläutern.

Als diese Regierung 2010 ins Amt kam, waren von jedem Euro Landesausgaben noch 12,7 Cent kreditfinanziert. 2015 sind es nur noch 3,2 Cent.

(Zuruf von der CDU: Toll!)

Und 2016 werden es nur noch 2,5 Cent sein. Das ist im Übrigen fast genauso viel, wie Nordrhein-Westfalen an die finanzschwachen Länder abgibt.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Nur zum Vergleich: Die von der Opposition für ihren Haushaltsausgleich eben auch von Ihnen abgefeierten ostdeutschen Länder brauchen für jeden Euro 30 Cent von außen – nicht als Kredit, sondern als Unterstützungsleistung vom Bund und den finanzstarken Ländern wie Nordrhein-Westfalen.

(Armin Laschet [CDU]: Da waren auch westdeutsche Länder dabei! Das waren nicht nur ostdeutsche!)

Das ist die Realität, in der sie eingebettet sind.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb bleibe ich dabei, dass es eine zentrale Aufgabe ist, den Länderfinanzausgleich an dieser Stelle zu verändern, und ich bin sehr dankbar, dass Sie uns in diesem Punkt unterstützen. Das sage ich ausdrücklich.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Vielleicht noch ein paar andere Daten, die das Ganze ein bisschen zurechtrücken. NRW weist mit 3.514 € im Jahr 2014 – das sind die letzten verfügbaren Daten – einen der geringsten Ausgabenstände pro Kopf im Kernhaushalt unter allen Bundesländern auf. Wir geben pro Einwohner 13 % weniger aus als der Durchschnitt der anderen Länder. Und mit 22,3 Stellen hat NRW die zweitwenigsten Stellen, gerechnet auf 1.000 Einwohner. Das zeigt, wie sparsam dieses Land arbeitet. Das ist richtig und gut, und wir werden diesen Weg weitergehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt haben Sie ja – das verstehe ich, in einer Haushaltsdebatte ist das nicht so einfach – damit zu kämpfen, dass es gute Steuereinnahmen gibt und dass wir eine gute Einnahmensituation haben, die uns zugegebenermaßen an vielen Stellen hilft – ich will das gar nicht wegreden –, gerade auch bei den Herausforderungen im Bereich der Flüchtlinge, über die wir gestern schon gesprochen haben.

Sie wollen aber diesen konsequenten Abbau der Neuverschuldung, den ich gerade dargestellt habe, nicht wahrhaben und kommen regelmäßig mit dem Einwand, dass die dargestellte positive Entwicklung nur den ständig steigenden Steuereinnahmen und den gesunkenen Zinsausgaben zu verdanken sei. Das war bei Ihnen beiden der Fall.

Dass für 2016 13,7 Milliarden € mehr Steuereinnahmen im Vergleich zu 2010 und gleichzeitig 1,4 Milliarden € Zinsausgaben weniger angefallen seien, hätte – so ist vorhin Ihre Aufrechnung gewesen – eine Haushaltsverbesserung von 15,1 Milliarden € bedeutet. Wir hätten die Neuverschuldung nur um 5,1 Milliarden € abgebaut. Daraus ziehen Sie den Schluss, dass dieses Land nicht gespart habe.

Ich kann Ihnen eine einfache Rechnung entgegenhalten. Ja, wir haben 13,7 Milliarden € mehr Steuereinnahmen. Ja, wir haben 1,4 Milliarden € weniger Zinsausgaben. Natürlich war und ist diese Entwicklung hilfreich auf dem Weg zur Null-Neuver-schuldung.

Aber es fehlt wie so oft bei Ihnen in Ihrer Argumentationskette ein entscheidender Faktor. Sie unterschlagen nämlich dabei geflissentlich, dass wir es auch mit ständig wachsenden Herausforderungen zu tun haben.

Ich nenne nicht den Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Ich nenne die wachsende Zahl der Versorgungsempfänger, die erhöhten sicherheitspolitischen Anforderungen, die Modernisierungsnotwendigkeit der Infrastruktur und die Finanzbedarfe der NRW-Kommunen. Wir können uns noch sehr gut erinnern, wie die Finanzausstattung der Kommunen im Jahr 2010 war, als wir die Regierung übernommen haben. Dazu hat eben der Kollege Römer das Richtige gesagt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aufgrund dieser Tatsachen mussten wir auch mit steigenden Kosten kalkulieren. 4,4 Milliarden €: gestiegene Personalausgaben. 7,1 Milliarden € mehr für die Kommunen im Vergleich zu 2010. Das ist eine Steigerungsrate von nahezu 50 %. Allein diese beiden Positionen Personal und Kommunen bedeuten eine Mehrbelastung für den Haushalt von 11,5 Milliarden €. Verbesserungen von 15,1 Milliarden € stehen also Mehrbelastungen von 11,5 Milliarden € gegenüber.

Daraus ergibt sich rechnerisch ein Abbau der Nettoneuverschuldung von 3,6 Milliarden. Aber wie Sie richtig festgestellt haben, bauen wir um 5,1 Milliarden ab. Das ist die Realität, die hinter Ihren Zahlen steht und die Sie hier nicht offenbaren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Eines ist mir noch sehr wichtig, das bisher noch keine Rolle gespielt hat: Ein Teil der Steuermehreinnahmen ist auch darauf zurückzuführen, dass diese Landesregierung dafür gekämpft hat, dass dieses unsägliche Abkommen mit der Schweiz im steuerlichen Bereich nicht zustande gekommen ist. Steuergerechtigkeit bleibt unser großes Thema.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben kein Wort zur Bildung gesagt. Sie haben viel zu Wirtschaft, zur regionalen Strukturpolitik, gesagt. Bevor ich in die Politik gegangen bin, habe ich viel mit regionalisierter Strukturpolitik zu tun gehabt und kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie gerade diese Politik von der CDU bekämpft worden ist. Jetzt haben Sie das Problem – ich verstehe das –, dass wir den Erfolg darstellen können, unter anderem an der Zahl, dass das Wachstum des Ruhrgebiets nun oberhalb des Bundesdurchschnitts liegt.

(Zurufe von der CDU – Josef Hovenjürgen [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Geben Sie doch mal zu, dass es richtig war, in diese Strukturen zu investieren! Das wäre ein wichtiger Schritt nach vorne.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Kommen wir zu newPark. Ja, es war ein Konflikt unterschiedlicher Interessen: wirtschaftspolitischer Interessen und landwirtschaftlicher Interessen. Die Rechtslage ist eindeutig und klar. Auch der LEP ist an dieser Stelle eindeutig. Aber ich werde nicht das Grundstücksverkehrsgesetz außer Kraft setzen. Sie haben heute ein interessantes Rechtsverständnis offenbart. Sie haben, wenn ich das richtig interpretiert habe, auch zur Rechtsbeugung aufgerufen. Ich kann mich sehr gut an „Lex E.ON“ und ähnliche Geschichten in der Vergangenheit erinnern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Das ist nicht die Auffassung, die ich vertrete, wie man dieses Land gut führt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerpräsidentin, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Hovenjürgen zulassen?

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Natürlich, immer gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte, Herr Kollege.

Josef Hovenjürgen (CDU): Danke, Frau Ministerpräsidentin, dass Sie die Frage zulassen. – Wenn Sie sagen, Sie würden sich nicht über das Grundstücksverkehrsgesetz hinwegsetzen, warum lassen Sie dann zu, dass der Umweltminister über das Grundstücksverkehrsgesetz hinausgeht und Forderungen stellt, die nicht durch dieses Gesetz gedeckt sind?

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Nach den Diskussionen, die wir im Kabinett und im Koalitionsausschuss zu dem Thema hatten – das ist richtig; ich habe nie gesagt, dass das nicht stattgefunden hat –, haben wir einen Weg gefunden. Wir haben den Flächenerwerb mit Auflagen genehmigt. Diese Auflagen halte ich für nachvollziehbar, und ich halte sie auch für keine Blockade für das Gesamtprojekt.

Ich habe gerade die Presseerklärung des Kollegen Laschet zur heutigen Debatte gelesen:

„Mit ihrer Verhinderungspolitik in Sachen newPark hat die Landesregierung ein für“

– da fehlt das Wort „ein“ –

„Industrieland wichtiges Zukunftsprojekt bewusst vor die Wand gefahren.“

Ich kann Ihnen nur sagen: Mit dieser Entscheidung ist das Projekt keineswegs vor die Wand gefahren. Das wird auch vor Ort nicht so gesehen, Herr Hovenjürgen. Vielleicht können Sie ihm das noch mal berichten.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

– Nein, es wird Ihnen nicht gelingen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Was sagt denn der Landrat?)

Was ist denn daran unvernünftig, dass die Landwirte bis zur Realisierung des Projektes die Flächen landwirtschaftlich nutzen können? Was ist denn daran unvernünftig, Herr Hovenjürgen? Sagen Sie das doch mal!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich kann Ihr Dilemma verstehen, weil es Ihnen zum wiederholten Male – ich kann Ihnen all die anderen Themen herunterbeten – nicht gelingt, diese Landesregierung als industriefeindlich zu diffamieren. Wenn Sie bei der Pressekonferenz den Arbeitgeberverbänden zugehört hätten, wüssten Sie, dass sie mit dieser Landesregierung sehr zufrieden sind. Das ist Ihr Problem.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerpräsidentin, Herr Hovenjürgen möchte noch eine Frage stellen.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Hovenjürgen, bitte. Gerne.

Josef Hovenjürgen (CDU): Noch mal danke, Frau Ministerpräsidentin. – Warum war es aber dann nicht möglich, den vor Ort erreichten Kompromiss, dass die Landwirte die Flächen bis zu Realisierung des Projekts weiter nutzen und bei Nichtzustandekommen des Projektes diese auch kaufen können, nicht akzeptiert, sondern von Minister Remmel torpediert?

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Das ist Ihre Interpretation der Dinge. Ein rechtsstaatliches Anwenden eines Gesetzes ist für mich kein Torpedo.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist der Unterschied in unserer Auffassung. Es tut mir sehr leid.

Herr Kollege Laschet hat noch mal die Generalkritik am LEP aufgebracht. Ich weiß, auch das hat kommunalpolitische Gründe, auch im Wahlkampf. Ich verstehe das. Aber es bleibt bei unserer Aussage: Die Konflikte beim LEP sind auf ein Minimum reduziert worden. Es wird kein wichtiges wirtschaftspolitisches Projekt an diesem LEP scheitern. Klare Aussage!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das Tariftreue- und Vergabegesetz spare ich mir. Dazu hat Kollege Römer schon Wichtiges gesagt.

Bei der Energiepolitik könnten wir noch mal die Grundsatzdebatte führen. Ich bin sehr dankbar, dass wir in Berlin an entscheidenden Stellen gemeinsam unterwegs waren. Ich bin auch dem Kollegen Vassiliadis und dem Kollegen Duin sehr dankbar. Es ist gut, dass wir diesen Weg gemeinsam gefunden haben. Aber ich glaube, dass wir weiterhin versuchen müssen, diesen Industriestandort dadurch zu schützen, dass wir gemeinsam auf Dauer verlässliche Rahmenbedingungen erzielen. Da werden wir gerade in Richtung Brüssel noch viel Arbeit vor uns haben. Es wäre schön, wenn wir da gemeinsam Seite an Seite weiterkämpfen könnten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie, Frau Ministerpräsidentin. Kollege Marsching möchte eine Frage stellen.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Marsching, gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich weise allerdings darauf hin, dass die Geschäftsordnung vorsieht, dass zu einem Komplex lediglich zwei Zwischenfragen gestellt werden sollen – bevor wir uns in Richtung einer Fragestunde entwickeln. Dies vorausgeschickt, Herr Kollege Marsching, bitte.

Michele Marsching (PIRATEN): Lieber Herr Präsident, ich hoffe, Sie gehen nicht davon aus, dass ich noch eine Nachfrage zum Thema „newPark“ stelle, nachdem ich vorhin gesagt habe, dass ich zu dem Thema bei den Haushaltsberatungen nichts sagen werde.

(Zuruf von der SPD: Frage?)

– Oh ja, die Frage kommt. Mein Gott. – Ich möchte die Ministerpräsidentin eines fragen. Ich habe Ihnen länger zugehört. Sie haben sich ganz kurz am Anfang mit meiner Rede beschäftigt. Ich habe gehofft, dass noch irgendetwas kommt. Wo ist der Themenkomplex Digitalisierung? Wo ist NRW 4.0? Wo ist Open.NRW? Antworten Sie darauf noch konkret, oder ist das einfach so weggewischt?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das waren mindestens drei Fragen. Die Ministerpräsidentin wird damit umgehen.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Kollege Marsching, ich glaube, das sprengt die Debatte zum Haushalt. Ich habe versucht, auf wesentliche Punkte der Vorredner einzugehen. Über Digitalisierung spreche ich täglich, wöchentlich. Wir haben Ihnen hier eine klare Strategie vorgelegt.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Wo ist die?)

Darüber werden wir uns fachlich und sachlich auseinandersetzen. Ich glaube aber, dafür ist diese Debatte nicht der entscheidende Raum. Das tut mir sehr leid.

(Beifall von der SPD)

Da mögen wir andere Auffassungen haben.

Ich bin ja noch bei der Wirtschaftspolitik und möchte noch auf den Bereich Infrastruktur eingehen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das wäre super!)

Kollege Laschet hatte das Unternehmen aus Siegen-Wittgenstein genannt. Ich kenne das Unternehmen, und ich weiß um die Probleme. Wir halten nur mal prophylaktisch fest: Es handelt sich um Probleme bei der Bundesautobahn und bei Bundesautobahnbrücken in dieser Region. Da sind wir uns, glaube ich, einig.

Deshalb ist schon die Frage: Was passiert da gerade in dieser Auseinandersetzung zwischen dem Kollegen Groschek und dem Kollegen Dobrindt? Daher muss man noch einmal Daten und Fakten hintereinanderlegen. Denn es ist nicht so, wie Sie es dargestellt haben, Herr Laschet.

Mit Schreiben vom 6. 8. und 28. 8. hat Minister Groschek den Bundesverkehrsminister gebeten, für die vier planfestgestellten Maßnahmen, um die es geht – wir alle wissen das –, eine Finanzierungszusage zu geben, damit die Bezirksregierung als Planfeststellungsbehörde die sofortige Vollziehbarkeit anordnen kann.

(Zuruf Armin Laschet [CDU])

Ich wiederhole: Der Bundesverkehrsminister wurde am 6. 8. und am 28. 8. angeschrieben.

(Armin Laschet [CDU]: Stimmt aber nicht!)

– Herr Laschet, hören Sie weiter zu! – Die Maßnahmen sind mit vollziehbarem Baurecht bezeichnet. Die Finanzierungszusage des Bundes ist noch erforderlich.

In einem Schreiben vom 31. 8. – nachdem das Ganze – ich setze das in Klammern – öffentlich hochgekocht ist, sagt Bundesverkehrsminister Dobrindt jetzt die Finanzierung von weiteren Maßnahmen – mit Ausnahme der A1, die als ÖPP-Projekt realisiert werden solle – zu. Einschub: Wir verweigern uns nicht grundsätzlich ÖPP. Sie und ich kennen aber den Bericht des Bundesrechnungshofes. Und ich glaube, man kann ÖPP nur dann machen, wenn es finanziell vertretbar ist. Auch darüber sollten wir uns einig sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Für die drei Maßnahmen hat der Landesbetrieb Straßen bei den zuständigen Bezirksregierungen unter Bezug auf Dobrindts Schreiben unverzüglich die Anordnung der Vollziehbarkeit beantragt. Dieses Schreiben hat uns übrigens bisher nur als Anlage zu einem Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs Ferlemann an die Bezirksregierung Münster erreicht. Das ist doch spannend! – Das heißt: Wir haben uns vorher gegen die Benachteiligung bei der Mittelvergabe gewehrt. Und erst nach unserem Mahnschreiben kam die Bereitschaft zur Mitfinanzierung unserer Straßenprojekte. Die nachgereichte Finanzierungszusage war zwingende Voraussetzung, um den sofortigen Bauvollzug anordnen zu können. Und dies geschieht jetzt!

(Armin Laschet [CDU]: Das ist falsch!)

– Das ist die Realität, Herr Laschet! Das ist die Realität: Daten und Fakten!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Dobrindt ist ja auch nicht von alleine losmarschiert. Auch das hat – das wissen wir ja alle – mit Kommunalwahlterminen zu tun.

(Zuruf Armin Laschet [CDU])

– Warum die anderen das können? – Dazu kann ich Ihnen sagen: Wir hatten die gleichen Fälle in Hessen und in Bayern. Und da hat Herr Dobrindt sie durchgewinkt! Das war die Realität! Warum? Weil da CDU und CSU an der Spitze stehen! Das ist die Realität!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Aus der Region kommen die markigen Sprüche der Kollegen der CDU. Herr Wittke verlautbart: Da regnet es Geld aus dem Hause Dobrindt – ich weiß nicht mehr die genaue Formulierung –, und wir würden den Löffel nicht raushalten, um den Brei aufzufangen.

(Armin Laschet [CDU]: So ist es!)

Das Problem ist, dass er beim Löffel vorne die Schippe abgeschraubt hat, weil er zu seiner Zeit in diesem Feld 770 Stellen abgebaut hat! Das ist das Problem, was wir damals zu verzeichnen hatten!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nur zur Kenntnis, werter Herr Lindner, weil Sie die Stellen in diesem Feld angesprochen haben: Wir haben 2015 und 2016 jeweils zehn zusätzliche Stellen hierfür eingestellt, und wir haben auch Planungskapazität nach außen vergeben. Wir sind auf dem besten Wege, hier aufzuholen. Wenn der Bundesverkehrsminister hier seine Arbeit vernünftig machen würde, würden wir das schnellstmöglich auch erreichen.

Meine Damen und Herren, ein Wort zum Schluss zum Thema „Münster“ bzw. „CARE“. Zu CARE möchte ich hier nichts sagen, weil ich ein Schreiben vorliegen habe, das ich Ihnen gerne hinterher in Kopie geben kann. Es ist von Herrn Professor Schöler selbst, der – und das zitiere ich – unter anderem ausführt:

Daher möchte ich Sie darum bitten, dass Sie Ihren Einfluss geltend machen, damit CARE nicht in den Mühlen parteipolitischer Auseinandersetzungen Schaden erleidet.

Deshalb werde ich mich dazu hier nicht äußern. Wir können dazu gerne unter vier Augen oder auch unter sechs – wenn der Kollege Lindner dabei sein möchte oder wer auch immer – sprechen. Da lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Ich glaube, das sollten wir nicht in die parteipolitischen Auseinandersetzungen hineinziehen. Ich jedenfalls werde das nicht tun.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lutz Lienenkämper [CDU]: Weil Ihnen das unangenehm ist! Das ist der Grund!)

Noch ein letzter Punkt, worüber ich mich geärgert habe, Herr Kollege Laschet: Ja, parteipolitische Auseinandersetzungen gehören in eine Haushaltsrede, aber durch Ihre Formulierungen den Eindruck zu erwecken, als wäre die sichere Altersversorgung für Beamtinnen und Beamte in diesem Land dadurch gefährdet, dass wir zwei Fonds zusammenlegen, ist fahrlässig. Und das würde ich Ihnen ungerne durchgehen lassen! – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Als nächster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Dr. Optendrenk das Wort.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerpräsidentin, Sie hatten geschlossen mit dem Thema des zusammenzuführenden Versorgungsfonds der Versorgungsrücklagen. Und Sie haben gesagt, es sei fahrlässig, die Diskussion darüber so zu führen, wie unser Fraktionsvorsitzender Armin Laschet sie geführt habe.

Ich will Ihnen sagen, was fahrlässig ist. Fahrlässig ist, wenn man das, was man lange Jahre für richtig erachtet hat, ohne guten Grund aufgibt, das Gegenteil tut und im Grunde die Zukunft infrage stellt.

(Beifall von der CDU)

Ich würde Ihnen gleich gerne diese Grafik überreichen, Frau Ministerpräsidentin.

(Der Redner zeigt eine Grafik.)

Das ist der Unterschied zwischen der aktuellen Rechtslage, wenn wir es so lassen, wie es heute ist, und der Rechtslage, die wir zukünftig haben werden, wenn Rot-Grün dieses Gesetz im Landtag beschließt. Es handelt sich bis 2025 um einen Unterschied in der Zuführung zu einem solchen Fonds von 9 Milliarden €. Es handelt sich also nicht um eine Geschmacksfrage. Es handelt sich auch nicht um die Frage, ob man irgendwie irgendetwas pragmatisch tut, sondern das Kabinett, Ihr Kabinett, Frau Kraft, hat entschieden, dem Landtag einen Gesetzentwurf vorzuschlagen, der bei seiner Realisierung dazu führt, dass im Jahre 2025 9 Milliarden € weniger in einem Versorgungsfonds, den Sie jetzt Pensionsfonds nennen wollen, sein werden als bisher.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das ist Trickserei und Täuschen!)

Es gab einen Konsens. Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll vom 24.02.2005 den dort damals für die SPD-Fraktion sprechenden heutigen Verkehrsminister Michael Groschek, der wahrscheinlich aus gutem Grund gerade aus dem Saal gegangen ist. Denn der würde sich das Zitat vorhalten lassen müssen:

„Die von den Beamtinnen und Beamten seit 1999 selbstfinanzierte Versorgungsrücklage nach … des Bundesbesoldungsgesetzes kann das Problem“

 – zu ergänzen: der Versorgung –

„allerdings nicht nachhaltig lösen. Die bis 2018 insoweit angesammelten Beträge in Höhe von

– damals geschätzt –

„7,3 Milliarden € können allenfalls die stark steigenden Belastungen für einige Jahre etwas mildern, mehr nicht.“

Zitat Ende. – Deshalb ist damals beschlossen worden – vor einer Landtagswahl und im Konsens der damals im Landtag vertretenen Parteien –, einen Versorgungsfonds einzurichten, der folgende Konsequenzen haben soll – jetzt zitiere ich den damaligen Redner wieder –:

„Das bedeutet in etwa 30 bis 40 Jahren einen vollständigen Wechsel von der umlagefinanzierten Versorgungsleistung zur kapitalgedeckten. Das findet unsere uneingeschränkte Zustimmung; denn so entlasten wir die Zukunft.“

Heute wollen Sie – Frau Kraft, sie waren damals Ministerin und danach Oppositionsführerin und haben das damals mitgetragen – davon nichts mehr wissen. Ihr Finanzminister hat so große Haushaltsprobleme, dass er jetzt anfängt, in die Trickkiste zu packen und zu sagen: Wir führen einfach diese beiden Institutionen zusammen, die, die für die mittelfristigen Lastenabfederungen sorgen sollte, und die für die langfristigen. Wir tun so, als wären die mittelfristigen gar nicht so wichtig, verlagern es auf die langfristigen und sparen uns 9 Milliarden. – Das ist Bauernfängerei. Das ist Rosstäuscherei.

(Beifall von der CDU)

Ihre Rechenkünste haben Sie eben am Beispiel Gemeindefinanzen auch noch einmal deutlich gemacht. Sie haben den Eindruck erweckt, als seien 7,1 Milliarden € zusätzliche Mittel an die Kommunen quasi alles GFG-Mittel. Denn anders kann man gar nicht erklären, dass Sie sich mit dem Rechenbeispiel von 15,1 Milliarden mehr Steuern und weniger Zinsausgaben und 11,7 Milliarden Mehrbelastungen diese 7,1 ausrechnen. Das ist nicht seriös.

Denn wenn Sie es seriös machen würden, dann würden Sie alle zusätzlichen gegenüber 2010 eingenommenen Zuweisungen des Bundes, die an die Kommunen weiterfließen, und die zusätzlichen Fonds, die von der EU über den Landeshaushalt an die Kommunen weiterfließen, oben in den Saldo mit reinpacken. Dann haben Sie deutlich mehr als die 15,1. Dann haben Sie schätzungsweise 20 Milliarden. Dann sehen wir nämlich, dass 20 zu 11,7 genau das Delta ausmacht, in dem Sie den Haushalt nicht konsolidiert haben.

Deshalb bleiben wir dabei: Sie müssten eigentlich im Jahre 2015 schon eine schwarze Null schreiben. Ihre Politik verhindert das. Sie belasten zukünftige Generationen auf jede denkbare Weise.

(Beifall von der CDU)

Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat es uns hier heute mal wieder vorgeführt, was das Problem Ihrer Nichtentscheidungen ist. Der hat nämlich mit einer Hilflosigkeit hier Verteidigungsversuche vorgetragen, die schon fast mitleiderweckend waren. Nach fünf Jahren Rot-Grün hat er nichts zu bieten außer Ausreden zu erfinden, die schneller wechseln als die Farbe seiner Brillengestelle. Hinter dieser Fassade ist einfach nur nichts. Nichts! Mehr als Worthülsen haben Sie da nicht zu bieten.

Das ist im Grunde auch der Punkt, warum Sie in der politischen Auseinandersetzung ständig auf Nebenkriegsschauplätze ausbüxen.

Ein entscheidender Punkt der zukünftigen Herausforderungen ist: Wir haben jetzt mit der Flüchtlingsproblematik und den Ausgaben für die Flüchtlingsproblematik so schwierige Themen vor der Brust, dass es notwendig wäre, dass alle Abgeordneten dieses Landtags auf einem gemeinsamen Kenntnisstand sind über das, was geplant ist. Stattdessen führen Herr Römer und Herr Mostofizadeh hier Zahlen wie die über 2.600 neuen Lehrerstellen ein.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das hat die Ministerpräsidentin auch gesagt!)

– Und die Ministerpräsidentin auch. – Die liegen dem Landtag aber noch gar nicht vor. Sie rechnen Dinge zusammen, um die Sie vielleicht tatsächlich wissen

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Nachtrag!)

oder aber auch nur meinen zu wissen. Sie reden von den Entwürfen eines dritten Nachtrags 2015, von einer Ergänzungsvorlage 2016. Sie lassen das Parlament aber über ganz andere Zahlen und ganz andere Fakten beraten. Wenn Sie die Beratungen hier ernst nehmen und die genannten Dinge wirklich kommen, dann sollten wir die Beratungen so lange aussetzen, insbesondere die Fachberatungen, bis diese Dinge vorliegen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Es kann doch nicht sein, dass das läuft wie beim Effizienzteam.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Beim Effizienzteam waren auch Herr Mostofizadeh und Herr Römer als vermeintliche Experten für Haushalt zur Beratung des Kabinetts dabei. Die beiden haben sich als Abgeordnete erster Klasse mit Informationen vollsaugen dürfen, die das Parlament nicht bekommen hat. Diese Informationen wurden als Arkanbereich, als geheim und Vorbereitungshandlungen für die Regierung qualifiziert. Und dann werden sie hier verkauft als die richtigen Zahlen und uns vorgeworfen: Ihr seid ja hinterher!

Wenn es etwas gibt – das sage ich in allem Ernst –, das wir gestern Morgen aus der Gedenkstunde für Wilhelm Lenz hätten mitnehmen können, was die Landtagspräsidentin dort richtig geschildert hat und was in den Reden der Würdigung von Wilhelm Lenz deutlich geworden ist, dann ist es das: Ein Parlament, auch die Regierungsfraktionen, müssen sich selbst ernst nehmen.

Wenn ein Parlament das höchste Recht, das es hat, nämlich sein Budgetrecht, nicht ernst nimmt in einer Weise, dass alle Abgeordneten über die gleichen Zahlen, Daten und Fakten beraten können, wenn über Entwürfe und Zahlen kommunikativ anders geredet wird als über das, was hier vorliegt, dann ist genau dieses Budgetrecht in Gefahr. Dann hat die Mahnung von gestern Morgen, auch die der Landtagspräsidentin, nicht gefruchtet. Dann sind Sie in tagespolitischem Klein-Klein unterwegs statt in einer sauberen Wahrnehmung der Aufgaben als Abgeordnete, als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.

Es gibt einen guten Spruch dazu, nämlich dass sich nicht eine Regierung ein Parlament hält, sondern dass ein Parlament eine Regierung bestellt.

Wenn dieses Verhältnis nicht die Grundlage dafür ist, wie wir in den nächsten Wochen und Monaten auch mit dem schwierigen Thema der Haushaltskonsolidierung, der Haushaltsberatung in schwierigen Zeiten umgehen, dann ist es einfach schwer für jeden Oppositionsabgeordneten.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie, würden Sie kurz vor dem Ende Ihrer Redezeit noch eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Mostofizadeh zulassen?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ja, gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann bitte.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Dr. Optendrenk, Sie haben mich persönlich angesprochen. Die Frau Ministerpräsidentin hat nach meiner Erinnerung gestern die Zahlen vorgetragen. Aus diesen Zahlen habe ich eine Prognose errechnet, weil wir in der Koalition auch einen Beschluss zum Vorziehen des Stichtags gefasst haben.

Wir haben uns auch die Mühe gemacht, das hochzurechnen. Daraufhin hat unsere PGF Kontakt mit Ihrem PGF aufgenommen mit der Fragestellung, einen Nachtragshaushalt in einem bestimmten Verfahren in der nächsten Plenarsitzung abzustimmen. Daraus leiten Sie jetzt ab, dass ich mehr Wissen habe als Sie. Das würde ich gerne wissen, weil ich diesen Vorwurf als einigermaßen unangenehm und auch ungerechtfertigt empfinde.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von den PIRATEN)

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Kollege Mostofizadeh, ich hätte jetzt gerne gewusst, welche Frage Sie an mich hatten.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Die Frage ist, woher Sie die Behauptung nehmen, ich hätte mehr Zahlenmaterial als Sie.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Sie haben in Ihrer Rede Zahlen vorgetragen, die die Ministerpräsidentin – Pi mal Daumen, ich habe es nicht im Detail nachverfolgt – auch so vorgetragen hat. Wir beraten hier aber offensichtlich noch nicht den Nachtragshaushalt, der offensichtlich schon Grundlage der Kommunikation zwischen Ihnen, der Landesregierung und anderen ist, mit Sicherheit in der Sache aber mit uns nicht kommuniziert ist.

Sie können nicht ernsthaft eine Einbringungsrede des Herrn Ministers mit Zahlen debattieren, die gar nicht im Haushaltsentwurf stehen,

(Beifall von der CDU)

und ich kann deshalb nur davon ausgehen, dass Sie auf der Basis anderer Kommunikationsvoraussetzungen arbeiten. Für eine Opposition ist es dann eben schwer, wenn das Budgetrecht des Parlamentes als Königsrecht mit Anhörungsrechten und entsprechenden Verfahrenssicherungen immer wieder abgekürzt werden soll nach dem Motto:

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

„Ist doch alles egal, wir telefonieren mal zwischen den PGFs, und dann müsst ihr das ja mitmachen, es dient ja einem guten Zweck.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Und der Nachtrag kommt!)

Frau Beer, wenn es gut wäre, sich im Verfahren zu einigen – wir haben in diesem Jahr bereits zweimal aus guten Gründen als Opposition Verfahrensabkürzungen mitgetragen; alle Oppositionsfraktionen gemeinsam in Verantwortung vor dem Land –, dann sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass Sie es uns ungeheuer schwer machen, wenn Sie hier nicht auf der Basis der vom Minister eingebrachten Zahlen beraten und uns dann Vorwürfe, Vorhaltungen und Ähnliches machen sowie Ihre Erfolgsstory verkaufen. Das war ja das Ziel der Rede.

Wenn Sie das so tun, dass wir im Grunde genommen als diejenigen dastehen, die es nicht wissen, sage ich Ihnen: Wir können es nicht wissen. Die Regierung hat uns nicht darüber informiert.

Die Frage ist deshalb, ob man dann ein Beratungsverfahren nicht so abkürzt, indem man es stoppt, bis das alles vorliegt, oder unverzüglich den anderen Fraktionen des Hauses einen – wenn vielleicht auch noch nicht fertigen – Entwurf zur Vorbereitung auf eine schnellere Debatte zuleitet. Ansonsten wird es mit dem parlamentarischen Budgetrecht verdammt schwer. Sie nehmen uns dafür sehr in Anspruch, und das wird auch der Situation des Landes nicht gerecht.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Optendrenk. Bitte bleiben Sie noch vorne. Wir hatten es Ihnen angezeigt: Der Herr Kollege Mostofizadeh hat sich im Anschluss an seine Frage noch zu einer Kurzintervention gemeldet und bekommt jetzt das Wort für 90 Sekunden. Sie kennen das Verfahren und können dann entsprechend entgegnen. Bitte, Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Dr. Optendrenk, der Herr Kollege Laschet hat gestern in der Debatte eine dramatische Situation in den Haushalten der Kommunen beklagt. Alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister möchten gerne Klarheit darüber haben, ob sie jetzt mehr Geld zugewiesen bekommen oder nicht.

Und die Frau Ministerpräsidentin hat die Zahlen, die ich dargelegt habe, eins zu eins in ihrer Rede vorgetragen, denn nur daher habe ich sie auch.

Ich hätte gerne gewusst, warum Sie sich nicht zum Sachverhalt äußern, sondern jetzt quasi fordern, diesen Nachtragshaushalt nicht zügig über die Bühne zu bringen. Sind Sie als CDU-Fraktion also nicht bereit, in der Sache zu debattieren? Und möchten Sie das Verfahren, durch das die Kommunen mehr Geld erhalten sollen und es mehr Lehrerinnen sowie Polizisten geben soll, jetzt über diesen Verfahrenstrick aufhalten, damit man der Landesregierung vorwerfen kann, nicht zügig zu handeln? Das würde ich sehr gerne auch noch einmal wissen.

(Zuruf von der CDU)

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Kollege, Sie eröffnen hier einen Nebenkriegsschauplatz, weil Sie wissen, dass Sie im Unrecht sind.

(Beifall von der CDU)

Sie wissen ganz genau – wir haben das eben schon miteinander ausgetragen –, dass wir über einen Entwurf eines Haushaltes 2016 beraten, den der Herr Minister hier einbracht hat. Wenn Sie eine andere Haushaltsunterlage zum Gegenstand des Verfahrens machen möchten, lade ich Sie herzlich ein: Sorgen Sie dafür, dass eine solche sehr schnell zum Beispiel als Änderungsantrag Ihrer Fraktionen auf den Tisch kommt. Wir können dann in einem beschleunigten Verfahren im Interesse der Kommunen, der Bürgerinnen und der Bürger und der Flüchtlinge schnell darüber beraten und sind genauso entscheidungsfähig wie bei dem Nachtrag, in dem es um die Bekämpfung von Terrorismus ging, und wie bei dem zweiten Nachtrag, in dem es bereits auch um Flüchtlingsfragen ging.

Wenn Sie diese Anträge nicht auf den Tisch legen, sondern sagen: „Ja, hören Sie sich doch die Rede der Frau Ministerpräsidentin an, Sie hat Ihnen die Zahlen doch in das Plenarprotokoll geschrieben“, …

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

… ist das der Situation schlicht nicht angemessen. Das wäre nicht die Ernsthaftigkeit, die von Ihnen und der Landesregierung erwartet werden kann. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Optendrenk. – Soweit die Kurzintervention ...

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

… und die Entgegnung darauf. – Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion der Herr Kollege Zimkeit.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Herr Dr. Optendrenk, ehrlich gesagt konnte ich Ihren Ausführungen und Ihrer Kritik gerade nicht ganz folgen.

(Zurufe von der CDU – Unruhe)

Es gab einen Widerspruch gegenüber dem, was Herr Laschet geäußert hat, nämlich ausdrücklich das Angebot zu machen, über das Verfahren „Nachtragshaushalt und Ergänzungszuweisung“ in Ruhe sachlich zu diskutieren. Das war die Aussage von Herrn Laschet. Sie haben gerade gesagt, dass müsste alles gestoppt werden, weil es nicht funktionieren würde. Diesen Widerspruch kann ich nicht aufklären, aber ich würde Sie bitten, ihn aufzuklären.

Was für mich noch wichtiger ist: Sie haben Transparenz eingefordert. Was ist denn transparenter, als wenn eine Regierung durch die Frau Ministerpräsidentin schon bevor alle Beschlüsse gefasst sind und bevor der Landesregierung selbst alle Zahlen vorliegen, hier gestern in einer Debatte schon Zahlen nennt, mit der die Opposition sich auch schon beschäftigen kann? Mehr Transparenz geht doch gar nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie wartet eben nicht auf die Vorlage der Papiere, sondern teilt Ihnen das frühzeitig mit.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Zimkeit, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Dr. Optendrenk zulassen?

Stefan Zimkeit*) (SPD): Ja, klar.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Ich habe Zeit.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Danke schön, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Es wäre für mich interessant zu erfahren, woraus Sie einen Gegensatz zwischen den Aussagen, die ich gemacht habe, und denen meines Fraktionsvorsitzenden herleiten. Das ist exakt nicht der Fall.

Sie müssten mit mir der Meinung sein, dass wir Ihnen und der Regierung die Brücke gebaut haben, über die Sie jetzt gehen können, wenn es Ihnen wirklich um die Sache geht. Oder nicht?

Stefan Zimkeit*) (SPD): Sie haben immerhin noch den Punkt gefunden. Nein, ich habe Sie völlig anders verstanden. Ich habe es schon ausgeführt. Sie haben hier die Forderung in den Raum gestellt, die entsprechenden Verfahren zu stoppen. Herr Laschet hat ausdrücklich angeboten, diese Verfahren durchzuführen. Da habe ich einen Widerspruch rausgehört. Ich glaube, wenn ich das richtig gesehen habe, nicht nur ich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben aber ein wichtiges Stichwort geliefert für die Haushaltsdebatte, wie Sie heute abläuft. Das ist nämlich die Frage von Nebenkriegsschauplätzen. Die drei Reden der Opposition, die Rede von Ihnen, Herr Optendrenk, und die Reden von Herrn Lindner und Herrn Laschet, haben sehr viele Nebenkriegsschauplätze aufgemacht und waren Ablenkungsmanöver.

Sie haben von einem wichtigen Punkt abgelenkt: einer fundamentalen Änderung der Äußerungen der Opposition zum Haushalt. Bis zum heutigen Tag ist in jeder Haushaltsrede und in jeder Finanzrede von den Oppositionsfraktionen hier immer gesagt worden: Die Landesregierung wird die Schuldenbremse nicht einhalten.

Heute hat es da einen fundamentalen Wechsel gegeben. Herr Laschet hat gesagt: Sie wird eingehalten. Herr Lindner hat sich nicht mehr dazu geäußert. Der Kernpunkt Ihrer politischen Kritik der letzten Jahre, nämlich dass die Schuldenbremse durch diese Landesregierung nicht eingehalten wird, ist heute in sich zusammengebrochen. Davon haben Sie mit sehr umfangreichen Reden abgelenkt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Das ist Haushaltskosmetik!)

– Ja, auch Sie, Herr Witzel, sprechen jetzt von Haushaltskosmetik, von Trickserei. Sie haben bisher die Behauptung aufgestellt, die Schuldenbremse werde nicht eingehalten. Davon haben Sie sich jetzt endgültig verabschiedet.

Sie haben das rhetorisch, Herr Laschet, Herr Lindner, wie immer, sehr unterschiedlich getan. Jetzt ist Herr Laschet leider nicht da. Er hat gerade zur Rede von Herrn Römer gesagt, das wäre Loriot gewesen. Darauf kann ich nur antworten: Dann war Ihre Rede, Herr Laschet, Louis de Funès – ziemlich chaotisch und ziemlich inhaltsleer.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Er war nicht so lustig!)

– Vor allen Dingen war er lange nicht so hintergründig wie unser Fraktionsvorsitzender. Das hat dann was mit inhaltlicher Kenntnis zu tun, die da fehlt.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Bei aller unterschiedlichen Rhetorik zwischen Herrn Lindner und Herrn Laschet gab es ein paar Übereinstimmungen, die Sie verbindet. Das eine ist, dass beide immer groß nach Konzeptionen für die Zukunft gerufen haben, allerdings in Wirklichkeit selbst keinen Satz zur Zukunft gesagt haben. Sie haben einen einzigen gemeinsamen Vorschlag gemacht, wie Sie die Welt in Nordrhein-Westfalen verbessern wollen – Norbert Römer hat es angesprochen –: Das ist die Abschaffung des Tariftreue- und Vergabegesetzes; das löst dann alle Probleme.

Ich halte fest: Sie wollen die Probleme des Landes durch Lohndumping auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lösen. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Heiterkeit – Beifall von Norbert Römer [SPD])

Die zweite große Übereinstimmung bei Ihnen ist, dass Sie die Interessen Nordrhein-Westfalens in den Hintergrund stellen. Bei Herrn Lindner sind wir es mittlerweile gewöhnt, dass er so viel zu bundespolitischen Themen hier redet.

(Christian Lindner [FDP]: Habe ich gar nicht!)

– Er hat das diesmal ausgelassen; wenn Sie bis zum Schluss warten, hätten Sie diesen meinen Nachsatz gehört. Das fand ich sehr interessant, weil Sie sich zu einer bundespolitischen Frage eben nicht mehr geäußert haben. Bisher war es Konsens zwischen der Regierung und der FDP, zu sagen: Das Betreuungsgeld muss in Kindertageseinrichtungen investiert werden. Das ist das Interesse von Nordrhein-Westfalen. Darauf haben Sie verzichtet. Das fand ich schon sehr interessant, weil Sie sich hier auf die Seite Nordrhein-Westfalens hätten stellen können.

Bei Herrn Laschet ist es noch interessanter zu beobachten, wie der Umgang mit den Interessen Nordrhein-Westfalens ist. Ich vermisse, dass er sich wirklich auf Bundesebene im Interesse Nordrhein-Westfalens durchsetzt. Er ist stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. Da muss man doch auch mal in der Lage sein, die Interessen Nordrhein-Westfalens durchzusetzen. Das vermisse ich.

Ich hätte zum Beispiel von Herrn Laschet erwartet, dass er sich an dieses Pult stellt und sagt: Das, was sich bisher in Sachen der Flüchtlingspolitik auf Bundesebene abspielt – die fehlenden Mittel –, ist falsch. Die Bundestagsfraktion der CDU liegt falsch damit, keine Zahlen zu nennen. Es ist nötig, dass der Bund endlich die Kommunen und die Länder unterstützt. – Das habe ich wieder vermisst. Wieder kein Eintreten für die Interessen NRWs!

(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Norbert Römer [SPD] und Britta Altenkamp [SPD])

Das Dritte, was Ihnen gemeinsam ist, Herr Laschet und Herr Lindner, ist Ihre gemeinsame finanzpolitische Strategie. Die tragen Sie jetzt schon in allen Haushaltsdebatten vor. Die gemeinsame finanzpolitische Strategie ist: Wir wollen mehr Geld ausgeben. Herr Kollege Mostofizadeh hat das eindeutig an beeindruckenden Zahlen hier dargestellt. Sie wollen durch Steuersenkungen weniger Geld einnehmen und damit die Schulden senken. Das ist Ihre finanzpolitische Strategie. Man sollte eigentlich gelernt haben, dass dies in diesem Zusammengehen nicht funktioniert.

(Christian Lindner [FDP]: Doch!)

Deswegen möchte ich zumindest zu zwei Aspekten ein paar Zahlen nennen, damit man sich auch mal mit Fakten auseinandersetzen kann. Das eine ist: Insbesondere Herr Lindner hat deutlich gemacht, dass die Entwicklung der Zahl der Arbeitsplätze eine sehr zentrale Angelegenheit ist. Die Ministerpräsidentin ist gerade darauf eingegangen. Ich will es einmal hinterlegen.

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte zum 30.06. in Nordrhein-Westfalen: 2009 5.800.000, 2014 6.200.000. Das sind 400.000 mehr. Und Sie reden hier von Arbeitsplatzabbau und Beschäftigungsvernichtung. Da sehen Sie, wie Sie mit Fakten umgehen. Die Realität in diesem Land ist eine andere.

Das ist auch so beim zweiten Punkt, den ich ansprechen möchte. Das ist nämlich die Frage des Pensionsfonds, die gerade noch einmal aufgegriffen wurde. Hier wird immer von der Aufkündigung eines Konsenses gesprochen. Diese Aussage ist falsch. Die Landesregierung steht zu dem, was vereinbart ist, nämlich welcher Prozentsatz zukünftig aus entsprechenden Rücklagen gebildet werden soll.

Nehmen Sie doch bitte einmal die Fakten zur Kenntnis. Wir in Nordrhein-Westfalen haben 10 Milliarden € in den entsprechenden Rücklagen, und das von Ihnen immer so hochgelobte Bayern hat 2 Milliarden €, also ein Fünftel, bei fast genauso vielen Beamten. Wir zahlen zukünftig weiter 200 Millionen € jedes Jahr in die Rücklagen ein; in Bayern sind es 100 Millionen €. Wenn sonst doch immer Bayern Ihr Vorbild ist, dann haben Sie doch einmal den Mut, hier zu sagen: Das wird in Nordrhein-Westfalen besser gemacht. – Denn das ist Fakt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aus unserer Sicht ist der vorliegende Haushalt eine gute Grundlage für die weiteren Debatten. Dass er zum einen aufgrund der aktuellen Entwicklungen und zum anderen infolge der politischen Beratungen verändert werden muss, ist klar. Ich möchte trotzdem noch einmal deutlich machen, dass er an wichtigen Punkten in die Zukunft investiert.

Er investiert in Jugendliche, die wir mit 55 Millionen € zusätzlich bei der Suche nach einem Arbeitsplatz unterstützen wollen. Wir werden den offenen Ganztag stärken, um Kindern bessere Chancen zu geben. Wir werden allein über 170 Millionen € in die digitale Zukunft investieren. Das hätte man im Haushalt finden können, wenn man sich damit entsprechend auseinandergesetzt hätte. Zur Finanzierung von Krankenhäusern ist schon viel gesagt worden.

Meiner Meinung nach müssen wir auf eines achten: Dies sind wichtige Zukunftsinvestitionen, und weitere müssen folgen. Ich habe an alle Fraktionen und alle Kolleginnen und Kollegen eine Bitte für die anstehenden Haushaltsberatungen: Lassen Sie uns das, was zur Integration der Flüchtlinge an zusätzlichen Finanzmitteln notwendig sein wird, nicht gegen andere notwenige Zukunftsinvestitionen ausspielen. Das wäre nicht im Sinne unseres Landes und seiner Menschen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Lindner das Wort.

Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Zimkeit, wie man es macht, man macht es Ihnen nicht recht. Jetzt habe ich angeblich zu wenig Bundespolitik eingebracht. Ich möchte Ihnen aber gerne quittieren: Natürlich halten wir an unserer Auffassung fest, dass das nicht für das Betreuungsgeld aufgewendete Haushaltsvolumen für die Verbesserung frühkindlicher Bildungsförderung eingesetzt werden muss.

Trotzdem ist etwas Bemerkenswertes an Ihrem Vorschlag. Ein kleiner rot-grüner Faden ist, dass Sie immer bemängeln, ich sei zu oft in Berlin usw. usf.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Habe ich noch nie gesagt!)

Ich will Ihnen ganz offen sagen: Ja, ich bin relativ oft in Berlin, und ich würde mich freuen, die Ministerpräsidentin öfter in der Hauptstadt zu treffen, damit sie dort nordrhein-westfälische Interessen vertreten kann. Das ist nämlich eigentlich ihr Auftrag.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Sie glauben gar nicht, wie oft ich da bin!)

– Ich freue mich, dass Sie oft da sind, Frau Kraft, aber offensichtlich sind Ihre Besuche bislang doch relativ wirkungslos gewesen, wenn man die unterschiedlichen politischen Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, betrachtet.

(Martin Börschel [SPD]: Sie trifft sich ja nicht mit Ihnen! Das ist der Punkt! Warum auch?)

Frau Kraft hat erklärt, man müsse auf die Details schauen. Es ist ja eine rhetorische Figur von Ihnen, dass Sie immer sagen, die Opposition habe die Details gar nicht genau im Blick und würde alles falsch zitieren. Das können Sie gerne machen, Frau Kraft. Ich freue mich schon darauf, wenn wir Ihre Wirklichkeitswahrnehmung und Ihre Details im Wahlkampf mit dem vergleichen, wie die Menschen die Sache sehen. Dann bin ich gespannt, ob Sie Ihre rhetorische Figur durchhalten.

Ich möchte es an drei Punkten deutlich machen.

Erster Punkt: Arbeitsmarkt. Herr Zimkeit, niemand hier – ich zumindest nicht – hat vom Abbau von Arbeitsplätzen gesprochen. Hören Sie genau hin. Gerade wenn Sie auftreten und andere korrigieren wollen, achten Sie genau darauf, was gesagt worden ist.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Was ist denn das für eine Haltung? Das ist ja unglaublich!)

Ich habe nicht davon gesprochen, dass Beschäftigung abgebaut worden ist. Ich habe die Situation des Arbeitsmarkts in Nordrhein-Westfalen im Vergleich mit anderen Bundesländern gesehen, und da können Sie nicht zufrieden sein. In Nordrhein-Westfalen ist die Arbeitslosenquote 25 % höher als der Bundesdurchschnitt. Selbst Thüringen ist besser. In Nordrhein-Westfalen liegt die Arbeitslosenquote 41 % über dem Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer.

(Norbert Römer [SPD]: Wie war das denn in Ihren Zeiten?)

Es sind Tausende Familien betroffen, weil die Arbeitsmarktdynamik schlechter ist als im Bundesgebiet insgesamt.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Wenn Sie darauf stolz sind, Frau Ministerpräsidentin, ist das eine Form von Realitätsverlust.

(Beifall von der FDP – Norbert Römer [SPD]: Wie war das jetzt in Ihrer Zeit?)

Zweiter Punkt: BLB. Jetzt wird uns erläutert, dass Ihre Operation, aus dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb Darlehen zu reduzieren und an den Landeshaushalt abzugeben, ein großartiges Geschäft sei. Das Landesdarlehen an den BLB beträgt 2,9 Milliarden €. Wenn das so ein geniales Geschäft ist, wie Sie hier dargestellt haben, frage ich mich, warum das Darlehen nicht sofort komplett abgelöst wird.

(Norbert Römer [SPD]: Keine Ahnung! Nicht zu fassen!)

Es bleibt dabei: Sie fummeln mit Nebenhaushalten rum, um die Zahlen für den Kernhaushalt zu frisieren. Das ist die Strategie.

(Beifall von der FDP)

Dritter Punkt: Frau Ministerpräsidentin, Sie haben mit großer Geste Zahlen aus dem heute veröffentlichten Bildungsmonitor dargestellt. Das taten Sie vermeintlich, um den FDP-Fraktionsvorsitzenden zu entkräften, um aufzuzeigen, was ich alles Falsches gesagt habe. Meine Güte! Herr Zimkeit sprach bezüglich dessen, was Sie hier vorgetragen haben, von einem Nebenkriegsschauplatz.

Die wahren Zahlen, auf die es ankommt, sind doch von heute, und die können Sie nicht widerlegen. Sie haben sie aber verschwiegen, weil Sie, glaube ich, ein Stück weit auch die Courage verloren haben, genau zu benennen, wo die Defizite sind. Deshalb trage ich sie Ihnen nach, Frau Kraft, damit Sie hier nicht das letzte Wort haben mit Ihrer merkwürdigen Darstellung der Lage im Bildungssystem.

(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)

Betreuungsrelation an Schulen und Hochschulen: Nordrhein-Westfalen – raten Sie mal – Platz 16 von 16.

Qualität der beruflichen Bildung – raten Sie mal –: Platz 16 von 16. Und seit 2015 sparen Sie 500 Stellen bei den Berufskollegs ein.

Aber insbesondere weil Ihr Credo, Frau Kraft, immer „Kein Kind zurücklassen“ lautete

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Immer noch!)

– das sagen Sie immer noch –, ist es für mich beschämend, dass Sie bei der ganzen Litanei, die Sie hier aus dem Bildungsmonitor vorgetragen haben, verschwiegen haben, dass Nordrhein-Westfalen bei der Bildungsarmut auf Platz 13 von 16 liegt. Nur die Stadtstaaten sind schlechter. Wenn Sie dann sagen, Ihre Bildungspolitik sei erfolgreich, ist das eine Form von selektiver Wirklichkeitswahrnehmung.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lindner, einen Wackelpudding an die Wand zu nageln ist einfacher, als Ihrer Haushaltspolitik zu folgen.

(Christof Rasche [FDP]: Ich glaube, Sie können beides nicht!)

Ich habe Ihnen, Herr Optendrenk und Herr Laschet, in den vergangenen vier Stunden zugehört und versucht, zu verstehen, was die Alternative in dem letzten vollen Haushaltjahr, für das der Plan vorliegt, ist. Wie lauten Ihre Vorschläge, um dieses Land in der konkreten Haushaltssituation voranzubringen?

Sie haben sich in dieser Debatte im Vergleich zu den Debatten in den Vorjahren und auch im Vergleich zu dem, was Sie 2005 bis 2010 in diesem Land als Regierung gemacht haben, mehrfach widersprochen – nicht bei irgendwelchen Nebenkriegsschauplätzen, sondern bei ganz zentralen Fragen für das Land.

Einige Beispiele:

Unter der Regierung Rüttgers gab es eine pauschale Kürzung über alle Ressorts hinweg. 1,5 % der Stellen wurden jedes Jahr eingespart.

In Ihrem Haushaltskonzept zur Landtagswahl 2012 und auch in den Beratungen der Haushalte der letzten Jahre haben Sie mehrere Tausend Stellen zur Disposition gestellt. 2012 gingen Sie dann in den Wahlkampf und haben allen im öffentlichen Dienst paradoxerweise gleichzeitig zugesagt, mit Ihnen gebe es keine Kürzungen mehr.

Noch nicht einmal ein Jahr später haben Sie in den Haushaltsberatungen dann den Rasenmäher herausgeholt. Herr Laschet hat das Saarland als Vorbild genommen und wollte 10 % aller Stellen einsparen. Er hat hier gesagt: „Das Saarland kürzt 10 % pauschal über alle Ressorts hinweg. Warum machen Sie das nicht? – Das wären mal eben 40.000 Stellen in der Landesverwaltung gewesen. Das haben Sie in den Haushaltsberatungen – zuletzt 2014 – so gefordert.

40.000 Stellen einsparen! Dabei sollten aber keine Stellen bei den Lehrerinnen und Lehrern, bei der Polizei und bei der Justiz eingespart werden. Die Ministerpräsidentin hat mit dem „Spiel des Jahres“, das sie eben vorgestellt hat, schon recht: Das grenzt schon an Zauberei. – Das ist schwarze Magie; das können auch nur Sie. Das ist negative Mathematik. 40.000 Stellen wollen Sie einsparen, aber alles wird ausgeklammert. Das geht so nicht!

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie müssen doch in dem letzten Haushalt vor der nächsten Landtagswahl Stellung beziehen. Wo können wir Ihrer Meinung nach Landesaufgaben streichen? Wo sollen wir Stellen kürzen? Wo wollen Sie die Einsparungen vornehmen? Sie haben hier ein Delta aufgezeigt, das angeblich 9 Milliarden € betragen soll. Wo soll es diese Kürzungen geben?

Was kommt denn 2017 auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu, sollten Sie dieses Land gestalten? Welche Position von Ihnen gilt denn nun? Gelten die pauschalen Kürzungen von 10 %? Stehen 40.000 Stellen in der Landesverwaltung auf dem Spiel? Sagen Sie das doch einmal ganz konkret.

Ich komme zu einem weiteren Punkt, bei dem Sie nicht konkret sind, der aber für viele Familien und für viele, die sich auf den Weg nach Nordrhein-Westfalen machen – bei uns studieren derzeit über 700.000 junge Menschen –, wichtig ist. Sagen Sie denen doch mal, wie die Haltung der Unionsfraktion zum Thema „Studiengebühren“ ist.

Norbert Röttgen hat noch 2012 versichert, es gebe keine Wiedereinführung von Studiengebühren; die Eltern sollen sich auf Entscheidungen verlassen können, die kürzlich getroffen wurden. – Im selben Jahr haben Sie hier im Landtag den Antrag gestellt, Studiengebühren wieder einzuführen. Inzwischen wären wir bekanntlich das einzige Bundesland mit Studienbeiträgen. Ihr Euphemismus für „Studiengebühren“ ist ja „Studienbeiträge“.

Die Einbringung des Haushalts 2016 – Sie sind seit fünf Jahren in der Opposition – wird bereits im Zeichen der Auseinandersetzungen vor der nächsten Landtagswahl stehen. Wollen Sie denn jetzt wieder Studienbeiträge einführen? Für eine Familie mit zwei Kindern, die gerade das Abitur gemacht haben, die die Fachhochschulreife erlangt haben oder die andere Wege zu den Hochschulen, die es inzwischen gibt, beschritten haben, ist das ein brennendes Thema. Es geht um 2.000 € netto im Jahr. Bekennen Sie doch einmal Farbe! Wie ist denn jetzt Ihre Haltung zu diesem Thema?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Da wir schon einmal beim Punkt Studiengebühren sind – auf diese Paradoxie habe ich Sie ja schon mehrfach hingewiesen –: Wenn Sie die Wiedereinführung der Studienbeiträge in Ihrem Haushaltskonzept als Einsparvorschlag ansehen, dann bedeutet das, dass Sie Eltern und Angehörige belasten und dass Sie den Hochschulen die Mehreinnahmen, die dadurch entstehen, wieder wegnehmen müssen. Sonst wäre es haushalterisch keine Einsparung. Das ist doch paradox.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie wechseln Ihre Haltung nicht nur in diesem Punkt schneller als mancher Profifußballer seine Vereinszugehörigkeit in der Transferphase.

(Beifall von den GRÜNEN)

An den beiden Punkten wird deutlich, dass man sich auf Ihre Aussagen nicht verlassen kann – noch nicht einmal in der Opposition. Auf eines aber ist Verlass: Sie lassen keine Möglichkeit aus, dieses Land schlechtzureden.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist die Politik dieser Landesregierung!)

Herr Lindner hat eben wieder damit angefangen. Wenn Herr Laschet jetzt im Saal wäre, dann würde er das natürlich abstreiten. Ich habe es aber sozusagen blau auf weiß.

Der „BAYERNKURIER“ ist eine Art „Playboy“ der CSU.

(Christof Rasche [FDP]: Wie der BUND für die Grünen!)

Der Untertitel ist auch interessant: Das Magazin für Orientierung. Die Schutzgebühr beträgt 7 €. Ich verkürze das einmal: „Zeche Zollverein“, „Die Zeche Deutschlands“, „Was kostet Bayern Nordrhein-Westfalen?“.

In einigen Aussagen in diesem Artikel geht es um die Finanzsituation, um die Infrastruktur – dazu sage ich gleich noch etwas –, um Hochschul- und Schulpolitik. Es ist schon ein Kunststück, dass auf immerhin sechs Seiten nicht ein einziges Mal das Thema „Länderfinanzen“ oder „Finanzausgleich“ vorkommt. Deswegen ist es notwendig – ohne diesem Blatt zu viel Bedeutung beimessen zu wollen –, ein paar Fakten zu nennen. Die Ministerpräsidentin hat das in ihrem Beitrag auch noch einmal ausgeführt:

Die Nettoneuverschuldung wurde in den letzten Jahren gesenkt, und für jeden investierten Euro müssen wir viel weniger an Krediten aufnehmen. Es kann doch aber nicht sein, dass Länder wie beispielsweise Sachsen, das Sie hier ja bei jeder Gelegenheit als Vorbild darstellen, viel höhere Anteile je Euro – ich glaube, es sind 30 Cent – an Krediten aufnehmen müssen und trotzdem einen ausgeglichen Haushalt erzielen; sie tilgen ja schon.

Wir sind uns in der Debatte über den Länderfinanzausgleich doch eigentlich einig – zumindest wir, meine Damen und Herren von der CDU. Vor Kurzem haben wir zusammen einen Antrag verabschiedet und stimmen eigentlich darin überein, dass wir an diese Sache herangehen müssen.

Es kann doch nicht sein, dass Sie in Parteimagazinen Nordrhein-Westfalen in dieser Art und Weise diffamieren und nicht ein einziges Mal darauf eingehen, wie die Länderfinanzbeziehungen aussehen. Sie suggerieren, starke Länder, die Südländer, würden uns finanzieren, wir erhielten also quasi Entwicklungshilfe. Das kann es doch wirklich nicht sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Stattdessen ist wahr, dass wir 26 % aller Studierenden in Deutschland ausbilden. Wir bekommen aber zum Beispiel für den Hochschulneubau nur 15 % der Bundeszuschüsse. Das liegt weit unter dem Königsteiner Schlüssel.

Nach dem Königsteiner Schlüssel erhalten wir 21 % der Mittel für Wissenschaft und Forschung.

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Wer hat denn den Königsteiner Schlüssel eingeführt?)

Bei 26 % Absolventinnen und Absolventen, die hier ihre Ausbildung machen, ist das auch ein Delta. Reden Sie doch einmal über dieses Delta.

Im Verkehrsbereich – bei den Regionalisierungsmitteln für den Nahverkehr – erhält NRW sogar nur 15,8 %. Das ist in jedem Jahr fast eine halbe Milliarde Euro weniger, als uns nach dem Königsteiner Schlüssel zustehen würde.

Und dann werden uns noch zusätzlich Steine in den Weg gelegt, weil die CSU wie zu Zeiten von Strauß ihre Pfründe sichert und einen Großteil der Großprojekte, einen Großteil der Infrastrukturmaßnahmen nach Bayern schleust.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In der Debatte wurde es schon gesagt, aber ich will es noch einmal in Relation setzen: 2,7 Milliarden € Bundesgelder für Straßenbau – 128 Millionen € für Nordrhein-Westfalen, 621 Millionen € für Bayern. Schreiben Sie doch einmal den alten „Ajatollahs“ von der CSU in das „Magazin für Orientierung“, dass es hier darum geht, unsere Infrastruktur zu sanieren und zu erhalten, und dass wir nicht mit Bundesgeldern den Neubau von Straßen im Bayerischen Wald finanzieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Ein weiteres Heilmittel, das Sie uns hier verkaufen wollen, ist ÖPP. Es wurde schon gesagt, dass es hinreichende wissenschaftliche Publikationen gibt, die ganz klar feststellen: Gerade bei Infrastrukturprojekten hat die öffentliche Hand immer draufgezahlt. – Wir wollen uns der Debatte nicht grundsätzlich verschließen, aber ich bitte Sie einfach, das zur Kenntnis zu nehmen und nicht so zu tun, als wenn es ein Heilmittel gäbe und alle ganz wild darauf seien, private Investoren zu akquirieren, an private Gelder zu kommen, als sei dies eine gute Sache, eine Win-win-Situation.

Wir müssen aufpassen und müssen genau hinschauen. Sie können nicht behaupten und das als Monstranz vor sich hertragen, dass dies die Lösung unserer Infrastrukturprobleme wäre. Sie könnten viel konkreter handeln, indem Sie einmal mit Ihren Parteifreunden aus Bayern sprechen.

Meine Damen und Herren, wir sind solidarisch. Wir leisten mehr aus eigener Kraft. Dann brauchen wir aber auch Hilfe. Wir müssen das Bund-Länder-Finanzgefüge neu ordnen, und zwar schnell. Es geht unseres Erachtens nicht, dass das jetzt in den Verhandlungen mit anderen Dingen gekoppelt wird. Sie sollten das nicht einfach so abtun, sondern sich ernsthaft damit auseinandersetzen. Denn im Interesse unseres Landes sind wir alle gefragt, nicht nur die regierungstragenden Fraktionen.

Seit 2010 fordern Sie hier, wie auch eben in der Debatte, mehr Geld und Stellen bei der Polizei, der Justiz, bei Lehrerinnen und Lehrern, heute wieder mehr Geld für die Kommunen, mehr Mittel für Hochschulen, bessere Bezahlung von Beamtinnen und Beamten. Sogar bei der Schulsozialarbeit, bei der Ihre Bundesregierung eingespart hat und die wir als Land aufgefangen haben, ist es Ihnen nicht genug.

(Beifall von den GRÜNEN)

Im Grunde lässt sich sagen: Wann immer eine Gewerkschaft, eine Interessengruppe mehr Stellen, mehr Geld gefordert hat, waren Sie dabei. Es hieß: Das ist zu wenig, zu spät, nicht genug. – Sie haben immer versucht, alle zu bedienen. Ihre Reihen sind auch so spärlich besetzt, weil Sie durch das Land tingeln und immer allen alles versprechen.

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Was soll das denn?)

Im Haushalt 2016 gibt es jetzt Mehrausgaben. Wir haben Verpflichtungen. Wir haben Personalausgaben mit einer Steigerung von über 800 Millionen €, die allein aus der Dynamik der Kosten für die Versorgungsempfänger erwachsen. Es gibt Mehrkosten bei der Grundsicherung. Für den Hochschulpakt sind es über 300 Millionen € mehr, und wir haben Mehrausgaben für die Flüchtlinge.

Wir haben an konkreten Punkten – die Ministerpräsidentin hat gestern in der Unterrichtung zum Nachtrag schon einige genannt, beispielsweise offene Ganztagsschule – 10.000 zusätzliche Stellen.

Wir haben für das Projekt „Kein Abschluss ohne Anschluss“ – Herr Lindner ist nicht mehr hier; er sollte da einmal zuhören – 55 Millionen € zusätzlich bis 2019.

Wir haben ein Investitionspaket für die Krankenhausversorgung, für die Krankenhauspauschalen. Wir haben ein Sanierungs- und Modernisierungsprogramm für die Uniklinika von einer halben Milliarde Euro.

Hören Sie auf, so zu tun, als wenn diese Regierung einfach nur den Status quo erhält, also keine Investitionen erfolgten. Ich habe eben auf Twitter verfolgt, NRW würde zu wenig investieren.

Es gibt in diesem Haushalt für mehrere Hundert Millionen Euro Investitionsprogramme, die konkret etatisiert sind, mit deren Umsetzung begonnen wird. Hören Sie auf, so zu tun, als würden wir hier nur den Stillstand verwalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss – nicht nur, weil Herr Marsching danach gefragt hat – die Digitalisierung ansprechen. Herr Marsching, eigentlich wollte ich gar nicht darauf eingehen, aber mich stört in der Berichterstattung immer die Formulierung, dass wir, wenn wir die „Sprache der Digitalisierung“ nicht sprechen könnten, Zukunftsprobleme hätten. Es würde helfen, würden Sie erst einmal lernen, einen Haushaltsplan zu lesen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Sie dann sagen, es gebe nichts Konkretes zum E-Government-Gesetz, dann muss ich Ihnen erwidern: 150 Millionen € sind in diesem Haushalt für mehr Bürgerfreundlichkeit und Effizienz veranschlagt.

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

Für die Förderung der digitalen Wirtschaft finden Sie im Haushalt insgesamt 26 Millionen €.

Ich weiß nicht, was wir noch machen sollen. Wahrscheinlich müssen wir noch eine Zeichnung anfertigen. Wenn Sie also behaupten, hier würde nichts geschehen, geht das komplett fehl.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben 2010 – damit will ich enden – bei einer Neuverschuldung von 6,5 Milliarden € übernommen und haben diese um 5,1 Milliarden € abgebaut. Wir sind mit dem Haushaltsplanentwurf bei 1,48 Milliarden € – 77,5 % Abbau der Neuverschuldung bei gleichzeitiger Steigerung, bei Mehrausgaben für wichtige Projekte.

Bei den Mehreinnahmen, die wir generiert haben, hatten wir Sie immer gegen uns. Beim Ankauf der Steuer-CDs haben wir erlebt, wie Sie den Finanzminister als Hehler bezeichnet haben. Inzwischen gab es über 20.000 Selbstanzeigen; ich habe mir die aktuellen Zahlen gestern extra noch einmal angesehen.

Wir haben die Selbstanzeigen 2015 verteuert, was viele veranlasst hat, möglichst noch 2014 reinen Tisch zu machen. Leute, die Steuern hinterziehen, wollen natürlich nicht zusätzliche Gelder verschenken. Deshalb gab es Ende des letzten Jahres eine Bugwelle.

Wenn wir uns aber dann die Zahlen bis in den Juni anschauen, dann stellen wir schon wieder eine Verdoppelung im Vergleich zum letzten Jahr fest. Durch die zusätzlichen 2.500 Selbstanzeigen im ersten Halbjahr 2015 haben wir schätzungsweise Mehreinnahmen von 125 Millionen €. Das alles sind Mehreinnahmen, die wir nicht hätten, wenn wir Ihrem Weg gefolgt wären. Sie haben erklärt: Das wollen wir nicht, das machen wir nicht. – Stattdessen wollten Sie einen höchst dubiosen Deal mit der Schweiz eingehen. Das haben wir nicht getan. Deswegen ist das die alleinige Bilanz dieser Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Leute sollten erkennen können, wohin die Reise geht. Wir werden in den Haushaltsberatungen mit der Ergänzungsvorlage noch konkrete Maßnahmen für die aktuellen Herausforderungen hinterlegen.

So, wie Sie sich verhalten, auch heute wieder in der Debatte, wissen die Leute nicht, wohin die Reise geht, wenn sie bei Ihnen ihr Kreuz machen. Es müsste allmählich erkennbar werden: Ein Kessel Buntes hat im Fernsehen einige Jahre ohne Zweifel funktioniert.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Na ja!)

Das war aber in der DDR, und da gab es nicht viel Auswahl. Ob Sie das bei einer Landtagswahl im einwohnerstärksten Bundesland wirklich ausprobieren sollten, ist Ihre Sache. Wir sind konkret, und wir helfen dort, wo es notwendig ist.

Zu dem Verfahren, das Herr Dr. Optendrenk angesprochen hat – dabei will ich es eigentlich bewenden lassen –: Ich hoffe, dass wir genauso, wie wir es bei den anderen beiden Nachtragshaushalten gehalten haben, gemeinsam das beschleunigte Verfahren anwenden können. Natürlich muss das Parlament über die Zahlen beraten. Aber ich denke, das Verfahren, das auch Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer bekannt ist, ist so, dass wir uns in vielfältiger Art und Weise über konkrete Maßnahmen austauschen und natürlich auch noch über Änderungsanträge aus den Fraktionen beraten können. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Als fast der Letzte in der Rednerliste bin ich so eine Art „Bone Collector“. Gehen wir einmal auf Ihre Redebeiträge ein.

„Wünsch dir was“, Herr Kollege Abel, haben wir hier natürlich nicht. Aber ich danke Ihnen selbstverständlich für die Aufzählung des Bauchladens der Landesregierung, aus dem Landeshaushalt punktuell Wohltaten über das Land zu verteilen.

Ich möchte Ihre Bemerkung aufgreifen, man müsse den Haushalt lesen können, dann würde man auch erkennen, dass es 150 Millionen € seien. Der Kollege Zimkeit meinte eben, es seien 170 Millionen €. Wir sehen mal, ob die Zahl am Ende stimmt.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das waren 150 und die 20 Millionen €, die er gesagt hat!)

– Na, gut, 150 plus 20. Dann nehmen wir also die 170 Millionen € von Ihnen, Herr Kollege Zimkeit, für den Bereich des digitalen Wandels. So, wie es die Frau Ministerpräsidentin Anfang dieses Jahres für die nächsten zwei Jahre als die führende Agenda dieser Landesregierung in die Bücher geschrieben hat, reicht dieser Betrag bei Weitem nicht aus, wenn man bedenkt, dass der Landeshaushalt 2016 ein Volumen von 67 Milliarden € ausweist. Mit den 170 Millionen € für das Hauptthema dieser Landesregierung liegen wir im nächsten Jahr bei unter 0,5 % des Landeshaushalts.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von den PIRATEN: Das ist peinlich! – Stefan Zimkeit [SPD]: Zusätzliche 170 Millionen €!)

Das ist wirklich ein Armutszeugnis für den Wissenschafts- und Industriestandort Nordrhein-Westfalen, der durch die Landesregierung zukunftsfähig gemacht werden soll. Davon ist bei Weitem nichts zu sehen.

Frau Ministerin Löhrmann, Frau Vizeministerpräsidentin, einen schönen Gruß an die Ministerpräsidentin, die offenbar einen anderen Termin hat. Sie hat ja eben kräftig gegenüber Herrn Marsching ausgeteilt – leider Gottes nur in einem recht untergeordneten, aber zumindest aus unserer Sicht durchaus wichtigen Punkt – in Bezug auf die Vorgänge in Garzweiler. Da hat sie ihn regelrecht gemaßregelt – das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen – und dabei Innenminister Jäger in Schutz genommen. Das kann man natürlich tun, aber eins muss man wissen:

Journalisten wurden festgesetzt. Friedliche Demonstranten wurden eingekesselt, durch Werkschutzleute in Kooperation mit der Polizei bedrängt. Insofern müssen wir Augenzeugenberichten Glauben schenken, solange keine Aufklärung, insbesondere seitens der Fach- und Dienstaufsicht des Innenministeriums, geleistet worden ist.

(Minister Ralf Jäger: Das war alles im Rahmen eines Hausfriedensbruchs!)

– Herr Innenminister, es steht Ihnen nicht zu, juristisch zu beurteilen, welche Taten hier vorgelegen haben.

(Minister Ralf Jäger: Wieso das denn nicht?)

– Ihre Aufgabe ist es, die Aufklärung im Hinblick auf die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen zu betreiben.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir haben Gott sei Dank noch Gewaltenteilung in Nordrhein-Westfalen, sodass die Frage der Beurteilung in juristischer Hinsicht Ihnen sicherlich nicht zusteht.

(Minister Ralf Jäger: Wem denn sonst?

– Das möchte ich gerne im Protokoll haben. Ich hoffe, es wird protokolliert, dass die Frage der juristischen Beurteilung von Handlungen von Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes Sache des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen ist. Das muss man sich einfach auf der Zunge zergehen lassen.

(Minister Ralf Jäger: Dann darf die Polizei bei Straftaten nicht mehr einschreiten?)

– Herr Innenminister Jäger, die Polizei darf selbstverständlich bei Straftaten jedweder Art eingreifen. Ob hier jedoch Straftaten vorgelegen haben, ist eine Beurteilung, die Ihnen gar nicht zusteht.

Wenn die Polizei gemeinsam mit dem Werksschutz gegen Demonstranten oder Aktivisten, gegen Umweltschützer vorgeht, die unter anderem durch die Grüne Jugend aufgerufen worden sind, die gegen die Vorgänge in Garzweiler protestieren, und dabei gleichzeitig die darüber berichtenden Journalisten festgesetzt werden, dann kann diese Landesregierung nur in einem Atemzug mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes und anderen Protagonisten auf Bundesebene genannt werden, die gerne gegen Journalisten in der Bundesrepublik Deutschland vorgehen und die Pressefreiheit mit Füßen treten.

(Zuruf von Minister Ralf Jäger)

Darüber hinaus hat die Ministerpräsidentin für die Opposition wenig Gutes oder Positives in der Hand gehabt bzw. bemerkt. Ich erinnere mich an das Jahr 2012, an die erste Erklärung von Ministerpräsidentin Kraft nach ihrem Amtsantritt, als sie von einer Politik der Einladung, von einer Politik der ausgestreckten Hand sprach.

Ich habe hier und heute so viele Vorschläge gehört, insbesondere von allen Oppositionsfraktionen, und davon ist nicht ein Aspekt aufgegriffen worden. Aber das Schweigen könnte möglicherweise darauf hindeuten, dass seitens der Regierungsbank mitgeschrieben worden ist. Dann bleibt nur zu hoffen, dass insbesondere das, was mein Fraktionsvorsitzender Marsching eben gesagt hat, als Blaupause für eine Vision für NRW hergenommen wird.

Visionslos ist das, was wir heute von der Landesregierung im Zusammenhang mit dem Haushalt 2016 gehört haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Kollege Zimkeit hat natürlich recht, wenn er sagt: Wir müssen darauf aufpassen, dass die notwendigen Ausgaben für den Bereich „Flüchtlinge“ nicht gegen andere Investitionen des Landes ausgespielt werden. Selbstverständlich sind auch Ausgaben in Integration, Bildung und Unterbringung von Flüchtlingen Ausgaben für die Zukunft. Aber das ist doch nicht das, was den wesentlichen Kern des Haushalts des Landes Nordrhein-Westfalen 2016 ausmacht.

Auch von Ihnen, Herr Finanzminister, habe ich sehr viel dazu gehört, was das Ansteigen der Flüchtlingszahlen in Nordrhein-Westfalen mit der Ausgabensituation zu tun hat. All das ist sicherlich richtig. Es ist auch wichtig, dies im Zusammenhang mit einem Nachtragshaushalt hier ans Pult zu bringen. Ein solcher hätte am 18. August 2015 schon längst auf dem Tisch liegen können, nachdem bekannt wurde, wie viele Flüchtlinge Nordrhein-Westfalen erreichen werden.

Gestern hörten wir konkrete Zahlen. Diese Zahlen sind doch seit dem zweiten Nachtragshaushalt unterlegt, der dieses Jahr schon vorgelegt worden ist. Man braucht doch nur einen Dreisatz anzuwenden, um da einen Nachtragshaushalt aufzustellen und ihn hier zur Debatte zu stellen. Da muss man nicht warten, bis am 23. September in Berlin ein Flüchtlingsgipfel stattfindet, um eventuell am 24. September im Kabinett einen Nachtragshaushalt zu beschließen, der dann mit den Zahlen seitens des Bundes aufgefüllt wird. Wir reden hier von zusätzlichen Aushaben für den Rest des Jahres 2015 zwischen 500 Millionen € und 700 Millionen €, die das Land Nordrhein-Westfalen tätigen muss.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Dass es Sie nicht interessiert, was auf der Bundesebene passiert, ist mir klar!)

– Frau Kollegin Beer, das interessiert mich selbstverständlich. Aber Fakt ist doch: Die Zahlen liegen schon auf dem Tisch. Ich muss doch mit dem Nachtragshaushalt und der Aufstellung desselben nicht warten, bis Finanzminister Schäuble das Füllhorn auskippt und irgendwelche Brosamen auf die Bundesländer verteilt.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Die Länderfinanzminister haben doch schon im Juni zusammengesessen und bereits zu diesem Zeitpunkt gesagt, dass pro Flüchtling im Mittel 12.500 € anzusetzen sind. Das brauche ich doch mithilfe eines einfachen Dreisatzes nur mit 800.000 zu multiplizieren.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wo sind die denn, Herr Schulz?)

Dann teile ich das durch die Anzahl der Monate, nehme den 18. bzw. 19. August, rechne das hoch bis zum Jahresende, und dann komme ich auf die Zahlen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: So machen Sie Haushaltspolitik!)

Dann brauche ich nicht zu warten, bis das Füllhorn ausgeschüttet wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Abgesehen davon haben wir in diesem Jahr doch 2,2 Milliarden € Mehreinnahmen an Steuern. Das Land Nordrhein-Westfalen freut sich doch so über die wunderbare Zivilgesellschaft, die helfend eingreift. Es liegt an der Landesregierung, einen Schritt nach vorne zu machen und einen Teil der Mehreinnahmen – zumindest etwa ein Viertel dieser 2,2 Milliarden € – dafür aufzuwenden, den Kommunen unter die Arme zu greifen und ihnen die Mittel zur Verfügung stellen, damit sie die Flüchtlinge unterbringen können, die ihnen zugewiesen wurden und werden. All das passiert aber nicht. Der Nachtragshaushalt kommt zu spät. Das wurde bereits gesagt.

Herr Finanzminister, was die Landespolitik, die Finanzen des Landes und vor allen Dingen die Zukunftsperspektiven angeht, sprechen Sie von den Hidden Champions. Diese stünden für den Transformationsprozess im Land Nordrhein-Westfalen hinsichtlich des digitalen Wandels. Diese Geschichten haben wir schon mehrfach gehört.

Unternehmen und Menschen stehen für das Land Nordrhein-Westfalen. Es wird hier immer behauptet, die Opposition rede das Land schlecht. Nein, das Land ist hervorragend. Aber eines dürfen wir in der Opposition: Wir dürfen diese Landesregierung schlechtreden. Versuchen Sie doch endlich einmal, sich vernünftig mit Zahlen, Fakten und Zukunftsvisionen herauszureden.

(Beifall von den PIRATEN)

Das wird Ihnen angesichts dessen, was die Opposition hier immer wieder – Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat – auf den Tisch bringt, nur schwerlich gelingen – es sei denn, Sie nehmen endlich das ernst, was die Ministerpräsidentin dieses Landes am Anfang dieser Legislaturperiode gesagt hat: Nehmen Sie die Hände der Opposition einfach einmal an und setzen mit um, was wir sagen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Schulz. – Bevor ich dem Finanzminister das Wort erteile, möchte ich mich gerne noch einmal an Sie wenden, Herr Innenminister, auch wenn Sie mir jetzt nicht zuhören, aber das wird dann ja protokolliert.

(Minister Ralf Jäger unterhält sich mit einem Abgeordneten.)

Zwischenrufe – und seien sie noch so leise – die zu Scharmützeln verbaler Art führen und damit im Protokoll landen, würde ich künftig gerne nur noch dann hören, wenn ich Sie mit „Herr Kollege Jäger“ anreden kann, das heißt, wenn Sie auf der Abgeordnetenbank sitzen.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Vielen Dank dafür, dass das ins Protokoll aufgenommen wird. – Jetzt hat der Finanzminister das Wort. Herr Dr. Walter-Borjans!

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nur ein paar kleine Anmerkungen zu dem machen, was Herr Lindner hier eben vorgestellt hat. Er tritt gerne in der Pose des blendenden Redners auf. Man kann es aber auch kurz zusammenfassen und sagen: des Blenders. – Das ist etwas, was höchst ärgerlich ist. Die Art, hier vollmundig etwas darzustellen, ist eine absolute Irreführung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will das an zwei Beispielen beschreiben:

Zum Thema „BLB“. Der BLB hat ein Darlehen in Höhe von 2,7 Milliarden €, das nach einem Tilgungsplan bis 2020 zu tilgen ist. Der BLB ist dabei, so zu verfahren. Was jetzt noch aussteht, hat er – und zwar aus eigenem Antrieb – um ein Jahr nach vorne verlegt. Warum? In diesem Tilgungsplan sind Zinsen von 4,1 % vereinbart. Der BLB hat ein Interesse daran, ein 4,1-%-Darlehen früher in den Haushalt zurückzuzahlen. Das ist der Teil, der nicht 2019 und 2020, sondern 2016 und 2017 erfolgt.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Finanzminister, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Dr. Optendrenk.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich würde zunächst gerne zuerst im Zusammenhang vortragen. Dann können wir weitersehen.

Was bedeutet die Tatsache, dass er die Rückzahlung um ein Jahr vorzieht? Dass bedeutet, dass die zurückfließenden Mittel 2019 oder 2020 nicht mehr in dieser Höhe eingehen. Ich hätte Ihnen aus Sicht der Landesregierung eine Darstellung mit Zinseinnahmen vom BLB bieten können, in der 2019 und 2020 eine deutliche Rückführung entstanden wäre.

Wo bitte schön bereichert sich das Land zulasten des BLB um irgendeinen Betrag? Das Einzige, das hier passiert ist: Wir verzichten auf ein paar Zinsen, die wir aufgrund der 4,1-%-Vereinbarung bekommen hätten, wenn wir bis 2020 gewartet hätten.

Das können Sie uns jetzt vielleicht vorwerfen. Das habe ich in Kauf genommen. – So viel zu Punkt eins. Und das ist dann der Skandal, der hier in großer Pose vorgestellt wird und deswegen möglicherweise besonders plausibel wirken soll.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Kunstfigur!)

Wenn man da mal reinpiekst, merkt man: Das ist heiße Luft.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zum Thema „Bildungsarmut“. Das ist der zweite Punkt. Es wird immer gesagt, Nordrhein-Westfalen stehe nur knapp über den Stadtstaaten. Da muss man sich einmal anschauen, dass dieser Bildungsbericht ein paar Dinge enthält, die ganz interessant sind und hier einmal erwähnt werden sollten.

Das eine ist, dass darin unter anderem Daten stehen, die in das Jahr 2009 zurückreichen. Jemand, der damit arbeitet, sollte also auch einmal einen Moment überlegen, wer damals regiert hat und auf wen er sich da bezieht.

(Christof Rasche [FDP]: 2009 bis 2012! – Gegenruf von Sigrid Beer [GRÜNE]: Unseriös!)

Es sind auch andere Daten neueren Datums darin enthalten. Dort wird zum Beispiel deutlich gesagt, es sei zu berücksichtigen, dass Nordrhein-Westfalen, wie aus dem nationalen Bildungsbericht hervorgeht, das westliche Flächenland mit dem größten Anteil von Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen und sozial benachteiligten Elternhäusern ist, nämlich 35 %, während es in Bayern 19 % sind.

Da kommen wir dem Grund schon näher, warum wir nah bei den Stadtstaaten liegen. Nordrhein-Westfalen ist nämlich zu mindestens 40 % ein riesiger Stadtstaat – mit all dem, was man aus den Stadtstaaten kennt: mit der Sozialstruktur, mit vielen Dingen, die da vielleicht vorteilhaft sind, aber gerade auch mit den Bevölkerungsgruppen, die Probleme haben, beim wirtschaftlichen Strukturwandel mitzukommen und den Weg mitzugehen, und zwar auch mit ihrer Folgegeneration.

Das ist ein Grund, warum die Stadtstaaten in dem berühmten Länderfinanzausgleich eine Einwohnerwertung bekommen. Sie werden von ihren Steuereinnahmen her einfach kleiner gerechnet, damit sie einen höheren Anspruch aus dem Länderfinanzausgleich haben. Für den Teil Nordrhein-West-falens, der quasi in einem Stadtstaat lebt, erfolgt das nicht.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Methode Lindner! Unseriös bis zum Umfallen!)

Ich mache das immer gerne an dem Beispiel deutlich, dass ich die Frage stelle: Was glauben Sie eigentlich, wie viele Städte es in Bayern mit über einer Viertelmillion Einwohner gibt? – Das sind nämlich genau drei. Bayern hat 12 Millionen Einwohner. Gerade einmal drei Städte – München, Nürnberg, Augsburg – haben mehr als eine Viertelmillion Einwohner. Der Rest der bayerischen Bevölkerung lebt im ländlichen Raum oder in Kleinstädten.

Dasselbe gilt für Baden-Württemberg. In Hessen und Niedersachsen gibt es jeweils zwei Städte, die 250.000 Einwohner oder mehr haben. In Nordrhein-Westfalen sind es 13. Das sind mehr als in den vier Ländern, die ich gerade genannt habe, zusammen, und das zeigt doch, dass wir hier eine ganz andere Struktur haben, die man doch bitte mitberücksichtigen muss.

Anstatt zu sagen, dort seien die Klassen größer und die Ausgaben in der Schule pro Person geringer, muss man sich doch einmal ansehen, zu welcher Bildungsqualität das denn führt. Ist das andere der entscheidende Unterschied? Bei einem Betrieb würden Sie sagen, dort würde kostengünstiger gearbeitet, während es hier heißt, man sei Schlusslicht, weil die Kosten die geringsten sind. Was sind das denn für Maßstäbe, an denen Sie Erfolg oder Misserfolg messen?

(Beifall von den GRÜNEN – Sigrid Beer [GRÜNE]: Reine Polemik!)

Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Ja, das gilt für Nordrhein-Westfalen ganz besonders. Da sollten die Bayern auch gut zuhören. Es ist immer, auch im privaten Haushalt, wesentlich einfacher, neu zu bauen als umzubauen. Die Bayern haben über Jahrzehnte mit vielerlei Hilfe und Riesensummen aus Nordrhein-Westfalen neu bauen können.

Und ich sage einmal ein bisschen platt: Ja, es ist einfacher, den Landburschen aus dem bayerischen ländlichen Raum zum Facharbeiter bei BMW zu machen, als bei manchem Kind einer bildungsfernen Familie mit Problemen – die auch ein Stück weit durch den Strukturwandel entstanden sind – dafür zu sorgen, aus einem Transferempfänger einen Steuerzahler zu machen.

Wenn man das will – das ist einer der von Ihnen immer vermissten Schwerpunkte –, dann muss man das zum Schwerpunkt machen. Das heißt, dass es Geld kostet. Wenn jemand das auch will und sagt, das sei ein richtiger Schwerpunkt, und vielleicht sogar noch ein paar Schwerpunkte nennt, dann muss er auch die Punkte benennen, die ich jetzt einmal „Leichtpunkte“ nenne.

Was sind denn die Punkte, wo Sie dann das Geld herausnehmen wollen, wenn Sie die Schwerpunkte nicht aus zusätzlichen Steuereinnahmen finanzieren wollen, sondern diese zusätzlichen Steuereinnahmen im Wettlauf mit der Zeit und nicht im Wettlauf mit der Einhaltung der Schuldenbremse ab 2020 in die Kreditrückführung packen wollen?

Das verschweigen Sie jedes Mal. Sie beschreiben in allen konkreten Anträgen irgendwelche Mängel und stellen Forderungen nach mehr – mehr Personal, mehr Geld. Irgendwann kommt dann der pauschale Vorwurf: Ihr müsstet wirklich mal Personal abbauen und Geld sparen.

Das ist für mich wirklich nicht Oppositionspolitik einer Art, die diesem Land helfen würde. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Sie bleiben am Rednerpult stehen. Ich wollte Sie gerade auch schon fragen; denn Sie wollten noch darüber nachdenken, ob Sie die Frage zulassen. – Herr Dr. Optendrenk, möchten Sie Ihre Frage noch aufrechterhalten? – Ja. Dann schalte ich Ihnen jetzt das Mikrofon frei.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Danke schön, Herr Minister, dass Sie die Frage jetzt noch zulassen. – Sie haben über den BLB gesprochen und über die – in Anführungszeichen – „paar Zinsen“, die Ihnen dadurch verloren gehen, dass man jetzt die Tilgung vorziehen will. Viel interessanter wäre es ja, wenn Sie uns einmal mitteilen würden, wie denn ohne diese zusätzlichen Zahlungen die fallende Linie der Nettoneuverschuldung für 2016 und 2017 ausgefallen wäre.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Wir haben ja ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Aber wenn Sie diesen Bereich alleine nehmen, können Sie sich das ausrechnen. Dann wäre sie jetzt um 300 Millionen € oder 400 Millionen € höher und später niedriger gewesen.

Das ist einfach eine Verschiebung, die nicht dazu führt, dass irgendetwas, was sonst nicht reingekommen wäre, jetzt irgendwo dem BLB entzogen würde. Das ist nur eine Verschiebung auf der Zeitachse, die in der Tat für beide Beteiligten von Vorteil war. Man konnte nämlich tatsächlich dafür sorgen, dass man nicht auf einer gleichen Höhe bleibt und irgendwann am Ende des Jahrzehnts sozusagen den Absturz macht, sondern dass man kontinuierlich weiter verfahren kann und derjenige, der diese Rückzahlung vornimmt, den Zinsgewinn hat.

Daraus können Sie gerne einen Skandal machen. Ich halte das aber für eine Win-win-Situation der Art, die niemandem schadet, sondern allen nutzt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Die nächste Wortmeldung liegt von Herrn Marsching für die Piraten vor. Restredezeit: 1:05 Minuten.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. Ich beeile mich auch. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren – Sie kennen es schon – auf der Tribüne und zu Hause! Ich habe jetzt die gesamte Debatte verfolgt. Ich habe mir alle Wortbeiträge der Minister angehört. Eines muss ich sagen: Wenn die Ministerpräsidentin in ihrem Wortbeitrag nach mir erklärt, die Digitalisierung habe mit dem Haushalt recht wenig zu tun und mit der Wirtschaft ebenso wenig,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das hat sie nicht gesagt!)

dann muss ich sagen: Wo sind die Worte zu NRW 4.0? Wo ist hier der Teil der Regierungserklärung, der sich tatsächlich mit der digitalen Revolution auseinandersetzt? Ist das Open Government, wenn nicht einmal hier am Rednerpult die ganz konkreten Fragen beantwortet werden, die ich gestellt habe?

Ich warte auf das Konzept. Ich warte darauf, dass die Landesregierung ihre Aufgabe übernimmt und die Zukunft in Nordrhein-Westfalen gestaltet. Dazu habe ich nichts gehört. Alles, was ich zu meiner Frage, die ich zur Infrastruktur gestellt habe, gehört habe, war: Ja, dazu rede ich gleich; dazu sage ich Ihnen noch etwas. – Dann hat die Frau Ministerpräsidentin sich umgedreht und hat gesagt: Ach ja, und die Brücken und die Autobahnen. – Das war aber nicht die Infrastruktur, die ich gemeint habe. Das wissen Sie auch, Frau Ministerpräsidentin, das muss ich Ihnen nicht sagen.

Ein Letztes zu dem Vorwurf, ich hätte keine Ahnung vom Rechtsstaat. Herr Minister Jäger, das Problem ist nicht der Hausfriedensbruch. Das Problem ist, wenn der RWE-Werksschutz mit Eisenstangen auf Demonstranten losgeht und wenn sich die Polizei bei den Festnahmen helfen lässt. Das ist das Problem.

(Beifall von den PIRATEN)

Dann habe ich sehr wohl Ahnung vom Rechtsstaat. – Danke.

Präsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Marsching. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister, wir haben uns jetzt – beide Seiten, Regierung und Opposition – Irreführung vorgeworfen. Ich wollte die von Ihnen in den Raum gestellten Fragen an dieser Stelle selbstverständlich auch für unsere Fraktion beantworten.

Es gibt zwei Punkte, die man sehen muss. Der eine ist die Frage: Erreicht man gegebenenfalls das Ziel der Schuldenbremse 2020, und wenn ja, mit welchen Mitteln? Wie viel Sicherheitsabstand hat man da? Und der zweite Punkt ist der Abbaupfad. Wie verläuft er auch über das Jahr 2017 hinaus?

Wenn man sich diesem Thema zuwendet, einen ausgeglichenen Haushalt 2020 zu erreichen – Sie haben ja selber vor nicht allzu langer Zeit einen sogenannten Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt, in dem Sie auf Risikofaktoren ausdrücklich hingewiesen haben, und die Bundesbank hat das auch getan –, muss man sich ja dieser Fragestellung widmen, weil Sie nämlich bislang von Bestbedingungen leben.

Ihr Bericht sagt: Wenn alles gut läuft, dann kann das bis 2020 funktionieren. Aber in dem Augenblick, wo sich vielleicht Konjunkturindikatoren eintrüben, oder aufgrund von anderen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ist das automatisch nicht mehr der Fall. Deshalb werfen wir Ihnen klar vor – das ist auch unsere Hauptkritik –, dass Sie die ganzen Jahre Ihrer Regierungszeit das strukturelle Sparen im Landeshaushalt ganz ausdrücklich unterlassen haben.

Wenn Sie eine fallende Linie der Verschuldung bis zur nächsten Landtagswahl 2017 zeichnen, ist insofern natürlich die Frage wichtig, was das in den Folgejahren bedeutet, oder ob Sie einen fallenden Verlauf der Neuverschuldung – das Land hat ja trotzdem jedes Jahr mehr Schulden – oder zumindest die Rückführung in der Höhe der Neuverschuldung hinbekommen. Sind das strukturelle Effekte, die dann auf Dauer immer so wirken, oder werden bestimmte Sondereffekte zum Einsatz gebracht, die es Ihnen erlauben, die Linie so zu zeichnen?

Wir haben nicht gesagt: „Sie plündern die Pensionskassen“, sondern wir haben rein sachlogisch gesagt: Wenn Sie bislang eingegangene Verpflichtungen, dort jährlich Geld einzulegen, in diesem Umfang auch nicht mehr ansatzweise erfüllen, dann bedeutet das zunächst einmal eine Verminderung von Ausgaben aus dem Landeshaushalt.

Und wenn Darlehen, die Sie bekommen, früher zurückgezahlt werden, dann hilft Ihnen das bis zum Termin 2017, die Grafik so zu zeichnen, wie Sie sie zeichnen. Sie haben aber strukturelle Einsparungen entsprechend unterlassen. Bei Ihrem sogenannten Effizienzteam ist fast nichts herausgekommen. Es ist die große Sünde dieser Landesregierung, dass sie hektisch Einzelmaßnahmen bemüht, aber nichts unternimmt, was auf Dauer planbar und kontinuierlich Jahr für Jahr diesen Effekt ermöglicht.

Sie setzen auf Rekordsteuereinnahmen. Sie haben Rekordsteuererhöhungen durchgeführt mit nahezu einer Verdopplung der Grunderwerbsteuer. Sie machen das in einer Niedrig- bis Nullzinsphase. Wenn sich da die Stellschrauben in diesem Umfeld ändern, sieht es für den Haushalt anders aus.

Eine letzte Bemerkung zu dem Punkt, der allgemeinpolitische Fragen in der Haushaltsberatung betrifft. Das Thema „Innere Sicherheit“ ist schon angesprochen worden. Wir teilen ausdrücklich – das muss man als Opposition auch sagen dürfen – die Haltung des Innenministers, der sagt, es sei Aufgabe von Polizei und Rechtsstaat, für Ordnung zu sorgen und einzugreifen, wenn Leute Straftaten begehen. Wir erwarten es ausdrücklich, dass diejenigen, die hier gegen Recht und Gesetz verstoßen, es mit der Polizei zu tun bekommen.

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit!

Ralf Witzel (FDP): Deshalb unterstützen wir auch Ihre späte Einsicht, dass wir eine personelle Verstärkung an der Stelle brauchen. Das darf man so differenziert als Opposition durchaus einmal sagen, sowohl mit Kritikpunkten als auch an den Stellen, wo man sich in der Haushaltsdebatte einig ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wenn das so bleibt, was ich hiermit feststelle, dann sind wir am Ende der Aussprache zum Haushaltsgesetz 2016 und der mittelfristigen Finanzplanung.

Wir kommen zum

     Gemeindefinanzierungsgesetz 2016

Zur Einbringung hat jetzt Herr Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur ein Satz vorweg: Herr Marsching, Hausfriedensbruch ist immer ein Problem.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ja, auch wenn Sie zu Herrn Schulz gehen und ein Bier trinken? – Weitere Zurufe von den PIRATEN)

Mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 2016 setzen wir auf ein bestehendes, bewährtes System. Die Verbundgrundlagen und der Verbundsatz bleiben so, wie es im Gemeindefinanzierungsgesetz 2015 der Fall war. Es bleibt im Übrigen auch dabei, dass wir keine Befrachtung zulasten der Kommunen in diesem Haushalt vornehmen. Außerdem bleibt es bei der Beteiligung der Kommunen an den Einnahmen der Grunderwerbsteuer.

Wir halten damit an der Gesamtsystematik fest. Diese Gesamtsystematik beruht auf Empfehlungen verschiedener finanzwissenschaftlicher Gutachten der letzten Jahre. Das ist das ifo-Gutachten 1995 und 2008. Ich bitte das nicht zu verwechseln mit dem FiFo-Gutachten des Jahres 2013.

Diese Systematik ist im letzten Jahr durch den Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen noch einmal ausdrücklich bestätigt worden. Deshalb machen wir Änderungen nur mit Bedacht, und wenn, dann sind es nur sehr übersichtliche Änderungen.

Dazu zählt die Erhöhung des Vorwegabzugs in Höhe von 70 Millionen € für die Laufzeit des Stärkungspaktes. Der Grund ist ganz klar: Das liegt an der Erhöhung der Grunderwerbsteuer von 5 % auf 6,5 %. Die Mehreinnahmen ab 2016, von denen über den Steuerverbund auch unsere Gemeinden und Gemeindeverbände profitieren, nutzen wir zur Ausfinanzierung der zweiten Stufe des Stärkungspaktes. Dadurch halten wir die Solidaritätsumlage bei besonders steuerstarken Gemeinden begrenzt.

Meine Damen und Herren, im kommenden Jahr steigt die verteilbare Gesamtsumme im Gemeindefinanzierungsgesetz erneut an; diesmal voraussichtlich um 313 Millionen €; das ergibt eine Rekordverbundmasse von nahezu 10 Milliarden €, um genau zu sein: 9,98 Milliarden € – so viel wie noch nie zuvor.

Was sind die Rahmenbedingungen? Das bringt mich jetzt, Herr Nückel, direkt zum Antrag der FDP, für den ich Ihnen sehr, sehr dankbar bin.

(Christof Rasche [FDP]: Na!)

– Ja, ohne Ironie; denn dieser Antrag stellt, wie ich finde, eine Sache klar: Wenn ich ihn richtig verstehe, stellt die FDP das System der Gemeindefinanzierung in Nordrhein-Westfalen infrage, und zwar das komplette System: die fiktiven Hebesätze, den Verbundsatz und eigentlich so ziemlich alles.

Das ist in der Tat eine Kehrtwende, denn damit verabschieden Sie sich, Herr Nückel, endgültig von der Systematik, die vom Verfassungsgerichtshof und den eben genannten Institutionen der Wirtschaftswissenschaften ausdrücklich empfohlen worden ist.

Wenn ich mich richtig erinnere, hat allerdings auch Ihre Fraktion im letzten Jahr gefordert, das FiFo-Gutachten komplett umzusetzen. Das ist ein gewisser Widerspruch in sich. Denn – ich komme noch einmal darauf zurück – dieses FiFo-Gutachten stellt sehr deutlich klar, warum es gerade notwendig ist, fiktive Bedarfe der Kommunen abzustellen. Sie können das auf Seite 44 des FiFo-Gutachtens nachlesen. Da ist sehr ausführlich und sehr nachvollziehbar beschrieben, warum es gerade fiktive Bedarfe sein müssen.

Der Aufwand für unsere Kommunen, einzeln zu erheben, zu definieren, zu beziffern, ist schlichtweg eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die kommunalen Beamtinnen und Beamten. Das ist ein Bürokratiemonster, und das in Zeiten, in denen unsere Kommunen unter anderem alle Hände voll damit zu tun haben, ankommenden Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu organisieren.

Ich habe den FDP-Antrag wirklich eingehend gelesen, und ich bin Ihnen sehr dankbar für den Hinweis auf das Gutachten der Bertelsmann Stiftung, das nämlich einige höchst interessante Zahlen enthält. In Bayern und Baden-Württemberg liegt der Anteil der kommunalen Haushalte für Sozialausgaben bei etwa 30 %, in Nordrhein-Westfalen dagegen bei etwa 43 %. Das heißt: 43 % der kommunalen Haushaltsmittel in Nordrhein-Westfalen werden für Sozialausgaben aufgewandt, die die Kommunen aufgrund verschiedener Sozialgesetzbücher, die in Berlin beschlossen worden sind, erbringen müssen.

Das führt ein bisschen Ursache und Wirkung zusammen. Ich sage ganz ehrlich: Ich lese den FDP-Antrag und erinnere mich daran, dass Sie vier Jahre lang an der Bundesregierung beteiligt waren und dass Sie vier Jahre lang erfolgreich blockiert haben, dass es für die Kommunen – auch in Nordrhein-Westfalen – an irgendeiner Stelle eine Entlastung gibt.

Nach dem Ausscheiden der FDP aus der Bundesregierung ist dies dann gelungen durch die komplette Übernahme der Grundsicherung durch den Bund, über den erhöhten Anteil an der Umsatzsteuer sowie über den erhöhten Anteil des Bundes an den Kosten der Unterkunft.

Um es deutlich zu sagen: Wir in Nordrhein-Westfalen haben auch daran mitgewirkt, dass dies geschieht.

(Christof Rasche [FDP]: War es nicht Rot-Grün, die die ganzen Belastungen eingeführt haben? – Gegenruf von den GRÜNEN: Minister Jäger hat das richtig dargestellt!)

Diesen Druck werden wir in Berlin zugunsten unserer Kommunen aufrechterhalten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Ich eröffne die Aussprache zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2016. Herr Kollege Nettelstroth von der CDU-Fraktion steigt als erster Redner in die Debatte ein.

Ralf Nettelstroth (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie jedes Jahr wird nunmehr gemeinsam mit dem soeben eingebrachten Haushalt 2016 auch das Gemeindefinanzierungsgesetz für das kommende Jahr eingebracht.

Ich möchte mich heute drei konkreten Fragen zuwenden.

Erstens. Können insgesamt mehr Verbundsteuern vereinnahmt werden als die derzeit angegebenen rund 43,6 Milliarden €?

Zweitens. Ist die Höhe des Verbundsatzes von 23 % noch angemessen?

Und drittens. Basiert die konkrete Verteilung der Finanzausgleichsmasse von rund 10 Milliarden € auf nachvollziehbaren und fairen Verteilungsmaßstäben?

Jedes Jahr aufs Neue erklärt der Innenminister bei der Einbringung des GFG: Rekordsumme,

(Minister Ralf Jäger: Das mache ich immer so!)

Rekordzuweisungen, verlässlicher Partner für die Kommunen

(Minister Ralf Jäger: Das mache ich immer so!)

und gerechte Verteilung.

(Minister Ralf Jäger: Das mache ich immer so!)

Das Ergebnis, Herr Innenminister, ist aber ernüchternd.

(Zuruf von der SPD: 10 Milliarden €!)

Erstens. Die Verbundsteuern könnten insgesamt höher ausfallen. Die Steuereinnahmen der nordrhein-westfälischen Kommunen liegen zwar in Summe über dem Bundesdurchschnitt, allerdings fiel die Wachstumsdynamik in NRW seit 2008 mit 6,5 % unterdurchschnittlich gering aus. Bundesweit stiegen die Steuereinnahmen in diesem Zeitraum allerdings um 11 % an.

Hätte Nordrhein-Westfalen als größtes Bundesland entsprechend dem Bundestrend 4,5 % mehr Steuern eingenommen, würde die Verbundsteuermenge entsprechend höher ausfallen, und es gäbe schlicht viel mehr zu verteilen.

Letztlich trägt diese Landesregierung mit ihrer wirtschaftsfeindlichen Politik dazu bei, den zu verteilenden Steuerkuchen erheblich kleiner ausfallen zu lassen, als er ausfallen müsste. Folglich hätte die Verbundsteuermenge entsprechend höher als die angesetzten 43,6 Milliarden € ausfallen müssen.

Zweitens. Das Land stellt den Gemeinden 23 % vom Verbundsatz seines Anteils an der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer zur Verfügung, wobei durch den Vorwegabzug effektiv nur rund 21 % verbleiben.

Ein Verbundsatz von 23 % ist jedoch angesichts des hohen Kommunalisierungsgrades in NRW viel zu gering angesetzt. Zuletzt ist die dramatische kommunale Finanzsituation in Nordrhein-Westfalen durch den Kommunalen Finanzreport 2015 der Bertelsmann Stiftung belegt worden.

Die Haushaltsergebnisse der Städte und Kreise in Nordrhein-Westfalen haben sich 2014 dramatisch verschlechtert. 2014 erzielten wir hier ein Defizit von 1,5 Milliarden €. In keinem anderen Bundesland gab es einen vergleichbaren Einbruch. Die bayerischen Kommunen verzeichneten gar einen Überschuss in fast gleicher Höhe.

Verantwortlich für das Defizit in NRW ist nicht ein Rückgang der Einnahmen, sondern ein starker Anstieg der Ausgaben für Personal und insbesondere für Soziales. Folge dieser Entwicklung sind weiter wachsende Kassenkredite – eine der letzten Möglichkeiten für notleidende Kommunen, kurzfristig ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern.

Trotz des ambitionierten Stärkungspaktes, den die nordrhein-westfälische Landesregierung 2010 aufgelegt hat, stiegen die Kassenkredite im vergangenen Jahr auf das Rekordniveau von 26,5 Milliarden € – das sind 1.500 € für jeden Einwohner dieses Landes. Damit steht jeder zweite Euro, den Kommunen in Deutschland als Kassenkredit aufnehmen, in den Bilanzen einer NRW-Kommune.

Allein die Stadt Essen muss mit fast 2,2 Milliarden € viermal mehr Kassenkredite bedienen als alle Kommunen Bayerns, Baden-Württembergs und Sachsens zusammen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Besonders in der Bredouille sind die zehn Städte Essen, Duisburg, Wuppertal, Oberhausen, Dortmund, Hagen, Mönchengladbach, Gelsenkirchen, Mülheim und Bochum. Auf sie entfallen allein schon 12,5 Milliarden € der 27 Milliarden € Kassenkredite. Keiner dieser Städte gelang es zwischen 2012 und 2014, die Belastung spürbar zu reduzieren – im Gegenteil: Sie stieg an.

Von allen Städten und Kreisen in NRW kam einzig der Kreis Gütersloh im vergangenen Jahr gänzlich ohne Kassenkredite aus. In Nordrhein-Westfalen sind die Kassenkredite inzwischen höher als die Investitionskredite. Das Bundesland gerät daher bei Investitionen in die lokale Infrastruktur mehr und mehr in Rückstand. Die Kommunen in Bayern und Baden-Württemberg investieren dagegen pro Einwohner 2,5-mal mehr als wir in Nordrhein-Westfalen.

Die Probleme der NRW-Kommunen sind maßgeblich verursacht durch finanzielle Belastungen aus dem Sozialbereich. Die kommunalen Ausgaben für Soziales liegen in NRW bei rund 853 € je Einwohner und damit 40 % über dem Bundesdurchschnitt.

Nach einer im November 2014 von Ernst & Young veröffentlichten Studie zur Verschuldung der deutschen Großstädte ab 100.000 Einwohner verzeichnen mehrere NRW-Städte traurige Schuldenrekorde. 2013 waren durchweg fünf NRW-Städte die am höchsten verschuldeten Kommunen in ganz Deutschland. Zu nennen sind: Essen mit knapp 3,3 Milliarden, Köln mit 2,75 Milliarden, Dortmund mit 2,17 Milliarden, Duisburg mit 2,17 Milliarden und Oberhausen mit knapp 1,8 Milliarden €.

Den bundesweit stärksten Schuldenanstieg verzeichnete ausgerechnet die Heimatstadt von Ministerpräsidentin Kraft. In Mülheim an der Ruhr stieg die Verschuldung gar um 99 % auf 1,1 Milliarden €. Mit Oberhausen mit knapp 8.596 €, Hagen mit 6.892 €, Mülheim an der Ruhr mit 6.579 € rangieren zudem drei Städte aus NRW unter den negativen Top 5 der Städte mit der bundesweit höchsten Pro-Kopf-Verschuldung im Bundesgebiet.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist der Verbundsatz grundsätzlich zu erhöhen. Ein Verbundsatz von 23 % ist unangemessen gering. Die Kommunen bräuchten einen größeren Anteil an der Steuerverbundmasse.

Drittens. Gegenüber dem Steuerverbund des GFG 2015 sieht das GFG 2016 eine Steigerung um rund 383 Millionen € vor. Das entspricht ungefähr 3,92 %. Die verteilbare Finanzierungsausgleichsmasse wurde eben vom Minister mit knapp 9,981 Milliarden € dargestellt. Das ist übrigens ein Mehrbetrag von 313 Millionen € gegenüber 2015. Dabei muss man wissen, dass die effektiven Zahlen erst Ende des Monats festgestellt werden.

Die Verbundmassenentwicklung der Monate Oktober 2014 bis Mai 2015 bewegt sich um etwa 6 % über dem Niveau der Verbundmassenentwicklung der Vergleichsmonate des Verbundzeitraums des GFG 2015.

Es wird allerdings keine Verbesserung der Finanzlage der Kommunen festzustellen sein. NRW ist und bleibt Hochsteuerland und im Standortwettbewerb benachteiligt. Die Städte und Gemeinden sind faktisch fremdbestimmt, sodass von kommunaler Selbstverwaltung kaum noch die Rede sein kann. Das jährliche GFG kann noch so hohe Rekordzuweisungen an die Kommunen auszahlen, aber wenn diese Landesregierung den Kommunen weiterhin Aufgaben aufbürdet, ohne für die ausreichende finanzielle Auskömmlichkeit zu sorgen, wird die finanzielle Situation der Kommunen weiter dramatisch schlecht bleiben und – ich ergänze – noch schlechter werden.

Die Städte, Gemeinden und Kreise in NRW haben bundesweit die meisten Aufgaben zu leisten, was sich im höchsten Kommunalisierungsgrad von 54 % niederschlägt, ohne dass das Land den Kommunen ausreichende Finanzmittel zur Verfügung stellt, wie die Diskussion um die Kosten für die Inklusion und – gestern – die Kosten für die Flüchtlinge bestätigt.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland und innerhalb von NRW ist diese Entwicklung äußerst bedrohlich. Die Unterschiede zwischen den Regionen werden verfestigt, und die Regierung hat keinen Plan, um dieses Problem zu lösen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das GFG schafft es weder, unterschiedliche Finanzstärken von Kommunen auszugleichen, noch, Anreize zu entwickeln, die eigene wirtschaftliche und finanzielle Situation zu stärken oder Vorteile für die Kommunen im Standortwettbewerb zu schaffen. Das Ziel interkommunaler Verteilungsgerechtigkeit wird offensichtlich nach wie vor verfehlt.

Mit dem ungerechten und wirkungslosen Kommunal-Soli werden jegliche Anreize für wirtschaftlich sinnvolles kommunales Handeln zunichtegemacht.

Ferner nimmt diese Landesregierung in diesem GFG einen neuen Vorwegabzug von 70 Millionen € vor. Die Kommunen werden somit nicht an den Mehreinnahmen durch die Grunderwerbsteuererhöhung beteiligt. Städte und Gemeinden profitieren entgegen der Aussage des Innenministers gerade nicht mehr von den wachsenden Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer. Sie war bekanntlich trotz heftiger Kritik zum Jahresanfang von 5 auf 6,5 % angehoben worden. Die Mehreinnahmen von rund 70 Millionen € dienen nun dazu, den Landesanteil am „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ für finanzschwache Kommunen zu senken.

Das GFG 2016 setzt finanzielle Anreize zur Erhebung der realen Hebesätze für Grund- und Gewerbesteuer, indem die fiktiven Hebesätze des GFG nachhaltig erhöht werden. Zusammen tragen die Kommunen damit künftig jährlich 277 Millionen € und bis zum Jahre 2020 rund 2 Milliarden € zur Finanzierung des Stärkungspakts bei. Diese Mittel fehlen den Kommunen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir fordern daher den Verzicht auf den unausgegorenen Kommunal-Soli und den Verzicht auf zusätzlich 70 Millionen € Vorwegabzug an den Mehreinnahmen aus der Grunderwerbsteuer, die eigentlich den Kommunen zustehen würden.

Außerdem werden durch die Anhebung der fiktiven Hebesätze im kommunalen Finanzausgleich Städte und Gemeinden mittelbar dazu gedrängt, auch die örtlichen Realsteuersätze mindestens in Höhe dieser fiktiven Hebesätze zu erheben – mit der Folge einer nicht zu stoppenden Steuererhöhungsspirale.

Daneben sind auch zukunftsfähige Ansätze wie die stärkere Berücksichtigung der demografischen Entwicklung im Rahmen des GFG viel stärker zu berücksichtigen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir werden der Überweisung zustimmen. – Wir freuen uns darauf, den Antrag der FDP im Ausschuss intensiv zu behandeln. Mich freut es, dort weiter intensiv diskutieren zu dürfen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Nettelstroth. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Hübner.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bei der Haushaltsdebatte üblich, sind wir nicht mehr ganz so zahlreich wie zu Beginn der Debatte. Nichtsdestotrotz sind wir genügend,

(Zuruf von Minister Ralf Jäger)

und man ist überrascht, dass wir das noch konstruktiv debattieren können.

Herr Kollege Nettelstroth, ich fange mit Ihrem Beitrag an. Zu Beginn habe ich gedacht, der Vortrag ist gut strukturiert, gut vorbereitet. Mir gefallen auch große Teile Ihrer Analyse zur Situation der Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Da schließe ich mich ausdrücklich an, insbesondere wenn wir uns über die kommunale Finanzsituation unterhalten. Ich finde, es gehört dazu, das richtig zu bewerten.

Aber dann sind Sie bei bestimmten Themen auf ein Niveau zurückgefallen, das eher dem des FDP-Antrags entspricht. Zum Beispiel zu der Solidaritätsumlage zu sagen: „Da werden die Städte bestraft, die gut gewirtschaftet haben“ – das ist FDP-Rhetorik, die ich schon mal anders und konstruktiver gehört habe. Das fand ich schon ziemlich vermessen. Es entspricht auch nicht der Güte des Beginns Ihres Vortrages.

Sie wissen in Bezug auf den Stärkungspakt genau, dass wir ganz bewusst auch von den Städten, denen es finanziell besser geht, eine Solidaritätsabgabe eingefordert haben. Die haben wir auch noch einmal abgesenkt. Sie war ursprünglich mit knapp 181 Millionen € geplant, und wir haben sie auf 90 Millionen € abgesenkt. Wir halten das im Rahmen des Stärkungspaktes; mit dem den Städten insgesamt 5,76 Milliarden € zur Verfügung gestellt werden, auch für gerechtfertigt. Da hat Ihre Analyse ja auch zu dem Ergebnis geführt, zu sagen: Wir müssen genau diesen Städten helfen, die besonders von Überschuldung bedroht sind. Ganz bewusst haben wir eine bilanzielle Betrachtung durchgeführt, um das entsprechend aufzugreifen.

Wir helfen diesen Städten. Sie sind in Summe sehr dankbar für diese Hilfe. Das wird dann sicherlich auch immer wieder anhand bestimmter Fragen diskutiert, zum Beispiel wenn es darum geht, auch im kommenden Jahr über das kommunale Investitionsprogramm etwa 1,3 Milliarden € – dankenswerterweise über den Bund – zur Verfügung zu stellen. Aber eine ganz massive Forderung ist, dass das in Nordrhein-Westfalen auch auf Basis einer vernünftigen Analyse zu geschehen hat.

Diesen Städten helfen wir mit diesen 1,3 Milliarden € im Investitionsbereich. Wir helfen ihnen aber auch über entsprechende ausgabenunterstützende Maßnahmen, beispielsweise bei uns in der Emscher-Lippe-Region. Kollege Hovenjürgen in Haltern profitiert ja auch nicht unmaßgeblich davon.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist sehr gering!

– Bitte?

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist sehr gering!)

– Na, das ist nicht sehr gering, das ist sehr ordentlich. Haltern ist ja auch nicht eine Stadt, die 100.000 Einwohner hat. Darüber werden wir uns, glaube ich, schnell einig.

Ich möchte auch noch einmal die Verbundsatzquote, die Sie gerade dargestellt haben, herausgreifen. Da übersetze ich einmal ein Stück weit. Sie war in den 80er-Jahren schon einmal höher. Da lag sie meiner Erinnerung nach bei 28,5 %. Die könnte man erhöhen.

Sie machen da zum einen einen „Privat vor Staat“-Vorschlag und sagen, wir müssten uns nur darum kümmern, dass die Wirtschaft hier in Nordrhein-Westfalen mehr prosperiert. Wir haben zwar eine stark prosperierende Wirtschaft; aber wenn sich der Innenminister und die SPD-Fraktion zusammen mit der grünen Fraktion noch mehr engagieren würden, dann würden wir noch mehr Steuereinnahmen generieren können. Dann müssten wir nicht die Verbundsatzquote erhöhen, sondern der Anteil würde dann entsprechend größer.

Das finde ich ganz toll von einer Partei, Herr Nettelstroth und Herr Kollege Hovenjürgen, die es vor Kurzem, als wir nicht 10 Milliarden € zur Verfügung gestellt hatten, noch völlig legitim fand, eine Befrachtung zugunsten des Landeshaushaltes vorzunehmen. Die Befrachtungen machten pro Jahr die Summe von 300 Millionen € zugunsten der Konsolidierung des Landeshaushaltes aus. Ich finde es großartig, dass man das hört.

Allein von den 3,5 Milliarden € – das hat Ihnen ja heute Morgen auch der Fraktionsvorsitzende Norbert Römer klargemacht – gehen 1,5 Milliarden € auf die Befrachtung zwischen 2005 und 2010 zurück. Jedes Jahr waren das 300 Millionen €. Zusammengerechnet sind das 1,5 Milliarden €.

Wenn Sie sich einmal das Kassenkreditwachstum, das Sie gerade auch angesprochen haben, in der Zeit von 2005 bis 2010 einmal anschauen – das lag in Ihrer Verantwortung –, dann sehen Sie, dass es da ein Wachstum von 100 % gab. Die Kassenkredite sind in dieser Zeit von knapp 12 Milliarden € auf fast 23 Milliarden € gewachsen.

Das war genau der Grund, warum wir gesagt haben: Das kann man nicht mehr so darstellen, man kann das nicht mehr so lassen. Dazu gehört – so wie Sie sie heute eingangs gemacht haben – eine vernünftige Analyse. Und wir haben gehandelt und gesagt: Wir müssen diese Befrachtung in Höhe von 299 Millionen € sofort aufheben und den Städten sofort Geld zur Verfügung stellen. Gleichzeitig haben wir auch gesagt: Wir müssen den besonders belasteten Städten Stärkungspaktmittel in Höhe von 350 Millionen € zur Verfügung stellen.

Wir haben weiterhin gesagt – weil Sie unser Gesamtkonzept hinterfragen, erkläre ich Ihnen das noch einmal –, dass wir auch rechtlich solche Rahmenbedingungen schaffen müssen, dass es für eine Stadt innerhalb eines bestimmten Planungszeitraumes überhaupt Sinn macht, eine Konsolidierung zu erreichen. Sie erinnern sich, dass die Regelungen im § 76 der Gemeindeordnung bis zum Jahre 2010 vorgesehen haben, dass die Städte bei den vorgetragenen Verbindlichkeiten im Kassenkreditrahmen innerhalb von drei Jahren einen Haushaltsausgleich erreichen müssen.

Jetzt frage ich Sie: Wenn Ihre Analyse richtig ist – wie hätte die Stadt Mülheim das bei ihren jetzigen und damaligen Verbindlichkeiten schaffen sollen? Das hätte sie niemals schaffen können. Deshalb haben wir gesagt: Wir machen zehnjährige Haushaltssanierungs- oder Haushaltssicherungskonzepte möglich. – Es sollte mit entsprechender Landesunterstützung ein Pfad der Entschuldung auf den Weg gebracht werden.

Damit nicht genug. Es spielt ja auch immer eine Rolle – Minister Ralf Jäger hat das ja gerade deutlich gemacht –, dass es noch ein paar andere Entlastungen gibt, die wir eingefordert haben, zum Beispiel die SGB-XII-Grundsicherung. Die haben wir als sozialdemokratisch-grüne Koalition im Bund überhaupt erst als Leistung eingeführt; das geschah damals übrigens mit Unterstützung der kommunalen Spitzenverbände. Man muss dazu zugegebenermaßen auch einmal sagen: Es war ja nicht so, dass wir gedacht haben, dass sich die demografische Entwicklung so dramatisch schnell niederschlägt, wie es geschehen ist.

Wir mussten aber erkennen, dass diese Leistung den Kommunen im Sozialbereich – das haben Sie auch richtig herausgearbeitet – davonläuft. Deshalb haben wir uns bemüht, dafür Entlastung zu bekommen. Und die haben wir seit dem Jahr 2013 in der Weise, dass wir den Städten 100 % erstatten.

Trotzdem läuft es weiter auseinander. Damit endet das ja nicht entsprechend, weil wir uns jetzt die Eingliederungshilfe – sie gehört auch zu dem Gesamtkonzept – als weitere soziale Entlastung anschauen müssen. Sie kennen die Diskussion bezüglich der Zwischen-Milliarde. Mehrdad Mostofizadeh hat heute Morgen ja gefragt, warum die 5 Milliarden € nicht scharf gestellt sind. Das ist so, weil wir die Zwischen-Milliarden-Vereinbarung haben. Das soll auf 3,5 Milliarden € aufwachsen. Das ist in Berlin vereinbart worden und hilft den Städten bei den KdU. Es hilft auch den finanzstarken Städten entsprechend.

Ich glaube, das ist, was die Hilfe für die Städte angeht, in der Summe ein stimmiges Gesamtkonzept. Ich will nicht verhehlen, dass wir natürlich Städte haben, die aufgrund ihrer strukturellen Kosten – insbesondere der Sozialkosten, die weiterhin nach oben gehen – immer noch ein Problem haben, an dem wir arbeiten müssen. Dazu gehört auch, dass wir uns weiterhin an den Bund wenden müssen und nicht sagen können: Wir haben einen Stärkungspakt und ein gigantisches Gemeindefinanzierungsgesetz mit noch nie dagewesenen 10 Milliarden €; da will ich einmal ganz bewusst die Genauigkeit ein Stück weit herausnehmen.

Das ist grandios, keine Frage. Das hängt natürlich aber auch – da will ich noch einmal Ihre Analyse zitieren – damit zusammen, dass wir eine prosperierende Wirtschaft haben. Wir werden alle ein Problem, wenn die Wirtschaftsentwicklung nicht mehr so ist, wie wir sie bisher prognostizieren. Wenn die Steuerentwicklung nicht mehr so ist, wie wir sie bisher prognostizieren, dann müssen wir uns in ganz andere Dimensionen hineindenken.

Also: Ich glaube, mit Ihrem Ansatz zu Beginn der Analyse kommen wir ein Stück weiter.

In der Bewertung unserer Maßnahmen bitte ich Sie, noch einmal in eine sorgfältige Analyse einzusteigen. Machen Sie die ein bisschen ordentlicher als die Kollegen von der FDP!

Da habe ich mich gefragt – wenn ich zu dem FDP-Antrag noch etwas sagen darf –: Was ist denn hier passiert? Bisher waren das immer sehr ordentliche Anträge, wenn Kai Abruszat das unterschrieben hat. Jetzt unterschreibt auch Kollege Nückel. Da deutet sich ja etwas an.

Es geht ja letztlich – daran will ich uns alle noch einmal erinnern – um das Thema „bedarfsorientierte Finanzausstattung“. Darum geht es im Kern aus meiner Sicht. Freunde, dazu hatten wir mehrfach Anhörungen. Wenn jetzt Herr Nettelstroth am Ende sagt, wir müssten dazu noch einmal eine Anhörung machen, dann weiß ich nicht, wie häufig wir noch Anhörungen machen sollen.

Sie wissen bei uns aus der Planung im Kommunalausschuss, dass wir bis weit in das kommende Jahr hinein Anhörungen durchführen. In der nächsten Woche machen wir, glaube ich, zwei Anhörungen an einem Tag plus Ausschusssitzung, damit wir endlich mal auf 103 Ausschusssitzungen kommen, Herr Vorsitzender Dahm. Wir tagen aber auch mit großer Qualität. Das will ich mal in Richtung der Wirtschaftspolitik der FDP sagen. Von daher: Ersparen Sie uns solche Anhörungen!

Allenfalls mache ich mal konstruktiv den Vorschlag: Vielleicht reicht es, eine schriftliche Abfrage bei den kommunalen Spitzenverbänden zu machen. Dann werden Sie auch ganz schnell zu dem Ergebnis kommen, dass das wirklich keine Alternative sein kann.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Jetzt habe ich zehn Minuten gesprochen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche uns für das tolle Gemeindefinanzierungsgesetz – das muss man ausdrücklich sagen – viel Erfolg. Wir werden auch entsprechend abstimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Kollege Hübner, das war jetzt natürlich wieder die Nebelmaschine, um von den eigenen Misserfolgen abzulenken.

(Beifall von der FDP und der CDU)

An die Generaldebatte zur Gesamtlage unseres Landes knüpft ja in guter Tradition die Aussprache über die Gemeindefinanzierung an. Damit können wir natürlich auch den Gesamtzustand der kommunalen Familie in den Blick nehmen. Das war in den letzten Jahren für die rot-grüne Landesregierung nicht immer angenehm. Doch in diesem Jahr offenbart sich eigentlich mehr denn je, dass Innenminister Jäger und die ihn tragende Mehrheit ohne kommunalpolitischen Kompass unterwegs sind.

Sie machen ja immer wieder gerne Vergangenheitsbewältigung. Dann wollen wir das auch mal kurz machen. 2010 haben sich SPD und Grüne noch arrogant und ziemlich anmaßend an der Kommunalpolitik ihrer Vorgänger abgearbeitet. Ich finde es sehr überraschend, dass Sie mangels eigener Erfolge das auch heute immer noch tun.

Großes haben Sie 2010 den Kommunalpolitikern versprochen. Aber schon nach kurzer Zeit war ja da die Ernüchterung groß. Deshalb, glaube ich, gab es auch heute die kleinen Scharmützel auf Nebenkriegsschauplätzen und die Geschwader von Nebelmaschinen. Aber das nimmt Ihnen natürlich die eigene Sicht. Heute, nach mehr als fünf Jahren kommunalpolitischer im Nebel geführter Geisterfahrt, hat es die rot-grüne Landesregierung ja doch geschafft, das örtliche Gemeinwesen in ein finanzpolitisches Trümmerfeld zu verwandeln.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Trotz langwieriger Konjunktur, Hochkonjunktur, trotz nie dagewesener Rekordsteuereinnahmen geht es den Kommunen in Nordrhein-Westfalen heute schlechter als jemals zuvor. Während die Städte und Gemeinden in anderen Bundesländern vom Aufschwung profitieren, schreiben unsere kommunalen Gebietskörperschaften in NRW weiterhin tiefrote Zahlen. Das alleine müsste Ihnen doch schon zu denken geben.

Der aktuelle Finanzreport der Bertelsmann Stiftung – der Minister hat ihn ja aufmerksam studiert, sagt er – ist nur einer von vielen stummen Zeugen, die der Landesregierung ein verheerendes Zeugnis ausstellen. Deswegen konnte die „WAZ“ auch – ich glaube, es war Mitte August – dazu trocken die Schlagzeile formulieren: „Deutschlands Kommunen erholen sich – nur die in NRW nicht“.

Ganz offensichtlich ist also der Niedergang der kommunalen Selbstverwaltung in unserem Land nicht allein bundespolitisch verursacht. Ganz offensichtlich leistet eine vollkommen fehlgeleitete Politik der Landesregierung hier ihren Beitrag.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Da helfen auch diese kleinen Nebelmaschinen-Ablenkungsmanöver nicht, mit denen SPD und Grüne sich leider immer bei solchen Debatten aus der Verantwortung stehlen wollen. Dieses Land – ich muss es noch einmal wiederholen – wird seit über einer halben Dekade rot-grün regiert. Also übernehmen Sie bitte auch mal die Verantwortung!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Machen wir also eine Bestandsaufnahme! Die Gesamtschulden unserer Städte und Gemeinden haben mittlerweile einen historischen Höchststand von 62 Milliarden € erreicht. Fügt man die Verbindlichkeiten der Stadtwerke oder anderer Schattenhaushalte hinzu, wird diese Summe noch wesentlich größer werden. Kein anderes Bundesland kann mit einer so dramatisch hohen Zahl aufwarten. NRW ist leider Spitzenreiter im negativen Sinne.

Besonders hervorzuheben ist natürlich der enorme Anteil der Kassenkredite. Man kann es gar nicht oft genug sagen. Die NRW-Kommunen haben zusammen über 26 Milliarden € an Disposchulden in ihren Büchern stehen. Das ist mehr als die Hälfte aller kommunalen Kassenkredite bundesweit. Das Beispiel Essen kann ich mir jetzt sparen. Das hat ja schon ein Vorredner erläutert.

Ich glaube nicht, dass ich irgendjemandem hier erklären muss, was das auch für ein gewaltiges Zinsänderungsrisiko bedeutet und dass die Zinsen irgendwann wieder steigen werden. Dazu brauche ich keine Glaskugel. Eigentlich dürfte auch der Finanzminister nicht mehr gut schlafen können. Denn seine landeseigene NRW.BANK ist ja selbst mit rund 15 Milliarden an der Kreditfinanzierung der Kommunen beteiligt, ein Klumpenrisiko, das seinesgleichen sucht.

Unsere Städte und Gemeinden verschulden sich natürlich nicht aus Spaß an der Freud. Sie verschulden sich, um ihre immer weiter zunehmende Unterfinanzierung durch das Land und auch den Bund zu kompensieren. Das ist also eine Art Notwehr.

Zu den wesentlichen Ursachen ihrer Unterfinanzierung gehört eindeutig der kommunale Finanzausgleich der rot-grünen Landesregierung. Trotz stetig wachsender Aufgaben und Erfüllungsstandards hält das Land an seiner willkürlich festgelegten kommunalen Beteiligungsquote von 23 % an den Gemeinschaftssteuern fest. Schon lange stellen wir Freie Demokraten daher die Forderung, das GFG am tatsächlichen Bedarf der Städte und Gemeinden auszurichten. Doch die Landesregierung und die Koalition sind da taub, halten sich sogar noch die Augen zu.

(Michael Hübner [SPD]: Wir haben dazu eine Anhörung gemacht!)

Sie ist nicht einmal dazu bereit, diesen Bedarf zu erörtern, zu analysieren, getreu dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

(Beifall von der FDP)

Ähnlich schlimm sieht es bei der Verteilung der verfügbaren GFG-Mittel innerhalb der kommunalen Familie aus. Seit der ifo-Kommission in der 14. Wahlperiode streiten wir darüber, wie ein gerechter horizontaler Finanzausgleich aussehen müsste.

Doch bisher ergeht sich die Landesregierung hier in Flickschusterei. Das fängt bei der Einwohnerveredelung an, für die es – siehe unser aktueller Antrag – keine sachlogische Rechtfertigung mehr gibt. Die preußischen Zeiten, in denen die eklatante Schlechterstellung kleiner Gemeinden damit begründet wurde, dass das ländliche Bauernvolk weder Abwasserkanäle noch befestigte Straßen benötigt, sind lange vorbei. Obwohl, bei der Breitbandverkabelung habe ich manchmal das Gefühl, dass wir doch wieder in den alten Zeiten sind.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Hübner.

Thomas Nückel (FDP): Gerne.

Michael Hübner (SPD): Ich danke Ihnen, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich hatte vorhin in meinen Ausführungen schon einmal deutlich gemacht, dass wir eine Anhörung genau zu dem Thema eines bedarfsorientierten gemeindlichen Finanzierungsmodells durchgeführt haben. Soweit ich mich daran erinnere, haben uns alle kommunalen Spitzenverbände davon abgeraten.

Können Sie bestätigen, dass wir erstens eine solche Anhörung durchgeführt haben, und zweitens das Ergebnis, dass die kommunalen Spitzenverbände davon abgeraten haben?

Thomas Nückel (FDP): Natürlich gab es diese Anhörung, und es gab Kritik von den kommunalen Spitzenverbänden. Es gab aber immer wieder auch Aspekte, die deutlich machen, dass wir schon in diese Richtung gehen müssen – zumindest habe ich das so interpretiert.

(Beifall von der FDP)

Kommen wir zum System der einheitlichen fiktiven Hebesätze bzw. die dadurch hervorgerufene Steuertreiberei, wozu man eigentlich nicht viel sagen muss. Wir haben diesbezüglich in der Vergangenheit mehrere parlamentarische Initiativen gestartet, die aber auch von der Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen ignoriert wurden.

Die Debatte um eine dringend notwendige Reform des kommunalen Finanzausgleichs wird also geführt werden müssen. Wir setzen uns dabei für eine kommunale Mindestfinanzausstattung auf der Grundlage einer objektiven Bedarfsanalyse ein. Ich glaube, daran führt kein Weg vorbei. Wenn der Kollege Hübner jetzt lacht – ich erinnere an einen schönen Satz des großen Dieter Hildebrandt, der sagte: Worüber man lacht, das nimmt man ernst. – Insofern danke ich Ihnen, dass Sie es ernst nehmen.

Ein großes Problem ist natürlich weiterhin die Missachtung des Konnexitätsprinzips durch die rot-grüne Landesregierung. Da die Frau Schulministerin anwesend ist, nehme ich ein Beispiel aus der Schulpolitik. Schulministerin Löhrmann lässt ein Gesetz zur Inklusion auf den Weg bringen und leugnet dabei zunächst monatelang, dass dadurch konnexitätsrelevante Mehrausgaben bei den Kommunen verursacht werden. Nach einem langen Streit wird dann ein Scheinkompromiss gefunden, der hinten und vorne nicht passt. Das vorläufige Ende vom Lied ist die derzeit anhängige Verfassungsklage zahlreicher Gemeinden gegen die Landesregierung. Davon können sich die Städte und Gemeinden aber nichts kaufen.

Von der schulischen Inklusion über angemessene Mittel bei der Flüchtlingsunterbringung, die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung bis hin zu den Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger – an allen Ecken und Enden werden die Kommunen mit der Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben alleingelassen.

Natürlich trägt der Bund zu der miserablen Lage bei. Wenn ich mich jedoch nicht irre, sitzt aber auch die SPD in Berlin gegenwärtig mit am Regierungstisch – oder darunter, dann sagen Sie es uns –, und den Kommunen wurden von der SPD im Rahmen der Koalitionsverhandlungen große Versprechungen gemacht. Ich frage mich aber, wo die strukturellen Entlastungen bleiben, die uns so vollmundig versprochen wurden.

Die kommunale Notlage führt nicht nur zu den bereits beschriebenen großen Schuldenbergen, sondern nötigt unsere Städte und Gemeinden auch zur Steuertreiberei. Die „WAZ“ schrieb dazu vor zwölf Tagen: NRWs Handelskammern schlagen Alarm, weil besonders die klammen Städte an Rhein und Ruhr zur Sanierung ihrer Haushalte kräftig an der Steuerschraube gedreht haben, und es öffnet sich immer mehr die Schere zwischen günstigeren und teuren Wirtschaftsstandorten im Land. – Herzlichen Glückwunsch, liebe Landesregierung! Sie haben dafür gesorgt, dass NRW zumindest bei den kommunalen Steuerhebesätzen mittlerweile bundesweiter Rekordhalter ist.

Besonders auffällig ist das bei der Grundsteuer B, die Mieter, Hausbesitzer und Gewerbetreibende gleichermaßen belastet. Dazu schreibt nicht die „WAZ“, sondern die „FAZ“: „Nordrhein-Westfalen hat hier auch den Staffelstab als teuerster Standort übernommen.“

(Beifall von der FDP)

Wer glaubt, eigene Defizite in der Kommunalfinanzierung dadurch ausgleichen zu können, dass er die Städte und Gemeinden in die Steuererhöhungsfalle treibt, irrt sich gewaltig. Der Bumerangeffekt ist dabei schon vorprogrammiert. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank Herr Kollege Nückel. – Für die Fraktion der Grünen spricht der Herr Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Meine Damen, meine Herren! Herr Präsident! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! – Wo ist er? Ach, da hinten steht er. – Herr Nückel, ich weiß nicht, wo Sie vorhin waren, als Sie ausgeführt haben. Offensichtlich waren Sie aber auf dem besagten Trümmerfeld, von dem Sie gerade gesprochen haben, denn anders lassen sich Ihre wirren Ausführungen nicht erklären.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Nückel, ich würde Ihnen empfehlen, sich mit dieser Vorlage auseinanderzusetzen und sich die Zahlen zu vergegenwärtigen, die Gegenstand dieser Vorlage sind. Unser Innenminister Ralf Jäger hat dazu gerade einiges gesagt.

Wir sprechen von einer verteilbaren Finanzausgleichsmasse in Höhe von 9,98 Milliarden €. Das bedeutet ein Plus von 370 Millionen €. Geschuldet ist das nicht nur den sprudelnden Steuereinnahmen, sondern wir haben wie in früheren Jahren – Sie haben das in Ihrer Regierungszeit nicht gemacht – die Grunderwerbsteuer einbezogen sowie die von Ihnen seinerzeit vorgenommene Befrachtung wieder entsprechend kompensiert. In diesem Jahr macht das alleine 410 Millionen € mehr aus.

Wenn Sie des Weiteren diese beiden Faktoren – Einbeziehung der Grunderwerbsteuer plus Herausnahme der schwarz-gelben Befrachtungen seit dem Jahr 2010 – bis zum Jahr 2016 aufaddieren, ergibt das wiederum 2,2 Milliarden € zusätzliche Mittel, die wir über den kommunalen Finanzausgleich den Kommunen zugutekommen lassen.

Damit ist aber längst nicht die Messe gelesen. Das Thema „Stärkungspakt Stadtfinanzen“: Selbstverständlich kann man sich darüber streiten, inwieweit man strukturstarke Gemeinden zur Finanzierung des „Stärkungspaktes Stadtfinanzen“ heranzieht. Aber Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass 70 % der Gelder, die wir dort einspeisen, insgesamt 5,76 Milliarden €, sprich 4 Milliarden €, originär aus dem Landeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Und das unterscheidet uns von der damals abgewählten schwarz-gelben Landesregierung. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!

Und wenn Sie Vergleiche anstellen, dann sollten Sie dies auch vollständig tun. Ich will das gerne an dieser Stelle machen. Die Entwicklung der Kassenkredite, wie sie eben vorgetragen worden ist, ist ohne Zweifel eine, die uns mit Besorgnis erfüllt – ohne Zweifel.

Essen: mehr Kassenkredite als die Kommunen in den Bundesländern Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg zusammen, und zwar um den Faktor drei mehr als in den drei genannten Bundesländern.

Aber worauf ist das zurückzuführen? – Wenn Sie mit den Beteiligten sprechen, zum Beispiel mit dem Kämmerer der Stadt Bottrop – Stärkungspaktkommune –, dann sagen die Ihnen: Das, was wir an Konsolidierungserfolgen erreicht haben, wird beispielsweise aufgefressen durch die von uns zu leistenden Mehraufwendungen für die Flüchtlingsunterbringung.

Wo ist denn die Bundesregierung, die sich insoweit ihrer Verantwortung stellt und ihren Teil zur Bewältigung der im Zusammenhang mit dem Zustrom von asylsuchenden Flüchtlingen anfallenden Kosten trägt? – Sie ist nicht da!

Wir haben seinerzeit deutlich gemacht, dass wir erhebliche Mehraufwendungen beispielsweise bei den Eingliederungshilfen haben: Mehr als 200/250 Millionen €, je nachdem, welches Jahr Sie zugrunde legen, Kostenanstieg bei den beiden Landschaftsverbänden Westfalen-Lippe bzw. Rheinland, finanziert über entsprechende Umlagen zulasten der Kommunen. Wo ist das Eingliederungsgesetz mit Kostenentlastungen von 5 Milliarden €, die in früheren Jahren wortreich angekündigt worden sind? Bis heute gibt es keinen entsprechenden Entwurf. Man vertröstet uns auf 2018.

(Beifall von den GRÜNEN)

Anderes Thema: Wir beschäftigen uns nicht erst seit wenigen Jahren mit der kommunalen Finanzsituation, Stichworte: Gewerbesteuer und deren Schwankungen. Schauen Sie sich einmal an, wie hoch die Einnahmen der Stadt Essen aus der Gewerbesteuer in früheren Jahren im Vergleich zu heute waren: Sie sind regelrecht abgestürzt. Warum? Das Gewerbesteueraufkommen fokussiert sich nur noch auf wenige Unternehmungen.

Wer hat seinerzeit eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen gefordert – die Einbeziehung von Freiberuflern, die Einbeziehung von Architekten, Ingenieuren, Ärzten? – Das waren Grüne. Wo war die FDP? Sie hat sich dagegen ausgesprochen. Sie wollten das nicht.

(Zuruf von Thomas Nückel [FDP])

Sie haben das seinerzeit mit Vehemenz abgelehnt und dafür Sorge getragen, dass wir im Rahmen einer entsprechenden Reform der Gewerbesteuer hier keinen einzigen Schritt weitergekommen sind.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Herr Nückel, das überrascht Sie auch nicht! – Thomas Nückel [FDP]: Eine völlig andere Systematik!)

Kosten der Unterkunft: Wir haben einen stetigen Anstieg bei den Kosten der Unterkunft oder, anders formuliert, bei der Finanzierung im Bereich des Arbeitslosengeldes II. Wer ist nicht bereit, einen größeren Beitrag zu leisten? – Die Bundesregierung. Und wir als Land – das ist Ihre Aussage – sollen das sozusagen eins zu eins entsprechend ersetzen. Wir können das nicht, allein schon nicht mit Blick auf die heutige Haushaltsdebatte, mit Blick auf auf die momentane Neuverschuldung und darauf, welchen Entschuldungspfad wir zu Recht einschlagen wollen.

Sie reden davon – da greife ich gerne die Ausführungen von Herrn Nettelstroth auf –, der Verbundsatz von 23 % müsse angehoben werden. – Ich würde mich freuen, wenn uns das gelingen würde. Man muss aber auch sagen: 1 % Anhebung Verbundsatz kostet etwa 500 Millionen €. Wenn man Verhältnisse aus dem Jahre 1981 heranziehen will – da hatten wir 28,5 % –, greife ich die Worte von Michael Hübner auf: Dann kostet uns das etwa bei 5,5 % rund 3 Milliarden €. Dann geben Sie auch eine Antwort, wie Sie das finanzieren wollen. Diese Antwort bleiben Sie schuldig.

(Thomas Nückel [FDP]: Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Dann lösen Sie das Problem!)

Jetzt gucken wir uns mal die Situation in anderen Bundesländern an. Da wird immer gesagt: Die anderen Bundesländer machen das viel, viel besser als Nordrhein-Westfalen. Schauen wir uns deswegen deren Verbundquoten an: Niedersachen 15,5 %, Rheinland-Pfalz 21 %, Saarland 20,6 %, Sachsen-Anhalt 18 %, Schleswig-Holstein 17,83 % und Ihr Paradebeispiel Bayern, bezogen auf die Frage, in welchem Umfang die Kommunen an dem Steueraufkommen beteiligt werden, legt einen Verbundsatz von 12,75 % zugrunde.

Herr Nückel, Herr Nettelstroth, Sie sollten zur Kenntnis nehmen: Es gibt kein Bundesland, das bezogen auf die Verbundquote, besser ist als Nordrhein-Westfalen mit 23 % – keines. Wenn wir die bayerischen Verhältnisse übertragen und die Verbundquote auf 12,75 % absenken würden, dann würden wir eins zu eins mehr als 4 Milliarden € sparen und könnten dann ohne Probleme, Ralf Jäger, die Mehraufwendungen bei der Eingliederungshilfe eins zu eins übernehmen. Wir könnten die Mehraufwendungen bei der Flüchtlingshilfe übernehmen, und zwar eins zu eins. Das ganze Thema „Inklusion“ könnten wir komplett abräumen. Aber letztendlich ist das nichts anderes als linke Tasche/rechte Tasche.

Ich würde Ihnen, wollen Sie das vergleichen, empfehlen, die richtigen Vergleichsmaßstäbe anzusetzen. Und wenn Sie vergleichen, dann tun Sie mir einen Gefallen: Schauen Sie sich einmal den jährlich im Mai veröffentlichten Bericht an, der Auskunft darüber gibt, welch zusätzlicher Aufwendungsersatz in diesem Zusammenhang den Kommunen über diverse Landesprogramme noch zur Verfügung gestellt wird. Da sind wir nämlich bei weiteren 9,5 Milliarden €.

Das heißt in der Summe: 10 Milliarden € Gemeindefinanzierungsgesetz plus „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ plus die verschiedenen Landesprogramme. Wir reden von mehr als 20 Milliarden €, die den Kommunen direkt oder indirekt über den Landeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Das sind rund 30 %.

Thema „Hauptansatzstaffel“: Wir haben lange darüber diskutiert im Rahmen verschiedener Kommissionen. Wir haben Gutachten eingeholt, gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden. Selbst der Verfassungsgerichtshof bescheinigt, dass die gewählte eine richtige Herangehensweise ist. Sie ist angemessen.

Nun könnte man sagen, die NRW-Leute beschreiten mal wieder ihren eigenen Weg. Schauen wir uns einmal an, wie es in den anderen Bundesländern aussieht. Auch hier werden Sie feststellen: Alle arbeiten mit dem Instrument der Hauptansatzstaffel. Wenn Sie sich die Spreizung anschauen: in Nordrhein-Westfalen 100 % bzw. bei 615.000 Einwohnern 139 %. In Bayern liegt sie zwischen 112 % bis 150 %, Niedersachsen geht bis auf 180 %, Sachsen bis auf 190 %. Offensichtlich sind wir da auf einem guten Weg, wenn wir in ähnlicher Art und Weise die Verteilung der Kommunalfinanzen unter anderem abhängig machen von der Größe der Städte.

Gleiches Thema beim Soziallastenansatz: Sie haben es über Jahre hinweg versäumt, in diesem Zusammenhang eine Aktualisierung der Grunddaten vorzunehmen. Wir verzeichnen, wie Sie zu Recht ausgeführt haben, einen Anstieg bei den Sozialaufwendungen. Das bildet sich auch über einen entsprechenden Soziallastenansatz ab. Das komplett infrage zu stellen, macht deutlich, dass Sie sich offensichtlich immer noch auf einem Trümmerfeld diverser Gedanken bewegen – das haben Sie vorhin so beschrieben – und nicht wissen, wie Sie damit umzugehen haben.

Insofern freuen wir uns auf die Debatte, die wir in den entsprechenden Ausschüssen zu führen haben. Wie das Ganze ausgehen wird, kann ich Ihnen heute schon sagen: Wir werden an unserem kommunalfreundlichen Kurs festhalten, und ich empfehle Ihnen: Schauen Sie sich einmal an, wie dieser Kurs in den entsprechenden Mitteilungen des Städte- und Gemeindebundes, des Städtetages und Landkreistages bewertet wird. Sie finden dort erhebliche Unterschiede zu der Herangehensweise, wie sie seinerzeit Schwarz-Gelb an den Tag gelegt hat. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Zum Gemeindefinanzierungsgesetz haben wir bereits von Herrn Innenminister Jäger Ausführungen gehört. Der Verbundsatz bleibt, es wird keine weiteren Befrachtungen der Kommunen geben, und die Kommunen werden an der Grunderwerbsteuer, die erhöht worden ist, beteiligt.

Der Finanzminister hat heute Vormittag auch schon gesagt, dass die Kommunen aus dem Jahreshaushalt 2016, so wie es geplant ist, rund 22 Milliarden € erhalten; das bestätigt Herr Kollege Krüger mit rund 20 Milliarden €. Okay, 22 Milliarden € werden es wohl sein.

Wir reden von einer Verbundmasse von 10 Milliarden €. Herr Kollege Nettelstroth, in der Tat: Wir vonseiten der Piraten sind doch einigermaßen erstaunt, dass jetzt plötzlich die Forderung nach einer Erhöhung der Verbundquote erhoben wird. Das haben wir vor drei Jahren an selber Stelle gefordert. Damals wurden wir dafür mehr oder weniger belächelt, und zwar auch aus Ihrer Fraktion; das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Deswegen freut es mich natürlich, dass Sie das heute fordern. Nur, das löst letztlich nicht die Probleme.

9,98 Milliarden € verteilbare Finanzausgleichsmasse ist die Zahl, die hier im Raum steht. Nach Abzug der Investitionspauschale und des Zukunftsinvestitionsfonds bleiben noch 9,46 Milliarden € übrig. Die neue Systematik der Verteilung der Finanzen ist gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden erarbeitet worden. Daher muss man eigentlich grundsätzlich davon ausgehen, dass es passen sollte.

Es passt aber nicht. Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen leiden trotz des Stärkungspaktes, trotz der Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden und der Landesregierung unter einer hohen, einer weiter steigenden Belastung, die keineswegs ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass sie im Moment ein Mehr an Zuführung von Flüchtlingen zu verkraften haben.

Das läuft sowieso, meine Damen und Herren, außerhalb dieser Haushaltssituation, so wie sie hier im Gemeindefinanzierungsgesetz vorgesehen ist. Selbstverständlich werden darin zum Teil auch Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen enthalten sein, und es wird ein Mehr darin enthalten sein müssen, das der Nachtragshaushalt 2015 und der Haushalt 2016 am Ende ausweisen wird, legt man die Zahlen zugrunde, die wir aus dem Innenministerium des Bundes hören.

Allerdings hören wir aus demselben Ministerium auch, dass eine Gesetzesänderung angedacht sei, die es ermögliche, dass der Bund direkt an die Kommunen zahlt. Das wäre eine sehr interessante Föderalismusreform, die dort vielleicht in Rede steht, dass die Länderhoheit über die Finanzen, die in den Ländern zu verteilen sind, möglicherweise zumindest in Teilbereichen ausgehebelt wird.

Damit kämen wir gleichzeitig zu der Fragestellung der Konnexität, die hier auch schon aufkam, und zwar insbesondere in Bezug auf die Sozialkosten. Ich meine die Konnexität zwischen den Bundesfinanzen, Länderfinanzen und Kommunalfinanzen. Dieser Aspekt wird zwar immer wieder angeführt, aber nicht aufgegriffen. Immer wieder kommt es zu einem Konnexitätsstreit, egal, welches Problem wir anpacken.

Das gilt auch für die Inklusion, Frau Kollegin Löhrmann. Ich meine, die 52 plus x Gemeinden klagen nicht umsonst, und die Gemeinden pfeifen auch nicht umsonst aus dem letzten Loch. Denen wird immer Konnexität vorgehalten. Entschuldigung, aber können die Gemeindechefs alle nicht rechnen? Sind die eigentlich alle blöd?

Wir müssen doch eines hier festhalten: Sämtliche Gemeinden und kommunale Verbände in Nordrhein-Westfalen, die zu einem großen Teil wirklich aus dem letzten Loch pfeifen und die die Ausgaben innerhalb ihrer Gemeinden für die soziale Daseinsvorsorge, für die schulische Versorgung bis hin für die Versorgung der Flüchtlinge leisten, können doch unmöglich alle so schlecht und blöd sein, dass sie aus dem letzten Loch pfeifen. Schließlich heißt es vonseiten der Landesregierung permanent: Alles super, alles toll! Ihr bekommt viel Geld! 10 Milliarden €! Rekordsummen werden den Kommunen zugewiesen. Herzlichen Glückwunsch!

Dann fragt man sich doch eines: Wirtschaften die alle wirklich so schlecht? Ich frage Sie das, Herr Innenminister Jäger. Wenn das so ist, wie Sie es hier sagen – und ich frage das auch die regierungstragenden Fraktionen –, dass die Mittel, die das Land den Gemeinden zur Verfügung stellen will, ausreichen, frage ich mich, warum es so ist, dass es den Gemeinden so schlecht geht. Oder lügen die alle? Ich glaube kaum, dass die alle die Unwahrheit sagen. Im Gegenteil: Die gucken einfach in ihre Kassen.

Herr Kollege Nückel hat die 62 Milliarden € Gemeindeverschuldung und dieses enorme Potenzial an Kassenkrediten deutlich betont. Die Kassenkredite werden sich weiter erhöhen, wenn die Zuweisungen aus dem Land nicht ausreichen. Von mir aus können die Zuweisungen auch aus dem Bund kommen. Dann muss sich das Land eben an den Bund wenden und sagen: Leute, zahlt mehr.

Wir haben doch die Situation bei der Flüchtlingsaufnahme. Wir hatten doch den Flüchtlingsgipfel im Juni, auf dem alle Länderfinanzminister – und das natürlich in Rücksprache mit den kommunalen Spitzenverbänden aller Bundesländer – gesagt haben: Wir brauchen 12.500 € pro Kopf pro Jahr.

Da landen wir aber nicht. Wir kommen unter Berücksichtigung der Prognosen, die von einer gleichbleibenden Zuwanderung ausgehen, auf round about 10 Milliarden € für das Jahr 2016; das gilt wohlgemerkt bundesweit. Bezogen auf das restliche Jahr 2015 und Nordrhein-Westfalen – wir haben das vorhin gehört – liegen wir bei 500 bis 700 Millionen €. Das sind doch Zahlen, und so viel muss den Kommunen doch zur Verfügung gestellt werden. Jede Woche, die ins Land zieht und in der den Kommunen nichts zur Verfügung gestellt wird, gräbt an der Autonomie der Kommunen und führt dazu, dass sich die Finanzlage der Kommunen weiter verschlechtert.

Das kann man doch nicht einfach so hinnehmen. Wenn sich Kollegen der Opposition hier hinstellen und sagen, Sie würden die Kommunen mehr oder weniger im Regen stehen lassen, dann ist das nicht nur reines Oppositionsgeplänkel. Die Politiker der Opposition reden ja auch mit den Gemeinden, die sie vertreten. Sie hören von den kommunalen Vertretern ihrer Parteien, die in den jeweiligen Kommunen verwurzelt sind, was da los ist. Das ist doch alles nicht erfunden. Wir reden hier doch von Realitäten, und diesen Realitäten muss man ins Auge schauen.

Neben den Kosten der Versorgung für Flüchtlinge – ich sprach das bereits an – bereiten auch die Sozialkosten den meisten Kommunen noch immer – gerade auch im Ruhrgebiet – große Schwierigkeiten.

Die Kosten der Inklusion sprach ich an. Frau Ministerin Löhrmann, ich muss Sie ganz ehrlich fragen: Wo sind denn die Gelder, die die Gemeinden in die Lage versetzen, die Inklusion so durchzuführen, wie Sie sie hier im Landtag als Leuchtturmprojekt verkündet und beschlossen haben, und die es den Gemeinden ermöglichen, die Last abzubauen bzw. eben nicht aus dem letzten Loch zu pfeifen?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie werden doch gar nicht abgerufen! Eilbrief des Deutschen Städtetages! – Michael Hübner [SPD]: 35 Millionen € sind jedes Jahr da!)

– Gut, „Eilbrief des Deutschen Städtetages“.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Schulz, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beer zulassen?

Dietmar Schulz (PIRATEN): Der Frau Kollegin Beer? Ja, bitte gerne, Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Präsident. – Danke, Herr Kollege Schulz. Ist Ihnen bekannt, dass wir mit dem Gesetz zur Förderung kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion 35 Millionen € pro Jahr zur Verfügung stellen, dass der erste Evaluationsbericht vorliegt und dass von den 25 Millionen € allein für die Schulträgeraufgaben bislang nur 8,6 Millionen € von den Kommunen abgerufen worden sind? Es ist sicherlich davon auszugehen, dass das steigt, aber das ist bisher Fakt.

Ist Ihnen das bekannt, und ist Ihnen auch bekannt, dass die Landesregierung keinen Cent zurückgefordert hat, sondern das Geld bei den Kommunen belässt?

Dietmar Schulz (PIRATEN): Frau Kollegin Beer, genau da liegt das Problem.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Dass das Geld da ist, ist das Problem?)

Erstens ist mir das bekannt, ja. Zweitens, Frau Kollegin Beer, sage ich Ihnen noch etwas: Es ist also offenbar nicht nur so, dass die Stadtkämmerer der jeweiligen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen zu blöd sind, zu rechnen und Gelder abzurufen oder zu verteilen, sondern auch die Gemeinden sind offensichtlich nicht in der Lage, die Verteilungsmasse, die Sie gerade angesprochen haben, richtig zu verteilen oder abzurufen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist ein Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände!)

Oder es gibt keine entsprechenden Ausgaben. Dann frage ich Sie aber ernsthaft, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie glauben doch nicht im Ernst, dass 52 Gemeinden in Nordrhein-Westfalen ohne Grund vor den Verfassungsgerichtshof ziehen und gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf Zahlung oder eine entsprechende Entlastung klagen – und dies unterstützt durch entsprechend viele Juristen, die sicherlich nicht alle dämlich sind.

Irgendetwas stimmt hier also nicht. Entweder stimmt das eine oder das andere. Frau Kollegin Beer, ich will ja durchaus anerkennen, dass die Zahlen, die Sie genannt haben, stimmen. Ja, die stimmen. Auch die Abrufzahlen werden stimmen. Nur: Kann es denn möglicherweise sein, dass die Gemeinden darüber überhaupt nichts wissen?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Die kommunalen Spitzenverbände haben das mitverhandelt!)

Wir haben hier doch genau die gleiche Problematik wie im Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr von Minister Groschek. Auch dort haben wir die Problematik – so heißt es zumindest –, dass das Landesministerium bestimmte Zahlungen, die vom Bund bereitgestellt werden, nicht abgefordert haben soll. Hier haben wir jetzt die Situation, dass bestimmte Zahlungen, die vonseiten der Landesregierung bereitgestellt werden, von den Gemeinden nicht abgefordert werden, um die Inklusion zu finanzieren.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Herr Schulz, Sie kennen die Realitäten nicht!)

– Frau Kollegin Beer, wir können natürlich gerne beim Bierchen draußen diskutieren – von mir aus auch beim Tee –, aber ein bilaterales Gespräch wird hier natürlich nicht funktionieren.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Aber ein bisschen Sachkenntnis hilft! – Michael Hübner [SPD]: Details helfen! Da hat die Kollegin Beer recht!)

– Ja, das ist doch völlig richtig. Ich habe die Zahlen, die Frau Kollegin Beer hier in den Raum gestellt hat, ja auch gar nicht infrage gestellt. Um Gottes willen! Ich sage auch nicht, dass das, was die Frau Kollegin Beer sagt, nicht stimmt. Ich stelle hier nur die Frage: Stimmt denn das, was die Gemeinden sagen? Stimmt es denn, dass die Gemeinden offensichtlich zu blöd sind – ich sage das einmal so –, die entsprechenden Gelder abzufordern? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Im Umkehrbeschluss behaupten Sie das aber.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Es geht um die Zuverlässigkeit des Landes!)

Das Problem bleibt also bestehen. Die Umsetzung der Inklusion ist offensichtlich nicht ausreichend finanziert. Die Gemeinden werden schon ganz genau wissen, was sie abzufordern haben, und sie werden genau das, was sie bekommen können, auch abfordern. Es scheint aber doch wohl nicht zu reichen. Sonst würden nicht über 50 Städte und Gemeinden gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf eine entsprechende Unterstützung bei der Umsetzung der Inklusion klagen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es gibt eine weitere Frage, und zwar des Kollegen Hübner. Würden Sie sie zulassen?

Dietmar Schulz (PIRATEN): Wir können das gerne noch machen. – Bitte schön, Herr Kollege Hübner.

Michael Hübner (SPD): Vielen Dank, Herr Schulz. – Würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass sich die Klage der Gemeinden vor allen Dingen auf den sogenannten Korb II bezieht, bei dem es um die Personalkräfte geht, die für die Inklusion zur Verfügung gestellt werden? Es geht hier eben nicht um die Beantwortung einer eineindeutigen Frage nach der Konnexität. Die Klage bezieht sich also nicht auf Korb I, bei dem es um die Schulträgeraufgaben der Städte und Gemeinden geht, wo die Konnexität grundsätzlich eingeräumt worden ist. Die Klage bezieht sich also auf den zweiten Korb.

Würden Sie weitergehend auch zur Kenntnis nehmen, dass es manchmal Sinn macht, sich im Detail mit solchen Fragestellungen auseinandersetzen und nicht pauschal zu behaupten, wie Sie es gerade getan haben, dass die Gemeinden davon keine Kenntnis haben? Das lehnen wir nämlich ab.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Lieber Herr Kollege Hübner! Erstens. Ja, ich bin bereit, das, was Sie gerade gesagt haben, zur Kenntnis zu nehmen.

Zweitens. Hinsichtlich des zweiten Teils Ihrer Bitte um Kenntnisnahme warten wir doch einfach einmal ab, wie sich die weiteren Beratungen im Ausschuss ergeben und wie sich vor allen Dingen der weitere Verlauf des Verfahrens der diversen Gemeinden gegen das Land Nordrhein-Westfalen darstellen wird. Vor allem werden wir natürlich abwarten müssen – das wollen wir an dieser Stelle sicherlich nicht vorwegnehmen –, wie die Entscheidung des Gerichts dazu aussehen wird. – Danke schön.

Kommen wir zum Schluss. – Wir haben genau diese Problematik, und wir haben verschiedene Dinge diesbezüglich angesprochen. Wie wir sehen, gibt es offensichtlich einen großen Diskussionsbedarf zwischen den regierungstragenden Fraktionen und der Opposition. Das ist heute deutlich zutage getreten. Deswegen kann ich nur sagen: Wir freuen uns auf die Beratungen in den jeweiligen Ausschüssen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Ich möchte gerne drei Dinge kurz noch einmal ansprechen und möglicherweise richtigstellen.

In meiner Eigenschaft als Abgeordneter will ich zu der Debatte gerade vorab aber sagen: Das Parlament hat schon qualifiziertere gehört.

Drei kurze Klarstellungen:

(Zuruf von Thomas Nückel [FDP])

– Herr Nückel, wir werden im Ausschuss die eine oder andere Grundsatzposition miteinander austauschen. Aber dass der Verschuldungsgrad der nordrhein-westfälischen Kommunen auch im Vergleich zu anderen Bundesländern höher ist, mag mit dem zu tun haben, was ich vorhin versucht habe, Ihnen aus dem Gutachten der Bertelsmann Stiftung darzulegen, das Sie in Ihrer eigenen Antragsbegründung auch herangezogen haben.

Nirgendwo in Deutschland ist die Belastung der kommunalen Haushalte durch Sozialausgaben so ausgeprägt wie in Nordrhein-Westfalen. Da mag es einen kausalen Zusammenhang geben, Herr Nückel. Dieser kausale Zusammenhang entsteht dadurch, dass einerseits der Bund, egal in welcher parteipolitischen Konstellation, in den vergangenen 30, 40 Jahren Gesetze beschlossen hat – zwölf Sozialgesetzbücher –, aber andererseits die Kommunen häufig die Leistungen daraus zu finanzieren haben.

Der Rückschluss, dass dieser hohe Verschuldungsgrad der Kommunen in Nordrhein-Westfalen vom Land allein zu finanzieren sei, ist, wenn man Ursache und Wirkung miteinander vergleicht, eigentlich abtrünnig.

(Zuruf von Ralf Nettelstroth [CDU])

Zweitens: 3 Milliarden € Anhebung des Verbundsatzes mit den Auswirkungen, dass wir 3 Milliarden € im Landeshaushalt zusätzlich zu den 22 Milliarden €, die die Kommunen erhalten, in welcher Form auch immer an sie auszuschütten haben.

Zu der Frage nach der Gegenfinanzierung nur zu sagen, wir müssten unsere Hausaufgaben machen? – Ich denke, dass in einem Parlament jeder Parlamentarier, der bei der Abstimmung über einen Haushaltsentwurf dagegen oder dafür stimmt, so viel Verantwortung im Rahmen seines Mandates mitzubringen hat, dass er die Frage, wie 3 Milliarden € in diesem Landeshaushalt zu finanzieren sind, mindestens mit einer Idee skizzieren sollte.

Drittens zur Inklusion und zur Konnexität, Herr Schulz und Herr Nückel. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Landesregierung, insbesondere Frau Kollegin Löhrmann, in sehr intensiven Gesprächen und Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden eine vertragliche Vereinbarung erzielt hat, nach der in mehrstufigen Verfahren festgestellt wird, ob die vom Land zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel – Frau Beer hat sie gerade beschrieben – ausreichend sind, ob im Rahmen einer Evaluierung möglicherweise zusätzliche Kosten zu berücksichtigen sind und ob am Ende dieser Evaluierung miteinander zu vereinbaren ist, wie es dauerhaft verankert werden kann.

Herr Schulz, ich will jetzt nicht Ihr Weltbild zerstören, aber: 52 von 396 Kommunen in Nordrhein-West-falen – also eine Minderheit – klagen gegen eine solche Vereinbarung, und es soll schon vorgekommen sein, dass Kommunen zu Unrecht geklagt und vor dem Verfassungsgerichtshof verloren haben.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: 20 %!)

Die Mehrheit trägt diese Vereinbarung. Das ist gut so. Ich glaube, dass wir am Ende des Evaluierungsprozesses zu einem konsensualen Ergebnis kommen werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Es geht um die Überweisung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2016. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es sind drei Abstimmungen, die wir jetzt vornehmen müssen.

Erstens. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/9300 sowie der Mittelfristigen Finanzplanung 2015 bis 2019 mit dem Finanzbericht 2016 des Landes Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/9301 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an die zuständigen Fachausschüsse mit der Maßgabe, dass die Beratung des Personalhaushalts einschließlich aller personalrelevanten Ansätze im Haushalts- und Finanzausschuss unter Beteiligung seines Unterausschusses Personal erfolgt.

Wer kann dem seine Zustimmung geben? – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über die Überweisung des Entwurfs des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2016 und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes Drucksache 16/9302. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/9302 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik.

Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen drittens zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/9598. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags der Fraktion der FDP an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Wer kann dem seine Zustimmung geben? – Wer kann das nicht? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

2   Verteilnetze fit für die Zukunft machen: Investitionen ermöglichen, Energiewende gestalten – Zur Novelle der Anreizregulierungsverordnung

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9582

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Sundermann das Wort.

Frank Sundermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Finanzdebatten sollte eigentlich die ganze Zeit über Geld gesprochen werden. So wollte ich anfangen, aber soweit ich es verfolgt habe, sind heute wieder mehr Allgemeinplätze verteilt worden. Insofern muss ich sagen, auch bei der Anreiznovellierungsverordnung geht es nicht um wenig Geld, sondern um viel Geld.

Bei Stromnetzen denken wir zunächst sicherlich an Hochspannungsleitungen, die die Landschaft prägen. Wir denken an den Netzausbau, hier an die neuen Trassen und an Bürgerinitiativen, die dagegen demonstrieren, und vielleicht auch an einen bayerischen Ministerpräsidenten, der hier seine speziellen Vorstellungen entwickelt.

Aber diese Netze sind heute nicht unser Thema. Wir sprechen heute über die Verteilnetze, die Stromnetze, die letztendlich den Strom zu dem Endverbraucher transportieren. Der Betrieb dieser Netze stellt logischerweise ein natürliches Monopol dar.

Um auch hier einen funktionierenden, effizienten und kostengünstigen Betrieb zu gewährleisten, soll ein wettbewerbsrechtliches System simuliert werden. Hierfür schafft die Anreizregulierung die Rahmenbedingungen. Die Wirksamkeit dieser Rahmensetzung in einem dynamischen Markt wurde von der Bundesnetzagentur im Rahmen einer Evaluierung untersucht. Auf der Basis dieser Evaluierung hat nun das Bundeswirtschaftsministerium ein Eckpunktepapier vorgelegt, in dem es Vorschläge zur Anpassung des Regulierungsrahmens darlegt.

Aus dem Blickwinkel der energiepolitischen Lage Nordrhein-Westfalens als dem Energieland Nummer eins mit ausgeprägter Stadtwerkekultur gibt es hier aus unserer Sicht einen nicht unerheblichen Nachbesserungsbedarf. Ein erster wichtiger Punkt ist hier der Zeitverzug beim Rückfluss von Investitionen. Die energiepolitische Situation hat sich extrem verändert. Die Verteilnetze waren früher nur dafür zuständig, den Strom aus zentralen Großkraftwerken zum Endverbraucher zu transportieren.

Heute muss auch verstärkt der Strom aus dezentralen Einheiten, zum Beispiel Fotovoltaikanlagen, in das Netz eingespeist werden. Auch diese Veränderungen und technischen Innovationen führen zu einem fortwährenden Investitionsbedarf. Die daraus resultierenden Anforderungen an einen schnelleren Rückfluss bzw. einen erhöhten Kapitalaufwand werden in dem vorliegenden Entwurf nicht ausreichend berücksichtigt.

Wir fordern daher die Etablierung alternativer Ansätze wie zum Beispiel das Modell der Investitionskostendifferenz. Ziel muss es hier sein, den Zeitverzug beim Rückfluss der Investition deutlich zu verringern, um so Investitionen, die für den Erfolg der Energiewende und zur Etablierung innovativer Techniken notwendig sind, zu ermöglichen.

Die Anreizregulierung soll auch die Ermittlung der Effizienz des jeweiligen Netzbetreibers regeln. Hier gibt es bisher ein Benchmarkingverfahren, das „Best-of-4“, das vier Berechnungsverfahren nebeneinanderlegt. Dieses Verfahren ist gerichtsfest und berücksichtigt aktuell am besten die individuellen Unterschiede der Netzbetreiber und auch der Netzstrukturen. Diese Anforderung erfüllt die jetzt vorgesehene Festlegung eines Durchschnittswertes aus unserer Sicht nicht. Alternative Berechnungsverfahren sollten daher entwickelt werden.

Ziel muss es hier sein, ein gemeinsam mit den Bundesländern entwickeltes, akzeptiertes und gerichtsfestes Berechnungsverfahren zu entwickeln.

Wie man vielleicht schon aus meinen Ausführungen entnehmen kann, sind diese Berechnungsverfahren und das gesamte Prozedere extrem komplex. Der Gesetzgeber hat daher für kleine Netzanbieter ein vereinfachtes Verfahren etabliert. Die Schwellenwerte, unter die man bei diesem Verfahren fällt, sollen nun deutlich verringert werden.

Hier ist aus unserer Sicht zu prüfen, welcher bürokratische Mehraufwand hier beim Land und bei den vor allem kleinen Netzbetreibern zu erwarten ist. Sinnvoll erscheint uns diese Maßnahme nur dann, wenn am Ende der Verbraucher davon profitiert.

Bei den Netzen, meine Damen und Herren, handelt es sich, wie bereits ausgeführt, um natürliche Monopole. Man konnte also bei der Einführung der Anreizregulierung davon ausgehen, dass sogenannte Monopolrenditen in den Kosten vorhanden sind. Zu ihrer Abschmelzung wurde ein sektoraler Produktivitätsfaktor eingeführt, der in einem festgeschriebenen Prozentsatz Effektivitätssteigerung festschreibt. Hier ist aus unserer Sicht zu prüfen, ob und, wenn ja, in welcher Höhe er weiter notwendig ist.

Mit diesem Antrag und den in ihm vorgelegten Anregungen und Forderungen an den Bundesgesetzgeber wollen wir aus NRW-Sicht auf wichtige Anpassungen hinweisen. Wir finden hier die Unterstützung in der kommunalen Familie und auch in vielen anderen Bundesländern. Wir hoffen als NRW hier ähnlich erfolgreich zu sein, wie es bei der Novelle des KVK-Gesetzes der Fall war. Ziel dieses gemeinsamen Antrages von SPD, Grünen und auch der CDU muss es sein, dass auch die Novelle der Anreizregulierung ihren Beitrag leistet, dass die Energieerzeugung sauberer wird, sicher und bezahlbar bleibt. – In diesem Sinne Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: In diesem Sinne vielen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Hovenjürgen das Wort.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bedeutung der Energiewende und die damit verbundenen Herausforderungen sind schon häufig bei Reden in diesem Hause hervorgehoben worden. Gerade für unser Bundesland Nordrhein-Westfalen als Energieland Nummer eins ist es deswegen wichtig, dass wir uns den Herausforderungen stellen, Lösungsansätze entwickeln und schnellstmöglich damit beginnen, sie umzusetzen.

Die Energieerzeugung wird zunehmend dezentraler. Viele Bürgerinnen und Bürger produzieren ihren eigenen Strom, den sie dann in die vorhandenen Netze einspeisen. Dies erfordert ein modernes, flexibleres Netzmanagement. Der Strom muss nicht nur über große Stromtrassen vom Norden in den Süden weitergeleitet werden, er muss auch flexiblen Ansprüchen, neuen intelligenten technischen Entwicklungen folgen können.

Wir brauchen somit nicht nur neue Stromautobahnen, sondern moderne Verteilnetze, sozusagen zukunftsfähige Landes- und Kreisstraßen für den Strom. Keine Sorge, ich nehme es an dieser Stelle nicht zum Anlass, um über die verheerende Verkehrssituation in diesem Land zu reden, aber die Ansprüche an die Investitionsvolumina sind ähnlich. Deswegen, meine Damen und Herren, ist hier dringendes Handeln notwendig.

Laut dena-Verteilnetzstudie müssen 27,5 Milliarden € in den Netzausbau investiert werden, wenn es gelingt, den notwendigen Umbau der Verteilnetze konsequent mit der intelligenten Technik und angepasst an die Erfordernisse vor Ort, wie beispielsweise regelbare Ortsnetztransformatoren und entsprechend IKT zu gestalten, sind nach Berechnungen des VKU immer noch 14 Milliarden € notwendig.

Diese Investitionen werden jedoch bisher nur durch die Vorlage aus dem Bundeswirtschaftsministerium nicht sichergestellt. Wir müssen mehr Anreize schaffen, um in die Zukunft unserer Netze zu investieren. Zwar setzt das gegenwärtige Regulierungssystem starke Anreize für die Effizienzsteigerung, es berücksichtigt dabei allerdings nicht die dynamische Entwicklung und bildet vor allem Investitionen im Verteilnetzbereich nicht ausreichend ab.

Um den Ausbau der Verteilnetze zu beschleunigen, ist es erstens für die Energieversorger notwendig, dass die Überprüfung der „Best-of-4“-Rechnung ergebnisoffen gestaltet bleiben muss. Zweitens: keine Absenkung der Schwellenwerte, da diese für viele Versorger Schwierigkeiten bringen würden. Drittens: Da nach wie vor ein hoher finanzieller Bedarf besteht, um die Verteilnetze fit für die Zukunft zu machen, wären Anreize notwendig, um diesen hohen finanziellen Bedarf bereitzustellen.

Wir fordern die Landesregierung auf, ihre internen Streitigkeiten beiseitezulegen und in Berlin gemeinsam für NRW aufzutreten. Denn wie auch schon beim KWK-Gesetz – Herr Sundermann erwähnte es – hat das Parlament durch einen gemeinsamen Antrag gewollt, dass die Landesregierung hier mit voller Kraft bzw. mit vollem Engagement NRW-Interessen vertritt.

Dies muss endlich auch in die Tat umgesetzt werden. Die Ergebnisse müssen sich im Handeln der Landesregierung widerspiegeln. Dieser Antrag soll ein Beitrag dazu sein und eine Ermutigung an die Landesregierung. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hovenjürgen. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Glück haben meine beiden Vorredner schon erklärt, worum es sich handelt. Es geht um Energiepolitik. Sonst wäre bei der Anreizregulierungsverordnung vielleicht noch die Frage aufgekommen, ob es sich dabei um eine neue kuriose Vorgabe des Präsidiums dafür handelt, ob wir Damen des Hauses uns wirklich züchtig genug kleiden.

(Heiterkeit von den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Vizepräsident Oliver Keymis: Das wäre mal eine Idee.

Wibke Brems (GRÜNE): Ich wollte hier niemanden auf falsche Ideen bringen. – Ganz im Ernst: Die Strom- und Gasnetze stehen vor neuen Herausforderungen; das ist besonders stark beim Stromnetz der Fall. Wir haben eben schon gehört: Auf Bundesebene haben wir es mit der Anreizregulierungsverordnung zu tun, die auch die Länder betrifft. Ich möchte an der einen oder anderen Stelle noch ein plastisches Beispiel dafür bringen.

Mein Vorredner Herr Sundermann hat eben schon ganz ausführlich darauf hingewiesen, dass es aktuell sehr, sehr lange dauert, bis Investitionen der Netzbetreiber in Netze ausgeglichen werden.

In den letzten Jahren wurden gerade die Verteilnetze vor Ort durch den Ausbau der erneuerbaren Energien vor neue Herausforderungen gestellt. Herr Hovenjürgen hat eben schon das Beispiel „Straße“ genannt. Ich greife das gerne auf. Im Grunde genommen kann man sagen: Zum Ende einer langen Straße, wo vielleicht noch ein Bauernhaus steht, führte bisher so etwas wie eine Einbahnstraße. Der Strom der großen Kraftwerke ging immer weiter verästelt bis zum letzten Haus.

Jetzt kommen auf einmal die Leute am Ende solcher Einbahnstraßen auf die Idee, eine Fotovoltaikanlage oder eine Windkraftanlage aufzustellen, und sie wollen die Einbahnstraße in beide Richtungen nutzen. Das sorgt dafür, dass man die Stromeinbahnstraßen ausbauen muss. Diese Investitionen stellen gerade kleine Unternehmen vor Ort vor sehr große Herausforderungen. Sie müssen dafür sorgen, dass sie das benötigte Kapital wirklich bekommen. Das stellt sie teilweise vor Probleme, weil es einen großen zeitlichen Verzug gibt.

Ein weiteres Problem stellen die intelligenten Netze dar. Das Thema an sich ist nicht das Problem, sondern der Punkt ist, wie nach dem aktuellen Entwurf damit umgegangen würde. Wir brauchen intelligente Netze, um die Erzeugung und den Verbrauch erneuerbarer Energien etwas besser miteinander verzahnen zu können. Denn auf einmal haben wir es mit erneuerbaren Energien zu tun, die nicht immer zur Verfügung stehen, so wir es bisher vom Strom gewohnt waren.

Es gibt viele Verbrauchsmöglichkeiten, viele elektrische Verbraucher, die wir zeitlich vielleicht ein bisschen mehr dahin schieben können, wo viel erneuerbarer Strom zur Verfügung steht. Dafür brauchen wir Intelligenz: intelligente Netze, intelligente Zähler und intelligente Technik auch in den Häusern.

Bei diesen intelligenten Netzen machen sich viele Stadtwerke, viele kommunale Unternehmen auf den Weg. Sie wollen Vorreiter sein und damit die Energiewende vor Ort voranbringen. Dann haben Sie aber auf einmal das Problem, die zusätzlichen Investitionen nicht zurückerstattet zu bekommen, weil die Novelle das immer noch als ineffizienten Einsatz von Mitteln wertet. Das ist ein Problem und birgt erschwerte Bedingungen gerade für die Unternehmen und Stadtwerke, die besonders innovativ sein wollen.

Auf viele andere Aspekte sind meine Vorredner schon eingegangen: auf Effizienzermittlung, auf vereinfachte Verfahren, die gerade für kleinere Unternehmen alles schwieriger machen würden, wenn die Veränderungen aus der Novelle umgesetzt würden. Deswegen bin ich froh, dass wir uns gemeinsam in diese Richtung auf den Weg machen und weitere Änderungen vorschlagen.

Auch bei einem auf den ersten Blick so trockenen Thema wie der Anreizregulierungsverordnung geht es um viel: Es geht um die Energiewende. Es geht um viel für die Netzbetreiber, gerade für lokale und kommunale Betriebe; zum Teil geht es vielleicht sogar um deren Existenz. Es geht um viel auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die über die Netzentgelte letztendlich die Kosten zu tragen haben.

Lieber Herr Hovenjürgen ... Jetzt ist er schon gegangen. Er hat eben gesagt: Wir fordern die Landesregierung auf, die Streitigkeiten zu beseitigen.

Erstens. Davon steht im Antrag nichts.

Zweitens. Ich sehe an dieser Stelle nun wirklich gar keine Streitigkeiten. Wir sind uns in diesem Punkt sehr einig und gehen in eine gemeinsame Richtung. Dass es um viel geht und wir für die Energiewende, für die kommunalen Unternehmen und für die Verbraucherinnen und Verbraucher die richtigen Weichen gestellt sehen wollen, zeigen wir mit unserem gemeinsamen starken Signal an die Bundesregierung. – Dafür ganz herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Brockes.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben bereits ausgeführt: Die schwarz-rote Bundesregierung novelliert derzeit die Anreizregulierungsverordnung. Verteilnetze haben für die Energiewende und im zukünftigen Stromsystem eine ganz zentrale Rolle. Netzbetreiber werden vor ganz neue Aufgaben gestellt. Am 16. März dieses Jahres hat Bundeswirtschaftsminister Gabriel hierzu Eckpunkte vorgelegt.

Ziel der Novelle muss es sein, die Netze zukunftsfit zu machen, zum Beispiel durch intelligente Netze und intelligente Messsysteme. Schließlich sind in den kommenden Jahren für den Netzaus- und -umbau allein im Verteilnetzbereich Investitionen in Höhe von 30 Milliarden € notwendig. Es ist Aufgabe der Politik, zügig die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

An dieser Stelle, so meinen wohl SPD, Grüne und CDU, käme der vorliegende Antrag ins Spiel. Das sehen wir als Freie Demokraten, ehrlich gesagt, etwas anders. Ich gebe zu, der Antrag ist gut recherchiert. Dafür wurden Sie wahrscheinlich von dem einen oder anderen Akteur im Vorfeld intensiv beraten.

So sehen auch wir in der Abschaffung und Ersetzung des „Best-of-4“-Verfahrens durch einen Mittelwert keine akzeptable Lösung. Die Netzstrukturen in Deutschland sind schließlich historisch gewachsen und im europäischen Vergleich äußerst vielfältig.

Auch ist es richtig, dass die Weiterentwicklung der Anreizregulierung dazu führen muss, dass sich Netzbetreiber künftig schneller refinanzieren können. Investitionen sollten ohne Zeitversatz und mit möglichst geringem regulatorischen Aufwand in den kalenderjährlichen Erlösobergrenzen berücksichtigt werden können.

Kurz gesagt: Die Ausgangslage und die Knackpunkte der Novelle werden ordentlich beschrieben.

Aber, meine Damen und Herren, das war es dann auch schon; denn konkrete Lösungen und Positionsbestimmungen sind in den Konsensformulierungen dieser ganz großen Koalition aus SPD, Grünen und CDU überhaupt nicht mehr zu finden.

Man muss sich ernsthaft fragen: Wozu eigentlich dieser Antrag? Wofür stehen Rot, Grün und CDU in Nordrhein-Westfalen, wenn sie sich alleine darauf einigen können, der Landesregierung Prüfaufträge zu erteilen? Sie begnügen sich zu allem Überfluss mit der Formulierung, die Landesregierung solle die Auffassung des Landtages berücksichtigen.

Meine Damen und Herren, das ist mir als vom Volk gewähltem Abgeordneten an dieser Stelle entschieden zu wenig. Wie stehen Sie zum Beispiel zu den Abrechnungsentgelten? Diese müssen nämlich gestrichen werden und die Verbraucher entlastet werden. Dazu findet sich in dem Antrag nichts. Bei Schwarz, Rot und Grün denkt offensichtlich niemand an die Stromverbraucher, die diese Kosten nämlich zu schultern haben und sie bezahlen müssen.

Ein weiteres Beispiel: Wie stehen Sie nun ganz konkret zum vereinfachten Verfahren? Da drucksen Sie in Ihrem Antrag bloß herum.

Für uns Freie Demokraten ist dagegen klar: Der von der EU angestoßene Liberalisierungsprozess ist konsequent weiterzuführen. Es muss sichergestellt werden, dass Investitionen nur dann getätigt werden, wenn sie effizient sind; denn das ist angesichts der jährlichen Gesamtkosten für Netzentgelte von rund 20 Milliarden € im Interesse der Stromkunden zwingend.

Das vereinfachte Verfahren hat hier weiter seine Berechtigung und kann im Grundsatz erhalten werden, weil kleine, aber hocheffiziente Verteilnetzbetreiber nicht alleine wegen des durch die Regulierung aufgebürdeten bürokratischen Aufwandes aus dem Markt gedrängt werden dürfen. Entscheidend ist, meine Damen und Herren, dass der Netzbetrieb effizient ist.

Es kann auch nicht angehen, dass ein vereinfachtes Verfahren weiterhin für rund 80 % der Verteilnetzbetreiber den Effizienzwert pauschal ansetzt. Das widerspricht nämlich fundamental den Zielen der Anreizregulierung, Wettbewerb zu schaffen.

Alles in allem halten wir den Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums zur Begrenzung des vereinfachten Verfahrens daher für richtig.

Dann möchte ich noch eine Bemerkung an die Kolleginnen und Kollegen der CDU richten.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Mach das, Dietmar!)

Lieber Kollege Hovenjürgen, die rot-grüne Landesregierung verfolgt spätestens seit 2013 im Bundesrat eine ganz klare Linie bei der Regulierungsnovelle. Daran ändern Sie mit diesem wenig ambitionierten Antrag, ehrlich gesagt, überhaupt nichts. Vielmehr lassen Sie dieser Landesregierung einen Blankoscheck für ihre bisherige verbraucherfeindliche Politik zukommen. Das geht zulasten der Menschen in Nordrhein-Westfalen. Einen solchen Weg kann die FDP nicht unterstützen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Brockes. – Für die Piratenfraktion hat nun Herr Kollege Rohwedder das Wort.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir befassen uns heute mit einem gemeinsamen Antrag der regierungstragenden Fraktionen und der größten Oppositionsfraktion im Zusammenhang mit der Energiewende. Das ist zunächst einmal verdächtig. Ein anderer Antrag von denselben Fraktionen zu Wärme- und Kältespeicherung, den wir hier vor einigen Monaten behandelt haben, war aber ja zielführend und überwiegend richtig.

Ich fasse den vorliegenden Antrag einmal zusammen: Da die Energiewende überwiegend dezentral stattfindet, ist vor allem ein Aus- und Umbau der Verteilnetze erforderlich. Es gibt einen Trend hin zur Rekommunalisierung der Verteilnetze, was zu vielen kleinen kommunalen Netzbetrieben geführt hat.

Da es sich bei Netzen um natürliche Monopole handelt, reguliert der Bundesgesetzgeber die Netzentgelte über die Anreizregulierungsverordnung. Dazu wird im Bundesrat derzeit eine Novelle zur Abstimmung vorgelegt. Da kommt Nordrhein-Westfalen als Energieland Nummer eins mit dichter Siedlungsstruktur mit ins Spiel.

Die Ermöglichung von Investitionen in die Verteilnetzstruktur ist besonders wichtig. Durch die derzeitige Ausgestaltung des Anreizregimes sowie durch die Novelle finden zusätzliche Investitionen in intelligente Lösungen keine Berücksichtigung. Außerdem werden durch die Novelle die Effizienzanforderungen verschärft. Das vereinfachte Verfahren soll für wesentlich weniger Unternehmen gelten, was mit einem höheren bürokratischen Aufwand einhergeht.

Im Antrag wird also gefordert, die Landesregierung solle die verschiedenen Ansätze der Anreizregulierung und der Novelle prüfen und sich basierend auf den Ergebnissen für den zügigen Um- und Ausbau der Verteilnetze einsetzen sowie den Aufwand der verschiedenen Ansätze, der Rechenverfahren prüfen und das dann auch mit den Interessen der Endabnehmer, der Verbraucher, ins Verhältnis setzen.

Wie in dem Antrag richtig dargestellt, spielt der Um- und Ausbau der Verteilnetze zu intelligenten Netzen eine wichtige Rolle für die Energiewende. Da Investitionen in intelligente Lösungen bei der Novelle der Anreizregulierung nicht gesondert berücksichtigt werden und die Novelle insgesamt zu einer Verschärfung der Effizienzanforderungen führt, ist zu erwarten, dass für den nachhaltigen Um- und Ausbau die Finanzierung fehlen wird. Diese Befürchtung wurde auch in einem Brief der Stadtwerke Bochum an den Landtag zum Ausdruck gebracht.

Auf der anderen Seite wird der Netzausbau als Feuerprobe der Energiewende angesehen, da hier die größten Kosten entstehen. Die derzeit vorgelegte Novelle dient somit zu Recht der Effizienzsteigerung und geht gegen Mitnahmeeffekte vor, die in der Vergangenheit üblich waren, zum Beispiel durch das vereinfachte Verfahren.

Zusätzlich ist die Behauptung im Antrag, dass die Anreizregulierung gerade für Nordrhein-Westfalen als Energieland Nummer eins in Deutschland besonders wichtig ist, sehr gewagt; denn Nordrhein-Westfalen hinkt in Sachen Energiewende stark hinter anderen Bundesländern her. Ich habe schon mehrfach hier im Plenum angemerkt, dass wir als Energieland Nummer eins gleichzeitig bei der Energiewende Träger der roten Achterlaterne sind.

Insofern können Netzbetreiber in Nordrhein-Westfalen besonders von etwaigen Mitnahmeeffekten und Ineffizienzen profitieren – zum Nachteil der Verbraucher, die bei nicht berichtigten Fehlentwicklungen im Prozess der Energiewende dann bezahlen müssen.

Neben der Weiterentwicklung der Anreizregulierungsverordnung sind außerdem eine Überarbeitung des Systems der Netzentgelte, eine Reform des Marktdesigns und der Aufbau eines Energieinformationssystems dringend erforderlich.

Der Beschlussteil des Antrages ist so geschickt formuliert, dass man dagegen kaum etwas einwenden kann. Insbesondere ist zu prüfen, ob verschärfte Effizienzvorgaben von kleineren Netzbetrieben in Nordrhein-Westfalen überhaupt erfüllt werden können.

Der Um- und Ausbau der Verteilnetze mit effizienten, intelligenten und nachhaltigen Lösungen ist auf jeden Fall wünschenswert. Dahin gehend hat die vorgelegte Novelle Nachbesserungsbedarf, da daraus resultierende Mehrinvestitionen nicht gesondert berücksichtigt werden.

Ineffizienzen und Mitnahmeeffekte schaden der Energiewende heftig. Sie werden in der Propaganda gegen die Energiewende eingesetzt und instrumentalisiert, können diese sogar scheitern lassen und sind unbedingt zu vermeiden, auch wenn das für manche Netzbetreiber in Nordrhein-Westfalen zu einer Verschlechterung der Situation führt.

Daher empfehle ich insgesamt Zustimmung zu diesem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rohwedder. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, diese Debatte hat bisher schon deutlich gemacht: Wir haben es hier mit einem Thema zu tun, das schwere Kost ist. Trotzdem ist es von extrem großer Bedeutung. Deswegen ist es auch richtig, das hier so intensiv zu debattieren.

Um das, was zum Teil schon gesagt ist, noch einmal aufzugreifen: Die Fachleute wissen: Seit 2009 werden die Entgelte für die Nutzung der Strom- und Gasnetze im Wege der Anreizregulierung bestimmt. Dafür gibt es eine entsprechende Verordnung. Diese hat das Ziel, den Netzbetreibern ein klares Ziel, einen klaren Anreiz für eine effiziente Leistungserbringung zu setzen.

Nun haben wir ein paar Jahre Praxiserfahrung. Die Bundesnetzagentur hat deswegen im letzten Jahr eine Evaluierung vorgenommen. Der Anlass dafür war auch eine ganze Reihe von Hinweisen aus der Branche, das gegenwärtige System werde den Aufgaben eben nicht gerecht, die mit der Energiewende auf die Netzbetreiber zukommen. Dass wir mehr Dezentralität haben, mehr Volatilität – das ist in den vorhergegangenen Beiträgen schon ausreichend geschildert worden.

Wir haben jetzt die Vorschläge aus dem BMWi, die in der Tat auf Veränderungen bei Investitionsbedingungen, bei Effizienzanreizen, aber auch bei den behördlichen Verfahren zielen. Da haben wir festgestellt, dass das in der Fachwelt doch für ein sehr unterschiedliches Echo gesorgt hat. Deswegen befinden wir uns so intensiven Diskussionen.

Der jetzt vorliegende Antrag von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen, der, wie wir gerade gehört haben, auch von den Piraten mit unterstützt wird, greift einige dieser Themen auf. Ich will nur auf ein paar Punkte kurz eingehen:

Erstens. Die zeitnahe Refinanzierung von Investitionen in die Netzinfrastruktur ist das zentrale Anliegen der aktuellen Überlegungen. Den Verteilnetzbetreibern steht hierfür in erster Linie der sogenannte Erweiterungsfaktor zur Verfügung, ein allerdings recht zielungenaues Instrument, das überdies die Refinanzierung nur mit einem gewissen Zeitverzug zulässt. Das BMWi will gleichwohl hieran festhalten, ihn aber zielgenauer ausgestalten. Die Länder haben mit einem jährlichen Kapitalkostenabgleich eine einfache und transparente Lösung vorgeschlagen, die auch den beschriebenen Zeitverzug behebt.

In jedem Fall hat die Wirtschaftsministerkonferenz schon im Juni einstimmig die Forderung an die Bundesregierung gerichtet, das gegenwärtige System zur Berücksichtigung von Investitionskosten durch einen kapitalorientierten Mechanismus zu ersetzen. Ich freue mich, dass diese Bemühungen durch den vorliegenden Antrag noch einmal Unterstützung finden.

Zweitens. Der Effizienzvergleich der Netzbetreiber – auch der ist hier angesprochen worden –, den die BNetzA alle fünf Jahre vor Beginn einer neuen Regulierungsperiode vornimmt, basiert derzeit auf zwei Methoden. Das „Best-of-4“-Prinzip ist ja ebenfalls schon in der Debatte eingeführt worden. Das BMWi geht nun davon aus, dass der Effizienzvergleich nach zwei Durchläufen so robust sei, dass künftig aus den vier Effizienzwerten ein Durchschnittseffizienzwert gebildet werden soll.

In Übereinstimmung mit dem hier vorliegenden Antrag plädiert die Landesregierung dafür, zunächst an der „Best-of-4“-Methode festzuhalten, bis eine Methodik entwickelt ist, die eine verlässliche Ermittlung der Effizienzwerte garantiert.

Einen dritten Punkt will ich gerne aufgreifen, der ebenfalls nach wie vor zur schweren Kost gehört: Das ist der sogenannte sektorale Produktivitätsfaktor. Was heißt das? Dort ist den Netzbetreibern aufgegeben, jährlich um einen vordefinierten Prozentsatz jeweils effizienter zu werden, was sicherlich zur Abschmelzung von ehemals bestehenden Monopolrenditen auch richtig war. Nach Abschluss von zwei Regulierungsperioden sollte dieser Prozess jedoch abgeschlossen sein. Aus Sicht der Landesregierung ist die Beibehaltung eines generellen entsprechenden Produktivitätsfaktors nicht weiter erforderlich.

Meine Damen und Herren, schon diese wenigen Punkte haben sicherlich deutlich werden lassen, um was für eine in Teilen auch komplizierte und für Außenstehende sicherlich schwer zu durchschauende Materie es sich hier handelt. Umso wichtiger ist es aus meiner Sicht, dass der Landtag auch solche Themen aufgreift, die sich hier zu fraktionsübergreifenden Positionen entwickeln. Die Landesregierung – Herr Hovenjürgen, einig wie immer – unterstützt daher den vorliegenden Antrag uneingeschränkt.

Die Fortentwicklung der Anreizregulierung …

(Heiterkeit von Josef Hovenjürgen [CDU] – Beifall von der SPD)

– Bei diesem Thema Zwischenapplaus zu bekommen, ist bemerkenswert; das muss man erst einmal hinkriegen.

(Heiterkeit)

Die Fortentwicklung der Anreizregulierung muss es einerseits den Netzbetreibern ermöglichen, die Aufgaben der Energiewende zu bewältigen; andererseits darf das Ziel des effizienten Netzbetriebs nicht aus den Augen verloren werden – und das, Herr Brockes, ausdrücklich im Dienste der Letztverbraucherinnen und -verbraucher, die den Betrieb der Strom- und Gasnetze am Ende bezahlen müssen. Genau deswegen ergreifen hier so viele Fraktionen diese Initiative, weil sie die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick haben und nicht so tun, wie Sie es getan haben, als ob das hier überhaupt keine Rolle spielt. Das Gegenteil ist richtig. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Damit liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD, CDU und Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt dem Antrag Drucksache 16/9582 zu? – SPD, Grüne und CDU, was zu erwarten war, und dazu die Piratenfraktion. Wer stimmt dagegen? – Die FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Bei Gegenstimmen der FDP ist dieser Antrag mit breiter Mehrheit vom Landtag Nordrhein-Westfalen angenommen.

Ich rufe auf:

3   Landesregierung muss Breitbandförderfonds für flächendeckendes schnelles Internet in allen Kommunen auflegen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9596

In Verbindung mit:

Ohne Glasfaser-Strategie verhindert die Landesregierung den Sprung in die Gigabit-Gesellschaft

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9591

Die Aussprache ist eröffnet. Als Erster hat für die FDP-Fraktion Herr Kollege Bombis das Wort.

Ralph Bombis (FDP): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Der Ausbau flächendeckender Hochgeschwindigkeitsnetze ist prioritär für Deutschlands Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit. Das hat zuletzt noch einmal der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie betont. Dazu passt thematisch, dass im Mai der EU-Digitalkommissar den Entwurf einer Strategie für den digitalen Binnenmarkt vorgestellt hat, der sich aktuell im Trilogverfahren befindet.

Diese beiden Punkte hängen eng miteinander zusammen. In der Tat: Die Schaffung eines digitalen Binnenmarktes ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Europa von der digitalen Entwicklung im Vergleich insbesondere zu den USA, aber auch zu anderen Weltregionen, nicht weiter abgekoppelt wird.

Das Fundament für einen digitalen Binnenmarkt sind flächendeckende Breitbandzugänge für alle Bürgerinnen und Bürger sowie für alle Betriebe. Ein Binnenmarkt kann nicht funktionieren, wenn Teile Europas auf Autobahnen und andere Teile auf Schotterpisten unterwegs sind.

Leider ist es so, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen noch viel zu oft auf Schotterpisten unterwegs sind – gerade im ländlichen Raum. Die von der NRW.BANK in Auftrag gegebene MICUS-Studie habe ich schon verschiedentlich zitiert. Sie weist aus, dass in 393 von 396 Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen noch kein ausreichender Zugang zum Hochgeschwindigkeitsnetz existiert. Hier besteht noch großer Handlungsbedarf.

Die Landesregierung bleibt beim Thema „Breitband“ leider nach wie vor sehr zaghaft. Wir erinnern uns nur kurz daran – auch das haben wir verschiedentlich besprochen –, dass es die Landesregierung bei den EFRE-Mitteln versäumt hat, eine Prioritätsachse „Breitband“ ins operationelle Programm aufzunehmen. Wir erinnern uns daran, dass zum Schluss wenigstens noch geringe Fördermittel aus anderen EFRE-Bereichen für bestehende Gewerbegebiete erschlossen worden sind und dass der Versuch gemacht worden ist, hier noch Zugänge zu finden.

Dieser Punkt missachtet jedoch, dass unsere existierenden mittelständischen Betriebe, die Hidden Champions und andere mittelständischen Strukturen, häufig in gewachsenen Regionen angesiedelt sind, die nicht ohne Weiteres in andere Gewerbegebiete umziehen können.

Deswegen laufen wir Gefahr, bei dieser Entwicklung zu Industrie 4.0, zu Handwerk 4.0, zu Wirtschaft 4.0 abgehängt zu werden, genauso wie viele Bürgerinnen und Bürger Gefahr laufen, für die gesellschaftliche Teilhabe der Zukunft abgehängt zu werden.

(Beifall von der FDP und Marc Olejak [PIRATEN])

Die Digitalisierung – das wurde auch in den Wortmeldungen der Landesregierung immer wieder betont –, der Ausbau der digitalen Infrastrukturen, ist das Megathema unserer Zeit. Da mutet es schon etwas merkwürdig an, dass auf der einen Seite gerade eben ein Ökosubventionsprogramm dieser Landesregierung in Höhe von 800 Millionen € vorgestellt worden ist, dass sich auf der anderen Seite die Landesregierung aber nicht in der Lage gesehen hat, die von CDU, den Piraten und der FDP vorgeschlagenen 10 % der EFRE-Mittel wenigstens für die Förderung des flächendeckenden Breitbandausbaus zur Verfügung zu stellen. Hier werden Prioritäten unverhältnismäßig gesetzt.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN – Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

Dass jetzt aufgrund der verfügbar gewordenen Mittel aus der Frequenzversteigerung die Möglichkeit besteht, wenigstens noch eine Perspektive aufzumachen, ist ein Glücksfall für diese Landesregierung. Uns stehen 133 Millionen € als FDP-Anteil – Entschuldigung, als NRW-Anteil aus dieser Frequenzversteigerung zur Verfügung.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: „FDP-Anteil“ ist cool, ja!)

Bund und Länder haben sich geeinigt, dass auch der Bund einen Teil der Erlöse zum Breitbandausbau zur Verfügung stellt – das muss sicherlich so sein –, und zwar noch einmal mindestens in der gleichen Größenordnung.

Damit aber hier nicht genauso fahrlässig mit den Mitteln umgegangen wird wie zum Beispiel beim Straßenbau, sagen wir ganz klar, dass drittens ein wesentlicher Teil der EFRE-Mittel aus der Prioritätsachse 4 nutzbar gemacht werden muss; denn eine nachhaltige Stadt- und Quartiersentwicklung – das wird niemand abstreiten – ist vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Teilhabe natürlich auch unmittelbar in Verbindung mit einem flächendeckenden Breitbandausbau zu sehen. Hier muss die Landesregierung tätig werden.

Wir als FDP schlagen vor, einen Fonds aufzusetzen, der diese Mittel bündelt, der die Möglichkeit gibt, den Kommunen da, wo es nötig ist, Unterstützung zuteilwerden zu lassen, und der, wenn es der Markt nicht regeln kann, sicherstellt, dass alle Bürgerinnen und Bürger sowie alle Unternehmen in den Genuss dieses flächendeckenden Breitbands kommen. Das wäre mal ein wichtiger Schritt in Richtung eines Engagements der Landesregierung bei Breitbandausbau und Digitalisierung: einen Fonds in einem Umfang von 500 Millionen € aufzustellen.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Warum nicht gleich 5 Milliarden?)

Wenn man berücksichtigt, dass die Telekom laut eigenen Studien feststellt, dass 400 Millionen € aus Hessen zur Verfügung gestellt werden, dass 600 Millionen € aus Niedersachsen zur Verfügung gestellt werden,

(Rainer Schmeltzer [SPD] und Alexander Vogt [SPD]: Bayern! Bayern! Bayern!)

dass aus Bayern sogar 1,5 Milliarden € für den flächendeckenden Breitbandausbau zur Verfügung gestellt werden, …

(Rainer Schmeltzer [SPD]: 2 Milliarden € waren das, Herr Bombis! 2 Milliarden!)

– Ich beziehe mich auf einen „FAZ“-Artikel vom 27. August.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Und was hat das mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz zu tun? – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das kommt gleich!)

– Es mag Sie stören. Ich beziehe mich auf einen „FAZ“-Artikel vom 27. August.

… dann sollte es einem so großen Land wie Nordrhein-Westfalen möglich sein, einen solchen Breitbandfonds in Höhe von 500 Millionen € aufzulegen, um sicherzustellen, dass die Mittel hier nicht zweckentfremdet werden.

Ich würde mich freuen, wenn Sie unserer Initiative hier folgen können. Wir müssen die Kräfte bündeln, um hier endlich voranzukommen, meine Damen und Herren. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bombis. – Nun spricht für die Piratenfraktion zu dem Antrag, der von ihr eingebracht wurde, Herr Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und am Stream! Wir hören in der Debatte permanent das Argument von der Technologieneutralität. Technologieneutral müsse Förderung sein, heißt es – zum Beispiel letzte Woche hier bei uns im Landtag im Wirtschaftsausschuss.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Zur Technologieneutralität: Wenn Sie dem Landwirt das Futter für die Ochsen subventionieren, die er vor den Pflug spannt, ist das technologieneutral.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nicht mehr zeitgemäß!)

Auch sein Ochsengespann erfüllt am Ende die vorgesehene Aufgabe. Damit kann man das Feld umpflügen. Aber ist das sinnvoll? Sollte es in diesem Beispiel für eine Förderung nicht eher um Traktoren gehen? Das wäre zeitgemäß, Herr Hovenjürgen.

Förderung sollte nicht technologieneutral sein, sondern technologiepositiv. Denn es geht nicht darum, etwas zu fördern, was das Ziel gerade so erreicht, sondern um die nachhaltige Erfüllung eines Auftrags, um eine Zukunftsvision.

(Zuruf von der CDU)

Das stellt aber das Koaxialkupferkabel, eine Technologie aus den 90er-Jahren, nicht dar. Uns steht der Sprung in die Gigabitgesellschaft bevor. Der Bedarf an Bandbreite wächst exponentiell. Derzeit kann man etwa alle zwölf Monate eine Verdopplung des Bedarfs beobachten. Das ist eine Exponentialfunktion, die dramatisch wächst und wächst.

(Zuruf von den GRÜNEN)

– Schön, dass Sie auch rechnen können. – Im ersten Jahr gibt es eine Verdopplung, im zweiten eine Vervierfachung. Es folgen die Zahlen 8, 16, 32, 64, 128. Wie geht es weiter?

(Zuruf von den PIRATEN: 256!)

– 256, sehr gut. – Und so weiter.

Eine ähnliche Wachstumskurve gibt es zum Beispiel bei Prozessorleistungen, das sogenannte Moore‘sche Gesetz. Es besagt, dass sich diese Leistung etwa alle 18 Monate verdoppelt. Diese Beobachtung kann man seit 40 Jahren machen. Gehen Sie also besser nicht davon aus, dass dieses dramatische Wachstum bei den Bandbreiten nicht ebenfalls anhält. Denn an den Gesetzmäßigkeiten von Exponentialfunktionen führt kein Weg vorbei.

Was also stellt ein Ausbauziel von 50 MBit/s dar? Gehen wir von einem Ausbaustand von 4 MBit/s aus. Was bedeutet dieses Ziel? 4, 8, 16, 32, 64: Nach vier Jahren reicht es also absehbar nicht mehr aus. Was macht es also für einen Sinn, die Fördermittel der nächsten Jahre in eine Technologie zu stecken, die das Förderende nicht mal überlebt, zum Beispiel in VDSL-Vectoring? Dann stehen wir 2020 wieder genau da, wo wir jetzt sind.

So leid mir das tut – nur Glasfaser ist diejenige Technologie, die derzeit diese Zukunftsvision erfüllt. Wenn wir eine bessere finden, müssen wir diese fördern. So lange brauchen wir eine Glasfaserstrategie, die zum Ziel hat, Glasfaser bis in jedes Haus, bis in jedes Unternehmen zu legen.

In Deutschland ist Schleswig-Holstein – ich habe es heute Morgen in meiner Haushaltsrede schon mal gesagt – mit einer Anschlussquote von 23 % Glasfaservorbild. Wir in NRW haben aktuell 7 %. Für Einzellagen bieten sich Funklösungen an.

Vectoring ist das Ausquetschen des letzten Bits aus einem Kupferkabel. Es ist nur eine Brückentechnologie,

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

und das kann der Markt leisten. Es macht keinen Sinn, dass wir das Geld dem Monopolisten, der Telekom, hinterherwerfen, damit die sich „gnädigerweise“ herablässt, die Infrastruktur auszubauen. Wenn öffentliche Mittel in diesen Summen in die Hand genommen werden, gehört das Ergebnis – das damit geschaffene Netz, die damit geschaffenen langfristigen Infrastrukturwerte – in Bürgerhand.

(Beifall von den PIRATEN)

Daher bevorzugen wir entsprechende Betreibermodelle, am besten Open-Access-Modelle, die sich langfristig selbst refinanzieren. An weitaus besseren Lösungen als den bislang hier diskutierten mangelt es also nicht. Sie sind technisch ausgereift, und es gibt genügend überzeugende Referenzmodelle. Sie sind finanzierbar und für das Gemeinwesen weitaus vorteilhafter als all das, was hier so vorgeschlagen wurde.

Bei Politik geht es um Visionen und nicht nur um Verwaltung des Status quo. Technologie kann unser Leben zum Besseren wenden, wenn man gestaltet und nicht nur reagiert. Die Realpolitik aber verweigert sich. Angesichts der vorgebrachten Kritik steckt man den Kopf in den Sand. Noch ist es nicht zu spät. Lassen Sie sich von den besseren Argumenten leiten! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Marsching. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Vogt.

Alexander Vogt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bombis, Herr Marsching, vieles von dem, was Sie vorgetragen haben, haben wir hier jetzt mehrfach gehört. Meistens waren es Anträge – tröpfchenweise – der CDU. Sie haben versucht, etwas abzuwandeln: Der eine spricht von Schotterpisten, der andere nimmt Ochsen als Beispiel, um etwas Aufmerksamkeit für die Anträge zu generieren. Aber insgesamt geht es natürlich darum, der Landesregierung immer wieder vorzuwerfen, dass sie im Bereich Breitbandausbau, im Bereich Digitalisierung zu wenig macht.

(Beifall von der CDU – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Gut erkannt!)

Damit geben Sie mir die Gelegenheit, noch mal darauf hinzuweisen, was alles getan wird.

Herr Bombis, bei Ihren Vergleichen zwischen den einzelnen Bundesländern – die CDU verzichtet mittlerweile auf den Vergleich zwischen Nordrhein-Westfalen und den anderen Bundesländern –

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

haben Sie wieder mit Zahlen operiert, die nur ausschnittweise zutreffen. Wir haben, wenn wir die einzelnen Bundesländer vergleichen und uns die Flächenländer ansehen, die Situation, dass Nordrhein-Westfalen beim 50 Mbit-Ausbau mit 74 % immer noch das am besten ausgebaute Flächenland in Deutschland ist. Das mag Sie stören, das ist aber so. Wenn Sie also Vergleiche zwischen den einzelnen Bundesländern anstellen, machen Sie es richtig und sagen Sie, dass Nordrhein-Westfalen im Breitbandausbau Land Nummer eins ist und die beste Quote bei der Breitbandversorgung hat.

(Zuruf von der FDP: Wie ist Ihr Anspruch?)

Natürlich haben wir gemeinsam die Aufgabe, hier weiterzukommen. Aber wir müssen auch die wirklichen Zahlen zitieren. Insgesamt haben wir drei große Bereiche: die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure; den Bereich Technik, der gerade von den Piraten angesprochen wurde; und den Bereich Finanzierung.

In allen Bereichen ist die Landesregierung aktiv. Sehen wir uns einmal an, was sie im Bereich der Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure macht: Wir haben den „Runden Tisch Breitband“, den Herr Minister Duin zusammengestellt hat. Da sind auch Vertreter Ihrer Parteien sowie Vertreter der Wirtschaft und der Kommunen mit dabei, und dort wurde die MICUS-Studie, aus der Sie zitiert haben, in Auftrag gegeben.

Wir kommen dort regelmäßig zusammen. Für Ende dieses Monats ist der nächste Termin angesetzt, bei dem die Breitbandstrategie der Landesregierung beraten wird. Dabei wird Kompetenz von außen – von der Industrie und den Kommunen – mit eingeholt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Olejak?

Alexander Vogt (SPD): Gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett von Ihnen. Bitte schön.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege. – Sollte ich Sie da missverstanden haben? Bedeutet dies, dass das Land sozusagen bereits so etwas wie das Bürgschaftsmodell anbietet, um den Ausbau im ländlichen Raum zu fördern?

Alexander Vogt (SPD): Da haben Sie mich wahrscheinlich absichtlich missverstanden; denn davon habe ich bisher noch gar nicht gesprochen. Zu dem Punkt wollte ich aber gleich kommen.

Mit BreitbandConsulting wird Beratung für die Kommunen angeboten. Weiter gibt es eine Kommunalkonferenz, zu der der Wirtschaftsminister eingeladen hatte. Wir haben die NRW.BANK, die in diesem Bereich aktiv ist. Außerdem liegen mehrfache Zusagen und eine Beschlusslage der Landesregierung vor.

Es gibt die Zusage von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Weiter haben wir die Aussage von Herrn Duin, und auch Herr Schmeltzer hat Ihnen mehrfach erklärt, dass die Erlöse aus der Digitalen Dividende II komplett in den Breitbandausbau investiert werden.

Wie diese Mittel festgelegt werden – darauf spielen Sie auch in Ihrem Antrag an, Herr Bombis –, wird noch zu entscheiden sein. Dabei wird genauso zu entscheiden sein, welche Technologien mit gefördert werden. Natürlich ist der Ausbau von Glasfaserleitungen hier ein ganz zentraler Bestandteil.

Zu dem Punkt EFRE-Mittel hat Ihnen Kollege Schmeltzer – ich glaube mittlerweile zehnmal – hier vorne erklärt, dass kleine und mittelständische Unternehmen bzw. Gewerbegebiete davon profitieren und entsprechend angebunden werden und dass darüber hinaus weitere Dinge, die Sie ebenfalls in Ihrem Antrag fordern bzw. behaupten, so nicht möglich sind.

Wir werden aber gemeinsam im Ausschuss Ihre beiden Anträge weiter beraten und stimmen der Überweisung natürlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Vogt. – Und nun spricht Herr Kollege Schick für die CDU-Fraktion.

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie in jeder Plenarwoche dürfen wir uns auch diesmal wieder mit dem Thema „Breitband“ beschäftigen. Das mag dem einen oder anderen in der Regierungskoalition etwas lästig sein. Ich dagegen halte es für dringend notwendig.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Solange die Anzahl der Anträge immer noch höher ist als in vielen Gebieten die Übertragungsrate in MBit pro Sekunde, so lange ist hier jeder Antrag herzlich willkommen.

Wir müssen feststellen – ich komme jetzt zu Ihrem Beispiel, Herr Schmeltzer –, dass in anderen Bundesländern deutlich mehr Tempo vorgelegt wird. Andere Bundesländer ziehen an uns vorbei. Natürlich hat Herr Vogt recht: Noch steht Nordrhein-Westfalen an der Spitze der Flächenbundesländer.

(Beifall von der SPD)

Es ist sogar so – Herr Vogt, Sie hantieren mit falschen Zahlen –, dass die Ausbaurate noch etwas höher ist: Es waren nicht 64 %, sondern etwas mehr als 70 %.

(Alexander Vogt [SPD]: 74 %!)

– Sie haben vorhin „64 %“ gesagt. – Von daher wollte ich Sie an dieser Stelle nur korrigieren.

Wenn man sich dann aber die Details anschaut, stellt man fest, dass die Städte in Bayern mittlerweile besser angebunden sind als die in Nordrhein-Westfalen. Sagen Sie dazu: „Na ja, aber im Durchschnitt sind sie doch besser angebunden“? Oder müssen Sie nicht vielmehr sagen: „Wir haben das Problem, dass die Städte in anderen Bundesländern mittlerweile besser angebunden sind, als das hier in Nordrhein-Westfalen der Fall ist“?

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Das gilt mittlerweile auch für den halbstädtischen Bereich. Auch da sind Hessen und Bayern an Nordrhein-Westfalen vorbeigezogen. Bei mir würden da die Alarmglocken schrillen, und ich würde das Ganze nicht schönreden. Denn hier, meine sehr geehrten Damen und Herren, verschläft Nordrhein-Westfalen die Zukunft.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wie dramatisch das Ganze ist, zeigt sich doch bei Gewerbegebieten. Nur 10 % der Gewerbegebiete sind an Datenautobahnen angeschlossen. Das ist aus meiner Sicht ein ganz erschreckender Wert. Ist das die Visitenkarte, Herr Minister Duin, mit der Sie auf Suche nach neuen ansiedlungswilligen Firmen gehen? Ist das Ihre Vorstellung von innovativer Industrieregion? Ich meine, da muss man andere Prioritäten setzen.

Lassen Sie mich ein wenig zu den Details der Anträge sagen. Die FDP fordert einen Förderfonds in Höhe von mindestens 500 Millionen €. Wir haben im März dieses Jahres etwas Ähnliches gefordert. Damals ging es um ein eigenständiges Förderprogramm. Selbstverständlich kann man auch einen Fonds einrichten. Das ist hier nicht die entscheidende Frage. Wichtiger ist, wie die Förderung ausgestaltet wird. Dazu hätte ich mir im FDP-Antrag ein paar mehr Aussagen gewünscht.

Deswegen komme ich noch einmal zu dem, was wir fordern: Das Förderprogramm muss technologieneutral gestaltet werden; ansonsten sind die Ausbauziele bis 2018 nicht erreichbar. Insbesondere müssen Kommunen unterstützt werden, die sich im Nothaushalt befinden. Sie wissen, dass nach den Berechnungen des TÜV Rheinland etwa 40 % der Investitionskosten auf gerade einmal 5 % der Haushalte entfallen. Also sollte sich das Programm vor allen Dingen auf die Erschließung solcher Haushalte stützen.

Außerdem sind Projekte außerhalb dieser Gebietskulisse nur dann zu fördern, wenn solche Ausbauprojekte eine hohe Upload-Rate gewährleisten, da insbesondere gewerbliche Anbieter darauf angewiesen sind.

Abschließend noch ein paar Anmerkungen zum Antrag der Piraten: Sie fordern eine Glasfaserstrategie. Bis 2020 sollen 50 % der Haushalte und bis 2025 alle Haushalte ans Glasfaserkabel angeschlossen werden. Wir stimmen Ihnen ausdrücklich zu, dass Nordrhein-Westfalen eine derartige Glasfaserstrategie braucht. Wir brauchen aber – das hatte ich gerade schon angesprochen – auch Zwischenschritte, damit wir das Versprechen einlösen können, bis 2018 flächendeckend schnelle Internetanbindungen bieten zu können. Das wird bei der Tatenlosigkeit dieser Landesregierung mehr als schwierig werden. Die katastrophale Anbindung der Gewerbegebiete hatte ich ja gerade schon angesprochen.

Deshalb wäre es schön, wenn man ein abgestimmtes Maßnahmenpaket hätte. Jetzt sind für Ende dieses Monats bzw. für Anfang nächsten Monats Maßnahmen angekündigt, die man vorschlagen möchte. Sie werden am „Runden Tisch Breitband“ vorgestellt. Es werden dann zwei Jahre vergangen sein, nachdem das Kabinett beschlossen hat, einen solchen runden Tisch einzuberufen. Das ist aus meiner Sicht nicht das Tempo, das beim Internetausbau notwendig wäre.

Deswegen hilft vielleicht die Beratung im Ausschuss. Wir freuen uns darauf und werden den Antrag überweisen.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schick. – Für die Grünenfraktion spricht Herr Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Schick, Sie haben ja gerade unser Durchhaltevermögen von gestern bemängelt. Wir hätten gestern Abend durchaus auch noch länger durchgehalten, und bei den regierungstragenden Fraktionen waren auch die Fraktionsspitzen noch bis zum Ende der Plenarsitzung vertreten. Dies nur, um uns das noch einmal in Erinnerung zu rufen.

Ich habe ein bisschen nachgedacht – das ist ja ein Thema, das uns tatsächlich schon länger beschäftigt –: Wie haben wir in der letzten Zeit hier in diesem Hohen Haus über Breitbandpolitik debattiert? Da hat sich doch einiges verändert.

Am Anfang hat die Opposition von uns immer Bekenntnisse gefordert, dass das Breitband wichtig ist. Das war schon immer Konsens. Sie haben das dann trotzdem beantragt. Dann haben Sie uns vorgeworfen, wir hätten unrealistische Ziele. Wohlgemerkt: Wir als Land haben uns dem Ziel der Bundesregierung angeschlossen. Sie wollten das Land schlechtreden, und Fakten stören dabei nur.

(Zuruf von der CDU: Die Geschichte wieder!)

Jetzt zeichnet sich ab, dass diese Ziele eben nicht unrealistisch sind, wenn sich alle Ebenen endlich gemeinsam dieser Aufgabe stellen, eine zukunftsfähige digitale Infrastruktur herzustellen und diese auch gemeinsam angehen wollen. Dann kommt der typische Oppositionsreflex: Dann ist nicht mehr die Erreichung der Ziele das Problem, sondern dann erklärt man einfach die Ziele für doof.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das tun wir schon seit drei Jahren!)

– Selbstverständlich, lieber Kollege Marsching, sind Glasfasernetze leistungsfähiger als Kupfer, leistungsfähiger als die Übergangstechnologien, die wir kennen. Das ist völlig klar. Diejenigen, die sich mit der Thematik im Vorfeld nicht so intensiv beschäftigt haben, wissen das spätestens seit Veröffentlichung der MICUS-Studie.

Aber zu einer Strategie für das ganze Land gehört doch auch, dass man in bestimmten Situationen die richtige Lösung finden muss. Wir können heute nicht absehen, wann genau sich ein flächendeckender Bedarf an Glasfaser eingestellt haben wird. Aber dass es ihn geben wird, da bin ich sicher.

Wir dürfen aber an dieser Stelle einen Fehler nicht machen: Wir dürfen nicht das Ziel, den Sprung in die Gigabitgesellschaft zu gestalten, dagegen ausspielen, dass wir auch einen Übergang brauchen. Breitbandversorgung ist schon heute eine soziale, ökonomische und demografische Überlebensfrage, gerade für Kommunen und Betriebe im ländlichen Raum.

Diese Frage stellt sich an vielen Orten. Da können wir doch nicht sagen: Habt Geduld, bis wir unsere bei Ihnen auf zehn Jahre angelegte Glasfaserstrategie umgesetzt haben und dann wird alles gut. – Nein, da muss man doch gemeinsam den Übergang gestalten, sonst verlieren wir da ganze Regionen. Diesen Fehler dürfen wir nicht machen. Wir müssen vernünftige Übergänge definieren und die Entwicklung vorantreiben. Genau das passiert gerade. Genau dafür wird gerade eine Strategie entwickelt, und das ist auch vernünftig.

Dass man in einem liberalisierten Markt natürlich beachten muss, dass die Hauptlast immer noch bei den Anbietern liegt, ist völlig klar. Wir setzen als Land kluge Impulse. Auch das haben wir Ihnen jetzt mehrfach erklärt. Wir haben Mittel aus EFRE; wir haben Mittel aus GRW/RWP, aus GAK und ELER. Wir haben das kommunale Investitionsfördergesetz, und – wenn der Bund endlich die Voraussetzungen dafür geschaffen hat – auch Mittel aus der Digitalen Dividende. Daraus werden wir Impulse setzen, und daraus werden wir die Entwicklungen selbstverständlich vorantreiben.

Aber klar ist auch, dass wir vernünftige Bedingungen für den Breitbandausbau brauchen. Eine nachhaltige Netzerneuerung, wie das die MICUS-Studie vorschlägt, ist eben nur dann möglich – auch das haben wir mehrfach an dieser Stelle besprochen –, wenn wir über die Kostensenkungsrichtlinie gute Bedingungen für die Mitnutzung vorhandener Infrastrukturen erwirken können. Da brauchen wir endlich einen funktionstüchtigen Regulierungsrahmen.

Der Ausbau darf nicht– da gebe ich Ihnen ausdrücklich recht, Kollege Marsching – aufgrund loser Versprechungen eines einzelnen Anbieters zu einer Remonopolisierung führen. Gerade da ist die Strategie des Bundes, die Strategie von Herrn Dobrindt, falsch angelegt – Stichwort: Vectoring im Nahbereich.

Nicht zuletzt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie kennen meine immer wieder wiederholte Forderung, dass es endlich auch eine angemessene Beteiligung des Bundes geben muss, und zwar außerhalb von Sondereffekten, außerhalb der bestehenden Strukturfonds. Der Bund muss sich fair und auskömmlich an der Generationenaufgabe „Breitbandausbau“ beteiligen. Ich fand es gut, Herr Kollege Bombis, dass Sie das in Ihrem Antrag auch in dieser Deutlichkeit einmal aufgegriffen haben.

Die Strategie wird am „Runden Tisch Breitband“ mitgestaltet. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich glaube, wir sind insgesamt auf einem guten Weg. Ich freue mich auf die Debatte darüber, wie wir diesen Weg gemeinsam weitergehen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bolte. – Die Landesregierung hat das Wort und wird durch Herrn Minister Duin vertreten.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei diesem Thema ist eines schon besonders auffällig. Ich will ihn nicht falsch zitieren und in Schwierigkeiten bringen, aber ich glaube, es war der Kollege Wüst, der bei der letzten Wirtschaftsausschusssitzung gesagt hat: Eigentlich kann man dieses Thema relativ ideologiefrei diskutieren.

In den Zielsetzungen – ich komme gleich noch auf feine Unterschiede, insbesondere zu den Piraten – sind sich ja vom Grundsatz her erst einmal alle einig. Je nach politischer Konstellation würde Herr Schick im Bundestag am heutigen Tag eine andere Rede zu genau diesem Thema halten,

(Zuruf von den PIRATEN: Niemals! Herr Schick doch nicht!)

und auch Herr Bolte würde eine etwas andere Rede zu genau diesem Thema halten.

Eines ist doch völlig klar. Wir können uns jetzt die Zahlen, die in der „FAZ“ veröffentlicht worden sind, die die Telekom veröffentlicht hat, und die im Breitbandatlas stehen, gegenseitig um die Ohren hauen, wer wie gut oder wie schlecht ist und bei wem mehr oder weniger Dynamik vorhanden ist.

Wir müssen einmal ganz nüchtern feststellen, dass wir in Deutschland grob gesehen in den letzten zehn Jahren alle gemeinsam – weder in den einzelnen Bundesländern noch als Bundesrepublik Deutschland insgesamt – nicht das getan haben, was eigentlich notwendig gewesen wäre mit Blick auf Themen wie „NGA-Netze“ oder „Highspeed-Internet“.

Jetzt geht es darum, diese Entwicklung, die in Deutschland nicht so wie in anderen Ländern auf der Welt und auch nicht wie in benachbarten europäischen Ländern stattgefunden hat, mit möglichst großen Schritten nachzuholen. Dafür – darauf haben Redner wie Herr Vogt und Herr Bolte bereits hingewiesen – haben wir die richtigen Instrumente bereitgestellt.

Wenn man sich jetzt die hier vorliegenden Anträge ansieht, ist der Vorschlag der FDP – der alte Hut vom EFRE – schon ziemlich abenteuerlich. Aber auch da noch einmal dazu, was im Kern jetzt möglich ist: Die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittelständischen Unternehmen aus diesem Topf ist möglich. Das bedeutet, selbst wenn wir diesen Vorschlag umsetzen würden, wären wir mit dem Anschluss von Privathaushalten keinen Schritt weiter, weil das dafür gar nicht möglich wäre.

Zu sagen, das Land sollte seinen Anteil aus der Digitalen Dividende II zu 100 % dafür einsetzen:

Ich habe in dem Moment, in dem diese Entscheidung getroffen wurde, hier rauf und runter und wiederholt erklärt, dass wir die Mittel der Digitalen Dividende II eins zu eins für den Breitbandausbau einsetzen werden. Dann aber in den von Ihnen vorgeschlagenen Fonds noch einmal zusätzliche Bundesmittel mit „hineinzupflegen“, ist eine nette Idee, die wir so allerdings mit Sicherheit nicht werden realisieren können.

Insofern ist überhaupt nicht umzusetzen, was Sie vorgeschlagen haben, und es führt uns nicht weiter.

Der Vorschlag der Piraten ist meines Erachtens zum Teil zwar durchaus diskussionswürdig, aber auch nicht das, was wir jetzt brauchen.

Jetzt benötigen wir möglichst schnell – wir gehen davon aus, dass das in diesem Monat alles geklärt werden kann – Klarheit darüber, wie Herr Dobrindt gedenkt, sowohl die Mittel aus der Digitalen Dividende II als auch die ihm zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel zu verwenden.

Wir haben in der nächsten Woche eine Runde auf der Staatssekretärsebene der Bundesländer mit dem Bund, um die diesbezüglichen Feinheiten zu klären – Stichwort: Scoring-Modell –: Wer ist Antragsteller? Wie hoch ist eine Maximalförderung? Was wird eigentlich konkret gefördert? Spielen dabei – so eine Idee aus dem Bundesverkehrsministerium – topografische Gegebenheiten eine Rolle? Wenn ich einen bayerischen Minister höre, der von topografischen Gegebenheiten als Voraussetzung für Förderung spricht, werde ich skeptisch; darüber ist mit ihm noch im Detail zu verhandeln.

Am Ende des Monats werden wir als Landesregierung – die Vorarbeiten sind dazu geleistet – dem runden Tisch ein darauf abgestimmtes Konzept vorlegen, um hier wirklich eine Dynamik hineinzubekommen. Das ist das, was wir jetzt benötigen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, entschuldigen Sie. Würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Bayer von den Piraten zulassen?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ja, gerne.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Minister, wenn Sie über die Verwendung der Mittel für die Digitale Dividende II und die anderen insgesamt 2,7 Milliarden € beraten, wäre es sehr wichtig, genau diese auch von uns vorgeschlagenen Dinge mit einzubringen und darauf zu achten, dass es keine kurzfristige Sachen sind, die dann halt mal eben umgesetzt werden, weil zu lange geschlafen wurde, und man den Anbietern dann sozusagen das Geld einfach gibt, damit sie das tun, was sie sowieso tun werden.

Eine sehr wichtige Frage ist in diesem Zusammenhang deshalb: Es gibt immer wieder das Problem bzw. das Kriterium der Fertigstellung im Jahr 2018. Die Ausbaupläne stören auch Pläne wie die Leerrohrverlegung, weil viele Dinge, die richtig gemacht werden, nicht unbedingt 2018 fertiggestellt sind. Werden Sie darauf achten, dass dieses Kriterium „2018 fertig“ nicht über allem steht?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir das auf der Bundes- wie auf der Landesebene geleistete Versprechen, das Land flächendeckend mit 50 Mbit/s zu versorgen, einhalten müssen. Wer von welcher Partei im Jahre 2018 Verantwortung trägt, weiß ich heute nicht. Sie können aber niemandem in den Rucksack geben, dass er 2018 in bestimmte Landesteile fahren und sagen muss: „Wir haben damals zwar erzählt, für euch wollten wir eigentlich auch 50 Mbit/s im Jahr 2018, aber vertraut uns, im Jahr 2023 erhaltet ihr noch viel schnelleres Internet.“ Diese Botschaft wird nicht funktionieren, sondern es muss 2018 – es ist auch von den Zwischenschritten und technologischen Lösungen gesprochen worden – 50 Mbit/s geben.

Davon überhaupt nicht berührt ist meines Erachtens eben die langfristige Strategie, die Sie ja auch mit im Blick haben. Deshalb komme ich – das soll die Antwort gewesen sein – in der mir noch zur Verfügung stehenden Zeit gerne noch kurz auf ein paar konkrete Punkte aus Ihrem Antrag zu sprechen.

Ich finde, es ist eine sehr grundsätzliche Frage, ob der Glasfaserausbau ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge ist. Bei der Gestaltung von Förderprogrammen hilft sie uns jetzt aber nicht, weil wir dann – ich hatte es an anderer Stelle schon einmal erwähnt – darüber sprechen müssten, ob wir einen Anschluss- und Benutzungszwang wollen. Im Vergleich zu Gas, Strom und Wasser befinden wir uns in einer völlig anderen Kategorie, über die wir hier sprechen. Ich finde, darüber müssten wir eine längere Debatte führen, und das ist nichts, was uns jetzt hilft, die kurzfristigen Ziele zu erreichen.

Dann der Teil, dass wir über langfristige Darlehen und Bürgschaften geben sollten: Die langfristigen Darlehen gibt es auch schon durch die NRW.BANK, und über das Thema „Bürgschaft“ werden wir in der Tat noch einmal sprechen müssen, insbesondere auch im Zusammenhang mit dem Juncker-Plan, der genau dafür die passenden Instrumente liefert.

Sie sagen dann auch – das ist der letzte Punkt, den ich gerne aufgreifen möchte –, dass es der Erstellung eines Landesnetzplanes bedürfte. Diesbezüglich will ich Ihnen ausdrücklich widersprechen, denn alle meine Gespräche vor Ort belegen eines: Was wir brauchen, ist nicht ein Landesplan, sondern ist die Unterstützung der Kommunen in den Regionen bei der Erstellung von lokalen Netzausbauplänen.

(Zuruf von den PIRATEN: Irgendwie muss das Internet ja zu denen hinkommen!)

Das wollen wir auch mit Hilfe der uns zur Verfügung stehenden Mittel gewährleisten, denn die Bürgermeister und die Fachleute in den Verwaltungen vor Ort müssen sagen, wo sie was haben wollen, um das dann ausschreiben zu können. Da kommen dann auch unsere Fördermittel zum Einsatz.

Ich glaube, es ist eine wesentlich bessere Strategie, die Akteure vor Ort zu unterstützen, als jetzt kompliziert einen Landesnetzplan zu entwerfen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, und ich schließe deshalb die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst stimmen wir ab über die Überweisung des Antrags der Fraktion der FDP Drucksache 16/9596. Der Ältestenrat empfiehlt wie beantragt die Überweisung dieses Antrags an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend –, an den Ausschuss für Kultur und Medien sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wie üblich soll die abschließende Abstimmung im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist dafür? – Ist jemand dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Auch der Antrag der Piratenfraktion Drucksache 16/9591 soll überwiesen werden. Darüber stimmen wir jetzt ab. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend –, an den Ausschuss für Kultur und Medien sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das sehe ich nicht. Ebenfalls einstimmig angenommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 3 und rufe auf:

4   Mehr Pflegepersonal für eine menschliche Versorgung und Patientensicherheit

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9586 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Düngel das Wort. Bitte.

Daniel Düngel (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meinen Redebeitrag zunächst mit einem Dank beginnen, und zwar einem herzlichen Dank an alle Pflegekräfte da draußen, die tagtäglich – ich glaube, das ist Konsens in allen Fraktionen – einen großartigen Job unter teils sehr schwierigen, teils unmenschlichen Umständen erledigen.

(Beifall von den PIRATEN)

Mein besonderer Dank gilt an der Stelle natürlich denen, die heute hier draußen bei einer Mahnwache ausgehalten haben, die fast den ganzen Tag draußen vor der Tür gestanden haben. Vertreter aller Fraktionen waren auch draußen vor Ort, die Ministerin war vor Ort. Wir haben uns alle einen Eindruck davon verschaffen können.

Leider waren nur sehr wenige Menschen draußen vor dem Landtagsgebäude. Das Thema selber hat, glaube ich, deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient als die, die dieses Thema heute durch die Aktion allein bekommen hat. Nichtsdestotrotz auch euch draußen noch mal einen wahnsinnigen Dank dafür, dass ihr hier ausgehalten habt!

Auch wir Piraten möchten an der Situation der Pflegekräfte etwas verändern. Dafür haben wir in den letzten Tagen einen Antrag eingereicht, den wir heute hier beraten. Das ist aber nicht das Erste, was wir getan haben. Wir haben bisher an verschiedenen Stellen hier im Landtag auf die Probleme in der Pflege hingewiesen.

Im November 2012 hat mein Kollege Lamla darauf hingewiesen, wie dramatisch die Situation in der Pflege ist. Im Februar 2013 hat er das noch mal getan, hat den eklatanten Personalmangel in der Krankenhauspflege beklagt. Kollege Wegner hat im November 2013 auch wieder auf das Missverhältnis zwischen medizinischem und verwaltungstechnischem Personal hingewiesen. Im September 2014 hat er sich solidarisch mit der Aktion „Pflege am Boden“ gezeigt und lag selber symbolisch mit der Pflege am Boden.

Wir als Piraten haben in den letzten Tagen und Wochen eine Internetseite geschaffen unter https://pflege.Piratenfraktion-nrw.de. Wir wollen Pflegekräften eine Stimme geben. Wir geben dort Pflegekräften die Gelegenheit, Berichte aus ihrer täglichen Arbeit, teilweise auch anonym, preiszugeben, damit man sich auch einen Eindruck davon verschaffen kann.

In diesem Kontext verstehen wir unseren vorliegenden Antrag. Wir haben natürlich die Bemühungen auf Bundesebene zur Kenntnis genommen, sind aber letzten Endes zu dem Schluss gekommen: Dieses Thema Pflege, die Situation der Pflegekräfte braucht einfach noch wahnsinnig viel mehr Aufmerksamkeit. Wir als Landtag Nordrhein-Westfalen sollten da nicht hinten anstehen und sollten im Plenum und später auch in den Ausschüssen natürlich über dieses Thema weiter diskutieren.

Sie werden wahrscheinlich bei den folgenden Rednerinnen und Rednern hören, dass sich schon wahnsinnig viel getan hat, dass es schon wahnsinnig viele Anstrengungen gegeben hat, um die Probleme zu beseitigen. Frau Steffens wird nachher von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe berichten, welche Ergebnisse dort erzielt wurden.

(Ministerin Barbara Steffens: Werde ich das?)

Sie wird von einem Beschluss des Bundesrates berichten, vom Krankenhausstrukturgesetz und so weiter und so fort. Ich bin gespannt, wie Sie sich, Frau Ministerin Steffens, dann insgesamt in der weiteren Debatte dazu verhalten. Denn nicht alle Forderungen – das wissen wir –, die die Grünen im Bund zum Beispiel stellen, sind in den Entwürfen, weder in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe noch im Bundesrat, tatsächlich so enthalten. Wir sind gespannt, wie es da weitergeht.

Fakt ist: Das Krankenhausstrukturgesetz, so wie es momentan vorliegt, entspricht nicht den Wünschen und Forderungen. Das sagen nicht nur wir, das sagen die Fachleute, das sagt ver.di, das sagt der DBfK, andere Berufsverbände. Da sind sich alle im Großen und Ganzen einig.

Ich komme jetzt zu unseren Forderungspunkten im Antrag. Darauf möchte ich kurz eingehen. Sie haben den Antrag gelesen. Wichtig für uns ist als einer der Kernpunkte: Wir brauchen eine verpflichtende Personalbemessung. Das ist eine Landesaufgabe bzw. eine Aufgabe, die das Land erledigen kann.

Wir brauchen kurzfristig mehr Geld von Bund und Land. Wir können uns nämlich alle hinstellen und sagen, dass die Situation in der Pflege schlecht ist. Wenn wir aber der Pflege nicht mehr Geld zukommen lassen, ist das alles völlig nichtig. Es wird Geld gebraucht. Jeder, der draußen mit den Pflegekräften gesprochen hat, der weiß das. Dazu sind zwei konkrete Forderungen drin. Die kennen Sie, haben Sie so weit gelesen.

Eine Forderung richtet sich an den Bund. Die können wir nur mit auf den Weg bringen. Was die Investitionskosten angeht, so sind das Landesmittel, die zur Verfügung gestellt werden können. Da fordern wir letzten Endes eine Verdoppelung der bisherigen Mittel.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

– Herr Präsident, ich komme langsam zum Ende.

Sie, Frau Steffens, haben dort einen großen Verantwortungsbereich bzw. einen großen Zuständigkeitsbereich, den Sie hier in der Landespolitik mit bewältigen und auf den Weg bringen können. Wir fordern Sie auf, in den Dialog zu gehen – das machen Sie zum Teil schon –, noch intensiver in den Dialog zu gehen. Ich habe draußen gehört, dass die Pflegekräfte nicht wissen, wie sie sich in die politische Debatte einbringen können.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege.

Daniel Düngel (PIRATEN): Wir wollen das auf den Weg bringen und freuen uns auf die weitere Beratung im Ausschuss. – Ihnen allen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die SPD-Fraktion spricht als nächste Rednerin Frau Kollegin Lück.

Angela Lück (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Qualität der Behandlung in einem Krankenhaus hat im deutschen Gesundheitswesen einen hohen Stellenwert. Daran hat die Pflege einen erheblichen Anteil. Deshalb, Herr Düngel, finde ich auch die Überschrift des vorliegenden Antrages, gelinde gesagt, provokativ. Damit unterstellen Sie pauschal, die Krankenhäuser könnten keine bedarfsgerechte Pflege und Versorgung gewährleisten. Und die Pflegenden stellen Sie unter den Generalverdacht, menschliche Versorgung und Patientensicherheit zu gefährden.

Das ist ein Schlag ins Gesicht derer, die sich Tag für Tag und rund um die Uhr um ihre Patienten kümmern, auch wenn Sie sich eben hier vor Ort für deren Einsatz bedankt haben. Ich kann Ihnen das aus eigener Erfahrung sagen. Denn ich war mehr als 30 Jahre Krankenschwester in einem Fachkrankenhaus. Da war die Situation so, dass wir – egal, mit wie viel Personal wir bestückt waren – alles für die Patienten getan haben, was in unserer Macht stand, und wir haben oftmals auf einen geregelten Arbeitsalltag mit Pausen verzichtet.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber Herr Kollege Düngel verspürt schon jetzt das Bedürfnis, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. Lassen Sie dies zu?

Angela Lück (SPD): Das war mir klar.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wenn es Ihnen klar war, interpretiere ich es so, dass Sie sie zulassen.

Angela Lück (SPD): Na klar.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte, Herr Kollege.

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Ich kann Ihren Vorwurf natürlich so nicht im Raum stehen lassen. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass ich in meiner Rede vorhin deutlich hervorgehoben habe, dass die Pflegekräfte unter schwierigen Bedingungen einen außerordentlich anstrengenden Job machen und dass die Überschrift unseres Antrags dem auch nicht widerspricht? Ganz im Gegenteil: Auch die Pflegekräfte sagen, dass sie mehr finanzielle Unterstützung, mehr Personal brauchen, um auch in Zukunft eine vernünftige, menschliche Versorgung gewährleisten zu können.

Angela Lück (SPD): Herr Düngel, über den Fakt, dass wir einen Mangel an Pflegepersonal im Gesundheitswesen haben, besteht bei uns Konsens. Nur, die Überschrift, die Sie gewählt haben, impliziert, dass es im Moment keine menschliche Versorgung und keine Patientensicherheit gibt. Deshalb finde ich diese Überschrift sehr fragwürdig.

Ich möchte jetzt weitermachen; denn dann ergibt sich alles Übrige, was Sie in Ihrer Frage angesprochen haben.

Ich bin mehr als 20 Jahre aktiv in der Gewerkschaftsbewegung gewesen, und wir haben schon in den 1990er-Jahren bundesweit Aktionen gestartet, um den Pflegepersonalmangel in Deutschland zu beheben. Es hat auch auf der Bundesebene verschiedene Gesetze gegeben, und es haben Expertenkommissionen getagt. Es hat die Pflegepersonalregelung und das Gesundheitsstrukturgesetz gegeben.

Wir verzeichnen trotzdem immer noch einen großen Mangel an Pflegepersonal. Aber die Situation in der Pflege ist zum heutigen Zeitpunkt nicht neu. Ich wollte einfach deutlich machen, dass wir nicht erst seit Kurzem mit dieser Situation konfrontiert werden, sondern dass sie leider schon lange Zeit besteht.

Sie wollen mit Ihrem Antrag der Situation der Pflegenden begegnen und diese verbessern. Wenn man sich aber mit den Punkten auseinandersetzt, stellt sich die Frage, ob denn diese Maßnahmen geeignet sind, auf Landesebene den Pflegenotstand zu beseitigen.

In Ihrem Antrag fordern Sie erstens, die Landesregierung solle eine Expertenkommission einsetzen, um eine bedarfsgerechte Personalbemessung zu ermitteln.

Eine Expertenkommission in NRW könnte eine bedarfsgerechte Personalbemessung in der Pflege zwar ermitteln, aber es hätte gar keine Konsequenzen, da das in Deutschland bundeseinheitlich geregelt werden muss.

Und wie Sie sicher wissen – das haben Sie auch schon erwähnt –, sieht der Gesetzentwurf zum Krankenhausgestaltungsgesetz einen Pflegestellenförderplan vor. Zurzeit gibt es noch unterschiedliche Einschätzungen über die Höhe des Förderprogramms. So hat, wie Sie schon erwähnt haben, natürlich der Bundesrat erst einmal eine Verdoppelung der Fördersumme gefordert. Aber im Zuge dieses Gesetzes brauchen wir auch eine bundeseinheitliche Personalbemessung in der Pflege.

Zweitens fordern Sie die Erhöhung der Investitionskostenförderung.

Tun Sie das, um damit Personalkosten zu finanzieren? Sie wissen doch, Mittel der Investitionskostenförderung sind zweckgebunden und können nur für Investitionen und nicht für Personalkosten verwendet werden. Dass für die Krankenhäuser die Investitionsmittel nicht kostendeckend sind, ist bekannt, aber im Haushalt für 2016 wird die Summe der Investitionskosten in Nordrhein-Westfalen noch einmal auf 533 Millionen € hochgesetzt. Das bedeutet eine Steigerung um 18 Millionen € gegenüber 2015 und um 46 Millionen € gegenüber 2014.

In Nordrhein-Westfalen haben wir bereits wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Die Einführung der Umlagefinanzierung in der Krankenpflegeausbildung im Jahre 2012 ist ein großer Erfolg. Seitdem ist die Anzahl der Ausbildungsplätze in der Altenpflege um 70 % gestiegen, und in Nordrhein-Westfalen stehen ca. 17.000 Ausbildungsplätze in der Altenpflege zur Verfügung, die wir auch jährlich finanzieren.

Dann komme ich zum letzten Punkt Ihrer Forderungen: Krankenhausträger und Krankenhausgesellschaft sollen Zielvereinbarungen unterschreiben und auskömmlich Personal einstellen.

Selbst wenn es solche Zielvereinbarungen geben sollte, ist ihr Erfolg doch fraglich, da es auch an ausgebildetem Pflegepersonal fehlt. Deshalb fordern wir – insofern ist es auch wichtig, dass wir uns darüber unterhalten, wie wir die Situation in der Pflege verbessern können – eine Reform der Ausbildung. Wir brauchen eine gesicherte Finanzierung der Ausbildung, die für die Auszubildenden gebührenfrei ist. Wir brauchen Weiterbildung für Pflegefachkräfte. Wir brauchen eine Informations- und Imagekampagne, und vor allen Dingen brauchen wir eine leistungsgerechtere Bezahlung und ein besseres Image der Pflege.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Was wir auf Landesebene machen können – ich komme zum Ende, Herr Präsident –, möchten wir gerne im Ausschuss mit Ihnen diskutieren. Daher stimmen wir der Überweisung zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Lück. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Burkert das Wort.

Oskar Burkert (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Lück, wir sind gar nicht so weit auseinander; das gilt auch für meine Rede. Es scheint so, dass sich die Große Koalition im Gesundheitswesen positiv auswirkt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD – Daniel Düngel [PIRATEN]: Begeisterung im Saal!)

Die behandelten Fälle für Pflegekräfte, wie Sie es auch erwähnt haben, haben zugenommen, aber ohne große Personalsteigerung. Die Anzahl der hochqualifizierten Ärzte ist gestiegen, und auch der Einsatz neuester Medizintechnik hat zugenommen. Doch der wichtige Bestandteil bei der Pflege und in der Pflege ist das Pflegepersonal, und da ist anzusetzen. Ich komme gleich darauf zurück, wie man dieses machen kann.

Das im Antrag aufgeführte Pflege-Thermometer bezogen auf die Zeit 2009 bis 2012 hat lediglich die Situation in allgemeinen somatischen Krankenhäusern untersucht; es kam aber zu keiner Verallgemeinerung auf alle Krankenhäuser.

Sie sagen in Ihrem Antrag auch, dass der Landtag feststellt:

„Die Sicherheit von Patientinnen und Patienten und ihre gute Versorgung sind nur mit mehr Personal zu gewährleisten.“

Nein, das stellt der Landtag nicht fest. Das würde nämlich bedeuten, dass die Sicherheit heute nicht gewährleistet ist, und diese Behauptung halte ich für nicht zutreffend und gefährlich.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie fordern weiter:

„Der Landtag fordert die Landesregierung auf, ... eine Expertenkommission in NRW einzusetzen, die mit der Entwicklung einer bedarfsgerechten Personalberechnung für die Pflege beauftragt wird, um den zukünftigen finanziellen Bedarf abzubilden.“

Es handelt sich hier um ein bundesweites Problem, sodass eine Landesinitiative nicht zielführend ist.

Der Ansatz des Deutschen Pflegerates sollte überdacht und gegebenenfalls unterstützt werden. Ich zitiere Dr. Patrick Jahn, Leiter der Fachkommission DRG des Deutschen Pflegerates:

„Die Integration von Pflegebedarfsfaktoren in die DRG-Kalkulation ist der richtige Ansatz, um den tatsächlichen Pflegebedarf eines Krankenhauspatienten im Entgeltsystem besser abzubilden. ... Da es sich zudem um eine Weiterentwicklung innerhalb des bestehenden DRG-Systems handele, sei das Instrument zügig umsetzbar.“

Sie schreiben weiter:

„Der Landtag fordert die Landesregierung auf, ... mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Bundesregierung einzuwirken, dass das Pflegestellenförderprogramm ... zur kurzfristigen Unterstützung des Pflegepersonals von 660 Millionen € auf mindestens 2 Milliarden € angehoben wird.“

Es ist zunächst zu prüfen, inwieweit die bisher zur Verfügung gestellten Mittel abgerufen und verwendet worden sind. Eine pauschale Ausweitung ist mit Sicherheit nicht zielführend.

Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat im Dezember 2014 Eckpunkte für eine Reform vorgelegt, die nun in den Entwurf des Krankenhausstrukturgesetzes eingeflossen sind.

In der Vorlage wird Qualität als zentrales Kriterium bei der Krankenhausplanung eingeführt. Auch die Krankenhausvergütung soll sich an Qualitätsaspekten orientieren. So werden Zuschläge für eine gute Qualität gewährt, Abschläge drohen hingegen bei Qualitätsmängeln.

Neu aufgelegt wird ein Förderprogramm für Pflegestellen im Volumen von insgesamt 660 Millionen € in den Jahren 2016 bis 2018. Ab 2019 sollen dauerhaft 330 Millionen € pro Jahr bereitstehen, um den für die Krankenhausplanung zuständigen Ländern mehr Mittel in die Hand zu geben – Strukturfonds in Höhe von 500 Millionen € gespeist aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Auf diese Weise sollen voraussichtlich 6.350 neue Stellen geschaffen werden – nur für die Pflege am Bett. Die Länder sollen einen Beitrag in gleicher Höhe beisteuern, sodass 1 Milliarde € zur Verfügung stünden, die zum Ausbau von Überkapazitäten und zur Konzentration von Versorgungsangeboten genutzt werden.

Zum Schluss möchte ich noch aus einem Schreiben des Betriebsrates der Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach an Frau Ministerin Steffens zitieren: „Wir wollen und können so nicht mehr arbeiten. Die Arbeit macht uns krank im wahrsten Sinne des Wortes.“

Wir müssen den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Pflegeeinrichtungen und damit auch den Pflegebedürftigen helfen, und das bedeutet vor allem auch, dass diese Menschen personell entlastet werden. Das will der Bundesminister mit dem Krankenhausstrukturgesetz und auch mit dem Pflegestärkungsgesetz II umsetzen.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Burkert. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Ünal das Wort.

Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wie andere Kolleginnen und Kollegen auch, hatte ich heute Gelegenheit, mit den Pflegenden vor dem Landtag über ihre Probleme zu diskutieren. Von hier aus möchte ich besonders die Familienangehörigen, die 70 % der Pflegeleistungen in der Altenpflege erbringen, und die professionellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlicher Einrichtungen begrüßen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Piraten haben mit ihrem Antrag sicher ein wichtiges Thema angesprochen. Allerdings sind die in ihrem Antrag geforderten Maßnahmen nicht geeignet, diesem Personalmangel – besonders im Bereich der Krankenhäuser – wirksam zu begegnen.

Ich möchte das mit zwei Beispielen verdeutlichen:

Die ausreichende Ausstattung von Krankenhäusern mit Personal ist eine bundesweite Problematik, die nur bundeseinheitlich gelöst werden kann. Anhaltspunkte für diese Lösung finden wir im Entwurf des Krankenhausstrukturgesetzes, der auf den Ergebnissen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe von 2014 beruht.

Bereits jetzt ist vorgesehen, beim Bundesgesundheitsministerium eine Expertenkommission zu gründen. Das heißt, es hat keinen Sinn, auf der Landesebene eine Expertenkommission zu gründen, weil auf der Bundesebene diese Kommission auf der Planungsebene gegründet wird.

Diese Kommission muss auch den Pflegebedarf der demenzkranken Patientinnen und Patienten genau ermitteln. Dabei geht es auch um den Umgang mit den behinderten Menschen und darum, wie dies im DRG-System sachgerecht abgebildet werden kann. Im Moment werden nämlich besonders Demenzpatienten und schwer pflegebedürftige Menschen in der DRG-Abrechnung überhaupt nicht abgebildet. Das muss man aber ermitteln.

Allerdings bleibt festzuhalten, dass auch wir das im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltene Pflegestellensonderprogramm in Höhe von 660 Millionen € alleine nicht für ausreichend halten. Deswegen hat der Bundesrat auf Initiative von NRW eine Verdoppelung dieser Mittel gefordert. Wir müssen jetzt abwarten, ob man mit diesem Sonderprogramm tatsächlich mindestens eine Notfalllösung finden kann. Deshalb ist der Bundesrat auch aktiv geworden, und wir unterstützen diese Vorgehensweise.

Sie haben es in Ihrem Antrag angesprochen: Die Investitionskostenförderung des Landes und die Personalkostenfinanzierung der Krankenkassen haben überhaupt nichts miteinander zu tun. Frau Lück hat auch die Investitionskosten des Landes erwähnt, die zweckgebunden auf jede Personalfinanzierung nicht angewandt werden können, weil die Personalfinanzierung über die DRGs und über die Krankenkassen läuft.

So gesehen bringen Sie alles durcheinander. Hier wird jetzt auch über Pflegepauschalen geredet. Man muss genau sagen, ob wir über Altenpflege oder über Pflege im Krankenhaus reden. Denn das sind unterschiedliche Bereiche. Die Zuständigkeiten sind anders, und die Voraussetzungen und – ich glaube – auch die Bedingungen sind ganz anders, besonders in NRW.

Sie wissen auch, was unsere Landesregierung seit fünf Jahren besonders in der Altenpflege geleistet hat. Das möchte ich nicht wiederholen. Aber ich stimme natürlich der Überweisung in den Fachausschuss zu und freue mich, dass wir in dieser Differenziertheit im Fachausschuss diskutieren und hoffentlich gute Ergebnisse erarbeiten können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. Bitte bleiben Sie noch einen Moment vorn, lieber Kollege Ünal, weil sich kurzfristig, aber rechtzeitig – ich vermute – Herr Kollege Düngel für die Piratenfraktion zu einer Kurzintervention gemeldet hat. Sie kennen das Verfahren.

(Arif Ünal [GRÜNE]: Ja!)

Herr Düngel hat 90 Sekunden, und Sie haben dann 90 Sekunden zur Antwort. – Herr Kollege Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Herr Ünal, wir finden es gut, dass über die Bundesratsinitiative die Mittel für das Pflegestellenförderprogramm noch einmal angepasst wurden. Vielleicht können Sie in Ihrer Erwiderung auf diese Kurzintervention noch darauf eingehen, dass selbst diese Verdoppelung der Mittel letzten Endes zwar gut ist, aber längst nicht ausreichen wird, um die fehlenden Stellen tatsächlich zu schaffen.

Zweitens will ich darauf eingehen, dass wir natürlich nicht diese unterschiedlichen Kostenpunkte vermischen. Wir wissen sehr wohl, wo die Gelder aus den verschiedenen Töpfen hinfließen. Frau Lück hat es vorhin auch schon gesagt. Fakt ist jedoch: In der jetzigen Situation werden in den Krankenhäusern aus anderen Töpfen Gelder abgezweigt, um diese Investitionen tätigen zu können, und diese abgezweigten Gelder fehlen dann für Personal.

Wir wollen diesen unterfinanzierten Topf des Investitionskostenzuschusses aufstocken, damit er ausreichend ist und die Gelder für Investitionen nicht abgezweigt werden müssen.

Arif Ünal (GRÜNE): Herr Kollege Düngel, vielen Dank für Ihre Intervention. Wir haben dieses Sonderprogramm tatsächlich als nicht ausreichend angesehen und haben eine Verdoppelung beantragt, das heißt ungefähr 1,2 Milliarden € Sie verlangen in Ihrem Antrag 2 Millionen €. Wir könnten auch 3 Milliarden € sagen. Das sind willkürliche Zahlen, über die ich hier nicht diskutieren möchte. Das ist nur der Sonderfonds. Es muss durch eine Personalbemessung festgestellt werden, wie man der Anzahl der Fälle und der Verdichtung im Krankenhaus begegnen kann.

Wir haben seit 2004 mit der Einführung des DRG-Systems in Krankenhäusern erstens eine Verweildauersenkung größerer Art und zweitens Fallzahlsteigerungen erreicht, wodurch natürlich eine große Arbeitsverdichtung stattfindet. Aber wir können hier nicht pauschal behaupten, dass überhaupt kein Pflegepersonal entsprechend eingestellt worden ist.

Der kausale Zusammenhang, den Sie in Ihrem Antrag herstellen, ist nicht richtig. Vor dem Hintergrund gestiegener Fallzahlen sprechen Sie von zu wenig Personal und behaupten, darin läge eine Gefährdung der Gesundheit der Patienten, da Ihres Erachtens die Qualität der Pflege nur mit mehr Personal zu erreichen ist.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Das ist keine Behauptung!)

Ich kenne die Krankenhäuser. Zehn Jahre lang war ich im Aufsichtsrat der Städtischen Kliniken Köln. Ich bin im Beirat der Porzer Klinik. In diesen Kliniken haben wir jährlich sehr viele Pflegekräfte eingestellt, sodass die Sicherheit der Patienten nie gefährdet war. Doch wir brauchen natürlich mehr Personal, um dieser Arbeitsverdichtung begegnen zu können.

Der andere …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, jetzt sind die 90 Sekunden leider vorbei.

(Arif Ünal [GRÜNE]: Entschuldigung!)

Die Zeit fliegt davon.

Arif Ünal (GRÜNE): Es war die erste Intervention für mich. Deswegen habe ich mit der Zeit nicht aufgepasst! Es tut mir leid!

Wir werden in Ihrem Ausschuss ausführlich darüber diskutieren, …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wunderbar!

Arif Ünal (GRÜNE): … welche Detailprobleme wir in diesem Zusammenhang haben. Es ist nicht so einfach, es eins zu eins zu übertragen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. Soweit Kurzintervention und Entgegnung darauf. – Wir machen im regulären Verfahren weiter. Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Schneider. Bitte schön.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute haben wir den Aktionstag „Pflege am Boden“ draußen erlebt. Ich denke, dass die Piraten deshalb diesen vorliegenden Antrag stellen. Ich bin nur gespannt, ob Sie zum Beispiel Ihre Forderungen bei den Investitionsmitteln auch mit konkreten und realistisch gegenfinanzierten Anträgen in den Haushaltsberatungen untermauern.

Natürlich sind die Situation des Pflegepersonals und die Finanzierung unserer Krankenhäuser ernsthafte Probleme, über die zu debattieren sich wirklich lohnt.

(Beifall von der FDP)

Über 100.000 Pflegekräfte in den 364 nordrhein-westfälischen Krankenhäusern leisten eine wirklich wertvolle Arbeit; ohne sie wäre die Versorgung der Patientinnen und Patienten nicht denkbar.

Liebe Piraten, Sie brauchen mir wirklich nichts über die Anforderungen und Arbeitsbelastungen zu erzählen, da einer meiner Berufsabschlüsse „Staatlich examinierte Krankenschwester“ lautet. Herr Ünal, dann kennt man die Krankenhäuser, ich glaube, nicht von Aufsichtsratstätigkeiten und Beiratssitzungen. Die Krankenhäuser kennen Sie, wenn Sie ein paar Jahre in der Pflege gearbeitet haben. Das möchte ich Ihnen einmal mitgeben.

(Beifall von der FDP)

In der Tat hat der Kostendruck durch externe Faktoren wie Tarifabschlüsse oder die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinien bei den Ärztlichen Diensten dazu geführt, dass gerade die pflegerische Versorgung von Rationalisierung betroffen ist. So können die Steigerungen der Basisfallwerte den Anstieg bei den Personalkosten nicht mehr ausgleichen. Gerade aus diesem Grund sind Ausgleichsfaktoren wie zum Beispiel der Versorgungszuschlag eingeführt worden, die jetzt infrage gestellt werden.

Zudem führt die unzureichende Ausstattung mit Investitionsmitteln dazu, dass die Kliniken – wir haben es gehört – zunehmend Investitionen aus den Erlösen der Krankenversorgung finanzieren und damit noch weniger Mittel für Personal zur Verfügung stehen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass in den Krankenhäusern die Zahl der Beschäftigten in der Pflege trotz zwischenzeitlicher Sonderprogramme nicht angestiegen ist.

Aktuell gefährdet aber vor allem das Krankenhausstrukturgesetz der schwarz-roten Bundesregierung unsere Krankenhäuser. Wenn dieses Gesetz wie eingebracht verabschiedet wird, dann droht mittelfristig eine massive Schließungswelle bei den Kliniken in Nordrhein-Westfalen.

Zwar wird vorgegeben, für mehr Qualität an Krankenhäusern zu sorgen und den Pflegekräftemangel bekämpfen zu wollen, dabei werden aber in der Realität den Kliniken massiv Mittel weggenommen. So soll der bereits erwähnte Versorgungszuschlag gestrichen werden, zudem gehen die Neuregelungen bei den Mengensteuerungen zulasten der Kliniken, auch werden die Kostensteigerungen bei den Notfallambulanzen nicht berücksichtigt. Insgesamt drohen Mindereinnahmen, die die vorgesehenen zusätzlichen Mittel des Pflegestellenförderprogramms deutlich übersteigen würden.

So lassen sich keine Verbesserungen beim Pflegepersonal erreichen. So wird letztlich durch den Kostendruck das Krankenhausstrukturgesetz zu einem Krankenhausschließungsgesetz.

Da reicht es nicht, wie die Piraten oder Prof. Lauterbach es tun, nur eine Anhebung des Pflegestellenförderprogramms zu fordern. Vielmehr ist zu verhindern, dass durch die genannten Instrumente den Kliniken so viele Mittel entzogen werden, dass die Krankenhäuser und ihre Träger komplett überfordert werden. Hier erwarte ich in den weiteren Gesetzesberatungen einen verstärkten Einsatz unserer Landesregierung und der Ministerin.

(Beifall von der FDP)

Und auch in einer weiteren wichtigen Frage ist das Land gefordert: In dem System der dualen Krankenhausfinanzierung sind die Investitionsfördermittel des Landes unverzichtbar, um eine qualitativ hochwertige Versorgung aufrechtzuerhalten und weiterentwickeln zu können.

Der Bedarf liegt nach Expertenmeinung – Herr Ünal, bitte noch einmal zuhören – nicht bei 1,2 Millionen €, sondern bei 1,2 Milliarden €. Bei den drei Nullen muss man aufpassen. Tatsächlich beträgt der Haushaltsansatz aber nur rund 500 Millionen €. Insofern ist die Forderung nach einer Verdoppelung der Mittel nachvollziehbar. Angesichts der Schuldenpolitik der rot-grünen Landesregierung und der aktuellen Haushaltslage ist nicht absehbar, wie diese realistisch umzusetzen ist. Da würde die FDP-Fraktion schon schrittweise Erhöhungen bei der Investitionskostenförderung begrüßen.

Der vorliegende Antrag greift zwar wichtige Probleme auf, aber gerade bei der Diskussion um das Krankenhausstrukturgesetz und seine Umsetzung springt er zu kurz. Wir werden auch die Landesregierung bei der Investitionsförderung und beim Strukturfonds nicht aus der Verantwortung lassen

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss und danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Steffens. Bitte schön, Frau Ministerin.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident, herzlichen Dank. – Meine Damen und Herren! Ich finde es gut, dass wir über dieses Thema wieder einmal debattieren. Wenn wir die heutige Diskussion draußen mit den Demonstrierenden Revue passieren lassen, dann ist uns allen klar, wie die Situation in der Pflege ist.

Ich teile auch die Analyse der Piraten in ihrem Antrag, denn die Publikationen liegen mir auch vor.

Das heißt, die Situation in der Pflege ist dadurch angespannt, dass wir eine gestiegene Anforderung an die Pflegefachkräfte haben, dass wir kürzere Verweildauern haben, dass wir insgesamt mehr Patientinnen und Patienten und mehr multimorbide Patientinnen und Patienten und damit eine höhere Belastung haben bei einem gleichzeitig maximalen Bestand der Pflegekräfte, während wir parallel einen Anstieg des ärztlichen Personals feststellen.

Die Pflegekräfte fühlen sich oftmals überfordert, sie haben zu wenig Zeit, um auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten einzugehen. Gerade wenn die Patienten alt oder behindert sind, reicht es vorne und hinten nicht.

Im europäischen Verhältnis stehen wir mit dem Personalschlüssel im Verhältnis zu den Patienten relativ weit hinten. Wenn man sich das anschaut, gibt es in Deutschland eine Pflegekraft für 9,9 Patienten, in Norwegen ist es eine auf 3,7, in den Niederlanden eine auf 4,8. Das sagt viel darüber aus, wie viel wir hier an Nachholbedarf hätten. Das heißt, es ist nicht gut. Wir müssen etwas daran ändern, aber die Frage ist ja, wie und wer Abhilfe schaffen kann. Da kommen wir zu dem Punkt, an dem ich die Einschätzung der Piraten nicht mehr teile.

Ich denke, dass wir diese Entscheidung einheitlich auf Bundesebene treffen müssen. Wir als Land können auch viele Sachen, die Sie gerne hätten, nicht machen. Gerade eine Expertenkommission auf Landesebene hat nicht den Einfluss auf das, was auf Bundesebene umgesetzt wird.

In der Bund-Länder-AG, bei der ich anwesend war und über die ich – wie Sie eben gewünscht haben – kurz berichten soll, gab es einen Punkt, den ich auch entscheidend finde. Gerade die Situation der Pflege war für mich einer der wichtigsten Punkte in dieser Bund-Länder-AG. Da ist beschlossen worden, dass es eine solche Expertenkommission geben soll, die die sachgerechte Abbildung des notwendigen Pflegebedarfs wirklich versucht zu ermitteln.

Zwei Sachen sind meines Erachtens dabei wichtig: Das eine ist, dass endlich ermittelt wird, wie viel Pflege für einen durchschnittlichen Patienten entsprechend der erbrachten DRGs notwendig ist. Das Zweite, was wichtig ist, ist, wie viel Pflege eigentlich für die Menschen erforderlich ist, die schon mit Vorbelastungen, also mit Pflegestufen, Multimorbidität und Demenz ins Krankenhaus kommen. Das ist in den heutigen DRGs nicht adäquat abgebildet.

All das soll eine solche Expertenkommission auf Bundesebene ermitteln, und wir brauchen dies auch bundeseinheitlich. Die Ergebnisse müssen hinterher auch vom Bundesgesetzgeber anerkannt werden. Aber ein solches Hearing für Nordrhein-Westfalen alleine halte ich für nicht sinnvoll, weil wir in Nordrhein-Westfalen lieber in die Entscheidungsstrukturen und Prozesse, die wir haben, die Menschen aus der Pflege einbinden – egal, ob in die AG nach § 17 WTG oder in die anderen Strukturen: Pflege wird immer mit eingebunden.

Ich komme nun zum Pflegestellenprogramm auf Bundesebene. Ich finde, es ist ein richtiges Signal, dass der Bund sagt: Ja, wir brauchen mehr Pflege, deswegen das Programm. – Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Darüber müssen wir uns im Klaren sein, wenn das ein, zwei, drei Pflegefachkräfte pro Krankenhaus sind, wird das nicht die Situation der Pflegefachkräfte nachhaltig entlasten. Der Bundesrat hat eine Verdoppelung dieses Programms beschlossen. Auch das wird nicht reichen. Es ist aber ein Signal, dass mehr Pflege notwendig ist. Viel mehr war im Bund, in dieser Bund-Länder-AG auch nicht drin.

Dann sprechen Sie die investiven Mittel auf Landesebene an. So, wie wir über Jahre hinweg erzählt bekommen haben, dass im Spinat viel Eisen enthalten ist, wird immer wieder davon gesprochen, dass dadurch, dass die Länder wenig investive Mittel haben, die Personalmittel, die in den DRGs vorhanden sind, in den Invest fließen würden. Dies ist eine Mär, es ist ein Gerücht, es ist so nicht nachzuweisen.

Wir haben vor allem auch Zahlen dazu, die auf Bundesebene ermittelt worden sind, wo ganz klar ist, dass die Schätzungen der DRG-Zuweisungen im Pflegedienst im Jahr 2012 bei 10,8 Milliarden € lagen.

Laut Statistischem Bundesamt lagen die Ausgaben bei 14,7 Milliarden €.

Das heißt, wir brauchen mehr Geld für die Pflege. Es wird mehr Geld in den Krankenhäusern für die Pflege ausgegeben, als überhaupt in den DRGs abgebildet worden ist. Also kann gar kein Geld mehr in den Invest gegangen sein. Nein, es ist sogar andersherum. In den DRGs ist nämlich auch ein Anteil an investiven Mitteln enthalten, der für die Instandhaltung der Substanz vorgesehen ist. Diese Mittel werden über den Sachhaushalt genauso für Personal ausgegeben wie die im DRG vorgesehenen Personalmittel.

Trotzdem stimme ich Ihnen zu: Ja, wir brauchen auch mehr Mittel im investiven Bereich. Deswegen haben wir dem Landtag im letzten Jahr im Rahmen der Haushaltsberatungen vorgeschlagen, die Summe zu erhöhen. Auch in diesem Jahr haben wir mit dem Haushaltsentwurf 2016 eine Erhöhung vorgeschlagen. Wir wollen auch den Strukturfonds mit Landesmitteln kofinanzieren, damit wir strukturelle Veränderungsprozesse im Land auch in investiven Bereichen voranbringen können.

Ich freue mich auf die weitere Diskussion im Ausschuss, damit wir auch die Spinatfrage nachhaltig und dauerhaft für Nordrhein-Westfalen klären können. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/9586Neudruck – an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf

5   Informationsfreiheit darf nicht an der Universitätstür Halt machen! – Landesregierung muss endlich für Transparenz sorgen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9589

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Dr. Paul das Wort. Bitte.

Dr. Joachim Paul*) (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier und zu Hause! Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Aber diese Freiheit entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. Das will ich zu Beginn ausdrücklich unterstreichen; denn das bedeutet nicht, dass die Informationsfreiheit, die im selben Artikel des Grundgesetzes garantiert wird, ausgehebelt werden darf.

Das wollen wir mit unserem Antrag debattieren, der sich auf die bestehende Landesgesetzgebung bezieht. Anstoß waren die jüngst zurückliegende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster zur Frage der Veröffentlichung des Kooperationsvertrages zwischen der Bayer AG und der Universität zu Köln und darüber hinaus ein Passus aus unserem Wahlprogramm 2012.

Wir Piraten sind der Auffassung, dass die Forschungsfreiheit an den Hochschulen gefährdet ist, wenn private Auftraggeber gezielt ein bestimmtes Forschungsergebnis verfolgen können. Dadurch wird eine ergebnisorientierte Forschung unter dem Deckmantel von Neutralität und Sachlichkeit später als öffentliches universitäres Forschungsergebnis präsentiert. Wir fordern daher eine deutliche Nennung der privaten Förderer und Kooperationspartner.

Durch Verträge gehen die Rechte an den Forschungsergebnissen oftmals vollständig an den privaten Auftraggeber über. Dadurch werden Patente in der privaten Wirtschaft geschaffen, die durch öffentliche Gelder mitfinanziert sind. Das ist zunächst einmal okay. Aber wenn die Patente dann irgendwann in Asien oder den USA auftauchen und unsere Gesellschaft nichts davon hat, dann ist das nicht so schön.

Bei Beteiligung von öffentlichen Geldern sind unserer Meinung nach alle Forschungsergebnisse öffentlich zu machen.

Wie ist es aktuell in NRW? Das Informationsfreiheitsgesetz blendet aktuell den Forschungsbereich aus und versieht alles, was mit Transparenz zu tun haben sollte, mit einem Freibrief für Partikularinteressen von Unternehmen. Auch die marginalen Veränderungen im sogenannten Hochschulzukunftsgesetz zur Veröffentlichung von Drittmittelprojekten und Forschungskooperationen sind – gemessen am gesamtgesellschaftlichen Transparenzanspruch – unzureichend.

Diese Landesregierung spricht viel von Verantwortung, kippt aber vor Lobbyinteressen um. So sah der Referentenentwurf der Landesregierung zum Hochschulzukunftsgesetz zunächst vor, dass die Hochschulen zur Veröffentlichung von Drittmittelprojekten und Forschungskooperationen verpflichtet werden. Der Aufschrei von Lobbyverbänden war riesengroß und der Untergang des Abendlandes wurde herbeibeschworen. Schwuppdiwupp wurde dieser Passus wieder geändert.

Wir sehen es ähnlich wie der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, der Folgendes zur Veröffentlichung von Kooperationen sagte. Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitiere ich:

„Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen gewinnen an Bedeutung. Um einer übermäßigen Einflussnahme auf das Handeln einer Hochschule entgegenzuwirken und größere Transparenz sicherzustellen, käme die Einführung einer Veröffentlichungspflicht für Kooperationsverträge in Betracht.“

„Dem Interesse an größerer Transparenz hinsichtlich der Kooperationen von Hochschulen und Unternehmen könnte jedoch durch eine inhaltlich beschränkte Offenlegungspflicht begegnet werden. Eine Veröffentlichung der Fördersumme sowie der Laufzeit einer Kooperation dürfte grundsätzlich mit den Grundrechtspositionen der Beteiligten zu vereinbaren sein.“

„Letztlich stellt sich auch die Frage, ob und wie einer zunehmenden Einflussnahme von Unternehmen auf Hochschulen entgegengewirkt werden sollte.“

„Eine Veröffentlichungspflicht, die sich auch auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse erstreckt, wäre ein Eingriff in Artikel 12 Abs. 1 GG. Ein solcher Eingriff ist als Eingriff in die Berufsausübung zu werten und wäre gerechtfertigt, wenn das zu Grunde liegende Gesetz durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.“

„Im Ergebnis dürfte eine auf einzelne Vertragsdetails beschränkte Veröffentlichungspflicht mit der Berufsfreiheit vereinbar sein.“

Das ist ein Abwägungsproblem. Es besteht auf der einen Seite ein öffentliches Interesse an dem, was an den Hochschulen als gesellschaftlichen Einrichtungen passiert. Auf der anderen Seite gibt es auch privatwirtschaftliche Interessen von Unternehmen.

Entsprechend dem von uns genannten Passus in der Antwort auf die Regierungserklärung von Hannelore Kraft im Januar kann man von Datensparsamkeit und Datenvorsicht sprechen: Also so viele Daten wie möglich, um die Öffentlichkeit genügend zu informieren, aber so wenige Daten wie nötig, um etwaige Betriebsgeheimnisse usw. zu wahren.

In NRW ist diesbezüglich leider nicht so viel passiert. Eigentlich gar nichts. Wir fordern daher die Landesregierung auf, die nötigen Änderungen im Informationsfreiheitsgesetz und dem Hochschulzukunftsgesetz vorzunehmen, um der Einflussnahme auf die Freiheit der Forschung und Lehre zu begegnen und auch die notwendige Transparenz herzustellen, damit es dem Wissenschaftsstandort NRW nicht schadet. – Vielen Dank. Wir freuen uns auf konstruktive Diskussionen im Ausschuss.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Paul. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Bell das Wort.

Dietmar Bell*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als wir vor einem Jahr das Hochschulzukunftsgesetz in diesem Haus sehr kontrovers miteinander diskutiert haben, war einer der Punkte die Regelung im Gesetz, die jetzt von Ihnen in Ihrem Antrag erneut aufgenommen worden ist.

Ich bin jemand, der es durchaus auch für eine Qualität hält, wenn Abwägungsprozesse stattfinden und ein Kompromiss gefunden wurde; denn in Diskursen geht es darum, unterschiedliche Interessen miteinander auszuloten und zu Ergebnissen zu kommen, die dann auch tragfähig sind und die dann auch eine Akzeptanz bei dem genießen, was wir in diesem Hohen Hause tun.

Lieber Joachim Paul, insoweit plädiere ich dafür, diese Regelung, die wir im Hochschulzukunftsgesetz aufgenommen haben, auch als guten, positiven Kompromiss zu bewerten und nicht als Angriff auf die Verfassung dieses Landes.

Als ich Ihren Antrag gelesen habe, bin ich über einen Satz gestolpert, der mich schlichtweg fassungslos gemacht hat. Deswegen will ich ihn mit Erlaubnis des Präsidenten hier auch vortragen. Sie beziehen sich auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Münster und tragen vor:

„In der mündlichen Verhandlung verwies der Senat des Oberverwaltungsgerichtes auf die Regelungen, die der Gesetzgeber vorgesehen hat, und entzog sich einer politischen Bewertung der Gesetzgebung.“

Lieber Herr Dr. Paul, sehr geehrte Fraktion der Piraten, Art. 3 der Landesverfassung, der auch Sie verpflichtet sind, sieht in Abs. 3 vor, dass die Rechtsprechung durch unabhängige Richter ausgeübt wird, und bezieht sich damit unmittelbar auf Art. 92 und 97 des Grundgesetzes.

Mit Erlaubnis des Präsidenten will ich aus dem Grundgesetz-Kommentar von Schulze-Fielitz zitieren:

Art. 97 Grundgesetz gewährleistet mit der Unabhängigkeit der Richter einen, wenn nicht den zentralen Baustein in der Architektur des Rechtsstaats: Es gibt keinen Rechtsstaat ohne eine rechtsprechende Gewalt durch unbeteiligte Dritte als Richter, und es gibt keine rechtsstaatliche Justiz ohne die Unabhängigkeit dieser Richter von den Einflussnahmen Dritter auf die Streitentscheidung – bei gleichzeitiger Bindung nur an das Gesetz.“

Nur an das Gesetz, Herr Dr. Paul!

„Insofern ist die richterliche Unabhängigkeit Ausdruck der Gewaltenteilung …, zentrales Charakteristikum richterlicher Tätigkeit ...“

Art. 97 Grundgesetz

„richtet sich gegen alle Versuche der Staatsgewalten, direkt oder indirekt auf die Entscheidungen konkreter Fälle Einfluss zu nehmen oder eine solche Einflussnahme zu ermöglichen ...“

Das ist der Grundpfeiler unserer Verfassung.

Ihre Lesart, dass die Richter sich einer politischen Bewertung der Gesetzgebung faktisch nicht gestellt hätten, ist eine Aufforderung zum Bruch dieser Gewaltenteilung, die eminent die Verfasstheit dieses Landes ausmacht.

Selbst als die Linken hier im Parlament waren, habe ich einen solchen Satz in Vorlagen der Linken nicht gelesen.

Weil ich gerade Ihnen, Herr Dr. Paul, nicht unterstelle, dass Sie sich hier nicht auf die Verfassung verpflichtet fühlen, bitte ich Sie dringend, bei der Erstellung Ihrer Vorlagen mehr Sorgfalt walten zu lassen, damit wir nicht über diese grundsätzlichen Fragen hier im Parlament miteinander debattieren müssen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Hegemann das Wort.

Lothar Hegemann*) (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Paul, wenn man sich mit dem Antrag beschäftigt, kann man ja sagen: Er hat durchaus akzeptable Züge; mehr Transparenz auch im Wissenschaftsbereich ist okay. – Sie fordern also die Transparenz, die uns Ihr Kollege Vizepräsident immer verwehrt hat. Das ist dann wohl eine andere Geschichte. Ich sage einmal: Wenn Transparenz, dann gilt sie natürlich für alle.

Ich kann aber nicht glauben, dass Sie den Antrag selbst gelesen haben, Herr Dr. Paul. Das glaube ich deshalb nicht, weil er nach meiner Einschätzung ein Novum in der Landtagsgeschichte darstellt. Ich gehöre dem Landtag schon etwas länger an, was auch nicht immer ein Vorteil sein muss, habe allerdings noch nie erlebt, dass ein Schriftstück mit einer Landtagsdrucksachennummer auf zwei Seiten zehn Rechtschreibfehler enthält.

(Der Redner hält eine Unterlage hoch.)

So hätte das ausgesehen, wenn mein Lehrer das zu bewerten gehabt hätte. Das ist der Antrag der Piraten, in dem die Fehler rot angestrichen sind. Darüber sollten Sie vielleicht auch noch einmal nachdenken. Es wäre vielleicht gar nicht schlecht, einmal daran zu arbeiten.

Zweitens frage ich Sie: Wen wollen Sie denn jetzt damit beschäftigen? Das ist ein rein wissenschaftliches Thema. Sie haben hier auch aus dem Blickwinkel des Wissenschaftspolitikers gesprochen. Insofern müsste jetzt an und für sich mein Kollege Stefan Berger reden. Sie beantragen aber ausdrücklich die Überweisung in den Innenausschuss. Das müssen Sie mir einmal erklären; denn der Innenausschuss hat mit dieser Thematik überhaupt nichts zu tun. In seiner Weisheit ist der Ältestenrat Ihnen gefolgt. Er trifft kluge Entscheidungen. Sachlich nachzuvollziehen ist das aber überhaupt nicht.

Drittens – damit komme ich schon zum letzten Punkt –: Ihr Forderungskatalog ist offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt. So wird in der Ziffer III.2 gefordert, „einen Änderungsvorschlag für das Informationsfreiheitsgesetz NRW vorzulegen, sodass die Informationsfreiheit auch Anwendung in den Bereichen Forschung und Lehre findet“. Bereits in der nächsten Beschlussziffer, nämlich Ziffer III.3, wird die Landesregierung aufgefordert, „dem Parlament umgehend einen Gesetzentwurf eines Transparenzgesetzes NRW vorzulegen“, das durch das Informationsfreiheitsgesetz NRW dann allerdings abzulösen ist.

Ich habe nichts dagegen, wenn Sie die Landesregierung in irgendeiner Form in Schwierigkeiten bringen wollen. Ich gestehe Ihnen sogar, ich hätte Spaß daran. Aber was sollen die denn jetzt machen? Das weiß doch kein Mensch! Wenn wir diesem Antrag irgendwann zustimmen, dann weiß kein Mensch, was gemacht werden soll. Soll das Informationsfreiheitsgesetz geändert werden, oder soll das Transparenzgesetz geändert werden? Sie sagen, das eine solle durch das andere ersetzt werden, fordern aber, dass beides geändert wird.

(Zuruf)

– Doch, das ist Ihre Formulierung. Deshalb kann man Ihnen nicht verweigern – das tun wir natürlich auch nicht –, den Antrag zu überweisen, zur Not auch an den Innenausschuss. Aber ich glaube, den werden Sie nicht lebend wiedersehen.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Dr. Seidl das Wort.

Dr. Ruth Seidl*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich noch einmal die Faktenlage schildern: Wir haben am 11. September 2014 nach einer sehr intensiven Debatte – das wissen wir alle – mit Hochschulvertretern, aber auch mit der Wirtschaft und den Unternehmen das Thema „Drittelmitteltransparenz“ ins Hochschulgesetz aufgenommen und vom Parlament verabschiedet. Das ist jetzt kein ganzes Jahr her.

Um es ganz deutlich zu sagen: Dabei haben wir versucht, die Hardlinerpositionen auf beiden Seiten in eine vernünftige Balance zu bringen – ob vollständige Alleinverantwortung und Interpretationshoheit auf der einen Seite oder bedingungslose Offenlegung von Forschungskooperation auf der anderen Seite.

Wer nicht sehen will, dass wir uns hier in einem Spannungsfeld befinden, nämlich zwischen dem legitimen gesellschaftlichen Anspruch auf Transparenz und dem ebenfalls berechtigten Interesse auch der Unternehmen nach Wahrung ihres geistigen Eigentums, der hat den Anschluss an eine gesellschaftspolitische Diskussion verpasst, die im vergangenen Jahr außerordentlich differenziert geführt worden ist.

Das Ergebnis im HZG heißt in jedem Fall: mehr Transparenz.

Künftig muss auch über abgeschlossene Forschungsvorhaben, die mit Drittelmitteln finanziert wurden, regelmäßig und öffentlich informiert werden. Die Rechte Dritter bleiben aber entsprechend dem Informationsfreiheitsgesetz gewahrt. Vor diesem Hintergrund hat jetzt auch das Oberverwaltungsgericht NRW seine Entscheidung in Sachen Forschungsvereinbarung zwischen der Uni Köln und der Bayer Pharma AG getroffen. Hier heißt es – ich zitiere –:

„Der Gesetzgeber habe bei der Ausgestaltung der Informationsfreiheit gerade auch im Verhältnis zur Wissenschaftsfreiheit einen weiten Gestaltungsspielraum. Diesen habe er verfassungskonform ausgefüllt.

An der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 IFG NRW bestünden keine Bedenken.“

Ich frage mich also, Herr Dr. Paul, was Ihre Intention ist. Wollen Sie die gerade abgeschlossene Debatte über den Transparenzparagrafen im HZG neu entfachen? Wir kennen die Diskussion alle. Wollen Sie sich einseitig auf die Seite der Drittmittelgegner schlagen? Und/oder wollen Sie möglicherweise aus unserer Sicht wichtige Kooperationen in der Drittmittelforschung gefährden, was Sie damit auch tun würden?

Ihr Antrag scheint mir aber eher ein schlecht gelungener populistischer Versuch zu sein, sich das Thema „Transparenz“ auf die Piratenfahne zu schreiben, denn mit einer vernünftigen Abwägung des Interessenausgleichs hat er nichts gemein.

Die Hochschulleitungen und die Wirtschaft, die anfangs gegen den neuen § 71a im Hochschulgesetz Sturm gelaufen sind, haben sich doch inzwischen mit dem Thema „Transparenz“ bei der Drittmittelforschung arrangiert, auch deshalb, weil wir eine vernünftige Lösung gefunden haben. So heißt es in einer Stellungnahme der Landesvereinigung der Unternehmensverbände vom 2. Mai 2014 – ich zitiere Teile daraus –:

„Die enge Kooperation der Hochschulen mit externen Partnern, insbesondere aus der Wirtschaft, ist für eine hochwertige Hochschullandschaft essentiell. …

Umso wichtiger ist es, diese Kooperationen nicht durch zusätzliche Hürden zu erschweren und damit aufs Spiel zu setzen. Bei Regelungen zur Transparenz solcher Kooperationen ist daher zu beachten, dass Forschungsvorhaben häufig sehr sensible Bereiche betreffen und eng mit Betriebsgeheimnissen verbunden sind. Innovationsvorsprünge, die so erreicht werden, müssen geschützt werden. Wer mit Forschungsinvestitionen innovative Produkte und Prozesse entwickelt, darf nicht in Gefahr laufen, dass Wettbewerber diese Innovation durch Veröffentlichungen einfach ‚abgreifen‘. Mit dem Regierungsentwurf ist hierzu eine sachgerechte Regelung gefunden, die zu begrüßen ist.“

Ich finde, auch diese Betrachtungsweise darf man nicht einfach ausblenden, Herr Paul, bei allem Verständnis für ein höchstmögliches Maß an Transparenz und auch Information.

Das aktuelle Hochschulgesetz bringt aus unserer Sicht beide Interessenlagen miteinander in Einklang.

Aber ich finde, wir sollten die jetzt gefundene Transparenzregelung vielleicht nach einem angemessenen Zeitraum noch einmal evaluieren und prüfen, ob sie gewünschte Wirkung entfaltet. Wir könnten dann im Ausschuss über die konkreten Ergebnisse gemeinsam beraten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Es liegt, wenn Sie noch einen Moment hierbleiben, eine Kurzintervention von Herrn Dr. Paul vor.

Dr. Joachim Paul*) (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Seidl, ich fand es bemerkenswert und schön, dass Sie noch einmal herausgestellt haben, dass es bei uns tatsächlich um eine Abwägung geht. Ich bin 1988 bis 1993 erst als Junior- und dann als Senior-Researcher in zwei EU-geförderten Forschungsprojekten unterwegs gewesen. Dabei waren renommierte Universitäten, in einem Projekt 13 Partner von Porto bis Glasgow, im Übrigen auch Messerschmitt-Bölkow-Blohm und die Daimler-Benz AG.

In diesem Projekt wurden sensible Daten bearbeitet. Für einen Datensatz war ich sogar selber verantwortlich; es handelte sich um anonymisierte Daten von Krebspatienten. Das ist problemlos möglich. Und die EU veröffentlicht vor dem Start dieses Forschungsprogramms das Budget, die gesamten Partner und den Gegenstand. Es ging um den Test von KI-Algorithmen.

Daimler-Benz – es gibt ja immer diese Angst, dass die Unternehmen dann nicht mehr mitmachen würden, dass wir Innovationen behindern würden – hat einen Confidential-Anspruch auf ihren Datensatz erhoben. Den haben die uns gegeben und nicht gesagt, was es ist. Damit kann man arbeiten, und die EU muss das sogar tun.

Ich finde, die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen und die Unternehmen, die miteinander kooperieren, sollten das auch tun, und zwar vorher. Bei der EU gibt es eine Bestimmung, die besagt, das seien begrenzte Fördermittel. Die anderen Bewerber, die bei den Fördermitteln leer ausgegangen sind, müssen ja wissen können, was die anderen machen. Das, finde ich, gehört zu einer offenen Wissensgesellschaft.

Auf der anderen Seite fände ich es viel wichtiger, wenn man etwas gegen Wirtschaftsspionage tun würde. Das sind meine zwei Punkte dazu.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Dr. Ruth Seidl*) (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Dr. Paul, auch dafür, dass Sie diese Intervention angemeldet haben. – Ich glaube, ich habe alles dazu gesagt. Denn wir haben im Grunde diese Abwägung zwischen Transparenz und öffentlichem Interesse sehr intensiv mit allen Beteiligten in verschiedenen Anhörungen im Landtag, aber auch an den Hochschulen vorgenommen. Wir sind Schritt für Schritt durchgegangen: Was sind eigentlich die Ängste auf beiden Seiten?

Klar ist, dass es einen legitimen Anspruch auf Transparenz geben muss. Der wird aber aus unserer Sicht durch die jetzige Gesetzeslage umgesetzt, indem immer, auch im Anschluss, informiert werden muss. Das heißt, wir können von der RWTH Aachen auch im Anschluss wissen: Woran ist in den vergangenen Jahren geforscht worden? Mit wem ist geforscht worden – der Name –, und worüber ist geforscht worden? Denn auch das Thema muss angesetzt werden.

Das heißt: Wir haben eigentlich eine Transparenzpflicht von dieser Seite nachträglich geschaffen. Es ist nur nicht so, dass sozusagen schon im Vorhinein alles offengelegt werden muss, wo die Ängste oder die Vermutungen bestanden haben, da könnte etwas in die Öffentlichkeit gelangen. Dann kann es natürlich sein, dass die Unternehmen keine Lust mehr haben, mit den Hochschulen zu kooperieren, wenn ihnen klar wird: Da könnte etwas an den Konkurrenten gehen, da könnten tatsächlich Wettbewerbsgeheimnisse in der Welt sein.

Das hat man uns sehr deutlich gesagt. Wir haben das abgewogen und auch im Sinne des Hochschulgesetzes, das wir gemeinsam verabschieden wollten, aus meiner Sicht einen guten Kompromiss gefunden.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn hier von „Wirtschaftsspionage bekämpfen“ und „Abwägung“ die Rede ist, muss ich sagen: Das alles ist spannend und in Teilen auch zutreffend, zumindest was die Wirtschaftsspionage angeht, nur in dem Antrag steht davon nichts. Der Antrag macht deutlich, was schon in den Beratungen zum sogenannten

(Lachen von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Hochschulzukunftsgesetz deutlich wurde, dass Ihnen die Kooperation zwischen Hochschulen, Wissenschaft und Wirtschaft eher ein Dorn im Auge ist

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Nee, nee!)

und Sie alles tun, um Wirtschaft von den Hochschulen fernzuhalten. Jetzt ist natürlich das aktuelle Urteil über die Offenlegung des Forschungsabkommens ein willkommener Anlass, diese Debatte erneut aufzumachen.

Meine Damen und Herren, die Piraten verfolgen damit dieselbe Idee, die auch im ursprünglichen Entwurf zu dieser Hochschulgesetznovelle seinerzeit deutlich wurde; Sie beziehen sich ja auch ausdrücklich auf die ursprüngliche rot-grüne Formulierung zu den Veröffentlichungspflichten bei Drittmittelkooperationen.

Sie sind im Beratungsverfahren – die Kollegin Seidl hat es ebenso wie der Kollege Bell schon angesprochen –von den Unternehmen, sowohl von den Arbeitgebern als auch den Beschäftigten bzw. den Arbeitnehmern, vertreten durch die Kammern bzw. die Verbände und Gewerkschaften, zu Recht darauf hingewiesen worden, dass diese Vorstellung eine Gefährdung von Innovationskraft und Arbeitsplätzen in unserem Land bedeutet.

Bei der Anhörung ist ebenfalls sehr deutlich unterstrichen worden, dass eine solche Veröffentlichungspflicht, wie sie mit der ursprünglichen Formulierung vorlag, 86 % der Unternehmen von Forschungskooperationen abhalten würde. Bei der Anhörung müssen Sie offensichtlich besonders die Ohren gespitzt und die Veröffentlichungspflicht nun als das taugliche Instrument erkannt haben, Drittmittelkooperationen letztlich zu unterbinden.

Mich irritiert dann die Auflistung, in welche Bereiche Ihre Veröffentlichungspflichten nicht hineingreifen dürfen: in die Forschungsfreiheit, in Persönlichkeitsrechte und in Betriebsgeheimnisse.

Dass aber nun die von Ihnen geforderte allgemeine Veröffentlichungspflicht dem fundamental widerspricht, ist doch offensichtlich. Denn ohne diese Bereiche betreffende Angaben lässt sich doch das Informationsbedürfnis, das Sie beschreiben, gar nicht stillen. Deshalb würde auch kein Unternehmen das Risiko eingehen, dem Mitbewerber das eigene Forschungsinteresse auf dem Präsentierteller zu servieren. Das hat die Kollegin Seidl aus der Anhörung sehr zutreffend hier dargestellt; es wurde doch sehr glaubwürdig und anschaulich berichtet.

Der gesamte Antrag der Piraten zeugt übrigens von dem gleichen Misstrauen gegenüber autonomen Hochschulen und Kooperationen mit der Wirtschaft, was wir auch an vielen anderen Stellen im Gesetzgebungsverfahren gesehen haben.

Letztlich unterstellen Sie der Industrie, wie in diesem Falle Bayer, dass die Infrastruktur der Hochschulen für Unternehmensgewinne missbraucht wird. Der Chemie- und Pharmariese eignet sich ja auch hervorragend für das linkspiratige Feindbild der bösen Großindustrie. So heißt es in dem Antrag dann auch verschwörerisch, dass sich die Landesregierung den Interessen der Wirtschaftsvertreter gebeugt habe. Gegen diese „Verschleierungstaktik des Kapitals“ hilft natürlich nur die Allzweckwaffe Nummer eins der Piraten, die Transparenz.

Meine Damen und Herren, dass die Hochschulen und die Allgemeinheit von diesen Forschungsgeldern und Forschungskooperationen auch profitieren, fällt hier komplett unter den Tisch. Keinerlei Abwägung!

Ich sage Ihnen, wer die wahren Verlierer Ihres Antrages wären, wenn er hier beschlossen würde: Das wäre nicht die Großindustrie, die Ihnen ja ein Dorn im Auge ist; die kann in andere Bundesländer oder sogar in andere Staaten ausweichen, gegebenenfalls in ihren eigenen Forschungsabteilungen diese Forschungen selbst betreiben. Nein, es würde vor allen Dingen die mittelständische Wirtschaft in unserem Land treffen, die eben regional verwurzelt und verbunden ist und nicht die Möglichkeit hat, einfach Standorte zu verlagern, auszuweichen und sich selbst Alternativen zu eröffnen.

Ich wäre dankbar, wenn wir im weiteren Beratungsverfahren auch bei den Piraten noch die Erkenntnis wecken könnten, dass es keine gute Idee ist und Sie dem Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen mit Ihren Vorstellungen schaden.

Zum Verständnis der Rechtsstaatlichkeit und dem Grundprinzip der Gewaltenteilung hat der Kollege Bell, mit dem ich ansonsten nicht unbedingt immer einer Meinung bin,

(Dietmar Bell [SPD]: Schade!)

viel sehr Zutreffendes angemerkt. Auch hierbei lässt der Antrag der Piraten tief blicken. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und Ilka von Boeselager [CDU])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Transparenz an den Hochschulen ist wichtig; denn die Hochschulen werden überwiegend öffentlich finanziert, und sie leisten herausragende Arbeit für unsere Gesellschaft. Viele der großen Lösungen – für den Klimawandel, für die älter werdende Gesellschaft, für Mobilität – werden an den Hochschulen erdacht und entwickelt. Deswegen ist es wichtig, dass dort Transparenz herrscht.

Deswegen hatten wir beim Hochschulzukunftsgesetz eine breite Debatte darüber, wie wir diese Transparenz sicherstellen können. Wir haben eine sehr sinnvolle Lösung gefunden, die genau den richtigen Schritt in Richtung Transparenz geht: Die Rektorate informieren die Öffentlichkeit in geeigneter Weise.

Frau Freimuth, das war schon im ersten Referentenentwurf so. Wir haben es da nur so formuliert, dass auf das Informationsfreiheitsgesetz verwiesen wurde, in dem das im Grunde genommen schon enthalten ist.

Im zweiten Entwurf haben wir es explizit in das Hochschulgesetz aufgenommen. Wir sind also in beiden Gesetzentwürfen unserer Linie komplett treu geblieben.

Dieses Gesetz ist seit dem 1 Oktober 2014, also seit knapp einem Jahr, in Kraft. Jetzt gab es ein Gerichtsurteil, auf das sich die Piraten beziehen. Das Oberverwaltungsgericht hat noch einmal bekräftigt, dass Informationsfreiheit auch die Wissenschaftsfreiheit beachten muss. Wir fühlen uns sehr deutlich bestätigt, dass wir in unserem Gesetz genau die richtige Abwägung getroffen haben und in die richtige Richtung gehen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bayer zulassen?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Immer gerne.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Ministerin. – Sie haben eben den Hinweis auf das Informationsfreiheitsgesetz im Referentenentwurf angesprochen. Es gibt eine gewisse Reihenfolge. Wir wollen das Transparenzgesetz, aber uns ist klar, dass das Informationsfreiheitsgesetz in schneller Weise Lösungen schaffen kann.

Sie sagten, dass jetzt nur noch die Worte „in geeigneter Weise informieren“ enthalten sind – eine sehr schwache Formulierung.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Sie müssen jetzt die Frage stellen.

Oliver Bayer (PIRATEN): Ich stelle jetzt die Frage. – Würden Sie davon ausgehen, dass das Urteil, wenn der alte Satz mit dem Hinweis auf das Informationsfreiheitsgesetz geblieben wäre, hätte anders ausfallen können? Denn dann wäre das Informationsfreiheitsgesetz, auf das sich die Klage bezogen hat, explizit erwähnt worden.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.

(Zuruf von der SPD: Hätte, hätte!)

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Es war etwas schwierig, die Frage zu verstehen, die Sie gestellt haben. Wenn ich Sie richtig verstehe, möchten Sie, dass ich bewerte, wie ein Gericht entschieden hätte, wenn die Gesetze anders wären. Das tue ich nicht. Ich akzeptiere die Gewaltenteilung.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

An solchen Spekulationen würde ich mich lieber nicht beteiligen.

Gerne gebe ich Ihnen noch einen Hinweis: Direkt auf Ihrer ersten Seite beziehen Sie sich auf den Bericht des Landesdatenschutzbeauftragten für die Jahre 2011 und 2012. Darüber habe ich mich etwas gewundert. Vielleicht können wir in den Beratungen im Ausschuss mal darüber reden, was sich zwischen 2012 und 2015 verändert hat. Ich finde, das Gesetz, das wir auf den Weg gebracht haben, ist eine wichtige Veränderung. Darüber lohnt es sich immer wieder – auch im Ausschuss – zu diskutieren. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/9589 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

6   Deutsch als europäische Sprache stärken

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9515

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Freifrau von Boeselager das Wort.

Ilka von Boeselager (CDU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass sich unser vorliegender Antrag „Deutsch als europäische Sprache stärken“ in wichtigen Teilen selbst erklärt. Die Defizite, die es bei der Anwendung der deutschen Sprache auf europäischer Ebene aus unserer Sicht gibt, sind bekannt. Andere Parlamente und Kammern haben das ebenfalls schon diskutiert. Auch wir in Nordrhein-Westfalen befassen uns nicht das erste Mal mit der Thematik und den praktischen Problemen einer unzureichenden Übersetzung.

Konfuzius hat einmal gesagt: „Wenn die Sprache nicht stimmt, dann ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist.“ Das war auch eben bei dem Kollegen ganz deutlich festzustellen.

Diese Worte – deshalb spreche ich von einem doppelt berufenen Mund – hat unsere heutige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in der Podiumsdebatte am 8. Dezember 2000 zitiert, also vor fast 15 Jahren. Damals hatte die CDU-Fraktion den Antrag „Die deutsche Sprache in der Europäischen Union aufwerten“ eingebracht.

Wenn bedeutsame und komplexe Dokumente europäischer Gesetzgebung erst sehr verzögert in deutscher Sprache vorliegen, dann hat das zur Konsequenz, dass vorentscheidende Bewertungen oft auf einer englischsprachigen Version basieren – zulasten von Vertiefung und Genauigkeit.

Der Preis ist auch, dass Kapazitäten für die eigene Übersetzung gebunden werden. Das Wirtschaftsministerium rechnet auf seiner Internetseite vor, dass Nordrhein-Westfalen das Land des Mittelstands ist. Rund 765.000 kleine und mittlere Unternehmen bilden das wirtschaftliche Rückgrat der Region. Allein die Relation dieser Zahl zu unserer Gesamtbevölkerung weist darauf hin, welche Ressourcen kleinere Unternehmen haben, um umfassende Übersetzungsarbeit zu leisten, nämlich oft keine.

Aber nicht nur die Wirtschaft ist von Sprachbarrieren betroffen. Herbert Reul hat in einer Parlamentarischen Anfrage im Juni seine Verärgerung darüber ausgedrückt, dass die Faktenblätter der Kommission zu TTIP nur auf Englisch abzurufen waren. Bei dem, was auf dem Spiel steht, ist eine unfertige Darstellung auch in der Zivilgesellschaft Gift.

Sie trägt zu gefährlichen Vorurteilen und besonders zu dem Gefühl bei, dass hier Intransparenz herrscht.

In der Zeitung „DIE WELT“ hat der Sprachforscher Ulrich Ammon im Januar deutlich gemacht, wie wichtig der Zusammenhang von internationalen Beziehungen und einer tiefergehenden Sprachkenntnis ist. In dem Interview wurde die Praxis auf der europäischen Ebene explizit genannt:

Wo das Kommissionsenglisch das Kerngeschäft exklusiv vereinnahmt, wird das der wirtschaftlichen Feinmechanik nicht gerecht – im Blick auf Teilhabe, präzise Rückkopplung oder Standortentscheidungen.

Eine solche sprachliche Einschränkung ist auch soziokulturell nicht richtig; denn die Vielsprachigkeit ist und bleibt die Voraussetzung dafür, dass man sich über Grenzen hinweg wirklich kennenlernt, dass Strukturen der Partnerschaft und Freundschaft lebendig werden können. Das ist der Grund, weshalb wir auch die Pläne der französischen Regierung gegen das Deutschlernen für sehr bedenklich halten.

Die Fähigkeit, die deutsche und die französische Sprache anzuwenden, ist ein wichtiger Transmissionsriemen der europäischen Einigung; das haben wir in unserem Antrag auch noch einmal ausgedrückt. Nur ein Europa, das für seine Bürgerinnen und Bürger als Zuhause erfahrbar wird, nicht als riesengroße Administration, wird in der Lage sein, nationalistische und auch extremistische, ausweichende Tendenzen zu beherrschen.

Das möchte ich noch einmal zu bedenken geben und daher auch für unseren Antrag werben. Das sollten Sie auch in Brüssel deutlich machen, Frau Ministerin, und vielleicht initiativ werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau von Boeselager. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Münchow.

Volker Münchow (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Krise in Griechenland, aber vor allen Dingen die Flüchtlingssituation in Europa sind in aller Munde. An den Küsten Europas ertrinken Menschen, darunter auch viele Kinder.

Ich weiß nicht, wer gestern und heute in den Medien die Bilder von ertrunkenen syrischen Flüchtlingskindern gesehen hat. Das macht einen doch ziemlich fertig. Und die Haltung vieler Länder, die sich gern Europäer nennen – ich nehme hier einmal Ungarn oder Großbritannien heraus –, lässt mich in diesem Kontext an der europäischen Gesinnung zweifeln. Alle Vorteile mitnehmen, aber bei Schwierigkeiten die Türen zusperren – das sind die Probleme in Europa!

Aber nein, Thema der heutigen Debatte über Europa ist die deutsche Sprache. Das ist sicherlich ein wichtiges Thema. Aber zu diesem Zeitpunkt? Man fühlt sich da ein wenig an Gerhard Polt und seinen Film „Man spricht Deutsch“ erinnert.

Aber zu den Fakten: Die Bundesregierung ist zuständig. Wenden Sie sich zumindest in Bezug auf die ersten beiden Punkte Ihres Antrages an die Bundeskanzlerin. Die von Ihnen zitierte Bundestagsdrucksache 17/14114 stellt ausdrücklich klar, dass die Bundesregierung der Ansprechpartner ist.

Allerdings will ich es mir nicht so leicht machen und ein wenig die Zahlen bemühen: Im Jahr 2014 wurden 135.566 Seiten von der Generaldirektion Übersetzung der Europäischen Kommission ins Deutsche übersetzt. Damit liegt Deutsch hinter Englisch und Französisch an dritter Stelle in der Europäischen Union. 111 Personen arbeiten im deutschen Sprachbereich der Kommission. Das zeigt, dass Deutsch durchaus als wichtige Sprache in der EU angesehen wird und eben auch eine der 24 Amtssprachen ist, sogar eine der drei Arbeitssprachen der Union.

Tatsache ist aber nun einmal auch, dass rund 50 % aller europäischen Bürger Englisch sprechen. Bei Diplomaten und anderen in Brüssel oder Straßburg Tätigen liegt die Quote der Englischsprechenden mit Sicherheit noch deutlich höher als 50 %. So könnte man die aufwendigen Übersetzungen oftmals einsparen.

In der NRW-Landesvertretung zum Beispiel finden einige Diskussionen und Veranstaltungen schon mal in englischer Sprache statt, inklusive der Einladungen. Bisher habe ich nicht wahrgenommen, dass dadurch interessierte Teilnehmer abgeschreckt worden wären.

Vor allen Dingen ist es auch so: Wenn man als Deutscher öfter mal mit Englisch oder Französisch konfrontiert wird, ist Mehrsprachigkeit heutzutage ein wichtiges Gut in der globalisierten Welt.

Kommen wir zum dritten Punkt Ihres Antrags, in dem nach meiner Auffassung Dinge miteinander vermischt werden, die einfach nicht zusammengehören; er betrifft die Bildungsreform in Frankreich. – Liebe Frau von Boeselager, ich bin da durchaus Ihrer Meinung. Ich finde es sehr löblich, dass Sie das in Antragsform kleiden, aber es ist leider ein bisschen spät.

Bereits am 14. April dieses Jahres war die Deutsch-Französische Parlamentariergruppe in der Assemblée Nationale und hat die Debatte zu diesem Thema mitverfolgt. Beim Gespräch mit dem Vorsitzenden der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe, Monsieur Pierre-Yves Le Borgn‘ von der Regierungspartei in Frankreich, haben wir unsere Bedenken geltend gemacht, die er übrigens vollständig teilt.

Anfang Mai haben dann Oliver Keymis, Astrid Birkhahn, Elisabeth Müller-Witt, Marc Olejak, Iris Preuß-Buchholz, Karl Schultheis und ich einen Brief an den Präsidenten der Französischen Republik geschrieben, um unsere Stellungnahme zu diesem Thema vorzutragen, den ich Ihnen gerne in Kopie zukommen lasse.

Ich bin sicher, dass Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und die Landesregierung ebenso gehandelt haben; denn Nordrhein-Westfalen arbeitet seit vielen Jahren nicht nur mit der Region Nord-Pas de Calais zusammen, sondern pflegt auch gute Beziehungen in die französische Hauptstadt.

Ich befürchte allerdings, dass unser Schreiben nicht zu einem Umdenken der Regierung in Paris geführt hat. Hilfreich wäre es sicherlich, wenn Frau Merkel dieses Thema ähnlich klar bei der französischen Regierung vortragen würde.

Es bleibt also dabei: Das, was vonseiten des Landes Nordrhein-Westfalen zu tun ist, ist getan. Jetzt sind unsere französischen Freunde am Zug. Wir in NRW fördern jedenfalls den Gebrauch der französischen Sprache in unseren Schulen und arbeiten intensiv am europäischen Gedanken. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Münchow. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Münchow, ich habe mich auch gefragt, was eigentlich der Anlass dieses Antrages ist; so richtig erschließt sich das einem nicht. Wir haben in Europa gerade tatsächlich andere Problemlagen. Das ist so ein bisschen ein Antrag aus der deutschen mono- und leitkulturellen Mottenkiste der Christdemokraten.

Das scheint der Anlass zu sein,

(Beifall von den GRÜNEN)

ab und zu mal der Partei zu sagen: Wir haben da was gemacht.

Frau von Boeselager, Sie haben auf andere Kammern verwiesen, die das Thema diskutiert und dazu Beschlüsse gefasst haben, unter anderem der Deutsche Bundestag. Ich habe mal im Protokoll nachgeschaut: Der Deutsche Bundestag hat das mal ganz zum Ende der Legislaturperiode nachts unter TOP 87 behandelt. Die Reden wurden alle zu Protokoll gegeben, und dann wurde direkt abgestimmt. So richtig Elan hatten die anderen Kammern anscheinend auch nicht, sich diesem Thema zu widmen.

Sie konstatieren in Ihrem Antrag ein Anwendungsdefizit der deutschen Sprache in den europäischen Institutionen und sagen, da müssten wir jetzt mehr tun. Ich kann dieses Anwendungsdefizit einfach nicht erkennen. Deswegen können wir Ihren Antrag leider nur ablehnen. Wir sehen keine gezielte Benachteiligung der deutschen Sprache in den europäischen Einrichtungen.

Zentral für eine europäische Verständigung und für ein funktionierendes Europa ist vielmehr, dass alle Bürgerinnen und Bürger der EU sich in ihrer Muttersprache an die Institutionen wenden können und dass alle Dokumente der Europäischen Union in die jeweiligen Muttersprachen übersetzt werden können.

Ich finde, wir sollten nicht dieses angebliche Anwendungsdefizit der deutschen Sprache in den Fokus nehmen, sondern mehr dafür sorgen, dass die Sprachkompetenz unserer Mitmenschen in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland gesteigert wird, vor allem die Fremdsprachenkompetenz. Das ist eher die Richtung, in die wir gehen sollten.

Das ist auch ein bisschen widersinnig in Ihrem Antrag: Die deutsche Bundeskanzlerin hat dafür gesorgt, dass der jetzt verabschiedete EU-Haushalt so klein gehalten wurde, dass einige Programme nicht mehr laufen können. Wenn man eine verstärkte Anwendung der deutschen Sprache fordert, braucht man dafür natürlich Kapazitäten und auch finanzielle Ressourcen, das heißt: mehr Geld.

Die deutsche Bundesregierung selber hat dafür gesorgt, dass dies nicht möglich ist. Dadurch kommt es auch schon mal zu Zeitverzögerungen bei der Übersetzung. Das kann schon sein. Aber das ist auch ein bisschen selbstverschuldet. Man müsste mehr Geld in die Hand nehmen, wenn man das abstellen wollte.

Das einzig Positive an Ihrem Antrag – da bin ich mit meinem Vorredner sehr einig – ist die Kritik an der geplanten Reform im französischen Bildungswesen. Dadurch wird das Erlernen der deutschen Sprache effektiv schwerer. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Aber ich glaube, wir brauchen keine Aufforderung vonseiten der Union, diesbezüglich Gespräche zu führen.

Das jeder auf seiner Ebene gemacht. Ich habe beim Frankreichfest in diesem Sommer noch mit dem französischen Botschafter und dem französischen Generalkonsul in Nordrhein-Westfalen gesprochen und ihm meinen Missmut darüber mitgeteilt, verbunden mit der Bitte, dies auch an die französische Regierung zu übermitteln. Mal sehen, ob das etwas bringt.

Zusammengefasst: Wir brauchen ein bisschen weniger Verkrampftheit im Umgang mit unserer deutschen Sprache. Ein wenig mehr Lust an der Multilingualität darf auch sein. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Wolf.

Dr. Ingo Wolf (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion möchte gerne eine gleichrangige Behandlung von Englisch, Französisch und Deutsch in Europa. Der zweite Punkt richtet sich als Kritik gegen die Einschränkung des Deutschunterrichts in Frankreich. Zu den beiden Punkten möchte ich gerne kurz Stellung nehmen.

Wenn es um die Frage der Bedeutsamkeit von Deutsch in der EU geht, muss man sicherlich feststellen, dass Deutsch als Muttersprache mit 100 Millionen Menschen ganz vorne liegt. Dann kommen die Engländer mit 65 Millionen und die Franzosen mit 55 Millionen.

Das könnte auf den ersten Blick natürlich bedeuten, dass wir im Hinblick auf die Sprache auch vorne sein müssten. Dem ist aber nicht so. Denn wenn man sich das Ganze weltweit anschaut, dann kommen wir bei Englisch auf 1,5 Milliarden Menschen, bei Französisch auf 230 Millionen und bei Deutsch auf 185 Millionen.

Hätte sich Ende des 18. Jahrhunderts in den USA Deutsch als Amtssprache durchgesetzt, wäre alles anders gekommen. Sie wissen, das ist nicht so gekommen. De facto gibt es dort die Amtssprache Englisch, wenn auch nicht de jure. Ich darf jedoch an die Muhlenberg-Legende erinnern, nach der bei einer knappen Abstimmung Deutsch als Sprache unterlegen hat. Letztendlich hat sich Deutsch damals nicht durchgesetzt.

Schauen wir uns den Buchmarkt an: Da liegen die Engländer mit 28 % vor Deutschland mit 12 % und Frankreich mit 11 %. Im Internet sind die Engländer mit 58 %, wir mit 7,7 % und die Franzosen mit 5,6 % vertreten. Also, wir haben durchaus Bedeutung; das ist gar keine Frage.

Allerdings muss man in Europa schauen: Geht es um Amtssprache oder Arbeitssprache? Das geht in Ihrem Antrag ein bisschen durcheinander. Bei der Amtssprache haben wir kein Problem, weil in alle 24 Amtssprachen übersetzt wird. Bei der Arbeitssprache sollten England, Frankreich und Deutschland gleichberechtigt berücksichtigt werden. Da ist Ihnen in der Tat zuzugestehen, dass da eine Unterrepräsentation des Deutschen besteht, vielleicht auch eine etwas zu starke Gewichtung des Französischen. Das ist natürlich ärgerlich. Insofern kann man Ihren Ansatz vom Grundsatz her verstehen.

Allerdings muss man mit Blick auf eine weitere Entwicklung fragen, ob nicht am Ende auch eine einzige Arbeitssprache – vielleicht auch mal irgendwann eine einzige Amtssprache – stehen wird. Denn die anderen Sprachen, die als Amtssprachen anerkannt sind, sind als Arbeitssprachen ja auch nicht anerkannt.

Wir werden möglicherweise auf lange Sicht dazu kommen, dass es dann nur noch eine Arbeits- und vielleicht auch eine Amtssprache gibt. Das wäre unter Kostengesichtspunkten sicherlich durchaus akzeptabel. Wir reden von 1,4 Milliarden € Übersetzungs- und Dolmetscherkosten. Das macht 1 % des gesamten EU-Haushalts aus.

Allerdings will ich Ihnen recht geben: Solange noch nicht so entschieden ist, müssen wir durchaus auf eine Gleichberechtigung der deutschen Sprache achten, insbesondere mit Blick auf die Franzosen. Denn dass Englisch als Lingua franca vorne sein wird, steht wohl außer Zweifel.

Der zweite Punkt ist, glaube ich, sachgerecht debattiert worden. Es gibt den Wunsch danach, Deutsch als Fremdsprache in Frankreich zu stärken. Man muss zugeben: Auch bei uns sind die Werte mit 25 % nicht mehr gut. Das liegt unterhalb des Durchschnitts von 33 % in der EU. Also, ein bisschen müssen wir auch in die eigene Richtung schauen. Natürlich ist die rapide Entwicklung des Rückgangs von Deutsch als Fremdsprache in Frankreich schon beachtlich. 1953 waren es noch 53 %, heute sind es nur noch 15 %. Also, wir sollten darum werben.

Andererseits kann man auch die Wahlfreiheit der Schüler letztendlich nicht in Zweifel ziehen. Heute wird häufig das Spanische anstatt des Französischen gewählt. Wir werden hier dafür kämpfen müssen, dass unsere Nachbarsprachen Französisch und Deutsch – jeweils aus der Sicht des einen und des anderen Landes – nicht unter die Räder geraten. Aber das ist natürlich ein nur Werben. Das kann man nicht dekretieren; da stimme ich Ihnen durchaus zu. Darum muss man werben.

Insgesamt möchte ich, solange es eben noch nicht eine Amtssprache und eine Arbeitssprache gibt, Ihrem Antrag insofern durchaus zugestehen, dass es vernünftig ist, für die Gleichberechtigung von Deutsch zu kämpfen, insbesondere wenn die drei Arbeitssprachen Deutsch, Englisch und Französisch gleichberechtigt nebeneinander stehen sollen. Insofern werden wir Ihrem Antrag zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Kern.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer im Saal und vor allem zu Hause am Stream! Die Christdemokraten wollen also die deutsche Sprache in Brüssel und in den europäischen Institutionen stärken. Okay, zur Kenntnis genommen. Das kann man so sehen, aber man kann das auch anders sehen, und das tue ich.

Die Kollegen haben bereits gute Argumente vorgetragen. In meinen Augen geht es erstens darum: In Ihrem Antrag sagen Sie selbst, dass Deutsch bereits eine der drei Arbeitssprachen ist und damit eine privilegierte Stellung genießt. Angesichts der hohen Anzahl deutscher Europaparlamentarier und auch Kommissionsangestellter ist das in Ordnung. Richtig sind allerdings auch die Anmerkungen des Herrn Kollegen Dr. Wolf, die das ein wenig relativieren. Ich frage mich an der Stelle aber, was da eigentlich rechtlich noch verbessert und geändert werden soll.

Zweitens – und das ist ein wesentlicher Punkt –: Sprache ist ein Kulturgut. Sie ändert sich, verändert sich, passt sich an. Der Gebrauch kann in meinen Augen nicht verordnet werden.

Drittens. Ich kann nicht glauben, dass es für ein exportorientiertes NRW ein unüberwindbares Problem darstellt, sich auf Englisch zu verständigen oder englische Ausschreibungstexte zu verstehen.

Viertens und Letztens. Die Forderung nach einer Sonderstellung für die deutsche Sprache insbesondere gegenüber dem Französischen ist nicht nur unangemessen, sondern auch kontraproduktiv. Wenn die Franzosen irgendwann vom steuergeldverschwendenden Zweitsitz des Europäischen Parlaments in Straßburg abrücken sollen, dann macht es sicherlich keinen Sinn, ihnen mit der „Deutschkeule“ vor den Kopf zu stoßen.

Ich meine – und da bin ich bei dem Kollegen Volker Münchow –, dass wir im Moment auch über andere Probleme in Europa sprechen müssen. Wir brauchen keine gesetzlich verordnete Mindestgebrauchsquote für die deutsche Sprache, sondern ein modernes Bildungssystem, das junge Menschen weltoffen und fremdsprachengewandt auf das Leben vorbereitet; hier bin ich bei dem Kollegen Engstfeld.

Insofern komme ich zum Schluss und sage: Thank you for travelling with Deutsche Bahn.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank Herr Kollege Kern. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! United in diversity – Unie dans la diversité – In Vielfalt geeint: Das ist die Idee und das zentrale Element der europäischen Identität sowie Ausdruck des kulturellen und sprachlichen Reichtums in der Europäischen Union. Das hat sich auch von Anfang an in der Sprachenpolitik der Institutionen niedergeschlagen; und zwar schon im Jahr 1958 in der entsprechenden Regelung für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

Die Kolleginnen und Kollegen haben bereits den Unterschied zwischen den Amtssprachen und den Arbeitssprachen dargelegt. Wir müssen auch feststellen, dass seit der Gründung der Europäischen Union aus den vier Amtssprachen inzwischen 24 Sprachen geworden sind, und das Vollsprachenregime tatsächlich zu Schwierigkeiten geführt hat. Die pragmatische Regelung, die die Europäische Union und die Institutionen gefunden haben, ist dann das sogenannte Marktmodell geworden. Das heißt, die jeweiligen Mitgliedstaaten müssen die Kosten übernehmen, wenn die Dokumente in den einzelnen Institutionen und Gremien übersetzt werden müssen.

An dieser Stelle müsste man sich daher auch überlegen, ob das weiter der richtige Weg sein kann oder ob wir nicht neben der privilegierten Position, die die deutsche Sprache als Amts- und Arbeitssprache nach wie vor hat, dazu beitragen müssen, dass die Mehrsprachigkeit in Deutschland zunimmt und in unser Bildungssystem investieren.

Das böte – darauf wurde hingewiesen – echte Chancen zur Verständigung in Europa sowie weltweit. Auch Unternehmen erkennen, dass fremdsprachengebildete Mitarbeiter ihnen weitaus mehr helfen, erfolgreich zu agieren, als eine vollständige und ressourcenerschöpfende Übersetzung jedweden Textes.

Das Erlernen von Fremdsprachen und die Förderung der Mehrsprachigkeit sind deshalb essenziell, weil die Kommunikation optimal funktioniert, wenn wir andere Sprachen verstehen, und daher die Kultur und das Konzept, in dem gedacht wird, nachvollzogen werden kann. Deswegen ist es wichtig, dass wir gerade für die Zusammenarbeit in der Europäischen Union, für die Kompromissfindung, zu der wir immer wieder verpflichtet sind, auf fremdsprachenkenntnisreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Bürgerinnen und Bürger zurückgreifen können.

Diese Beobachtung gilt natürlich auch für unsere Nachbarn, für Frankreich. Die Landesregierung hat deswegen auch in mehreren Ansätzen den Vertreterinnen und Vertretern der französischen Politik unsere Sorge übermittelt, dass das Deutsche in Frankreich hier unter Druck geraten könnte.

Die Frau Ministerpräsidentin hat in ihrer Funktion als Vorsitzende der Deutsch-Französischen Freundschaftsgruppe des Bundesrates diesen Befürchtungen in einem Brief vom 12. Juni 2015 an den französischen Senat sowie an Herrn Premierminister Manuel Valls und Frau Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem Ausdruck verliehen. Bei ihrem Besuch in Lille am 17. Juni hat sie diese Sorge auch gegenüber dem Präsidenten des Regionalrates der Partnerregion Nord-Pasde Calais, Herrn Percheron, sowie den Abgeordneten zum Ausdruck gebracht.

Meine Kollegin, die Ministerin für Schule und Weiterbildung Frau Löhrmann hat ebenfalls in einem Schreiben an die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Frau Ministerin Brunhild Kurth, mitgeteilt, dass sie die eingeleiteten Maßnahmen an den Collèges mit großer Sorge zur Kenntnis genommen hat und die Kultusministerkonferenz bittet, sich entsprechend gegenüber der französischen Regierung einzusetzen.

Über diese Maßnahmen habe ich Sie, Frau von Boeselager, und die CDU-Fraktion am 26. Juni dieses Jahres bereits schriftlich unterrichtet. Insofern ist eine gesonderte Aufforderung in Form Ihres Antrages gar nicht vonnöten.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung wird weiterhin dafür eintreten, dass sich die sprachliche Vielfalt Europas in den EU-Institutionen widerspiegelt, dass die Mehrsprachigkeit gestärkt wird und Deutsch als Unterrichtsfach an den französischen Schulen ebenso wie Fremdsprachenunterricht an deutschen Schulen einen hohen Stellenwert behalten. Denn auch dies bedeutet Förderung von Mehrsprachigkeit. Und diese wird beispielsweise in Nordrhein-Westfalen mit seinen wegweisenden Europaschulen tagtäglich umgesetzt. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Wenn Sie noch einen Moment hierbleiben. Es liegt eine Kurzintervention von Herrn Dr. Paul vor, dem ich nun das Wort gebe. Bitte schön, Herr Dr. Paul!

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Verehrte Frau Ministerin! Es liegt mir fern, irgendjemanden – vor allen Dingen nicht Sie – in Verlegenheit bringen zu wollen. Mir kam gerade nur eine Idee. Ich würde gerne noch etwas ergänzen, was das Deutsche als Sprache betrifft.

Auf der einen Seite hat das Deutsche den mit Abstand größten Übersetzungstextkorpus, und zwar in beide Richtungen. In keine andere Sprache wurden so viele Werke aus fremden Sprachen übersetzt wie ins Deutsche und umgekehrt. Das ist auch eine Tatsache, auf die man stolz sein kann.

Auf der anderen Seite ist Deutsch immer eine Räubersprache gewesen – lokalisiert in der Mitte Europas –, und zwar durch die Begegnung mit anderen Sprachen. Aber es mag manchmal auch sinnvoll sein, sich sprachlich auf neutralem Boden zu begegnen. Das meine ich ganz ernst: Vielleicht macht es Sinn, in Europa so etwas wie eine Esperanto-Initiative zu starten.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. Vermutlich wird das mit dem Esperanto nicht mehr klappen, weil inzwischen das Englische diese Funktion eingenommen hat. Was ich zunächst auch nicht wusste: Englisch ist tatsächlich die vokabelreichste Sprache, zumindest im Vergleich mit den beiden anderen Arbeitssprachen. Insofern gibt es dort eine große Vielfalt, sich auszudrücken.

Noch einmal der Appell: Sorgen Sie dafür, dass unsere Kinder und Jugendlichen Fremdsprachen lernen! Dann werden wir uns insgesamt besser verständigen können in Europa. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der CDU hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/9515. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – CDU und FDP. Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der Piraten gegen die Stimmen der Fraktion der CDU und der der FDP abgelehnt.

Ich rufe auf:

7   Netzneutralität ist zum Abschuss freigegeben: Pläne von EU-Kommissar Oettinger lassen das freie und offene Internet sterben

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9590

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Piraten dem Kollegen Kern das Wort.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe verbliebene Zuschauer hier im Saal, aber vor allem zu Hause am Stream! Wenn Sie sich gerade fragen: „Netzneutralität – was ist das? Geht mich das überhaupt etwas an?“, dann rufe ich Ihnen zu: Ja, verdammt! Ich sage Ihnen jetzt auch gleich, warum.

Netzneutralität ist das universelle Grundprinzip, nach dem das Internet funktioniert: offen und diskriminierungsfrei. Alle Daten sollen gleichberechtigt an die Nutzer gesendet werden – egal woher sie stammen, egal welchen Inhalt sie haben. Das Internet ist sozusagen der Bürgersteig des 21. Jahrhunderts. Es ist das Konzerthaus und die Videothek des 21. Jahrhunderts. Es ist auch der Marktplatz des 21. Jahrhunderts. Kurzum: Hier tauschen sich Menschen aus, machen Geschäfte und kommunizieren. Hier findet immer mehr das gesellschaftliche Leben statt. Sie selbst werden das alles jetzt vielleicht noch nicht machen, aber Ihre Kinder tun es bereits.

Die Bedeutung des Internets für die Zukunft Europas hat auch die EU-Kommission entdeckt und den Verordnungsvorschlag (2013) 627 vorgelegt. Sie ist dabei auf den grandiosen Einfall gekommen, dass man auf diesen digitalen Bürgersteig doch auch Maut erheben könnte – sozusagen eine Digital-Maut. Und für diese Digital-Maut soll der Grundsatz der Netzneutralität sterben.

Das ist also die digitale Agenda der EU: die Erhebung von Wegezoll. So soll unsere Zukunft also gestaltet werden: Mit einem Geschäftsmodell, das schon die Bibel kennt, sollen im 21. Jahrhundert Arbeitsplätze in Europa geschaffen werden – absurder geht es nicht!

(Beifall von den PIRATEN)

Das ist alles Teil des schwarz-roten Jurassic Park, von dem mein Fraktionsvorsitzender Michele Marsching heute Mittag in der Haushaltsdebatte sprach, und den es leider auch hier in NRW gibt.

Zwar beteuern Oettinger, Dobrindt und Co. stets, dass das freie Internet nicht in Gefahr sei, doch in Wahrheit wollen sie es insgeheim abschaffen. Der Verordnungstext ist so schwammig gehalten, dass später sicherlich eine industriefreundliche Auslegung gefunden werden wird. Damit wäre dann die Einführung eines Zweiklasseninternets besiegelt. Ohne Netzneutralität werden sich finanzstarke Großkonzerne zukünftig eine Überholspur für ihre eigenen Onlinedienste erkaufen können. Wer die Maut nicht zahlt, bleibt im Stau stehen.

Die vorgeschobenen Rechtfertigungen könnten verlogener nicht sein.

Erstes Beispiel: Telemedizin, also beispielsweise Operationen übers Internet. Lebensbedrohliche Eingriffe sind jedoch per Internet überhaupt nicht machbar, da niemand eine hundertprozentig stabile Internetverbindung garantieren kann.

Zweites Beispiel: autonomes Fahren. Digitale Überholspuren, so hört man, seien für den Autoverkehr der Zukunft unverzichtbar. Dumm nur, dass selbst bei Google und seinem Roboterauto keine Rede davon ist, auf eine Internetverbindung angewiesen zu sein.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Deswegen heißt es auch „autonom“!)

– Genau.

(Daniel Schwerd [PIRATEN]: Überraschung!)

Aber mit Lügen und der Unwissenheit der Wähler kann man leicht Politik machen. Das gilt hier wie bei der Vorratsdatenspeicherung.

Um es einmal deutlich zu sagen: Die Abschaffung der Netzneutralität ist der Triumphzug der Mainstream-Medien und ein Angriff auf die Presse- und Informationsfreiheit. Subkultur wird in die Warteschleife geschickt, und echte Informationsfreiheit wird zu einer Frage des Geldbeutels. Wer sich die Netzneutralität nicht leisten und somit nicht erkaufen kann, ist auf die sogenannten Zero-Rating-Dienste der Großkonzerne angewiesen.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Das ist das Problem!)

Die gleichen Großkoalitionäre, die im Januar noch den Terror gegen „Charlie Hebdo“ verurteilten, sorgen jetzt für das nächste Attentat auf die Medienvielfalt.

(Beifall von den PIRATEN – Nadja Lüders [SPD]: Das ist unterste Schublade!)

Ich komme zum Schluss. Ende Juni haben sich Ratskommission und Vertreter des EU-Parlaments auf eine fatale Aufweichung der Netzneutralität verständigt. Die Vereinbarung muss aber noch durchs Parlament, das im Herbst final abstimmen wird. Bis dahin können noch Änderungen vorgenommen werden. Daher müssen wir hier heute diese Debatte führen. Mit der Abschaffung der Netzneutralität soll das Kulturbiotop für eine kommerzielle Betonwüste geopfert werden. Wir Piraten kämpfen weiter für ein freies Internet. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Schneider.

René Schneider (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion, um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Daniel Schwerd [PIRATEN]: Überraschung! – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Surprise, Surprise!)

Das hat zwei Gründe, und die möchte ich Ihnen im Folgenden auch erklären.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Brauchen Sie nicht! Setzen Sie sich einfach wieder hin!)

Der erste Grund ist: Wir in Nordrhein-Westfalen haben uns schon früh deutlich für die Netzneutralität ausgesprochen. Sie kennen sicherlich noch den rot-grünen Antrag – da bin ich mir sicher – mit dem Titel „Für echtes Netz: Netzneutralität dauerhaft gewährleisten und gesetzlich festschreiben!“. Das war im Mai 2013. Damals haben wir sehr deutlich klargemacht, dass im Internet nur die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Datenpakete – unabhängig von Inhalt, Dienst, Anwendung, Herkunft oder Ziel – der Garant für ein freies Netz ist. Das hat Sie so sehr überzeugt, dass wir anschließend gemeinsam mit Ihnen den Änderungsantrag Drucksache 16/5777 eingebracht haben. Das war vor etwas mehr als einem Jahr.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, der Kollege Kern von der Piratenfraktion möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

René Schneider (SPD): Das können wir alles regeln. Gerne.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Kollege.

Ich stimme Ihnen zu, dass in dem damaligen gemeinsamen Antrag von Netzneutralität die Rede war. In dem vorliegenden Antrag steht aber auch drin, dass Spezialdienste zugelassen sind und dass sich mittlerweile herausgestellt hat, dass sich die damals vorgeschobenen Argumente im Wesentlichen als unwahr herausgestellt haben.

(Zurufe von der SPD: Wo ist die Frage? Zum Thema! – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Ruhe! – Matthi Bolte [GRÜNE]: Sie haben den Antrag nicht verstanden, dem Sie selbst zugestimmt haben!)

Sehen Sie ein, dass sich die Sachlage geändert hat?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

René Schneider (SPD): Natürlich hat sich die Sachlage in der EU geändert, aber wir stehen weiterhin – ich denke, das gilt für Sie genauso wie für uns – zu unserem Wort „pro Netzneutralität“. Wir haben uns – und das ist der erste Grund, warum wir Ihren Antrag ablehnen – intensiv damit auseinandergesetzt, sowohl in den Fraktionen als auch hier im Plenum, und zumindest wir drei Fraktionen haben uns deutlich dazu positioniert.

Der zweite Grund, warum wir Ihrem Antrag heute nicht zustimmen können, ist einer, der auch mich betrübt: Er kommt schlicht zu spät. In Brüssel sind die Würfel längst gefallen, und auch wenn es Sie und mich persönlich nicht glücklich macht, ist eine Mehrheit der EU-Parlamentarier dazu bereit, die Netzneutralität zugunsten einer Roaming-Regelung zu opfern, die letztlich sogar hinter den Summer Specials der meisten Mobilfunkbetreiber zurückbleibt. Das ist bedauerlich.

Viel interessanter finde ich aber, heute einmal die Frage zu stellen – Sie haben es ansatzweise gerade gemacht, Herr Kern –, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Für mich ist die Antwort ganz einfach: Netzpolitische Themen finden meist unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit statt, zum Beispiel um kurz vor 19 Uhr in bundesdeutschen Parlamenten.

Während in den USA scheinbar jedes Kind begriffen hat, was ein freies Internet mit weitestreichender Netzneutralität bedeutet, erntet man hierzulande mitleidige Blicke, wenn man von den Vorzügen des freien Internets berichtet. Amerika hat die Netzneutralität weitestgehend gerettet. Europa hingegen wird sie für ein bisschen Applaus im Zusammenhang mit den Roaminggebühren komplett versenken. Da gebe ich Ihnen recht.

Mangelndes Verständnis für das Thema ist der Grund, warum immer wieder Pseudoargumente – und einige davon haben Sie gerade auch genannt – bei den Entscheidern haften bleiben, die nichts mit der digitalen Realität zu tun haben. Ich denke nur einmal an das Märchen – gerade ist es schon angeklungen – von Günther Oettinger, wonach Netzneutralität autonomes Fahren unmöglich mache. Datenaustausch von und zwischen den Autos müsse eben immer prioritär im Netz befördert werden, so Oettinger.

Das ist Quatsch, und das wissen wir alle. In Funklöchern und Tunneln wäre autonomes Fahren nach dieser Lesart völlig unmöglich. Dennoch höre ich dieses Argument immer wieder, und dem müssen wir entgegentreten. Denn mit der Netzneutralität verhält es sich wie mit einem Soufflé: Sticht man an einer Stelle hinein, fällt das ganze schöne Soufflé in sich zusammen. Und Nadelstiche hat es in den vergangenen Trilogverhandlungen eine Menge gegeben.

Nehmen Sie nur das sogenannte Zero Rating von Spezialdiensten. Für mich persönlich gehört ein Verbot dieses Zero Ratings zu einer starken Netzneutralitätsregelung einfach dazu. Warum das so ist, zeigt aktuell der Fall des Musik-Streaming-Anbieters Spotify, der beispielsweise im Telekom-Mobilfunknetz bevorzugt behandelt wird. Nutzern des Dienstes wird das mobile Streamen von Musik derzeit nicht auf das monatliche Freivolumen angerechnet.

Das ist eine Ungleichbehandlung, die es Nutzerinnen und Nutzern momentan schwermacht, den neuen Nutzungsbedingungen von Spotify zu widersprechen. Denn auf welches Angebot soll man denn ausweichen, wenn man Standort und Bewegungsdaten, Bilder und Kontakte eben nicht mit Spotify und seinen Werbepartnern teilen möchte?

(Michele Marsching [PIRATEN]: Deezer! iTunes!)

Es gibt zwar Alternativen, doch können sie eben nicht mit Zero Rating punkten und sind damit für viele Mobilfunknutzer unattraktiv. Wenn sich nun also Spotify-Kunden mit zweifelhaften Geschäfts- und Datenschutzbestimmungen einverstanden erklären, hat das auch mit dem Fehlen von Netzneutralität an genau dieser Stelle zu tun.

Doch leider fürchte ich, dass die Befassung mit dem Zero Rating nicht zum aktuellen Mandat des Europäischen Parlaments gehörte. Das ist ein Umstand, den sich die Befürworter des Zero Ratings selbstverständlich zunutze gemacht haben. Nach Auffassung zahlreicher Beobachter war ein Verbot vor diesem Hintergrund nicht durchzusetzen. Auch das ist sehr bedauerlich.

Meine Damen und Herren – damit schaue ich insbesondere zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Piraten –, eine verlorene Schlacht bedeutet für mich persönlich aber keinen verlorenen Krieg. Lassen Sie uns insofern bitte weiter gemeinsam für die Sache kämpfen. Lassen Sie uns hier klar Position beziehen und uns weiterhin für eine Lobby für netzpolitische Themen einsetzen – durch Aufklärung und durch Beharrlichkeit.

Wir in Nordrhein-Westfalen stehen weiter gemeinsam für Netzneutralität, auch wenn wir heute unterschiedlich abstimmen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit und ein herzliches Glückauf!

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Stein.

Robert Stein (CDU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und im Stream! Netzneutralität ist ein wichtiges Gut, das Freiheitsrechte sichert und Innovationen – gerade auch für Start-ups und mittelständische Unternehmen – ermöglicht.

Ohne ungehinderte und diskriminierungsfreie Übermittlung aller Datenpakete würde es Start-ups deutlich erschwert, ihre Geschäftsideen gegenüber Wettbewerbern, die finanzkräftiger sind, etablieren zu können. Netzneutralität verhindert eben, dass sich finanzkräftige Konzerne Wettbewerbsvorteile durch bevorzugten Zugang erkaufen können.

Eine differenzierte Datenübertragung kann allerdings auch helfen, die Erbringung qualitätssensitiver Dienste sicherzustellen, etwa bei vorübergehender Überlastung von Teilen des Netzes. So bedarf es zum Beispiel für telemedizinische Anwendungen in intelligenten Gesundheitsnetzen zum Teil garantierter Übertragungsraten.

Wie wir zukünftig Netzneutralität gestalten, hat zum einen Auswirkungen auf das Preissetzungsverhalten und zum anderen auf die Investitions- und Innovationsprozesse der Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette von Inhaltsproduzenten über Gerätehersteller und Netzbetreiber bis hin zum Endnutzer. Gleichzeitig ist hiermit die Frage verbunden, welche Maßnahmen der Datenverkehrssteuerung in den Netzen möglich und rechtlich zulässig sind, um ansteigende Datenmengen in Telekommunikationsnetzen bewältigen zu können.

Auch im Mutterland des Internets und der Start-up-Kultur sind daher Einschränkungen des Netzes in bestimmten Situationen für Spezialdienste möglich. Innerhalb der Bundesregierung hat man, wie ich finde, einen guten Kompromiss gefunden: Grundsätzlich müssen alle im offenen Internet übertragenen Datenpakete ohne Berücksichtigung des Absenders, des Empfängers, der Art des Inhalts, des Dienstes oder der Anwendung durch die Anbieter gleich behandelt werden.

Zwar können mit sogenannten Spezialdiensten besondere Anforderungen zeitkritischer Dienste mit hoher Übertragungsqualität erfüllt werden, aber das Angebot von Spezialdiensten darf dabei nicht zu einer ungerechtfertigten Verschlechterung, Behinderung, Blockierung oder Diskriminierung gegenüber bestimmten Inhalten oder Anwendungen führen. Spezialdienste sollen also nicht als Substitut des Internetzugangsdienstes angeboten werden und dürfen das Best-Effort-Internet und dessen Entwicklung infolge des technischen Fortschritts eben nicht beeinträchtigen.

Die Positionierung der Bundesregierung wird den Anforderungen an ein leistungsfähiges Internet gerecht; denn eine differenzierte Datenübertragung kann helfen, zukünftige qualitätssensitive Dienste sicherzustellen.

Dem Antrag werden wir heute nicht zustimmen. Zum einen sind wir, wie dargestellt, davon überzeugt, dass es Ausnahmen für Spezialdienste – gerade auch hinsichtlich unbekannter zukünftiger Entwicklungen – geben muss,

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Du hast ja keine Ahnung!)

sodass es nicht notwendig ist, sich frühzeitig festzulegen. Diese müssen dann auch so gestaltet werden können, dass dies nicht zulasten eines freien Internets gehen muss. Hier sehen wir also überhaupt keinen Widerspruch.

Zum anderen noch eine abschließende Bemerkung zu dem Punkt II.5: Wir halten eine grundsätzliche Ablehnung von Netzsperren für falsch. Seiten mit gewaltverherrlichendem oder stark verfassungsfeindlichem Inhalt müssen auch gesperrt oder gelöscht werden können.

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

Herr Bolte, wir hätten uns gefreut, wenn wir die Ideen im Antrag der Piraten in den Ausschüssen ausführlich hätten beraten können. Dort hätten wir uns dann auch entsprechend austauschen können. Aber leider haben Sie auf eine Überweisung und damit auf weitere Beratungen verzichtet und direkte Abstimmung beantragt. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Kollege Kern, ich habe bei Ihrem Einstieg eben gedacht: Vielleicht sollten wir nicht herbeireden, dass sich niemand für Netzneutralität interessiert. Denn das ist beileibe nicht so.

Ich kann mich noch gut an die Diskussion um die Tarifreform bei der Telekom vor zwei Jahren erinnern. Kollege Schneider hat es eben angesprochen: Dort konnten wir gemeinsame politische Initiativen entwickeln. Da war das Thema Netzneutralität sehr schnell in einer breiten Öffentlichkeit in aller Munde. Die Leute haben sich sehr wohl dafür interessiert und wussten auch, was es damit auf sich hat. Deswegen muss man nicht unbedingt fragen, was das eigentlich ist. Ich glaube, das wissen sehr viele Leute.

Wir sollten uns auch nicht darüber beklagen, dass es jetzt 19:05 Uhr ist, während wir über dieses Thema sprechen, sondern wir sollten einfach gemeinsam die Relevanz des Themas herausstreichen.

Ich möchte gerne mit dem einsteigen, was uns eint:

In den letzten Jahren haben wir hier in diesem Hohen Haus schon mehrere Beschlüsse in unterschiedlichen Konstellationen gefasst. Ich kann mich an Rot-Grün plus Piratenfraktion – an einigen Stellen auch mit der FDP – erinnern. Dabei haben wir festgestellt, wie wichtig die Sicherung der Netzneutralität im fortschreitenden digitalen Zeitalter ist. Die Vielfalt, das enorme Wachstum und die Reichhaltigkeit des heutigen Internetangebotes wurden durch die relativ geringen Hürden beim Zugang zum Netz ermöglicht, gerade auch für neue und innovative Anbieter.

Wir haben auch gemeinsam festgestellt, dass der Verzicht auf eine nachhaltige Sicherung der Netzneutralität dazu führen könnte, dass etablierte Anbieter aufgrund ihrer Finanzkraft und ihrer Marktstellung letzten Endes Start-ups ausgrenzen könnten. Das würde zu einer Marktabschottung führen, und das wollen wir alle nicht, weil dies die Hürden für die Entwicklung der Netzökonomie höher legen würde.

Wir haben hier im Haus schon verschiedene Beschlüsse gefasst. Ich erinnere zum Beispiel an den Beschluss von Ende 2013, und auch im letzten Sommer haben wir im Kontext der Telekom-Binnenmarktverordnung einen Beschluss gefasst. Es ist mir wichtig, diese Einigung festzuhalten; denn wir brauchen die Gewährleistung der Netzneutralität in Deutschland und in Europa.

Wir haben auch auf der regionalen Ebene unseren Beitrag dazu geleistet, letztes Jahr mit der Änderung am Landesmediengesetz. Wir waren das zweite Land, das die Sicherung der Netzneutralität als Auftrag für die Medienaufsicht festgeschrieben hat. Auch das haben wir in dieser Konstellation gemeinsam hinbekommen. Ich fand es damals eine bemerkenswerte Debatte. Da war sogar die FDP plötzlich für Netzneutralität. Das war spannend, es war aber auch das Ergebnis verschiedener intensiver Diskussionen.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Bolte, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Kollege Kern würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Matthi Bolte (GRÜNE): Ja.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Inhaltlich sind wir sicherlich nah beieinander. Es ist aber doch so – ich hoffe, Sie stimmen mir da zu –, dass wir auf Landesebene Regelungen zur Netzneutralität treffen können, aber dann, wenn auf EU-Ebene eine andere Regelung getroffen worden ist, das EU-Recht das Landesrecht brechen würde.

Matthi Bolte (GRÜNE): Wir wissen noch nicht, wie die Beratung auf EU-Ebene ausgeht. Wir haben im Landesmediengesetz klar festgeschrieben, dass die Sicherung der Netzneutralität im Sinne der Vielfaltssicherung gedacht und da wiederum in der Aufsichtsfunktion der LfM die Vielfalt über Netzneutralitätssicherung abzusichern ist.

Das war ein bisschen von hinten durch die Brust ins Auge, wie man rückblickend durchaus zugeben kann. Aber ich glaube, wir haben im letzten Jahr eine ganz gute Regelung im Landesmediengesetz gefunden. Wie gesagt, es war auch das Ergebnis der Diskussionen, wie wir sie hier geführt haben, gerade vor dem Hintergrund der Debatten auf der europäischen Ebene.

Es ist nicht so, dass wir in den letzten Jahren im völlig luftleeren Raum diskutiert haben, um zu diesem Ergebnis zu kommen, was ich gerade umrissen habe, sondern wir haben letztes Jahr einen intensiven Diskussionsprozess gehabt, gerade vor dem Hintergrund, dass das Europäische Parlament eine sehr gute Definition von dem gefasst hat, was es unter Netzneutralität versteht, nämlich weite Garantien für das offene Internet nach den Best-Effort-Grundsätzen.

Das Thema „stark beschränkte Spezialdienste“ war in dem Antrag enthalten, den SPD, Grüne, Piratenfraktion und FDP gemeinsam gefasst haben. Da haben wir uns genau an dieser engen Definition des Europäischen Parlaments orientiert. Damals war der Begriff „Spezialdienste“, an dem Sie sich – so habe ich es in Ihren Beiträgen verstanden – sehr stark stören, in diesem Beschluss schon enthalten und sehr eng umrissen.

Wir haben gesagt: Ja, es gibt durchaus – das haben wir in den Debatten vorher auch schon gesagt – bestimmte Bedingungen, unter denen es etwaige technische Notwendigkeiten gibt, echtzeitkritische Anwendungen abzuwickeln, sodass dort dann eine gewisse Priorisierung unter sehr eng gefassten Bedingungen durchaus möglich sein kann. Das haben wir gemeinsam hier beschlossen. Aber wir haben immer gesagt, eine Priorisierung von Inhalten darf es niemals aus rein wirtschaftlichen Eigeninteressen von Anbietern geben. Ich glaube, das eint uns nach wie vor.

Der Antrag der Piratenfraktion liegt uns heute vor. Kurz nachdem die Landesanstalt für Medien – da schaue ich zum Kollegen Schwerd, der maßgeblichen Anteil daran hatte – am Freitag ein Positionspapier verabschiedet hat, will ich dem Kollegen auf dieser Ebene danken. Ich fand es schade, dass Sie sich heute nicht in der Debatte einbringen konnten. Ich glaube, es hätte uns gut getan, weil es doch ein bisschen differenzierter war als dieses Schwarz-Weiß-Denken, das beim Kollegen Kern durchschien.

Es ist nicht so, dass wir komplett untätig gewesen wären und angesichts der Debatte in den letzten Jahren wie das Kaninchen vor der Schlange gesessen hätten, sondern Landtag und Landesregierung haben sehr wohl eine gute Debatte organisiert. Ich glaube, wir haben auch sehr gute Positionen gefunden. Wir haben auch immer gesagt: So, wie das Europäische Parlament die einzelnen Definitionen vorgenommen hat – das ist es, woran wir unsere Aktivitäten ausrichten.

Wir haben in den letzten Jahren vielfältige Aktivitäten hier im Parlament übernommen, so, wie es auch die Landesregierung über den Bundesrat getan hat, zuletzt im Juni. Da gestalten wir gemeinsam die Debatte für einen zukunftsfähigen digitalen Binnenmarkt.

Ich habe Ihnen die Inhalte für diese Tätigkeit umrissen, und ich glaube, da brauchen an dieser Stelle weder die Landesregierung noch die sie tragenden Fraktionen noch eine Aufforderung aus der Opposition.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Matthi Bolte (GRÜNE): Wir werden dafür sorgen, dass es auch mit Digitalkommissar Oettinger einen zukunftsfähigen Netzzugang in Europa geben wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP spricht jetzt Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, in der politischen Debatte im Land nimmt das Thema Netzneutralität keinen breiten Raum mehr ein. Das liegt aber vielleicht daran, weil nur wenige Fälle möglicher Verstöße bekannt sind. Die „Drosselkom“ ist schon wieder viel zu lange her. Emotionen kommen vielleicht noch bei den Roaming-Gebühren hoch.

Nun wird eher in einem kleinen Kreis um das Verhandlungsergebnis, dem Trilogkompromiss, gestritten. Es geht auch immer noch um die Interpretation. Deswegen wissen wir gar nicht, was letztendlich dabei herauskommt. Es wird darum gestritten, ob der Trilogkompromiss brauchbar ist oder ob es ein typisches – ich glaube, man nennt das so –“Design by Committee“ ist, ein vielleicht unpraktikables Papier, das aber höchstwahrscheinlich mehr Rechtsunsicherheit produziert.

Ja, dieses Ergebnis, das jetzt interpretiert und zu einem Beschluss führen wird, ist da. Es gibt im Europäischen Parlament wohl eine Mehrheit dafür. Deswegen sehe ich es nicht netzneutral, sondern nennen wir es einmal netzrealistisch. Es ist ein Versuch, eine Balance der widerstreitenden Interessen zu finden, dabei aber die Informationsfreiheit und -vielfalt zu gewährleisten, also auch kleineren, weniger finanzstarken Anbietern von Diensten und Inhalten einen ungehinderten Zugang zu ermöglichen. Gleichzeitig will dieses Papier die Möglichkeit erhalten, innovative Dienste mit hohen Anforderungen an die Netzqualität weiterhin zu entwickeln und betreiben zu können.

Das Problem in dem Antrag der Piraten ist meines Erachtens – da freue ich mich, dem Kollegen Bolte mal recht geben zu können –, dass er in der Tat ein bisschen diese Schwarz-Weiß-Sicht hat.

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

– Ich wusste, dass Sie sich darüber freuen. – Die Auffassung von Netzneutralität, die aus diesem Antrag herausschimmert, geht von dem jungfräulichen Netz kurz nach dem World-Wide-Web-Urknall aus, was ich als sehr idealistisch ansehe: die Sehnsucht nach dem alten Internetparadies. Der Apfel der Versuchung wird jetzt nicht durch die EU gereicht. Denn in dieser paradiesischen und unschuldigen Form, wie wir vielleicht das neutrale Internet oft gezeichnet haben, hat es das Netz eigentlich nur kurz in der Säuglingsphase – so nenne ich das mal – gegeben.

Denn schon heute erfolgt ja der Zugang zu den verschiedensten Infrastrukturen auf verschiedene Art und Weise. Die bereits angesprochenen Mobilfunk- und Festnetzzugänge funktionieren unterschiedlich. Dann wäre das nach der ein wenig holzschnittartigen Auffassung der Antragsteller schon gar nicht mehr möglich. Und besonders zeitkritische oder sensible Dienste könnten weder angeboten noch genutzt werden, wenn es nach den Urwünschen der Piraten ginge.

In der Pauschalität, die in diesem Antrag ein bisschen enthalten ist, wäre ein eHealth-Angebot ja nicht einmal mehr über eine Standleitung mehr möglich. Unter dem Strich wollen Sie meines Erachtens das Netz zu sehr bürokratisieren und regulieren, und das würde es in seiner Entwicklungsfähigkeit sehr behindern. Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Wie kommen Sie denn darauf?)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Das Ziel der Landesregierung ist ein offenes Internet. In einem offenen Netz kann die Medienvielfalt blühen. Und offen ist ein Netz, wenn die Bürger aus dem größtmöglichen Angebot an Medien und Diensten selbst auswählen und nicht Versorger aufgrund ihrer Schlüsselposition entscheiden, welche Inhalte eine Chance haben.

Darum geht es uns bei Netzneutralität. Wir treten für einen netzneutralen Internetzugangsdienst ein und dafür, dass der Internetzugang nicht durch andere Dienste marginalisiert wird. Dafür treten wir ein im Bundesrat, gegenüber dem Bund und auf EU-Ebene. Der dort gefundene Kompromiss bedeutet in der Tat noch keine ausreichend klare Festlegung, aber er lässt die Tür für Regelungen offen, die netzneutralen Zugang garantieren.

Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag der Piraten hat aber ein anderes Ziel. Da bin ich vielleicht ein wenig radikaler als die Kollegen, die eben gesprochen haben. Die Kernforderung dieses Antrages ist, dass jegliche Priorisierung von Daten auf einem Breitbandanschluss grundsätzlich untersagt werden soll. Das ist nicht die Position der Landesregierung.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Eben! – Lukas Lamla [PIRATEN]: Wieso denn nicht?)

Es ist nicht die Position des Europäischen Parlamentes, und es ist erst recht nicht die Position der Menschen, die das Konzept und den Begriff „Netzneutralität“ maßgeblich geprägt haben, wie beispielsweise die Internetexpertin Prof. Barbara van Schewick von der Stanford University. Sie befürwortet bestimmte Priorisierungen in von Nutzern kontrollierten Qualitätsklassen. Barbara van Schewick hat mir bei unseren Gesprächen erklärt, warum. Es kann sein, dass ich bei einer wichtigen Videokonferenz perfekte Übertragungsqualität will, weil eine wichtige Besprechung ansteht. Warum sollte ein Nutzer in diesem Fall nicht den Videokonferenzdienst seiner Wahl priorisieren, um Latenz, Paketverlust usw. zu optimieren?

Wichtig ist dabei: Niemand außer dem Nutzer bestimmt, welche Inhalte wie lange in welcher garantierten Qualität transportiert und priorisiert werden.

Oder nehmen Sie das Netzneutralitätskonzept von Tim Wu. Der Jurist hat den Begriff zu Beginn des Jahrtausends entwickelt. Sein Grundsatz: Endkundenversorger sollen generell keinen Einfluss auf die durch ihre Netze übertragenen Inhalte nehmen. Aber Wu schlägt schon vor zehn Jahren Ausnahmen vor. Warum? – Wus Argument: Dienste, bei denen Paketverluste oder Verzögerungen zu drastischen Qualitätseinbußen führen, könnten sonst systematisch gegenüber anderen Diensten benachteiligt sein.

Was Wu vermeiden will, schlägt aber der vorliegende Antrag vor. Wus Vorschlag dagegen ist, Ausnahmen vom Prinzip der Netzneutralität sollten erlaubt sein, wenn dies keinen Einfluss auf die Qualität des offenen Internetzugangs hat. Um einen Einfluss zu vermeiden, sollte es Ausnahmen nur in geschlossenen Netzen geben. Als konkretes Beispiel führt Wu IPTV-Angebote auf.

Wir, meine Damen und Herren, wollen die Vielfalt erhalten, die wir dem freien Internet verdanken. Deshalb darf es nicht passieren, dass Versorger beliebig Dienste aus dem freien Internet zu Spezialdiensten umdeklarieren können. Das muss gute Regulierung verhindern. Wir wollen aber nicht die Vielfalt anderer Angebote durch Verbote einschränken. Um das zu schaffen, muss eine gute Regulierung Koexistenz ermöglichen: die Koexistenz eines zukunftssicheren Internetzugangsdienstes unter dem Prinzip der Netzneutralität und Spezialdiensten als begründete Ausnahme.

Dafür, meine Damen und Herren, setzt sich die Landesregierung in Bundesratsinitiativen, in der LMG-Novelle, in der Forschung, in Fachgesprächen und Engagement auf allen Ebenen ein. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich schließe, weil keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wer dem Antrag Drucksache 16/9590 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Piratenfraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag abgelehnt worden.

Ich rufe auf:

8   Modellprojekt zur gesicherten Abgabe von Cannabis für Erwachsene

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9587

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9658

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion hat Herr Kollege Lamla das Wort.

Lukas Lamla*) (PIRATEN): Frau Präsidentin! Meine Stimme ist ein bisschen angeschlagen. Ich hoffe, sie hält durch. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Menschen zu Hause am Stream! Zuallererst möchte ich all denen danken, die sich in den letzten Monaten mit so viel Herzblut für die Sache eingesetzt haben und bei extremer Hitze und krassen Wolkenbrüchen auf die Straße gegangen sind, um den Menschen draußen im Land zu zeigen, wofür sie einstehen, und sie aufzuklären. Vielen Dank! Ihr habt viel bewegt!

(Beifall von den PIRATEN)

Nun zum Antrag selbst: Nun, was soll ich dazu sagen? Eigentlich ist alles klar. Die Argumente für die Entkriminalisierung von Cannabis sind hinlänglich bekannt. Die haben wir alle diskutiert. Die sind wirklich allen bekannt. Mir selbst persönlich kommt es auch schon zu den Ohren heraus. Wovon sollte ich Sie heute hier überzeugen?

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Man versteht hier kein Wort! – Simone Brand [PIRATEN]: Ich verstehe nichts! Es ist laut von links!)

Alle Parteien sind irgendwie dafür und werben damit, wann immer sich die Möglichkeit ergibt. Aber auch nur irgendwie; denn wenn es einmal darauf ankommt, dann wird gekniffen, egal ob von der SPD, den Grünen oder der FDP.

Wenn wir allerdings etwas bewegen wollen, meine Damen und Herren, dann müssen wir über Parteigrenzen hinweg an einem Strang ziehen. Genau das war auch unsere Absicht, als wir Ihnen allen vor zwei Monaten einen Brief schrieben und zur gemeinsamen Mitarbeit aufgerufen haben. Vor einigen Wochen gab es sogar noch eine kleine Erinnerung von uns. Gleichzeitig haben viele von Ihnen Briefe und E-Mails von Konsumenten, Patienten und Betroffenen bekommen, die ebenfalls um eine Zusammenarbeit gebeten haben.

Ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen wäre hier die Möglichkeit gewesen, ein Zeichen aus NRW zu senden, welches einen Ruck in Deutschland ausgelöst hätte. NRW hätte die Möglichkeit gehabt, Geschichte zu schreiben und zum ersten Bundesland zu werden, das mit allen positiven Effekten über sichere Cannabisabgabestellen verfügt. Aber was ist passiert? Nichts. Meine Damen und Herren, es ist nichts passiert.

Die FDP brachte gestern wie aus dem Nichts einen alternativen Antrag ins Spiel und will noch mal die rechtlichen Möglichkeiten prüfen. Leute, die rechtlichen Möglichkeiten braucht man nicht mehr zu prüfen. Die sind geprüft. Schauen Sie einfach einmal nach Köln, nach Düsseldorf oder nach Berlin! Da ist es längst geschehen. Ich frage mich an dieser Stelle: In welchem Loch die FDP gepennt hat, dass sie die letzten Monate nicht mitbekommen hat?

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf: Der Antrag kam zu spät!)

Da fehlen mir echt die Worte. Der Antrag der FDP heißt im Klartext eigentlich nur: Wir als FDP wollen jetzt kein Modellprojekt. Punkt. Aus. Ende. Gut, das muss man so hinnehmen. Damit kann ich leben.

Kommen wir zu den Regierungsparteien. SPD und Grüne haben sich nicht gerührt. Sie haben nicht einmal eine Absage verschickt. Gar nichts. Einfach aussitzen und hoffen, dass es irgendwie von selbst vorbeigeht. Meine Damen und Herren, das ist ein Armutszeugnis vom Feinsten. Immer dann, wenn man die Möglichkeit hat, etwas zu ändern, kneift man. Die Grünen sind wie immer ganz vorne mit dabei.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber das eigentlich Dreiste ist: Während die rot-grüne Regierung herumdruckst, erzählt der Abgeordnete Ünal von den Grünen der „Welt am Sonntag“ gleichzeitig, dass man mit der SPD ein Experiment wagen wolle, Cannabis zu entkriminalisieren, um es legal in Coffeeshops zu verkaufen. Herr Ünal, wirklich: Wie dreist muss man sein, um den Leuten dort draußen so ins Gesicht zu lügen?

(Beifall von den PIRATEN)

Eigentlich ist an dieser Stelle alles gesagt. Wissen Sie was? Ich gehe jetzt an meinen Platz und werde mir gleich das Herumgeschwurbel anhören, warum Sie doch nicht mitmachen können, warum der Antrag zu kurz oder zu lang ist, warum er nicht zum richtigen Zeitpunkt kommt, warum NRW nicht zuständig ist oder was Sie sich sonst so aus dem Daumen lutschen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Yüksel das Wort.

Serdar Yüksel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Also: Geschwurbel. Ich mache ein bisschen langsam. Nicht so aufregen bei dem Punkt!

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Sie können auch langsam schwurbeln!)

In Ihrem Antrag fordern Sie die Schaffung eines Modellprojekts zur gesicherten Abgabe. Das haben Sie gerade hier dargelegt. Wir hatten eine Anhörung dazu. Es gab auch im Justizausschuss im letzten Jahr eine Anhörung dazu. Das Wesentliche bei Anhörungen ist, dass verschiedene Verbände – in dem Fall allen voran der Deutsche Hanfverband – die Schaffung von Modellprojekten in Deutschland fordern. Das ist nicht so richtig verwunderlich.

Worauf der Antrag der Piraten jedoch überhaupt nicht eingeht, sind die gesundheitlichen Aspekte,

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Das hatten wir doch alles schon!)

die Risiken des Konsums und die Auswirkungen der Abhängigkeit, die in der Anhörung im Februar insbesondere von Medizinern sehr deutlich dargelegt worden sind.

(Unruhe)

Cannabis ist nach wie vor die am häufigsten konsumierte illegale Substanz. 40 % der 18- bis 25-Jährigen in Deutschland haben Cannabis mindestens einmal probiert. Mehr als 600.000 Personen in Deutschland weisen einen missbräuchlichen oder abhängigen Cannabiskonsum auf.

Die Zahl der Personen, die aufgrund cannabisbezogener Störungen Beratungs- und Behandlungsstellen aufsucht, steigt. Das gesundheitliche Gefährdungspotenzial durch regelmäßigen und intensiven Cannabiskonsum und vor allem auch für die immer jüngeren Erstkonsumentinnen und -konsumenten darf nicht unterschätzt oder verharmlost werden.

(Zuruf von den PIRATEN: Tut doch keiner!)

Cannabiskonsum beschleunigt das Auftreten von Depressionen, sozialer Dysfunktion und sogenannter Negativsymptome wie Motivations- und Initiativlosigkeit. Darüber hinaus erhöht Cannabis das Risiko, an schizophrenen Psychosen und Angststörungen zu erkranken.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Die Jusos kotzen gerade!)

Hinzu kommen körperliche Schäden an Herz und Lunge. Jugendlicher Cannabiskonsum beeinträchtigt die neurologische Entwicklung des heranwachsenden Gehirns. Bleibende Schäden und kognitive Einbußen sind nicht auszuschließen.

Darüber hinaus ist Cannabis immer noch eine Einstiegsdroge. Die Mehrheit der Erstpatienten gibt bei Beginn einer Suchttherapie Cannabis als ihr Hauptdrogenproblem an.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Yüksel, …

Serdar Yüksel (SPD): Ja.

Präsidentin Carina Gödecke: … Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Kern würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Mich würde nur kurz interessieren, wie die Meinung Ihres Kollegen Ott aus Köln zu dem Thema Cannabis ist.

Serdar Yüksel (SPD): Da müssen Sie ihn fragen. Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Wissen Sie das nicht? Ist er denn auch nicht mehr da? – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Ist er schon Oberbürgermeister?)

Deshalb ist aus den genannten und hier vorgetragenen Risiken heraus eine staatliche Abgabe von Cannabis in Nordrhein-Westfalen abzulehnen.

Hier ist auf die Stellungnahme des Bundes Deutscher Kriminalbeamter zu verweisen, die festhält, dass restriktive Gesetze und Verordnungen grundsätzlich eine hohe Wirksamkeit bei der Begrenzung von Drogenmissbrauch haben. Ein lockerer Umgang mit Cannabis wirkt sich vor allem bei Kindern und Jugendlichen negativ auf deren Konsumbereitschaft aus.

Zu dem Antrag der FDP ist Folgendes zu sagen: Mit einer kontrollierten Abgabe in Apotheken oder lizenzierten Ausgabestellen, wie Sie sie in Ihrem Entschließungsantrag fordern, senden wir aus meiner Sicht aus den vorgetragenen Gründen ein kontraproduktives Signal an die jungen Menschen.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Portugal!)

Den Kolleginnen und Kollegen, die auf die Niederlande als Paradebeispiel verweisen, schlage ich vor, einmal einen Blick in den Bericht der EU-Drogenbeobachtungsstelle zu werfen. Die Zahl der Cannabiskonsumenten ist ähnlich hoch wie in Deutschland, und der illegale Handel auf dem Schwarzmarkt ist weiterhin ein massives Problem.

Wir müssen in dieser Debatte auch differenzieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir diskutieren hier die Abgabe von Cannabis für den persönlichen Rausch und nicht aus gesundheitlichen Gründen.

Die Versorgung mit Cannabis zu medizinischen Zwecken ist in Deutschland bereits geregelt. Mit der Fünfundzwanzigsten Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften hat die Bundesregierung die rechtlichen Voraussetzungen für die Zulassungs- und Verschreibungsfähigkeit cannabishaltiger Fertigarzneimittel geschaffen. Tumor- und MS-Patienten, HIV-Infizierte und Patienten in Chemotherapie können mit cannabishaltigen Fertigarzneimitteln behandelt werden. Seit 2014 können auch Schmerzpatienten eine Ausnahmeerlaubnis beantragen, um Cannabis in der Apotheke zu erwerben.

Auch das Thema „Entkriminalisierung“ wird im Zusammenhang mit der Freigabe von Cannabis immer wieder diskutiert. Dabei ermöglicht § 31a des Betäubungsmittelgesetzes bereits, dass Verfahren beim Besitz von kleinen Mengen für den Eigenbedarf seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt werden können – und die Kleinstmenge liegt in Nordrhein-Westfalen bei nicht unerheblichen 10 g.

Bevor wir also zusätzlich zu den bereits bestehenden Regeln und Regulierungen einen staatlich genehmigten Rausch diskutieren, sollten wir uns hier auf die zentralen Aufgaben konzentrieren. Da müssten aus meiner Sicht die Präventionsmaßnahmen intensiviert werden. Kinder und Jugendliche müssen weiterhin verstärkt über die gesundheitlichen Schäden informiert werden,

(Simone Brand [PIRATEN]: Bei Alkohol vor allem!)

um den romantischen Vorstellungen um einen Joint ein realistisches Bild entgegenzusetzen und Mythen über die Ungefährlichkeit, die Sie hier auch suggerieren, zu korrigieren.

Erst letztes Jahr wurde durch das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes ein Landeskonzept gegen Sucht erarbeitet, das zurzeit umgesetzt wird.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Yüksel, ich entschuldige mich, dass ich Sie kurz vor Ende Ihrer Redezeit zum zweiten Mal unterbreche. Jetzt würde Herr Kollege Lamla Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Serdar Yüksel (SPD): Ja.

Präsidentin Carina Gödecke: Okay.

Lukas Lamla*) (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich wollte einmal ganz kurz nachfragen: Ist Ihnen bekannt, dass eine geregelte Abgabe den Jugendschutz und die Präventionsarbeit erst ermöglichen würde?

Serdar Yüksel (SPD): Ich bin völlig gegenteiliger Auffassung. Ich teile Ihre Meinung dazu nicht.

(Beifall von der SPD und der CDU)

Kolleginnen und Kollegen, mit einer Freigabe oder einer Legalisierung von Cannabis verharmlosen wir eine Droge, die schwere neurologische Schäden bei ihren Konsumenten verursachen kann und deren Leben nachhaltig negativ verändert. Vielleicht sollten Sie einmal mit der Drogenhilfe in Ihrem Ort sprechen oder in eine psychiatrische Suchtklinik gehen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Serdar Yüksel (SPD): Wir schützen weder unsere Kinder und Jugendlichen vor dem Erstkontakt, noch helfen wir Abhängigen bei der Bekämpfung ihrer Sucht. Deshalb sind die Anträge der Piraten und der FDP abzulehnen.

Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung, Kolleginnen und Kollegen.

Präsidentin Carina Gödecke: Aber wirklich die letzte.

Serdar Yüksel (SPD): Glücklich das Land, das sich solche Diskussionen leisten kann, wo wir ein Recht auf Rausch haben! Wir haben gestern die Flüchtlingsdebatte und ähnliche Geschichten hier gehabt. Bei den Themen, über die wir manchmal im Landtag diskutieren, muss man auch mal alle Tassen im Schrank lassen.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Yüksel, auch wenn Sie jetzt viel Applaus bekommen haben: „Alle Tassen im Schrank lassen“ ist im parlamentarischen Raum ein grenzwertiger Ausdruck.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Doch, geht schon! Geht klar!)

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Burkert.

Oskar Burkert (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder fordern die Piraten die Freigabe von Cannabis – und das, obwohl man weiß, dass das heute gehandelte Haschisch viel stärker abhängig macht. Suchtmediziner des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe haben bestätigt, dass der THC-Gehalt nicht mehr bei 7 % liegt, sondern im Schnitt 30 oder sogar bis zu 50 % ausmacht.

Auch ist zu befürchten, dass infolge einer Legalisierung des Drogenkonsums der Drogenkonsum zunimmt und Jugendliche leichter einen Zugang zu Cannabisprodukten haben. Die gesundheitlichen Gefahren durch den Konsum von Cannabis sind immens und reichen von Schlaflosigkeit über Muskelzittern bis hin zu Verfolgungswahn.

Mich verwundert schon die Freigabe über die Apotheken, die die FDP verlangt. Ich erinnere mich: Als ich 14 oder 15 war – der eine oder andere hat das auch gemacht –, wollte ich irgendwann …

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Vorsicht!)

– Keinen Joint. Das kann ich schon zurückweisen. Aber eine Zigarette zu bekommen, war schon ganz nett. Dann hat man einen Älteren gefunden, der eine Zigarettenschachtel kaufen konnte, weil man sie ja unter 16 Jahren nicht bekam.

Jetzt macht die FDP Folgendes, damit auch 12-, 14-, 16-Jährige legal an Drogen kommen: Ein 18-Jähriger kauft sie und kann sie dann weitergeben; es sind ja legal erworbene Drogen.

Meine Damen und Herren, auf eine Zwischenintervention von Herrn Paul sagte die Kollegin Marion Warden von der SPD am 10. April 2014:

„Ich halte mich an die Studien, die ich kenne – aus Deutschland. Ich habe selber zwei Kinder und möchte auf gar keinen Fall, dass meine Kinder mit dieser Droge in Berührung kommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich habe großen Respekt vor Menschen, die nach langem Entzug und großen Schwierigkeiten den Ausstieg aus der Drogenszene schaffen. Ich habe viele Kontakte zu Drogen- und Suchtberatungsstellen und weiß auch um die Gefährlichkeit dieses Stoffes.

Es mag Länder geben, die das anders einschätzen und bewerten. Die haben aber auch eine ganz andere Struktur als wir hier. Ich schlage vor, dass wir diese Diskussion qualifiziert und in Ruhe im Ausschuss fortführen.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)“

Der Ausschuss – Herr Yüksel hat eben darauf hingewiesen – hat beraten und entschieden. Wir sagen Nein zu beiden Anträgen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Burkert. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Ünal.

Arif Ünal (GRÜNE): Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Koalition müssen wir nicht immer die gleiche Meinung haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Was die Cannabispolitik angeht, müssen wir uns von den Piraten überhaupt nicht belehren lassen.

(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Es hat die Grünen mit einer Cannabispolitik schon gegeben, als die Piraten überhaupt noch nicht existiert haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

So gesehen, werde ich jetzt versuchen, mich ein bisschen unaufgeregt und wirklich fachlich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Seit der Steinzeit hat es keine Gesellschaft gegeben, die drogenfrei war. Es geht nicht darum, einfach eine drogenfreie Gesellschaft zu machen, sondern ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, wie man kontrolliert mit den Drogen umgeht.

Cannabis ist tatsächlich nach wie vor die beliebteste illegale Droge in Europa. Das sage nicht ich, sondern zu dieser Bewertung kommt die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in ihrem Jahresbericht 2011.

Es wird auch so sein, dass wir in der Bundesrepublik wie jede Gesellschaft Drogen haben, egal, ob es legal oder illegal ist.

In der Tat, Cannabis ist heute flächendeckend frei verfügbar unter den Bedingungen eines unregulierten illegalen Drogenmarktes. Es ist nicht so, dass wir ihn unter Kontrolle hätten.

Die gesundheitlichen Gefahren von Drogen, egal, ob es legale oder illegale Drogen betrifft, dürfen nicht geringgeschätzt und verharmlost werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Eine der zentralen Fragen in der Drogenpolitik lautet daher nach wie vor: Mit welchen Maßnahmen kann einem gesundheitsgefährdenden Cannabiskonsum wirksam begegnet werden? Wichtig ist es, mit diesem Konsum die Substanzen verschiedener Risiken so gering wie möglich zu halten.

Das Konzept, durch Verbotspolitik den Cannabiskonsum einzudämmen, ist gescheitert. Das müssen wir endlich akzeptieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die bisherigen Erfahrungen zeigen deutlich, dass das Verbot weder Jugendliche noch Erwachsene wirksam vom Konsum abhält. Im Moment gibt es in der Bundesrepublik 2,3 Millionen Menschen, die Cannabis konsumieren. 20 Millionen Menschen haben irgendwann mit Cannabis Berührung gehabt. So gesehen müssen wir uns mit der Realität auseinandersetzen. So gesehen ist der Cannabiskonsum in der Bundesrepublik eine Volksdroge.

Sie können das leugnen und sagen: Wir wollen das nicht. – Aber diese Situation wird sich nicht ändern, wenn wir unsere Umgangsformen mit Cannabis und anderen Drogen überhaupt nicht kritisch reflektieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb wollen wir eine kontrollierte Abgabe in der Bundesrepublik vorantreiben, damit man Präventionsarbeit und Jugendschutz vorantreiben kann. Anonyme Präventionsarbeit können Sie nicht leisten, wenn Sie die Konsumenten kriminalisieren,

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

zwei oder drei Broschüren herausgeben.

Präventionsarbeit funktioniert nur, wenn Sie gezielt mit den Menschen Kontakt aufnehmen. Jede Sucht hat eine Geschichte. Cannabis alleine verursacht keine Abhängigkeit, vielmehr muss eine Persönlichkeit dahinterstehen. So gesehen können wir tatsächlich Präventionsarbeit nur leisten, wenn wir eine kontrollierte Abgabe ermöglichen und die Diskriminierung und Kriminalisierung der Konsumentinnen und Konsumenten abschaffen. Deswegen ist unsere Idee der Präventionsaktionsarbeit Jugendschutz und Verbraucherschutz.

Sie wissen ja, was Cannabis und seinen Derivaten im Moment beigemischt wird; das geht von Blei bis hin zu noch ganz anderen Stoffen. Das ist ein gesundheitsgefährdendes Risiko, das wir minimieren müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Trotz dieser inhaltlichen Übereinstimmung können wir mit dieser Art und Weise Ihrem Antrag nicht zustimmen, erstens, weil …

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ünal …

Arif Ünal (GRÜNE): … von der Präventionsarbeit keine Rede ist und

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von den PIRATEN)

weil Sie Jugendschutz überhaupt nicht erwähnen.

Zweitens geht es Ihnen überhaupt nicht darum, das Thema voranzutreiben,

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Unglaublich!)

sondern einfach nur darum, Ihre Duftmarke zu setzen. Deswegen schreiben Sie schnell zwei Sätze von unserer Bundestagsfraktion ab und legen sie als Antrag hier vor. So kann man mit einem gesellschaftlich sehr polarisierenden Thema nicht umgehen.

Deswegen müssten wir uns fachlich damit auseinandersetzen. Sie hätten mindestens die Überweisung beantragen können, dann hätten wir fachlich darüber reden können. Aber die Art und Weise, wie Sie mit diesem Thema umgehen, schadet der Angelegenheit. Deswegen werden wir Ihren Antrag trotzdem ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ünal, bleiben Sie bitte einen kleinen Moment da. Es ist mir nicht gelungen, Ihren engagierten Redefluss am Schluss so zu unterbrechen, dass ich Sie hätte fragen können, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen. Deshalb möchte ich das an dieser Stelle noch einmal nachholen wollen.

Arif Ünal (GRÜNE): Ja, bitte.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schulz, dann haben Sie jetzt das Mikro.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin und Herr Ünal! – Ja, ich teile Ihre Auffassung, Frau Präsidentin. Es war mir auch durchaus wert, den Beitrag bis zum Ende zu hören, und ich danke Ihnen für die Zulassung der jetzt nachgezogenen Zwischenfrage.

Herr Kollege, dürfen wir nach Ihren Ausführungen davon ausgehen, dass vonseiten der regierungstragenden Fraktionen, insbesondere aber auch von Bündnis 90/Die Grünen, in den nächsten Wochen, nachdem Sie voraussichtlich und gemäß Ankündigung unseren Antrag ablehnen werden, einen im weitesten Sinne gleichlautenden, vielleicht um die von Ihnen erwähnten ergänzenden Punkte erweiterten Antrag hier im Landtag behandeln dürfen?

Arif Ünal (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Schulz, ich habe am Anfang erwähnt, dass man natürlich nicht verleugnen kann, dass es in dieser Sache unterschiedliche Meinungen gibt.

Deswegen müssen wir miteinander diskutieren und uns fachlich auseinandersetzen. Aber wir haben natürlich das Ziel vor Augen, dass wir mit diesen Situationen anders umgehen müssen. Deshalb gibt es auch einen Entwurf, den wir intern abstimmen müssen.

Hier kann ich nicht mehr sagen. Nach der Diskussion in unterschiedlichen Arbeitskreisen sowohl bei der SPD als auch bei den Grünen werden Sie die Ergebnisse präsentiert bekommen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Weit über 100.000 Menschen werden in diesem Jahr noch nach Nordrhein-Westfalen kommen: Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, die vor Verfolgung und Gewalt fliehen. Diese Menschen brauchen dringend unsere Hilfe.

Unserem Gesundheitssystem steht mit dem demografischen Wandel die größte Herausforderung seit Jahrzehnten bevor. Krankenhäuser in unserem Land sind permanent unterfinanziert. Das Pflegepersonal kommt an seine Grenzen. Ärztemangel droht.

Und was tun wir? Wir müssen zum zweiten Mal in diesem Jahr über Cannabis diskutieren.

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

Es gab dazu schon einen Antrag. Zu diesem Antrag gab es sogar zwei Anhörungen, in denen intensiv und ausschweifend diskutiert wurde. Und jetzt?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Medizin ist ein wichtiges Thema! – Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Zurück auf „Los“, aber ohne in das Gefängnis zu gehen. Denn egal, ob wir über Haupt-, Nord-, Süd- oder Westbahnhof gehen, die Dealer sind längst da. Sie spielen aufgrund der momentanen Gesetzeslage ihr eigenes rücksichtsloses Spiel. Denn sie profitieren am meisten von der aktuellen Gesetzeslage. Sie fahren auf dem Schwarzmarkt enorme Gewinne ein und schaden gleichzeitig vorsätzlich der Gesundheit ihrer Kunden. Oder glauben Sie, die interessieren sich für Jugendschutz und Prävention?

Cannabis gehört mittlerweile zum Leben einer Vielzahl von Menschen. Bis zu vier Millionen regelmäßiger Konsumenten soll es laut aktuellen Zahlen allein in Deutschland geben. Trotz des Status der illegalen Substanz und der drohenden Strafverfolgung. Eine Kriminalisierung der Substanz Cannabis schadet jedoch den Falschen.

Ohne Frage birgt Cannabis noch immer Gesundheitsrisiken, insbesondere für Heranwachsende. Doch um dieses Problem anzugehen, ist die staatliche Verteufelung der falsche Weg, ganz im Gegenteil: Präventionsangebote können aufgrund des illegalen Charakters der Thematik nicht an den Mann gebracht werden. Die Konsumenten schaden ihrer Gesundheit hauptsächlich dadurch, dass die Droge nicht kontrolliert und vor allem nicht standardisiert ist.

Ein weiterer Verlierer der aktuellen Gesetzeslage ist unsere Polizei. Die Beamten haben wahrlich genug zu tun, sind aber dazu verpflichtet, jedem noch so kleinen Vergehen in Bezug auf Cannabis nachzugehen. Dies verschwendet Unmengen an Personalressourcen. Und all das, obwohl die Verfahren bei den meisten kleineren Delikte sowieso eingestellt werden. Der Konsum geringer Mengen Cannabis ist gesellschaftlich ohnehin weitestgehend akzeptiert, was den Kampf der Polizei noch zusätzlich erschwert.

Von den finanziellen Belastungen der Steuerzahler möchte ich gar nicht erst anfangen zu sprechen, denn große Summen fließen jährlich in die Strafverfolgung.

Eine kontrollierte Abgabe von Cannabis als Genussmittel an volljährige Personen durch Apotheken oder lizensierte Ausgabestellen hingegen würde viele dieser Probleme aus der Welt schaffen. Das Land könnte Einnahmen in Milliardenhöhe durch die Besteuerung von Cannabis generieren, was führende Ökonomen schon längst fordern. Wenn dieses Geld dem Gesundheitshaushalt zur Verfügung stünde, könnte das Wort „Prävention“ komplett neu buchstabiert werden.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, verwundert bin ich darüber, dass sich die klassische Verbots- und Bedenkenträgerfraktion in letzter Zeit auch für die Legalisierung von Cannabis ausspricht.

Die Grünen, verantwortlich für dieses rigorose Raucherbevormundungsgesetz, plädieren für die Freigabe. Diese Partei, die erst vor wenigen Tagen durch Frau Künast verkündete, dass Zucker der neue Tabak sei, fordert nun die Freigabe von Cannabis. Mir persönlich fehlt allerdings die Fantasie, wie das funktionieren soll: Rauchverbot und Kiffen bzw. Kiffen, ohne zu rauchen?

Oder vielleicht kommen nun zu den Seminaren im Bildungsprogramm des Landes Nordrhein-West-falen wie zur Schulung von Wolfsbotschaftern, damit wir den Wölfen nicht mit Vorbehalten und Sorgen begegnen, oder zum Seminar „Jetzt aber Sense“, zu dem die Sense mitgebracht werden kann, weitere hinzu. Vielleicht erweitert das Land Nordrhein-Westfalen sein Kursangebot nun noch um die Fortbildung „Back deinen Glückskeks im Gesundheitsministerium – grasgrüne Küchentipps für jedermann“.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, der vorliegende Antrag ist ein bürokratisches Monster. Er greift zu kurz.

Die Idee hinter diesem Antrag ist eine freiheitliche.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Susanne Schneider (FDP): Deshalb liegt Ihnen von meiner FDP-Fraktion ein Entschließungsantrag vor. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Schneider, dass Ihnen die Fantasie manchmal fehlt … Hätte man eine Freigabe von Cannabis, wovon wir gerade nicht ausgehen, würde natürlich das Kiffen ebenso unter das Nichtraucherschutzgesetz fallen. Aber das nur am Rande, weil Sie immer wieder mit solchen dummen Beispielen kommen, die der Thematik nicht entsprechen. Das wird aus meiner Sicht einem solchen Thema nicht gerecht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn notwendig sind Ideologiefreiheit und eine an der Sachfrage orientierte Diskussion im Interesse der Menschen in diesem Land. Denn Cannabis – auch das ist heute schon gesagt worden – gehört zu den am häufigsten konsumierten illegalisierten Drogen.

Die Auseinandersetzungen über den richtigen Umgang sind nicht neu. Sie wissen, wie viele Anhörungen und Debatten wir im Landtag dazu hatten. Das wird heute mit Sicherheit nicht die letzte sein.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin Steffens, Herr Kollege Olejak würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Gerne.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Ministerin. – Bei der Entkriminalisierung von Drogen, der Definition von Drogen im Gesamten und den Verbotsdebatten möchte ich Sie gern fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass Zucker der Hauptträgerstoff für Globuli ist.

(Lautes Lachen von Susanne Schneider [FDP] – Heiterkeit von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Ich weiß nicht, was Zucker mit der Debatte über Cannabis zu tun hat. Vielleicht hat man zu früh auf die praktischen Beispiele zugegriffen. Ich verstehe Ihre Frage im Zusammenhang mit dieser Debatte heute hier überhaupt nicht.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist der Hauptkiller!)

Wir brauchen also eine ideologiefreie, eine sachorientierte Debatte und vor allen Dingen eine gemeinsame Verständigung über die Punkte, die wirklich klar sind. Es besteht Einigkeit, dass die Risiken des Cannabiskonsums vorhanden sind und nachhaltig gesenkt werden müssen, und wir brauchen Aufklärung. Unstreitig ist auch, dass die gesundheitlichen Gefahren des Konsums von Suchtmitteln, egal, ob legal oder illegal,

(Zuruf von den PIRATEN: Legal, illegal, scheißegal!)

nicht verharmlost werden dürfen.

Gerade wenn wir über den Jugendschutz reden, müssen wir eindeutig und klar an allererster Stelle auch über den Alkoholkonsum sprechen. Die Konzepte und die Lösungsansätze, die wir brauchen, müssen sich stärker an den Lebensrealitäten und Lebenswelten der Menschen orientieren. Das ist heute in vielen Fällen nach wie vor nicht der Fall.

Statt Kriminalisierung der Konsumentinnen und Konsumenten brauchen wir eine Intensivierung insbesondere niedrigschwelliger Angebote mit Prävention. Wenn wir dann darüber reden, wie wir vorgehen und was für die Sicherstellung eines umfassenden Schutzes von Kindern und Jugendlichen notwendig ist, gehen vielleicht die Wege und die Positionen auseinander.

(Unruhe)

Frau Präsidentin, können Sie irgendwie dafür sorgen, dass es ein bisschen leiser wird?

Präsidentin Carina Gödecke: Das kann ich gerne tun, Frau Ministerin. Ich glaube schon, dass die Kolleginnen und Kollegen, die im Raum sind, gerne zuhören werden.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Gerade bei der Frage des Jugendschutzes gehen die Meinungen „Womit schützen wir die Jugendlichen am besten?“ ziemlich weit auseinander.

In 2012 hatten wir eine Reihe von Konsumenten und Konsumentinnen unter den Jugendlichen, unter den 12- bis 17-Jährigen, den 18- bis 25-Jährigen, obwohl diese Droge eine illegale Droge ist. Wir wissen, dass der Wirkstoffgehalt, wie Herr Burkert eben gesagt hat, der THC-Gehalt, für die Jugendlichen nicht wirklich transparent und klar ist, wenn sie beim Dealer um die Ecke irgendeine Substanz kaufen. Wir wissen nicht, wie Herr Ünal gesagt hat, welche Substanzen beigemengt sind.

Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir nach wie vor die Prohibition hätten, wenn Alkohol in Deutschland verboten und eine illegalisierte Droge wäre, wären viele der Jugendlichen blind, wären viele der Jugendlichen durch den hohen Konsum alkoholischer Getränke, die sie auf dem Schwarzmarkt gekauft hätten, stark belastet. Das heißt, Jugendschutz ist nicht unbedingt durch ein Verbot an irgendeiner Stelle zu erreichen. Jugendschutz ist vielmehr durch eine umfassende Aufklärung und reine und saubere Substanzen, deren Inhaltsstoffe wir kennen, zu erreichen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben bei der Prävention viele Probleme damit, dass auch Eltern sich nicht trauen, die Beratungs- und Hilfestrukturen aufzusuchen, weil sie Angst haben, damit ihre eigenen Kinder in Schwierigkeiten zu bringen, indem ihre Kinder kriminalisiert werden.

Wir werden eine ideologiefreie Debatte darüber führen müssen, wie wir die Jugendlichen wirklich besser schützen können, ob mit einem geregelten Markt, in dem nicht die Konsumenten und Konsumentinnen, sondern diejenigen, die jenseits des Marktes illegal Drogen verkaufen und dementsprechend verfolgt werden, kriminalisiert werden. Diese Debatte muss aber ideologiefrei sein.

Der Antrag der Piraten wird dem Ganzen nicht gerecht und hilft nicht wirklich weiter. Denn die Entscheidung darüber, ob es Modelle in Nordrhein-Westfalen gibt oder nicht, fällt nicht das Land Nordrhein-Westfalen. Wir können die Entscheidung nicht treffen. Wir können die Anträge nicht stellen. Die Kommunen führen vielmehr die Diskussion, werden die Anträge stellen, und das BfArM wird darüber entscheiden.

Deswegen glaube ich auch nicht, dass ein runder Tisch Sinn macht. Ich glaube nicht, dass die Punkte, die in dem Antrag stehen, in Nordrhein-Westfalen in irgendeiner Form infrage kommen.

Wichtig ist: Sucht hat immer eine Geschichte. Nicht die Substanz steht am Anfang der Sucht, sondern die Probleme der Menschen, durch die sie den Zugang zu einer Sucht finden. Deswegen brauchen wir Prävention von Anfang an. Wir müssen Menschen helfen, die Persönlichkeit von klein auf zu stärken, damit die Probleme, die in die Sucht – egal, in welche Sucht – führen, gar nicht erst entstehen. Dann hat Sucht eines Tages vielleicht keine Chance mehr.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die Piraten spricht noch einmal Herr Kollege Lamla.

Lukas Lamla*) (PIRATEN): Frau Präsidentin! Herr Yüksel und Frau Schneider, in dieser Debatte die Flüchtlinge vorzuschieben, ist politisch schwach und menschlich unglaublich hässlich.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Ünal, es ist doch echt verlogener Dreck. Sie hatten zwei Monate Zeit, sich einzubringen und diesen Antrag mitzugestalten!

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt hier zu sagen: „Der Jugendschutz ist nicht drin“, ist einfach nur so was von verlogen, das glaubt Ihnen doch kein Mensch! Hören Sie sich eigentlich mal selber reden? Können Sie in den Spiegel schauen? – Ich glaube nicht. Das ist einfach nur widerlich. Ja, jetzt sitzen Sie mit einem selbstgefälligen Grinsen da und zeigen eigentlich, wie scheißegal Ihnen doch das Ganze ist. Schade, dass …

(Zurufe: Och!)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Lamla, ich habe Ihnen das Mikro abgedreht, weil ich finde, jetzt fängt es an, dermaßen unparlamentarisch in der Ausdrucksweise zu werden, dass ich auch Ihre Erregung nicht mehr verstehen kann.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Für die wiederholten Ausführungen, die die Begriffe „Lügen“, „verlogen“, „Dreck“ betreffen, rüge ich Sie. Für den Fäkalausdruck rüge ich Sie gesondert. Ich erwarte, dass das jetzt aufhört, weil damit auch die Debatte, die Sie führen wollen, ins Gegenteil verkehrt wird. Ich schalte Ihnen das Mikro wieder ein, damit Sie die restliche Redezeit haben. Kommt noch ein Ausdruck vor, ist es sofort wieder aus.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Lukas Lamla*) (PIRATEN): Ich war bei „widerlich“. Ich hoffe, das ist noch ein parlamentarischer Begriff.

(Ministerin Barbara Steffens: Nein!)

Es ist widerlich, wie Sie mit den Hoffnungen der Menschen spielen, der Hoffnung von Patienten, die in die Kriminalität getrieben werden. Es ist widerlich, wie Sie mit den jungen Menschen spielen, die viel zu früh mit Polizei und Staatsanwaltschaft in Konflikt geraten und ihr Leben lang gebrandmarkt werden. Es ist widerlich, wie Sie Geschädigte verhöhnen, die mangels Qualitätskontrollen ernsthaft erkrankt sind.

Heute hätten Sie die einmalige Möglichkeit gehabt, all das zu verändern. Aber Sie zeigen – gerade auch mit Ihrem Geklatsche –, Sie wollen das alles nicht. Einfach mal den Menschen da draußen zeigen, dass Sie zu Ihrem Versprechen stehen und nicht bloß drum herumreden, das wäre doch mal eine nette Abwechslung.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Lukas Lamla*) (PIRATEN): Wie erklären Sie das eigentlich all Ihren Leuten? Wie erklären Sie das der eigenen Parteijugend, die seit Wochen im Joint-Kostümchen durchs Land zieht? In Wahrheit benutzen Sie diese noch, um später im Wahlkampf sagen zu können:

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit, bitte!

Lukas Lamla*) (PIRATEN): Hey, wir machen ja auch irgendwas mit Cannabis. Wissen Sie was? Die grüne Jugend und die Jusos sind nur ein fester Bestandteil dieser riesengroßen Verarschung, ohne es zu wissen.

(Präsidentin Carina Gödecke schaltet dem Redner das Mikrofon ab. – Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN, und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

(Lukas Lamla [PIRATEN] spricht ohne Mikrofon weiter.)

– Herr Kollege Lamla! Sie hatten erstens die Redezeit und zweitens mein Angebot überschritten. Von daher habe ich Ihnen jetzt das Mikrofon ein zweites Mal abgestellt.

Wir kommen, wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen – das bleibt so –, zur Abstimmung erstens über den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/9587.

Entschuldigung, ich habe noch eines vergessen. Bevor wir zur Abstimmung kommen, muss und darf Ihnen noch mitteilen, dass der Abgeordnetenkollege Dr. Gerhard Papke nach § 47 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung dem Sitzungsvorstand – also uns – eine kurze schriftliche Erklärung zu seinem Abstimmungsverhalten übergeben hat. Wunschgemäß wird diese Erklärung dann Teil des Plenarprotokolls werden.

Mit dieser Ergänzung komme ich jetzt noch einmal zur Abstimmung oder eröffne sie wirklich endgültig, und zwar über den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/9587. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat, wie wir wissen, direkte Abstimmung beantragt. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten. – Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und die FDP. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/9587, über den wir eben abgestimmt haben, mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.

Wir kommen jetzt zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/9658. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion in großen Teilen. – Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, die Piraten und Herr Kollege Dr. Gerhard Papke. – Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/9658 ebenfalls abgelehnt worden, und ich schließe den Tagesordnungspunkt 8.

Ich rufe auf:

9   Sexuelle Gewalt an Frauen und Männern mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung konsequent bekämpfen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache
16/5555

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation
Drucksache 16/9606

Ich weise darauf hin: Der Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/5555 wurde gemäß § 82 Abs. 2b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit der Maßgabe überwiesen, dass Aussprache und Abstimmung im Plenum erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen. Da beides vorliegt und in der Drucksache 16/9606 nachzulesen ist, können wir an dieser Stelle so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Kopp-Herr das Wort.

(Das Mikrofon am Redepult ist noch nicht wieder eingeschaltet worden.)

Regina Kopp-Herr (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Präsidentin Carina Gödecke: Entschuldigung! Das Mikrofon ist noch ausgeschaltet. Das ist mein Versehen.

Regina Kopp-Herr (SPD): Kein Problem! – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren hier zu später Stunde ein ausgesprochen wichtiges Thema. Ich stelle es gleich an den Anfang meiner Rede: Wir erkennen als SPD-Fraktion an, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, dass Sie mit der Antragstellung „Sexuelle Gewalt an Frauen und Männern mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung konsequent bekämpfen!“ ein notwendiges und richtiges Thema gesetzt haben.

Als regierungstragende Fraktionen haben wir das Setzen des Themas gewürdigt, indem wir uns nach dem Expertinnengespräch gemeinsam auf den Weg gemacht haben, einen neuen Antrag zu entwickeln. Das hätte der Bedeutung des Themas Gewicht verliehen und ein wichtiges öffentliches Signal – besonders gegenüber den Menschen mit Behinderungen – gesetzt.

Leider waren wir nicht erfolgreich. Ich will hier an dieser Stelle auf Schuldzuweisungen verzichten. Das bringt uns und die betroffenen Menschen nicht weiter; denn das, was wir hier tun müssen – auch wenn es in NRW schon gute Initiativen gibt; ich werde später noch einmal darauf eingehen –, hat auch der Fachausschuss der Vereinten Nationen zum Stand der Umsetzung der UN-Behinder-tenrechtskonvention aufgezeigt.

Der Fachausschuss rät dazu, in der Umsetzung der UN-Rechtskonvention besonders Frauen und Mädchen mit Behinderungen in den Blick zu nehmen – mit einem speziellen Focus auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen und Migrationshintergrund sowie Frauen und Mädchen mit Behinderung und Flüchtlingserfahrung.

Bei uns in NRW leben ca. 2,5 Millionen Menschen mit Behinderungen. Der Frauenanteil liegt bei etwas mehr als eine Million. Jedoch ist die Dunkelziffer von Frauen mit Behinderungen hoch, da viele dieser Frauen keinen Behindertenausweis besitzen bzw. beantragen, wie es eine repräsentative Studie der Uni Bielefeld zur Lebenssituation und Belastung von Frauen mit Beeinträchtigungen in Deutschland zeigt.

Ich zitiere aus der Studie:

„Werden alle Frauen zusammengenommen, die in Kindheit und Jugend und/oder im Erwachsenenleben sexuelle Gewalt erlebt haben, dann war mehr als jede zweite bis dritte Frau der Studie im Lebensverlauf von sexueller Gewalt betroffen … Die Frauen in Einrichtungen, die in allgemeiner Sprache befragt wurden, waren hier mit einem Anteil von 56 % die mit Abstand am stärksten belastete Gruppe …“

Genau hier besteht Handlungsbedarf. Es gibt erste wegweisende Vereinbarungen der Prävention gegen sexualisierte Gewalt, beispielsweise den Beschluss der Gleichstellungs- und Frauenministerinnenkonferenz, Frauen und Mädchen besser zu schützen, Zugang zu Unterstützungseinrichtungen zu ermöglichen und wirksame Maßnahmen zu erarbeiten, um Gewalt entschieden und konsequent entgegenzuwirken. Mit dem Verein Weibernetz e. V., in dem sich Frauen mit Behinderungen organisieren, und mit „Mensch zuerst“ wurde das bundesweite Projekt von Frauenbeauftragten ins Leben gerufen.

Das Besondere an diesen Frauenbeauftragten ist: Sie haben selbst Beeinträchtigungen und helfen Mitbewohnerinnen und Kolleginnen in Wohneinrichtungen und Werkstätten, wenn diese von Gewalt bedroht sind oder Opfer von Gewalttaten wurden.

Ein weiterer Baustein ist es, Frauen und Mädchen mit Behinderungen in ihrer Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zu stärken, damit sie allen Formen von Gewalt nicht mit negativen Gefühlen wie Angst oder Hilflosigkeit begegnen. Solche Angebote sind seit einigen Jahren in NRW zu finden. Ich nenne mal nur als Stichworte Sportvereine und den Deutschen Olympischen Sportbund.

Für die rot-grüne Landesregierung ist Inklusion ein breites ressortübergreifendes Thema. Viele Maßnahmen wurden entwickelt und befinden sich in der Umsetzung, beispielsweise der Aktionsplan „NRW inklusiv“ oder die Kompetenzzentren „Selbstbestimmt Leben“.

Trotz dieser guten Beispiele sehen wir weiteren Handlungsbedarf beim Thema „sexualisierte Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen“. Dazu gehört eine genaue Betrachtung der Betreuung von Menschen mit Behinderungen. Der Umgang mit dem Personal in Einrichtungen und auch die Forderung nach gleichgeschlechtlicher sowie kultursensibler Pflege sind wichtige Aspekte, die beim Thema „sexualisierte Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen“ bedacht werden sollten.

Hier greift der CDU-Antrag zu kurz. Das ist im Expertinnengespräch deutlich geworden. Im Zuge von Maßnahmen zur Inklusion seitens der Landesregierung werden wir uns dem Thema „sexualisierte Gewalt gegenüber Menschen mit Behinderungen“ auch unter den Empfehlungen des UN-Fachaus-schusses erneut annehmen. Wir laden alle Fraktionen ein, sich dann erneut daran zu beteiligen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Kopp-Herr. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Kollegin van Dinther.

Regina van Dinther*) (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute einen Fachantrag, mit dem wir uns eigentlich alle verpflichten sollten, konsequente Maßnahmen gegen die sexuelle Gewalt an Menschen mit Behinderungen zu ergreifen. Denn die Zahlen sind wirklich erschreckend. Während wir hier auf allen Ebenen in der Politik ausgiebig über Inklusion diskutieren und auch viele Einzelmaßnahmen durchsetzen, werden wir damit konfrontiert, dass etliche Menschen mit Behinderungen nicht einmal in körperlicher und seelischer Unversehrtheit leben können. Von der Achtung ihrer grundgesetzlich verankerten Würde, zu leben, sind diese Betroffenen ganz weit entfernt.

Wenn Frauen mit Behinderungen zwei- bis dreimal häufiger von sexueller Gewalt betroffen sind und jede vierte Frau mit geistiger Behinderung in ihrem Leben Vergewaltigungen oder Vergewaltigungsversuche über sich ergehen lassen musste, dann ist es auch an uns, mit Handeln noch einmal verstärkt einzugreifen.

(Beifall von der CDU)

Die Sachverständigen, die wir dazu gehört haben, sagten uns, dass die Gewalt schon oft im Kindesalter beginnt und fast immer im Nahbereich der betroffenen Menschen geschieht, also dort, wo eigentlich der Schutz am höchsten sein sollte.

In diesem Zusammenhang ist es natürlich besonders tragisch, dass es den Betroffenen so häufig nicht möglich ist, sich zur Wehr zu setzen. Die Anzeige der Taten ist für die Betroffenen fast überhaupt nicht möglich, weil die persönlichen Risiken für Menschen mit Behinderungen noch größer sind und der Beweis dieses Missbrauchs noch schwieriger ist wegen dieser bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse.

Das Wörtchen „Abhängigkeitsverhältnis“ ist daher vielleicht auch der erklärendste Begriff, warum dieses Martyrium so oft ertragen werden muss. Also ist die Hilfe bei der Auslösung aus Abhängigkeitsverhältnissen für Menschen mit Behinderungen sicherlich auch für uns die wichtigste politische Aufgabe.

Wir haben im Beratungsprozess gemeinsam die Expertenanhörung durchgeführt, in der die Brisanz und auch die notwendigen neuen Konzepte ja relativ deutlich angesprochen wurden.

Sicher sind wir auch alle einig darüber, dass zum Beispiel die sehr frühe und sensible Sexualaufklärung auch unter Einbeziehung der Eltern die Grundlage eines besseren Schutzes vor Übergriffen ist und dass überall dort, wo Abhängigkeitsverhältnisse entstehen können, das Selbstbestimmungsrecht behinderter Menschen durchgesetzt werden muss, und zwar wirklich auch von den Außenstehenden, und dass es unabhängige Ombudsstellen geben muss, die Ansprechpartner für betroffene Menschen mit Behinderungen sind und die deren Recht dann auch vertreten und durchsetzen können, und dass überall dort, wo Menschen einen sehr hohen Grad an Fürsorge benötigen, die Organisation der Hilfe auch für Fragen eines möglichen Missbrauchs noch sensibler und wirkungsvoller sichergestellt werden muss.

Meine Damen und Herren, vor nicht allzu langer Zeit wurden wir mit den Erlebnissen von massivem Missbrauch sogenannter Heimkinder konfrontiert. Ich habe als ehrenamtlich Tätige miterlebt, wie sich Verantwortliche heute sehr schwer taten, sich zu den Taten vergangener Generationen zu äußern oder gar eine Schuld einzugestehen. Leider haben viele Betroffene bis heute auch keinen Ausgleich für ihr Leid bekommen. Die Politik hat sehr mühsam runde Tische organisiert und über die Forderungen der missbrauchten Menschen diskutiert.

Wenn aus diesen Schandtaten wenigstens eines gelernt werden kann, dann dieses: Wir und auch diejenigen, die pflegende Berufe ergreifen, sollten uns alle mit diesen Vorkommnissen befassen. Dann benötigen wir ein Hilfesystem auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in pflegenden Berufen. Es muss ein Fachwissen darüber geben und entwickelt werden. Wir brauchen auch ein Mutmachen zu einem transparenten Umgang mit derartigen Vorkommnissen, die es wohl auch weiterhin geben wird. So naiv dürfen wir nicht sein, zu meinen, dass es das irgendwann nicht mehr geben wird.

Meine Damen und Herren, die Offenlegung darf nicht Nestbeschmutzung sein, sondern muss eigentlich für jeden zur Pflicht werden.

Es muss aber auch Hilfe geben für die Beschäftigten, die solcherlei Dinge erleben und diesen Erlebnissen aber manchmal gar nicht gewachsen sind.

Meine Damen und Herren, leider ist es uns nicht gelungen, zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen. Aber darüber will ich hier gar nicht reden. Ich nehme an, dass wir alle an diesen Themen arbeiten und darüber auch kein Streit entstehen wird. Deshalb werde ich mich auch damit abfinden, dass unser Antrag abgelehnt wird. Fachlich ist er sicherlich richtig. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau van Dinther. – Für die Grüne-Fraktion hat Frau Paul das Wort.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen mit Behinderungen sind auch heute noch deutlich häufiger Opfer von Gewalt in all ihren Formen als Menschen ohne Beeinträchtigungen. Insbesondere Frauen mit Behinderungen stellen dabei eine besonders vulnerable Gruppe dar. Das haben die Wortbeiträge meiner beiden Kolleginnen ja auch schon unterstrichen.

Die bundesweite Studie – sie ist auch schon angesprochen worden – „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“, die durch die Universität Bielefeld durchgeführt wurde und auch dem Emanzipationsausschuss ja bereits im Juni 2013 vorgestellt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen mit Behinderungen im Lebensverlauf allen Formen von Gewalt deutlich häufiger ausgesetzt sind.

Sie werden häufiger Opfer von physischer, psychischer und/oder sexualisierter Gewalt und Erleben leider Diskriminierung auch durch die Behörden, Justiz und Polizei. Nicht zuletzt sind sie häufiger von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Dabei bleibt festzuhalten, dass auch eine erniedrigende Behandlung eine subtile Form der Gewalt darstellt.

Ebenso möchte aber auch ansprechen, dass die Tatsache, dass Frauen überdurchschnittlich häufig Opfer von Gewalt werden, nicht den Blick dafür verstellen darf, dass auch Männer mit Behinderung Opfer von Gewalt werden. Eine Untersuchung zur Lebenssituation von Männern mit Behinderung aus dem Jahr 2013 legt allerdings nahe, dass Männer deutlich häufiger Opfer von körperlicher Gewalt an öffentlichen Orten werden. Die Gewalt, der sich Männer und Frauen ausgesetzt sehen, unterscheidet sich daher deutlich.

Inwieweit allerdings sexuelle Übergriffe möglicherweise auch aufgrund von Scham weniger häufig von Betroffenen benannt werden, müsste man an der Stelle noch weiter untersuchen. Das gilt jedoch – das möchte ich hinzufügen – nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern sicherlich auch für Männer ohne Behinderung, denn das ist immer noch ein sehr tabuisiertes Thema.

Es ist weiterhin festzustellen, dass Grenzverletzungen durch die Betroffenen oftmals zunächst nicht als solche wahrgenommen werden bzw. die Übergänge in dem Bereich fließend sind. Hier gilt es aus unserer Perspektive, Frauen wie Männer beim Festsetzen eigener Grenzen zu stärken und sie zu unterstützen sowie zu ermutigen, Grenzüberschreitungen zu artikulieren.

Für uns heißt das, dass nicht allein der Schutzgedanke im Vordergrund steht, sondern es vielmehr darum gehen muss, Frauen und Männer mit Behinderung im Sinne des Empowerments zu unterstützen und zu stärken.

Menschen mit Beeinträchtigungen haben genauso ein Recht auf Selbstbestimmung wie Menschen ohne Behinderung, und deren Stärkung haben sich Selbsthilfevereine, Träger und nicht zuletzt die Landesregierung zur Aufgabe gemacht. Frauen mit Behinderung sehen wir dabei als Expertinnen in eigener Sache. In der Anhörung, die wir gemeinsam hatten, haben wir eine der Frauenbeauftragten in Einrichtungen kennengelernt, die uns sehr deutlich gemacht hat, dass das auch ihr Selbstverständnis ist. Sie sieht sich als Expertin in eigener Sache und als Vorbild, um Frauen Mut zu machen, sowohl ihre Bedürfnisse als auch die Verletzungen ihrer eigenen Grenzen zu artikulieren.

Leider erleben wir heute immer noch, dass die klassische Frauenhilfestruktur für Frauen und Mädchen mit Behinderung häufig schwer zugänglich ist. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Frauen und Mädchen sie oftmals gar nicht kennen. Diesbezüglich können die Frauenbeauftragten in diesen Einrichtungen eine wichtige Schnittstelle bilden, um sie über diese Angebote zu informieren und sie weiter zu verweisen, aber eben auch genauso, um diese Vorbildfunktion einzunehmen und den Frauen Mut zu machen, ihre eigenen Grenzen deutlich aufzuzeigen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es herrscht hier im Haus und in dem federführenden Ausschuss bei diesem Antrag große Einigkeit darüber, dass Menschen mit Behinderung nicht nur Schutz benötigen, sondern es im Sinne der Inklusion auch um die Förderung der Selbstschutzkompetenz geht. Dennoch empfiehlt der federführende Ausschuss die Ablehnung des Antrags. Das bedarf vermutlich der Erklärung, und das will ich auch gerne versuchen.

Die Forderungen des CDU-Antrags sind keinesfalls falsch, und es ist keinesfalls falsch, was Sie an der Stelle sagen. Das möchte ich noch einmal unterstreichen. Sie greifen uns aber – die Frau Kollegin Kopp-Herr hat das schon deutlich gemacht – einfach ein Stück weit zu kurz, denn wir haben gehört – in der Anhörung wird das noch einmal sehr deutlich dargestellt –, dass es um einen ganzheitlicheren Ansatz gehen muss. Wir müssen die Menschen selbst noch mehr in den Blick nehmen und ihre Kompetenzen und Rechte stärken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb haben wir mit den Fraktionen gemeinsam verhandelt, und ich bin der Meinung, dass das durchaus konstruktive Gespräche waren. Leider hat es am Ende – ich bin sehr dankbar, dass wir uns alle unabgesprochen darauf verständigt haben, hier keine Schuldzuweisungen vorzunehmen – nicht gereicht, um in der gegebenen Zeit zu einem gemeinsamen Antrag zu gelangen.

Ich bin aber der Meinung, dass wir an diesem Punkt – hier schließe ich mich Frau von Dinther an – sicherlich gemeinsam weiter arbeiten, denn es geht uns darum, die Rechte dieser Menschen zu stärken und die Selbstschutzkompetenz sowohl der Frauen wie auch der Männer mit Behinderung zu stärken. Des Weiteren gebe ich Ihnen völlig recht, dass es gilt, zudem die Kinder in den Blick zu nehmen.

Es muss aber auch um Punkte wie eine mögliche Überarbeitung des Gewaltschutzgesetzes gehen, und zwar für die Menschen, die in Einrichtungen leben. Es muss darum gehen, dass wir einen Rechtsanspruch auf gleichgeschlechtliche Pflege überprüfen und diesen unter Umständen endlich aufnehmen – eine Forderung, die in der Anhörung sehr deutlich gemacht wurde.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir sind deshalb leider bislang nicht zu einer gemeinsamen Initiative gekommen. Dennoch bin ich guten Mutes, dass wir weiterhin gemeinsam an dem Thema konstruktiv arbeiten werden, um mehr Selbstbestimmung und einen besseren Schutz von Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen zu erreichen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Paul. – Als nächste Rednerin spricht für die FDP-Fraktion Frau Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist von meinen Vorrednerinnen und Vorredner schon viel Richtiges, Wichtiges und Wahres zum Debattenthema gesagt worden. Umso trauriger ist es, dass sich die Fraktionen von SPD und Grünen nicht dazu durchringen konnten, diesen Antrag mitzutragen.

Im gesamten Beratungsverlauf gab es immer wieder Möglichkeiten, sich an einen Tisch zu setzen, um dieses Thema mit der gebotenen Sorgfalt und ohne Hektik aufzuarbeiten sowie eine gemeinsame Linie bestenfalls in einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zu finden. Ich bedauere sehr, dass dies letztendlich nicht gelungen ist.

Nach diesen Redebeiträgen rechne ich aber auch damit, dass es vielleicht damit zusammenhängt, dass es ein Oppositionsantrag war, und nach den Ankündigungen hier habe ich das Gefühl, dass wir in Kürze mit Copy-and-paste rechnen können und wir im Ausschuss etwas sehr Ähnliches auf den Tisch bekommen. Es ist aber müßig, umfangreiche Analysen anzustellen, woran die Zusammenarbeit nun tatsächlich gescheitert ist.

Klar war aber durch die Ausschussberatungen, dass mit dem Antrag offenbar ein wunder Punkt getroffen wurde und Rote und Grüne auch keine wirkliche Antwort auf die guten Fragen haben, die der Antrag stellt, und für die im Sinne der Betroffenen Antworten gefunden werden müssen.

Besonders beschämend ist die mehrheitlich ablehnende Haltung vor dem Hintergrund des Prozesses, welcher mittlerweile in sehr viele Politikbereiche ausstrahlt. Es ist richtig, dass wir uns Gedanken machen, wie der Inklusionsprozess vorangebracht werden kann. Alle Fraktionen hier im Landtag bekennen sich zu diesem Ziel. Wenn es aber zum Schwur kommt, scheint der rot-grüne Ansatz: „Wir nehmen alle mit“, nicht viel wert zu sein. Liebe Kollegen von SPD und Grünen, hier hätte ich von Ihnen etwas mehr erwartet.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird dem vorliegenden Antrag zustimmen, weil wir mit der CDU die grundsätzliche Auffassung teilen, dass hinsichtlich der Bekämpfung und Zurückdrängung von sexueller Gewalt an Frauen und Männern mit geistigen und/oder körperlichen Behinderungen noch einiges getan werden muss.

(Beifall von der FDP)

Die Antragsteller haben viele einzelne Punkte aufgeschrieben, an denen man ansetzen muss. Es ist


richtig, dass die Sensibilisierung innerhalb der Öffentlichkeit für dieses Thema verbessert werden kann. Es ist richtig, dass auch behinderte Menschen, die potenziellen Opfer sexueller Übergriffe, über eine verbesserte Sexualaufklärung und Sexualerziehung auf die Gefahren hinzuweisen und nach Möglichkeit deren individuelles Abwehrverhalten zu trainieren sind.

Es ist richtig, ein enges Netz aus Ärzten, Angehörigen und Betreuungseinrichtungen zu spannen, um Präventions- und Hilfskonzepte rasch zur Verfügung zu stellen.

Es wäre darüber hinaus aber auch richtig – das wäre eine sinnvolle Ergänzung des CDU-Antrags gewesen –, übergreifend sicherzustellen, dass sexuelle Vorkommnisse von allen Verantwortlichen, also in den meisten Fällen den Einrichtungsträgern und Leistungsanbietern auf der einen und den Aufsichtsbehörden auf der anderen Seite, zügig und rückhaltlos aufgeklärt werden.

Nur wenn es uns gelingt, aufgetretene Fälle aufzuklären und die Täter zur Verantwortung zu ziehen, werden wir einen nachhaltigen Verbesserungseffekt erzielen. Davon bin ich überzeugt. Aber das ist leider alles „hätte, wäre, wenn“, da der Antrag wohl keine Mehrheit finden wird, auch wenn es die vielen Opfer verdient hätten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Für die Piratenfraktion hat das Wort nun Herr Olejak.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ja, leider ist es nicht gelungen, zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen. Das ist etwas, was wir hier immer wieder erleben. Ich möchte da auch noch einmal Frau Schneider und Frau van Dinther gerne darauf hinweisen, vielleicht mehr miteinander zu reden, auch neben den Ausschusssitzungen, auf der Arbeitsebene vielleicht auch.

Der inhaltlichen Kritik am Antrag, wie Frau Kopp-Herr oder Frau Paul sie ausgedrückt, formuliert haben, stimme ich tatsächlich zu.

Was den gesamten Antrag und die Thematik, sexuelle Gewalt an Frauen und Männern mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung konsequent zu bekämpfen, betrifft, sind die Ideen gut. Die Formulierung, es wäre zu kurz, wird der Sache nicht gerecht, wie es auch gerade meine Kolleginnen von der Opposition hier schon formuliert haben.

Es gibt einen Aspekt, bei dem ich hier ganz klar einfach nur feststellen möchte, dass die Sachverständigenanhörung eines ergeben hat: Haushaltsneutral ist genau dieses Thema in diesem Land überhaupt nicht zu stemmen. Da muss richtig Geld reingepumpt werden, und genau das ist das, wo wir – unabhängig von der fachlichen Richtigkeit, wenn auch nicht in Gänze – sagen: Mit dem „Haushaltsneutral“ ist das mit uns leider nicht zu machen. – Vielen Dank und einen schönen Abend wünsche ich Ihnen.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Olejak. – Für die Landesregierung sollte Herr Minister Schneider sprechen.

Herr Minister Schneider hat die Rede zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 2) Das ist nach § 32 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung jederzeit möglich. Damit sind fünf Minuten Redezeit sozusagen eingespart. Die Rede wird dem Protokoll beigefügt. Die Stellungnahme der Landesregierung ist dann auch nachzulesen. Damit sind wir am Ende der Beratung. Ich habe keine weiteren Wortmeldungen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation empfiehlt in Drucksache 16/9606, den Antrag Drucksache 16/5555 abzulehnen. Wir stimmen also ab nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den Antrag selbst. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD und Grüne. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Piratenfraktion ist der Antrag Drucksache 16/9606 mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU und FDP abgelehnt.

Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich bedanke mich bei Ihnen für die geleistete Arbeit und rufe das Plenum wieder ein für morgen, Freitag, den 4. September, 10 Uhr. Ihnen allen einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 20:26 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 


Anlage 1

Zu TOP 8 – „Modellprojekt zur gesicherten Abgabe von Cannabis für Erwachsene – von Dr. Gerhard Papke (FDP) nach § 47 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene schriftliche Begründung seiner Abstimmung

Die FDP-Landtagsfraktion hat mit Blick auf eine veränderte Beschlusslage der Freien Demokratischen Partei eine Neupositionierung in der Drogenpolitik vorgenommen, die im Entschließungsantrag (Drucksache 16/9658) zum Antrag der Piratenfraktion (Drucksache 16/9587) zum Ausdruck kommt. Die FDP tritt jetzt für den kontrollierten Verkauf von Cannabis an Erwachsene in lizensierten Verkaufsstellen ein.

Auch einer solchen behutsamen Legalisierung des Rauschgifthandels kann ich aus tiefer Überzeugung nicht zustimmen und lehne deshalb beide Anträge ab.

Die FDP-Fraktion weist in ihrem Antrag zu Recht auf die erheblichen Gefahren des Cannabiskonsums hin: „Cannabiskonsum kann zu psychotischen Symptomen wie Wahnvorstellungen und Halluzinationen führen. Problematischer Cannabiskonsum gerade junger Menschen führt häufig zum amotivationalen Syndrom (Antriebslosigkeit, etc.), das mit Problemen im sozialen Umfeld und schulischem Misserfolg verbunden ist. Cannabiskonsum im Jugendalter hat Einfluss auf die neuronale Entwicklung und kann den Ausbruch von Psychosen wie Schizophrenie bei vorhandener Veranlagung auslösen oder zumindest beschleunigen.“

Dann darf es aber nicht nur das Ziel politischen Handelns und gesellschaftlicher Aufklärung sein, „die Reduzierung des Konsums bei Jugendlichen“ zu erreichen, wie es weiter in dem Antrag heißt. Gerade Kinder und Jugendliche müssen vielmehr mit aller Anstrengung vom Konsum abgehalten werden. Diesen Wunsch teilen sicherlich alle Eltern in unserem Land, unabhängig von ihrer jeweiligen Lebensphilosophie. Im Übrigen ist der Cannabiskonsum auch für Erwachsene mit erheblichen Gefahren verbunden, vor denen gewarnt werden muss, statt sie zu verharmlosen.

Es steht aber zu fürchten, dass die Entkriminalisierung des Cannabishandels die Hemmschwelle zum Einstieg in den Drogenkonsum deutlich absenkt. Der Verkauf nur an Erwachsene wird daran nichts ändern. Es wird auch weiterhin verantwortungslose Drogendealer geben, die Jugendlichen Rauschgift auf dem Schwarzmarkt beschaffen. Sie könnten in Zukunft ihre Ware sogar legal erwerben und dann illegal an Jugendliche weiterverkaufen.

Völlig verfehlt erscheint mir das Argument der Piratenfraktion, die Legalisierung von Cannabis würde zu einer deutlichen Entlastung der Strafverfolgungsbehörden führen. Dann könnte man auch gleich Einbruchskriminalität der Einfachheit halber zur Ordnungswidrigkeit herabstufen, um Polizei und Justiz zu entlasten.

Noch bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Landtags am 4. Februar 2015 wurde von Expertenseite vor einer Gleichstellung von Cannabis- und Alkoholkonsum gewarnt. Einen risikoarmen Cannabiskonsum gebe es nicht. Verschiedene Studien aus den USA untermauern diesen Befund und deuten darauf hin, dass Cannabiskonsum nicht nur das zentrale Nervensystem schädigen und den IQ senken kann, sondern sehr wohl auch als Einstiegsdroge dient.

Die Legalisierung des Rauschgifthandels wäre deshalb auch bei Cannabis politisch falsch und nicht verantwortbar. Nicht jede Form der Liberalisierung ist Ausdruck gesellschaftspolitischer Modernität.


Anlage 2

Zu TOP 9 – „Sexuelle Gewalt an Frauen und Männern mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung konsequent bekämpfen! – zu Protokoll gegebene Rede

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales:

Es ist das erklärte politische Ziel der Landesregierung, Menschen mit Behinderungen besser vor sexueller Gewalt, Misshandlungen und Vernachlässigungen zu schützen. Hierzu hat die Landesregierung bereits ein Bündel von geeigneten Maßnahmen ergriffen.

Der Aktionsplan Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv lenkt den Fokus auf die Zielgruppe der Menschen mit Behinderungen und hat dazu geführt, dass in der öffentlichen Wahrnehmung eine gesteigerte Sensibilität für dieses Thema erreicht werden konnte.

Darüber hinaus hat die Landesregierung z. B. folgende Maßnahmen ergriffen:

     Ausbau von Beratungs- und Hilfeangeboten für Mädchen, die von sexueller Gewalt betroffen sind

     Verbesserung des barrierefreien Zugangs zu Frauenhäusern

     Schaffung einer einheitlichen Datengrundlage unter Beteiligung z. B. des Weißen Rings

     Erweiterung der Trauma-Ambulanz-Angebote für psychologische Erstbetreuung von Gewaltopfern.

     Die vom Land geförderten Kompetenzzentren für selbsbestimmtes Leben in Köln und Dortmund bieten besondere Unterstützungsangebote an und helfen Betroffenen durch ihre besondere Erfahrung.

     Die drei neuen Kompetenzzentren sollen einen Schwerpunkt ihrer Aufgaben in diesem Themenfeld erhalten.

     In dem zukünftigen Inklusionsstärkungsgesetz soll der Begriff der Diskriminierung auf sexuelle Belästigung ausgeweitet werden, um Menschen mit Behinderungen besser schützen zu können.

     Die Länder haben außerdem das BMAS aufgefordert, die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft Schutz behinderter Menschen vor Übergriffen in sozialen Einrichtungen auf den Weg zu bringen.

Diese Beispiele, die in der Praxis bewährten Hilfeangebote sowie die aufgezeigten Initiativen der Landesregierung zeigen, dass der CDU-Antrag so überflüssig ist und entbehrlich.