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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/90

16. Wahlperiode

02.09.2015

90. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 2. September 2015

Mitteilungen der Präsidentin. 9167

1   Aktuelle Situation der Flüchtlingspolitik

Unterrichtung
durch die Landesregierung

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9652

In Verbindung mit:

Mehr Pragmatismus in der Flüchtlingspolitik – Bearbeitungsstau beenden, Verfahren beschleunigen, Einwanderung vom West-Balkan steuern

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9512

Und:

Kosovo, Albanien und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten gemäß § 29a Asylverfahrensgesetz einstufen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9514

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9653

Und:

Konzept statt Krisenmodus – Die Landesregierung muss ihrer Verantwortung in der Flüchtlingspolitik gerecht werden!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9583

Sowie:

Aus der Vergangenheit lernen: Nordrhein-Westfalen muss sich der politischen Verantwortung als Aufnahmeland stellen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9588 – Neudruck. 9167

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 9167

Armin Laschet (CDU) 9176

Norbert Römer (SPD) 9180

Dr. Joachim Stamp (FDP) 9183

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 9186

Michele Marsching (PIRATEN) 9189

Minister Ralf Jäger 9192

André Kuper (CDU) 9197

Hans-Willi Körfges (SPD) 9198

Monika Düker (GRÜNE) 9200

Frank Herrmann (PIRATEN) 9203

Ergebnis. 9205

2   Bildungsqualität fördern 
Teil 2: Schulen in ihrer Ausrichtung auf berufliche Ausbildung stärken – die duale Ausbildung fördern – Fachkräftemangel vor allem im technischen Bereich beheben

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9580. 9206

Klaus Kaiser (CDU) 9206

Ina Spanier-Oppermann (SPD) 9207

Karin Schmitt-Promny (GRÜNE) 9208

Ingola Schmitz (FDP) 9209

Monika Pieper (PIRATEN) 9210

Ministerin Sylvia Löhrmann. 9211

Ergebnis. 9212

3   Nordrhein-Westfalen braucht eine Digitalisierungs-Offensive

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9595. 9212

Marcel Hafke (FDP) 9212

Alexander Vogt (SPD) 9213

Hendrik Wüst (CDU) 9215

Matthi Bolte (GRÜNE) 9216

Daniel Schwerd (PIRATEN) 9217

Minister Garrelt Duin. 9218

Ergebnis. 9219

4   Unabhängige Patientinnen- und Patientenberatung sicherstellen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9594

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9657. 9219

Günter Garbrecht (SPD) 9219

Arif Ünal (GRÜNE) 9220

Peter Preuß (CDU) 9221

Susanne Schneider (FDP) 9222

Daniel Düngel (PIRATEN) 9223

Ministerin Barbara Steffens. 9224

Ergebnis. 9225

5   Gesetz zur Änderung des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz – LBG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9578

erste Lesung. 9225

Theo Kruse (CDU) 9225

Thomas Stotko (SPD) 9226

Matthi Bolte (GRÜNE) 9226

Marc Lürbke (FDP) 9228

Dirk Schatz (PIRATEN) 9228

Minister Ralf Jäger 9229

Ergebnis. 9229

6   Leerrohre statt leerer Versprechen: Breitbandausbau-Blockade von Bau-minister Groschek beenden; Zukunft mitdenken und einbauen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9585. 9229

Oliver Bayer (PIRATEN) 9229

Carsten Löcker (SPD) 9230

Thorsten Schick (CDU) 9231

Matthi Bolte (GRÜNE) 9233

Ralph Bombis (FDP) 9234

Minister Michael Groschek. 9235

Ergebnis. 9236

7   Mündige Bürger nicht immer mehr bevormunden und unter Generalverdacht stellen – Keine rigide Höchstgrenze für Zahlungen mit Bargeld einführen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9597. 9236

Ralf Witzel (FDP) 9236

Markus Herbert Weske (SPD) 9237

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 9238

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 9239

Dietmar Schulz (PIRATEN) 9240

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 9241

Ergebnis. 9245

8   Massive verfassungs- und europarechtliche Bedenken nicht länger ignorieren – bürokratisches Tariftreue- und Vergabegesetz abschaffen

Eilantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9645. 9245

Dr. Günther Bergmann (CDU) 9245

Ralph Bombis (FDP) 9246

Rainer Schmeltzer (SPD) 9247

Reiner Priggen (GRÜNE) 9248

Torsten Sommer (PIRATEN) 9248

Minister Garrelt Duin. 9250

Ergebnis. 9251

9   Fragestunde

Drucksache 16/9600. 9251

Mündliche Anfrage 67

des Abgeordneten
Josef Hovenjürgen (CDU)

„Welche landesplanerische Bedeutung hat das newPark-Areal aus Sicht der Staatskanzlei als Landesplanungsbehörde?“ 9251

Minister Garrelt Duin. 9252

Mündliche Anfrage 68

des Abgeordneten
Dirk Wedel (FDP)

„Strategieänderung des Finanzministers bei der WestLB-Abwicklung – Welche einzelnen Hintergründe und Begleitumstände sind der Landesregierung zur offenbar völlig neuen Entscheidungslage aufseiten der EU-Kommission bekannt?“ 9259

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 9260

Mündliche Anfrage 69

des Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)

Beantwortung in der nächsten Fragestunde

Mündliche Anfrage 70

des Abgeordneten
Nicolaus Kern (PIRATEN)

Beantwortung in der nächsten Fragestunde

10 Ohne Wahl keine Demokratie: Das Wahlverfahren des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit muss für alternative Kandidaten geöffnet werden!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9593. 9268

Frank Herrmann (PIRATEN) 9268

Thomas Stotko (SPD) 9269

Daniel Sieveke (CDU) 9270

Matthi Bolte (GRÜNE) 9270

Dirk Wedel (FDP) 9271

Minister Ralf Jäger 9272

Ergebnis. 9272

11 Rücknahme des Anwendungserlasses vom 2. Juli 2012 zur Hinzurechnung von Finanzierungsanteilen nach § 8 Nummer 1 GewStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9579. 9272

Bernd Krückel (CDU) 9272

Michael Hübner (SPD) 9273

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 9273

Ralph Bombis (FDP) 9274

Dietmar Schulz (PIRATEN) 9274

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 9274

Ergebnis. 9275

12 Leistungsfähigkeit der deutschen Game Development Branche

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9430 – Neudruck. 9275

Ergebnis. 9276

13 Internetanschlüsse müssen halten, was sie versprechen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9592. 9276

Simone Brand (PIRATEN) 9276

Inge Blask (SPD) 9277

Robert Stein (CDU) 9277

Matthi Bolte (GRÜNE) 9277

Marcel Hafke (FDP) 9278

Minister Johannes Remmel 9280

Ergebnis. 9281

14 Zweites Gesetz zur Änderung des Meldegesetzes NRW

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8934 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/9601

zweite Lesung. 9281

Hans-Willi Körfges (SPD) 9281

Theo Kruse (CDU) 9281

Matthi Bolte (GRÜNE) 9282

Marc Lürbke (FDP) 9282

Frank Herrmann (PIRATEN) 9283

Minister Ralf Jäger 9283

Ergebnis. 9283

15 Gesetz zur Änderung gesetzlicher Befristungen im Zusammenhang mit der ländlichen Bodenordnung

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9078

erste Lesung. 9284

Minister Johannes Remmel
zu Protokoll
(siehe Anlage 1)

Ergebnis. 9284

16 Achtes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9079

erste Lesung. 9284

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)

Ergebnis. 9284

17 Gesetz zum Siebzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Gesetz zum Siebzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9516

erste Lesung. 9284

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)

Ergebnis. 9284

18 Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die kommunalen Versorgungskassen und Zusatzversorgungskassen im Lande Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9517

erste Lesung. 9285

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 4)

Ergebnis. 9285

19 Gesetz über die klinische und epidemiologische Krebsregistrierung sowie zur Änderung des Gesundheitsdatenschutzgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9518

erste Lesung. 9285

Ministerin Barbara Steffens
zu Protokoll
(siehe Anlage 5)

Ergebnis. 9285

20 Gesetz zur Umsetzung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen (KInvFöG NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9519

erste Lesung. 9285

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 6)

Ergebnis. 9285

21 Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9520

erste Lesung. 9285

Minister Thomas Kutschaty
zu Protokoll
(siehe Anlage 7)

Ergebnis. 9285

22 Gesetz über die Abschiebungshaft sowie zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9521

erste Lesung. 9285

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 8)

Ergebnis. 9286

23 Gesetz zur Errichtung des Pensionsfonds des Landes Nordrhein-West-falen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9568

erste Lesung. 9286

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
zu Protokoll
(siehe Anlage 9)

Ergebnis. 9286

24 Haushaltsrechnung des Landes Nordrhein-Westfalen für das Rechnungsjahr 2012

Unterrichtung
durch die Präsidentin
des Landtags
auf Erteilung der Entlastung
nach § 114 LHO
Drucksache 16/4635

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Haushaltskontrolle
Drucksache 16/9602

In Verbindung mit:

Jahresbericht 2014 des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2013

Unterrichtung
durch den Landesrechnungshof
Drucksache 16/6164. 9286

Ergebnis. 9286

25 Haushaltsrechnung des Landes Nordrhein-Westfalen für das Rechnungsjahr 2013

Unterrichtung
durch die Präsidentin
des Landtags
auf Erteilung der Entlastung
nach § 114 LHO
Drucksache 16/7671

In Verbindung mit:

Jahresbericht 2015 des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2014

Unterrichtung
durch den Landesrechnungshof
Drucksache 16/9490. 9286

Ergebnis. 9287

26 Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Behauptung der Gemeinde Augustdorf sowie weiterer 51 Städte und Gemeinden, das Erste Gesetz zur Umsetzung der VN-Behinderten-rechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz) vom 5. November 2013 (GV. NRW. S. 618) verletze die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung

VerfGH 8/15
Vorlage 16/3082

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/9603. 9287

Ergebnis. 9287

27 Nachwahl eines stellvertretenden Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses I

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9533. 9287

Ergebnis. 9287

28 Nachwahl eines stellvertretenden Mitglieds in den Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks Köln

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/9607. 9287

Ergebnis. 9287

29 Zustimmung des Landtags Nordrhein-Westfalen gemäß § 64 Abs. 2 LHO zur Veräußerung von Liegenschaften des Sondervermögens Bau- und Liegenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalen (BLB NRW) – bebautes Grundstück in Bochum

Vorlage 16/3111

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/9604. 9287

Ergebnis. 9287

30 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 32
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
Drucksache 16/9605. 9287

Ergebnis. 9288

31 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/34. 9288

Ergebnis. 9288

Anlage 1. 9289

Zu TOP 15 – „Gesetzentwurf zur Änderung gesetzlicher Befristungen im Zusammenhang mit der ländlichen Bodenordnung“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Johannes Remmel 9289

Anlage 2. 9291

Zu TOP 16 – „Achtes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 9291

Anlage 3. 9293

Zu TOP 17 – „Gesetz zum Siebzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Gesetz zum Siebzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag)“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 9293

Anlage 4. 9295

Zu TOP 18 – „Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die kommunalen Versorgungskassen und Zusatzversorgungskassen im Lande Nordrhein-West-falen“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 9295

Anlage 5. 9297

Zu TOP 19 – „Gesetz über die klinische und epidemiologische Krebsregistrierung sowie zur Änderung des Gesundheitsdatenschutzgesetzes“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ministerin Barbara Steffens. 9297

Anlage 6. 9299

Zu TOP 20 – „Gesetz zur Umsetzung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen (KInvFöG NRW)“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 9299

Anlage 7. 9301

Zu TOP 21 – „Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Thomas Kutschaty. 9301

Anlage 8. 9303

Zu TOP 22 – „Gesetz über die Abschiebungshaft sowie zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 9303

Anlage 9. 9305

Zu TOP 23 – „Gesetz zur Errichtung des Pensionfonds des Landes Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 9305


Entschuldigt waren:

 

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren

Ministerin Barbara Steffens      
(ab 18:30 Uhr)

Uli Hahnen (SPD)

Jochen Ott (SPD)

Christian Haardt (CDU
(ab 14 Uhr)

Werner Jostmeier (CDU)          
(ab 15 Uhr)

Andrea Milz (CDU)       
(ab 15 Uhr)

Hans Christian Markert (GRÜNE)

Verena Schäffer (GRÜNE)

Lukas Lamla (PIRATEN)           
(ab 14:15 Uhr)

Kai Schmalenbach (PIRATEN)

 


Beginn: 11:15 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 90. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich fünf Abgeordnete entschuldigt. Ihre Namen werden, wie immer, in das Protokoll aufgenommen.

Wir dürfen auch heute gleich drei Kolleginnen und Kollegen zum Geburtstag gratulieren, und zwar von der Fraktion der CDU Frau Kirstin Korte und Herrn Thorsten Schick und von der Fraktion der SPD Herrn Christian Dahm.

(Beifall von allen Fraktionen)

Allen drei Kolleginnen und Kollegen herzliche Glückwünsche des Hohen Hauses. Wir wünschen Ihnen – auch wenn der Plenartag vielleicht lange dauert – einen angenehmen Geburtstag in unserer Mitte.

Wir treten nunmehr in die Beratung der Tagesordnung ein, und ich rufe auf:

1   Aktuelle Situation der Flüchtlingspolitik

Unterrichtung
durch die Landesregierung

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9652

In Verbindung mit:

Mehr Pragmatismus in der Flüchtlingspolitik – Bearbeitungsstau beenden, Verfahren beschleunigen, Einwanderung vom West-Balkan steuern

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9512

Und:

Kosovo, Albanien und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten gemäß § 29a Asylverfahrensgesetz einstufen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9514

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9653

Und:

Konzept statt Krisenmodus – Die Landesregierung muss ihrer Verantwortung in der Flüchtlingspolitik gerecht werden!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9583

Sowie:

Aus der Vergangenheit lernen: Nordrhein-Westfalen muss sich der politischen Verantwortung als Aufnahmeland stellen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9588 – Neudruck

Der Chef der Staatskanzlei hat mir mit Schreiben vom 14. August 2015 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag in der heutigen Plenarsitzung zu dem Thema „Aktuelle Situation der Flüchtlingspolitik“ zu unterrichten. Die Unterrichtung wird durch die Ministerpräsidentin erfolgen.

Wir kommen nunmehr zur Unterrichtung, und ich erteile Frau Ministerpräsidentin Hannelore Kraft das Wort.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Jeden Tag erreichen uns derzeit schreckliche Bilder: von Flüchtlingen, die in Lkws zusammengepfercht wurden und qualvoll erstickt sind, von Menschen, die auf Schiffen unterwegs sind, die den Begriff „Schiff“ eigentlich gar nicht führen dürfen, von völlig erschöpften und hungrigen Kindern, Frauen und Männern, verzweifelten Familien mit ihren Großeltern auf Bahnsteigen, in überfüllten Zügen, von Menschen am Ende ihrer Kräfte, denen der Weg durch Stacheldraht und Polizeiketten verwehrt wird.

Wir erleben in Europa zurzeit die größte Flüchtlingsbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Millionen Menschen, vor allem aus den Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens, aus Afghanistan, aus afrikanischen Unruhegebieten südlich der Sahara sind auf der Flucht vor Vertreibung, Krieg, politischer Verfolgung.

Aber auch viele aus dem Westbalkan machen sich auf den Weg hierher, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive mehr sehen. Wie groß muss die Verzweiflung der Menschen sein, dass sie unter solchen Umständen ihre Heimat verlassen und sich für ihre Familien in solche Situationen begeben, solche existenziellen Gefahren in Kauf nehmen?

Meine Damen und Herren, wir sind sehr dankbar dafür, dass in Nordrhein-Westfalen so viele Menschen helfen, dass es viele gibt, die nicht abgestumpft und gleichgültig sind, sondern anpacken. Ich bin stolz auf unser Nordrhein-Westfalen und auf die ungeheure Welle der Hilfsbereitschaft, die es in unserem Land gibt.

(Beifall von allen Fraktionen)

Bei meinen Besuchen in Flüchtlingsunterkünften, Notunterkünften, bei Gesprächen mit haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern gab es viele zutiefst berührende Begegnungen.

Eine Frau, die ich fragte: „Warum sind Sie hier, warum helfen Sie mit?“, sagte: Es gab einen Aufruf, Bettwäsche zu spenden. Ich bin hierhergekommen, und hier ging organisatorisch alles drunter und drüber. Da habe ich mit angepackt. – Seitdem ist sie seit vielen Wochen im Einsatz, jeden Tag und immer wieder, bis an die Grenzen ihrer physischen Kräfte.

Ein Mann hat wie selbstverständlich seinen Urlaub abgesagt, weil er sagt: Ich werde doch hier gebraucht. Ich kann doch jetzt nicht in Urlaub fahren.

Eine Studentin kam gerade aus dem Freiwilligen Sozialen Jahr aus dem Ausland zurück, ist sofort, übergangslos in die Notunterkunft gegangen und hat mit angepackt. Sie fragte: Wer hilft denn hier weiter, wenn ich zurück ins Studium gehe?

Einen ehemaligen Lehrer hat man in dieser Situation gefragt: Kannst du nicht mit Deutsch unterrichten? Wir brauchen hier dringend Unterstützung. Wir müssen doch dafür sorgen, dass diejenigen, die bei uns untergebracht sind, sich auch mit dem beschäftigen können, womit sie sich beschäftigen wollen, nämlich die Sprache zu lernen. Sie wollen die Sprache lernen, weil sie wissen: Das ist der Schlüssel für ein gutes Leben hier. Dieser Lehrer stellte dann schnell fest, dass es bei einigen mit dem Sprachelernen nicht so ging, wie er sich das vorgestellt hatte, weil die Kenntnisse des Alphabets fehlten. Er hat sich dann selbst auf die Socken gemacht und Schülerinnen und Schüler gefunden – 14, 15, 16 Jahre alt –, die jetzt bei der Alphabetisierung der Flüchtlinge helfen.

Eine Lehrerin, die ich in einer Flüchtlingsklasse am Berufskolleg traf, hat mit leuchtenden Augen von ihren Schülerinnen und Schülern berichtet und gesagt: Zum Ende meiner Schullaufbahn habe ich jetzt noch einmal Schülerinnen und Schüler, die dermaßen motiviert sind. Es ist so fantastisch, das zu erleben. – Dabei leuchteten ihre Augen. Sie weiß, in diesem Fall ist sie nicht nur Lehrerin, sondern sie ist Kummerkasten. Sie ist diejenige, die die jungen Menschen auch bei Besuchen von Ämtern begleitet.

Das alles sind Menschen, die in unserem Land mit anpacken, und dafür sage ich heute stellvertretend an alle: Danke!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Manchmal geht es ganz unproblematisch. Viele fragen: Wie kann ich denn helfen? – Meine Antwort ist immer: Gehen Sie hin. Gehen Sie in die Flüchtlingsunterkunft, sagen Sie: Hier bin ich. Was kann ich tun? – Es wird immer etwas zu tun geben.

Auf Facebook meldete sich ein Bürger: Falls ihr zum Wochenende Dolmetscher braucht, könnte ich mich für Kurdisch und eventuell für Arabisch zur Verfügung stellen. – Fußballvereine, Bundesligavereine laden Flüchtlinge zu Spielen ein. In vielen Kommunen sind Bürgerinnen und Bürger aktiv. Bei mir zu Hause in Mülheim sind es mit „Willkommen in Mülheim“ inzwischen über 50 Bürgerinnen und Bürger, die sich selbst über das Netz koordinieren.

Ich denke an die Frau im Paderborner Land, die eine unbegleitete Minderjährige bei sich zu Hause aufgenommen hat. Ich denke an den Gastwirt, der das tut, was er kann: Er hat eine riesige Paella für 40 Flüchtlinge auf den Tisch gestellt. Ich denke an die Anwältin, die dabei hilft, mit Formularen zurechtzukommen.

Ich denke an meinen Besuch in Iserlohn von Mitte August, bei dem mehr als 100 Bürgerinnen und Bürger mit Schildern „Ein Herz für Flüchtlinge“ vor mir standen. Sie kämpfen darum, dass sie „ihre“ Flüchtlinge, die dort jetzt untergebracht sind, behalten können.

All das sind Menschen, auf die wir in unserem Land stolz sein können.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Ja, wir alle sind den Abertausenden dankbar, die sich hauptamtlich oder ehrenamtlich für Flüchtlinge einsetzen. In jeder Stadt, in jeder Gemeinde unseres Landes gibt es diesen vorbildlichen Einsatz. Danke für so viel Herz und für die Nächstenliebe. Wie gesagt: Diejenigen, die noch nicht wissen, wie sie es anpacken können, wenn sie helfen wollen, sollten sich schlicht und einfach vor Ort melden.

Anlässlich dieser Debatte äußere ich einen Wunsch an die Kolleginnen und Kollegen von den Medien: Ich wünsche mir manchmal weniger Fragen nach dem Zeitpunkt, wann es denn kippen könnte. Ich wünsche mir mehr Berichte über die leuchtenden Augen der Helferinnen und Helfer, über die Einzelschicksale. Ich glaube, auch das würde dazu beitragen, dass die Stimmung nicht kippt.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Auch den Unternehmen können wir dankbar sein, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freistellen und auch selbst konkret helfen. Ich war in dieser Woche bei Evonik. Dort wird eigens eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um konkret Hilfen für Flüchtlinge zu organisieren. Das ist vorbildlich, und das zeigt, was wir schaffen können.

Eine tolle Idee, die uns begegnet ist, ist der Bildungsbus, den das Innovationszentrum Fennel auf die Reise schickt – direkt in die Unterkünfte, um schnell zu ermitteln, über welche Qualifikationen die Menschen dort verfügen, damit sie zügig eine berufliche Perspektive erhalten.

Ich bin den hauptamtlichen Beschäftigten in den Kommunen, in den Schulen, in den Hilfsorganisationen, bei der Polizei, den Feuerwehren, bei den Kirchen, den Landkreisen und nicht zuletzt auch bei den Bezirksregierungen sowie bei vielen anderen Arbeitgebern dankbar. Ihr Einsatz geht weit über das hinaus, was das Übliche ist – sehr oft weit über die eigenen physischen Grenzen.

Sie schaffen immer wieder das scheinbar Unmögliche: Sie sorgen dafür, dass Tag für Tag Tausende Menschen, die neu zu uns kommen, ein Dach über dem Kopf haben, mit dem Lebensnotwendigen versorgt werden und oft bereits die ersten Schritte der Integration gehen können.

Ich bin dankbar für die große Bereitschaft aktiver und ehemaliger Landesbediensteter: Rund 400 Beamtinnen und Beamte, die schon im Ruhestand waren, haben sich gemeldet und helfen ganz konkret mit, unter anderem bei der Registrierung von Flüchtlingen. Aber auch über 130 Aktive aus allen Ministerien haben sich bereit erklärt, freiwillig an dieser Stelle mitzuwirken.

Meine Damen und Herren, ein wahrer Freund zeigt sich in der Not. Und wie ein Land tickt, das zeigt sich in solchen Situationen. Ja, ich bin fest davon überzeugt: Wir können die Herausforderungen, die vor uns liegen, bewältigen. Wir werden das schaffen, wenn wir gemeinsam anpacken. Dies spüre ich überall bei meinen Besuchen vor Ort.

Denen, die ängstlich sind, die die großen Zahlen in den Zeitungen lesen, sollten wir gemeinsam Mut machen – Mut zur Begegnung. Fremd ist nach meiner Erfahrung immer nur derjenige, bei dem man nicht die Chance hatte, ihn kennenzulernen. Deshalb: Machen wir den Menschen Mut, einander kennenzulernen!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Zur Ehrlichkeit gehört allerdings, dass es auch bei uns in Nordrhein-Westfalen das Gegenteil gibt: Menschen, die gegen Flüchtlinge hetzen, Hass und Gewalt säen. Es gibt Menschen, die andere angreifen. Es gibt Unterkünfte, in denen es zu Schmierereien kommt und wo Brandsätze geworfen werden. Und dann gibt es Menschen, die sich über all dies freuen.

Diesen Brandstiftern in Wort und Tat sagen wir unmissverständlich: Ihr werdet diese Gesellschaft nicht vergiften mit euren dumpfen und dummen Parolen! Es gibt hier keine Toleranz für Fremdenfeindlichkeit, Neonazihetze und rechte Gewalt!

(Anhaltender Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

In Nordrhein-Westfalen hat die Polizei die meisten Übergriffe aufklären können, auch deshalb, weil Zeugen und Anwohner selbst relativ kleine Straftaten bei Polizei und Verfassungsschutz melden. Ich appelliere an die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen: Bleiben Sie wachsam! Wir bieten Schutz – gemeinsam.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Wir als Politiker, liebe Kolleginnen und Kollegen, tragen in diesen Zeiten eine besonders große Verantwortung. Manche politische Debatte, die in der Sommerpause zu vernehmen war, führt meiner Ansicht nach schlicht und einfach in die Irre: die Debatte um das Taschengeld, die Debatte, die die sicheren Herkunftsländer ins Zentrum stellt, die Kategorisierung in „richtige“ und „falsche“ Flüchtlinge – all das hilft nicht weiter.

Ich finde, wir sollten stolz sein auf unser Asylrecht: Jeder hat das individuelle Recht, hierherzukommen und um Asyl zu bitten. Jeder hat das Recht auf individuelle Prüfung seines Antrags und auf ein geordnetes Verfahren. Damit wird geklärt, wer bleiben kann, wer Asyl erhält. Die anderen werden zurückgeführt, wann immer es möglich ist.

Aber seien wir ehrlich: Es gibt auch Gründe, wann wir nicht zurückführen können. Denn es gibt Menschen, die krank sind. Es gibt Menschen, die wir nicht in die Zustände zurückschicken können, aus denen sie kommen. Und es gibt auch die Situation, dass Herkunftsländer plötzlich so tun, als hätten sie mit diesen Bürgerinnen und Bürgern nichts mehr zu tun.

Meine Damen und Herren, diese Debatten bringen uns nicht weiter. Wie wirken diese Debatten auf Flüchtlinge? In einer Schulklasse im Berufskolleg saß ein junges Mädchen aus Afrika. Sie war vier Jahre lang auf der Flucht, hat dabei Tausende von Kilometern zurückgelegt und hat in vier unterschiedlichen Gefängnissen gesessen. Sie ist durch die Hölle gegangen, um hierher zu kommen. Und sie liest jetzt über solche Scheindebatten, die uns bei der Bewältigung der Herausforderungen wirklich nicht weiterhelfen. Das ist es, was mich ärgert, wenn ich vor diesen jungen Menschen stehe.

(Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN und der Regierungsbank)

Wir verweigern uns nicht der Debatte über sichere Herkunftsländer. Es ist sinnvoll, erst einmal zu gucken, was die Evaluierung, die wir dazu vornehmen, ergibt und ob sie uns wirklich bei unseren Problemen hilft.

(Armin Laschet [CDU]: Was haben Sie denn beschlossen in der SPD?)

Warten wir doch erst einmal die Evaluierung ab. Wir versuchen doch, Vernunftspolitik zu machen.

Aber die Debatte um ein Taschengeld und die „falschen Anreize“ dafür, dass jemand kommt,

(Armin Laschet [CDU]: Das habt ihr doch beschlossen!)

müssen Sie einmal der jungen, hochschwangeren Frau mit einem Kind an der Hand vermitteln, der ich letzte Woche gegenüberstand. Sie kommt aus Albanien, hat dort alles aufgegeben, alles verkauft, um die Schleuser zu bezahlen. Sie ist jetzt hier und möchte ihrem Kind eine Zukunft bieten. Da kann es doch nicht um richtige und falsche Flüchtlinge gehen. Sondern: Wir sind ein starkes Land und verlassen uns auf unsere Gesetzgebung.

(Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN und der Regierungsbank)

Warum hat sie alles aufgegeben? Auch weil sie dort die Information hatte, dass wir hier in Deutschland Fachkräfte suchen. Sie ist qualifiziert. Sie ist Krankenschwester. Sie will und kann hier leisten. Lassen Sie uns doch darüber reden, dass nicht alles übers Asylrecht laufen muss, dass wir endlich ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz in Deutschland bekommen, damit eine solche Zuwanderung auch möglich ist.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN, der FDP und der Regierungsbank)

Ich sage das hier auch ganz deutlich: Wir könnten schon heute durch Erlasse regeln, dass Menschen aus diesen Herkunftsländern, die hier einen Arbeitsplatz nachweisen können, kommen könnten. Lassen Sie uns das gemeinsam auf den Weg bringen! Dann bilden sich dort Agenturen. Dann wird versucht, schon vorher die Verbindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herzustellen, und dann können wir diesen Menschen eine Perspektive geben. Da brauchen wir nicht erst auf ein neues Zuwanderungsgesetz zu warten. Lassen Sie uns das auf einem Wege regeln, der pragmatisch möglich ist. Das hat doch gestern auch die Kanzlerin gesagt: Lassen Sie uns doch die Bürokratisierung solcher Dinge vermeiden.

(Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN und der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren, es geht nicht um ein Schwarzer-Peter-Spiel in dieser Situation. Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Aber mit klarer Kante gegen Fremdenfeindlichkeit, mit Hilfsbereitschaft, mit Entschlossenheit, mit praktischem Handeln können wir diese Aufgaben meistern.

Die Grundhaltung ist eigentlich das Entscheidende: die Aufgabe gemeinsam anzupacken, vor der wir in den Kommunen, in der Politik im Land und im Bund, in den Aufnahmeeinrichtungen, in den Nachbarschaften stehen.

Inzwischen kommen pro Woche über 7.000 Flüchtlinge nach Nordrhein-Westfalen. Nach seiner neuesten Prognose geht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dieses Jahr von 170.000 Flüchtlingen für NRW aus. Ob es mehr werden, kann man schlicht und einfach nicht ausschließen. Niemand kann und konnte die ungeheure Dynamik dieser Entwicklung vorhersagen. Selbst die Prognose des BAMF, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, von September 2014 sprach noch von 43.000 Flüchtlingen in 2015 für Nordrhein-Westfalen.

Bundesinnenminister de Maizière hat seine Prognosen mehrfach korrigieren müssen. Er hat erst in der vergangenen Woche selbst darauf hingewiesen, wie überraschend dieser Anstieg für ihn sei. Die Prognose von bundesweit rund 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr sei eine Vervierfachung gegenüber dem Vorjahr.

Insofern sollten wir uns keine Scheingefechte liefern, wer wann was hätte früher wissen können oder müssen oder wer wann hätte früher reagieren müssen. Das hilft uns in der Sache keinen Millimeter weiter.

Niemand konnte diese aktuelle Entwicklung hervorsehen, und darum haben Land und Kommunen ihre Unterbringungskapazitäten in den vergangenen Jahren abgebaut. Die ehemalige Landesstelle Unna-Massen, in der in Spitzenzeiten beinahe 4.000 Flüchtlinge lebten, ist am 30. Juni 2009 von meinem Vorgänger geschlossen worden. Niemand konnte damals wissen, dass wir diese Plätze nun wieder dringend brauchen würden.

Inzwischen nimmt Unna-Massen wieder Flüchtlinge auf. Dort ist allerdings auch eine neue Hochschule entstanden, sodass die Kapazitäten in dem Umfang nicht mehr zur Verfügung stehen. Ich mache niemandem einen Vorwurf – eine andere Regierung hätte diese Entscheidung unter den gegebenen Bedingungen wahrscheinlich genauso getroffen. Aber es zeigt, dass ein Schwarzer-Peter-Spiel schlicht und einfach fehl am Platz ist.

Wir stehen vor einer großen, schwierigen Aufgabe. Ich und wir sind selbstkritisch genug, um zu sagen, dass vieles noch viel besser als heute gelingen kann und gelingen muss.

Wir sind uns sehr bewusst, dass die Kommunen den größten Teil der Aufgaben, vor denen wir stehen, stemmen müssen. Ich kann durchaus verstehen, dass sie es als Zumutung empfinden, wenn zum Teil extrem kurzfristig auf Bitten des Landes im Wege der Amtshilfe Plätze geschaffen werden müssen. Doch ich bitte überall, wo ich im Land unterwegs bin, auch um Verständnis, dass auch wir als Land und auch die Bezirksregierungen nicht wissen, wer morgen bei uns vor der Türe stehen wird.

Hier spiegelt sich wider, dass die Zuwanderung europäisch – das ist beinahe zu wenig – nicht hinreichend geregelt ist und dass der Bund mit der Abarbeitung der Asylverfahren noch immer immens im Verzug ist.

Wenn Menschen in Bussen herangefahren werden und von den Schleppern einfach in der Nähe der Erstaufnahmeeinrichtungen abgesetzt werden, dann muss man schlicht und einfach mit der Situation, so gut es geht, fertig werden. Deshalb ist es aus Sicht der Länder und Kommunen am wichtigsten, dass der Bund endlich für eine schnellere Bearbeitung der Verfahren sorgt.

Das A und O sind schnellere Asylverfahren. Wir müssen nicht über das Taschengeld reden, um Anreize zu sehen, sondern darüber, dass die Menschen nicht monatelang hierbleiben, um monatelang Taschengeld zu bekommen. Wenn wir das in drei Monaten schaffen würden, wie es verabredet ist, dann hätten wir eine bessere Situation insbesondere für die Kommunen in diesem Land.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

In der Realität sind wir von den drei Monaten noch meilenweit weg; es dauert weit mehr als doppelt so lange.

Die Kinder in der Schulklasse, mit denen ich sprach, sind schon mehr als ein Jahr hier. Sie sitzen und warten darauf, zu erfahren, ob sie hierbleiben dürfen oder nicht. Sie lernen fleißig Deutsch, immer mit der Angst im Nacken: Morgen kommt die Entscheidung. Das ist die konkrete Situation der Menschen.

Wir haben beim letzten Flüchtlingsgipfel darüber gesprochen, Politik aus Sicht der Flüchtlinge zu machen. Das sind die konkreten Themen, um die wir uns kümmern müssen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten und dafür kämpfen, dass diese Verfahren beschleunigt werden.

Wenn Stellen geschaffen werden und die Stellen immer noch nicht besetzt sind, dann muss auch der Bund zu außerordentlichen Maßnahmen greifen. Das ist unsere Bitte, weil das der Schlüssel zu einem besseren Gelingen ist.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren, niemand hat die Dynamik vorausgesehen, auch Sie von der CDU nicht. Noch am 10. April haben Sie für den zweiten Flüchtlingsgipfel gefordert, es ginge nun um die – ich zitiere – „Schaffung von ausreichenden Plätzen“, 15.000 Regelplätze in den zentralen Unterbringungseinrichtungen des Landes sowie Notfallkapazitäten von mindestens 2.500 Plätzen. Jetzt bewegen wir uns bis zum Jahresende auf 60.000 Plätze zu. Wenn man politisch versucht, Geländegewinne damit zu machen, dass man so tut, als hätte man vorher alles besser gewusst, dann kann man sich der Verantwortung hier nicht entziehen. Das ist ein zentraler Punkt.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Die Landesregierung schafft die Plätze, die machbar sind. Es gilt, das gemeinsame Ziel im Auge zu behalten.

Daher die Einladung: Gehen Sie mit uns gemeinsam auf die Suche nach Liegenschaften für weitere Plätze! Wir alle wissen, die Kommunen sind von der unvorhersehbaren Dynamik am direktesten betroffen. Sie tragen hohe finanzielle Lasten. Wir haben die Pauschale bereits einmal erhöht. Die Pauschale gibt es, weil die kommunalen Spitzenverbände nicht spitz abrechnen wollten, sondern mit Pauschalen abrechnen wollten. Die Wahrheit ist, dass es das Wesen einer Pauschale ist, dass die Wirkung in der einen Stadt finanziell eine andere ist als in der anderen Stadt. Wenn in Köln der Wohnraum knapp ist und Wohnungen teuer sind, dann wirkt die Pauschale natürlich in geringerem Umfang als in einer Stadt, in der es billigen Wohnraum zuhauf gibt. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Über diese Erhöhung der Pauschale hinaus, die inzwischen bei 7.578 € liegt, haben wir auch noch die Entlastungen, die über den Bund und die Länder bei den Kommunen ankommen. Die sind noch nicht alle angekommen – diese Milliarde, von der immer geredet wird.

Aber mir ist auch wichtig, an dieser Stelle mal zu sagen: Das ist nicht eine Milliarde Bundesgeld, sondern diese Milliarde sind 500 Millionen € von den Ländern. Das ist gedacht für Länder und Kommunen, weil auch wir unsere Hausaufgaben machen müssen. Darauf komme ich noch. – Es sind 500 Millionen € von den Ländern, und die anderen 500 Millionen € sind auch kein frisches Geld des Bundesfinanzministers, sondern es sind Mittel aus dem Hochwasserfonds, den auch die Länder mitfinanziert haben. Es wird Zeit, dass der Bund endlich konkret zur Sache kommt und seine Versprechungen jetzt auch wahr macht.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, Christof Rasche [FDP] und der Regierungsbank)

Dennoch sehen wir die Situation der Kommunen. Deshalb haben wir uns entschlossen, den Stichtag vorzuziehen. Denn eines ist doch klar. Wenn Sie eine Pauschale haben, die 100 % beträgt, und wir jetzt die Zahlen vom letzten Jahr nehmen, als es halb so viele Flüchtlinge waren, dann sagt die Kommune: Ich habe nur 50 % Unterstützung. – Wir ziehen jetzt diesen Stichtag vor. Das ist eine große Belastung für den Landeshaushalt. Aber wir wissen, dass wir die Kommunen an dieser Stelle nicht alleine lassen können. Deshalb ist das richtig und wichtig, diese Entscheidung zu treffen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Die oberste humanitäre Verpflichtung ist schlicht und einfach, allen, die kommen, ein Dach über dem Kopf zu geben. Wir müssen Obdachlosigkeit unbedingt vermeiden. Ich habe es gesagt. In Nordrhein-Westfalen stehen heute bereits 10.000 reguläre Unterbringungsplätze und mehr als 20.000 Notplätze zur Verfügung. Im Jahr 2012 hatten wir 1.800 Plätze. Wir steuern auf 60.000 Plätze bis zum Jahresende zu.

Ja, wir brauchen für die Unterbringung der Flüchtlinge auch Turnhallen als Notquartiere. Aber damit kein falscher Eindruck entsteht: Wir haben im Land 6.130 Schulen. Viele, fast die meisten, werden eine Turn- oder Sporthalle haben. Das Land nutzt aktuell 44 Schulsporthallen. Dazu kommen noch 20 kommunaleigene Asylunterkünfte in Schulsporthallen. Nur als Relation: Wir haben zurzeit meiner Kenntnis nach über 100 gesperrte Sporthallen, weil dort Decken fehlerhaft eingebaut worden sind.

Das heißt, auch hier ist völlig klar: Wir sollten nicht skandalisieren, sondern dafür sorgen, dass diese Notunterkünfte schnellstmöglich aufgelöst werden können. Wir wissen, dass das eine der großen Herausforderungen ist, weil wir wollen, dass der Schulsport und dass auch der Sport in den Vereinen in Zukunft wieder ordnungsgemäß stattfinden kann. Darauf können sich die Kommunen verlassen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Aber ich kann keine Versprechungen abgeben.

Lieber Herr Laschet, es erfolgt eine enge Abstimmung in der Landesregierung, um die gemeinsamen Maßnahmen zu koordinieren. Wir kommen regelmäßig unter der Leitung von Sylvia Löhrmann und mir selbst zu einem Sonderkabinett zusammen, seit vielen, vielen Wochen. Wir rufen auch andere Experten hinzu. Zum Beispiel war in den letzten Sitzungen naturgemäß immer auch der Chef des Bau- und Liegenschaftsbetriebes dabei, weil es um landeseigene Immobilien geht, weil es auch um Flächen geht, die wir nutzen können.

Wir haben eine lange Liste, die wir gemeinsam Punkt für Punkt abarbeiten. Wir kommen voran. Da, wo es noch hakt, werden wir weitermachen.

Wir verabreden dabei angesichts der angespannten Situation auch unkonventionelle Maßnahmen, die dann dankenswerterweise auch von anderen aufgegriffen werden. Ich nenne die Ansprache pensionierter Beamtinnen und Beamter. Wir reden darüber, wie wir den Ausbau von Unterbringungsplätzen noch weiter beschleunigen können, wo zum Beispiel noch Hallen und Flächen genutzt werden können. Wir sind mit Unternehmen in Kontakt wie Post, Bahn, RWE, RAG. Wir sind mit den Schützenvereinen im Gespräch. Wir gucken auch, wo noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu aktivieren sind, die wir für die Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen einsetzen können.

Wir werden aber im Übergang auch Leichtbauhallen einsetzen. Das sind keine Zelte wie früher auf dem Campingplatz, in die es irgendwann mal reinregnet. Ich sage das immer zur Erläuterung. Das sind Leichtbauhallen. Schauen Sie sich die an! Die sind in meiner Stadt auch eingesetzt worden, als eine Schule renoviert wurde. Da war die Klasse auch im Winter gut untergebracht. Die sind beheizbar, die sind klimatisierbar. Das ist nicht ein Zelt, mit dem ich früher zelten gegangen bin.

Diese Leichtbauhallen dürfen aber nur ein Provisorium sein. Ziel ist es, dass wir möglichst alle Flüchtlinge in festen Unterkünften unterbringen können.

Bereits im Dezember 2014 wurde darum das Programm NRW.BANK.Flüchtlingsunterkünfte aufgelegt. Damit können Investitionen zur Unterbringung von Flüchtlingen auch in den Kommunen finanziert werden.

Um auch Investoren Anreize zu bieten, haben wir im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung ein Förderprogramm auf den Weg gebracht, das Wohnungswirtschaft und kommunale Wohnungsunternehmen unterstützt.

Manche fragen sich, warum der Aufbau nicht schneller geht. Warum wird so lange gewartet, bis eine neue Einrichtung an den Start gehen kann? Vor der Belegung jeder Unterkunft muss eine Reihe von Fragen geklärt werden. Von außen ist das manchmal simpel. Viele sprechen mich an und sagen: Es gibt doch eine Kaserne, die früher genutzt wurde; dort könnt ihr doch Flüchtlinge unterbringen.

Wenn man sich mit den Fachleuten unterhält, hört man, dass die Kaserne einen Winter leer gewesen, dass vieles kaputt ist und sich oft die Restaurierung an dieser Stelle nicht mehr lohnt. Wir müssen prüfen: Sind die Sanitäranlagen für mehrere Hundert Menschen überhaupt vorhanden? Sind die Stromversorgung und der Abwasserkanal ausreichend? Stimmt der Brandschutz? Können Lieferanten anfahren? Auch das sind Fragen, die zu klären sind.

Wir prüfen aber auch, ob Gesetze oder Verordnungen geändert werden müssen, die den Bau, Umbau oder die Nutzung von Gebäuden zur Unterbringung von Flüchtlingen erschweren. Da, wo der Bund zuständig ist, setzen wir uns für die Änderungen der entsprechenden Vorschriften ein, und das findet auch schon statt. Wir handhaben die Landesbauordnung bereits jetzt so flexibel wie möglich. Das haben wir im November 2014 bereits in einem Erlass geregelt. Unabhängig davon, ob eine Baugenehmigung vorliegt, kann die Nutzung für die Unterbringung aufgenommen werden, wenn Brandschutz und Standsicherheit gewährleistet sind, damit keine Gefahren für die Flüchtlinge zu erwarten sind.

Über die planungsrechtlichen Erleichterungen im Baugesetzbuch des Bundes hinaus, die Flüchtlingsheime in Gewerbegebieten ausnahmsweise zuzulassen, haben wir der Bundesregierung vorgeschlagen, dass auch im unbeplanten Außenbereich befristet Flüchtlingsheime erlaubt werden. Für die Errichtung neuer Erstunterbringungen in Leichtbauweise gibt es extrem unbürokratische Regelungen per Erlass der Landesregierung. – Das nur als einige Beispiele.

Auch bei der Errichtung von Flüchtlingsunterkünften haben wir für Verfahrensvereinfachung gesorgt. Ich nenne die Vergaberichtlinie. So ist die Vergaberichtlinie für die Unterbringung von Flüchtlingen auf das absolute Minimum abgespeckt worden. Wir haben alle Obergrenzen ausgenutzt und ermöglichen eine freihändige Vergabe in den allermeisten Fällen. Das gilt auch für die Kommunen. Auch für die Errichtung von Zeltbauten haben wir bürokratische Hürden abgebaut, und mit den Kommunen stehen wir im ständigen Austausch und beraten, wo immer es Probleme, Fragen oder auch Missverständnisse gibt.

Eines sage ich deutlich, weil mich das gestern etwas irritiert hat: Wir machen beim Brandschutz keine Kompromisse – bei anderen Themen schon, aber nicht beim Brandschutz. Ich glaube, das ist auch sachgerecht.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Wenn wir unseren humanitären Verpflichtungen gerecht werden wollen, müssen wir dafür sorgen, dass Flüchtlinge medizinisch gut versorgt werden. Wir haben daher den Kommunen ermöglicht, eine Gesundheitskarte für Asylsuchende einzuführen. Kollegin Steffens hat das verhandelt. Als erstes Flächenland konnten wir die Einführung dieser Gesundheitskarte vermelden; sie macht es den Flüchtlingen leichter, sie ist wirtschaftlicher, und sie entlastet die Gemeinden. Das ist ganz entscheidend.

(Zuruf von Daniel Düngel [PIRATEN])

In der vorigen Woche haben die Krankenkassen bereits unterzeichnet. Inzwischen haben neun Krankenkassen unterschrieben. Es gibt bereits viele interessierte Städte, die jetzt auch mit der Einführung der Gesundheitskarte beginnen. Für 180.000 Flüchtlinge käme das infrage –180.000 Mal konkrete Menschlichkeit.

Meine Damen und Herren, uns allen muss bewusst sein: Mit der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge ist die erste Not gelindert. Aber damit ist die Aufgabe, vor der wir stehen, bei Weitem noch nicht gelöst. Diese Aufgabe ist weit umfassender und vor allem weit langfristiger. Wir sagen den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich: Dieses Land wird sich verändern. Viele Menschen, die zu uns gekommen sind und weiter zu uns kommen, werden auf Dauer hierbleiben. Damit stehen wir vor einer gewaltigen Integrationsaufgabe, und wir wollen das gut machen. Deshalb sind wir fest entschlossen, diese Aufgabe umfassend und systematisch anzugehen, und ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen kann. Wir waren schon immer ein Einwanderungsland, nicht nur in den Zeiten von Kohle und Stahl.

Diese Integrationsaufgabe passt sich auch in die Linie der vorbeugenden Politik dieser Landesregierung ein. Wir müssen jetzt Unterstützung, Förderung und Integration leisten, statt später teuer zu reparieren. Wir müssen jetzt die Chancen nutzen, die sich gerade vor dem Hintergrund der Prognose der alternden Gesellschaft und beim bereits spürbaren Fachkräftemangel bieten.

Deshalb werden wir unsere Hausaufgaben machen. Wir werden darum sehr konkret noch im Haushalt 2015 noch einmal 400 neue Stellen für die hauptamtliche Betreuung von Flüchtlingen schaffen. Wir müssen sehen, dass die Ehrenamtlichen, von denen ich gesprochen habe, zum Teil wegfallen. Ich habe die Beispiele der Studierenden genannt. Sie kommen zum Teil an das Ende ihrer Kräfte. Wir brauchen hier dringend hauptamtliche Entlastung.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Klar ist auch, dass mit steigenden Flüchtlingszahlen auch die Ausgaben für die Flüchtlingseinrichtungen steigen. Deshalb werden wir hier zusätzlich über 310 Millionen € und noch einmal 50 Millionen € für zusätzliche Gebäude und Grundstücke zur Verfügung stellen.

Weil wir alle wissen, dass Bildung entscheidend für gelingende Integration ist, werden wir zusätzlich zu den schon geschaffenen 1.000 Lehrerstellen weitere 2.625 Stellen im Schulbereich schaffen, 900 Stellen davon allein für Auffang- und Vorbereitungsklassen, damit es von Anfang an gut gelingen kann.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Wir werden aber auch die Stellen für Richter und Justizmitarbeiter aufstocken, weil wir nicht auf der einen Seite vom Bund schnellere Verfahren verlangen können, wenn wir auf der anderen Seite nicht dafür sorgen, dass auch die Verfahren schneller bearbeitet werden können, die in die Rechtsüberprüfung hineingehen. Deshalb werden wir in 2015 bereits 76 zusätzliche Stellen bei der Justiz einrichten, davon 37 Richterstellen.

Ein Lob auch einmal an die Justiz: Wir sind bei den Verfahrensdauern in Deutschland in diesem Fall mit einer Verfahrensdauer bei Eilverfahren von 0,8 Monaten auf Platz 3, bei Hauptsacheverfahren auf Platz 6 mit 7,9 Monaten. Mit den neuen Stellen können wir noch schneller werden. Das dient allen, damit am Ende auch Sicherheit entsteht.

Um es an der Stelle noch einmal deutlich zu machen: Das sind alles noch Maßnahmen für 2015. Es werden noch viele weitere Stellen für Schulen, im Kitabereich, für Richter, aber auch für Integrationsprojekte, für kulturelle Projekte, für den Sport, für die Unterstützung von Integration zu beschließen sein. Den zusätzlichen Nachtragshaushalt für die gestiegenen Flüchtlingskosten werden wir im Kabinett noch im September beschließen, und die weiteren Maßnahmen für den Haushalt 2016 werden wir rechtzeitig im Laufe des Jahres auf den parlamentarischen Weg bringen.

Sehr wichtig ist dabei auch die Unterstützung der Ehrenamtler vor Ort. Ich bin sehr dankbar für das Programm „KOMM-IN NRW“, was vom MAIS auf den Weg gebracht worden ist. Das werden wir in 2016 noch einmal deutlich ausweiten.

Wir werden zusätzliche Kita-Plätze finanzieren, damit möglichst viele Kinder einen Platz in der Kita finden. Wir wollen, dass sie glücklich aufwachsen. Sie haben viel erlebt, viel durchgemacht. Das gilt im besonderen Maße für die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen, die in großer Zahl zu uns kommen. Auch ihnen müssen wir eine besonders große Aufmerksamkeit widmen.

Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt: Junge Menschen, die zu uns kommen – ich habe darüber gesprochen –, wollen Perspektiven. Sie sind ungeheuer begeistert. Sie wollen hier sein, sie wollen zeigen, was sie können. Deshalb ist es wichtig – und wir sind im Dialog mit der Agentur für Arbeit und mit den Arbeitgebern –, dass diejenigen, die hierbleiben können, möglichst schnell eine Ausbildung oder Arbeit finden.

Natürlich ist es auch richtig, dass junge Menschen, die zu uns kommen und die Voraussetzungen erfüllen, auch schnell die Möglichkeit bekommen sollen, hier zu studieren. Ich bin dankbar, dass das Wissenschaftsministerium ein Memorandum mit den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen geschlossen hat.

Meine Damen und Herren, das ist nur ein Teil der vielfältigen Aktivitäten, die wir in Gang gesetzt haben. Bei den beiden Flüchtlingsgipfeln haben wir uns mit allen Beteiligten darauf festgelegt, aus dem Blickwinkel der Flüchtlinge unsere Politik auszurichten, eine Willkommenskultur für die Menschen aufzubauen, die zu uns kommen. Für die Landesregierung gilt diese Verpflichtung weiterhin uneingeschränkt, und wir arbeiten daran, sie weiter umzusetzen.

Wir alle stimmen aber überein, dass der Bund zu seiner Verantwortung stehen muss und Länder und Kommunen stärker finanziell unterstützen muss. Der Bund hat das zugesagt. „Am Geld wird es nicht scheitern“, so hat Herr Schäuble, wie ich lesen konnte, vor einigen Tagen gesagt.

Ich bezweifle nicht die Zusage, aber wir brauchen endlich eine verbindliche Festlegung des Bundes. Wir brauchen diese Unterstützung. Denn auch die finanziellen Mittel der Kommunen sind begrenzt. Wir müssen darauf achten, dass beispielsweise nicht die Renovierung von Schwimmbädern zu kurz kommt, weil die Kommunen die notwendigen Investitionen nicht tätigen können, da sich die Unterstützung der Gesamtgesellschaft für diese schwierige Aufgabe zu lange verzögert. Das ist meine Bitte an den Bund, hier voranzukommen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Aber auch bei anderen wichtigen Fragen müssen wir jetzt schnell mit dem Bund vorankommen. Ich denke vor allem an die verbesserten Möglichkeiten zur Schaffung zusätzlichen Wohnraums, eine Öffnung der Integrationskurse und die Betreuung und Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge.

Sobald wir in all diesen Punkten mehr Klarheit haben, macht es aus meiner Sicht Sinn, dass wir in Nordrhein-Westfalen dann zu einem dritten Flüchtlingsgipfel einladen.

Für mich steht außer Frage, dass wir Flüchtlinge mit offenem Herzen aufnehmen müssen. Das ist für uns wesentlich und klar. Integration kann nur dann gelingen, wenn jeder bereit ist mitzuwirken. Und umgekehrt ist es für manche vielleicht auch nicht mehr ganz so interessant, sich auf den Weg zu machen, wenn sie wissen, dass beschleunigte Verfahren dazu führen, dass man schnell eine Entscheidung bekommt. Wenn die Ablehnung gültig ist, dann muss klar sein, dass dann eine schnelle Rückführung in die Herkunftsländer erfolgen muss. Das tun wir. Was die Zahlen angeht, liegt Nordrhein-Westfalen übrigens an der Spitze.

Wichtig ist aber – ich sage das noch einmal –, dass wir, bevor wir nachher über sichere Herkunftsländer diskutieren und Sie das zum Kern dieser Herausforderung machen, doch erst einmal die Evaluierung abwarten sollten, was denn die Benennung von sicheren Herkunftsländern in der Vergangenheit gebracht hat. Wir verschließen uns nicht dieser Debatte, aber ich finde, wir sollten die Evaluierung, die ja bald vorliegen wird, in diesem Punkt abwarten. Das wäre meine herzliche Bitte.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Übrigens, nur durch beschleunigte Verfahren graben wir auch den Schleusern das Wasser ab. Ob im Mittelmeer, an den Grenzen zu Griechenland, in den Balkanstaaten – Schleuser nutzen in menschenverachtender Weise das Elend und die Not von Flüchtlingen aus. Das ist entsetzlich, und das ist abstoßend. Schleuser haben nur eins im Sinn: ihren Profit. Gesundheit und Leben sind ihnen völlig egal. Deshalb bin ich froh, dass die Polizei in Nordrhein-Westfalen entschlossen gegen skrupellose Schleuser vorgeht. Dort, wo verdächtige Fahrzeuge angetroffen werden, werden sie von der Polizei konsequent kontrolliert und gegebenenfalls aus dem Verkehr gezogen. Das geschieht natürlicherweise insbesondere in der Nähe von Erstaufnahmeeinrichtungen.

Wir müssen aber auch endlich erkennen, dass wir Zuwanderung auf eine andere rechtliche Grundlage stellen sollten. Das Asylrecht taugt nicht als Einwanderungsrecht. Wir brauchen ein eigenständiges Zuwanderungsgesetz.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank – Minister Guntram Schneider: Sehr richtig!)

Und noch eins: Wir brauchen dringend eine europäische Verständigung. Es kann nicht sein, dass Nordrhein-Westfalen mehr Flüchtlinge aufnimmt als ganz Frankreich. Die Flüchtlingskrise in Europa kann nur gelöst werden, wenn alle EU-Staaten viel enger als bisher zusammenarbeiten. Wir haben in diesen Tagen gesehen, wie absolut unzureichend die Zusammenarbeit ist. Nach meinem Eindruck ist das Dublin-Verfahren, nach dem ein Antrag auf Asyl im EU-Ankunftsland zu stellen ist, de facto zusammengebrochen.

(Beifall von den GRÜNEN – Minister Guntram Schneider: So ist es!)

Es lässt sich überdies auch nicht anwenden, wenn die Flüchtlinge in den Ankunftsländern der EU gar nicht registriert werden. Der Bund muss auf europäischer Ebene viel stärker als bisher für eine gerechte Verteilung der Asylsuchenden eintreten – eine Verteilung, die fair und praktikabel ist.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Sosehr uns alle das Flüchtlingsthema beschäftigt, sowenig dürfen wir andere Aufgaben aus dem Blick verlieren. So bleibt die Bekämpfung der Einbruchskriminalität eine genauso wichtige Aufgabe wie die stärkere Polizeipräsenz bei Flüchtlingsunterkünften. Die vorhandene Personalstärke reicht dafür und für die vielen weiteren Aufgaben der Polizei allerdings nicht aus. Deshalb werden wir 250 zusätzliche Polizeianwärterinnen und -anwärter einstellen. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung, liebe Opposition, damit wir diese Waage nicht aus dem Gleichgewicht bringen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Wir dürfen nicht aus dem Auge verlieren, dass trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung auch bei uns immer noch viel zu viele zu lange arbeitslos sind. Etwas leuchtet mir nach wie vor nicht ein: Sie kennen unser Werben um einen sozialen Arbeitsmarkt, um öffentlich geförderte Beschäftigung. Wir haben viel zu wenig Plätze. Wir haben doch genug zu tun, gerade in dieser Situation. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass im Bund diese Zahl der Plätze ausgeweitet wird, damit darüber auch Menschen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen neue Möglichkeiten gegeben werden, jetzt wieder in Arbeit zu kommen und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu beweisen!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren, ja, Zuwanderung wird unser Land verändern, wenn wir es richtig anpacken, dann zum Besseren, wenn auch im Bund und auf EU-Ebene die Weichen richtig gestellt werden. Wenn wir es richtig anpacken, dann werden aus Zuwanderern von heute die Facharbeiter, Fachärzte von morgen. Dann werden die Kinder die Firmengründer von morgen. Und dann werden sich die Kosten, die wir derzeit tragen, als langfristig gute Investitionen erweisen.

Gerade wir in Nordrhein-Westfalen wissen, dass Zuwanderung nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance ist. Denn Nordrhein-Westfalen hat als Zuwanderungsland eine große Tradition. Darum haben die Menschen in Nordrhein-Westfalen auch ein großes Vertrauen darin, dass Zuwanderung ein Land stärken kann. Diesen Vertrauensvorschuss müssen wir erhalten.

Ich bin sicher, wenn wir alle Menschen, die zu uns kommen und bei uns bleiben, in unsere Mitte nehmen, ihnen eine neue Lebensperspektive geben, dann wird uns das gelingen.

Ich habe Anfang des Jahres bei der Neujahrsansprache gesagt – ich sage es noch einmal –: Bei uns haben alle Platz – und das ist wichtig –, die unsere Gesetze und Werte achten, gleich welcher Herkunft, gleich welchen Glaubens. In einem solchen Nordrhein-Westfalen kann jeder und jede eine gute Heimat finden. Stark, tolerant, offen, solidarisch und vielseitig – so sind wir hier. Wir können das, und wir schaffen das – wir in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, viele haben zwischenzeitlich auf die Uhr geschaut, insbesondere habe ich das gesehen, wenn ich nach rechts geschaut habe. Ja, ich habe die Redezeit überzogen. Aber ich finde, nach einer so langen Sommerpause, wo so viel passiert ist, ist es wichtig, dass wir uns für diese Debatte hier die Zeit nehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Regierungsbank)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin, für die Regierungserklärung. In der Tat haben Sie die Redezeit mit 22 Minuten deutlich überzogen. Das ist aber kein Problem, weil die Opposition dann entsprechend längere Redezeiten beanspruchen kann.

Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Armin Laschet das Wort.

Armin Laschet (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Frau Ministerpräsidentin, wir haben jedes Verständnis dafür, dass Sie Redezeiten überziehen. Sie hätten auch noch 20 Minuten sprechen können, wenn Sie dann mehr Konkreteres gesagt hätten über das, was die Landesregierung tut.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Wir haben in den ersten 20 Minuten Ihrer Rede andächtig zugehört.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Sie haben die vielen Menschen im Lande zu Recht erwähnt, die sich engagieren, die Ehrenamtler, die Kommunen. Sie haben die Kirchen erwähnt. Sie haben die, die Wohnraum bereitstellen lassen, erwähnt. Aber was glauben Sie, wenn Sie die Kommunen hören, wenn die Bürgermeister und Landräte zu Ihnen kommen, wie enttäuscht die sind, dass sie nicht mehr Unterstützung bei dieser schwierigen Aufgabe bekommen? Das ist doch nicht damit getan.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir sind an Ihrer Seite, wenn es um das Würdigen dieses Engagements geht. Es wäre in diesem Land nicht ein solches Klima der Willkommenskultur, wie wir es haben, gäbe es nicht die Kirchen, gäbe es nicht die Mitarbeiter in den Verwaltungen der Städte und Gemeinden, die Überstunde an Überstunde reihen, gäbe es nicht die Hilfsorganisationen und die Ehrenamtler, die Beruf und Familie hinten anstellen und sich in diesen Dienst stellen.

(Beifall von der CDU)

Wir können stolz sein, dass es bei uns nicht diese Deichgrafenrhetorik gibt von Flut, Flüchtlingsschwemmen, von Dämmen, die brechen, und Booten, die voll sind. Nein, in Nordrhein-Westfalen herrscht ein anderes Klima. Hier gibt es auch Übergriffe von Rechtsradikalen – auch das ist wahr –, aber es gibt keine Demonstrationen von Menschen, die die beschimpfen, die sich engagieren. Es gibt keinen Ort wie Heidenau in Nordrhein-Westfalen. Wir wollen, dass das auch in Zukunft in unserem Land so bleibt.

(Beifall von der CDU)

In dieser Zeit ist es wichtig, dass Politik aus einem Konzept heraus gestaltet wird, dass man eine Idee hat, die man dann in Regierungshandeln umsetzt. Sie haben andeutungsweise einmal gesagt, dass auch Sie die Idee haben, dass Asyl und Einwanderung zweierlei sind, dass man das trennen muss. Aber im Nachsatz haben Sie dann wieder gesagt, wir dürfen nicht trennen in gute und schlechte Flüchtlinge.

Frau Ministerpräsidentin, das ist doch der Kern der Frage: Wer bekommt Asyl? Sie werden da die Entscheidung fällen müssen, wer schutzbedürftig ist und wer nicht schutzbedürftig ist.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Es ist nicht in Ordnung, die Entscheidung, die die Entscheider – von denen Sie ja mehr fordern – zu fällen haben, ob jemand Asyl bekommt oder nicht, zu diffamieren als Unterscheidung von guten und schlechten Flüchtlingen.

(Beifall von der CDU – Unruhe von SPD und GRÜNEN)

Das ist ein Rechtsverfahren. Das muss man sauber auseinanderhalten.

Jetzt sage ich Ihnen, wo das nicht funktioniert. Wir haben sichere Herkunftsländer. Dank Ministerpräsident Kretschmann von Baden-Württemberg ist das so entschieden. Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sind beim letzten Mal anerkannt worden. Nicht die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen – nicht Sie, auch nicht mit den vielen Worten, die wir hier gehört haben –, sondern Baden-Württemberg hat es ermöglicht, dass wir mehr sichere Herkunftsländer haben.

(Beifall von der CDU)

So war es.

Sicheres Herkunftsland – das ist ein sehr technischer Begriff – heißt doch, dass das die Demokratien des Balkans sind, das sind Beitrittsländer zur Europäischen Union. Rezzo Schlauch, früherer grüner Gründungsaktiver, ist jetzt Honorarkonsul von Albanien.

Er hat vor einigen Tagen gesagt: Ich bin alle drei Wochen in Albanien. Wir bauen eine Demokratie auf. Das ist ein Rechtsstaat. Es beleidigt uns, dass Sie nicht anerkennen, dass wir ein sicheres Herkunftsland sind. Das ist eine außenpolitische Entscheidung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Warum tun Sie sich denn so schwer? Alle SPD-Ministerpräsidenten haben in einer Schaltkonferenz mit Sigmar Gabriel vereinbart, die drei Länder sind Demokratien, und wir sind bereit, sie als sichere Herkunftsländer anzuerkennen. Das habe ich in der Sommerpause gelesen.

Wenn die Grünen das hier im Landtag verhindern, sagen Sie ihnen doch: Rezzo Schlauch und andere, die sich auskennen, empfehlen, dass diese Länder sichere Herkunftsländer werden. – Geben Sie sich den Ruck. Das führt zu Klarheit im Verfahren. Das ist die saubere Trennung zwischen Asyl und Einwanderung, die wir dringend brauchen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Etwas Zweites kommt hinzu – auch dagegen polemisieren Sie heute in Ihrem Antrag –: Wir benötigen Erstaufnahmestellen für Menschen aus diesen sicheren Herkunftsländern mit vielen Mitarbeitern des BAMF und mit den benötigten Juristen und Verwaltungsrichtern, damit möglichst eine Rückführung aus der Erstaufnahmestelle erfolgt, ehe die Menschen an die Kommunen überwiesen werden.

(Beifall von der CDU)

Sie haben im Juni als Ministerpräsidenten verabredet, das zu machen. In dem Antrag, den Sie uns heute zur Abstimmung vorlegen, diffamieren Sie das als bayerischen Populismus. Sie selbst haben doch dieser Idee zugestimmt.

(Beifall von der CDU)

Meine Frage ist, warum Sie das nicht machen. Sie machen in Nordrhein-Westfalen etwas …

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Wir machen das! – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD] – Weitere Zurufe)

– Entschuldigung. Herr Jäger, warum diffamieren Sie im Antrag genau diese Idee, wenn Sie es machen?

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD)

– Ich verstehe, dass das Unruhe bei Ihnen auslöst. Aber weshalb richten Sie als einziges deutsches Bundesland im Erstaufnahmeverfahren flächendeckend verpflichtende Amtshilfeersuchen an alle Kommunen? Erstaufnahme ist in geordneten Verhältnissen zuerst einmal Sache des Landes. Dann muss an die Kommunen überwiesen werden. Das sollten Sie auch in Nordrhein-Westfalen tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist der eine Teil. Sie haben aus der Sicht des Flüchtlings gesprochen. Ich habe vor wenigen Tagen mit einer Caritas-Aktiven aus dem Kosovo gesprochen. Sie sagte mir: Wir sagen hier den Leuten: Verkauft nicht eure Häuser. Verkauft nicht euer Hab und Gut und gebt es den Schleppern, nur weil ihr glaubt, ihr habt in Deutschland eine Zukunft. Ihr werdet sie nicht haben. Das ist in Deutschland nicht so einfach, wie euch die Schlepper suggerieren. – Dann kommen das kosovarische Fernsehen und die Regierung. Sie informieren über die wirkliche Rechtslage in Deutschland. Dann sagen mir die Leute: Das könnt ihr alles sagen. Aber mein Nachbar ist seit zehn, zwölf Wochen dort. Er hat dieses und jenes erlebt. Es stimmt gar nicht, dass er nicht bleiben darf.

Die Wirkung, die man per Medien erzielen will, wird nur dann erzielt, wenn Sie gar nicht die Illusion erwecken, sie könnten auf diesem Wege doch einwandern.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Deshalb haben Sie recht. Sie brauchen eine Erstaufnahmeeinrichtung wie Bayern möglichst schnell auch in Nordrhein-Westfalen. Das ist der erste Schritt, den Sie machen können, anstatt hier zu reden.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Als zweiten Schritt brauchen Sie die schnelleren Verfahren. Sie wissen genau, bei sicheren Herkunftsländern gehen die Verfahren schneller. Dann sind die Fristen verändert.

(Zurufe von der SPD)

Wenn Sie noch Nachbesserungswünsche haben, sollten wir das viel pragmatischer angehen.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Faktenfreier Unsinn, Herr Laschet!)

Dann müssen Sie in wenigen Wochen auf den Flüchtlingsgipfel der Bundesregierung gehen und konkret sagen, diese, diese und diese Rechtsänderung brauchen wir noch, damit es besser funktioniert.

(Zurufe von der SPD)

Es ist nicht damit getan, sich als Ministerpräsidentin eines starken Landes hierhin zu stellen und mehr Geld vom Bund einzufordern. Sie müssen auch mitwirken, damit die Politik umgesetzt wird.

(Beifall von der CDU)

Für den dritten Punkt, das Einwanderungsgesetz, brauchen wir auch bei uns noch ein bisschen Überzeugungskraft. Ja, das stimmt. Sie brauchen für die Menschen, die als Arbeitsmigranten kommen wollen, eine legale und nach klaren Kriterien geordnete Zuwanderung über die Einwanderung, wenn Sie beim Asyl wirklich Klartext reden und entscheiden.

Man kann sich aber auch nicht hierher stellen und sagen, wir bräuchten einmal ein Einwanderungsgesetz. So ist es nun auch wieder nicht. Wir haben ein Einwanderungsgesetz. Es heißt: „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung“. Es ist ein rot-grünes Gesetz aus dem Jahr 2005. Wir haben ein Aufenthaltsgesetz.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Bitte?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Jeden Fortschritt haben Sie damals blockiert!)

– Entschuldigung. Sie haben regiert. Das ist Ihr Gesetz. Dieser Name ist Ihr Titel.

(Beifall von der CDU)

Die Frau Ministerpräsidentin schafft es, bei jeder einzelnen Frage der Landespolitik zu sagen, der Bund solle sie lösen.

Als Sie im Bund regiert haben, schafften Sie es sogar, so zu tun, als wenn Sie nicht regiert hätten. Das ist ein besonderes Meisterwerk.

(Beifall von der CDU)

Aber ich wollte gar nicht das Gesetz kritisieren, Herr Mostofizadeh. Ich wollte nur beschreiben, dass wir es haben. Seit 2005 gibt es dieses Gesetz.

(Zuruf von Ministerin Sylvia Löhrmann)

– Das ist doch völlig wurscht. Frau Löhrmann, schaffen Sie es, bei einer solchen Frage einmal nicht parteipolitisch zu argumentieren, sondern …

(Beifall von der CDU – Lachen und Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Es fällt Ihnen schwer.

(Zuruf von Ministerin Sylvia Löhrmann)

– Liebe Frau Löhrmann, es ist völlig gleichgültig, wer im Jahr 2005 bei welcher Bundesratsdrucksache wie gestimmt hat. Ich wollte gerade das Gesetz loben. Schaffen Sie es, ein Lob für ein rot-grünes Gesetz zu ertragen? Das wäre sehr freundlich.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Armin Laschet (CDU): Nein, ich will einmal ein rot-grünes Gesetz loben, ohne von den Grünen und den Roten unterbrochen zu werden. Das muss doch möglich sein.

(Beifall von der CDU)

Es gibt dieses Gesetz, das Einwanderung möglich macht. Es gibt ein Aufenthaltsgesetz. Bei Frau Nahles sind 70 Mangelberufe aufgelistet, mit denen man heute einwandern kann.

Die Rechtsvorschriften sind viel zu kompliziert. Deshalb brauchen wir ein klares und transparentes neues Einwanderungsgesetz. Das ist doch eigentlich eine Frage, über die man sich verständigen kann, ohne dass man dauernd dazwischenrufen muss.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Sie brauchen doch nicht dauernd dazwischenzurufen!

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Wir brauchen das. Lassen Sie mich dazu nur eine Bemerkung machen. Als Sozialdemokraten würde ich bei dieser Frage nicht so laut schreien.

Ich habe 2011 eine Zuwanderungskommission mit dem damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden und Verteidigungsminister Peter Struck geleitet. Da waren alle Parteien drin. Wir hatten damals die Idee, einen Konsens hinzubekommen, und gedacht, manche der eher Konservativeren würden das Problem sein. Diejenigen, die das kritisiert haben, waren die Gewerkschaften, die gesagt haben: Moment einmal! Das ist typisch Industrie. Immer nur die Billigen und Willigen hereinholen. Wir wollen, dass noch der letzte Langzeitarbeitslose gefördert wird, dies und das gemacht wird, und dann reden wir über Zuwanderung.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Wie war das mit „Kinder statt Inder“!)

Dass heute die SPD so vollmundig wie Herr Oppermann sagt, man wolle Zuwanderung knapp oberhalb des Mindestlohns, ist eher die Position des BDI und der FDP als die der Sozialdemokraten. Sie haben da einen weiten Weg hinter sich.

(Beifall von der CDU – Stefan Zimkeit [SPD] und Hans-Willi Körfges [SPD]: Kinder statt Inder!)

Ich bin nicht sicher, ob alle Gewerkschafter in diese Tonlage einstimmen.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Etwas anderes fällt euch auch nicht mehr ein!)

Aber lassen wir doch, wenn wir diese Sauberkeit in den Systemen haben, die Unterscheidung „hier das Asyl, da die Einwanderung“ auch in unsere Praxis umsetzen. Das ist der Appell, den wir mit unserem Antrag an Sie richten.

Nun haben Sie, Frau Ministerpräsidentin, in Ihrem Sommerinterview auf dem Schiff in Mülheim an der Ruhr gesagt:

(Zurufe von der SPD)

Klar ist, wenn Eltern sagen, mein Kind bekommt keinen Schulunterricht, oder wenn Vereine nicht mehr trainieren können, dass das dazu beiträgt, dass sich die Stimmung verändert.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Ja, natürlich!)

Dieser Satz ist richtig. Die Stimmung kann sich verändern. Die Stimmung kann auch umschlagen. Und die Stimmung schlägt vor allem dann um, wenn Verwaltungsversagen, Organisationsversagen diese Willkommenskultur gefährden.

Deswegen war es eben nicht in Ordnung, dass Sie den Medien vorgeworfen haben, sie schrieben, dass die Stimmung umschlägt. Sie selbst haben es gesagt, und Ihr Handeln verursacht, dass die Stimmung umschlagen kann.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Bei einer Tour quer durch das Land hat mir ein Bürgermeister gesagt: Wir bekommen eine Weisung aus dem Schulministerium durch den Staatssekretär: Bitte stellt auch Turnhallen für Flüchtlinge bereit. Wir legen allerdings Wert darauf, dass der Sportunterricht in vollem Umfang erteilt wird.

(Heiterkeit von der CDU – Zuruf von Ministerin Sylvia Löhrmann)

Das können Sie in Aachen, in Köln oder in einer anderen großen Stadt sagen, weil in der Nachbarschaft noch eine Turnhalle ist. Aber in einem kleinen Ort, wo nur eine Turnhalle ist, lassen sie die Kommunen, die sich bemühen, es aber nicht schaffen, mit solchen Erlassen allein. Die Stärkungspaktkommunen sagen: Bitte, zieht doch die Flüchtlinge vor die Klammer, damit wir nicht demnächst wegen der Flüchtlinge Steuern erhöhen müssen. – Wenn Sie das nicht ändern, schlägt die Willkommenskultur um. Das ist unsere Angst, die uns bewegt.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Wir sind doch in der Sache bezüglich der Aufnahme einig, aber ich habe die Sorge, dass so, wie Sie das machen, nicht mehr allzu lange die Bürgermeister, die Ehrenamtler bereit sind, diesen Dienst zu tun, wenn diese feststellen, dass die Politik sie alleine lässt.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Jetzt kommt noch ein Zweites hinzu: Der Innenminister hat hier deutlich gemacht, dass wir mehr Flüchtlinge aufnehmen als Frankreich. Das ist eine große Leistung von Nordrhein-Westfalen. Er hat dann sogar gesagt: Wir nehmen mehr auf, als wir nach dem Königsteiner Schlüssel aufnehmen müssten. – Das kann nun schlechterdings nicht sein.

(Zuruf von den PIRATEN: Die werden weitergeleitet!)

Wenn man dann der Frage nachgeht, warum das denn so ist, stellt man fest, dass das daran liegt, dass Sie, wie Sie es hier organisiert haben, nicht einmal alle Flüchtlinge erfassen können.

Der Oberbürgermeister von Dortmund hat Ihnen das doch ins Stammbuch geschrieben. Die schaffen 350 Registrierungen, danach werden die Menschen in die Kommunen überwiesen, und wir kommen nicht einmal nach, alle zu erfassen, die in Nordrhein-Westfalen sind. Deshalb ist die Last hier größer als in anderen Bundesländern. Und das betrifft Verwaltungshandeln.

(Zurufe von der SPD)

Wenn die anderen 15 Länder es schaffen, wenn das bayerische Grenz…

(Dietmar Bell [SPD]: So ein Quatsch! – Weitere Zurufe von der SPD)

– Ich verstehe es, dass es Sie, wenn man sozialdemokratische Oberbürgermeister zitiert, in Aufregung versetzt.

(Nadja Lüders [SPD]: Gerade mich!)

– Ja, gerade die Dortmunder Abgeordnete, das verstehe ich.

Aber ich bitte Sie, sich trotzdem einmal die Frage zu stellen: Wenn wir schildern, dass wir mehr als andere Bundesländer im Vergleich zum Königsteiner Schlüssel aufnehmen, dann machen es die anderen scheinbar richtiger. Sonst wäre es ja nicht bei uns so.

(Beifall von der CDU – Widerspruch von der SPD – Zuruf von Nadja Lüders [SPD] – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Wir bitten Sie schlicht und einfach …

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

– Frau Lüders, Sie wissen genau, dass das so ist. Deshalb haben Sie jetzt 100 Polizeibeamte hinzugezogen, die bei der Erfassung mithelfen. Ich hätte mir übrigens andere Verwaltungsmitarbeiter vorstellen können als ausgerechnet Polizeibeamte. Die brauchen wir in diesen Tagen gerade bei ganz anderen Dingen. Das wissen Sie auch.

(Beifall von der CDU – Nadja Lüders [SPD]: Dann nennen Sie die doch einmal, die Sie meinen! – Ibrahim Yetim [SPD]: Er weiß es doch gar nicht!)

Dann kommt die dritte Aufgabe: Wie helfen wir den Kommunen bei den Kosten, die sie zu tragen haben?

Das ist für die Kommunen eine riesige Frage. Wir haben aus vielerlei Gründen in Nordrhein-Westfalen den höchsten Kommunalisierungsgrad in Deutschland. Deshalb geht es den Kommunen strukturell seit vielen Jahren, egal, wer regiert hat, schlechter als den Kommunen in anderen Ländern, weil sie mehr Aufgaben vor Ort übernehmen müssen.

Das fängt bei Kindergartenbeiträgen an. Da gibt es in Baden-Württemberg einen 9-%-Anteil, den Rest trägt das Land. Hier in Nordrhein-Westfalen sind ein Drittel der Kosten bei den Kommunen. Das gilt für vieles mehr.

Dass ausgerechnet diese Kommunen bei uns im Gegensatz zum Saarland, im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern, im Gegensatz zu Bayern nur maximal ein Drittel der Kosten erstattet bekommen, während in den anderen Ländern voll abgerechnet wird, ist nicht in Ordnung. Das müssen Sie ändern.

(Beifall von der CDU)

Das ist das große Problem, vor dem die Kommunen stehen. Wir müssen den Kommunen helfen, bevor sie am Ende Steuern erhöhen und dies der der Öffentlichkeit gegenüber mit den Flüchtlingen begründen. Wenn das passiert, geht genau das verloren, für das wir kämpfen, nämlich diese Willkommenskultur.

Wir sind an Ihrer Seite, Frau Ministerpräsidentin, wenn Sie sagen: Wir werden das in diesem Land schaffen. – Ich glaube das auch. Dieses Land hat schon andere Herausforderungen bewältigt. Wir brauchen dafür aber einen entsprechenden Mechanismus und müssen erkennen, dass wir einen Krisenstab und andere Verwaltungsprozeduren als üblich benötigen. Wir müssen raus aus dem Trott unseres Verwaltungshandelns und wirklich schneller und konzentrierter entscheiden. Dann gelingt es uns auch, diese große Integrationsaufgabe zu leisten.

Daran wollen wir gerne mitwirken, wenn Sie dazu bereit sind. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Römer.

Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerpräsidentin hat heute zu Beginn der Plenartagung eine wichtige und beeindruckende Rede gehalten.

(Zuruf von der CDU: Kommen Sie zum Schluss! – Michele Marsching [PIRATEN]: Geht so!)

Sie hat Grundsätzliches gesagt und vor allem Mut gemacht – für die Menschen, die zu uns kommen, und für die Menschen, die sich darum kümmern, dass die, die zu uns kommen, hier eine gute Aufnahme finden. Deshalb bin ich der Ministerpräsidentin dankbar dafür, dass sie diese wichtige, grundsätzliche Rede hier gehalten hat. Frau Ministerpräsidentin, Sie können sich sicher sein: Die Koalitionsfraktionen werden Sie und die Landesregierung bei dem Bemühen unterstützen, hier in Nordrhein-Westfalen dafür zu sorgen, dass die Menschen, die aus Not, Krieg und Elend zu uns kommen, hier gut aufgenommen werden. Frau Ministerpräsidentin, Sie haben unsere Unterstützung dafür.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann sprach der Oppositionsführer Armin Laschet. Besserwisserisch, kleinkariert, streckenweise populistisch

(Klaus Kaiser [CDU]: Mach mal einen Spiegel auf!)

und weitgehend faktenfrei: Das war die Rede von Armin Laschet.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kollege Laschet, ich habe keinen roten Faden und kein Konzept in Ihrer Rede entdecken können – nichts, was auch nur den Anschein erwecken konnte, Sie wüssten, worüber Sie reden.

(Nadja Lüders [SPD]: Es gab ja auch keinen! – Christian Lindner [FDP]: Ich habe noch Ihre Debattenkultur in Erinnerung!)

Sie wissen ja noch nicht einmal, wie die Menschen nach Nordrhein-Westfalen kommen und hier aufgenommen werden müssen, Herr Kollege Laschet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Ministerpräsidentin hat eine wichtige, beeindruckende, grundsätzliche Rede gehalten. Ich gebe es gerne zu: Ich wünschte mir, dass die Bundeskanzlerin diesem Beispiel folgen

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

und mit einer annähernd so beeindruckenden Rede den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland erklären würde, was 800.000 Flüchtlinge oder vielleicht auch noch mehr in diesem Jahr und viele weitere 100.000 in den kommenden Jahren – und zwar Jahr für Jahr – für unser Land bedeuten werden.

Wenn sie sich dazu aufraffen würde, dann würde sie im Grunde genommen das Gleiche sagen müssen, was die Ministerpräsidentin schon heute diesem Hohen Haus und den Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen gesagt hat:

(Zuruf von der CDU: Sie hat überhaupt nichts gesagt!)

Ja, wir stehen vor einer großen nationalen Bewährungsprobe. – Ob wir sie bestehen, werden wir erst in zehn Jahren – vielleicht auch erst in 20 Jahren – wissen; denn erst dann wird sich zeigen, ob wir zu jener sozialen und wirtschaftlichen Integrationsleistung imstande waren, die heute von uns verlangt wird.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ja, die Zahl der Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, war noch nie so hoch wie heute. Ende 2014 waren weltweit knapp 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Das sind fast 10 Millionen mehr als im Jahr davor und fast doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren.

Mehr als 7.000 Menschen treffen jede Woche in Nordrhein-Westfalen ein. Sie kommen, weil sie hier Schutz für sich und ihre Familien suchen, weil sie der Armut entrinnen wollen und weil sie auf ein besseres und selbstbestimmtes Leben für sich und ihre Kinder hoffen. Wir wollen ihnen helfen, soweit es geht und soweit es in unserer Kraft steht. Das wird in Nordrhein-Westfalen auch auf der Tagesordnung bleiben.

Für diese Hoffnung verkaufen sich Menschen an Schleuserbanden, und sie bezahlen dafür viel zu oft mit ihrem Leben – vor Kurzem noch 71 Menschen in einem Lkw in Österreich. Der Erzbischof von Köln und Kardinal Rainer Maria Woelki hat uns mit Recht vor falschen Reflexen gewarnt, als er feststellte – Zitat –:

„Mit dem Bau von Mauern und Zäunen lassen sich diese Probleme nicht lösen“.

Ich füge hinzu: Kein deutsches Gesetz über sichere Herkunftsländer wird auch nur einen Menschen von der Flucht aus großer Not abhalten können, meine Damen und Herren. Auch das gehört zur Wahrheit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Minister Guntram Schneider: Sehr richtig!)

Niemand riskiert sein Leben und das seiner Kinder, weil er es auf Zuwendungen nach dem deutschen Asylbewerberleistungsgesetz abgesehen hat. Das entspricht doch nicht der Wirklichkeit; das ist dummes Geschwätz.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Im Übrigen ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier eindeutig. Der Barbetrag für persönliche Bedürfnisse ist Teil des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.

Ja, meine Damen und Herren, nicht jeder, der heute bei uns Zuflucht sucht, wird bleiben können.

Aber sehr viele – wahrscheinlich sogar die meisten – werden bleiben. Das bedeutet, dass sich unser Land verändern wird, dass es sich verändern muss. Darin liegt eine große Chance. Darauf hat die Ministerpräsidentin hingewiesen. Die Geschichte der Migration lehrt uns, dass Einwanderungsgesellschaften dynamischer, innovativer, wirtschaftlich stärker sind als solche, die versuchen, sich abzuschotten.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich die gesellschaftlichen und ökonomischen Vorteile der Einwanderung erst langsam einstellen werden, und diese Vorteile wird es nicht umsonst geben. Sie verlangen von uns große Anstrengungen und sehr viel Geld: nicht erst in Jahren, sondern schon heute.

Wir stehen also vor großen Herausforderungen. Die administrative Herausforderung, Herr Kollege Laschet, besteht darin, die Flüchtlinge aufzunehmen, zu registrieren und ihre Asylverfahren einzuleiten. Zunächst brauchen sie Unterkünfte und eine medizinische Versorgung. All das muss ohne ein Mindestmaß an Planungssicherheit gelingen.

Noch Ende letzten Jahres hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ca. 230.000 Flüchtlinge für ganz Deutschland für 2015 prognostiziert. Schon im Februar musste die Bundesbehörde ihre Prognose auf 300.000 und im Mai nochmals auf 450.000 anpassen. Heute rechnet das BAMF mit einem Anstieg auf 800.000 Menschen für das Jahr 2015. Damit haben sich die Zugangszahlen innerhalb weniger Monate mehr als verdreifacht.

Die Verlässlichkeit der Planungsgrundlagen sinkt in gleichem Maße. Der Bundesinnenminister und sein zuständiges Bundesamt haben bereits eingeräumt, dass sie mit ihren Prognosen, die auch die Arbeitsgrundlage für die Bundesländer und die Kommunen bilden, völlig falsch lagen.

Müssen wir also als Land improvisieren? – Ja, selbstverständlich, meine Damen und Herren. Wissen wir als Land denn nicht, dass wir unseren Kommunen und ihren Bürgerinnen und Bürgern eine Menge zumuten, wenn wir zum Beispiel sehr kurzfristig Notunterkünfte anfordern? – Selbstverständlich wissen wir das. Es geht aber doch nicht anders. Solange das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht in die Lage versetzt wird, Asylverfahren in längstens drei Monaten abzuschließen, lässt der Unterbringungsdruck nicht nach. Auch das gehört zur Wahrheit in dieser Angelegenheit.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kollege Laschet, das wissen Sie ganz genau, und trotzdem versuchen Sie, aus dieser Ausnahmesituation – das hat mich enttäuscht – landespolitisches Kapital zu schlagen.

Sie legen uns einen Antrag voller Placebos, Binsenweisheiten und Selbstverständlichkeiten vor und sprechen auch noch von Alternativkonzept.

Sie fordern, dass die Flüchtlingspolitik zur Chefsache wird. – Das ist sie längst – jedenfalls bei uns in Nordrhein?Westfalen. Jetzt wäre es endlich an der Zeit, dass auch die Bundeskanzlerin, die CDU-Vorsitzende, die Flüchtlingspolitik zur Chefsache machen würde. Da reicht eine Pressekonferenz nicht, Herr Kollege Laschet. Das muss schon in die Tat umgesetzt werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Herausforderungen der Flüchtlingspolitik sind nichts, was man einfach wegmoderieren könnte, sondern erfordern politische Führung, auch in Europa. Es reicht nicht mehr, wirtschaftliche Hilfen für den Westbalkan nur in Aussicht zu stellen oder eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa anzumahnen. Taten sind gefordert, Herr Kollege Laschet, und Mut. Ich wünschte mir, dass die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, endlich den Mut aufbringen würde, die europäische Flüchtlingsfrage zu ihrer Sache zu machen, zur Sache der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der CDU-Opposition, Sie fordern in Ihrem Antrag, Flüchtlinge aus dem Westbalkan bis zur Entscheidung über ihre Asylanträge bzw. bis zu ihrer Rückführung in den Unterkünften des Landes zu belassen. Das haben Sie gerade wiederholt. – Natürlich ist das eine mögliche, eine erforderliche Maßnahme. Tatsächlich steht eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem Innenministerium und dem BAMF kurz vor dem Abschluss.

Doch auch hier gilt, Herr Kollege Laschet: Die immer noch unzureichenden Kapazitäten des Bundesamtes sind das Nadelöhr, an dem diese Maßnahmen scheitern und bisher gescheitert sind.

(Beifall von Nadja Lüders [SPD])

Sie fordern 30.000 neue Plätze in Landesunterkünften und tun so, als könne man diese Plätze über Nacht bei Amazon bestellen.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Muss ich Ihnen wirklich erklären, dass dem nicht so ist? Sie wissen das doch selbst. Herr Kollege Laschet, lassen Sie das sein!

Trotzdem ist es dem Land gelungen – da hätte ich mir von Ihnen ein Wort der Anerkennung gewünscht –, innerhalb eines Jahres die Anzahl der Regelplätze in seinen Einrichtungen um 500 % zu erhöhen. Mit allen Notunterkünften standen Ende August über 28.000 Plätze zur Verfügung. Mehrere Tausend weitere Plätze sind kurz- oder mittelfristig in der Planung.

Ich könnte Ihren Antrag Punkt für Punkt auseinandernehmen. Ich lasse es dabei. Die Wahrheit ist doch, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Sie würden nicht anders handeln als diese Landesregierung, weil Sie gar nicht anders handeln könnten.

(Zurufe von der CDU)

Und das wissen Sie. Deshalb sollten Sie die großartigen Leistungen, Herr Kollege Laschet, die auch von den Beschäftigten des Landes und der Kommunen Tag für Tag erbracht werden, um der Lage Herr zu werden, würdigen. Das in diesem Haus zu tun, wäre anständig, und es würde vor allen Dingen ein gutes Signal nach draußen sein, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das Land Nordrhein-Westfalen hat im Haushalt für das Jahr 2015 840 Millionen € für die Aufnahme, die Unterbringung und die Integration von Flüchtlingen insgesamt eingeplant.

Wir wissen heute: Das reicht nicht mehr. Zur Unterstützung der Kommunen – für Sprachkurse, für neue Lehrer, für zusätzliche Kinderbetreuung oder für Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration – wird das Land die Summe deutlich erhöhen. Die Ministerpräsidentin hat vorhin darauf hingewiesen: Ende September werden wir mit einem Nachtrag das Volumen um weiter 500 Millionen € erhöhen. Allein durch die Veränderung der Stichtagsregelung wird das Land unseren Kommunen dabei zusätzlich über 200 Millionen € zukommen lassen.

Meine Damen und Herren, wir stellen uns nicht nur der Herausforderung, wir handeln auch. Und wir machen das mit Taten und auch mit den finanziellen Nötigkeiten, mit denen es erbracht werden muss.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Doch liegt der Schlüssel – auch das wissen wir – zu einer echten Entlastung unserer Kommunen und zu einer nachhaltigen Lösung aller organisatorischen und finanziellen Herausforderungen in Berlin. Daran führt kein Weg vorbei: Der Bund muss endlich Teil einer Verantwortungsgemeinschaft werden, die in der Praxis bisher doch nur aus Ländern und Kommunen besteht. Das verlangt nicht weniger als eine Veränderung der Finanzordnung.

Wir haben in unserem Entschließungsantrag, Herr Kollege Laschet – wer lesen kann, ist klar im Vorteil – dargelegt, was eine solche Reform beinhalten müsste: Pauschalbeträge pro Asylbewerber, die Übernahme ihrer Gesundheitskosten, die Finanzierung der Unterbringung sowie Betreuung und Integration der unbegleiteten Kinder. Unser Entschließungsantrag zeigt doch auf, was darüber hinaus für eine verbesserte Aufnahme und erfolgreiche Integration getan werden kann und getan werden muss.

Die Einführung einer Gesundheitskarte in Nordrhein-Westfalen ist ein großer Erfolg. Andere Länder werden sich daran ein Beispiel nehmen, meine Damen und Herren. Auch das hätten Sie, Herr Kollege Laschet, in Ihrem Wortbeitrag nach der Rede der Ministerpräsidentin würdigen können.

Ja, auch das füge ich – Sie haben das eingeräumt und gesagt, es bräuchte noch ein bisschen Überzeugungsarbeit in der CDU – noch einmal hinzu: Wir brauchen jetzt endlich ein Einwanderungsgesetz in Deutschland; denn durch ein solches Gesetz könnten wir die Einwanderung steuern, die Zahl der Asylverfahren verringern und beschleunigen.

Die Kanzlerin muss sich in dieser Frage bewegen – genauso, Herr Kollege Laschet, wie die gesamte CDU. Und dazu könnten Sie einen Beitrag leisten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir brauchen jetzt einen gesellschaftlichen Konsens, um die gewaltige Integrationsleistung zu vollbringen, die mit all ihren Kosten, mit all ihren Anstrengungen auf uns zukommt.

Die Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Konsens ist ein politischer. Deshalb bin ich enttäuscht darüber, dass der Herr Kollege Laschet, der vor einem Jahr in diesem Hohen Hause noch einen anderen Eindruck hinterlassen hat, sich jetzt diesem Konsens entziehen will. Es wäre besser gewesen, Herr Kollege Laschet, wenn Sie klargemacht hätten, dass wir gemeinsam diese wichtige Aufgabe hier in Nordrhein-Westfalen stemmen würden. Das wäre auch ein gutes Signal an die Menschen im Land.

Wir sollten jedenfalls, meine Damen und Herren, dankbar dafür sein, dass sich in Nordrhein-West-falen so viele Menschen um dieses Problem kümmern. Sie sind ein Grund dafür, dass die Ministerpräsidentin zu Recht gesagt hat: Auf die Menschen in unserem Land sind wir stolz, können wir stolz sein. Wir sind ihnen dankbar dafür, diese große Leistung für die Flüchtlinge zu erbringen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb, meine Damen und Herren – wir wissen das –, sagen wir überall: Flüchtlinge bringen nicht nur Probleme und Sorgen mit nach Nordrhein-Westfalen. Sie bringen auch Hoffnungen und neue Chancen für unser Land. Also: Sie sind eine Herausforderung; aber wenn wir diese Einwanderung auch als Chance für unser Land sehen, dann bin ich sicher, dass wir diese Probleme gemeinsam meistern werden. – Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die Unterrichtung der Ministerpräsidentin gehört. Frau Ministerpräsidentin, Sie haben emotional Begegnungen geschildert, die Sie als Willkommenskultur bezeichnet haben. Sie haben das große Engagement der Bürgerinnen und Bürger gelobt. Ich kann Ihnen sagen, dass wir bei zahlreichen Gesprächen die gleichen Erfahrungen gemacht haben. Dafür sind wir sehr dankbar.

Ich möchte für die Freien Demokraten auch unterstreichen, dass wir uns eindeutig und uneingeschränkt zu unserer humanitären Verpflichtung bekennen, verfolgten Flüchtlingen Schutz zu gewähren. Diese Menschen, meine Damen und Herren, brauchen unsere uneingeschränkte Solidarität.

(Beifall von allen Fraktionen)

Es sollte auch der Konsens aller anständigen Demokraten sein, dass Humanität kein Preisschild hat.

Wenn wir jetzt über die aktuelle Situation sprechen, müssen wir natürlich auch darüber sprechen, dass es Ängste und Sorgen bei der Bevölkerung gibt, die sich auf der Basis der prognostizierten Zahlen kein Bild machen können, was auf sie zukommt. Wenn wir über Ängste und Sorgen sprechen und hier über die Inhalte diskutieren, dann ist eines ganz wichtig, dass wir nämlich ohne Ressentiments diskutieren. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das hat nichts mit „Political Correctness“ zu tun, sondern das ist die Grundlage unserer freien Gesellschaft.

Es ist großartig, wie viele Menschen sich auf den verschiedenen Ebenen ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren. Sie haben sie in verschiedenen Facetten genannt, Frau Ministerpräsidentin. Das müssen wir wertschätzen.

Wir sind uns hier, glaube ich, einig: Das Boot ist nicht voll. Aber, meine Damen und Herren – das gehört auch zur Wahrheit dazu –: Das Boot wird heute sehr schlecht gesteuert. Und dafür tragen Sie, Frau Ministerpräsidentin,

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

hier in Nordrhein-Westfalen die Mitverantwortung. Es ist Ihr Innenminister, der bis heute kein schlüssiges Gesamtkonzept für die Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen vorlegen konnte. Es ist Ihr Innenminister, der eine völlig überforderte Bezirksregierung lange Zeit hat vor sich hin dilettieren lassen. Es ist Ihr Innenminister, der monatelang falsche Prioritäten gesetzt und Warnungen auch aus dem eigenen Haus ignoriert hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, Leidtragende sind einerseits Flüchtlinge in den Unterkünften, aber es sind insbesondere auch die Kommunen – gerade die kleinen – die jetzt teilweise binnen Stunden Unterbringung auf Zuruf organisieren müssen, wenn sie per Amtshilfe dazu verpflichtet werden. Registrierungen, ärztliche Untersuchungen – das bleibt dann oftmals auf der Strecke.

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben – wenn Sie hier wären, könnte ich das Ihnen auch persönlich sagen –

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft [in den Regierungsbänken stehend]: Ich höre Ihnen zu!)

heute die finanzielle Entlastung der Kommunen angedeutet. Die Anpassung der Flüchtlingspauschalen auf den 01.01.2015 ist ein richtiger Schritt.

Er kommt jedoch – das füge ich hinzu – viel zu spät. Wir haben das bereits vor einem Jahr gefordert. Es ist bedauerlich – das möchte ich noch einmal ausdrücklich sagen –, dass Sie Ihre ursprüngliche Ankündigung, Ihr Versprechen vom ersten Flüchtlingsgipfel, dass wir, die Regierung und die Opposition hier in diesem Hause, aufgrund der hohen Verantwortung bei diesem Thema die Flüchtlingspolitik gemeinsam machen, nicht eingehalten und Ihr Wort gebrochen haben. Wir könnten heute viel, viel weiter sein, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Frau Ministerpräsidentin, wir hatten erwartet, dass Sie hier heute konzeptionell und ein bisschen konkreter Stellung beziehen, wie sich Nordrhein-Westfalen zu den anstehenden Grundsatzfragen der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik verhält. Da gibt es verschiedene Themen und verschiedene Fragestellungen, die in Bälde auf dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern verhandelt werden. Da hätte ich gerne gewusst, wie wir als Land Nordrhein-Westfalen uns verhalten.

Sie haben zu den sicheren Herkunftsländern hier ausgeführt, allerdings auch nur in Andeutungen: Da müsse man noch einmal prüfen. Ich kann nur den grünen Oberbürgermeister von Tübingen zitieren, der heute laut einem Zitat in der „FAZ“ gemeinsam mit Jens Spahn gesagt hat, dass es ein starkes Signal wäre, wenn man die Balkanländer vollständig zu sicheren Herkunftsländern erklären würde.

Herr Römer, sie haben eben ausgeführt, das würde alles nichts bringen. – Die Zahlen sehen aber anders aus. Im Durchschnitt kommen aus den Ländern auf dem Balkan, die wir zu sicheren Herkunftsländern erklärt haben, 23 % mehr, aus den anderen sind es 515 % mehr. Wenn Sie da sagen, das hätte keine Auswirkungen, dann können Sie schlichtweg nicht rechnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, ich hätte mir gerade hier auch etwas Konkreteres gewünscht auf die Frage, wie der Stau von über einer Viertelmillion anhängiger Anträge abgebaut werden soll. Ich hätte gerne von Ihnen gewusst, wie Sie sich vorstellen, wie die Verfahren gestrafft werden sollen – außer, dass es mehr Entscheider geben soll. Wir müssen auch noch wissen, wo die Entscheider herkommen sollen.

Für Sie wäre es doch eine Entlastung, arbeitete man klar heraus, dass die Hauptverantwortung für diese Situation natürlich beim Bund liegt. Insofern greift auch die Kritik der CDU hier heute zu kurz, die in ihren Anträgen die Verantwortung allein beim Land ablädt. Es ist Ihr Bundesinnenminister de Maizière, der die ganze Zeit zugeschaut hat und nicht genügend Entscheider eingestellt hat.

(Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Es ist Ihr Innenminister, der nicht genügend Personal besorgt hat. Und es ist Ihr Innenminister – das möchte ich auch noch einmal ganz deutlich sagen –, der sich lange Zeit dagegen gewehrt hat, das Quotenmodell für Europa einzuführen. Er hat viel zu lange an Dublin festgehalten. Und das ist dann auch in Ihrer Verantwortung, Herr Laschet, der Sie ja nun auch Bundesvize der Union sind. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie in dieser Sache auch ein bisschen Einfluss in Berlin geltend gemacht hätten, weil das alles etwas ist, was uns hier insgesamt betrifft.

(Beifall von der FDP)

Aber wir kommen nicht weiter, wenn wir auf der einen Seite Rot-Grün haben, die nur auf den Bund zeigen, und auf der anderen Seite die CDU haben, die nur auf das Land zeigt. Deswegen müssen wir dieses kleinkarierte Denken überwinden.

Wir als Freie Demokraten haben uns hingesetzt und Ihnen in Form unsers Antrags ein Gesamtkonzept vorgelegt, in dem wir uns sowohl an den Bund als auch an das Land richten, in dem wir mit verschiedenen Vorschlägen eine tragfähige Lösung anbieten. Wir wären sehr dankbar für – deswegen stellen wir das auch nicht zur sofortigen Abstimmung – eine vernünftige und konstruktive Beratung in den Gremien, wie Sie das von uns gewohnt sind. Wir machen Ihnen – auch aus der Opposition heraus – erneut das Angebot, zu einer gemeinsamen Haltung in Nordrhein-Westfalen zu kommen.

Meine Damen und Herren, für uns stehen bei diesem Gesamtkonzept drei Punkte ganz besonders im Vordergrund.

Der erste Punkt: Wir sind der Meinung, dass der Bund als Gesetzgeber für die Gesamtkosten der Flüchtlingspolitik die Verantwortung tragen sollte. Dann kann sich das Land darauf konzentrieren, in erster Linie die Landeseinrichtung für die Flüchtlingsunterbringung zu ermöglichen, sodass wir hier wieder zu geregelten Verfahren kommen können und am Ende die Kommunen diejenigen sind, die vor Ort die anerkannten Flüchtlinge integrieren. Das muss das Ziel sein. Das ist für uns der wesentliche Punkt, auf den wir zuarbeiten.

(Beifall von der FDP)

Wir wissen natürlich, dass das nicht von heute auf morgen gehen wird. Aber die Kostenübernahme durch den Bund wäre eine Grundvoraussetzung, um Druck hineinzubekommen. Denn wenn der Bund selber spürt, was das kostet, dann werden sicherlich auch die Entscheidungen schneller gehen.

Der zweite Punkt, den wir vorgeschlagen haben: Wir wollen aus der ungesteuerten Zuwanderung vom Westbalkan eine gesteuerte Einwanderung gestalten. Dazu brauchen wir neben den sicheren Herkunftsländern nach unserer Auffassung auch, zumindest temporär, die Einführung einer Visumspflicht. Wir wollen damit aber nicht, meine Damen und Herren, eine Abschottung verbinden, so wie es die CSU macht, die im Jargon von Missbrauch usw. spricht.

Wir sind der Meinung, dass es unfair ist, auf der einen Seite von Missbrauch zu sprechen, wenn man auf der anderen Seite keine legale Zuwanderungschance schafft und nur die Möglichkeit über das Asylrecht bleibt, was dafür jedoch nicht vorgesehen ist.

Insofern sagen wir: Wenn bestimmte Länder als sichere Herkunftsländer eingestuft sind und entsprechende Visaregelungen vorliegen, wollen wir in diesen Ländern zusammen mit Jobagenturen und mit den Wirtschaftsverbänden eine Jobbörse organisieren, damit Unternehmen aus Deutschland dort Arbeitsplätze anbieten und Arbeitsverträge gestalten können.

So haben die Menschen die Chance, nicht mehr als Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu müssen, sondern als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu uns kommen können. Das ist eine riesengroße Chance für unser Land, aber auch für viele der Menschen aus diesen Ländern, die sich gerne eine Zukunft bei uns aufbauen wollen.

(Beifall von der FDP)

Im Moment haben wir die Situation, dass beispielsweise das Handwerk händeringend nach Arbeitskräften sucht und sich nach Möglichkeiten umschaut, auch Flüchtlinge zu akquirieren. Da kommen Tausende junger Albaner, blockieren die Unterkünfte, stecken in den Verfahren, obwohl sie eigentlich gar kein Asyl wünschen, sondern arbeiten wollen.

Hier laufen zwei Ströme aneinander vorbei. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese miteinander verbunden werden. Wenn Sie sich einmal die Entwicklung der Flüchtlingszahlen aus dem Westbalkan anschauen, dann wissen Sie alle, dass dieser Vorschlag ein Schlüssel zur Lösung der derzeitigen Situation ist.

Frau Kraft, Sie haben eben sehr emotional das Bild einer jungen albanischen Mutter mit ihren Töchtern angeführt, die perspektivisch hier arbeiten möchte. Genau um solche Beispiele geht es uns: Wir möchten, dass solche Fälle nicht mehr in das Asylverfahren müssen, sondern dass sie von vornherein als Arbeitnehmer kommen können.

Das gilt im Übrigen auch für Roma.

Wir können uns flankierende Maßnahmen seitens der Europäischen Union vorstellen, zum Beispiel Qualifizierungsmaßnahmen vor Ort. Wir müssen vermeiden, dass Familien hierherkommen, die nicht individuell politisch verfolgt sind, die als Minderheit auf dem Balkan schlechter gestellt sind. Sie kommen hierher, befinden sich im Asylverfahren, sind teilintegriert – und dann, wenn nach einer bestimmten Zeit die Abschiebung kommt, werden sie aus den ganz neu gewonnenen sozialen Verhältnissen wieder herausgerissen. Das kann doch nicht unser Anspruch sein.

Deshalb unterscheiden wir nicht zwischen „guten“ und „schlechten“ Flüchtlingen. Uns geht es immer um die Menschen. Aber wir müssen schauen, welcher Rechtsstatus betroffen ist. Und hier gibt es nun einmal zwei Möglichkeiten: Da ist zum einen die politische Verfolgung, und dafür gibt es das Asylrecht. Dann gibt es zum anderen Leute, die sich eine bessere Lebensperspektive verschaffen wollen, und dafür brauchen wir ein Einwanderungsrecht.

Weil wir hierbei auf Herrn Laschet und die CDU nicht warten können, brauchen wir bilaterale Abkommen mit den Ländern vom Balkan.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Um von dieser Viertelmillion Altanträge wegzukommen, haben wir zum Dritten vorgeschlagen, über die pauschale Anerkennung für Menschen aus dem Irak, aus Eritrea und vor allem aus Syrien nachzudenken. Herr Minister, die Situation sieht doch so aus: Wenn wir alle drei Länder zusammennehmen, sind bei 40.000 Einzelfallentscheidungen im ersten Halbjahr ganze 45 Personen nicht anerkannt worden. Deswegen wäre es sinnvoll, bei den anhängigen Verfahren pauschal zu positiven Entscheidungen zu kommen.

Wir brauchen darüber hinaus weitere Entscheider beim BAMF. Da können wir nicht warten, bis irgendwann – 2015 oder 2016 – alle Planstellen ausgeschrieben und möglicherweise Bewerber vorhanden sind. Wir brauchen diese Stellen jetzt, denn gerade jetzt ist die Situation in den Kommunen schwierig. Daher brauchen wir gestraffte Verfahren.

Deshalb sind wir der Meinung, dass jetzt jeder verfügbare Beamte auf Bundesebene – in den Ministerien, in den Behörden – in das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgeordnet werden muss, um dort bei der Bearbeitung der Anträge Hilfe zu leisten und als Entscheider zu arbeiten, wenn er dazu befugt ist. Hier können wir uns beispielsweise auch Mitarbeiter vom Zoll vorstellen.

Ein Ende der Überfüllung von Flüchtlingsunterkünften ist deutlich wichtiger als die flächendeckende Kontrolle von Arbeitszeit und Dokumentationsformularen.

(Beifall von der FDP)

Ich denke, wir sind uns im Hause einig: Es gibt einfach Situationen, in denen die richtigen Prioritäten gesetzt werden müssen.

Wir beschränken uns nicht nur auf den Bund – das hatte ich bereits gesagt –, sondern wir richten uns auch an das Land. Gemeinsam müssen wir prüfen, wo wir zusätzliche Landeseinrichtungen errichten können. Ich sage es Ihnen als Bonner Abgeordneter – weil immer gesagt wird: Nur nicht bei mir! –: Ich wäre dankbar, wenn wir am einzigen UN-Standort in Deutschland in der Nähe des UN-Campus eine große Erstaufnahmeeinrichtung für Nordrhein-Westfalen etablieren könnten. Das wäre ein wichtiges Symbol, auch international.

Wir wollen – das haben wir immer wieder verlangt – endlich ein vernünftiges Notfallkonzept seitens des Landes für die Situation, dass in Unterkünften Krankheitsfälle auftreten. Einige Male haben wir es jetzt schon erlebt, dass Einrichtungen komplett freigezogen worden sind, weil ein einzelner Krankheitsfall aufgetreten ist. Mit vernünftiger Quarantäne wäre so etwas zu verhindern.

Es gibt Einrichtungen, die schon so vorgehen; es gibt auch Gesundheitsämter, die sich hier kooperativ verhalten. Es gibt allerdings auch andere Gesundheitsämter, die hier sehr strikt handeln. Hier fehlt eine einheitliche Regelung. Das, lieber Herr Innenminister, sollten Sie einmal mit Ihrer Kabinettskollegin besprechen, damit wir endlich zu einem Ergebnis kommen, nachdem wir dies nun schon seit über einem Jahr fordern.

(Zuruf von der Regierungsbank)

Es gibt weitere Beispiele; wir haben ja einen ganzen Katalog genannt. Frau Ministerpräsidentin, wir hätten das Ganze schon gerne auf einem weiteren Flüchtlingsgipfel besprochen. Das ist jedoch ausgeblieben.

Ich habe mich sehr gewundert, mit welcher Nonchalance sich die deutsche Politik in die Sommerpause verabschiedet hat. Sie haben vorhin den Ehrenamtler genannt, der auf seinen Urlaub verzichtet hat, weil er jetzt hier gebraucht wurde. Die deutsche Politik wäre in der Sommerpause auch gebraucht worden. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn wir hier gemeinsam viel schneller gehandelt hätten.

(Beifall von der FDP)

Wir stehen dafür zur Verfügung und erneuern hiermit unser Angebot. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst der Ministerpräsidentin für ihre klaren Worte am heutigen Tage danken. Sie können sicher sein, dass das, was der Kollege Römer gesagt hat, für die gesamte Koalition gilt: Wir werden den Kurs, den Sie hier beschrieben haben, eins zu eins und mit aller Kraft unterstützen, und Sie können sich unserer Unterstützung nicht nur bei den Haushaltsberatungen, sondern auch bei den schwierigen Verhandlungen im Bundesrat und darüber hinaus sicher sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Roberto Blanco war immer ein wunderbarer Neger.“ Dieser Satz stammt nicht etwa von Heinrich Lübke, sondern es ist der Beitrag des bayerischen Innenministers zur Debatte um Vertreibung und Flucht. Dieser Satz ist aus meiner Sicht eine traurige Offenbarung – genauso traurig wie die drei Tage, die die Kanzlerin brauchte, um sich zu Heidenau zu äußern,

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Wir reden aber schon über Nordrhein-Westfalen, oder?)

und jene drei langen Tage, die die NRW-CDU zu dem Abtauchen ihrer Kanzlerin geschwiegen hat.

(Armin Laschet [CDU]: Was?)

Das ist ebenso eine Offenbarung wie die Methode, die Sie heute mit Ihren Anträgen vortragen frei nach dem Motto: Der Bund macht alles richtig,

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Wir reden aber von Nordrhein-Westfalen, oder?)

die Kommunen stehen am Abgrund, weil der Innenminister und die Landesregierung alles falsch machen.

(Armin Laschet [CDU]: Welcher Innenminister?)

Komisch ist nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Ihre Parteifreunde in den anderen Bundesländern ein völlig anderes Bild von der Lage zeichnen, als Sie das hier in Nordrhein-Westfalen tun.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Berlins Innensenator Frank Henkel sieht in der steigenden Zahl von Asylanträgen für alle Bundesländer eine große Herausforderung. Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon – auch ein CDU-Kollege – spricht von einem übergesetzlichen Notstand, weil im Sommer 900 Flüchtlinge ins Saarland gekommen sind. Und genauso verhält sich Ihre Parteifreundin Klöckner aus Rheinland-Pfalz. Sie sagt wörtlich: Natürlich wird es mehr Geld vom Bund geben müssen.

(Armin Laschet [CDU]: Logisch!)

Da sage ich nur: Chapeau, Frau Klöckner! Sie setzen sich für Ihr Bundesland ein, während Ihr Kollege in Nordrhein-Westfalen die Landesregierung beim Bund anschwärzt und damit zulasten des Landes Nordrhein-Westfalen handelt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Armin Laschet [CDU]: Ach!)

Haben Sie eigentlich nicht selbst den Widerspruch in Ihrem Antrag gesehen? Einerseits beschreiben Sie lang und breit die Fehleinschätzung der Flüchtlingszahlen durch die Bundesregierung ohne jede Kritik an diesem Prognosefiasko, andererseits feuern Sie jede Breitseite auf die Landesregierung.

Fakt ist Folgendes: Wir und die Landesregierung haben zu keinem Zeitpunkt den Zahlen aus Berlin geglaubt. Wir haben schon zu Beginn des Jahres deutlich höhere Prognosezahlen für unsere Arbeit zugrunde gelegt, als es in Berlin der Fall gewesen ist.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ja, aber immer noch zu niedrig!)

Deswegen – die Ministerpräsidentin hat darauf hingewiesen – haben wir für die Schulen schon im Frühjahr 674 zusätzliche Stellen im Grundbedarf und weitere 300 Stellen im Lehrerinnenbereich bereitgestellt, um Deutschkurse durchführen zu können. Hätten wir den Prognosen des Bundes geglaubt, dann wären wir in jenem Notfallmodus, den Sie uns in dem Antrag vorwerfen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da sich der Kollege Laschet offensichtlich nicht einmal zwei Minuten lang fünf Zahlen merken kann, möchte ich das wiederholen, was die Ministerpräsidentin hier vorgetragen hat: Wir werden in einem Nachtragshaushalt, sofern ich es richtig zusammengezählt habe, 500 bis 600 Millionen € zusätzlich bereitstellen. Wir schaffen allein 2.625 zusätzliche Stellen für Lehrerinnen und Lehrer und 250 zusätzliche Stellen für Polizistinnen und Polizisten. Da müsste Theo Kruse eigentlich Tränen in den Augen haben; dort werden rund 1.900 Stellen bereitgestellt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Weitere 400 zusätzliche Stellen schaffen wir für die Registrierung von Flüchtlingen.

All das hat die Ministerpräsidentin vorgetragen, aber Sie sagen, es habe nichts Konkretes gegeben. Wie viel konkreter soll es denn noch werden, Herr Laschet?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Armin Laschet [CDU]: Viel konkreter!)

Die Koalitionsfraktionen haben bereits entschieden – auch das hat die Ministerpräsidentin vorgetragen –, den Stichtag vorzuziehen. Allein diese Maßnahme bringt über 200 Millionen € mehr für die Kommunen. An eines möchte ich in dem Zusammenhang erinnern: Wir haben jetzt 50-mal mehr Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen als noch im Jahre 2007, als ein gewisser Armin Laschet Integrationsminister des Landes war.

(Armin Laschet [CDU]: Da gab es überhaupt keine Flüchtlinge!)

Damals haben Sie nicht gehandelt, und jetzt machen Sie uns Beine bei einer Geschichte, die Sie mit verursacht haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen auch Folgendes: Noch perfider ist eine andere Sache, die Sie uns hier auftischen. Ich meine die Unterscheidung zwischen sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen auf der einen Seite und jenen Flüchtlingen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, auf der anderen Seite.

(Armin Laschet [CDU]: Wer hat denn das Wort „Wirtschaftsflüchtling“ gesagt?)

Herr Laschet, wissen Sie eigentlich, wer der erste Wirtschaftsflüchtling war,

(Armin Laschet [CDU]: Wer hat denn überhaupt „Wirtschaftsflüchtling“ gesagt? Das Wort ist überhaupt nicht gefallen! Polemiker!)

der in der Geschichte beschrieben wurde? – Es war jener Abraham,

(Armin Laschet [CDU]: Ach was!)

der Urvater des Judentums, des Islams und des Christentums, beschrieben im 1. Buch Mose, Kapitel 12, Vers 10, der von Kanaan nach Ägypten geflüchtet ist, weil in Kanaan eine große Hungersnot geherrscht hat. Ich kann nur jedem Christen und jeder Christin – jedenfalls den katholischen – zurufen: Hören Sie lieber auf Papst Franziskus – dann hören Sie etwas Vernünftiges zum Thema „Flüchtlinge“ – und nicht auf Armin Laschet aus Aachen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Armin Laschet [CDU]: Unverschämtheit!)

Dieser Armin Laschet zündet an einem Tag im Kölner Dom eine Kerze für die 23.000 ertrunkenen Flüchtlinge an, um nur wenige Tage später die Kürzung des Taschengeldes zu fordern.

(Beifall von den GRÜNEN – Armin Laschet [CDU]: Es steht Ihnen kein Spott zu! Es steht Ihnen nicht zu, darüber zu spotten! Das ist eine Unverschämtheit!)

Und, Herr Kollege Laschet, dann wollen Sie diese Taschengeldforderung auch noch einsammeln.

(Zurufe von der CDU und der FDP – Armin Laschet [CDU] verlässt demonstrativ den Plenarsaal.)

Ich frage Sie auch noch: Herr Kollege Kruse, was nutzt es denn, wenn Sie eine Kleine Anfrage stellen und sich erkundigen, welche …

(Christian Lindner [FDP]: So eine Peinlichkeit! Schaffen Sie das aus der Welt!)

– ach, Herr Kollege, Sie sind ja noch einmal dran – … Auswirkungen die Flüchtlingsheime auf die Straftaten in Nordrhein-Westfalen haben? Der Innenminister hat das aus meiner Sicht sorgsam beantwortet. Was wollen Sie denn damit erreichen? Welches gesellschaftliche Klima wollen Sie denn damit beschreiben? Ich frage mich das.

Nein, Fluchtursachen bekämpft man nicht mit Ressentiments, auch nicht mit einer symbolischen Debatte über die sogenannten Herkunftsländer, sondern mit konkreten Maßnahmen in jenen Ländern, aus denen diese Flüchtlinge kommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen auch – da stimme ich der Ministerpräsidentin zu –: Ja, wir müssen die anderen Länder in Europa an ihre Aufgabe erinnern, auch Flüchtlinge aufzunehmen. Eine vernünftige Quote, sodass alle Länder in Europa ihren Beitrag leisten, ist richtig.

Aber wir können diesen Streit nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge austragen. Wir müssen humanitär handeln und müssen in Europa dafür sorgen, dass die anderen Länder ihren Beitrag genauso leisten, wie Deutschland es tut.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich frage mich – ein paar Leute schicken Sie ja immer mal nach Albanien –: Warum sorgt Frau Merkel nicht dafür, dass Beamtinnen und Beamte nach Albanien, in den Kosovo oder in die anderen Staaten des Balkans ziehen, um dort den Aufbau zu kontrollieren und zu forcieren? Warum können wir eine Troika nach Griechenland schicken, die das Steuersystem überwacht, und keine Troika in diese Staaten?

(Beifall von den GRÜNEN)

Statt eine Scheindebatte über sogenannte zusätzliche sichere Herkunftsländer zu führen, brauchen wir praktische Hilfe, damit der Balkan nicht zusammenbricht.

Ich frage auch: Warum kann man 26 Milliarden € zur Rettung der Hypo Real Estate bereitstellen und ist bis heute nicht in der Lage, einen zusätzlichen Cent für die Hilfe für Flüchtlinge in den Kommunen und Ländern bereitzustellen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Warum jetzt dieses Zeitspiel der Bundesregierung? Ein Flüchtlingsgipfel am 24. September ist frei nach dem Motto: Die Hütte brennt, und die Einsatzleitung überlegt, ob sie in dreieinhalb Wochen ausrücken soll.

Warum jetzt der Versuch, eine Grundgesetzänderung ins Spiel zu bringen? Wir brauchen das Grundgesetz nicht zu ändern. Schaffen Sie das Asylbewerberleistungsgesetz ab! Dann kann der Bund schlicht für die sozialen Leistungen einspringen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Herr Laschet, was sagen Sie denn einem Bürgermeister, wenn er Sie fragt, warum die Bundeskanzlerin nicht daran arbeitet? Sie müssen die Frage nicht an Frau Kraft adressieren. Wir sind uns doch hier im Rund eigentlich einig, dass das Aufgabe des Bundes ist und Sie in Berlin tätig werden müssten.

Genauso peinlich finde ich den Vorschlag, den Herr Schäuble – bzw. ich weiß nicht mehr genau, wer es war – jetzt ins Spiel gebracht hat, aus den Überschüssen des Bundes in diesem Jahr einen sogenannten Hilfsfonds einzurichten. Wir brauchen keine Förderung nach Gutsherrenart. Wir brauchen jetzt eine schnelle und strukturelle Unterstützung für die Finanzierung der Flüchtlingsaufgaben.

Ich sage Ihnen auch Folgendes – es ist ja nachzulesen in den Protokollen des Bundesrates –: Das Bundeskanzleramt hat schon vor Monaten zusätzliche Hilfe versprochen. Bis zum heutigen Tag ist nichts passiert. Am Wochenende konnte man in der „FAZ“ lesen, dass im Kanzleramt ein Papier vorliegt, nach dem man von 6 Milliarden € Mehrkosten ausgeht. Ich gehe eher von 8 bis 10 Milliarden aus. Aber selbst wenn man die 6 Milliarden € zugrunde legen würde, kämen wir auf 1,25 Milliarden € Entlastung für Nordrhein-Westfalen. Das sind die Summen, über die wir in diesem Hause reden müssen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nun komme ich zu den Asylverfahren. Natürlich sind die schleppenden Asylverfahren ein ganz wichtiger Punkt. Denn daran hängt tatsächlich die schnelle Integration derjenigen, die hier Asyl bekommen, schnelle Klarheit für diejenigen, die eben nicht hierbleiben können und wieder gehen müssen, und auch die Frage, ob die Aufnahmekapazitäten der Länder und Kommunen entlastet und eben leistungsfähiger werden.

Der bürokratische Aufwand muss tatsächlich weg. Ich sage Ihnen auch, wo. Wir brauchen keine sinnlosen Dublin-Verfahren, weil die Leute sowieso nicht zurückgeführt werden können. Wir brauchen keine dreijährige obligatorische Überprüfung, ob ein Asylantrag immer noch standhält.

Wir brauchen – das sage ich in aller Deutlichkeit – eine Altfallregelung für all jene Menschen, die seit mehr als einem Jahr in Deutschland leben. Dann würde hier sehr viel Bürokratie abgebaut.

(Beifall von den GRÜNEN)

All diese Verfahren sind reine Selbstbeschäftigung der Verwaltung zum Schaden der Bürgerinnen und Bürger und führen nicht dazu, dass die Menschen hier bessere Verfahren bekommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es noch einmal: „Roberto Blanco war immer ein wunderbarer Neger.“ Das ist das Menschenbild, das die CDU im Moment offensichtlich immer noch lähmt, vernünftig zu handeln. Das ist die Tradition in der Anti-Doppelpass-Kampagne von Roland Koch.

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

Das ist die Tradition der Kampagne von Jürgen Rüttgers „Kinder statt Inder“.

Auch Herr Laschet hat heute die Frage der sicheren Herkunftsländer – aus meiner Sicht eine Scheindebatte – in den Vordergrund gestellt, statt sich um die konkreten Maßnahmen, wo wir helfen können, zu kümmern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist jetzt mehrfach gesagt worden – nicht nur von mir und von der Ministerpräsidentin, sondern auch der Kollege Stamp hat es angesprochen –: Nicht nur die Kirchen, sondern auch die Wirtschaft stehen inzwischen mit völligem Unverständnis vor einer solchen Haltung. Wir fordern Sie zusammen mit IHKs und Wirtschaftsverbänden auf: Kommen Sie aus der Ideologiefalle heraus! Sorgen Sie dafür, dass die Zugangsschranken am Arbeitsmarkt fallen! Denn Bäcker, Schlosser und viele andere Handwerker brauchen Lehrlinge. Sie brauchen Flüchtlinge, die ohne aufwendige Verfahren einen vernünftigen Aufenthaltstitel bekommen und diese Tätigkeiten aufnehmen können. Dasselbe gilt für Studierende.

Neben der Zuwanderung über das Asylrecht brauchen wir auch – es ist mehrfach gesagt worden, Herr Kollege Laschet hat es konkret angesprochen – legale Zuwanderung. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal betonen: Das Asylrecht ist für uns unantastbar. Es ist ein Individualrecht, das mit der Zuwanderungspolitik der Bundesrepublik Deutschland nur zum Teil zu tun hat.

Neben der Armutszuwanderung brauchen wir vor allem eine Zuwanderung in die Arbeitsmärkte.

Ganz peinlich wird es, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es um die Gesundheitsversorgung geht. Vor mehr als einem Jahr hat Bundesminister Gröhe versprochen, dass die gesundheitliche Versorgung besser wird. Bis heute ist nichts passiert.

Ich danke ausdrücklich der Landesregierung und ganz vorneweg Ministerin Steffens dafür, dass sie zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden, die an der Stelle deutlich weiter sind als die CDU, sowie den Kassen für diese Verbesserung für die Menschen, aber auch für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen gesorgt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Thema „sichere Herkunftsländer“ möchte ich jetzt jenen noch einmal zitieren, der uns mehrfach sozusagen als Kronzeuge für eine andere Variante vorgetragen worden ist, nämlich den Kollegen Kretschmann aus Baden-Württemberg. Herr Kretschmann wurde in dem „FOCUS“-Interview, auf das sich auch Herr Laschet bezogen hat, gefragt: Vor allem die Union drängt darauf, mehr Länder als bisher zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Ist das mit Ihnen machbar? – Darauf erklärt Herr Kretschmann:

Ich bin dafür offen, wenn die Bundesregierung belegen kann, dass das sinnvoll ist, dass also die Zahl der Asylbewerber aus diesen Ländern dann sinkt und sich dadurch die Verfahrensdauer relevant verkürzt. Allerdings verstehe ich die Fokussierung von Unionspolitikern auf das Thema „sichere Herkunftsländer“ nicht. Die vorliegenden Zahlen deuten nicht auf einen spürbaren Effekt hin. Das ist nicht verwunderlich. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es auch für Bewerber aus sicheren Herkunftsstaaten ein individuelles Verfahren geben muss.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Sie haben Herrn Kretschmann im letzten Jahr für kleine Schritte des Fortschritts – Stichworte: „Gesundheitsversorgung“, was ich eben angesprochen habe, und „finanzielle Besserstellung der Länder“ – in Haftung genommen, um dem zuzustimmen.

Ihn jetzt als Kronzeugen für eine Geschichte zu nehmen, von der er nicht überzeugt ist, von der er deutlich sagt, dass er das nicht mitmachen würde, und so zu tun, als wäre er der Gegenspieler der nordrhein-westfälischen Grünen oder der Landesregierung, das finde ich ein starkes Stück.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich wiederhole gern sinngemäß das, was auch die Ministerpräsidentin vorgetragen hat: Nordrhein-Westfalen ist ein Land der Solidarität, ein tolles Land mit tatkräftigen Menschen aus vielen Ländern, die jeden Tag ganz praktische Beispiele von Solidarität und Nächstenliebe geben. Ich sage Ihnen ehrlich: Die Berichte aus München, wo einheimische Menschen den Flüchtlingen zu Hilfe eilen, ihnen Getränke, Nahrung und auch noch Beistand geben, machen mich einerseits froh, andererseits aber auch demütig.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Die haben Sie in Dortmund jeden Tag!)

Die rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen verschließt nicht die Augen davor, dass es auch Probleme bei der Unterbringung gibt und wir daran arbeiten müssen. Aber ich sage Ihnen ganz deutlich: Jetzt ist Schluss mit Taktik und mit Kaputtreden. An diesem Wochenende müssen in Berlin Entscheidungen fallen, und da ist die CDU mit ihrem Bundesvize Laschet an der Spitze gefordert. Tun Sie etwas, damit Deutschland vorankommt. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Nun spricht als nächster Redner für die Fraktion der Piraten der Fraktionsvorsitzende, Herr Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer zu Hause und auf der Tribüne! Liebe Flüchtlinge! Refugees, welcome! Wir Piraten heißen euch willkommen in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den PIRATEN)

Liebe Frau Ministerpräsidentin, starke Rede. Läuft bei Ihnen. Alles wird gut. Sie packen es jetzt an.

Zum Thema „klare Worte“ muss ich sagen, Herr Mostofizadeh: Das waren meiner Meinung nach eher die Worte nach vier Klaren als klare Worte.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der CDU: Oh! – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Denn da, wo das Land etwas tun kann, packt es nicht an.

Ich war in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Essen. Wir sind damals mit Windeln und mit Kosmetika gekommen. Die Wachleute haben uns gefragt: „Was wollt ihr denn hier?“ und wollten uns schon wegschicken. Ich wette, wäre ich nicht Landtagsabgeordneter gewesen, wir hätten wieder gehen müssen. Dann wurde versprochen, dass alles besser wird. Wir haben geredet.

Vorgestern ist eine Mitarbeiterin zu derselben Erstaufnahmeeinrichtung in Essen gegangen. Sie hat vorher die Helfer gefragt: Was kann ich mitbringen, was ist gefragt? Es wurde gesagt: Für die Kinder kannst du etwas mitbringen. Die freuen sich immer und haben hier keine so gute Versorgung; denn das Mindeste, das die Flüchtlinge bekommen, berücksichtigt die Kinder nicht in dem Maße, wie sie es bräuchten.

Also hat sie Bonbons und Luftballons gekauft und ist zu der Erstaufnahmeeinrichtung gefahren. Sie war nicht einmal auf dem Gelände, da kamen die Sicherheitsleute und haben ihr gesagt – Zitat –: Ihr könnt hier kein halbes Schwein mit Reis abgeben, oder – das finde ich viel schlimmer, das zeigt, dass das Land am falschen Ende spart, nämlich bei privaten Sicherheitsleuten – seid Ihr hier, um die Affen im Zoo zu füttern? – Das, meine Damen und Herren, darf an einer Erstaufnahmeeinrichtung des Landes einfach nicht passieren.

(Beifall von den PIRATEN)

Bringen wir die weltweite Situation der Flüchtlinge einmal auf den Punkt: 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Sie fliehen vor Kriegen, die auch mit deutschen Waffenexporten geführt werden. Sie fliehen vor Verfolgung durch Unrechtsregime, die auch die Rückendeckung und den Schutz der deutschen Bundesregierung genießen. Sie fliehen vor Armut, die auch durch den europäischen Wirtschaftskolonialismus auf dem Balkan noch verschärft wird.

Kurzum: Wir Deutschen haben eine politische Verantwortung, und wir haben die politische Pflicht, die Folgen der humanitären Krisen zu bewältigen.

Es ist Ihre Aufgabe, Frau Ministerpräsidentin, es ist die Aufgabe der Landesregierung, politische Lösungen vorzulegen und umzusetzen. Man muss nicht die lange Zeit warten, bis das Parlament wieder zusammentritt, das kann man auch in der Sommerpause tun. Sie müssen endlich Verantwortung übernehmen.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Von 60 Millionen Menschen auf der Flucht werden in diesem Jahr etwa 800.000 nach Deutschland kommen, und 170.000 – wir haben es schon gehört – kommen nach Nordrhein-Westfalen. Das ist im Durchschnitt weniger als 1 % der hiesigen Bevölkerung.

Immer wieder wird die überwältigende Dimension der Migrationsströme beschworen, aber die Untätigkeit der Landesregierung, der politische Unwille in den letzten drei Jahren lässt das Ganze erst zum Problem werden. Wir haben keine Flüchtlingskrise, wir haben eine politische Krise.

(Beifall von den PIRATEN)

Bis heute hat uns die Landesregierung kein geschlossenes Konzept für eine moderne Flüchtlings- und Asylpolitik vorgelegt. Sie haben allerdings tausendundeine Ausreden, warum Sie bisher untätig gewesen sind.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Sie sagen: Die anderen EU-Staaten sollen doch bitte in die Verantwortung genommen werden. Wir sagen Ihnen: Auch mit einem Verteilschlüssel würde NRW ähnliche Aufnahmezahlen verzeichnen.

Sie sagen: Der Bund muss endlich seinen Verpflichtungen nachkommen. Wir sagen: Das Geld ist da. Im ersten Halbjahr hat Nordrhein-Westfalen 2,2 Milliarden € mehr an Steuern eingenommen. Nutzen Sie dieses Geld, und sorgen Sie für eine humane Flüchtlingsaufnahme im Land. Denn ganz ehrlich: Welchen Deal Sie mit dem Bund machen, das ist den Menschen und den Kommunen erst einmal sehr egal.

(Beifall von den PIRATEN)

Sie sagen: Mit diesen Flüchtlingszahlen konnte doch niemand rechnen. Wir sagen Ihnen: Doch; denn wir haben seit Jahren Belege dafür, dass immer mehr Menschen zu uns kommen werden. Die Belege kommen nicht von uns, sondern vom UN-Flüchtlingshilfswerk, von Amnesty International. Sie sind seit Jahren öffentlich einsehbar.

(Minister Ralf Jäger: Völliger Quatsch!)

– Herr Minister Jäger, nehmen wir einmal an, Sie wussten wirklich nichts von diesen weltweiten Migrationsströmen. Dann sind Sie nicht wie Frau Kraft im Sommerfunkloch, dann sind Sie seit vier Jahren im Dauerfunkloch, oder – diese Möglichkeit scheint mir viel wahrscheinlicher – Sie haben das Problem jahrelang ignoriert. Das halten wir für den viel, viel größeren Skandal.

(Beifall von den PIRATEN)

Dabei gab es zuhauf Belege. Schon im Herbst 2011 musste eine kommunale Massenunterkunft in der Kölner Herkulesstraße aufgemacht werden. Im September 2012 ist das Erstaufnahmesystem zum ersten Mal komplett zusammengebrochen. Aber es brauchte erst Burbach, es brauchte erst Bad Berleburg, und es brauchte erst Essen, damit im Innenministerium überhaupt etwas passiert. Ich frage mich: Konnten Sie von dieser sich zuspitzenden Situation wirklich nichts wissen? Ich sage: Doch, das konnten Sie. Und Sie sind trotzdem untätig geblieben.

Wir fordern, in dieser politischen Krise ein Ministerium für Integration, Flucht und Einwanderung einzurichten. Das kann Abhilfe schaffen.

Denn die Flüchtlinge sind hier. Sie werden hierbleiben, und es werden mehr. Die Probleme verschwinden nicht von alleine und nicht durch Aussitzen. Denn nichts zu machen, das ist Schande mit System.

(Beifall von den PIRATEN)

Seit unserem Einzug in den Landtag konfrontieren wir Sie regelmäßig mit dem Versagen in der Flüchtlingsaufnahme. Seit drei Jahren bekommen Sie von uns unterschriftsreife Anträge. Alles, wirklich alles wird seit drei Jahren von Ihnen systematisch belächelt und von der rot-grünen Regierungsmehrheit abgelehnt.

Schon im Jahr 2012 haben wir gesehen, dass NRW eine Neukonzeption bei Aufnahme und Unterbringung braucht. Das haben wir seitdem in zahlreichen Anträgen zu einer humanen, zu einer dezentralen Unterbringung gefordert. Dazu hätte es einer frühzeitigen Bestandsaufnahme bedurft. In Schleswig-Holstein hat man das gemacht. Unter anderem deshalb steht das Land heute besser da als wir.

Außerdem haben wir in den Jahren 2013, 2014 und 2015 präzise Haushaltsänderungsanträge zur Flüchtlingsaufnahme eingebracht. Jeder einzelne wurde hier im Haus abgelehnt. Herr Jäger, Frau Ministerpräsidentin, Ihre Politik der Ausreden hat drastische Folgen. Ihr programmierter Notstand zündet Flüchtlingsheime an. So sieht es aus.

(Beifall von den PIRATEN – Widerspruch von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank – Minister Johannes Remmel: Unverschämtheit!)

Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen Nazis, die sich davor stellen und grölen.

Eins möchte ich ganz persönlich sagen: Ich nehme mir heraus, jeden Einzelnen als Paraderassisten zu bezeichnen, der Ausländer in gute und in schlechte sortiert.

(Zuruf: Unglaublich!)

Die Landesregierung hat keinerlei Vorkehrungen getroffen. Die rot-grüne Regierung hat billigend in Kauf genommen, dass unser Land und unsere Kommunen bei dem Anstieg der Flüchtlingszahlen nicht über ausreichende Kapazitäten verfügen. So entsteht der Eindruck, dass die vor Krieg und vor Verfolgung flüchtenden Menschen NRW überfordern würden. So bereitet man den Boden für Ängste und Sozialneid in der Bevölkerung. So drückt man – bildlich gesehen – dem Heidenau-Nazi den Brandsatz in die Hand. Es ist einfach so.

Diese rassistischen Übergriffe gibt es auch in NRW, man kann sie nicht wegreden. Frau Ministerpräsidentin hat das in der letzten Woche zugegeben, sie hat es gesagt. Hier in NRW hat sich die Zahl der rechtsextremen Übergriffe seit dem letzten Jahr verfünffacht. Damit ist die Zahl stärker gestiegen als in Sachsen-Anhalt oder in Sachsen. Auch da werden wieder die Augen verschlossen.

Herr Minister Jäger behauptet, der Fremdenhass sei schon ein gesamtdeutsches Problem, aber in dem einen oder anderen ostdeutschen Bundesland kenne man sich mit Migration und Integration nicht so aus wie bei uns seit vielen Jahrhunderten. – Das hat er im WDR-Interview am letzten Montag geäußert.

Herr Laschet sagt, in NRW würde zumindest keiner derjenigen auf die Straße gehen, die jene beschimpfen, die helfen wollen. – Dann lade ich Sie ein: Am 18. September trifft sich DÜGIDA wieder hier am Hauptbahnhof. Am 12. September treffen sich die Republikaner in Köln. Ungefähr jedes Wochenende treffen sich die Rechten in Dortmund. Am letzten Wochenende haben sie in Oberhausen vor dem Flüchtlingsheim gestanden und „Sieg Heil“ gerufen. Ich lade Sie ein. Kommen Sie zu den Gegendemonstrationen und sehen sich die Leute an, die all jene beschimpfen, die helfen wollen. Die gibt es leider auch in Nordrhein-Westfalen.

Die Ignoranz gegenüber der Dimension der Probleme in Nordrhein-Westfalen halten wir – und das wird so bleiben, solange niemand handelt – für eine Schande. Sie reichen die Verantwortung immer weiter. Die Kommunen sagen: Das Land ist in der Pflicht. Das Land sagt: Der Bund ist in der Pflicht. Der Bund sagt: Die EU muss handeln.

Auf gar keinen Fall diskutieren wir über eine Aufweichung der Standards. Auf gar keinen Fall reden wir über Taschengeldkürzungen oder über vermeintlich sichere Herkunftsländer. Es gibt eine EU-Richtlinie, es gibt die Verfassung, und das halten wir hoch. Man ändert Gesetze nicht einfach nur deswegen, weil einem die Fallzahlen gerade nicht passen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich möchte aber den Menschen in NRW danken, die sich engagieren. Auf jeden Fall heißen wir die Geflüchteten willkommen. Wir haben ausreichende Kapazitäten. Wir schaffen das. Deutschland kann ohne Probleme 800.000 Menschen aufnehmen. Ohne diese Freiwilligen wären die Folgen des Regierungsversagens gar nicht auszumalen. Daher von unserer Seite vielen, vielen, vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Jetzt hören wir in der Unterrichtung – von Vizepräsident Uhlenberg gerade so schön als Regierungserklärung bezeichnet –, dass die Landesregierung mal wieder das Blaue vom Himmel verspricht: Alles wird gut, viele Appelle. Fast eine Viertelstunde würdigen Sie, Frau Ministerpräsidentin – Sie ist gerade nicht da; gut, egal – …

(Widerspruch bei der SPD: Doch! – [Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sitzt in den Abgeordnetenreihen der SPD-Fraktion.])

– ach, da vorne sitzen Sie, Entschuldigung, das war nicht vorwurfsvoll gemeint –, … bürgerschaftliches Engagement, aber hier im Hohen Hause sollten wir über politische Lösungen reden. Bürgerschaftliches Engagement ist super und unentbehrlich, aber das zu loben ist hier im Haus nicht genug, Frau Ministerpräsidentin. Sie können nicht darauf hoffen, dass die Zivilgesellschaft regelmäßig die rot-grüne Landesregierung rettet.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Seit 2012 fordert die Piratenfraktion in diesem Haus einen migrationspolitischen Rettungseinsatz. Die Landesregierung macht sich unterdessen schuldig, und zwar der fortlaufenden unterlassenen Hilfeleistung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Marsching. Auch der Applaus täuscht nicht darüber hinweg, dass Sie aus meiner Sicht Ihre Rede mindestens in einem Punkt weit überzogen haben. Wir werden im Präsidium prüfen, ob das rügenswert ist. Ich bin da nicht ganz sicher, aber ich vermute, dass es zumindest erwähnenswert ist.

Es ist im Hohen Hause absolut unparlamentarisch, jemandem zu unterstellen, er zünde irgendetwas an.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP – Minister Johannes Remmel: Unglaublich ist das!)

Ich würde solche Unterstellungen in Zukunft einfach unterlassen, damit diese Art von „Zündelei“ unter uns hier nicht zum Maßstab wird. Deshalb bitte ich Sie – ich mache das so höflich –, das künftig bleiben zu lassen. Vielleicht haben Sie noch die Gelegenheit, gegenüber den angesprochenen Personen – das waren die Ministerpräsidentin und der Innenminister – persönlich dazu Stellung zu nehmen. Es hat mir nicht gefallen; wir werden das überprüfen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der CDU)

Ansonsten ist jetzt der nächste Redner an der Reihe. Das ist für die Landesregierung Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir zurzeit in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen bewältigen müssen, ist eine unglaublich große, es ist eine nationale Aufgabe. Sie ist nicht einfach. Aber ich möchte mich der Ministerpräsidentin anschließen:

Wir schaffen das. Wir kriegen das hin. Bei allen Schwierigkeiten werden wir diese Aufgabe bewältigen.

Was mir persönlich und anderen in der Landesregierung, die in den letzten Wochen sehr eng zusammenarbeiten, ressortübergreifend Mut macht, ist die überwiegende Zahl der Menschen in Nordrhein-Westfalen, die Hilfe leisten wollen, die sich ungefragt in unseren Einrichtungen melden und sich danach erkundigen: Was kann ich wo tun? Wie kann ich helfen?

Es sind Beispiele von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern genannt worden, die ihren Jahresurlaub nehmen, um bei der Essensausgabe in einer Einrichtung zu helfen – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihre Arbeitgeber bitten, sie freizustellen, damit sie ehrenamtlich in einer solchen Einrichtung arbeiten können.

Wer sich – das hat die Ministerpräsidentin getan, und das habe ich, so oft es möglich war, getan – vor Ort in den Einrichtungen erkundigt, der wird feststellen, dass man mit Menschen spricht, die zum Teil 24 Stunden, rund um die Uhr, als Ehrenamtler vor Ort präsent sind und die anpacken, was das Zeug hält. Die ganz überwiegende Zahl dieser Menschen macht dies mit großer Empathie gegenüber den Flüchtlingen, egal, woher sie kommen, ob aus Syrien oder aus Albanien. Sie machen dort keine Unterschiede.

Wir erleben eine große Welle der Hilfsbereitschaft in Nordrhein-Westfalen und in anderen Bundesländern unter – das müssen wir zugeben – allerschwersten Bedingungen. Wir sollten jedem einzelnen Menschen dankbar sein für den Beitrag, den er dazu leistet. Jede Hilfe ist wichtig.

Mein ganz besonderer Dank gilt den Hilfsorganisationen, die mit Ehrenamtlern, aber auch mit Hauptamtlern allein für das Land 120 Einrichtungen betreiben und mit unglaublicher menschlicher Zuwendung betreuen. Überall, wo Sie Gelegenheit haben – das sollten wir uns fest vornehmen, egal welcher Fraktion wir angehören –, diese Menschen zu treffen, sollten Sie diesen Dank im Namen des Parlamentes aussprechen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir fordern von diesen Menschen zurzeit viel. Wir werden ihre Hilfe aber mit Sicherheit auch in Zukunft brauchen. Diese Flüchtlingsbewegung auf der Welt ist nicht in 14 Tagen oder zwei Monaten beendet. Sie wird uns lange Zeit weiter beschäftigen. Auch wenn der eine oder andere Helfer in einer Einrichtung möglicherweise gehört hat: „Schön, dass Sie sich melden; zurzeit können Sie nicht helfen, wir haben genug Leute“ – es wird die Zeit kommen, wo wir jeden Einzelnen brauchen. Wir brauchen, was die Ehrenamtlichkeit in diesem Lande angeht, einen sehr langen Atem, meine Damen und Herren.

Wir haben zurzeit 31.000 Menschen in Landeseinrichtungen untergebracht. Vorhin ist genannt worden, dass wir 2012 1.800 Menschen in den Landeseinrichtungen Nordrhein-Westfalens hatten. Inzwischen sind es 31.000 Menschen, meine Damen und Herren.

Ich will nur daran erinnern, was wir gemeinsam miteinander als Zielzahl beim Flüchtlingsgipfel im Oktober letzten Jahres vereinbart haben, insgesamt 12.000 Plätze zu schaffen. Darüber sind wir weit hinaus, weil die Dynamik der letzten Monate uns dazu gezwungen hat, weil jede Prognose überholt worden ist.

Die dynamische Entwicklung in den letzten Monaten zeigt aber auch, dass die Prognosen, die wir in den letzten Jahren erhalten haben, sich immer wieder als falsch herausgestellt haben. Ich behaupte, Sie werden auch in Zukunft immer fehleranfällig sein. Das hat auch damit zu tun, dass es kaum möglich ist, internationale Krisen und die Flüchtlingsbewegungen, die dann auf Deutschland und auf Nordrhein-Westfalen zukommen, exakt vorherzusagen. Ich schaue gar nicht mehr in den Rückspiegel, um zu sehen, wie oft sich das für diese Prognosen zuständige BAMF in den letzten Jahren geirrt hat, weil es nichts bringt.

Wir müssen jetzt zusammenarbeiten, um die Aufgabe zu bewältigen. Ganz deutlich sage ich: Bund, Länder und Kommunen können dies nur gemeinsam schaffen. Ein gegenseitiges Schwarzer-Peter-Spiel, Verantwortung hin- und herzuschieben, nicht in Lösungen zu denken, sondern in Zuständigkeiten zu denken, wäre ein Fehler. Wir können diese Aufgabe nur gemeinsam schaffen.

Vor zwei Wochen haben vier Innenminister – darunter der Bundesinnenminister – die neuen Flüchtlingszahlen miteinander diskutiert. Sie haben über die Prognose „bis zu 800.000“ diskutiert, Herr Laschet. Ich finde das Bild sehr gut, das Herr de Maizière dabei vermittelt hat. Wenn es jemanden gäbe, der in der Lage gewesen wäre, diese Entwicklung einer Vervierfachung der Flüchtlingszahlen innerhalb von nur zwölf Monaten vorherzusagen, der möge sich bei ihm im Ministerium melden. Er würde dort sofort eingestellt werden, er selbst zusammen mit seiner Glaskugel, Herr Laschet. Ich glaube, Sie wären Bewerber Nummer eins, um einen solchen Job im Bundesministerium zu bekommen.

(Beifall von der SPD)

Weg von der Ironie – hin zum Ernst: Ich fand Ihre Rede dieser Situation nicht angemessen. Ich fand sie – ganz offen gestanden – eine oppositionelle Schlaumeierei in ganz kleinem Pepita.

Ich will nur einige wenige Punkte aufgreifen, die Sie, obwohl wir es in den Fachausschüssen – Kommunalausschuss und Innenausschuss – rauf und runter diskutiert haben, angesprochen haben. Ich hätte es gut gefunden, wenn Sie sich bei Ihren innenpolitischen und kommunalpolitischen Sprechern informiert hätten. Wir sind eigentlich in der Debatte mit Ihrer Fraktion weiter. Das gilt beispielsweise für die Frage, was zurzeit eigentlich das Problem ist.

(Unruhe bei der CDU)

– Herr Laschet, hören Sie einmal zu. Ich habe Ihrer Rede sehr interessiert zugehört.

(Zuruf von der CDU)

Wenn man Probleme analysieren will, muss man offen an sie herangehen, Herr Laschet. Der Flaschenhals im deutschen Asylverfahren ist, dass Länder und Kommunen den Druck verspüren, diese Menschen, die zu uns flüchten, unterbringen und das im Übrigen auch finanzieren zu müssen, der Bund aber allein Herr des Verfahrens ist, wie lange ein Asylverfahren in Deutschland dauert. Bei der Vielzahl der Asylanträge und der Vielzahl der Flüchtlinge offenbart sich jetzt, dass diese drei staatlichen Ebenen nicht ausreichend miteinander austariert sind.

Das eigentliche Problem besteht darin, dass wir in Deutschland 270.000 unbearbeitete Asylanträge haben und dass die durchschnittliche Aufenthaltsdauer sechs Monate beträgt. Das hat zur Folge, dass wir in unseren Gemeinschaftsunterkünften in den Kommunen Menschen haben, die seit einem Jahr oder seit anderthalb Jahren auf die erste Anhörung des BAMF warten, die also noch nicht einmal stattgefunden hat. 270.000 unerledigte Asylanträge stapeln wir aufeinander und kommen auf eine Höhe von 1,2 Kilometern.

(Klaus Kaiser [CDU]: Das zu „Pepita“!)

Das ist der Flaschenhals.

Ich will jetzt gerne zu Ihrer Anregung und Diskussion zu den sicheren Herkunftsländern überleiten. Die Diskussion, ob Staaten wie Mazedonien, Albanien und der Kosovo sicher sind oder nicht, ob es dort eine politische Verfolgung gibt, brauchen wir nicht zu führen.

Wir haben über den Punkt zu diskutieren, ob die Aufnahme solcher Staaten in ein Gesetz, in dem steht, sie sind sicher, von irgendeinem Vorteil ist. – Ich zitiere einmal den Bundesinnenminister.

(Zuruf)

– Quatsch, das ist nicht von Vorteil. – Der Bundesinnenminister hat selbst gesagt: Wir haben uns mehr davon versprochen.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Herr Laschet, ich glaube, auch Sie wollen nicht an der Tatsache rütteln, dass das Asylrecht nach unserer Verfassung in Deutschland ein Individualrecht ist.

(Armin Laschet [CDU]: Ach was!)

Jeder hat einen Anspruch auf eine persönliche Anhörung. Dieses Gesetz über sichere Herkunftsstaaten hat vielleicht den Vorteil, dass sich die Bearbeitungszeit um 10 oder 30 Minuten verkürzt. Das sagen uns die Praktiker aus dem BAMF. Bei sechs Monaten Bearbeitungszeit wird deutlich, Herr Laschet: Das ist eine Scheindebatte.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Herr Laschet, wir könne so etwas gerne in ein Gesetz schreiben. Das ist gar kein Problem. Aber den Menschen suggerieren, das sei eine Lösung,

(Armin Laschet [CDU]: So ist es!)

ist falsch. Herr Laschet, Sie wissen, das eigentliche Problem ist das BAMF mit seinen seit Jahren viel zu geringen Bearbeitungskapazitäten. Die Folgen haben die Länder, aber vor allem die Kommunen auszubaden: dass Menschen viel zu spät und nicht ehrlich genug gesagt bekommen, ob sie in diesem Land eine Zukunft haben oder nicht.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Sie sind in einem zweiten Punkt unlogisch, wie ich finde.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Laschet?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ist das bei einer Unterrichtung möglich?

Vizepräsident Oliver Keymis: Ja, klar.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ja, dann gerne.

Armin Laschet (CDU): Sie sind gerade nicht der Unterrichtende, sondern Sie geben einen Wortbeitrag. Die Unterrichtung war ja vorher. Insofern kann man jetzt eine Zwischenfrage stellen.

(Minister Ralf Jäger: Bitte sehr!)

Sie banalisieren alles mit den sicheren Herkunftsländern. Ich würde Sie deshalb gerne fragen: Warum hat es in der Sommerpause eine Schaltkonferenz des SPD-Präsidiums mit den Ministerpräsidenten und dem Bundesvorsitzenden gegeben, nach der man als Ergebnis verkündet hat, die SPD-Ministerpräsidenten wollten drei weitere sichere Herkunftsländer benennen? Wenn das alles so banal ist, wie Sie uns das hier suggerieren, weshalb hat dann Ihre Regierungschefin eigentlich an dieser Schalte teilgenommen und zugestimmt?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Laschet, ich habe an dieser Schalte nicht teilgenommen. Sie wahrscheinlich auch nicht.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Herr Laschet, Sie haben mir eine Frage gestellt. Ich versuche gerade, diese zu beantworten. Wenn Sie mir zuhören würden, würden Sie die Antwort auch verstehen. Es geht doch nicht um die Frage einer Politiktaktik, sondern es geht um die Frage des Inhalts.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Herr Laschet, ich bin immer noch bei der Antwort.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Wenn wir beispielsweise den Kosovo als sicheres Herkunftsland einstufen würden, würde sich irgend-etwas an dem Asylverfahren ändern?

(Armin Laschet [CDU]: Ja!)

– Nein!

(Zuruf von der CDU: Ja!)

Das Recht auf individuelle Anhörung bleibt.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Herr Laschet, Sie haben keine Ahnung.

(Zurufe von der CDU)

Solange es so bleibt, dass ein Verfahren sechs Monate dauert, wird uns das kein Stück nach vorne bringen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich nenne ein anderes Beispiel, bei dem ich finde, Sie müssten sich mehr sachkundig machen.

(Lebhafte Zurufe von der CDU)

Herr Laschet, Sie haben in Interviews erklärt, es gäbe einen Kostendeckungsbeitrag des Landes gegenüber den Kommunen von 22 %. Sie haben es in Ihrer heutigen Rede ein Stück weit revidiert, indem Sie von einem Drittel sprechen.

Der Landkreistag hat vor wenigen Tagen veröffentlicht, wie in anderen Bundesländern die Kosten zur Unterbringung von Flüchtlingen eingeschätzt werden. 10.000 € pro Jahr. Die Flüchtlingspauschale des Landes Nordrhein-Westfalen an die Kommunen zur Mitfinanzierung der Unterbringungskosten beträgt 7.578 €, unabhängig vom Stichtag 1. Januar eines Jahres und unabhängig davon, wie lange der Flüchtling tatsächlich bleibt. Bildet man den Dreisatz 7.578 € x 100 : 10.000 €, kommt dabei ein Ergebnis heraus, welches nicht 22 % beträgt.

(Armin Laschet [CDU]: Ich habe auch nicht „22 %“ gesagt!)

– 22 % haben Sie in Interviews gesagt. Heute haben Sie von einem Drittel gesprochen. Es ist deutlich mehr.

(Zuruf von der CDU)

Ich nenne Ihnen das Ergebnis nicht. Kein Mensch kennt den Kostendeckungsgrad. Wir sitzen gerade mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammen und diskutieren mit Ihnen, was sie ausgeben, was das Land zahlt und was hoffentlich nach dem 24. September endlich der Bund dazu beiträgt, um strukturell nachhaltig und dynamisch die Unterbringungskosten für die Kommunen mitzufinanzieren. Dann kommen wir zu einem Kostendeckungsgrad.

Ich bitte Sie, Herr Laschet, nicht ständig irgendwelche Zahlen in den Raum zu stellen, die schlichtweg falsch sind.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie fordern weiter, dass die Menschen vom Westbalkan möglichst in Landeseinrichtungen bleiben und direkt zurückgeführt werden. Theoretisch ist das ein guter Beitrag.

(Zuruf von der CDU: Das macht die Schweiz auch!)

Praktisch ist das unmöglich. Das gelingt übrigens in keinem einzigen Bundesland in Deutschland.

(Armin Laschet [CDU]: Bayern macht es seit gestern!)

– Herr Laschet, auch da bitte ich um mehr Sachkunde. Bayern beginnt jetzt,

(Armin Laschet [CDU]: Ja!)

nach einem großen, martialisch-rhetorischem Aufstand, zwei Einrichtungen mit 2.000 Plätzen für Menschen vom Westbalkan zu führen.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Hören Sie doch zu, Herr Laschet! – Sie sollen dort so lange bleiben, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist.

Unsere jetzt unterschriftsreife Vereinbarung mit dem BAMF bedeutet, wir haben 1.200 Menschen in unseren Einrichtungen bis zum Abschluss des Verfahrens. Warum sind es in Bayern nur 2.000 und in Nordrhein-Westfalen nur 1.200? Weil das BAMF mit seinen Mitarbeiterkapazitäten nicht in der Lage ist, schneller und für mehr Menschen über Asylanträge zu entscheiden, Herr Laschet!

Wenn Sie sagen, in Bayern ist alles so toll, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, wir machen es ähnlich, aber wertschätzend und mit Respekt gegenüber den Menschen, die in unseren Einrichtungen leben. Wir tun es nicht mit diesen martialischen Worten wie die bayerischen Kollegen.

Ich sage Ihnen: Machen Sie sich sachkundig. Alleine Nordrhein-Westfalen nimmt pro Woche etwa 4.000 Menschen aus dem Westbalkan auf. Daran sehen Sie, dass Ihr Vorschlag höchstens theoretisch eine Rolle spielen kann. Praktisch ist er in Nordrhein-Westfalen und im ganzen Bundesgebiet nicht umsetzbar.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben viele Menschen in unseren Noteinrichtungen und Notunterkünften untergebracht. Wir haben viele Gespräche mit unseren Hilfsorganisationen geführt. Sie bescheinigen uns alle unisono – und ich teile diese Auffassung –:

Wir müssen von der Vielzahl der Notunterkünfte herunterkommen. Wir brauchen feste Unterkünfte, möglichst in einer Größenordnung oberhalb von 500 Menschen, die untergebracht werden können, weil die Vielzahl kleiner Einrichtungen unsere Hilfsorganisationen vor große logistische personelle Probleme stellt. – Das ist das Konzept, der Weg, den wir jetzt beschreiten.

Die Ministerpräsidentin hat angedeutet, dass wir die Einrichtungen unseres Landes konsequent weiter ausbauen auf eine Größenordnung oberhalb von 500 Menschen, die dort untergebracht werden. Wir wollen bis zum Ende des Jahres die Zielzahl von 60.000 Plätzen erreichen.

60.000, Herr Laschet! Im Jahre 2007 haben wir im ganzen Jahr 5.400 Menschen in diesem Land untergebracht. Demnächst werden wir 60.000 Plätze haben. Hier davon zu reden, wir hätten nicht genug getan, zeigt doch nur,

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

dass Sie einfach nur ein oppositionelles Spielchen treiben wollen, ohne die Leistungen der Menschen, die dahinterstehen, anzuerkennen.

(Armin Laschet [CDU]: Hören Sie doch den Kommunen zu! Das ist oberlehrerhaft!)

Das hat nämlich nicht die Landesregierung gemacht. Das haben unsere Beamtinnen und Beamten in den Bezirksregierungen geleistet, auch die Beamtinnen und Beamten in den Kommunen, die mit vielen Menschen in den Hilfsorganisationen das gestemmt haben. Und Sie diskreditieren deren Leistung, wenn Sie mit diesen Zahlen so umgehen, Herr Laschet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das Stichwort „Registrierung“ war genannt worden. – Ja, wir müssen die Menschen registrieren. Auch hier muss sich Ihnen leider widersprechen, Herr Laschet: Wir haben deshalb so viel mehr als nach dem Königsteiner Schlüssel – den im Übrigen die Bürgerinnen und Bürger kaum kennen, die Asylbewerber, die sich einen Weg nach Europa, nach Deutschland suchen, schon gar nicht –, weil viele von ihnen nach Nordrhein-Westfalen kommen, sodass wir in Nordrhein-Westfalen zurzeit 30 % der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, aufnehmen. Wir müssen sie in den ersten Tagen unterbringen, medizinisch untersuchen, röntgen, registrieren, möglicherweise dann auch auf andere Länder weiterverteilen. Aber das stellt eine zusätzliche Belastung des Landes Nordrhein-Westfalen dar.

Trotzdem sage ich: Wir werden dieses schaffen. Es gibt auch andere Länder mit besonderen Situationen wie Bayern, das gestern um Hilfe gerufen hat. Ich mache es Bayern nicht zum Vorwurf, aber es zeigt, welchen Druck, welche zusätzlichen Problemlagen gerade große Bundesländer wie Bayern und Nordrhein-Westfalen zurzeit bewältigen.

Ich habe gerade dargestellt, was wir in den letzten Monaten aufgebaut haben. Ich finde das, was da geleistet worden ist, großartig. Und neben dem Dank an die Hilfsorganisationen muss ich deutlich sagen: Das Bild des öffentlichen Dienstes, der über Beamte verfügt, die nur lochen, knicken und abheften können, ist Lügen gestraft. Ich erlebe tagtäglich Beamtinnen und Beamte, die mit großer Kreativität, mit Ideen, unheimlichem Engagement diese Aufgabe zurzeit stemmen. Wenn mich jemand Anfang des Jahres gefragt hätte, ob wir es in sieben Monaten schaffen, 90.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen aufzunehmen, hätte ich gesagt: Das schaffen wir nicht.

Aber wir haben es geschafft, meine Damen und Herren. Das ist eine riesige Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen, vor allem der Bürger und Bürgerinnen, die vor Ort die Ärmel hochkrempeln, arbeiten und nicht kritisieren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde gerne auf jeden Fall noch zwei, drei Punkte im Rahmen meiner Redezeit ansprechen.

Das ist zum einen die Frage der europäischen Flüchtlingspolitik. Die europäische Flüchtlingspolitik ist in manchen Staaten ein Armutszeugnis, ein Armut an Menschlichkeit. Ich kann den Wunsch verstehen, dass Länder der Europäischen Union beitreten wollen. Aber dieser Verbund von 28 Staaten ist auch eine Wertegemeinschaft. Und diese Werte sind eine warme Decke für die Europäische Union. Unterhalb dieser Decke darf es keine menschliche Kälte geben. Ich finde es unverantwortlich, dass sich manche Staaten der Europäischen Union überhaupt nicht daran beteiligen, Flüchtlinge in Europa aufzunehmen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich glaube aber auch, dass sich die Europäische Union mit der Frage des Westbalkans intensiver beschäftigen muss. Zu glauben, dass sich ein Europa der freien Grenzen, des freien Warenverkehrs und der freien Dienstleistungen zugleich einen armen Hinterhof direkt vor der Haustür leisten kann, nämlich den Westbalkan, und die Menschen nur deshalb dort bleiben, weil wir ihnen sagen, dass sie dort bleiben, wird nicht funktionieren.

Wir müssen als Europäische Union dringend die Fluchtursachen im Westbalkan bekämpfen, die da heißen: bitterste Armut, Perspektivlosigkeit und tiefe Korruption in diesen Staaten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich würde gerne noch einen Satz mit Blick auf die syrischen Flüchtlinge und auf das, was sich dort abspielt, sagen. Der Bürgerkrieg und die Flüchtlingsbewegung aus und in Syrien ist die humanitäre Katastrophe unseres Jahrzehnts. 7,5 Millionen Menschen sind dort auf der Flucht – 4 Millionen innerhalb Syriens, 3,5 Millionen haben es überwiegend in die Länder Jordanien, Türkei und Libanon geschafft. Libanon mit 4,5 Millionen Einwohnern hat 1 Million Flüchtlinge aufgenommen.

Ich sage ganz deutlich zu der Debatte, die wir in Deutschland führen: Wenn ein Mensch um sein Leben rennt, lässt er sich nicht aufhalten – nicht aufhalten von Zäunen oder von Grenzen oder von Taschengelddiskussionen.

Deshalb glaube ich, dass wir solche Diskussionen in Deutschland auf das Maß reduzieren sollten, das dem Thema angemessen ist. Wir sollten uns damit auseinandersetzen, dass diese tiefe Tragödie in Syrien und die Fluchtbewegungen aus den Lagern nicht in zwei Wochen, nicht in zwei Monaten, möglicherweise auch nicht in zwei Jahren beseitigt werden können.

Ich möchte als Innenminister noch etwas erwähnen, was mir wirklich Sorgen macht: Das sind die Attacken auf Flüchtlingseinrichtungen. Es gibt sie auch in Nordrhein-Westfalen. Schändlich!

Gott sei Dank ist in Nordrhein-Westfalen noch kein Mensch dadurch zu Schaden gekommen. Aber ich finde, da wird nicht das Gesicht Deutschlands sichtbar, das von Rechtsstaatlichkeit, Humanität und Solidarität geprägt ist, sondern da wird eine Fratze kalten Ausländerhasses sichtbar, im Übrigen oft unter dem Deckmantel des besorgten Bürgers vorgeführt und organisiert von bekannten Rechtsextremisten, die für sich in Anspruch nehmen, der vermeintlich verlängerte Arm der schweigenden Mehrheit zu sein.

Deshalb ist es Aufgabe der Mitte der Gesellschaft, der Repräsentanten dieses Staates und der Demokraten, egal, welcher Partei oder Fraktion sie angehören, dem entschlossen und geschlossen entgegenzutreten, und zwar in allem: in Wort, in Schrift, in Taten und im Handeln, Herr Laschet. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Als Letztes: Ich habe eingangs gesagt, das ist eine nationale Aufgabe, der wir uns jetzt zu stellen haben. Es ist eine große Aufgabe, die wir, wenn wir gemeinsam handeln, auch bewältigen werden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Kuper.

André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben aktuell eine Jahrhundertaufgabe, die sicherlich nicht leicht ist. Die aktuelle Presse und viele von uns versuchen, damit konstruktiv umzugehen. Selten fehlt der Hinweis, dass wir angesichts der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels auf Zuwanderung angewiesen sind. Das alles stimmt. Und doch ist es nicht die ganze Wahrheit.

Es ist wichtig, dass wir uns jeglicher Form der Intoleranz oder der Gewalt gegenüber Flüchtlingen entgegenstellen. Aber genauso wichtig ist es, dass wir der Realität ins Auge sehen.

In diesem Jahr kommen voraussichtlich 800.000 Menschen in unser Land – 200.000 davon nach NRW. 40 % von ihnen sind Menschen aus dem Westbalkan. Diese fliehen nicht vor Verfolgung, sondern aufgrund von Armut und Perspektivlosigkeit. Dafür bietet das Grundgesetz eben keine Möglichkeit, hierzubleiben. Das sind keine Asylgründe, und das muss man auch einmal ganz deutlich zum Ausdruck bringen.

Ehrliche Politik muss sagen: Wir haben eine Jahrhundertaufgabe, die nicht leicht ist, der wir uns aber stellen müssen. – Wenn wir sie bewältigen, bieten sich uns allen viele Chancen. Zuvor gibt es aber eine Vielzahl an besonderen Herausforderungen. Diese muss man auch benennen: die Aufnahme, die Unterkunft, die Versorgung, die Aufnahme in die Kindertageseinrichtungen – das ist eine Riesenherausforderung –, die Aufnahme in die Schulen und die Arbeitswelt, die Schaffung eines entsprechenden Wohnraumes und vieles andere mehr.

Ich glaube, für die Akzeptanz ist es wichtig, die Hilfe auf die zu konzentrieren, die wirklich verfolgt werden. Wer nach der Rechtsprechung aufgrund des Verfassungsrechtes kein Asyl erhält, der muss in die Heimat zurück, und ich denke, das muss man der Öffentlichkeit auch mit Deutlichkeit und Klarheit sagen.

(Beifall von der CDU)

Daneben ist die Perspektive eines Einwanderungsrechts sicherlich neu zu diskutieren. Dazu trägt unser Fraktionsvorsitzender und Landesvorsitzender maßgeblich bei.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn man diese Diskussion verfolgt, dann sieht man, dass vieles von dem, was in den Kommunen in der Realität gerade zu leisten ist, derzeit ausgeblendet wird. Im Moment lesen wir beispielsweise Titelzeilen wie „Kommunen warnen vor Kollaps bei Asyl-Unterkünften“. Die Oberbürgermeister von Bielefeld und Dortmund sagten heute Morgen: Wir brauchen eine verbindliche und faire Kostenteilung. – Sie sagen aber auch: Wir stehen mit den Menschen da, und wir werden überrannt.

Es gibt in der Praxis eine Vielzahl an Problemen. Diese werden hier ausgeblendet. Das ist natürlich nicht richtig. Es ist sicherlich notwendig, nach dem Bund zu rufen, aber zunächst einmal müssen wir hier in diesem Hause unsere eigenen Hausaufgaben machen. Das wird an vielen Stellen aber ausgeblendet.

(Beifall von der CDU)

In § 44 Asylverfahrensgesetz steht:

„Die Länder sind verpflichtet, für die Unterbringung ... die dazu erforderlichen Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen und ... die ... notwendige Zahl von Unterbringungsplätzen bereitzustellen.“

Das steht dort so, und man muss sich fragen: Wie ist das denn in Nordrhein-Westfalen derzeit? Es wird zwar von 26.000 Unterkunftsplätzen gesprochen. Wer stellt sie aber bereit? 10.000 stellt das Land NRW aus eigener Kraft bereit, 16.000 wurden als sogenannte Notunterkünfte oder EAEs und ZUEs neuen Typs durch die Kommunen bereitgestellt. Die Kommunen müssen hier eine Doppelaufgabe leisten. Sie sind an vielen Stellen auf Ad-hoc-Maßnahmen angewiesen und stehen teilweise komplett alleine im Regen. Hier müssen eine bessere Planung und eine konzeptionell bessere Unterstützung her.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben eben über sichere Herkunftsländer gesprochen. Immer wieder wird erzählt, das alles bringe nichts. Ich denke, man wird in ein paar Wochen neue Zahlen, Daten und Fakten haben und durchaus sehen und belegen können, dass da doch etwas dran ist.

Herr Minister, wenn Sie unseren Antrag gelesen hätten, dann hätten Sie auf Seite 5 ein paar Punkte gesehen, die man in den Vordergrund stellen könnte: Mit der Ablehnung der Asylanträge von Personen aus sicheren Herkunftsländern ist gleichzeitig der Erlass einer Abschiebeandrohung möglich. Diese würde zur Ausreiseverpflichtung innerhalb einer Woche führen. Außerdem verkürzen sich die Fristen im Rechtsschutzverfahren ebenso wie die Dauer der gerichtlichen Entscheidung jeweils auf eine Woche. Daneben hätten wir die Möglichkeit der Anordnung eines Wiedereinreise- bzw. Aufenthaltsverbotes.

Im Moment hören wir aus den Kommunen tagtäglich, dass Flüchtlinge aus diesen Staaten freiwillig ausreisen und nach wenigen Tagen oder Wochen wieder in genau der Stadt stehen, aus der sie früher ausgewiesen worden sind, und ihren Wiederholungsantrag stellen. Das gehört zur Wahrheit auch dazu. Von daher kann dies ein geeignetes Mittel sein. Wir müssten in dieser Situation alle Möglichkeiten, die wir auch nur ansatzweise haben können, auch tatsächlich ausschöpfen.

Lassen Sie mich auch noch ein paar Worte zur Gesundheitskarte sagen. Das ist ein Schritt auf dem Weg in die richtige Richtung. Allerdings muss man deutlich fragen: Was verändert sich damit? Es verändert sich damit die Situation der Flüchtlinge. Sie müssen nicht mehr, wie bisher, ins Fachamt des Rathauses gehen und um einen Behandlungsschein bitten. Damit ändert sich auch die Bürokratie innerhalb der Verwaltung ein Stück weit; das ist auch richtig. Die Kosten haben derzeit aber immer noch die Städte und Gemeinden und damit die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmer zu tragen. Sie sind über die Grund- und Gewerbesteuer von jedem Einzelnen zu finanzieren, und das ist nach wie vor falsch.

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle beende ich meinen Beitrag und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kuper. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst kurz – mehr auch nicht, Herr Marsching – auf einen aus meiner Sicht wirklich unsäglichen Wortbeitrag – der Herr Präsident hat das aus Sicht des Präsidiums ja auch schon gewürdigt –

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Ist ja nicht seine Aufgabe!)

eingehen. – Der Versuch, hier durch eine pauschale Diffamierung von eigenen Konzepten abzulenken und uns demokratische Politikerinnen und Politiker für Exzesse im rechtsextremen Bereich mitverantwortlich zu machen, ist schändlich und wird von mir in aller Schärfe zurückgewiesen.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP – Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist aber die Wahrheit!)

Weil schon vieles erläuternd und erklärend gesagt worden ist, will ich den Versuch unterlassen, jeden einzelnen Irrtum aus unserer Sicht richtigzustellen.

Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, anhand unseres Entschließungsantrages den Blick darauf zu richten, dass die Probleme, über die wir heute reden, nur im Zusammenwirken aller politischen Ebenen und auch nur im Schulterschluss zwischen allen Demokratinnen und Demokraten und der Zivilgesellschaft zu lösen sind. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese Probleme gemeinsam in Angriff nehmen und lösen werden.

Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedarf es aber an der einen oder anderen Stelle des genaueren Hinschauens.

Ich fange bei der Definition „sichere Herkunftsländer“ an. Wir haben als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer gesagt: Natürlich kann man darüber reden. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, der Wortbeitrag des verehrten Kollegen Kuper ist eine Verschlimmbesserung gewesen. Die Wirkungen, die Sie in die Definition des Gesetzgebers hineinlegen, kann die Definition nicht entfalten. Das wäre ein Placebo an genau der falschen Stelle.

Ich will Ihnen vortragen, was andere auf Bundesebene dazu gesagt haben. Selbst der Bundesminister des Inneren hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens … Apropos Gesetzgebungsverfahren, lieber Herr Laschet, selbst wenn wir jetzt darüber diskutieren, bedarf es eines Bundesgesetzgebungsverfahrens, was Monate, wenn nicht gar Jahre in Anspruch nimmt, und am Ende wird es zu einer Definition kommen, von der alle Fachleute eines sicher wissen: Die Verfahren werden dadurch nicht beschleunigt.

Das, was Kollege Kuper eben angeführt hat, hat überhaupt nichts damit zu tun, ob wir den Begriff „sichere Herkunftsstaaten“ definieren oder nicht. Denn die laufenden Verfahren werden von der Definition gar nicht beeinflusst, sondern sie führt erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens dazu, dass man handeln kann. Endgültig abschlägig beschiedene Verfahren sind genauso zu beurteilen. Insofern ist das, Herr Kollege – mit Verlaub –, faktenfreier Unsinn gewesen, den Sie zu dem Thema vorgetragen haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Widerspruch von André Kuper [CDU])

Lieber Kollege Laschet, wenn Sie uns nicht glauben, empfehle ich Ihnen die Gesetzesbegründung der Bundesregierung in der Bundestagsdrucksache 18/1528 zu den schon als sichere Herkunftsländer eingestuften Ländern. Darin wird darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser Frage nur um eine geringfügige Entlastung bei dem Verwaltungsverfahren handelt – man höre genau hin –: Der Verwaltungsaufwand wird um maximal zehn Minuten reduziert.

Wir versuchen alle gemeinsam, den Bund dazu zu veranlassen, in seiner Verantwortung die nötigen Schritte für zügige Verfahren zu unternehmen, die benötigten Personen einzustellen und die notwendigen finanziellen Ressourcen einzusetzen. Nur das wird dem Anspruch auf schnellere Verfahren gerecht.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer versucht, die Frage der sicheren Herkunftsländer hochzustilisieren, hat entweder von der Sache keine Ahnung oder verfolgt womöglich ganz andere Zwecke, die von der eigenen Konzeptionslosigkeit in der Sache ablenken.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Herr Kollege Laschet, ich hätte mir von Ihnen gewünscht, dass Sie sich zu der Beschleunigung der Verfahren von Menschen, die aus Herkunftsländern stammen, wo die Anerkennung mit fast 100%iger Sicherheit erfolgt, verhalten hätten. Das geht ganz einfach. Da haben wir humanitär, gesetzgeberisch und politisch erheblichen Handlungsbedarf, der mit wesentlich weniger Aufwand erfüllt werden kann.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch etwas zu der Wirkung, die Sie hineingeheimnissen, sagen. Wo bitte nehmen Sie Ihre Erkenntnisse – die Glaskugel hat Herr Minister Jäger eben schon bemüht – bei dem Gesetzgebungsverfahren her, das seine Wirkungskraft erst ab dem 1. August 2015 entfaltet? Seitdem ist die Definition in Kraft. Ihre Zahlen, die Sie vortragen, sind Fantasiegebilde.

Wenn es eine Wirkung in den Herkunftsländern gegeben hat – auch da empfehle ich ein Informationsgespräch mit Ihren Vertreterinnen und Vertretern im Innenbereich –, ist sie der gezielten Informationskampagne zu verdanken, die wir in den Herkunftsländern durchgeführt haben. Natürlich müssen wir den Menschen, die keine langfristige Bleibeperspektive haben, rechtzeitig vorher vermitteln: Ihr habt keine Chance, hier durch einen Asylantrag einen dauerhaften Aufenthalt zu begründen.

Eine andere Frage ist auch sehr interessant. Eben hat Kollege Kuper seinen Fraktionsvorsitzenden als Helden in Fragen eines Zuwanderungsgesetzes dargestellt. – Da kann ich nur sagen, Herr Kuper, Ihr Fraktionsvorsitzender ist allenfalls ein tragischer Held. Bis jetzt hat er keinen Erfolg verbucht, die CDU dazu zu bewegen, eine vernünftige Zuwanderungsgesetzgebung zu machen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich kann mit Kritik leben, ich kann auch ein bisschen mit oppositioneller Rhetorik leben, wenn sie nach dem Motto erfolgt: Wir haben immer schon alles besser gewusst.

Aber ein Wortbeitrag der Opposition hat sich, ohne den Kollegen Stamp über den grünen Klee zu loben – gerade wollen Sie den Saal verlassen; das müssen Sie sich jetzt gefallen lassen –, wohltuend von den anderen unterschieden. Der Einzige, der eingeräumt hat, dass das Wichtigste mit Stellschrauben auf Bundesebene zu bewegen ist, dass es auf eine europäische Perspektive ankommt, dass es darum geht, auch Fluchtursachen ins Auge zu fassen und zu überlegen, wie man die gemeinsam bekämpfen kann,

(Zuruf von den PIRATEN)

war Kollege Stamp von der FDP. Ich wünsche Ihnen, bezogen auf die anderen Oppositionsfraktionen, viel Kraft und viel Erfolg. Uns haben Sie an Ihrer Seite; die anderen offensichtlich noch nicht so sehr.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch einige Punkte nennen, die Sie als CDU von uns, bezogen auf eine Integrationskonzeption, verlangen. Das ist wie die Geschichte von dem Hasen und dem Igel. Ihr Antrag ist ein Dokument der Konzeptionslosigkeit. Das, was Sie sich konzeptionell vorstellen, läuft auf das Hase-und-Igel-Spiel hinaus: All das machen wir schon, lieber Herr Kollege Laschet.

Ich will jetzt nichts mehr zu der populistischen Forderung sagen, den Leuten ihr Taschengeld gegen Recht und Gesetz absprechen zu wollen.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Ich will nur auf einen Erfolg hinweisen.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Das ist zumindest nicht von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gewesen, Herr Laschet. Erkundigen Sie sich mal bei der CSU! Sie werden in dem Zusammenhang auch zitiert.

Ich will auf den Erfolg hinweisen, der für uns und unsere Kommunen zumindest bürokratische Erleichterungen bringt: die Gesundheitskarte.

Ich habe von Ihnen vermisst, dass Sie sich dazu positiv verhalten. Das ist ja auch eine Frage individueller Menschlichkeit den betroffenen Personen gegenüber. Heute Morgen – normalerweise orientiere ich mich nicht an Dingen, die in sozialen Netzwerken stehen – habe ich bei Facebook eine Aussage gefunden. Ich lese die einfach einmal vor, und dann gucken wir, woher sie stammt:

„Die Einführung einer Gesundheitskarte für Asylbewerber in NRW ist bestenfalls ‚gut gemeint‘ – was sich aber auch hier leider wieder als Gegenteil von ‚gut‘ erweist: Die Menschen, die zu uns kommen, müssen ordentlich versorgt werden. Aber in der jetzigen Situation sollten Länder und Kommunen alles unterlassen, was Schlepper auf dem Westbalkan zur Werbung für die Reise nach Deutschland missbrauchen können. Wie soll der Bund einem Land wie NRW denn noch mehr helfen, wenn hier immer neue Wanderungsanreize für diejenigen gesetzt werden, für die Asyl gar nicht in Betracht kommt?“

Wissen Sie, von wem diese Unsäglichkeit stammt? Wissen Sie, für wen Sie sich da schämen müssen? – Für den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Günter Krings im Bundesinnenministerium, der einen solchen unheilvollen Mist auf seine Homepage gesetzt hat.

(Beifall von der SPD)

Das, lieber Herr Laschet, entlarvt doch die Doppelzüngigkeit von Christdemokratinnen und Christdemokraten an der Stelle. Wenn Sie noch nicht einmal Ihren Staatssekretär in Berlin dahin gehend beeinflussen können, dass er sich auch die humanitären Aspekte einer solchen Regelung sowie die bürokratischen Entlastungen einmal vor Augen führt, dann kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie das nicht im Griff haben, wie wollen Sie denn dann wirkungsvoll nordrhein-westfälische Interessen in Berlin vertreten, wenn es darum geht, langfristig zu Regelungen zu kommen?

Ich darf ganz deutlich sagen: Ja, das ist nur ein Zwischenschritt. Ich habe die Gesundheitskosten extra herausgenommen, weil das einer der Punkte ist, die unsere Kommunen wirklich richtig belasten. Die Gesundheitskarte ist nur eine Vereinfachung. Wir haben mehrfach gefordert: Lassen Sie uns gemeinsam das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen. Ich weiß, das ist mit der CDU in Berlin im Augenblick nicht zu machen. Lassen Sie uns aber doch gemeinsam den Schulterschluss suchen, um zu erreichen, dass die Gesundheitskosten von Berlin ersetzt werden.

Die Einzige, die da wirklich zuverlässig ist, ist die Kollegin Nahles. Sie ist hingegangen und hat jetzt sehr deutlich gemacht, dass sie uns die nötige Unterstützung auch mit Blick auf die Kommunen gewährleisten will. Das, was wir hier brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Schulterschluss derjenigen, die sich für die Menschen, die zu uns kommen und Schutz und Hilfe suchen, einsetzen, die sich für die Interessen der Kommunen einsetzen und die sich für den Ausbau der zivilgesellschaftlichen Strukturen einsetzen, ohne die wir an der Stelle nicht so gut aufgestellt wären.

Das, was wir am wenigsten brauchen können, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kleinteilige parteipolitische Besserwisserei, die uns nur davon abhält, unsere Arbeit zu machen. Herr Kollege Laschet, Sie und Ihre CDU sind kein Teil der Lösung. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Düker das Wort.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gab es im letzten Jahr noch eine jährliche Verdoppelung der Zugangszahlen von Asylsuchenden nach Deutschland und auch nach NRW, werden wir in diesem Jahr eine Vervierfachung, vielleicht sogar eine Verfünffachung der Zugangszahlen erleben. Kamen vor sieben Jahren noch 5.000 bis 7.000 Flüchtlinge pro Jahr nach Nordrhein-Westfalen, sind das jetzt die Zahlen pro Woche.

Ja, diese Zahlen fordern alle unheimlich. Sie bringen alle an den Rand der Leistungsfähigkeit. Aber hier sind – das will ich sagen – alle an den Rand der Leistungsfähigkeit gelangt: das Land, die Hilfsorganisationen, die Kommunen und auch der Bund.

Wie reagiert jetzt Politik? Wir haben die Situation nun häufig genug in Reden beschrieben. Was zeigt diese Debatte? Leider – das konnten wir heute auch wieder par excellence von der CDU erleben – ergeht sich Politik, lieber Herr Laschet, hier in altgewohnten Reflexen:

Erster Reflex – ganz beliebt – ist das Schwarze-Peter-Spiel. Immer ist der jeweils andere – natürlich möglichst im anderen politischen Lager oder auf einer anderen politischen Ebene – schuld. Wenn der nur alles richtig machen würde, wäre alles gut. Dabei geht es um ein Organisationsversagen der Landesregierung, und es wird gesagt: Die Kommunen sind die Armen. Der Bund macht alles prima. Und wenn Armin Laschet Ministerpräsident wäre, dann würde das hier aber mal richtig gut klappen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der CDU: Ganz genau!)

Herr Laschet, das nimmt Ihnen niemand mehr ab. So billig kommen Sie hier nicht davon! Das funktioniert nicht!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Leider reihen sich bei diesem Schwarze-Peter-Spiel – ich muss es leider sagen; das darf ich als Grüne auch – auch Sozialdemokraten ein.

Der Oberbürgermeister von Dortmund ist heute schon oft zitiert worden. Was er mit seiner Erstaufnahme macht, funktioniert so auch nicht. Ja, es kommen fast 80 % der Flüchtlinge nach Dortmund, weil die Leute wissen, dass sich dort eine Erstaufnahme befindet. Ja, sie stehen vor der Tür und können nicht aufgenommen werden. Vielleicht aber, liebe Stadt Dortmund, nimmt man eher als Erstes den Hörer in die Hand und bespricht sich mit dem Innenministerium, als die Presseerklärung dazu zu schreiben, um genau zu wissen, wer hier versagt hat.

Nein, das Land schickt der armen Stadt Dortmund nicht die Flüchtlinge. Nein, das Land ist hier nicht schuld. Vielleicht setzt man sich zusammen, macht einen Round Table, bespricht die Probleme und findet dann auch Lösungen.

Der zweite Reflex besteht in dem guten alten Prinzip Abschreckung: weniger Taschengeld, Sachleistungen. Arbeitsmarktzugang? – Fehlanzeige! Das wird erst einmal erschwert. Es hat ja einen Pull-Effekt. Weiter geht es dabei um die Wiedereinführung von Visa. Und jetzt kommt die ultimative Zauberformel der CDU in der Überschrift Ihres Antrages: Die sicheren Herkunftsländer müssen her. Das wird – Sie haben das jetzt auch noch einmal gesagt – mit der vollmundigen Behauptung – ich weiß gar nicht, woher Sie die eigentlich nehmen – verbunden: Wenn wir das alles machen, dann kommen die schon nicht mehr. Ich meine, der Zaun in Ungarn zeigt ja gerade, wie solche Systeme funktionieren: nämlich gar nicht.

Lieber Herr Laschet, ich glaube, mit diesen alten Reflexen überlebt man – das sei Ihnen zugestanden – die nächste Talkshow, die nächste Debatte – da kann man einmal richtig auf den Putz hauen – oder das nächste Zeitungsinterview. Ich kenne sie im Übrigen aus den 90er-Jahren. Damals war ich Kommunalpolitikerin und habe damals angesichts der steigenden Zahlen genau dieselben Reflexe erlebt. Es war genau dasselbe Muster, was Sie auch hier wieder an den Tag legen. Das eignet sich für die Talkshow, aber das eignet sich nicht, Herr Laschet,

(Armin Laschet [CDU]: Die Grünen machen eine andere Politik in Hessen!)

Probleme zu lösen.

Vor allen Dingen lenken Sie mit diesen alten Reflexen davon ab. Das sage ich hier auch noch einmal ganz klar, vielleicht auch selbstkritisch in die eigene Richtung. Wir sollten uns mal alle an die eigene Nase fassen, ehrlich eigene Versäumnisse eingestehen, Verantwortung übernehmen, Realitäten anerkennen und vor allen Dingen wirksame, vielleicht auch schwierigere, kompliziertere Lösungen gemeinsam mit nach vorne bringen. Und die gibt es. Es gibt Antworten und Ansätze, die man aber besser gemeinsam in dieser Situation findet.

Zunächst zum Problem der Strukturen: Ja, ich habe die Zahlen gerade genannt. Unsere Aufnahmekapazitäten sind nicht auf diese steigenden Zahlen eingestellt. Das ist so. Das hätte man vielleicht früher wissen können, ja, vielleicht auch Sie, als Sie Unna-Massen geschlossen haben. Aber das mache ich Ihnen hier auch nicht zum Vorwurf, weil uns das nämlich nicht weiterbringt. Wir müssen diese Strukturen ausbauen, und das – das gehört zur Ehrlichkeit – wird dauern.

Wenn Sie sich jetzt hinstellen und jede Woche eine neue Zahl, was das Land an Erstaufnahmekapazitäten braucht, in den Raum stellen, 30.000, 40.000 oder 50.000 – Herr Kuper sagt, das haben wir doch schon immer gesagt, es müssen mehr sein –: Da ist doch kein Dissens. Ich glaube, wir sollten uns auch nicht über die Zahl der Plätze streiten.

Es geht darum, Ziel muss sein, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes tatsächlich die Menschen so lange bleiben können – nicht nur um ihr Asylverfahren abzuwarten, sondern auch um anzukommen, um hier eine Verfahrensberatung zu bekommen, um zur Ruhe zu kommen, ja, auch ihr Asylverfahren abzuwarten, wenn der Bund denn dafür die Stellen zur Verfügung stellt. Das ist doch ein gemeinsames Ziel.

Ob das 30.000, 40.000 oder 50.000 sind: Herr Laschet, diese Zahlen bringen uns überhaupt nicht weiter. Im Ziel sind wir uns, denke ich, einig. Das heißt, wir brauchen diese Strukturen. Sie werden so schnell nicht ausgebaut – weder auf Landesebene noch auf kommunaler Ebene. Das ist so. Das sollten wir gemeinsam und ehrlich den Menschen sagen.

Aber – und jetzt kommt die gute Nachricht – das sagen nicht nur wir Grünen, sondern das sagen uns alle Statistiker – ich zitiere eine Überschrift gestern aus dem „Pressespiegel“ –: Die Asylsuchenden von heute sind die Steuerzahler von morgen.

Ja, wir brauchen diese Menschen, und zwar alle. Wir können sie sehr gut gebrauchen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Demografie-Enquetekommission hat uns das schwarz auf weiß, im Übrigen interfraktionell – was will man mehr? –, als Erkenntnis geliefert: wenn – das können wir tatsächlich als Chance begreifen – wir politisch die richtigen Weichen stellen.

Herr Laschet, 2006 haben Sie etwas ganz Kluges gesagt – ich habe es noch einmal gegoogelt; das kann man alles nachlesen –, nämlich:

„Die Union sollte sich von der These verabschieden, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Diese These war schon immer falsch. Das war eine Lebenslüge.“

Herr Laschet, heute stellen Sie sich hierhin und sagen: Ja, und wir brauchen auch ein Einwanderungsgesetz. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Einsicht! Nur dieser Einsicht folgt keine reale Politik durch Ihre Partei. Das ist doch das Problem.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ihre Kanzlerin, Ihre Vorsitzende hat jetzt zu der aktuellen Debatte gesagt: Einwanderungsgesetz ist für uns kein aktuelles Thema. – Dann setzen Sie sich bitte mit dieser Einsicht in der CDU durch. Denn leider haben Sie außer dieser Rhetorik nicht viel Durchsetzungsvermögen, muss ich feststellen, denn Ihre Partei verschanzt sich.

Stichwort: „Lebenslüge“ von damals: Sie begehen den Fehler, dass Sie sich hinter einer neuen Lebenslüge verschanzen, nämlich dass man – Herr Kuper hat es gerade wiederholt – diesen neuen Migrationsbewegungen nur mit dem Asylrecht begegnen kann, ansonsten gäbe es nichts. Und wer hier nicht unter das Asylrecht fällt, den – siehe Abschreckungsrhetorik – schieben wir schnell wieder ab. Dann ist das Problem gelöst.

So funktioniert es eben nicht. Das Asylrecht ist keine Antwort auf die Probleme, die wir auf dem Westbalkan haben. Aber vielleicht – ich habe heute Morgen den Reden bei der Trauerfeier für Wilhelm Lenz sehr aufmerksam zugehört – brauchen wir in der CDU ein bisschen mehr Modernisierungswillen wie den eines Wilhelm Lenz, der in den 70er-Jahren sehr wegweisende Erkenntnisse hatte. Vielleicht hätte er zu dieser ganzen Frage eine etwas pragmatischere Ansicht als das, was die CDU derzeit zu bieten hat.

Wir brauchen weniger Zaudern und Zögern, weniger Ja-aber-Politik, Herr Laschet, sondern mehr Lösungen. Mit „ja, aber“ meine ich: Ja, die sollen hier arbeiten, nach drei Monaten dürfen sie arbeiten, aber Deutschkurse kriegen sie nicht.

(Armin Laschet [CDU]: Wer sagt denn das? Wer erzählt denn so einen Quatsch?)

Deutschkurse sind aber notwendig, damit sie überhaupt einen Arbeitsplatz bekommen. Während des Asylverfahrens – das dauert leider gerade sehr lange; siehe BAMF-Problematik – haben Flüchtlinge in unserem Land keinen Anspruch auf einen Deutschkurs. Das ist so. Alle Anträge mit diesen Forderungen, die wir im Bundesrat mit Nachdruck gestellt haben, wurden abgelehnt. Oder: Ja, arbeiten sollen sie auch, aber die bürokratische Barriere Vorrangprüfung bleibt – 15 Monate.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Haben Sie schon einmal einen Flüchtling gefragt, was das heißt, wie so eine Vorrangprüfung abläuft, wenn er einmal einen Arbeitsplatz gefunden hat? –  Das dauert vier Wochen, dann ist der Arbeitsplatz meistens weg.

Ja, die jungen Flüchtlinge sollen hier eine Lehre machen. Ja, das haben Sie im Bundestag endlich zugestanden. Aber danach, selbst wenn der Arbeitgeber sagt, wir brauchen diesen jungen Menschen, soll, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde, der junge Mensch mal ganz schnell wieder verschwinden.

(Armin Laschet [CDU]: Stimmt doch gar nicht, ist doch alles Quatsch!)

Das ist das Gegenteil von pragmatischer Einwanderungspolitik, die Sie hier rhetorisch anmahnen, Herr Laschet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das sind Fakten, Herr Laschet.

(Armin Laschet [CDU]: Das sind keine Fakten!)

Mit denen müssen Sie sich konfrontieren lassen. Natürlich sind das Fakten. Ihre Fraktion hat im Bundestag den Antrag abgelehnt, dass jugendliche Flüchtlinge, die hier erfolgreich eine Lehre abschließen, aber keinen anerkannten Asylstatus haben, danach nicht abgeschoben werden. Sie haben es nicht zugestanden, dass diese Flüchtlinge hier ein Bleiberecht bekommen.

(Armin Laschet [CDU]: Das hat die SPD gemacht!)

Das Umswitchen im Kopf ist das, was bei Ihnen fehlt; es fehlt das Umdenken, dass ein Asylsuchender auch tatsächlich ein Einwanderer sein kann und vielleicht auch für unsere Gesellschaft ein Gewinn sein kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist nach wie vor für einen Asylsuchenden unmöglich, von seinem Asylantrag, der abgelehnt wird, zu einem Einwanderer zu werden und vielleicht einen Einwanderungsantrag zu stellen. Ich könnte weitere Beispiele dieser Ja-aber-Politik aufzählen. Sie verweigern sich nach wie vor diesem Gedanken. Sie erhalten diese neue Lebenslüge weiterhin aufrecht: Hier darf keiner rein.

Asyl ja – aber der Rest bleibt bitte vor den Toren, auch wenn wir sie gebrauchen können, und auch, wenn wir diesen Migrationsdruck haben.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

Erstens. Beim Asyl brauchen wir schnellere Entscheidungen. Es kann nicht sein, dass wir Menschen jahrelang – und es sind inzwischen Jahre! – auf ihre Entscheidung warten lassen. So können diejenigen, die bleiben dürfen, nicht integriert werden; und diejenigen, die gehen müssen, haben keine sichere Perspektive, was mit ihnen passiert. Dann ist nachher die Abschiebung umso brutaler.

Ja, wir brauchen schnellere Entscheidungen durch das Bundesamt, und wir brauchen endlich Integration von Anfang an. Das heißt, mit der Asylantragstellung muss geschaut werden: Was kann dieser Mensch? Was braucht er? Welche Bedarfe hat er? Was bringt er mit? Da muss sofort ein Integrationsplan erstellt werden, und dann müssen die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Zweitens: Westbalkan. Ja, hier liegt die Anerkennungsquote bei unter 1 %. Aber die Realität sieht doch so aus: Die Menschen werden sich diese Wege weiter bahnen – als sicher eingestufte Herkunftsländer hin oder her. Wir sollten diese Einwanderung nicht leugnen, sondern wir sollten sie steuern und gestalten. Wir sollten sie außerdem als Chance für uns nutzen und diesen Menschen legale Wege nach Deutschland und nach Europa aufzeigen.

Das sollte uns nicht davon abhalten, vor der Tür der Europäischen Union einmal auf die Fluchtursachen zu schauen. Die Innenausschusssprecher waren in diesem Sommer mit dem Innenminister im Kosovo. Dort haben wir uns sehr eindrücklich informieren können, was denn die Fluchtursachen eigentlich sind.

Viele Flüchtlinge wissen sogar, dass sie nicht hierbleiben können. Aber angesichts der absoluten Perspektivlosigkeit in ihren Ländern sagen sie: Wir versuchen es mal. Ich möchte für meine Kinder eine andere Zukunft haben. Wenn auch nicht für mich, so möchte ich für meine Kinder eine Perspektive aufzeigen.

Warum? – Weil dort nach wie vor keine staatlichen Strukturen existieren, weil dort nach wie vor eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Die EU bekommt vielleicht so etwas wie Bankenkrisen in den Griff, aber direkt vor ihrer Haustür verhandelt sie mit Beitrittskandidaten und schafft es nicht, diese Kandidaten – ich sage es mal so – dazu zu zwingen, ihre Beitrittsperspektiven nicht nur unter der Bedingung eines ausgeglichenen Haushalts zu stellen. Vielmehr müsste die Beitrittsperspektive für die Westbalkanländern auch darin bestehen, dort die Korruption effektiv zu bekämpfen,

(Armin Laschet [CDU]: Was soll das denn jetzt?)

dort die Menschenrechte durchzusetzen und Minderheiten nicht zu diskriminieren.

Auch hier hat die EU noch eine Menge Hausaufgaben zu erledigen, die sie bislang noch nicht angepackt hat.

(Armin Laschet [CDU]: Beschimpfen Sie hier doch nicht die EU!)

– Herr Laschet, mehr Pragmatismus!

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Wir brauchen das alles, aber nicht mit neuen Lebenslügen, die Sie hier aufbauen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der Regierungsbank)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Herrmann das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Ganz kurz zum Thema „sichere Herkunftsstaaten“: Herr Kuper, Herr Laschet, zu Ihrem Antrag nur so viel: Wir haben einen Entschließungsantrag dazu gemacht. Ich denke, da steht alles drin. Lesen Sie sich ihn bitte durch. Ich möchte mich jetzt nicht weiter zu dem auslassen, was Sie geschrieben haben. Sichere Herkunftsstaaten gibt es nicht. Frau Düker hat gerade auf unseren Besuch im Kosovo hingewiesen. Insofern: Lesen Sie bitte unseren Antrag. Ich erwarte übrigens nach den Äußerungen von Herrn Körfges und Frau Düker auch die Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Frau Düker, Herr Körfges, Ihre Reinwaschungen, die wir jetzt die ganze Zeit gehört haben, sind schwer zu ertragen.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe: Oh!)

Das meiste von dem, was Sie in ihrem achtseitigen Entschließungsantrag fordern und was Frau Ministerpräsidentin Kraft hier vorgetragen hat, ist gut und richtig. Aber das hätten Sie schon vor zwei Jahren niederschreiben und umsetzen müssen.

(Beifall von den PIRATEN)

Seit 2012 haben wir all das niedergeschrieben – aber unsere Anträge haben Sie alle abgelehnt. Ob Erleichterung bei der Arbeitsaufnahme, Suche nach Unterbringung, Neukonzeption der Landesaufnahme oder die Krankenkarte für Flüchtlinge – alles abgelehnt. Sie kommen erst in Bewegung, wenn es gar nicht anders geht, und das zum Schaden der Menschen, die hier Schutz und Hilfe suchen.

Die Menschen ersticken in Lkws, ertrinken im Mittelmeer oder werden auf der Flucht erschossen. Auf Kos, auf Lesbos und auf anderen Inseln warten sie auch heute noch auf Fähren, die nicht kommen. In Bahnhöfen warten sie auf Züge, die nicht fahren. Und sie warten und verhungern an den Zäunen der Festung Europa.

Ich schäme mich als Europäer, auch weil das Ganze schon so lange geht. Seit Jahren werden die Grenzen verstärkt und nicht geöffnet. Das ist die falsche Politik.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn die Menschen es dann auf nicht legalen Wegen – denn legale Wege gibt es ja nicht – nach Deutschland und nach Nordrhein-Westfalen geschafft haben, dann leben sie in Zelten, in verschimmelten Massenunterkünften, in Turnhallen und in Containern. Sie dürfen nicht arbeiten, sie dürfen sich ihren Wohnsitz nicht aussuchen, sie werden sozial, medizinisch und psychologisch unterversorgt. Sie werden vom deutschen Gesetzgeber behandelt wie Menschen zweiter Klasse.

Seit Jahrzehnten leben Geflüchtete so in Massenunterkünften in Deutschland. Integration war und ist nicht gewollt. Das muss sich endlich ändern.

(Beifall von den PIRATEN)

In diesem Plenarsaal wurde am 30. April dieses Jahres nach einer Bootskatastrophe mit 700 getöteten Menschen beschlossen, dass es kein „Weiter so!“ in der Flüchtlingspolitik geben darf, dass endlich Konsequenzen aus den Fluchttragödien und der großen Anzahl der Toten gezogen werden.

Aber seither ist alles leider noch schlimmer geworden, auch hier im Land. In Nordrhein-Westfalen haben wir jetzt Zeltstädte. Vor einem Jahr war die geplante Zeltstadt in Duisburg-Walsum noch ein bundesweiter Skandal.

Vor genau einem Jahr, nämlich Anfang September 2014, wurde hier im Plenum über unsere Forderung im Antrag „Keine Zeltstädte in Nordrhein-Westfalen – Unterbringung von Flüchtlingen in Zelten, Schulen und Turnhallen verhindern“ diskutiert. Uns wurde vorgeworfen, dass wir schwarzmalen würden. Damals hieß es, dass unsere Vorschläge doch schon längst umgesetzt würden, dass es eine Bestandsaufnahme zur Unterbringungsmöglichkeit gebe und dass Zeltstädte natürlich keine menschenwürdige Unterbringung bieten würden.

Meine Damen und Herren, Herr Yetim, Frau Düker, Herr Minister Jäger, wo stehen wir heute? Heute ist in die Unterbringung in Zelten eine „unorthodoxe Lösung“. Die Landesregierung betreibt nicht nur eine Zeltstadt. Nein, in den kommenden Wochen werden es sechs Zeltstädte mit jeweils bis zu 1.000 Menschen sein.

Die erste Zeltstadt wurde dieses Wochenende in Köln eröffnet. Sie soll bis Januar stehen bleiben. Das heißt, im kalten Winter sollen sich dort 900 Männer, Frauen und Kinder in Unisex-Containern duschen und in flattrigen Zelten ihre Tage verbringen.

(Minister Ralf Jäger: Flattrige Zelte?)

Ich kann nur hoffen, dass wir in Nordrhein-Westfalen keine Bilder wie aus Dresden, Hamburg oder Wetzlar produzieren. Dort haben Menschen mit Hungerstreik gegen ihre Unterbringung protestiert. Die Presse schreibt dort, dass in diesen Zeltstädten eine humanitäre Katastrophe stattfindet – und das mitten in Deutschland.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Traurig!)

Nach der ersten Ankündigung der Landesregierung, dass sie Zelte baue, haben direkt diverse Kommunen nachgezogen. Ich habe es genau hier schon einmal gesagt: Wenn das Land kein Vorbild ist, machen es die Kommunen garantiert nicht besser. – Und genau so ist es passiert. So sind nun Zeltstädte für die Unterbringung von Flüchtlingen fast zu einem Standard geworden. Was für eine Schande!

(Beifall von den PIRATEN)

Ich war schon in sehr, sehr vielen schlechten Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen. Liebe Landesregierung, eine Zeltstadt mag in den Ländern rund um Syrien das einzige Mittel sein, aber eine Zeltstadt für ein reiches Aufnahmeland wie Deutschland ist wirklich beschämend.

Sie, die Landesregierung, Herr Minister Jäger, tragen für diese Zustände die Verantwortung. Es ist Ihr fundamentales Organisationsversagen, Ihre mangelnde Vorbereitung. Sie haben auf diesem unsäglichen Verantwortungsverschiebebahnhof zwischen Kommunen, Land, Bund und Europa immer ganz vorne mitgespielt. Sie wurden seit 2012 diverse Male vorgewarnt, aber Sie und Ihr Ministerium blieben bis zur Schande von Burbach untätig, und diese weltweit bemerkte Schande hat immer noch nichts wirklich nachhaltig verändert.

„Keine Provisorien mehr, feste Bauten ab Oktober.“ Das hat Ministerpräsident Reiner Haseloff gestern mitgeteilt. Solche klaren Worte hätte ich von Ihnen erwartet. Aber da kommt gar nichts, und das ist traurig.

Dass sich nun auch die „Elefanten“ im Bund – Sigmar Gabriel und inzwischen auch die Kanzlerin – anscheinend endlich der gesellschaftlichen und menschlichen Herausforderung stellen wollen, war überfällig. Taten sehe ich allerdings nicht, und wenn doch, kommt das jetzt viel zu spät. Es ist für mich absolut unverständlich, warum die Verantwortlichen erst reagieren, wenn es schon zur humanitären Katastrophe gekommen ist, wenn die Problemlösung zigmal mehr kostet, wenn der Aufwand tausendmal mehr Kraft fordert.

Der einzige Hoffnungsschimmer ist die enorme Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, der Menschen hier im Land. Und diese setzen Sie mit Ihrer Untätigkeit und Unfähigkeit aufs Spiel.

Mit unserem heutigen Antrag, der ein für alle Mal klarstellen will, dass Deutschland ein Aufnahmeland ist, fordern wir, dass in Nordrhein-Westfalen endlich Konzepte für Bürgerengagement eingeführt werden. Die Hilfsbereitschaft muss koordiniert werden. Das passiert für die Landesaufnahmen aber fast gar nicht. Es braucht mehr Struktur und mehr Koordination. Einzelinitiativen wie die der Bezirksregierung Köln müssen gestärkt werden. Hier wird zurzeit die Hilfsbereitschaft der Menschen für die Zeltstadt Köln via Twitter koordiniert, und das funktioniert sehr gut; das ist ein hervorragendes Beispiel.

Eine weitere Forderung bzw. ein Vorschlag aus unserem Antrag ist die Schaffung eines Ministeriums für Integration, Flucht und Einwanderung. Wir haben das schon mehrfach gefordert und fänden die Probleme dort auf jeden Fall besser angesiedelt als beim Innenministerium. Denn wir müssen uns den Menschen zuwenden und sie nicht abwehren.

(Minister Ralf Jäger: Ich finde das schon in Ordnung!)

Zukünftig müssen Europa, Deutschland, das Land Nordrhein-Westfalen und die Kommunen Geld und Ressourcen in die Integration und in Strukturmaßnahmen wie den Wohnungsbau stecken, statt Energie in Abwehrmaßnahmen zu verschwenden.

Wie der Migrationsforscher François Gemenne in einem Interview im „stern“ sagte, haben Abwehrmaßnahmen überhaupt keinen Einfluss auf Migrationsströme. Das Einzige, was sie beeinflussen, sind das Geschäft und die Gewinnmargen der Schlepper. Je restriktiver die Abwehrmaßnahmen sind, desto höher sind die Gewinne der Schlepper. Das ist die Realität, und deshalb brauchen wir die legale Zuwanderung.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir brauchen ein Miteinander und kein Gegeneinander. Denn nur ein Miteinander macht uns, die Gesellschaft, stark. Wir Piraten werden unsere ganze Kraft für eine Gesellschaft von gegenseitiger Hilfe und Respekt einsetzen.

Refugees Welcome!

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen somit, nachdem ich die Aussprache geschlossen habe, zur Abstimmung. Wir stimmen über insgesamt sechs Vorlagen ab und beginnen mit der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/9652 zur Unterrichtung durch die Landesregierung. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag Drucksache 16/9652 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU, FDP und Piratenfraktion angenommen ist.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Antrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/9512. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung dieses Antrags Drucksache 16/9512 an den Innenausschuss – federführend –, an den Integrationsausschuss, an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales; die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich lasse drittens abstimmen über den Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/9514. Die antragstellende CDU-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wer möchte diesem Antrag der CDU-Fraktion zustimmen? Den darf ich um das Handzeichen bitten. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit stelle ich fest, dass der Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/9514 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion gegen die Stimmen von CDU und FDP abgelehnt worden ist.

Ich lasse viertens über den Entschließungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/9653 abstimmen. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/9653 mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der Piratenfraktion abgelehnt worden ist.

Wir stimmen fünftens über den Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/9583 ab. Auch hier hat die antragstellende CDU-Fraktion direkte Abstimmung beantragt. Zu der kommen wir dann auch. Wer stimmt dem Antrag der CDU-Fraktion zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit stelle ich fest, dass der Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/9583 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion gegen die Stimmen der CDU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt worden ist.

Ich lasse sechstens und letztens abstimmen über den zweiten Antrag der Piratenfraktion Drucksache 16/9588Neudruck. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags an den Innenausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie an den Integrationsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt der Überweisungsempfehlung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Damit sind wir mit der umfangreichen Beratung und den Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt durch, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich beende den Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf:

2   Bildungsqualität fördern                   
Teil 2: Schulen in ihrer Ausrichtung auf berufliche Ausbildung stärken – die duale Ausbildung fördern – Fachkräftemangel vor allem im technischen Bereich beheben

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9580

Für die antragstellende CDU-Fraktion erteile ich als erstem Redner Herrn Abgeordnetem Kaiser das Wort.

Das verbinde ich mit der herzlichen Bitte, dass alle Abgeordnetenkollegen, die meinen, den Saal jetzt verlassen zu müssen, das geräuschlos tun. Diese herzliche Bitte gilt auch für Mitglieder der Landesregierung und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Mitgliedern der Landesregierung. Herr Justizminister, wenn Sie so nett wären, vielleicht auch Ihre Besprechung außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen! Dann können wir in der Debatte fortfahren. – Herzlichen Dank.

Herr Kollege Kaiser, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tim Mälzer hat eine Lehre gemacht. Karl Lagerfeld hat eine praktische Ausbildung. Heiner Lauterbach ist gelernter Installateur. Jan Josef Liefers ist gelernter Tischler. Stefan Raab hat eine Metzgerlehre absolviert. Nena hat, wie wir alle wissen, eine Goldschmiedelehre gemacht. Die Reihe ließe sich leicht verlängern und belegt eines: Karriere ist auch ohne akademische Bildung möglich. Die weniger prominenten Beispiele zeigen: Eine duale Ausbildung ist eine gute Gelegenheit, einen gut bezahlten Beruf zu erwerben, und eine duale Ausbildung ist auch das beste Beispiel für einen Aufstieg durch Bildung.

(Beifall von der CDU)

An dieser Stelle zunächst einmal herzlichen Dank an die Ausbildungsbetriebe und auch an die Berufskollegs! Noch heute gilt: Etwa 9.000 Schülerinnen und Schüler und damit rund 11 % der Abiturienten machen ihr Abitur, also die allgemeine Hochschulreife, an einem Berufskolleg, und etwa 24.000 haben an einem Berufskolleg ihre Fachoberschulreife und davon 52 % mit Qualifikationsvermerk für die gymnasiale Oberstufe erworben. Da wird Großartiges geleistet.

Aber wichtig in unserem Zusammenhang ist: Hier spielt die berufliche Orientierung eine wichtige Rolle. Hier wird aber auch deutlich: Eine gute berufliche Orientierung macht den Weg für einen Aufstieg durch Bildung frei.

Mit diesem Antrag wollen wir das Augenmerk auf die Chancen und Möglichkeiten bei der dualen Ausbildung lenken. Denn wir wissen, dass wir vor einem eklatanten Fachkräftemangel im technischen Bereich stehen. Es macht Sinn, vor dem Hintergrund der Abbrecherquoten an den Universitäten den jungen Menschen das klare Signal zu geben: Duale Ausbildung und Studium sind zwei Seiten einer Medaille. Der Weg in eine gute und sichere berufliche Zukunft führt eben nicht allein über ein Studium, sondern es gibt mindestens gleich gute und gleich erfolgreiche Wege im dualen System. Darum werden wir auch zu Recht international beneidet.

Jedoch können wir in der öffentlichen Wahrnehmung feststellen, dass dies nicht im allgemeinen Bewusstsein ist. Wir nehmen zur Kenntnis, dass insbesondere die technische Grundbildung an den allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I und sogar den Grundschulen zu kurz kommt. Wir hatten ja letzte Woche eine sehr anregende Anhörung zu dem Thema.

Wenn nicht schon in früher Jugend das Fundament für ein technisches Verständnis gelegt wird, ist es auch nicht verwunderlich, dass die technischen Berufe nicht als erstrebenswert auf der Berufswahlagenda der jungen Menschen erscheinen.

Deshalb ist die Frage der Bildungsqualität, wie wir sie in unserem Antrag 2 zur Bildungsqualität zum Thema machen, wichtig, um die berufliche Ausbildung zu stärken.

Armin Laschet hat recht, wenn er in einem programmatischen Fachbeitrag fordert: Hier brauchen wir in Zukunft ein Umdenken. Wir müssen weg von der Vorstellung, dass ein Master in Philosophie mehr wert ist als ein Maschinen- und Anlagenführer oder Mikrotechnologe, nur weil Letztere nicht über einen Hochschulabschluss verfügen.

Natürlich sind die Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung der Schülerinnen und Schüler zu begrüßen. Orientierung in einem Beruf ist jedoch maximal ein Schnuppern. Technische Grundbildung schafft aber ein Grundverständnis für technische Fragestellungen. Deshalb muss dies integraler und verpflichtender Bestandteil unserer Lehrpläne in der Sekundarstufe I werden. Es ist ein Armutszeugnis für das Technikland NRW, wenn wir bei den IQB-Rankings in Deutschland in Mathematik den drittletzten Platz, in Chemie den zweitletzten Platz und in Physik den letzten Platz belegen.

Ein kurzer Blick in die Quantita des Schulministeriums macht eines deutlich: Wenn von 90.000 Abiturienten etwa 608 einen Informatik-LK, 3.068 einen Chemie-LK, 4.444 einen Physik-LK besuchen und an zehn Schulen für 164 Schülerinnen und Schüler ein Technik-LK angeboten wird, dann ist das für unser Technikland Nummer eins ein Armutszeugnis.

(Beifall von der CDU)

Wir wissen – da ist der Ansatz –, Angebote sind die Vorbildung, zum anderen ist es der Lehrermangel in dem Bereich. Deshalb setzt da unser Antrag an. Frau Löhrmann, zuallererst muss Problembewusstsein entstehen, dann das Vorhandensein von Problemen zugegeben und anschließend gehandelt werden. Der erste Schritt muss sein: Lehrerinnen und Lehrer müssen für dieses Studium gewonnen werden, sie müssen qualifiziert werden, entsprechende Angebote müssen da sein. Wir müssen also alles tun, dass in diese Richtung der Schwerpunkt gesetzt wird; wir müssen da entsprechende Akzente setzen.

In unserem Antrag – ich gehe auf die einzelnen Punkte aus Zeitmangel nicht mehr ein – gibt es verschiedene Alternativen, wie zum Beispiel ein duales Abitur oder die Evaluation im Bereich von KAoA, „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Das müssen wir uns genau ansehen. Ich glaube, die Anhörung, die wir beantragen werden, geben Chancen. Wir sollten den Fokus darauf richten. Wir sind es unseren jungen Menschen schuldig. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Spanier-Oppermann das Wort.

Ina Spanier-Oppermann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Ich werde – wir haben das gerade schon gehört – auf den doch sehr umfangreichen Antrag der CDU-Fraktion in vollem Umfang gar nicht eingehen können und auch nicht wollen. Vieles ist bekannt. Es ist ein Bauchladenantrag: von jedem ein bisschen, aber nichts Ganzes,

(Klaus Kaiser [CDU]: Eben nicht!)

verschiedene Anträge der letzten drei Jahre wieder aufgenommen und in eine neue Verpackung gebracht.

Die in Ihren Anträgen immer wieder vorgenommene Trennung der Bildungslandschaft – das muss man vorab sagen – wird von uns so nicht geteilt. Das ist auch kein Geheimnis. Wir müssen aufhören, den alten Bildern von Schule zu folgen. Gymnasien tragen ebenso zur beruflichen Bildung bei, wie es alle anderen Schulformen tun, genauso, wie alle anderen Schulformen dem pädagogischen Auftrag nachkommen. Sie schreiben selbst in Ihrem Antrag: Die Zahl derer, die den Weg des Abiturs und anschließend zur Hochschule gehen, steigt stetig.

Aber Sie machen es vor, indem Sie zum Beispiel in dieser Antragsreihe das Gymnasium erneut aus dem Gefüge herausnehmen. Denn der erste Antrag von Ihnen in einer Reihe von Anträgen war nicht übertitelt „Schulen in ihrem pädagogischen Auftrag stärken“, sondern „Gymnasien in ihrem pädagogischen Auftrag stärken“.

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

Das unterstützt doch die Gedanken der Eltern, ihr Kind könne nur erfolgreich sein, wenn es den gymnasialen und im Anschluss den akademischen Weg einschlägt.

Ich denke, über die Bedeutung der dualen Ausbildung für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen sind wir uns einig. Der drohende Fachkräftemangel ist ein Thema, das wir bereits seit Langem intensiv diskutieren. Richtigerweise angesprochen, auch von meinem Kollegen Kaiser, wurde die Wertschätzung und Bedeutung einer dualen Ausbildung in unserer Gesellschaft. Gott sei Dank haben wir – das ist auch Aufgabe von Politik – einen Diskussionsprozess angestoßen, mit dem wir versuchen, bestimmten Mangelerscheinungen im Ausbildungsmarkt entgegenzuwirken.

Ihren Vorschlag zur Zusammenfassung der Schulaufsichten nehmen wir mit Interesse zur Kenntnis. Es ist sicher dem Zeitmangel geschuldet, dass wir dazu hier noch nichts gehört haben. Wir werden auch an anderer Stelle Gelegenheit haben, das zu diskutieren.

Einen interessanten Weg – über den wir auch sprechen sollten – schlägt übrigens die Handwerkskammer zu Köln ein, die in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule des Mittelstands mittlerweile ein triales Studium anbietet, eine Kombination aus Gesellenbrief, Meisterprüfung und Bachelorstudium.

Ich teile die Einschätzung, dass ein reiner Fokus auf ökonomische Bildung in der schulischen Ausbildung falsch ist. Erinnern wir uns doch alle an das Thema „Verbraucherbildung“ bzw. „Wirtschaft an Realschulen“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es besteht in der Tat die Tendenz, dass immer mehr Schüler den Weg des Abiturs mit Studium gehen. Das ist auch nachvollziehbar. Den Eltern wird gebetsmühlenartig vorgetragen, dass ihr Kind nur eine Chance im Berufsleben haben wird, wenn es den gymnasialen Weg plus Studium geht. Deshalb haben wir mit dem Landesprogramm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ genau den richtigen Weg eingeschlagen.

Nicht nachvollziehen kann ich Ihre Behauptung, dass die Potenzialanalyse im Rahmen dieses Landesprogramms zu früh angesetzt ist. Sie liefert doch gerade zur richtigen Zeit einen wichtigen Grundstein für die weiteren Schritte. Auf der einen Seite ist Ihnen die Potenzialanalyse zu früh, auf der anderen Seite fordern Sie, dass die Berufsorientierung auch dahin gehend gestärkt werden soll, dass bereits nach dem mittleren Schulabschluss eine duale Ausbildung aufgenommen werden kann. Das ist schon sehr widersprüchlich.

Im Hinblick auf die Zeit möchte ich nur kurz das Netzwerk „MINT SCHULE NRW“ mit insgesamt 76 Schulen in NRW hervorheben, und die Zahl ist steigend. Wie Herr Kaiser ausführte, gab es zur Lehrerversorgung letzte Woche eine Anhörung, deren Auswertung wir abwarten sollten, um dann weiter darüber zu sprechen.

In diesem Sinne freue ich mich auf eine weitere Beratung im Ausschuss. Es gibt noch viele Punkte. Darüber können wir debattieren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich danke Ihnen, Frau Kollegin, und erteile für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Schmitt-Promny als nächster Rednerin das Wort.

Karin Schmitt-Promny (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der CDU-Antrag verweist auf die Bedeutung des dualen Systems in unserem Bildungswesen und für die Wirtschaft, aber er tut diesem nichts Gutes. Er argumentiert eindimensional, ja, er ist handwerklich schlecht gemacht.

So benennt er die berufliche Bildung lediglich für den Bereich des Handwerks, obwohl Industrie und Handel ebenso in das duale System eingebunden sind.

Er zeigt Probleme und scheinbare Lösungsansätze auf, die bereits seit Langem auch im Ausbildungskonsens diskutiert werden und für die es bereits eine Vielzahl von Aktivitäten der Landesregierung gibt.

Er qualifiziert ohne Not die akademische Bildung ab. Ist der CDU nicht bewusst, dass Unternehmen heute auf die heterogene Ausrichtung ihrer Teams setzen, dass auch der Philosoph in der Ideenschmiede eines großen Unternehmens durchaus hilfreich sein kann?

Das Gegeneinander-Ausspielen ist anachronistisch.

Für die CDU kann nur die Schule durchgängig und nachhaltig technische Grundlagen vermitteln und Interesse für Technik entfachen. Die CDU verkennt die Relevanz der Elementarbildung in dieser Frage. Der erste institutionelle Schritt zur technischen Grundbildung erfolgt in den Kitas. Hier sind die Neugier und die Freude der Kinder am Entdecken und Verstehen gegeben. Vielleicht sollten wir uns mehr Gedanken darüber machen, wie diese Motivation auch in die Schulen hinüber gerettet und dort weiter entwickelt werden kann.

Die CDU äußert sich kritisch zur Bildungserwartung der Eltern. Eltern wollen die Bildungswege für ihre Kinder offenhalten – aus gutem Grund. Kinder und Jugendliche brauchen Offenheit für ihre Entwicklung. Schule soll sie in ihrem Bildungsweg unterstützen und fördern. Nach der 10. oder 9. Klasse sollen Sie in der Lage sein, aus ihren Interessen und Fähigkeiten heraus ihren Weg zu bestimmen hin zu einer beruflichen Ausbildung oder in eine weitere Schulbildung bis zum Abitur.

Oder kommt für die CDU wieder der handwerklich begabte Junge, der in der Hauptschule richtig platziert ist, in den Fokus? Diese Frage kann man sich ja stellen. Will sie zurück zu einem festgefügten Begabungsbegriff der Kinder und Jugendlichen?

Hat die CDU nicht mitbekommen,

(Klaus Kaiser [CDU]: Hören Sie doch zu, was ich gesagt habe!)

dass auch im Handwerk für viele Ausbildungsberufe höhere technologische Anforderungen gestellt werden, da die Arbeitsinhalte viel komplexer geworden sind, und dass dementsprechend im Handwerk höhere Ansprüche an die schulische Bildung von Auszubildenden gestellt werden?

Wir diskutieren die Erweiterung der MINT-Bildung an Schulen. Diese Anforderung richtet sich aber an alle allgemeinbildenden Schulen. Und allen Schulen der Sekundarstufe I den Schwerpunkt MINT als Zielrichtung zu verordnen, widerspricht ihrem Auftrag, Schülerinnen und Schüler offen zu fördern und ihnen Chancen für ihre jeweilige Entwicklung zu bieten. Man könnte fast meinen, dass hier die Hauptschule wieder durch die Hintertür ins Spiel gebracht werden soll.

(Klaus Kaiser [CDU]: Jetzt passt aber alles zusammen, alle Klischees, die es gibt!)

– Ja, ich bin noch nicht ganz fertig. Ihr Antrag hat so viele Fragen bei uns aufgeworfen, dass wir uns darüber Gedanken machten, die ich gerne weiter vortragen möchte.

Eine MINT-Förderung ohne akademische Ausbildung geht nicht. Wie will die CDU denn zu Lehrern und – das haben wir in der letzten Woche auch gehört –, insbesondere auch zu Lehrerinnen, kommen, die diese Fächer unterrichten können? Wie will sie denn den notwendigen Nachwuchs in den Studienfächern der Ingenieur- und Naturwissenschaften gewinnen, wenn den MINT-Fächern nicht auch in der Sekundarstufe II Rechnung getragen wird?

Der CDU-Antrag verkennt zudem, wie vielfältig bereits heute die Möglichkeit einer Verbindung von beruflicher Ausbildung mit der Erlangung der Fachhochschulreife oder der allgemeinen Hochschulreife ist.

Das Interesse an diesen Wegen ist deutlich gewachsen, ebenso wie das Interesse junger Menschen an einem dualen Studium. Ein Beispiel wurde eben von der Kollegin benannt.

Unser Bildungssystem soll Chancen eröffnen und Kinder und junge Menschen mit vielfältigen Angeboten unterstützen, verbunden mit der Anerkennung der verschiedenen Bildungswege. Und das kann nicht eine einseitige Ausrichtung von Schulen oder Kindern bedeuten.

Wir sind gespannt, ob es von der CDU nach diesem Antrag im Ausschuss eine inhaltliche Fundierung geben wird, die uns im Hinblick auf die Fachkräfteausbildung tatsächlich voranbringen kann. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Schmitz das Wort.

Ingola Schmitz*) (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe CDU, wir freuen uns über diesen Antrag, denn vielen Aussagen können wir sehr gut zustimmen, weil wir zu vielen dieser Themen Initiativen erarbeitet haben, etwa zur wichtigen Rolle der dualen Ausbildung, zu Berufskollegs, zum MINT-Bereich, zur Rolle des Handwerks oder der ungesunden Abiturfixierung. Wir teilen daher die Situationsbeschreibung in hohem Maße.

Ich möchte mich auf zwei Punkte des Antrags konzentrieren.

Die duale Ausbildung bildet die zweite wichtige Säule unseres Ausbildungssystems. Deutschland verfügt mit 5,7 % nicht umsonst über die geringste Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Aus Sicht der Freien Demokraten verdanken wir das gerade auch der dualen Ausbildung. Es ist erfreulich, wenn inzwischen sogar die OECD diese hervorragende Verbindung aus schulischer und betrieblicher Ausbildung anerkennt. Gleichzeitig muss man in Richtung OECD aber auch ganz klar sagen: Es ist inhaltlich absurd und verheerend für die duale Ausbildung, wenn behauptet wird, dass Kinder von Akademikern mit einer Ausbildung einen Bildungsabstieg vollziehen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ja, es gibt eine Art Abiturfixierung in Deutschland. Es läuft etwas schief, wenn junge Menschen, die vielleicht mit einer Ausbildung viel glücklicher wären, in großer Zahl an Hochschulen scheitern.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir müssen viel stärker dafür werben, dass eine Ausbildung ein gleichwertiger Weg ist, der darüber hinaus viele weitere Wege öffnet.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist erfreulich, dass Sie, Frau Ministerin Löhrmann, inzwischen vermehrt die Gleichwertigkeit zwischen akademischer und beruflicher Ausbildung betonen.

Gleichzeitig gibt es aber auch einen Wermutstropfen in diesen süßen Wein. Es sind nämlich besonders die Grünen, die den Eindruck erwecken, ohne Abitur sei man nur ein halber Mensch.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wo ist der Beleg dafür?)

Sehr geehrte Frau Ministerin, wer inzwischen den hohen Wert der dualen Ausbildung schätzt, sollte an Berufskollegs nicht willkürlich Stellen streichen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wer die Berufskollegs als Steinbruch behandelt, die für den angeblichen Erfolg Ihrer Präventionspolitik herhalten müssen, dem glaubt man diesen Sinneswandel ehrlicherweise nicht.

Die CDU spricht auch die MINT-Förderung an. – Richtig, Herr Kaiser, wir haben in der letzten Woche eine hochinteressante Anhörung zum FDP-Antrag zur Stärkung des MINT-Bereichs erlebt. Von Universitäten über Lehrerverbände bis hin zu Wirtschaftsvertretern gab es eine breite Unterstützung dafür, dass wir die Anstrengungen massiv verstärken müssen. Es kann nicht sein, dass nordrhein-westfälische Schülerinnen und Schüler im Bundesvergleich verheerend abschneiden und Rot-Grün weitgehend einfach zur Tagesordnung übergehen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich erinnere nur an die Warnung des renommierten Bildungsforschers Olaf Köller, der erklärte, Nordrhein-Westfalen rutsche langsam in die Bremen-Liga ab.

Die CDU fordert nun neben dem bestehenden Fach Technik die Einführung einer durchgehenden technischen Grundbildung. Gerade für Nordrhein-Westfalen als Industrie- und Technologiestandort ist dieser Bereich tatsächlich von zentraler Bedeutung.

Aus Sicht der FDP müssen wir aber den MINT-Bereich generell aufwerten. Aber zum MINT-Bereich zählen sechs Fächer. Warum zum Beispiel gilt die Forderung für Technik nicht ebenso für Informatik?

Leider wären wir gegenwärtig schon froh, wenn die Landesregierung bestehenden Fachunterricht im MINT-Bereich sichern könnte. Die Prognosen für die Sicherung des zukünftigen Lehrkräftebedarfs sind mehr als düster; demnach liegen sie für Technik bei 21 %. Selbst wenn man Technik als Bezugswissenschaft in den MINT-Fächern intensivieren würde, benötigen wir dennoch entsprechende Lehrkräfte. Es dürfte daher schwierig werden, zusätzlichen Unterricht auch nur ansatzweise abzudecken.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Ingola Schmitz*) (FDP): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Die FDP wird im Rahmen von mehr Schulfreiheit weitere Vorschläge unterbreiten, wie wir trotz der widrigen Bedingungen den gesamten MINT-Bereich stärken können. Dazu zählt zweifelsohne auch der wichtige Bereich der Technik.

Ich freue mich auf eine fruchtbare Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schmitz. – Für die Piraten spricht jetzt Frau Kollegin Pieper.

Monika Pieper (PIRATEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die CDU stellt ihren Antrag als einen zweiten Teil in eine Reihe mit ihrem Antrag „Gymnasien in ihrem pädagogischen Auftrag stärken“. Nimmt man dies mit in den Blick, zeigt sich die seit Jahrzehnten unveränderte bildungspolitische Grundhaltung. Ihr Denken ist immer noch geprägt von der Unterscheidung zwischen praktischer und theoretischer Begabung,

(Beifall von den PIRATEN)

auch wenn Sie mittlerweile gelernt haben, den Ausdruck „Begabung“ in den Antragstexten zu vermeiden. Frau Spanier-Oppermann hat gerade schon ausgeführt, dass es diese Trennung eigentlich nicht mehr geben darf.

Jetzt treibt Sie die Sorge um, in Zukunft drohe ein Mangel an Schulabgängern nach der Sek. I, die in eine duale betriebliche Ausbildung übergehen. Dann könnte der Fachkräftebedarf in Zukunft kaum gedeckt werden. Um diese Gefahr abzuwenden, müsse das Verhältnis zwischen beruflicher und akademischer Bildung wieder in Balance gebracht werden.

Frau Schmitz geht sogar so weit, von einer ungesunden Abiturfixierung zu sprechen.

Das finde ich – ehrlich gestanden – unglaublich. Das sehen wir ganz anders. Es macht überhaupt keinen Sinn, die duale Ausbildung gegen ein Abitur und ein anschließendes Studium auszuspielen.

(Beifall von den PIRATEN)

Beides hat seinen Platz und darf auf gar keinen Fall in Konkurrenz geraten.

Wir wollen erreichen, dass die Quote der Abschlüsse innerhalb eines Jahrganges in den kommenden zwei Jahrzehnten deutlich erhöht wird, um den Bedarf der Gesellschaft, der Wissenschaft und der Wirtschaft an gut ausgebildeten Fachkräften zu decken. Dies wollen wir erreichen, indem mehr Schüler zur Hochschulreife gebracht werden und ein Studium beginnen.

Auch sollen die Abbrecherquoten deutlich gesenkt werden. Ich denke, es gibt durchaus Programme, die bei Studienanfängern, die zu dem Schluss kommen, das Studium ist vielleicht doch nicht das Richtige, zu der Überlegung führen, dann in eine Ausbildung zu gehen. Ich meine, dazu ist eine Menge auf den Weg gebracht worden.

Darüber hinaus gilt es, die Qualität und Flexibilität beruflicher Ausbildungswege zu erhöhen. Diese sollen, wo immer es sinnvoll ist, zu einem Fachhochschul- oder Universitätsstudium ausgebaut werden.

Ich möchte noch einmal auf das duale Studium hinweisen. Das ist, wie ich finde, ein sehr guter Weg für junge Erwachsene. Auf diesem Gebiet können wir in NRW noch einiges tun. Wenn ich andere Bundesländer wie Baden-Württemberg sehe, ist da noch eine Menge Luft nach oben. Das eröffnet gute Chancen, tatsächlich Praxis mit Theorie zu verbinden.

Liebe Mitglieder der CDU-Fraktion, Ihre Fokussierung allein auf eine Ausbildung in technisch-praktischer Kompetenz verkennt leider auch das rasende Tempo der digitalen Revolution. Technische Berufe werden sich verändern. Das müssen wir endlich zur Kenntnis nehmen.

(Klaus Kaiser [CDU]: Dazu braucht man eine technische Grundbildung!)

So wird prognostiziert, dass zum Beispiel im Bereich Maschinenbau der Zerspanungsmechaniker bald von der Berufsbildfläche verschwunden sein wird. Andere Menschen mit anderen Qualifikationen werden diese Aufgabe übernehmen müssen. Sie müssen einen Computer programmieren und ihn bedienen können.

Zudem haben wir absehbar erhebliche Handlungsbedarfe bei den Pflegeberufen. Auch hier stehen wir vor immer größer werdenden fachlichen Herausforderungen. In diesem Feld wird es immer mehr darum gehen, auch ein theoretisches Wissen zu vermitteln, und dann man wird das Abitur haben müssen.

Vor allem ist eine gute Allgemeinbildung, mit der man das Lernen lernt, immer noch die beste Voraussetzung, um auf einem durch digitale Revolution immer dynamischer werdenden Arbeitsmarkt zurechtzukommen.

In Ihrem Antrag fehlt besonders der Blick auf all jene Jugendliche, deren Integration in Ausbildung und Beruf bisher nicht gelungen ist.

Ziel muss es sein, den Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss zu verringern. Ziel muss es sein, Geringqualifizierte zu einem besseren Abschluss zu bringen.

(Klaus Kaiser [CDU]: Das wird der nächste Antrag sein!)

– Ich freue mich darauf, Herr Kaiser.

Mit dem bisher Erreichten können wir auf jeden Fall nicht zufrieden sein. Da ist noch eine Menge zu tun.

Sie gehen mit diesem Antrag das Ziel, mehr Fachkräfte zu gewinnen, von der falschen Seite an. Anstelle einer besseren Balance zwischen dualer Ausbildung und Studium sollten wir tatsächlich alle Kräfte bündeln und Maßnahmen ergreifen, um den Schülerinnen und Schülern ohne Abschluss oder mit nur einer geringen Qualifikation bessere Förderungen zu ermöglichen. Hier liegt das wirkliche Potenzial für ein duales Ausbildungssystem.

Die traditionelle Unterscheidung von praktischem und theoretischem Wissen wird der beruflichen Realität nicht gerecht. Im Grunde benötigt man inzwischen tatsächlich beides.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Monika Pieper (PIRATEN): Ja. Ich bin mit meiner Rede auch am Ende. – Ich hätte noch einiges zu sagen, aber ich habe gerade gehört, dass wir eine Anhörung durchführen werden. Dann bleibt noch viel Zeit zur Diskussion, auf die ich mich freue. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage gern etwas zum Antrag. Ich sage zunächst aber auch gern etwas dazu, dass Frau Kollegin Schmitz und Herr Kaiser zu Beginn so genüsslich das Ranking im Bereich der Naturwissenschaften zitiert haben. Damit sich das nicht festsetzt: Die Daten stammen aus 2012. Beachten Sie bitte bei diesen einfachen Bewertungen, wie lange die Kinder wann und unter welcher Regierungszeit zur Schule gegangen sind.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

Das wollte ich am Anfang gerne feststellen. Die Herausforderungen, die das hier Beschriebene ausmachen, sind viel, viel größer. Wir brauchen keine Schnellschüsse, wir brauchen eine systematische und lang angelegte Politik.

Die schöne Aufzählung der Menschen, die auch ohne Abitur etwas geworden sind, finde ich gut und richtig. Mir fallen da auch einige ein. Ich bin gespannt, wie das damit zusammenpasst, dass Sie auf der anderen Seite das Fach Latein so hochhalten, als ob Sie meinen, ohne Latein könne man in Deutschland nicht denken lernen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Also, ein bisschen Konsistenz, bitte.

Meine Damen und Herren, der CDU-Antrag enthält einzelne Aussagen zum Schulsystem und zur Bedeutung des dualen Systems für den Wirtschaftsstandort Deutschland, denen wir im Kern sicher alle zustimmen. Das gilt insbesondere für die duale Ausbildung mit ihrer positiven Wirkung auf die Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit. Auch darüber sind wir uns einig.

Uns allen ist bekannt, dass das gesellschaftliche Image der MINT-Fächer und die weit verbreitete Auffassung, sie seien besonders schwierig, mitursächlich dafür sind, dass Leistungskurse im MINT-Bereich nicht in dem Maße von den Schülerinnen und Schülern der Oberstufe gewählt werden, wie wir uns das wünschen. Deshalb haben wir zum Beispiel die Kernlehrpläne der naturwissenschaftlichen Fächer für die Sekundarstufe I dahin gehend geändert, dass nun in geeigneten Kontexten exemplarisch Vernetzungen zu technischen Sachverhalten vorgesehen sind.

Außerdem sieht die Landesregierung die Förderung der MINT-Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern entlang der gesamten Bildungskette vor. Ich nenne hier nur beispielhaft die naturwissenschaftlichen Profilbildungen durch MINT-Excellence-Schulen und MINT SCHULE NRW.

Von insgesamt 250 MINT-EC-Schulen befinden sich 62 in Nordrhein-Westfalen. Ich habe das einmal in einer Karte zusammenstellen lassen, weil ich die Zertifizierungen mit unternehmer nrw immer gerne vornehme und die Entwicklung dokumentiere.

(Ministerin Sylvia Löhrmann hält eine Übersichtskarte hoch.)

Die Zahl ist in den letzten Jahren besonders gewachsen. Wenn ich mir die Verteilung auf die Regierungsbezirke ansehe, dann stelle ich fest, es gibt in Arnsberg eine richtig dicke Lücke. – Herr Kaiser, vielleicht fahren wir einmal dahin und werben dafür, dass sich mehr Schulen unterschiedlicher Schulformen dem anschließen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich habe diesbezüglich leider den Umstand vorgefunden, dass die Gesamtschulen bei den MINT-Schulen gar nicht mitmachen durften. Das habe ich geöffnet. Wir halten es bei solchen Fragen für wichtig, dass alle Schülerinnen und Schüler Zugang zu diesen wichtigen Angeboten haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Von den 75 bundesweiten JuniorAkademien – übrigens ein Projekt der Deutschen Telekom Stiftung; Herr Kinkel und ich haben da immer bestens zusammengearbeitet – befindet sich die Hälfte in Nordrhein-Westfalen.

Um die Auflistung nicht endlos werden zu lassen, nenne ich jetzt nur noch das Projekt SINUS.NRW zur Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts und die Ihnen allen bekannten zdi-Aktivitäten, in die über 2.700 Partnerinnen und Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft, Schule, Politik und gesellschaftlichen Gruppen eingebunden sind. All das kann sich sehen lassen!

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einen Satz zu kein „Abschluss ohne Anschluss“ sagen. Der Behauptung, dass die Potenzialanalyse zu früh beginne, möchte auch ich entschieden widersprechen. Manche sagen sogar, es wäre zu spät, weil sich zum Beispiel Rollenbilder schon verfestigt haben. Sowohl für die Ausrichtung auf anschließende Berufsausbildungen als auch für die Wahl in der Sekundarstufe II muss die Orientierung so früh wie möglich beginnen. Wer die Potenzialanalyse später beginnt, riskiert, dass Berufsfelderkundungen und nachfolge Praktika nicht zielgerichtet vor der notwendigen Reflexion des weiteren Bildungsverlaufs stattfinden können.

Es wurde hochgelobt – ich bin froh darüber –, dass wir auch die Gymnasien in das Programm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ einbezogen haben. Damit ist klar: Nicht jeder, der zum Gymnasium geht, muss zwangsläufig studieren, sondern auch ein Gymnasialbesuch kann in eine duale Ausbildung münden. – Das ist keine Kehrtwendung von irgendetwas, Frau Schmitz, sondern das ist immer meine Auffassung gewesen.

Meine Damen und Herren von der CDU, zum Teil ist das, was Sie vorschlagen, nicht ganz stimmig. Trotzdem lohnt es – das Thema lohnt es allemal, das ist auch durch den Beitrag von Frau Pieper deutlich geworden –, dass wir uns vertieft mit den Fragestellungen beschäftigen.

Vielleicht sollte die geplante Anhörung an einem besonderen Ort stattfinden, zum Beispiel im Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn. Gestern Abend wurde dort eine wunderbare Ausstellung über Ada Lovelace eröffnet, die Frau, die vor einigen Hundert Jahren das Programmieren erfunden hat. Frau Wanka und ich waren ganz begeistert von dem, was Nordrhein-Westfalen hier gut auf den Weg bringt. Das wäre eine schöne Anregung der Ministerin für die Anhörung. Die Ausstellung lohnt sich für Männer und Frauen. Ich würde mir wünschen, dass das vielleicht gemacht wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich bin sicher, der Ausschuss hat Ihre Anregung gehört.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags der Fraktion der CDU Drucksache 16/9580 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung – federführend – sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung wird dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand gegen diese Überweisung? – Enthaltungen? – Das ist beides nicht der Fall. Dann haben wir so beschlossen.

Ich rufe auf:

3   Nordrhein-Westfalen braucht eine Digitalisierungs-Offensive

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9595

Ich eröffne die Aussprache. Kollege Hafke hat für die FDP-Fraktion das Wort.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An Erkenntnis und deutlichen Worten mangelt es nicht. Wir alle wissen, vor welch massiven Umwälzungsprozessen wir mit der Digitalisierung aller Lebensbereiche stehen. Der Beauftragte für digitale Wirtschaft unseres Bundeslandes spricht deshalb schon von einem „digitalen Tsunami“, der über uns hinwegfegt.

Klar ist: Wenn wir die Chancen nutzen wollen, müssen wir uns diesen Herausforderungen stellen. Und die Chancen sind enorm für die Bürgerinnen und Bürger, für die Unternehmen und die Zivilgesellschaft insgesamt.

Wenn wir aber, um im Bild zu bleiben, die Kraft des Sturms nutzen wollen, dann heißt es: Anpacken! Die Strategie der Landesregierung – „Strategie“ ist hier schon wohlwollend formuliert – ist da alles andere als anpackend. Hier ist eher das Prinzip „Möglichst gut vor dem Sturm verstecken!“ angesagt.

Nicht alle Mitglieder der Landesregierung sind im Bereich der Digitalpolitik völlig untätig, aber der Wirtschaftsminister hat es nicht einmal nötig, überhaupt zur Debatte zu erscheinen.

Die Ernennung eines profilierten Experten zum bereits angesprochenen Beauftragten für digitale Wirtschaft durch den Wirtschaftsminister war ein kleines, aber wichtiges Signal. Auch seine zahlreichen Auftritte, bei denen er etwa im Mittelstand für die Herausforderung der Digitalisierung sensibilisiert, nehmen wir aufmerksam wahr. Ebenso aufmerksam nehmen wir allerdings wahr: Es fehlt die Offensive. Es fehlt vor allem die Unterstützung von ganz oben.

Die Ministerpräsidentin müsste die Digitalisierung eigentlich zum Leitthema ihrer Regierungszeit machen. Aber auch sie ist wieder einmal nicht anwesend. Sie müsste dafür sorgen, dass sämtliche Ressorts der Landesregierung den laufenden Umwälzungsprozess zur Richtschnur ihrer Arbeit machen; denn ein „Weiter so“ in Klein-Klein darf es nicht mehr geben – ob in der Bildungs-, in der Verkehrs-, in der Wirtschafts- oder in der Innovationspolitik.

Aber wir verstehen die Zurückhaltung fast sämtlicher Fachminister. Mit ihrer mutlosen, ideenlosen und uninspirierten Regierungserklärung im vergangenen Januar hätte die Ministerpräsidentin wahrscheinlich selbst den Google-Gründern die Lust am Thema „Digitalisierung“ genommen.

(Beifall von der FDP)

Solche Fehlschläge kann sich Nordrhein-Westfalen nicht mehr leisten. Wer „mega“ sagt, muss auch megaviel leisten. Dieser Appell geht an die Ministerpräsidentin.

Das damals vorstellte Sammelsurium an vorwiegend althergebrachten Konzepten von gestern oder Kleinkram bringt uns offenkundig nicht weiter. Das lässt sich unter anderem am Digitalindex der Initiative D21 ablesen. Die Digitalisierung gehört endlich in den Mittelpunkt der politischen Arbeit. Das darf man dann bitte auch im Landtag so sehen. Dem Thema sollte endlich der Stellenwert gegeben werden, den es verdient.

Wir sagen einerseits, dass es ein Megathema ist, andererseits behandeln wir es aber parlamentarisch noch immer, als ob es bloß ein Anhang von anderen Themen sei. Deshalb ist unsere Forderung ein Digitalausschuss in diesem Parlament. Damit hätten wir dann eine zentrale Plattform für digitale Politik. Das Thema wäre dann nicht mehr Querschnittsthema, das in anderen Ausschüssen mit behandelt wird, sondern Zentralthema, das das Fundament für die anderen Politikbereiche legt.

Aber auch von der Landesregierung brauchen wir endlich mehr digitale Impulse. Nordrhein-Westfalen braucht eine digitale Offensive. Dazu müssen wir uns von Althergebrachtem lösen. Das beginnt bei der Bildung. Wenn sich unsere Jugend in einer vollständig vernetzten Gesellschaft behaupten und einbringen soll, wenn ihr wirklich die Welt offenstehen soll, wenn sie Wachstum und Wohlstand in unserem Land erleben und mitgestalten soll, dann müssen digitales Lehren und digitales Lernen zu Kernbestandteilen unseres Bildungssystems werden. Wenn die jungen Menschen dann die Schule verlassen, in Ausbildung oder Studium gehen und vielleicht viele tolle Ideen haben, dann müssen sie die besten Rahmenbedingungen vorfinden, um „ihr Ding zu machen“, wie man so schön sagt.

Da sind wir bei der Gründungskultur. Auch hier fehlt es an „megaguten“ Konzepten der Landesregierung. Die Gründerdynamik zu erhöhen, ist aber ein wichtiger Teil auch einer kohärenten Digitalisierungsstrategie. Die Politik muss mehr anzubieten haben als Mangelverwaltung, Klein-Klein und die Pflege von Beharrungskräften. Da muss man, wie gesagt, ganz oben anfangen.

(Minister Garrelt Duin betritt den Plenarsaal.)

Professor Dr. Henning Kagermann, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, weist zu Recht darauf hin, dass die Digitalisierung ein neues Innovationsparadigma erfordert. Aber mehr als das! Sie erfordert ein Politikparadigma. Das muss auch endlich der Anspruch der Ministerpräsidentin sein: Megastark, Frau Kraft, waren Sie bislang jedenfalls nicht.

(Beifall von der FDP)

Mit unserem Antrag wollen wir der dringend notwendigen Digitalisierungsoffensive einen Impuls liefern. Ich freue mich daher auf die Beratungen – leider noch nicht in einem eigenständigen Digitalausschuss.

Eine Anmerkung noch: Ich freue mich, dass der Wirtschaftsminister zum Ende meiner Rede den Weg in den Plenarsaal gefunden hat. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Vogt das Wort.

Alexander Vogt (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Tribüne! Herzlichen Glückwunsch! Die FDP hat als letzte der in unserem Landtag vertretenen Parteien das Thema „Digitalisierung“ entdeckt, aber immerhin, ein Dreivierteljahr nach der Regierungserklärung der Ministerpräsidentin, in der sie das Thema ausführlich behandelt hat.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Vieles, was in Ihrem Antrag steht, Herr Hafke, war zu erwarten. Sie bedienen sich Inhalten, die in der Regierungserklärung bereits vorgekommen sind. Einiges ist inhaltlich, nun ja, zumindest dürftig.

Schauen wir uns Ihren Antrag an!

(Christof Rasche [FDP]: Schauen Sie sich den Pressespiegel an!)

Sie hatten die D21-Studie erwähnt und versuchen damit, NRW schlechtzureden. Dabei picken Sie sich einige Zahlen heraus; den Rest der Studie scheint die FDP nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Das ist durchaus ärgerlich.

Hätte sich die FDP anstatt auf Zahlenspiele darauf konzentriert, die gesamte Studie zu lesen, hätte sie vielleicht den Hauch einer Ahnung bekommen, welche gesellschaftliche Dimension das Thema „Digitalisierung“ hat. Sie hätte lernen können, dass die Nutzung der neuen Medien eben nicht nur durch die Verfügbarkeit von Breitbandanschlüssen erreicht werden kann.

Gesellschaftliche Faktoren sind enorm wichtig. Es gibt ein drastisches Bildungs- und Einkommensgefälle. So ist die Internetnutzung bei Personen mit einem Monatseinkommen unter 1.000 € wesentlich geringer als bei Personen mit einem Monatseinkommen über 3.000 €.

Ebenso eindeutig sind die Unterschiede nach Bildung. Menschen mit einem Hauptschulabschluss schneiden in der Studie mit einem Indexwert von rund 60 Punkten ab, Abiturienten mit 90 Punkten. Die Studie zeigt also: Das Vorhandensein eines Internetanschlusses reicht nicht aus.

Geringe formale Bildung, geringes Einkommen und höheres Alter – das sind die Kriterien, nach denen Sie abstecken können, wer digital abgehängt wird. Das alles verschweigen Sie in Ihrem Antrag.

Meine Damen und Herren, nicht nur, dass die FDP die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Digitalisierung verkennt, auch beim Thema „Infrastrukturausbau“ kommt in dem Antrag wenig Neues. Dass Nordrhein-Westfalen beim Breitbandausbau das führende Flächenland ist, verschweigen Sie. Herr Minister Duin und auch Herr Kollege Schmeltzer haben diesen Umstand hier mehrfach erklärt.

Zum nächsten Punkt: freies WLAN. Laut Ihrem Antrag wollen Sie öffentliche WLAN-Zugänge voranbringen. Um diesem Ansinnen mehr Nachdruck zu verleihen, bedienen Sie sich der Komik; denn Sie schreiben – ich zitiere –:

„Die Landesregierung muss zur Speerspitze eines landesweiten offenen WLAN-Netzes werden.“

Diese wunderliche Wandlung soll die Landesregierung vollziehen, indem sie dafür sorgt, dass sämtliche Einrichtungen und Liegenschaften in der Zuständigkeit des Landes bis 2015 offene WLAN-Zugänge eingerichtet haben.

Die FDP hat neun Monate gebraucht, um auf die Regierungserklärung zu reagieren. Das Land soll hingegen innerhalb von drei Monaten alle Einrichtungen und Liegenschaften mit offenem WLAN ausstatten.

Jetzt aber mal im Ernst, Herr Hafke: In der letzten Plenarsitzung kurz vor der Sommerpause haben wir einen Antrag zum Thema „freies WLAN“ beraten. Darin stand, dass der Zugang zu Landesgebäuden und Liegenschaften für den Betrieb von Freifunk ermöglicht wird, dass es eine Informationskampagne für die Kommunen zum Thema „Freifunk“ geben soll und dass es eine finanzielle Unterstützung für den Betrieb der Freifunkinfrastruktur gibt. All das haben wir im Juni mit SPD, Grünen und Piraten bei Enthaltung der CDU beschlossen. Eine einzige Partei hat gegen die Förderung von Freifunk gestimmt, nämlich Ihre Partei. Sie haben dagegen gestimmt, und nun haben Sie genau die gleichen Punkte in Ihren Antrag geschrieben.

(Beifall von der SPD und Matthi Bolte [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, im Bildungsbereich ist es ähnlich. Sie wollen elektronische Tafeln, ein offenes WLAN und zentrale Onlinebildungsplattformen. Sie setzen rein auf Technik, ohne die gesellschaftliche Dimension zu erkennen.

Ich könnte damit fortfahren und darüber reden, dass die FDP den Bereich Industrie 4.0 in ihrem Antrag schlichtweg vergessen hat, dass sie nicht sieht, dass die Landesregierung schon eine Vielzahl an Maßnahmen ergriffen hat, und dass das Land mit Prof. Kollmann einen Beauftragten für die Digitale Wirtschaft eingesetzt hat.

(Marcel Hafke [FDP]: Habe ich doch gesagt!)

– Das haben Sie gesagt. Das schreiben Sie aber nicht in Ihrem Antrag; das verschweigen Sie.

Ich glaube, ich habe deutlich genug gemacht, dass vieles, was die FDP in ihrem Antrag schreibt, unausgegoren ist. Oft hängt sie dem aktuellen Diskussionsstand meilenweit hinterher.

Die letzte Forderung des Antrags ist die nach der Einrichtung eines Digitalisierungsausschusses. Nach Lektüre dieses Antrags möchte ich mir gar nicht ausmalen, …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Alexander Vogt (SPD): … wie der Beitrag der FDP in einem solchen Ausschuss wäre. Abgesehen davon ist das Querschnittsthema „Digitalisierung“ in den unterschiedlichen Ausschüssen gut aufgehoben. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Wüst.

Hendrik Wüst (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Herr Vogt, durch den Antrag hätten Sie die Gelegenheit gehabt, auf die großen Erfolge der Landesregierung im Bereich der Digitalisierung hinzuweisen, wenn es sie denn gäbe.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Weil es die nicht gibt, haben Sie angefangen, die Opposition und die Antragsteller von der FDP zu beschimpfen und den Antrag zu zerpflücken. Das wirft ein Licht darauf, dass Sie selber offensichtlich feststellen, dass nach der Regierungserklärung von Frau Kraft, deren Kommentierung ja nicht nur positiv war, um es einmal vorsichtig auszudrücken, nicht mehr viel passiert ist.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Jetzt wird es aber wüst!)

– Oh. – Ich würde mir von Ihnen wünschen, dass Sie bei nächster Gelegenheit auf Erfolge in der Sache verweisen.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Die allermeisten Punkte des FDP-Antrags werden in den Ausschussberatungen unsere Unterstützung finden. Beim Thema „Vorratsdatenspeicherung“ ist Herr Vogt näher an der FDP als wir. Da könnt ihr euch dann einig werden.

(Zuruf von der SPD)

– Entschuldigung. Ich wollte Ihnen gar nichts Böses tun, aber das habe ich so gelesen. Das ist ja auch in Ordnung.

Im Großen und Ganzen ist das alles aufgrund von Anträgen der CDU-Fraktion hier ja schon vielfach diskutiert worden. Insofern können wir gar nicht dagegen sein.

Die Frage ist aber nicht, ob die eine oder die andere Oppositionsfraktion schneller diese oder jene Idee hat, sondern die Frage ist: Wann passiert hier etwas? Wo bleibt das dringend notwendige Konzept für den flächendeckenden Breitbandausbau? Wir sind monatelang auf MICUS vertröstet worden. Jetzt liegt MICUS vor, und jetzt muss man weiterkommen. MICUS ist der Befund mit einigen Hinweisen, jetzt braucht man eine Strategie.

In den letzten 15 Monaten haben wir hier zehn Anträge der Opposition zum flächendeckenden Breitbandausbau in Nordrhein-Westfalen beraten. In den vergangenen 18 Monaten haben wir im Wirtschaftsausschuss dreimal mit verschiedenen Sachverständigen, die von verschiedenen Fraktionen benannt wurden, diskutiert. Die Mehrzahl der von uns geforderten Maßnahmen wurde insbesondere von den durch Sie benannten Sachverständigen für gut befunden.

Ich glaube also, es liegt alles auf dem Tisch, was man in Sachen Breitbandausbau machen müsste, um hier voranzukommen. Jetzt liegt es daran, daraus ein Regierungskonzept zu machen.

Es gibt einen runden Tisch, der seit 18 Monaten tagt, aber noch keine Ergebnisse vorgelegt hat. Vielleicht muss erst der runde Tisch etwas vorlegen, bevor die Regierung dies tut. Ich weiß nicht, welche Reihenfolge hier eingehalten wird, aber langsam wird es Zeit.

Wo ist das Konzept dafür, Start-up-Land Nummer eins zu werden? Frau Kraft wollte laut Regierungserklärung, dass Nordrhein-Westfalen „Place to be“ für Start-ups ist. Ich habe zugehört und fand das gut. Ich habe damals auch gelobt, dass Frau Kraft überhaupt eine Regierungserklärung abgegeben hat.

Start-ups können nur erfolgreich sein, wenn sie Zugang zu Risikokapital haben. Das ist eine ziemliche Binsenweisheit, würden Sie jetzt sagen. Richtig! Ihr Finanzminister hat an diesem Rednerpult gestanden und gesagt, nein, an die Versteuerung von veräußerten Streubesitzanteilen wolle er nicht rangehen. Dadurch würden Steuerschlupflöcher eröffnet, das ginge überhaupt nicht.

Das Geld für Start-ups liegt auf der Straße, und das liegt nicht nur an den ersten erfolgreichen Veräußerungen von großgewordenen Internetgiganten – so viele davon haben wir in Deutschland nicht – und auch nicht nur an den niedrigen Zinsen, sondern daran, dass es wirklich eine Menge Unternehmer gibt, die sagen: 10.000 €, 20.000 €, 50.000 €, 100.000 € gebe ich in ein Start-up, aber behandelt mich bitte fair, wenn ich dann auch mal Erfolg habe und wieder reinvestieren möchte. Da sagen Sie: Nein. – Das wollen Sie nicht. Wie wollen Sie dann „Place to be“ werden? Die Wahrheit ist von dem, was Frau Kraft hier angekündigt hat, meilenweit entfernt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wo ist das Konzept zu „Industrie 4.0 – Digitalisierung in Handel und Handwerk“? Seit über einem Jahr gibt es den Beirat „Digitale Wirtschaft NRW“. Bisher sind mir keine nennenswerten Ergebnisse bekannt – und schon gar nicht irgendeine davon abgeleitete Politik.

Wo ist die vollmundig angekündigte Digitalisierungsstrategie des Landes? 40 Millionen € sollen aus EFRE-Mitteln zur Förderung der digitalen Wirtschaft bereitstehen. Das ist aller Ehren wert. Gleichzeitig will man für die Umweltwirtschaft 800 Millionen € ausgeben. Mir scheinen die Prioritäten in dieser Landesregierung noch immer nicht angemessen gesetzt zu sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Prioritäten sind falsch.

Herr Minister, Sie haben im Januar letzten Jahres mit Blick auf das Tariftreue- und Vergabegesetz die Frage gestellt: Wie lange wollen wir uns für das Gesetz noch verprügeln lassen? – Darüber reden wir im Plenum zu einem anderen Zeitpunkt.

Ich frage mich allerdings: Wie lange wollen Sie sich bei dem Thema „Digitalisierung“ bitten lassen? Wie lange wollen Sie sich noch vorhalten lassen, dass im Breitbandausbau außerhalb der Ballungszentren – die Ballungszentren sorgen für die gute Zahl, auf denen Sie, Herr Vogt, immer herumreiten – noch immer nichts passiert?

90 % der Gewerbegebiete sind nicht an schnelles Internet angeschlossen. Das geht heute nicht mehr; das ist nicht mehr zeitgemäß. Das ist so, als wenn man den Leuten vor 50 Jahren gesagt hätte: Kommt bitte mit der Schubkarre oder mit der Kutsche zur Arbeit!

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Hendrik Wüst (CDU): Das alles ist nicht mehr das, was Wirtschaft heute braucht, um Wachstum und Arbeitsplätze zu generieren.

Machen Sie Ihre Hausarbeiten! Dann können wir von Herrn Vogt eine Rede hören, in der er stolz die Erfolge der Landesregierung vorträgt. Das fände ich gut für Herrn Vogt und vor allen Dingen gut fürs Land. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ging es ganz ähnlich wie dem Kollegen Vogt. Als ich den Antrag der FDP-Fraktion sah, dachte ich: Guck an, da ist der Entschließungsantrag zur Regierungserklärung, den Sie damals vergessen haben auszudrucken. Anders kann ich mir das nicht erklären. Der Antrag enthält ein paar digitalpolitische Versatzstücke, was man sich bei der FDP so irgendwie mal zum Internet ausgedacht hat: irgendwie etwas mit Breitband machen und irgendwie ein bisschen die digitale Wirtschaft unterstützen. Freifunk ist nach zweieinhalb Monaten auch nicht mehr so verkehrt. Und irgendetwas mit Schule muss natürlich in jedem Antrag stehen.

Wenn das Ihre Digitalstrategie sein soll, lieber Kollege Hafke, haben wir es mit einer Luftnummer zu tun, die selbst für liberale Verhältnisse beeindruckend wenig Substanz hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn das aber eine digitalpolitische Generalabrechnung sein soll – so haben Sie es versucht zu intonieren –, haben Sie einen gewaltigen Rohrkrepierer kreiert. – Schauen wir uns mal gemeinsam an, was Sie vorgelegt haben:

Die Strategie für die digitale Wirtschaft hat der Wirtschaftsminister im Juni vorgelegt.

Zur digitalen Bildung hat die Schulministerin letzten Freitag eine Pressekonferenz gegeben. Die Stichworte sind Medienpass, Programmieren in der Grundschule, digitale Schulbücher, Arbeitsplattform LOGINEO, Lehrerfortbildung, Investitionsprogramm NRW.BANK. Die Ministerin wird Ihnen das bei Interesse mit Sicherheit gerne noch etwas ausführlicher erklären.

(Zurufe von der CDU)

Beim Breitband sind wir auf dem Weg und noch nicht am Ziel – völlig klar.

(Lachen von der CDU)

Aber machen Sie doch, bitte schön, mal einen substanziellen Vorschlag, der über das hinausgeht, was in diesem Antrag steht! Darin steht: Wir machen uns die EFRE-Welt, wie sie uns gefällt.

(Zuruf von den PIRATEN)

Das ist ein Drops, der seit anderthalb Jahren gelutscht ist. Während Sie ein längst erledigtes Fass wieder aufmachen wollen, arbeitet diese Regierung, arbeitet diese Koalition daran, dass es tatsächlich bis 2018 die 50?MBit?Versorgung für alle im Land gibt. Um perspektivisch deutlich darüber hinauszukommen, haben wir die MICUS-Studie. Dafür beraten wir am „Runden Tisch Breitband“. Ende September soll die Strategie am runden Tisch diskutiert werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will beim Breitband auch die Verantwortlichkeiten klar benennen. Zuallererst – daran muss man in diesem Kontext erinnern – sind in einem liberalisierten Markt die Anbieter in der Verantwortung, die Hauptlast des Ausbaus zu tragen. Aber wir nutzen die Möglichkeiten, die wir haben, intelligente Impulse zu setzen, zum Beispiel durch die Erlöse aus der digitalen Dividende etwa über das Kommunalinvestitionsfördergesetz. Da setzen wir intelligente Impulse.

(Zurufe von der CDU)

Ich bleibe auch dabei: Der Bund muss endlich seine Verantwortung ernst nehmen, die er für das Generationenprojekt Breitbandausbau hat: mit einem echten Förderprogramm, mit einem klugen Regulierungsrahmen.

Liebe Kollegen von der FDP, gerade diesen klugen Regulierungsrahmen hat Ihr Philipp Rösler vergeigt. Er hat die Netzneutralität nicht abgesichert. Er hat einen vernünftigen Infrastrukturatlas über das TKG verhindert. Und er hat bis zuletzt – bis Sie abgewählt wurden und aus dem Bundestag geflogen sind – gewartet, dass die unsichtbare Hand des Marktes den Spaten in die Hand nimmt und die Glasfasern verbuddelt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist Ihre Bilanz, und ich bin froh, dass es nicht unsere Bilanz ist.

Zum Freifunk haben wir eben schon etwas gehört. Sie haben im Juni?Plenum als FDP einen wirklich peinlichen Auftritt gehabt. Mir ist nur noch die Erotik des Freifunks in Erinnerung. Das schien Sie aber so überfordert zu haben, dass Sie unserem Antrag an der Stelle nicht folgen konnten. Dass Sie sich jetzt zu den Freifunkapologeten aufspielen, ist wirklich bizarr. Ich bin froh, dass es in Nordrhein-Westfalen so viele engagierte Freifunkerinnen und Freifunker gibt. Die wissen seit dem letzten Plenum, woher sie Unterstützung bekommen: von den Kollegen aus der Piratenfraktion und von der Koalition.

Zum Abschluss kommt noch – das fand ich besonders spannend an Ihrem Antrag – Ihr Beitrag zur Digitalisierung der Demokratie. Das ist allen Ernstes der Internetausschuss. Wow! An der Digitalisierung der Demokratie arbeiten wir, seit wir 2010 die Regierung übernommen haben. Gucken Sie sich Open.NRW an! Gucken Sie sich die Beteiligungsformate an! Gucken Sie sich das Open-Data-Portal an! Im Januar haben wir versprochen, im März kommt dieses Portal. Wann ist es an den Start gegangen? Am 16. März. Das haben wir versprochen, das haben wir gehalten. Das E-Government-Gesetz ist einer umfangreichen Konsultation unterzogen worden. Es ist in der Verbändeanhörung.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Matthi Bolte (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen, was Sie heute vorgelegt haben, ist ein gewaltiger Rohrkrepierer. Ihr Antrag wird durch die Überweisung nicht besser, aber vielleicht lernen Sie noch das eine oder andere über Digitalpolitik. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schwerd.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und am Stream! Wenn man den Vorrednern in dieser Debatte zuhört, könnte man fast der Meinung sein, dass alle Fraktionen in die gleiche Richtung wollen: der eine vielleicht ein bisschen mehr, der andere etwas weniger, aber das wird schon, oder?

Doch dieser Eindruck täuscht. Hier prallen eigentlich zwei völlig unterschiedliche Auffassungen aufeinander. Die Landesregierung glaubt nämlich, die digitale Revolution sei ein Trendthema; mit ein bisschen Projektförderung hier und ein bisschen Projektförderung da könne man das Ganze abfrühstücken.

Wir dagegen sind davon überzeugt, dass die Umwälzungen sehr viel tiefgreifender sind. Der Sprung in die Gigabitgesellschaft steht uns bevor. Das wird sämtliche Lebensbereiche betreffen. Diese Veränderung bietet weitaus mehr Chancen als Risiken, wenn man sie denn aktiv gestaltet, wenn man denn den politischen Willen zur Gestaltung hätte. Die einschläfernde Realpolitik bringt uns derzeit reale Nachteile. Zehn Jahre bleierne Regentschaft von Frau Merkel sind zehn verschenkte digitale Jahre für Deutschland.

(Beifall von den PIRATEN)

Und in NRW? Rot-Grün versucht reichlich spät, auf den Digitalisierungszug aufzuspringen – bislang ohne großen Erfolg. Das kann man an den Reaktionen auf die Regierungserklärung der Ministerpräsidentin vom Januar sehen. Dabei ist ihre Politik keineswegs alternativlos. Seit Jahren kämpfen wir für eine digitale Agenda, die nicht nur ein PR-Konzert sein darf, sondern den Mut und den Willen zur Gestaltung in sich tragen muss.

Wenn man den vorliegenden Antrag anschaut, ist es schön zu sehen, dass jedenfalls die FDP einige Punkte aus unserer Programmatik übernommen hat. Von Anfang an bemühen wir uns um bessere digitale Bildung in NRW. Unsere Kinder brauchen digitale Kernkompetenzen, denn sie sollen die digitale Welt gestalten und nicht bloß konsumieren. Das gilt auch für alle anderen Menschen in diesem Land.

(Beifall von den PIRATEN)

Der Digitalausschuss in Ihrem Antrag klingt sehr nach dem Internetministerium und dem Ausschuss für Digitale Gesellschaft, Vernetzung, Datenschutz und Breitbandausbau, welche wir bereits Anfang dieses Jahres gefordert haben. Diesen Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, haben Sie übrigens im Januar abgelehnt. Offenbar haben Sie aber zwischenzeitlich etwas dazugelernt.

Derweil beobachten wir das unproduktive Kompetenzgerangel in der Landesregierung – zum Beispiel beim Thema Breitbandausbau – zwischen den Ministern Duin, Remmel und Groschek. Da will der Bauminister plötzlich keine Leerrohre mehr haben, weil wir ja jetzt überall WLAN bekommen. Wie soll das Internet, bitte schön, zum WLAN kommen? Dieser digitale Analphabetismus in der Regierung muss ein Ende haben.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Natürlich brauchen wir mehr Tempo im Internet. Aber wo, liebe Kollegen der FDP, ist denn Ihre Kritik am Vectoring-Monopol der Telekom, das bei der Bundesnetzagentur beantragt worden ist? Ist bei Ihnen freier Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt jetzt nicht mehr erwünscht? Liegt es vielleicht daran, dass Sie jetzt Magenta in Ihren Parteifarben haben?

(Beifall von den PIRATEN)

Ist es denn wirklich zukunftssichernd, wenn wir die Fördermittel, die uns in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen, in eine Brückentechnologie stecken, die absehbar schon in ein paar Jahren wieder überholt sein wird?

In einem Punkt stimmen wir allerdings vollkommen mit Ihnen überein: Als Partei der Menschen- und Bürgerrechte haben wir uns schon immer gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. NRW muss sich gegen die anlasslose Totalüberwachung mit allen Mitteln wehren.

(Beifall von den PIRATEN)

Doch was eindeutig in Ihrem Antrag fehlt, ist ein klares Bekenntnis zur Netzneutralität. Wie wollen Sie denn eine Gründerkultur fördern, wenn die jungen digitalen Unternehmen im Netz diskriminiert werden? Das macht doch keinen Sinn.

Sie sehen, der Antrag ist aus unserer Sicht stark verbesserungswürdig. Ich freue mich auf die Debatten im Ausschuss. Der Überweisung stimmen wir natürlich zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann das Spiel gerne immer wieder aufführen. Im Ausschuss waren wir da – jedenfalls hatte ich zuletzt diesen Eindruck – schon etwas weiter. Man kann aber immer wieder sagen, dass die Regierung grundsätzlich alles falsch oder gar nichts macht und dass die Opposition dann die dafür richtigen Vorschläge – egal bei welchem Thema – hat. Das kann man natürlich auch beim Thema Digitalisierung und Breitbandausbau so ins Feld führen.

Ich habe nur eine Frage an die Redner der Opposition: Wer sind Ihre Zeugen? Wer sind diejenigen, die Ihnen recht geben würden?

Nehmen wir nur einmal das Thema „Digitale Wirtschaft“. Herr Wüst hat gesagt, da würde es nichts geben. Es ist gerade von Herrn Bolte wieder darauf hingewiesen worden, dass im Frühsommer eine digitale Strategie vorgelegt wurde. Die können Sie für falsch oder nicht überzeugend halten. Sie müssen dabei nur eines beachten, was, glaube ich, für die öffentliche Diskussion darüber wichtig ist: Die Landesregierung hat sich diese digitale Strategie am Ende eines langen Prozesses zu eigen gemacht. Sie hat sie aber nicht innerhalb der Ministerialbürokratie erarbeitet, sondern erarbeitet wurden diese Punkte einzig und allein von den am Beirat Digitale Wirtschaft NRW Beteiligten.

Das war nun der bunteste Mix, den man sich zu diesem Thema vorstellen kann. Da saßen die Experten von großen Industrieunternehmen bzw. großen DAX-Unternehmen am Tisch. Es waren Start-ups und Finanziers dabei. Hochschulen waren dabei. Da saßen 30, 40 Menschen in großer Runde und in kleineren Arbeitsgruppen zusammen. Die hatten gar keine Vorgabe, nur einen Job, nämlich uns zu sagen, was aus ihrer Sicht, aus Sicht der digitalen Wirtschaft unseres Landes, notwendig ist, um sie noch besser zu unterstützen. Die haben das aufgeschrieben.

Deswegen frage ich nach Ihren Zeugen, nach denjenigen, die mit Ihnen in solch eine Kritik einstimmen würden.

Ich bin in Bezug auf dieses Thema sehr viel unterwegs. Es gibt immer noch eine bessere Idee – ohne Wenn und Aber. Aber zu sagen, da läge nichts vor, ist nicht nur eine Kritik an der Landesregierung – das ist legitim –, sondern auch eine Kritik an allen Aktiven in diesem Thema innerhalb der Wirtschaft Nordrhein-Westfalens; denn die haben diese Strategie formuliert, und wir als Landesregierung haben sie unkorrigiert so übernommen und stellen für die dort vorgeschlagenen Maßnahmen die finanziellen Mittel zur Verfügung. Das ist das, was wir gemacht haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es geht ja nicht darum, dass man nicht bessere Vorschläge machen kann. Auch geht es nicht darum, dass Sie sagen: Wir brauchen noch dieses oder jenes. Ich habe jetzt – bis auf die ersten drei Minuten, wo ich in der Tat noch nicht hier im Saal sein konnte – ganz genau zugehört. Möglicherweise wurde das alles in diesen drei Minuten gesagt, und es ist danach nichts gekommen. Außer der Kritik habe ich hier keinen einzigen konkreten Vorschlag gehört, der in der Strategie zur digitalen Wirtschaft fehlen würde.

Wir machen künftig die FirstFair. Das heißt, wir bieten eine Plattform, um den verschiedenen Akteuren – zum Beispiel aus der digitalen Wirtschaft im engeren Sinne, also den Start-ups, aber eben auch aus der Industrie und dem Mittelstand – die Möglichkeit zu geben, zueinander zu finden und die Kommunikation dort zu verbessern bzw. ein wirkliches Netzwerk – auch wenn man den Begriff mittlerweile sehr häufig benutzt – bilden zu können.

Es wird mehr entsprechende Unterstützung für die jungen Unternehmen auf den Messen mit Gemeinschaftsständen etc. geben. Wer sich auf der letzten CeBIT angeguckt hat, wo unsere Unternehmen in der Halle ausgestellt haben, ihre Ideen präsentiert haben, der ist mit Sicherheit davon überzeugt, dass das von Erfolg gekrönt sein wird.

Oder das, was wir als Nächstes tun: die Einrichtung von zunächst einmal fünf Hubs, wo es genau darum geht, die rechtliche, die steuerliche Beratung zur Verfügung zu stellen, aber auch dort wiederum Plattformen zu bilden, um mit Mittelstand und Industrie ins Gespräch zu kommen, um ein – wie die Fachleute sagen – Ökosystem zu entwickeln, ohne das es nicht geht und was insbesondere in der Bundeshauptstadt schon vorhanden ist, hier aber gute Grundlagen findet, um weiterentwickelt werden zu können.

Diese Themen sind dort entwickelt worden gemeinsam mit dem Punkt, den wir durch die NRW.BANK umsetzen, nämlich VC-Produkte anzubieten, auch dafür noch einmal 17 Millionen € zur Verfügung zu stellen, damit die Themen Köpfe, Kooperation, aber auch das dritte K, Kapital, hier keinen Mangel erleidet. Ich glaube, da gibt es ohnehin wenig Mangel – aber das ist in eine ordentliche Struktur mit entsprechenden zwei VC-Produkten geführt worden, die bei der NRW.BANK angedockt sind.

Meine Damen und Herren, über das Thema Breitband …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: … werden wir an anderer Stelle sicherlich auch noch einmal sprechen, deswegen dazu nur noch einen Satz:

Alle wissen – das wissen Sie auch, da streuen Sie hier den Leuten Sand in die Augen –, dass der Bund jetzt dran ist, seine Förderrichtlinien zu veröffentlichen. Wir sind in enger Abstimmung mit denen, mit Staatssekretär Bomba, mit Minister Dobrindt. Das wird alles noch im September passieren. Das war von Anfang an auch so geplant. Deswegen findet unser runder Tisch nicht irgendwann statt, sondern eben Ende September, wenn diese Dinge auf dem Tisch liegen, um dann die entsprechende Förderstrategie, insbesondere auch für den ländlichen Raum, insbesondere auch für die Gewerbegebiete in Nordrhein-Westfalen, vorzustellen.

Alles andere wäre in der Sache kontraproduktiv. Deswegen gehen wir so vor, wie wir das tun. Ich glaube, das ist eine gute Strategie für das gesamte Land Nordrhein-Westfalen und für die Stärkung der digitalen Wirtschaft. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Ich schließe an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/9595 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend – sowie an den Ausschuss für Kultur und Medien in der Mitberatung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

4   Unabhängige Patientinnen- und Patientenberatung sicherstellen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9594

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP

Drucksache 16/9657

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Garbrecht jetzt das Wort.

Günter Garbrecht (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Blick in die bundesweite Presse lässt aufhorchen: „Unabhängige Patientenberatung bedroht“, „Mogelpackung“, „Verlust der Unabhängigkeit“, „Da wird der Bock zum Gärtner gemacht“. So und anders lauten einige der Überschriften über die Vergabe der unabhängigen Patientenberatung UPD.

Nach dem Aufhorchen kam die Ablehnung von den Gesundheitspolitikern über Ärzte- und Patientenvertreter, Apothekenverbände und Krankenhausgesellschaft – die Front ist breit. In einer gemeinsamen Stellungnahme monierten Ärzte sowie Ärztekassen, Ärztekammern – ich zitiere –:

„Hier soll eine etablierte, anerkannte und mitunter den Krankenkassen unbequeme Patientenberatung zu einem willfährigen Dienstleister auf der Lohnliste der Krankenkassen umfunktioniert werden.“

Zusammenfassend ergibt sich ein Bild der einhelligen Ablehnung bei allen, aber wirklich allen gesundheitlichen Akteuren im Land. Das Ergebnis als Überschrift: „Laumann und die Krankenkassen allein zu Haus.“

Nun soll also eine Firma die Beratung übernehmen, die bereits für einige Krankenkassen tätig ist, also in einem Geschäftsverhältnis zu ihnen steht. Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Natürlich sind Zweifel an der Unabhängigkeit der neuen Patientenberatung legitim und berechtigt – nicht zuletzt aufgrund der Lebensweisheit: Wer beißt schon in die Hand, die ihn füttert?

Die Vergabeentscheidung verwundert umso mehr, weil noch im jüngsten Qualitätsbericht der Bundesregierung der Begleitforschung ausschließlich gute Noten für die Beratung in der bisherigen Konstellation attestiert wurden. In der Gesetzbegründung der Bundesregierung, mit der die UPD 2010 in § 65b SGB V aufgenommen wurde, heißt es:

„Die im Rahmen der Modellvorhaben geförderten Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung und entwickelten Strukturen und Prozesse bieten eine tragfähige Grundlage für die Gestaltung einer mittelfristigen unabhängigen Verbraucher- und Patientenberatung.“

Warum also nun diese Trendumkehr? Wie schön und wie unterstützenswert klang doch die Gesetzesbegründung aus dem Jahre 2010: „um die Versicherten in die Lage zu versetzen, ihre Rechte gegenüber den Krankenkassen und Leistungserbringern wahrzunehmen, Patientinnen und Patienten bei der Wahrnehmung ihrer Interessen zu stützen, ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Patientensouveränität.“ – Den vollständigen Text übrigens lesen Sie in dem Entschließungsantrag der FDP.

Darüber, ob das zwingend mit einer Vergabe erfolgen muss und hierfür eine Ausschreibung nach dem Vergaberecht erforderlich ist, gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Ich zitiere hier nur die Kommentierung in dem Kasseler Kommentar zum SGB V zu § 65b:

Es ist deshalb auch schon zu problematisieren, ob nicht gegen das im § 65b Abs. 1 Satz 2 verankerte Verbot schon durch die Wahl eines förmlichen kartellrechtlichen Verfahrens verstoßen wurde. Es erfordert nämlich eine erschöpfende und eindeutige Beschreibung der Leistung. Dieses Erfordernis erzwingt das gewählte Vergabeverfahren, erfordert es aber, dass alle Einzelheiten beschrieben werden, die weit über das im SGB V assistierte Einflussnahmeverbot hinausgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wohlwollend könnte man von Gesetzesbeugung sprechen. Man könnte aber auch zugespitzt von einem Gesetzesverstoß reden. Unvereinbar mit dem kartellrechtlichen Vergabeverfahren ist jedenfalls das vom Gesetz geforderte Einvernehmen des Patientenbeauftragten, das auch in diesem § 65b verankert ist. Ein möglicher Widerspruch, der das Einvernehmen auch beinhaltet, ist aber mit dem wesentlichen Grundsatz eines kartellrechtlichen Vergabeverfahrens überhaupt nicht zu vereinbaren, meine Damen und Herren, denn andere Gründe als solche der Wirtschaftlichkeit dürfen die Vergabeentscheidung eigentlich gar nicht beeinflussen.

Die Wahl des kartellrechtlichen Ausschreibungsverfahrens ist deshalb in zwei Punkten kritisch zu sehen: Einerseits verstößt es gegen das Verbot der Einflussnahme des GKV-Spitzenverbandes, und zum Zweiten negiert es das Vetorecht des Patientenbeauftragten.

Also, Karl-Josef Laumann: Wo stehen wir? Im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit hatte ja – das wissen wir aus Erfahrung – der Minister nicht so seine guten Seiten. Wir erinnern uns alle an die Einstellung der Arbeitslosenberatung in Nordrhein-Westfalen, die wir 2010 wieder zurückgenommen haben.

Nun richten sich mittlerweile die Appelle, den eingeschlagenen Weg der Vergabe zu stoppen, nicht mehr an Karl-Josef Laumann, sondern an den Bundesminister Gröhe. Offensichtlich wurde die Unabhängigkeit im Vergabeverfahren nur mit 15 Prozentpunkten bewertet, und eine andere als die kartellrechtliche Vergabe, nämlich nach Sozialrecht, würde im Prinzip der Gesetzesintention entsprechen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Günter Garbrecht (SPD): Unsere Aufforderung, meine Damen und Herren, liebe Frau Präsidentin, zielt darauf ab, genau diese Punkte zu beachten.

Da zwei Anträge vorliegen, will ich zum Abschluss Folgendes sagen: Frau Präsidentin, wir werden im nächsten Ältestenrat noch einmal darüber zu reden haben, wie nach der Geschäftsordnung für den Fall zu verfahren ist, dass es eine Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen und der FDP über die Frage eines gemeinsamen Antrags gibt, und ob das nur mit einem Änderungsantrag möglich ist. Von daher empfehlen wir heute die Annahme unseres Antrags. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Garbrecht. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Ünal.

Arif Ünal (GRÜNE): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir sind uns sicher einig in der Beurteilung, dass es zur Förderung der Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen auch neutraler und unabhängiger Beratungsangebote bedarf.

Vor 25 Jahren sind die ersten unabhängigen Beratungsstellen für Patientinnen und Patienten in Deutschland gegründet worden. Seither sind bundesweit 21 Beratungsstellen entstanden. Ab 2001 wurde die Arbeit der unabhängigen Patientenberatungsstellen im Rahmen einer Modellförderung finanziert. Die Beratungsstellen der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland sind seither zu einer wichtigen, nicht mehr wegzudenkenden Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen geworden. Sie bieten kompetente, neutrale, kostenfreie, vor allem aber unabhängige Beratung. Natürlich wird die unabhängige Beratung aufgesucht, wenn Probleme mit den Kassen oder bei der Behandlung auftreten.

Seit 2011 ist die unabhängige Beratung als Regelaufgabe im Sozialgesetzbuch V verankert. Die Bundesregierung selbst hat in ihrem Erfahrungsbericht vom 15. April 2013 der Unabhängigen Patientenberatung eine hohe Beratungsqualität bescheinigt.

Die Überraschung war dann sehr groß, dass nun diese höchst sensible Aufgabe nicht mehr diejenigen weiterführen sollen, die nachweislich eine allseits gelobte unabhängige Beratung angeboten haben, sondern ein Callcenter. Auf Betreiben des Bundespatientenbeauftragen Herrn Laumann hat bei der Auswahl die Firma Sanvartis den Zuschlag für die kommenden sieben Jahre erhalten. Mitglieder des Beirats der Unabhängigen Verbraucher- und Patientenberatung, der bei der Vergabe beratend einbezogen werden müssen, haben gegen dieses Auswahlverfahren protestiert und die Auswahlentscheidung scharf kritisiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Neutralität und Unabhängigkeit der Patientinnen- und Patientenberatung sind eine wesentliche Grundvoraussetzung für eine gute Vertrauensbasis bei den Menschen, die die Beratungsstelle aufsuchen. Der Gesetzgeber hat in § 65b Abs. 1 Satz 2 SGB V festgeschrieben, dass der GKV-Spitzenverband auf den Inhalt oder den Umfang der Beratungstätigkeiten keinen Einfluss nehmen darf.

Deshalb dürfen nur Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung gefördert werden, die neutral und unabhängig sind. Aber gerade dieser wichtige Grundsatz der Unabhängigkeit wird mit den Füßen getreten, wenn ein Callcenter die Arbeit übernehmen soll, das bisher in engen Geschäftsbeziehungen zu vielen Krankenkassen und Pharmafirmen steht. Ein Unternehmen, das bisher seine Einnahmen zum größten Teil über Geschäftsbeziehungen zu den Krankenkassen erwirtschaftet hat, ist alles andere als unabhängig. Ziel dieser unabhängigen Beratung ist es doch gerade, Patientinnen und Patienten in deren eigenem Interesse zu beraten und zu stärken, unabhängig von möglichen Interessen der Kostenträger oder Leistungserbringer.

Neutralität und Unabhängigkeit der Patientinnen- und Patientenberatung in Deutschland müssen sichergestellt sein. Auch wenn wir als Land keine formalen Einflussmöglichkeiten auf die Ausschreibungs- oder Vergabeverfahren haben, sollten wir gemeinsam dafür eintreten, dass Neutralität und Unabhängigkeit als eine Grundvoraussetzung für die Patientenberatung sichergestellt werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Preuß.

Peter Preuß (CDU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eine Patientenberatung, die Patientinnen und Patienten unabhängig und neutral berät und gesundheitliche Fragen fachlich kompetent beantwortet, hat eine wichtige Funktion in unserem Gesundheitssystem.

Ende dieses Jahres endet die fünfjährige Förderperiode der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland, die aus einer Bietergemeinschaft gemeinnütziger Organisationen besteht. Ab 2016 vergibt der GKV-Spitzenverband die Fördermittel für eine auf sieben Jahre verlängerte Periode im Einvernehmen mit dem Patientenbeauftragten neu.

Zu diesem Zweck wurde ein europaweites Ausschreibungsverfahren durchgeführt, das zurzeit noch nicht abgeschlossen ist. Das Verfahren zur Ausschreibung der zukünftigen Trägerschaft ist gesetzlich geregelt in § 65b SGB V.

Das juristische Kolloquium von Herrn Kollegen Garbrecht habe ich sehr wohl vernommen – das fand ich sehr interessant –, aber wir und die Beteiligten sind nun einmal an die gesetzlichen Vorschriften gebunden, und deshalb ist auch diese Vorschrift anzuwenden, die vom Bundestag – übrigens mit Zustimmung der Sozialdemokraten – beschlossen worden ist.

Meine Damen und Herren, die Ausschreibungen sichern im Übrigen den Wettbewerb um die besten Ideen und das beste Ergebnis.

Zwingende Kriterien für alle Bieter waren Neutralität, Unabhängigkeit, Qualität und die Regionalität der Beratung. Den Zuschlag kann nur ein Bieter erhalten, der gemäß den gesetzlichen Vorgaben des SGB V neutral und unabhängig ist.

(Beifall von der CDU)

Die Unabhängigkeit, die hier beschworen wird, ist eben eine wesentliche Voraussetzung für die Vergabe. Insofern ist es absurd, wenn ich das einmal so sagen darf, dass Sie ausgerechnet dem Patientenbeauftragten Karl-Josef Laumann, den hier jeder kennt, unterstellen, die Unabhängigkeit der Patientenberatung gefährden zu wollen. So geht das nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Obwohl das Ausschreibungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist und weiterhin der Vertraulichkeit unterliegt, die auch dem Vergabeverfahren wesentlich ist, konnten wir in der Zeitung bereits lesen – darauf ist schon hingewiesen worden –, wer den Zuschlag bekommen haben soll. In diesem Zusammenhang werden heftige Vorwürfe gegenüber den möglichen künftigen Patientenberatern und Kritik an dem Vergabeverfahren geäußert. Auch in der letzten Sitzung des AGS wurde das thematisiert. Ich halte das für einen unglaublichen Vorgang, der mit Unterstellungen und Behauptungen verbunden ist.

So wird zum Beispiel behauptet, dass die europaweite Ausschreibung das Ziel gehabt habe, die bisherigen Anbieter aus dem Rennen zu werfen. Damit wird der Vorwurf erhoben, dass die Ausschreibung in eine bestimmte Richtung manipuliert war. Sowohl dem Patientenbeauftragten als auch dem GKV-Spitzenverband wird somit ein unlauteres Verhalten vorgeworfen, und zwar ohne einen Beleg, den wir kennen, weder für die Angebote noch die einzelnen Kriterien, die letztlich zum Zuschlag führen werden bzw. geführt haben. Hier bleibt schlichtweg abzuwarten, wie der Zuschlag aussieht und wie dieser im Einzelnen begründet wird, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU – Lutz Lienenkämper [CDU]: So geht Vergabeverfahren! Genau so!)

Ich wiederhole noch einmal, dass die Vertraulichkeit und die Verschwiegenheit vereinbart waren. Insofern verbietet sich hier eine Debatte über Dinge, die wir überhaupt nicht kennen.

Die Gefahr dabei ist natürlich, dass hier der gezielte Versuch unternommen wird, mit unbewiesenen Behauptungen die Politik zu instrumentalisieren, um die Vergabe entsprechend zu beeinflussen. Dagegen müssen wir uns mit allen Mitteln zur Wehr setzen, meine Damen und Herren. Denn wir sind kein Parlament, das Klientelpolitik betreibt.

(Beifall von der CDU)

Es gibt keinerlei Hinweise darauf – das darf ich abschließend bemerken –, dass das Ausschreibungsverfahren nicht korrekt abgelaufen ist. Daher ist auch die Forderung von SPD und Grünen nach einem neuen Vergabeverfahren schlichtweg absurd. Anstatt Aktionismus an den Tag zu legen, wäre es doch sinnvoll, erst einmal die öffentliche Bekanntgabe und die detaillierte Begründung der Entscheidung abzuwarten.

(Beifall von der CDU)

Die CDU-Landtagsfraktion lehnt den Antrag selbstverständlich ab. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine unabhängige Patientenberatung ist ein wesentliches Element, um im Gesundheitswesen eine Orientierung an den Interessen von Patientinnen und Patienten zu stärken. So können mit ihrer Hilfe bestehende Probleme im Verhältnis zwischen Patienten, Leistungserbringern und Krankenkassen aufgezeigt werden.

Gerade angesichts dieser Komplexität des Gesundheitswesens ist es so wichtig, dass es Beratungsangebote gibt, die nicht von den Interessen der Kostenträger oder Leistungserbringer gesteuert werden. Deshalb hat auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, FDP, die unabhängige Patientenberatung mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes seit 2011 als Regelaufgabe im SGB V verankert und eine Förderung in Höhe von mehr als 5 Millionen € im Jahr etabliert.

Das zeigt: Liberale Gesundheitspolitik setzt auf eine unabhängige Patientenberatung.

(Beifall von der FDP)

Die bisher geleistete Arbeit ist anzuerkennen; das haben die meisten meiner Vorredner auch schon ausgeführt.

Die UPD hat als ein Verbund mit 21 Beratungsstellen bundesweit – davon befinden sich mit Bielefeld, Dortmund und Köln drei in Nordrhein-Westfalen – in den letzten Jahren jeweils über 80.000 Beratungen zu rechtlichen, medizinischen und psychosozialen Gesundheitsfragen mit Patienten und deren Angehörigen durchgeführt. Wie gesagt, es waren 80.000 Beratungen. Zum Vergleich: Der Patientenbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen führt gerade einmal 1.000 im Jahr durch.

Aber auch eine gute Arbeit kann immer noch besser werden. Dazu kann einerseits die Erhöhung der Fördersumme auf 9 Millionen € jährlich beitragen, dazu zählt andererseits die Frage einer besseren telefonischen Erreichbarkeit für die Menschen, die keine der regionalen Beratungsstellen aufsuchen können.

Wir halten es allerdings auch durchaus für sinnvoll, dass sich die Anbieter der Patientenberatung einer Ausschreibung stellen sollen. Sie sollen sich mit ihren Konzepten im Wettbewerb messen und so auch zur Weiterentwicklung der Beratungsarbeit beitragen.

(Beifall von der FDP)

Vielleicht hat die Unabhängige Patientenberatung Deutschland als etablierter Anbieter hier im aktuellen Vergabeverfahren ein wenig zu sehr auf die Würdigkeit der bisher geleisteten Arbeit vertraut.

Die aktuelle Ausschreibung ist jedoch auch aus anderen Gründen zu kritisieren. Laut Medienberichten soll bei den Bewertungskriterien die Unabhängigkeit der Anbieter und die regionale Vernetzung der Beratungsstellen nur eine geringere Rolle gespielt haben, während ein besonderer Schwerpunkt die bundesweite telefonische Erreichbarkeit sein sollte. Insofern ist schon die Frage zu stellen, ob ein Teil der Kriterien so gewählt wurde, dass ein für die Krankenkassen manchmal auch unbequemer Partner wie die UPD geringere Chancen hat.

Der Gesetzgeber hat klar festgeschrieben, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen zwar über die Vergabe der Fördermittel entscheidet, aber auf den Inhalt oder den Umfang der Beratungstätigkeit keinen Einfluss nehmen darf. Denn eine derartige Auswahl der Kriterien würde indirekt einen Einfluss auf die Beratungstätigkeit darstellen.

Im laufenden Verfahren steht ein Zuschlag an die Sanvartis GmbH im Raum. Wir sehen das nicht als Problem, dass es sich dabei um einen privatgewerblichen Anbieter handelt. Nicht alleine die Rechtsform oder die Gesellschafter können aus unserer Sicht eine Unabhängigkeit der Beratung infrage stellen.

Vielmehr geht es in diesem Fall um mögliche Interessenkonflikte. Sanvartis betreibt nach eigenen Angaben das größte medizinische Callcenter Deutschlands und übernimmt seit Jahren für etliche Krankenkassen Callcenter-Aufgaben. Da gilt doch dann der alte Satz: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Vieles wurde schon gesagt. Noch ein paar Worte zur CDU: Sie pochen hier auf Vertraulichkeit. Also als vertraulich würden wir das nicht bezeichnen, was hier so alles gelaufen ist. Sie versuchen, den Patientenbeauftragten des Bundes, Staatssekretär Laumann, zu verteidigen, der zu der öffentlichen Kritik eher schweigt und nur mit einigen Randbemerkungen negative Einschätzungen der UPD anklingen ließ. Ansonsten versuchen Sie mit dem Hinweis auf das noch nicht abgeschlossene Verfahren der Kritik an der Vergabe auszuweichen. Sachlich haben Sie aber den Fragen möglicher Interessenkonflikte und einer Gefährdung der unabhängigen Patientenberatung nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir hätten dem Antrag von SPD und Grünen sogar zugestimmt. Aus technischen Gründen konnten wir ihn gemeinsam nicht mehr abändern, sodass einfach zwei Punkte, die der FDP wichtig gewesen wären, nicht mehr herausgenommen werden konnten. Von daher bitte ich Sie einfach: Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will gar nicht mehr zu dem kompletten Verfahren noch einmal ausführen. Dazu haben wir jetzt schon so einiges gehört.

Noch einmal in Stichpunkten:

Selbstverständlich geht es in diesem Ausschreibungsverfahren um viel Geld, um 63 Millionen € über sieben Jahre verteilt, also um 9 Millionen € jährlich.

Selbstverständlich ist zumindest die Gefahr, dass dort nicht alles ganz sauber läuft bei so einer Vergabe und auch bei der Gewichtung entsprechender Kriterien – Frau Kollegin Schneider hatte das gerade auch schon angeschnitten –, nicht ganz von der Hand zu weisen. Damit sollte man sich zumindest auch hier im Parlament beschäftigen.

Was nicht hilft, ist, sich wie Kollege Preuß aus der Verantwortung zu ziehen und zu sagen, das Vergabeverfahren ist unter dem Strich noch nicht abgeschlossen und wir wissen gar nicht, was am Ende dabei herauskommt. Doch, das wissen wir.

Die Firma Sanvartis in Duisburg – vielleicht sollten wir uns darüber freuen – ist ein Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen und das sichert Arbeitsplätze usw.

Nein.

Sich da einfach aus der Verantwortung zu ziehen, Herr Kollege Preuß, das ist zu wenig. Ich glaube, wir sind am Ende nicht überrascht, wenn wir nicht noch irgendwo einschreiten, dass die Firma Sanvartis dann diesen Zuschlag tatsächlich bekommen wird.

Über diese Kriterien hat auch Frau Kollegin Schneider gerade schon gesprochen. Das ist eine merkwürdige Gewichtung. Da sieht es schon so aus, dass die Ausschreibung zumindest so gestaltet wurde, dass die UPD, die bislang den Job nachgewiesenermaßen qualitativ hochwertig erledigt hat, am Ende dumm aus der Wäsche schaut und den Zuschlag nicht bekommen kann.

Was hätte allerdings in der Zwischenzeit passieren können oder passieren müssen? Ich will mich da ganz kurz auf die verschiedenen Player beziehen.

Die CDU hätte handeln können. Armin Laschet hätte seinen Kontakt zum Patientenbeauftragten des Bundes spielen lassen können. Er hätte mit Herrn Kollegen Laumann reden können. Er hätte gucken können, was er da machen kann. Das ist alles nicht passiert. Wir haben eben auch schon gehört: Laumann schweigt im Großen und Ganzen zu diesem Vergabeverfahren. Von der Seite ist während des gesamten Verfahrens keine Unterstützung zu erwarten gewesen und wird wohl auch in den nächsten Tagen und Wochen, bis dann die endgültige Entscheidung gefallen ist, nicht zu erwarten sein.

Was hätte das Ministerium, was hätte die Landesregierung machen können? Frau Kollegin Steffens hätte in den verschiedenen Gremien darauf hinarbeiten können, dass ein anderes Vergabeverfahren gestartet wird. Das ist zumindest nicht nachvollziehbar passiert. Aber dazu wird Frau Ministerin Steffens nachher noch etwas erklären können.

Eine Bundesratsinitiative hätte natürlich auch gestartet werden können. Das ist ebenfalls nicht passiert.

Die Sozialdemokraten haben im Bundestag – das haben wir eben auch schon gehört – letzten Endes das Verfahren mit durchgewunken. Also auch auf höchster Ebene, im Bundestag, ist dort nichts passiert während des gesamten Verfahrens.

Jetzt komme ich zu dem Ergebnis, wie wir als Piraten mit den beiden Anträgen umgehen. Der Beschlusstext ist in beiden Anträgen ja gleich:

„Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass die Unabhängigkeit der Patientinnen- und Patientenberatung auch in Zukunft sichergestellt wird.“

Das kann man wohl so unterschreiben. Das steht sogar schon im Sozialgesetzbuch, zwar nicht bezogen auf die Landesregierung, aber bezogen auf die Beratung. Das brauchen wir hier gar nicht zu beschließen. Unter Nerds würde man wahrscheinlich sagen, das ist Captain Obvious. Das ist völliger Unfug.

Wir werden es als Piraten nicht mit unterstützen, dass wir Sie da aus der Verantwortung entlassen, indem wir hier einen Antrag mit breiter Mehrheit beschließen und sagen: Alles klar, bitte, liebe Landesregierung, sorgt weiter für die Unabhängigkeit!

Ich halte das für selbstverständlich. Soweit ich die Ministerin kenne, wird sie das auch weiterhin tun, und zwar völlig egal, mit welcher Mehrheit wir heute welche Anträge beschließen.

Unsere Konsequenz ist, beide Anträge abzulehnen. Wir hätten uns gewünscht, das Verfahren vielleicht noch ausführlicher zu beschreiben. Wir hätten uns gewünscht, dass in den Anträgen konkrete Forderungen gestellt werden, eine konkrete Forderung nach dem Stopp des Vergabeverfahrens, nach einem neuen Vergabeverfahren mit vernünftigen Bewertungskriterien. All das fehlt in beiden Anträgen. Deswegen können die unsere Zustimmung leider nicht bekommen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute hier sehr viel über die unabhängige Patientenberatung gehört. Wir haben aber auch schon in der letzten Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 26. August darüber diskutiert.

Herr Düngel, wenn Sie die Kollegen gefragt hätten, hätten Sie wahrscheinlich schon die Informationen gehabt, was wir von Landesseite und was ich persönlich schon alles gemacht habe. Ich kann es gleich gerne noch einmal für alle vortragen.

Wir haben an allen Stellen versucht, in irgendeiner Form Informationen zu dem Verfahren zu haben. Wir haben versucht, dass diese Entscheidung mehrfach hinterfragt wird. Ich hätte mir an der Stelle eine andere Entscheidung als die, die jetzt getroffen worden ist, gewünscht. Doch wir haben als Land überhaupt keinen Einfluss auf dieses Verfahren. Ich habe am Rande der Gesundheitsministerkonferenz intensiv mit den Kolleginnen und Kollegen darüber gesprochen. Wir haben versucht, alle Möglichkeiten und Telefonnummern, die wir haben, auszuschöpfen, um uns in irgendeiner Form für unsere hochqualifizierte Patientenberatung durch die UPDen einzusetzen. Das werden wir auch weiterhin tun. Doch das Verfahren liegt nicht in unserer Hand.

Wenn wir uns die UPDen ansehen, wie sie heute sind, brauchen wir hier nach all den Redebeiträgen nicht noch einmal zu sagen, wie wichtig sie genau in dieser Struktur sind. Denn das, was die Menschen an gesundheitlichen Problemen und gerade an Schwierigkeiten mit ihrer Krankenkasse und ihrem Kostenträger haben, bedeutet, dass sie in vielen Fällen eine persönliche Beratung, eine hochqualifizierte und hochspezialisierte Beratung brauchen.

Wir wissen, wie die Bewertungen der UPDen auf Bundesebene sind. Der Erfahrungsbericht der Bundesregierung vom 15. April 2013 sagt: Es ist eine gute Etablierung der Beratungstätigkeit, es ist eine Beratung auf qualitativ hohem Niveau, und das ist die Beratung, die wir brauchen. Es gibt auch durch die Nutzerinnen und Nutzer eine durchweg positive Bewertung dieser unabhängigen Beratungsstruktur.

Das Auslaufen der aktuellen Förderphase bis zum 31. Dezember 2015 ist dargestellt worden. Der erste Schritt, an den man schon viele Fragezeichen machen kann, ist das europaweite Ausschreibungsverfahren vom 18. Oktober 2014. Denn in dem Ausschreibungsverfahren ist der Rahmen festgelegt worden, wer sich bewirbt, mit welchem Profil man sich bewirbt und wie am Ende Zuschläge gegeben werden. Da hat der SpiBu gemeinsam mit den Patientenbeauftragten die Steigerung der Anzahl der Beratungskontakte bei sichergestellter Qualität ganz weit oben angesiedelt, die verbesserte Erreichbarkeit des unabhängigen Informations- und Beratungsangebots.

Herr Preuß, genau da fängt das Problem an, dass die Definition von „unabhängig“ sehr unterschiedlich sein kann. Denn das „unabhängig“, das wir heute in den meisten Redebeiträgen gehört haben, heißt, dass auch aus Sicht der Patienten und Patientinnen der Wunsch besteht, dass jemand, der jemanden gegen die Interessen der Krankenkassen berät, nicht wirklich als Hauptfinanzier, egal welchen Geschäftszweigs, die Krankenkassen hat.

Diese Unabhängigkeit ist die, die jetzt im Verfahren von sehr vielen nicht so gesehen wird. Wenn man die ablehnenden Stellungnahmen sieht, egal, ob es die Kassenärztlichen oder die Zahnärztlichen Vereinigungen, die Krankenhausgesellschaft, die Patientenbeauftragten, die Bürgerinnen und Bürger sind, die sich dazu geäußert haben, dann stellt man fest, dass es durchweg nicht als eine Neutralität und Unabhängigkeit gesehen wird.

Denn die Firma Sanvartis selbst sagt, jeder dritte, jeder vierte Patient, der seine Krankenkasse anruft, landet bei ihrer Hotline. Das heißt, jeder Dritte und Vierte, der eine Auskunft von seiner Krankenkasse haben will, landet bei diesem Unternehmen, und dieses Unternehmen soll unter Umständen gegen die Interessen der Krankenkassen beraten. Daran stehen viele Fragezeichen.

Welche Chancen und Möglichkeiten haben wir noch? – Die Anrufung der Vergabekammer hat stattgefunden. Dort wird das Vergabeverfahren jetzt erst einmal gestoppt und überprüft, aber – auch da muss man sich nichts vormachen – die Überprüfung ist eine Überprüfung, ob es ein formal richtiges Vergabeverfahren gegeben hat. Dabei wird nicht überprüft, ob die Gewichtung der Ausschreibung eine richtige war, dabei wird nicht überprüft, ob hier der Patientenbeauftragte im Interesse der Patienten und Patientinnen gehandelt hat, sondern hier werden nur ganz formale Kriterien überprüft. Dabei kann viel herauskommen.

Heute ist es insofern wichtig, hier dieses Zeichen zu setzen, dass die heutigen unabhängigen Patientenberatungsstrukturen, die unabhängig sind, wichtig sind. Aber wir werden uns mit diesen Verfahren noch beschäftigen müssen, wenn es abgeschlossen ist. Denn dann werden wir die Entscheidung nachvollziehen können, dann werden wir die Gewichtung sehen. Herr Preuß, ich glaube, dann werden Sie die Rede von heute so wahrscheinlich nicht wiederholen.

Deswegen hoffe ich, dass wir von Nordrhein-Westfalen aus ein deutliches Zeichen setzen, ein deutliches Zeichen in Richtung des Patientenbeauftragten, dass wir für Nordrhein-Westfalen unsere Strukturen für wichtig und richtig halten und die Unabhängigkeit für uns auch wirkliche Unabhängigkeit bedeutet. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin Steffens. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Wir sind am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung über zwei Anträge.

Erstens stimmen wir ab über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/9594. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/9594 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU, der Fraktion der FDP und der Fraktion der Piraten angenommen.

Wir kommen – zweitens – zur Abstimmung über den Erschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/9657. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Die FDP stimmt zu. Wer stimmt dem nicht zu? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/9657 mit den Stimmen der SPD, der CDU, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der Piraten abgelehnt. Bei Zustimmung der FDP-Fraktion hat es eine Ablehnung gegeben.

Wir sind am Ende des Tagesordnungspunkts 4.

Ich rufe auf:

5   Gesetz zur Änderung des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz – LBG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9578

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Theo Kruse das Wort.

Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In Nordrhein-Westfalen werden Beamte bedauerlicherweise immer öfter zur Zielscheibe von Gewalt. Das betrifft nicht nur den Polizei- und Strafvollzugsdienst, sondern inzwischen auch Mitarbeiter von Jobcentern oder von anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung und ebenso die Kameradinnen und Kameraden der Feuerwehr.

Aus solchen Angriffen resultieren für die Betroffenen zwar in aller Regel Schmerzensgeldansprüche, die mangels Liquidität des Schädigers jedoch häufig nicht durchsetzbar sind.

Für die verletzten Beamten ist dieser Zustand äußert unbefriedigend. Sie haben das Gefühl, von ihrem Dienstherrn in einer Situation alleine gelassen zu werden, die ihren Ursprung einzig und allein in ihrer dienstlichen Pflichterfüllung hat.

(Beifall von der CDU)

Der heute von der CDU eingebrachte Gesetzentwurf soll diesen Missstand nun endlich beenden. Er sieht nämlich vor, dass entsprechende Schmerzensgeldansprüche vom Land Nordrhein-Westfalen erfüllt werden, wenn bei den Schädigern nichts zu holen ist.

Ich gehe davon aus, dass die regierungstragenden Fraktionen, sprich die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, diesen Vorstoß zum Wohle der verletzten Beamtinnen und Beamten in unserem Land unterstützen werden, der aus Sicht der CDU-Fraktion eine entscheidende Verbesserung der Rechtsposition der Beamten vorsieht.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass es schon einige Bundesländer gibt, die eine entsprechende Erfüllungsübernahme in geltendes Recht gegossen haben. Dieses sind unter anderem die Länder Bayern und Schleswig-Holstein.

Ich freue mich natürlich auf die Beratungen im Ausschuss und stimme der Überweisungsempfehlung zu. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Stotko.

Thomas Stotko (SPD): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kruse, wir freuen uns natürlich, dass Sie einen Gesetzentwurf aufgegriffen haben, der auch an uns als regierungstragende Fraktion herangetragen wurde.

Wir haben, als er an uns herangetragen wurde, abgelehnt, ihn einzureichen. Ich will Ihnen auch unsere Gründe hierzu erläutern: Wenn man sich anschaut, dass in anderen Ländern – Bayern haben Sie als Beispiel genannt – ein solches Verfahren funktioniert, muss man sich als Erstes fragen, warum denn nur ein Teil der Belegschaft des Landes berücksichtigt wird. Warum sollen die Tarifbeschäftigen einen Schmerzensgeldanspruch vom Dienstherrn nicht ausgeglichen bekommen? Wie sieht es mit anderen Mitarbeitern in Jobcentern, wo auch immer, aus, die auch im Dienste des Staates ihre Tätigkeit erbringen, jetzt von einem Leistungsempfänger aus welchem Grund auch immer verletzt werden und einen Schmerzensgeldanspruch herleiten?

Uns fehlt bei diesem Gesetzentwurf die Gleichbehandlung der Beschäftigten im Land Nordrhein-Westfalen, im Übrigen auch der Beamten und Tarifbeschäftigten in der gesamten Bundesrepublik. Deshalb haben wir immer angeregt, bundesweit zu schauen, wie es in anderen Ländern aussieht, welche Möglichkeiten es dort gibt. – Das ist einer der Gründe, warum wir Ihrem Gesetzentwurf derzeit nicht sonderlich positiv gegenüberstehen.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund, Kollege Kruse. Dort, wo Sie es benennen, wo es stattfindet, nämlich der Übergang des Schmerzensgeldanspruchs auf den Dienstherrn im negativen Sinne, führt es zu dem Problem, dass festgestellt werden muss, welcher Anspruch eigentlich angemessen ist.

Sowohl beim rechtskräftigen Urteil und der Feststellung eines Schmerzensgeldanspruchs, aber insbesondere auch bei der Feststellung im Vergleichswege wird eine Summe festgelegt, bei der der Geschädigte und der Schädiger vielleicht der Meinung sind, das sei angemessen.

Jetzt schreiben Sie selber in Ihrem Gesetzentwurf, dass diese Summe aber nur dann gilt, wenn sie angemessen sei. Wer stellt denn das fest?

Das führt zu folgendem Problem: Der Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen hat zum Beispiel im Vergleichswege einen Anspruch von 3.000 € erwirkt. Das Land Nordrhein-Westfalen meint aber, er dürfe nur 1.000 € bekommen. Das heißt, Sie führen den Streit, ob jemand ordnungsgemäß sein Schmerzensgeld bekommt, in die Frage zwischen Dienstherrn, dem Land Nordrhein-Westfalen, und Beschäftigtem. Ich halte das für keine kluge Idee.

Im Grundsatz haben Sie in einem recht: Diejenigen, die für das Land Nordrhein-Westfalen, die für den Staat unterwegs sind und dabei verletzt werden, dürfen wir bei ihren Ansprüchen nicht alleinlassen. Leider scheint uns aber Ihr Gesetzentwurf nicht der richtige zu sein, um dieses Problem zu heben. Wir freuen uns aber auf die weiteren Beratungen im Landtag Nordrhein-Westfalen. – Besten Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In bester koalitionärer Eintracht darf ich da anknüpfen, wo Thomas Stotko gerade aufgehört hat,

(Beifall von Thomas Stotko [SPD]

nämlich bei der Feststellung, jede Beamtin, jeder Beamter, die oder der in Ausübung ihrer oder seiner Tätigkeit verletzt wird, ist eine Person zu viel.

Wir diskutieren oft im Innenausschuss, Kollege Kruse, über die Frage, wie wir einen optimalen Schutz vor Übergriffen gewährleisten. Da kommt von der CDU in der Regel wenig von substanziellem Gehalt. Die Kollegen Golland und Co. führen dann mehr Überwachung, Taser oder Bodycams und Ähnliches an. Sie wissen, dass wir da nie zusammenkommen. Deswegen müssen wir heute auch darüber nicht diskutieren. Wir sprechen heute auch nicht über den Untoten, den Sie jedes Mal wieder beleben, wenn wir gerade den Antrag abgelehnt haben, nämlich die rechtspolitisch falsche und wirkungslose Strafrechtsverschärfung.

Wir reden heute über etwas anderes, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ein Mensch, der in Ausübung einer staatlich übertragenen Funktion und Aufgabe Ziel von Übergriffen, von Gewalt wird, braucht bestmögliche Unterstützung. Da gibt es heute schon zahlreiche Konstellationen, in denen das Land als Dienstherr Leistungen zugunsten der Betroffenen erbringt. Davon sind etwa Leistungen der Unfallfürsorge, insbesondere Kosten der Heilbehandlung und Pflege, umfasst, um nur zwei Beispiele zu nennen. Dabei handelt es sich dann um die Übernahme tatsächlich anfallender Kosten.

Beim Schmerzensgeld liegt es rechtlich betrachtet etwas anders. Das Schmerzensgeld hat eine Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion. Es ist als Ersatz für immaterielle Schäden konzipiert. Diesen Unterschied muss man dann in der Debatte auch berücksichtigen.

Uns ist klar, dass es für Menschen frustrierend ist, wenn es ihnen nicht möglich ist, ausgeurteilte Ansprüche tatsächlich durchzusetzen, wenn sie schon einmal Recht bekommen haben. Aber nichtdestotrotz werden wir in den kommenden Diskussionen im Rahmen der Dienstrechtsreform natürlich darüber sprechen müssen, was geht und was nicht geht.

Wir sind uns einig, dass Beamtinnen und Beamte, gerade diejenigen, die sich regelmäßig in kritische Situationen begeben, um einen Dienst an der Gemeinschaft zu leisten, Anerkennung und Unterstützung brauchen. Aber das, was Sie hier so nonchalant einbringen, wirft doch eher Fragen, insbesondere Rechtsfragen auf, die einer Klärung bedürfen. Das unterschlagen Sie an dieser Stelle.

Ich möchte gerne einige Fragen umreißen – Thomas Stotko hat eben schon einige angesprochen –, die uns beschäftigen.

Das beginnt damit, dass wir vor einer Änderung wissen müssen, wie viele Fälle es überhaupt gibt, bei denen eine solche Regelung einschlägig wäre.

Ich erinnere mich noch an die Diskussionen, die wir in der letzten Legislaturperiode um die sogenannten Blaulichtunfälle hatten. Dabei gab es nur einige wenige Fallkonstellationen, in denen unser Entschädigungsrecht nicht funktioniert hat. Da ging es tatsächlich um Einzelfälle. Das konnten wir mit einer Stiftung lösen. Ich befürchte aber, dass wir es bei der Konstellation, auf die Sie abstellen, wegen der steigenden Fallzahlen mit einer deutlich größeren Zahl zu tun haben dürften.

Damit eng verknüpft ist die Frage, wo genau die Schutzlücke liegt. Damit verbunden ist die Frage, wie wir das im Zweifelsfall juristisch sauber definiert bekommen, wo diese Schutzlücke liegt. Wie sieht es aus mit der ungleichen Behandlung von Tarifbeschäftigten, wenn nur Beamtinnen und Beamte in den Genuss dieser Fürsorgeleistungen kommen würden? Warum wollen Sie den Tarifbeschäftigten nicht auch diese Leistung zuteilwerden lassen?

Das sind nur einige Fragen, die Ihre isolierte Vorlage zum Beamtenrecht aufwirft. Sie werfen mit dem heute eingebrachten Antrag mehr Fragen auf, als Sie lösen.

Um zum Abschluss zu kommen: Ich finde schon seltsam, wie Sie verfahren wollen. Wir haben ein breit angelegtes Verfahren zur Dienstrechtsreform. Das Verfahren geht auf die Zielgerade. Die Entwürfe für das Dienstrechtsmodernisierungsgesetz wurden von der Landesregierung dem Landtag übermittelt. Das ist ein großes Paket mit insgesamt 18 sehr guten und wichtigen Vorschlägen, wie wir unsere Ziele für einen attraktiven und zukunftsfähigen öffentlichen Dienst erreichen können. Ich will exemplarisch nur die Durchlässigkeit und das Gesundheitsmanagement herausgreifen und – für unseren Kontext natürlich besonders wichtig – die Wiedereinführung der Ruhegehaltsfähigkeit der Polizei-, Feuerwehr- und Justizzulage. Die Ruhegehaltsfähigkeit haben wir immer versprochen. Das wird jetzt verwirklicht.

Sie greifen in dieser großen Debatte einfach einen Punkt aus einem riesigen Vorhaben heraus. Das finden wir vom Verfahren her nicht wirklich vernünftig. Das Dienstrecht ist nämlich ein organisches Ganzes. Es ist dabei nicht sinnvoll, einen Teilbereich herauszureißen. Sie haben sich für einen anderen Weg entschieden. Der ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll. Aber das ist okay. Deswegen freue ich mich auf die Debatte im Ausschuss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kruse, der vorliegende Gesetzentwurf basiert auf dem Schreiben einer Polizeigewerkschaft. Das ist durchaus okay. Ich denke aber, dass wir uns dem Thema – so sehen wir Freien Demokraten das – in weit größerem Umfang nähern müssen. Es besteht nämlich mehr Überprüfungs- und Verbesserungsbedarf als nur die Schaffung eines neuen Paragrafen im Landesbeamtengesetz.

Fakt in Nordrhein-Westfalen ist doch: Die Zahl der Gewalttaten gegen Polizeibeamte steigt leider. In Köln wurden im letzten Jahr 1.774 Beamte im Dienst angegriffen. Das ist auch kein singuläres Problem der Polizei. Dieses Problem betrifft genauso unsere Rettungskräfte und die Feuerwehr bis hin zu Gerichtsvollziehern, die zunehmend mit Übergriffen zu leben haben.

Wir sollten in dieser Frage aus diesem Hause heraus das unmissverständliche Signal senden, dass jedem, der sich mit denen anlegt, die ausrücken, um Leben zu schützen und Leben zu retten, klar sein muss, dass er sich nicht nur mit den Rettungskräften, den Feuerwehrleuten und den Polizeibeamten anlegt, sondern mit uns allen, also mit dem Rechtsstaat. Dafür muss er auch die Quittung des Rechtsstaates erhalten.

(Beifall von der FDP)

Das bedeutet dann aber auch eine schnelle und konsequentere Bestrafung. Da sind wir dann ganz schnell beim Problem, meine Damen und Herren. Denn diese erfolgt in Nordrhein-Westfalen ja zumeist nicht. Prozesse gegen Täter, die Beamte beleidigt, bedroht, angegriffen oder gar verletzt haben, landen in Wahrheit bestenfalls in Aktenbergen bei den Staatsanwaltschaften oder später dann in dicken Prozessaktenstapeln bei Gericht.

Der akute Personalmangel bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten, insbesondere aber auch den Strafkammern der Landgerichte, sorgt dafür, dass Täter nach solch brutalen Taten gegen Amtsträger ja nicht nur oft jahrelang unbehelligt weiter agieren können, sondern dass später wegen der langen Verfahrensdauer auch Strafnachlässe einzurechnen sind.

Das ist dann letztlich ein Offenbarungseid des Rechtsstaates, und für alle Beamten, die bei der Ausübung ihres schwierigen Jobs verletzt worden sind, bedeutet das im Grunde genommen einen weiteren Schlag ins Gesicht.

(Beifall von der FDP)

Ich denke, wir müssen dringend an dieses Problem heran. Deshalb muss auch der Justizminister endlich aktiver werden, zum Beispiel mittels beschleunigter oder besonders beschleunigter Verfahren. Doch diese werden in Nordrhein-Westfalen leider kaum angewendet. Finden dann die normalen Verfahren endlich nach etlichen Monaten – eher Jahren – statt, werden in den seltensten Fällen im Wege sogenannter Adhäsionsverfahren die zivilrechtlichen Sprüche unmittelbar im Strafprozess mit abgeurteilt.

Ich meine, man muss endlich mit einer einheitlichen Linie gegen Gewalttäter, die Beamte angreifen, vorgehen. Ziel muss sein, dass neben der Strafe auch die finanzielle Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens und Schmerzensgeld durchzusetzen sind. Geht das nicht, dann müssen zumindest ein schneller Prozess und Strafe erfolgen und dabei gleichzeitig eine Aburteilung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen.

Dazu zählt natürlich im Übrigen, dass der Staat beschädigte Einsatzmittel und Kosten für Dienstausfälle eben auch konsequent beim Schädiger einklagen und eintreiben muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, falls sich diese Ansprüche am Ende mangels Liquidität des Schädigers für unsere Beamtinnen und Beamten nur als teilweise oder auch als gar nicht durchsetzbar erweisen, erscheint für uns als Freie Demokraten in Anbetracht der Fürsorgepflicht des Dienstherrn eine Erfüllungsübernahme sachlich darstellbar.

Es ist letztlich die Frage, ob man als Land fiskalisch dazu bereit ist, in Vorleistung zu treten oder bei Nichteintreibbarkeit eventuell den Ausfall zu tragen. Wir wissen noch nicht, was das kostet. Herr Kruse hat schon angesprochen, dass es bereits in Bayern und Schleswig-Holstein in Bezug auf die Beamten die Möglichkeit der Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn gibt. Die dortigen Erfahrungen sollten wir mit einfließen lassen in die Beratungen im Ausschuss.

Wir Freien Demokraten würden gern im Sinne der verletzten Beamten eine wirklich notwendige und vor allen Dingen dann einheitliche Linie gegen Gewalttäter durchsetzen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Schatz.

Dirk Schatz (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Ein wichtiges Thema wird wieder einmal von der CDU auf die Agenda gebracht. Gewalt. Wir haben es schon häufig behandelt. Häufig ist es speziell die Gewalt gegen Polizeibeamte. Hier geht es allgemeiner um die Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte, aber auch zum Beispiel um Gewalt gegen Beamte, die in Jobcentern arbeiten etc.

Es ist grundsätzlich gut, wenn wir dieses Thema behandeln. Das Thema kann nicht oft genug behandelt werden. Diesmal macht es die CDU aus meiner Sicht sogar mit einem durchaus sinnvollen Beitrag. Das kann ich schon einmal sagen.

Man hat die Verfahren, um einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen, schon vereinfacht, zum Bespiel über das Adhäsionsverfahren. Man kann Ansprüche direkt im Strafverfahren geltend machen. Wie die Vorredner schon festgestellt haben, ist es dann aber durchaus ein Problem und sehr frustrierend für die Beamten, wenn die sie als Betroffene feststellen, dass das Verfahren zwar vereinfacht worden ist, aber sie ihren Anspruch nicht durchsetzen können, weil er nicht durchsetzbar ist: Ich bekomme den Titel nicht beziehungsweise kann ihn nicht durchsetzen, weil der Schädiger kein Geld hat.

Das wirkt sich auf die Moral der Beamten, auf das allgemeine Klima usw. aus. Jeder Beitrag, der dazu führt, Gewalt zu mindern oder – wie in diesem Fall – zumindest deren Folgen finanziell auszugleichen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Speziell bei diesem Entwurf der CDU-Fraktion kann ich auch nach den Beiträgen meiner Vorredner nichts erkennen, was grundsätzlich gegen diese Idee spricht. Die haushalterische Belastung dürfte sich in Grenzen halten und keine Rolle spielen.

Herr Stotko sagte, die Gleichbehandlung sei ein Problem. Er hat auch gefragt, wer über die Angemessenheit entscheidet. – Ja, da haben Sie recht. Das ist ein Problem. Das kann man zunächst einmal nicht von der Hand weisen. Aber wir befinden uns hier im Gesetzgebungsverfahren. Wir beschließen heute diesen Gesetzentwurf nicht so, wie er uns vorliegt. Wir haben einen Ausschuss. Darin kann man darüber reden. Wenn es nötig ist, kann man sogar noch eine Anhörung beantragen. Es gibt viele Möglichkeiten. Der Gesetzentwurf muss nicht in dieser Form das Haus verlassen. Wir können uns hinsetzen und gemeinsam Ideen entwickeln. Ich sehe darin eigentlich kein Problem.

Wenn ich mir diesen Gesetzentwurf ansehe, wäre es mir persönlich sogar lieb, wenn wir aus der Kann-Vorschrift eine Soll-Vorschrift machen würden. Ansonsten ist die Durchsetzbarkeit ohnehin nicht ohne Weiteres gegeben. Ich kann nur sagen: Die Idee ist charmant. Mit unserer Unterstützung kann gerechnet werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gut ist, dass der Antrag ein Thema aufgreift, welches wir gemeinsam aufs Schärfste verurteilen, nämlich Gewalt gegen Beamtinnen und Beamte. Das gilt sowohl für Beamte als auch für Tarifbeschäftigte. Das ist überhaupt keine Frage.

Der Entwurf lässt aber aus unserer Sicht einige Fragen offen, insbesondere die nach einer verlässlichen Beurteilung der Erfahrungen aus Bayern und Schleswig-Holstein, den beiden einzigen Ländern, die zurzeit solche Regelungen haben. Das schließt im Übrigen die unbeantworteten Fragen ein, ob es weitere Fürsorgeleistungen des Dienstherrn geben soll und wie man sie sachgerecht ausgestaltet. Herr Stotko hat auf die Problematik hingewiesen. Auch stellt sich die Frage nach der Gleichbehandlung von Beamtinnen und Beamten und Tarifbeschäftigten. Dies unterliegt naturgemäß nicht dem LBG.

Unser Vorschlag wäre, dieses wichtige Thema im Zuge der Dienstrechtsmodernisierung zu diskutieren. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/9578 an den Innenausschuss – federführend –, an den Haushalts- und Finanzausschuss sowie an den Unterausschuss Personal. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dem nicht zu? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

6   Leerrohre statt leerer Versprechen: Breitbandausbau-Blockade von Bauminister Groschek beenden; Zukunft mitdenken und einbauen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9585

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Piraten Herrn Kollegen Bayer das Wort.

Oliver Bayer (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Besucher hier und am Stream – je nach Internetanbindung! Wir brauchen für die Entwicklung unseres Landes in Zukunft ein richtig schnelles Internet – überall: in der Stadt und auf dem Land. Dafür brauchen wir Leerrohre unter unseren Verkehrswegen.

Doch wie kann man Inkompetenz der Politik ganz wunderbar vor der Haustür der Menschen darstellen? – Man installiert eine Baustelle und macht die Straße neu. Lärm, Dreck, Ärger, blanke Nerven. – Aber okay, das muss sein. Der Trick ist, nach wenigen Monaten erneut die Straße aufzureißen und Kabel für ein Telefonunternehmen zu verlegen. Dann zuschütten und warten. Dann reißt man die Straße noch einmal auf und verlegt Kabel für einen Kabelnetzbetreiber.

Meine These: Dreimal aufgerissene Straßen sind der Inbegriff schlechter Politik für die Menschen.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber genau das machen Minister Groschek und die Landesregierung, wenn sie nicht beim ersten Aufreißen der Straße Leerrohre auf Vorrat legen. Sie müssen künftig grundsätzlich Leerrohre mitverlegen, um Zukunft eine Chance zu geben. Das muss auch erfolgen, ohne dass ein konkreter Telekommunikationsanbieter parat steht. Warum? Weil wir Wettbewerb brauchen, weil günstig verlegte Leerrohre die Kosten und Hürden für Anbieter drastisch senken und weil wir somit wirklich alle Gegenden Nordrhein-Westfalens erreichen.

Leerrohre sind eine öffentliche Infrastruktur. Die generelle Berücksichtigung beim Bau von Straßen, aber auch Schienen und Radschnellwegen ist eine obligatorische öffentliche Aufgabe.

Doch Minister Duin und Minister Groschek, der scheinbar lange Zeit gar nicht wusste, dass es auch in seinen Bereich fällt, wollen technikneutral fördern. Technikneutral klingt toll, ist aber Mist. Statt Leerrohre und Glasfaser für alle zu wählen, wird die für den größeren Anbieter billigste Lösung gewählt. Große Anbieter verwenden ihre abbezahlten Kupferleitungen für ein paar Megabit mehr und setzen auf sogenanntes Vectoring.

Technikneutral bekommen diese Anbieter also dann eine Lizenz zum Geldverdienen für eine veraltete Technologie. In zehn Jahren braucht man dann erneut Subventionen für Glasfaser.

Damit erweisen sich Minister Duin und Minister Groschek nicht als Technikfreunde, sondern als technikneutral.

(Zuruf von den PIRATEN: Leerrohrkrepierer!)

Verstehen Sie das also nicht falsch: Breitbandausbau heißt nicht, der Telekom Geld zu geben, damit sie ihre Kupferkabel ausreizt. Der finanzielle Ausgleich von Wirtschaftlichkeitslücken, wie man so schön sagt, ist kein besonders effizienter Weg. So erzeugt man Monopole und generiert Mitnahmeeffekte.

Nur konsequent verlegte Leerrohre in Städten und auf dem Land über 2018 hinaus langfristig gedacht erreichen alle Gebiete, fördern den Wettbewerb und können auch Innovationen hervorbringen. Zum Beispiel können auch Freifunkinitiativen Leerrohre für die Überbrückung kurzer Strecken nutzen.

Die Berichte der letzten Zeit zeigen, dass das Bau- und Verkehrsministerium augenscheinlich völlig blank auf dem Gebiet ist. Dabei ist Groscheks Ministerium entscheidend. Es ist auch nicht tröstend, dass Ihre Partei noch weniger durchblickt. Richten Sie doch Herrn Ott mit Blick auf seine Pressemitteilung aus, WLAN in Neubauten ist keine Alternative zum Glasfaserkabel auf der letzten Meile in die Wohnung der Menschen. Das gilt in Köln wie überall. Er kann hier noch etwas lernen.

Die Leerrohrpflicht gehört sowohl in die Breitbandausbauinitiative als auch in die neue Landesbauordnung, auf den Tisch von Straßen.NRW und in den Verkehrshaushalt. In den Topf gehören übrigens Landesmittel.

Mit dem ständigen Verweis auf den Bund bei wirklich allen Finanzierungsfragen in Ihrem Ressort, Herr Groschek, haben Sie vor allem eines erreicht: Im Bund nimmt man Sie gar nicht mehr ernst. Wer selbst keine Verantwortung mehr übernimmt, braucht das Geld ja nicht so dringend.

Sorgen Sie also dafür, dass das Geld nicht im Kupferkabelgrab einzelner Anbieter landet! Es muss effizient verwendet werden. Begreifen Sie endlich Leerrohre als einen wichtigen Teil der Breitbandausbaustrategie! Und das Bau- und Verkehrsministerium muss seine Verantwortung wahrnehmen.

Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, freuen Sie sich über solche Nachrichten aus Ihrem Wahlkreis: Plötzlich haben sogar wir schnelles Internet. Zwei Anbieter und die Freifunkinitiative vom Nachbarort! Ich habe gar nicht gemerkt, wie die das Glasfaserkabel verlegt haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Löcker.

Carsten Löcker (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Leerrohre statt leerer Versprechungen“, so ist der Antrag der Piraten überschrieben, der vorgibt zu wissen, wie der Ausbau des Breitbandnetzes in NRW schnell gelingen kann. Bei genauer Durchsicht des Antrages stellt man allerdings fest, dass hier tatsächlich Leerrohre verlegt worden sind nach dem Prinzip: ohne finanzielle Ressourcen und ohne Konzept. Man könnte sie auch als „politische Leerrohre“ bezeichnen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, Ihre Aufforderung an das Land, nun endlich per Verordnung mit Landesknete die schnelle Verlegung von Leerrohren auf etwa 13.000 km Landesstraßen zu bringen und damit eine schnelle Verbesserung bei der Breitbandversorgung einzuleiten, ist die falsche Vorgehensweise. Ihr Vorschlag wirkt planlos. Er gibt nämlich vor, dass durch eine bevorratende Leerrohrverlegung bereits eine Innovation eingeleitet würde, die dann schon ihre positive Wirkung auf die Breitbandversorgung im ganzen Land erzielen wird.

Ich sage Ihnen: Davon gehen nur Sie aus, meine Damen und Herren. – Wir wissen, dass es vor allen Dingen darauf ankommen wird – in enger Abstimmung mit den Wirtschaftsakteuren –, die zur Verfügung stehenden Mittel aus der Digitalen Dividende zielgerichtet einzusetzen und die Bedarfe beim Breitbandausbau, insbesondere der Breitbandanbieter, dabei zu berücksichtigen.

Das Land Nordrhein-Westfalen ist deshalb gut beraten, die eigenen Landesaktivitäten so zu organisieren, dass im Rahmen der Sanierungs- und Neubauaktivitäten von Landesstraßen, die natürlich kommen werden, zu verlegende Leerrohre auch einen Anschluss in Stadt und Land finden können. Was denn sonst? Darüber müsste man dann diskutieren, wenn es planlos wäre. Das Land darf kein alleiniger Taktgeber für den Breitbandausbau sein. Ihr Plan springt deshalb viel zu kurz, wie wir meinen.

Wir brauchen eine differenzierte Betrachtung der tatsächlichen Bedarfe vor Ort. Das wird auch diskutiert. Was in verdichteten Räumen einfach und schnell umsetzbar erscheint – wegen uns mit Leerrohren, das ist auch in Ordnung –, kann im ländlichen Raum zu einer echten Herausforderung werden. Das wissen natürlich auch Sie, meine Damen und Herren.

Deshalb brauchen wir innovative Ideen für das ganze Land. Da, wo Sie planlos Leerrohre verlegen wollen, wollen wir zunächst mit den Akteuren der Wirtschaft sowie mit den Städten und Gemeinden reden. Das tun wir zurzeit, um auch auszuloten, welche unterschiedlichen Techniken genutzt und zum Zuge kommen können, und das möglichst kostengünstig, wie sich von selber versteht.

Wir wissen, das Netz – Ihr Leib- und Magenthema – schläft nicht. Das ist völlig klar. Aber neue Technologien in diesem Zusammenhang schlafen eben auch nicht. Sie werden erforscht, und es gibt bereits Hinweise darauf, dass über die Breitbandtechnik Kupferkabel, WLAN, Freifunk hinaus auch die Kleinsatellitentechnik zukünftig eine echte Chance insbesondere im ländlichen Raum erfahren kann, wenn es eben nicht machbar ist, mit großräumiger Leerraumverlegung entsprechende Erschließung zu ermöglichen.

Eine weitere Technik ist der Richtfunk. Er ist hier und da nicht nur in der Erprobung, sondern auch schon in der Nutzung. Es gibt da wirklich gute Erfahrungen mit flexiblen und erprobten Techniken.

(Zuruf von den PIRATEN: Internet auf Sichtkontakt!)

Diese Techniken können überall dort, wo die Verlegung von Glasfasernetzen in Leerrohren aus wirtschaftlichen Gründen ausscheidet – das ist auch möglich –, schnell und kostengünstig zur Überbrückung großer Distanzen bis 30 km genutzt werden. Da helfen Leerrohre an Straßenrändern wenig weiter.

Welche Systeme in Zukunft zum Einsatz kommen, müssen auch die Akteure vor Ort entscheiden. Dabei muss es auch bleiben. Beim runden Tisch gibt es Gespräche über eine perspektivisch vernünftige Vorgehensweise. Mit staatlichem Dirigismus per Verordnung – so viel steht fest – ist hier wenig zu bewirken. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Löcker. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Schick.

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Löcker, Sie sagten gerade: nicht planlos Leerrohre verlegen. – Ich finde, wer keine Leerrohre verlegt, der hat keinen Plan.

(Beifall von den PIRATEN)

Um erst gar keine Spannung aufkommen zu lassen: Wir werden dem Antrag der Piraten zustimmen. Alles andere wäre auch eine Überraschung. Schließlich haben wir wie keine andere Fraktion hier im Landtag Anträge gestellt, um beim Breitbandausbau in Nordrhein-Westfalen Tempo zu machen.

(Beifall von der CDU)

Bei unserer Forderung nach zügiger Umsetzung der europäischen Kostensenkungsrichtlinie haben wir das Thema „Leerrohre“ zumindest schon einmal gestreift.

Die Fakten, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind bekannt.

Im ländlichen Bereich, wo vielfach die kleinen Weltmarktführer zu Hause sind, haben erst 40 % der Anschlüsse schnelles Internet. Bei den Gewerbegebieten dort sieht es noch düsterer aus: Nur 10 % sind an Datenautobahnen angeschlossen. Die Liste ließe sich noch länger fortsetzen, aber ich will Ihnen das ersparen.

Laut der MICUS-Studie wären 3,2 Milliarden € notwendig, um ein flächendeckendes Breitbandnetz in Nordrhein-Westfalen aufzubauen. Der Beitrag reicht aber nur, wenn alle Kostensenkungspotenziale ausgenutzt werden, und da spielen Leerrohre eine wichtige Rolle.

Aus diesem Grund, Herr Minister Groschek, kann ich auch nur den Kopf darüber schütteln, wie sich Ihr Ministerium eingelassen hat. Herr Minister Groschek, in der Onlineausgabe der „Rheinischen Post“ vom 7. August 2015 wird ein Sprecher Ihres Ministeriums mit den Worten wiedergegeben, dass Leerrohre deshalb nicht pauschal bei Straßenbauarbeiten verlegt würden, weil die Investitionen des Ministeriums alleine zu Zwecken des Straßenbaus gerechtfertigt und finanziell abgesichert sind.

Wie kommt Ihr Ministerium auf diese Aussage? Ist man für digitale Tempolimits? Hat man nicht schon genug Staus in Nordrhein-Westfalen verursacht?

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Aber immerhin: Diese Position „bröselte“ genauso schnell wie die vielen Autobahnbrücken hier in Nordrhein-Westfalen. Einen Tag später, also am 8. August 2015, hörte sich das in der Onlineausgabe der gleichen Zeitung nämlich schon etwas anders an. Immerhin sollen bei Reparaturen an Landesstraßen jetzt Leerrohre verlegt werden. So werden Sie zumindest wiedergegeben, Herr Minister.

Selbst wenn das eine positive Wendung ist, dauert es aber, wie so häufig, viel zu lange. In Hessen wird schon seit fünf Jahren immer wieder geprüft, ob es nicht möglich ist, unterhalb der Straße Leerrohre zu verlegen. Vielleicht machen Sie eines der nächsten Praktika, die in der Landesregierung ja üblich sind, einfach einmal in Hessen und schauen sich an, wie erfolgreich regiert wird.

Ich möchte den Blick ein bisschen von den Leerrohren lösen und diese Detailfrage hinter mir lassen, um das Thema „Netzpolitik im Kabinett“ selbst zu beleuchten. Netzpolitik kommt von „Vernetzen“ und hat wenig mit „Vor-sich-hin-Wurschteln“ zu tun.

Herr Minister Groschek, Herr Minister Duin, ich verstehe ja, dass Sie rot sehen, wenn es um den Kabinettskollegen Remmel geht, aber darunter, dass Sie sich nicht grün sind, darf Nordrhein-Westfalen nicht leiden. Wichtig ist, dass Sie sich entsprechend absprechen und durch abgestimmte Verhaltensweisen eine vernünftige Breitbandversorgung in Nordrhein-Westfalen hinbekommen. Ansonsten verspielen wir die Zukunft.

Einen Vorteil haben Sie ja: Sie haben einen besonders guten Draht nach Berlin, Herr Minister Groschek. Wenn alle Stricke reißen, wird Ihnen Herr Dobrindt auch in dieser Frage sicherlich hilfreich zur Seite stehen.

Wir werden dem Antrag zustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Herr Kollege Schick, ich bitte Sie, noch einen Moment hierzubleiben. Der Kollege Bayer möchte eine Kurzintervention machen. – Herr Kollege Bayer, bitte schön.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Schick, keine Angst: Ich mache nur aus technischen Gründen bei Ihnen diese Kurzintervention und muss Sie in Ihren Worten unterstützen.

Herrn Löckers Darstellung hat jetzt nämlich gezeigt, dass wir uns aufgrund der positiven Wende in der „Rheinischen Post“, die Sie erwähnt haben – der zweite Artikel –, im Grunde zu viel Hoffnung gemacht haben. Es ist wirklich so schlimm, wie ich es in meinem Redebeitrag behauptet habe und wie es auch in unserem Antrag steht. Es ist tatsächlich so, dass die SPD-Fraktion und vermutlich auch die Landesregierung hier planlos agieren und erst einmal gucken, was die Wirtschaftsakteure wollen. Sie reden mit den Anbietern und evaluieren die Bedarfe der Anbieter, nutzen aber nicht die Gelegenheit, einfach dort Leerrohre zu legen, wo man schnell Leerrohre mitvergraben kann, sodass die Straßen nicht täglich neu aufgerissen werden.

Das Bauministerium muss dort mit aktiv werden und darf diese Aufgabe nicht dem Wirtschaftsministerium alleine überlassen und einfach zusehen, dass schon wieder Straßen aufgerissen werden. Das macht in der Form keinen Sinn. – Vielen Dank, Herr Schick, für Ihre Worte.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Schick, bitte schön.

Thorsten Schick (CDU): Vielen Dank, Herr Bayer. Ich habe nie Angst, wenn Sie sich zu Wort melden. Ganz im Gegenteil freue ich mich auch über Ihren entsprechenden Wortbeitrag und mache ein Ausrufezeichen dahinter. – Damit darf ich jetzt das Rednerpult verlassen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Nun spricht für die Grünen der Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Bayer, ich hatte eben, ehrlich gesagt, nicht den Eindruck, dass Sie richtig tief in der Gesamtdiskussion um den Breitbandausbau drin sind.

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Es waren ja auch nur fünf Minuten!)

Sonst wären einige der Vorwürfe, die Sie gemacht haben, so nicht erfolgt.

Ich hatte bei Ihrem Antrag durchaus auch den Eindruck, dass auch innerhalb der Piratenfraktion die eine Hand nicht genau weiß, was die andere tut. Das ist natürlich – an einer Stelle will ich Ihnen tatsächlich einmal recht geben – beim Thema „Breitband“ ein großes Problem, weil es sich hierbei um eine sehr komplexe Aufgabe handelt, die man nur gemeinsam über verschiedene Fachbereiche und verschiedene politische und föderale Ebenen angehen kann.

Worüber wir uns einig sind – fangen wir damit einmal an –, ist, dass die Nutzung vorhandener Infrastrukturen die zentrale Kostenbremse beim Breitbandausbau ist; denn 80 % der Kosten für den Glasfaserausbau – das wissen wir inzwischen alle, die wir uns in der Diskussion engagieren – sind Tiefbaukosten.

Für Nordrhein-Westfalen hat die kürzlich vorgelegte MICUS-Studie durchaus beeindruckende Zahlen geliefert. Wenn der NGA-Ausbau so wie jetzt unkoordiniert erfolgt, dann kostet das Nordrhein-Westfalen 8 Milliarden €. Wenn es gelingt, vorhandene Infrastrukturen mit zu nutzen, können diese Kosten drastisch reduziert werden. Dann sind wir bei 3 Milliarden €.

An dieser Stelle kommt auf der Agenda aber nicht zuallererst die Verpflichtung, einfach überall Leerrohre in die Erde zu legen, sondern man sollte zunächst darüber reden, wie wir endlich einen Rahmen dafür schaffen können, dass vorhandene Infrastrukturen genutzt werden und dass es einen Zugang zu vorhandenen Infrastrukturen gibt. Dies setzt zunächst einmal voraus, dass man überhaupt weiß, wo die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist und wo die Leerrohre liegen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Olejak zulassen?

Matthi Bolte (GRÜNE): Ja.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Bolte. – Wären Sie geneigt, der Zuschauerin und dem Zuschauer kurz zu sagen, was ein NGA-Ausbau ist?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege.

Matthi Bolte (GRÜNE): Lieber Kollege Olejak, ich finde Ihr Interesse am Netzausbau sehr schön. NGA?Ausbau ist der Ausbau von Next-Generation-Access-Netzwerken. All das kann man wunderbar in der MICUS-Studie, die ich eben zitiert habe, nachlesen.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Für die nächste Generation!)

Das, was unter NGA gefasst wird, ist in der Fachdiskussion durchaus ein Thema für Genießer, ab welcher Übertragungskapazität man von NGA-Netzwerken sprechen kann. Da sind die Kabelbetreiber zum Teil auch ein bisschen beleidigt gewesen, weil sich nicht jeder Kabelnetzbetreiber in die NGA-Definition, die die Studie zugrunde gelegt hat, mit aufgenommen gefühlt hat.

Aber, lieber Herr Kollege Olejak, ich gehe, ehrlich gesagt, davon aus, Sie wissen, was NGA-Netze sind, und unterstellen mir tendenziell auch, dass ich das weiß.

(Simone Brand [PIRATEN]: Für die Zuschauer!)

Nein? – Doch. Okay, wunderbar.

Nachdem wir den Begriff „NGA“ geklärt haben, sprechen wir weiter darüber, wie wir dahin kommen. Ich sagte, dass wir zunächst wissen müssen, wo die Netze, die Infrastrukturen, liegen. Auf Bundesebene gibt es einen Infrastrukturatlas, der auch die Leerrohre beinhaltet, der weiterhelfen könnte. Die Meldung ist jedoch freiwillig, das Verfahren funktioniert nicht wirklich. Selbst da, wo gemeldet wird, sind diese Daten nicht öffentlich zugänglich.

Das ist gerade für die Vernetzung der Aktivitäten auf der kommunalen Ebene vor Ort ein ernsthaftes Problem, das der Entwicklung lokaler Breitbandstrategien entgegensteht. Deswegen haben wir in unserer grünen Breitbandagenda auch eine Leerrohrmeldepflicht aufgenommen und ein öffentlich einsehbares Leerrohrregister vorgeschlagen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb ist es so wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sich die Landesregierung auf den Fachministerkonferenzen bereits seit Jahren für die Zugänglichmachung des Infrastrukturatlasses einsetzt.

Meine Damen und Herren, wir brauchen aber vor allem einen funktionierenden, zukunftsfähigen Regulierungsrahmen. Der Bund verschleppt nicht nur seit Jahren die Schaffung eines echten Förderprogramms; hinzu kommt die Untätigkeit in vielen wichtigen Regulierungsfragen.

Die Förderrichtlinie zur digitalen Dividende – ich habe es fast noch im Ohr – versprach Herr Dobrindt für den Tag nach der Frequenzauktion im Juni und dann für Anfang August. Schauen wir mal, wann sie tatsächlich kommt!

Ähnlich ist es bei der Umsetzung der eben schon von dem Kollegen Schick angesprochenen Kostensenkungsrichtlinie. Auch dazu haben wir bisher eher Ankündigungen – hätte, wäre, könnte – vom BMVI gehört und nichts mit wirklicher Substanz. Dabei gäbe es da die Chance, mit einem vernünftigen Rahmen eine umfangreiche Verpflichtung zur Mitnutzung vorhandener Infrastrukturen zu schaffen.

Die Debatte darüber, wie wir dahin kommen, werden wir sicherlich weiter führen. Aber der Antrag hilft uns dabei nicht weiter. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Und wieder Breitband. Wieder sprechen wir zu Recht über den unzureichenden Breitbandausbau in unserem Bundesland. Noch immer ist der Handlungsbedarf auf dem Weg zu einem flächendeckenden Hochleistungsinternet in Nordrhein-Westfalen sehr groß. Nicht so groß sind leider bisher die Aktivitäten der Landesregierung.

Ungeachtet der Frage, Herr Bolte, was Sie an Aktivitäten anmerken, die auf anderen Ebenen notwendig sind – bei vielen stimme ich Ihnen sogar zu –, ist ein Großteil der Landesregierung auf anderen Ebenen nicht einflusslos. Man sollte einmal die Frage stellen, warum auf diesen Ebenen, wenn das Thema so wichtig ist, wie die Landesregierung es zumindest in ihren Wortbeiträgen immer wieder deutlich macht, nicht mehr passiert.

Wahr ist, dass wir in Nordrhein-Westfalen nach wie vor eine Situation mit zahlreichen weißen Flecken haben. Wir haben noch immer 84 Kommunen in unserem Land, in denen gerade mal ein einstelliger Prozentsatz der Haushalte auf einen schnellen Breitbandzugang zugreifen kann. Mit Blick auf das Breitbandziel einer flächendeckenden Versorgung von 50 MBit bis 2018 besteht laut der einschlägigen MICUS-Studie in 393 Städten und Gemeinden in unserem Land noch Handlungsbedarf – in 393 von 396 Städten und Gemeinden. Diese Kommunen darf die Landesregierung nicht im Regen stehen lassen.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Unter dem Strich ist es vor allen Dingen der ländliche Raum – in den Ballungsgebieten haben wir zumeist eine durchaus akzeptable Situation – mit all den Hidden Champions, der gewerblichen Infrastruktur, allen Bürgerinnen und Bürgern, der immer weiter abgehängt wird. Wenn unsere erfolgreiche Wirtschaft funktionieren soll, wenn diese Grundversorgung den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land zukünftig eine gesellschaftliche Teilhabe sichern soll und sie vom Fortschritt profitieren sollen, dann brauchen wir mehr Engagement der Landesregierung.

Neben dem organisatorischen Engagement haben wir heute bereits über die finanzielle Förderung gesprochen und werden es morgen im Rahmen unseres Antrags zu einem Breitbandförderfonds noch einmal tun.

Klar ist, dass der Breitbandausbau nicht nur eine gezielte Förderung gerade in ländlichen Regionen erfordert. Es ist auch eine kluge Regulierung notwendig, um den schnellen Ausbau der Infrastruktur von morgen voranzubringen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu gehört auch die Verlegung von Leerrohren als wesentlicher Bestandteil bei Baumaßnahmen. Das gilt nicht nur, aber ganz besonders für öffentliche Baumaßnahmen. Das Hin und Her unseres Bauministers in dieser Frage war sicherlich nicht hilfreich. Anstatt reflexhaft auf irgendwelche Zuständigkeiten zu verweisen, sollten wir einfach mehr Engagement bei dem Ausbau an den Tag legen.

Aber – auch das gehört zur Wahrheit – wir sehen bei dem vorliegenden Antrag auch Schwächen. Denn durch seine Pauschalität schießt er über das Ziel hinaus. Wir sind der Auffassung, auch beim Leerrohrausbau gilt: Wir sollten einen kühlen Kopf bewahren. Wir sollten auf die Effizienz achten, und wir sollten planen.

Daher sagen wir ganz klar: Wenn etwa an einer parallel verlaufenden Bahntrasse bereits Leerrohre verlegt wurden, ist der Mitteleinsatz für zusätzliche Leitungen nicht sinnvoll. Nicht alle Maßnahmen beim Straßenbau sind zwingend Allheilmittel. Richtig ist, dass die Landesbauordnung endlich an die Erfordernisse der digitalen Gesellschaft angepasst werden muss. Hier wünschen wir Freien Demokraten uns ebenfalls mehr Einsatz des zuständigen Ministers.

Es gibt viele Aspekte in dem Antrag, wo wir Anknüpfungspunkte sehen und meinen, dass sich das Nachdenken darüber lohnt. Deswegen bedauere ich außerordentlich, dass er zur direkten Abstimmung steht. Wir hätten darüber im Rahmen einer Ausschussbehandlung gerne noch genauer gesprochen.

Die verstärkte Verlegung von Leerrohren ist ein wichtiger Bestandteil. In der vorliegenden Form – ich habe es begründet – werden wir dem Antrag allerdings nicht zustimmen. Obwohl wir in der Sache in großen Teilen übereinstimmen, werden wir den Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bombis. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Groschek das Wort.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich dem Votum von Herrn Bombis nur anschließen: Ein zu pauschaler Reflex löst keine Probleme, sondern suggeriert nur, Patentrezept zu sein.

Ich bin nun weiß Gott nicht pauschal ein Fan von „Privat vor Staat“ als politische Gestaltungslinie, aber hier, glaube ich, gilt dieser Primat. Deshalb muss man sehr differenziert vorgehen. Herr Bombis hat wichtige Hinweise dafür gegeben, wo welcher Einsatz sinnvoll ist und wo nicht.

Wir haben ein Landesstraßennetz von 12.200 km. Jährlich sanieren und modernisieren wir – Pi mal Daumen – 200 km davon. Das hieße, dass Sie ein 60-Jahres-Programm fordern. Das ist uns deutlich zu langsam. Auf so einen Zeithorizont wird sich die Landesregierung nicht festlegen lassen. Deshalb zielt der Antrag in die Irre, zumal das Investitionsvolumen in Höhe von 300 Millionen € – wenn man Kosten von 25 €/m unterstellt – auch in der Finanzierung in keiner Weise abgebildet ist.

Herr Bombis hat ebenfalls recht, wenn er darauf hinweist, dass nicht jede Baumaßnahme automatisch leerrohrgeeignet ist. Wir werden in Abstimmung mit dem Wirtschaftsministerium – wir arbeiten grundsätzlich Hand in Hand, Schulter an Schulter, Rücken an Rücken – da Schwerpunkte setzen, wo die Wirtschaft selbst es dringend fordert oder wo öffentliche Belange das als Herausforderung betrachten lassen.

Seien Sie sicher: Wir sind skeptisch, ob wir wirklich Leerrohre in der Straße verlegen sollten. Wir halten es vielmehr für klüger, diese unmittelbar neben der Straße zu verlegen. Das ist eine eingeübte gute Praxis. Es wäre schade, wenn wir unseren wertvollen, gerade grundsanierten Straßenraum zerstören müssten, um eine Leerrohrproblematik zu beheben. Neben der Straße ist reichlich Platz für diverse Leerrohre. Deshalb glauben wir, dass eine differenziertere Strategie …

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: … sehr sinnvoll ist, so wie sie der Wirtschaftsminister bei einem vorausgegangenen Tagesordnungspunkt erläutert hat.

Was das Verhältnis zu Herrn Dobrindt angeht: Ich könnte Ihnen jetzt erfreuliche Mitteilungen zum Straßenbau machen. Herr Dobrindt ist jetzt wieder vom Wutbürger zum Mutbürger geworden.

Daher: Ich freue mich immer, Alexander Dobrindt zu treffen, ob im Bierzelt – wie in der letzten Zeit – oder in Berlin. Er ist mir immer herzlich willkommen. Wenn er letztendlich doch einen Scheck hierlässt, dann ist alles andere relativ schnell vergessen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Ja, selbstverständlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Bayer hat eine Zwischenfrage, die er gerne noch stellen würde. Bitte schön. – Danke, Herr Minister.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Minister Groschek. Ich möchte ja auch, dass Sie durchaus ein bisschen Luft holen können. – Halten Straßen überhaupt 60 Jahre? Das ist aber gar nicht meine Frage.

Sie haben gesagt, das alles würde 60 Jahre dauern, wenn wir das Ganze nur machen würden, wenn die Straße sowieso aufgerissen wird. Es war von parallelen Trassen als Gefahr die Rede. Haben Sie denn verstanden, dass der Antrag nicht meint, ausschließlich dann Leerrohre zu verlegen und so lange zu warten, bis die Straße für etwas anderes aufgerissen wird, damit eine bestimmte Gemeinde dann endlich ans Netz kommt?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Ich habe die Frage zwar akustisch nicht verstanden, aber ich habe sie mental aufgenommen. Deshalb werde ich sie natürlich umfänglich beantworten.

Herr Bayer hat recht; er hätte nicht so reflexhaft – aufgrund einer missverständlichen Berichterstattung in der „Rheinischen Post“, die wir zu verantworten haben und nicht der Journalist; das sage ich, damit da kein Missverständnis aufkommt – einen pauschalen Antrag formulieren sollen. Deshalb ist eine differenziertere Betrachtung sinnvoll.

Wir haben in unserem wunderbaren Ausschuss doch eine so intensive Diskussionskultur, dass wir auch dieses Problem von allen Seiten mit aller Expertise beleuchten können. Auch wenn der Antrag gleich – wie ich meine, zu Recht – nicht positiv beschieden wird, wird im Ausschuss hinreichend Gelegenheit sein, ihn noch einmal – nicht vom Wortlaut, aber vom Sinn her – zu thematisieren. Ich bin sicher, wie fast immer werden Sie schlussendlich dem ministeriellen Rat zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Wir sind am Ende der Beratungen zu diesem Antrag und kommen zur Abstimmung.

Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt also diesem Antrag direkt zu? – Die Fraktion der Piraten. Und auch die CDU?

(Zurufe von der CDU: Ja!)

Aber alle?

(Zurufe von der CDU: Ja!)

– Gut. Also, CDU und Piraten stimmen dem Antrag zu. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD, Grüne und FDP, wie auch schon zum Teil angekündigt. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen gibt es nicht. Damit ist der Antrag Drucksache 16/9585 mit breiter Mehrheit im Hohen Hause abgelehnt.

Wir kommen zu:

7   Mündige Bürger nicht immer mehr bevormunden und unter Generalverdacht stellen – Keine rigide Höchstgrenze für Zahlungen mit Bargeld einführen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9597

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP Herrn Kollegen Witzel das Wort. Bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen hat Anfang Juli erklärt, dass er jenseits von Bagatellgrenzen Bargeldzahlungen zukünftig lieber abschaffen will. Ein Verbot kann er sich bei dessen Einführung bereits ab 2.000 € vorstellen.

Das ist eine grundlegende Kurskorrektur im Vergleich zu den Ankündigungen noch zwei Wochen zuvor in der zweiten Juni-Hälfte. Da ging es ihm angeblich um etwas Positives für Verbraucher und Wirtschaft, nämlich die von ihm so bezeichnete Erleichterung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Dagegen hätte, für sich genommen, niemand etwas.

Zwei Wochen später ziehen Sie dann aber das echte Kaninchen aus dem Hut, Herr Minister. Es geht Ihnen eben nämlich nicht um Wahlfreiheit, sondern in Wahrheit um genau das Gegenteil: Sie wollen ein neues Verbot, eine neue Bevormundung, eine neue Verhaltenssteuerung.

Ich will ausdrücklich sagen: Bargeldlose Zahlung hat eine ganze Reihe von Vorteilen, aus deren Gründen man sich dafür entscheiden kann. Sie erleichtert die Dokumentation und Rekonstruktion von Zahlungsverpflichtungen. Ein Kunde kann gegenüber dem Verkäufer dann sehr viel besser und rechtssicherer belegen, dass er vollständig eine Zahlungsverpflichtung erfüllt hat, keine Teilzahlungsansprüche mehr bestehen und er zu Recht einen Eigentumsanspruch geltend macht.

Bargeldlose Zahlungen ermöglichen auch im Massenbetrieb oft eine schnellere Abwicklung – ein Grund, warum einzelne Betriebskantinen die Kartenzahlung in ihren AGBs zur Pflicht gemacht haben.

Es gibt Menschen, die zahlen deshalb auch gerne mit der Kreditkarte, da damit weitere Leistungen, zum Beispiel Versicherungsleistungen, gleich inklusive sind. All das ist völlig in Ordnung. Es ist nämlich dann eine freie Entscheidung von Marktteilnehmern.

Wir sind aber ausdrücklich, auch wenn ich sage, dass wir keine Gegner von bargeldloser Zahlung an sich sind, der Auffassung, dass wir nicht mehr Regelungswut brauchen. Wir wehren uns gegen den Generalverdacht, der Bargeldzahlung fast schon in die Nähe einer kriminellen Handlung rückt.

(Beifall von Dietmar Schulz [PIRATEN])

Mündige Verbrauchen sollen ihre Zahlweise selbst bestimmen können, da es auch erhebliche Nachteile einer flächendeckenden bargeldlosen Zahlung gibt.

(Beifall von der FDP und Dietmar Schulz [PIRATEN])

In Zeiten gigantischer Datensammelwut und Vorratsdatenspeicherungen entstehen bei bargeldloser Zahlung schnell ganze Persönlichkeitsprofile, die für jede Privatperson Aufenthaltsorte, Hobbys und Lebensgewohnheiten dokumentieren, die reine Privatsache sind. Sensible Finanzdaten, wenn sie erst einmal vorhanden sind, können selbstverständlich auch gestohlen werden. Wer wüsste das besser als unser Finanzminister?

Kriminelle Hacker wissen dann zugleich beim Erwerb eines seltenen Oldtimers oder eines begehrten Kunstwerkes, wer der Erwerber ist und wo man am besten einbrechen muss, um dieses zu erlangen. Partner können sich nicht zum Geburtstag mit einem Schmuckstück überraschen, da der andere schon zwei Wochen vor dem freudigen Ereignis anhand des Zahlungsvorgangs weiß, was er geschenkt bekommt.

Diese Beispiele zeigen: Es gibt gute und legitime Gründe, bestimmte Zahlungen bar und andere situativ lieber bargeldlos zu tätigen. Diese Entscheidung darüber letztlich sollten freie Menschen in einem freien Land selber tätigen – und nicht der Staat für alle gleich.

Es gibt auch einen gravierenden ökonomischen Grund, der zu berücksichtigen ist. Nach Jahren der dauerhaften Nullverzinsung wird oft schon über Negativzinsen spekuliert. Diese stellen dann eine noch größere Enteignung des ehrlichen Sparers dar und sind umso leichter umzusetzen, je weniger Bargeldzahlungsvorgänge möglich sind.

Aus all diesen Gründen, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind namhafte Experten in unserem Land ausdrücklich entschieden gegen eine weitere Regelungswut beim Bargeldverbot. Ob Sie Bundesbankpräsident Jens Weidmann nehmen, den Verfassungsrechtler Christoph Degenhart, den Markoökonomen Daniel Stelter oder auch den Chef der Deutschen Verbraucherzentralen, Klaus Müller. Letzterer bringt es auf den Punkt mit dem Satz: Bargeld ist gelebter Datenschutz. Das ist so. Viele harte ökonomische und rechtliche Argumente liefern die anderen Experten.

Deshalb sagen wir: Es hat seinen Grund, warum auch in Zeiten des Internethandels noch rund 80 % aller Zahlungsvorgänge in Deutschland mit Bargeld stattfinden. Der Staat sollte in freie Konsumentenentscheidungen auch zukünftig nicht hineinfingern. Der Finanzminister muss hier und heute vor dem Landtag erklären, ob sein Vorstoß ein reiner Schnellschuss im Sommerloch gewesen ist oder mit welchen Partnern er seine vermeintlichen Pläne wie genau umsetzen will.

Die FDP-Landtagsfraktion scheidet dafür als Partner aus. Wir setzen auf die souveräne Konsumentenentscheidung. So soll es auch zukünftig sein. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Für die SPD spricht nun Herr Kollege Weske.

Markus Herbert Weske (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die mündigen Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen nicht bevormundet werden, merkt man auch an der Tatsache, dass sich jeder in Nordrhein-Westfalen nach wie vor so blamieren darf, wie er möchte.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da sind wir auch schon bei dem Antrag. Einmal mehr besprechen wir hier im Landtag ein Problem, das man ohne Sie, liebe FDP, nicht hätte, und zwar aus drei Gründen.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie fangen doch damit an!)

Erstens. Es handelt sich wieder mal um ein Thema, das gar kein landespolitisches, sondern, wenn überhaupt, ein bundespolitisches Thema ist.

(Christian Lindner [FDP]: Warum äußert sich dann Minister Walter-Borjans so?)

Da Sie aber im Bundestag nicht mehr vertreten sind, versuchen Sie hier, den Landtag als Bühne zu nutzen.

(Zurufe von der FDP)

Ich finde, das nimmt allmählich überhand. Es fehlt nur noch, dass Sie demnächst dazu wieder eine Anhörung beantragen werden.

Zweitens – Herr Witzel, das meine ich ernst –: Sie müssen nicht jeden Gedanken, der offen ausgesprochen wird, auf die Tagesordnung des Landtags setzen und sich, wenn es ganz hart kommt, auch noch mit einem Antrag dazu positionieren.

(Zuruf von Angela Freimuth [FDP])

Das kostet nämlich nicht nur Ihre Zeit, Herr Witzel, sondern auch die Zeit vieler anderer Menschen.

Drittens. Das Problem, das Sie vermeintlich erkannt haben, hat mit der Realität der Menschen in Nordrhein-Westfalen überhaupt nichts zu tun.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich mich gefragt: Mein Gott, wann hast du denn das letzte Mal 3.000 € in bar in der Hand gehabt? Dann habe ich in der Vergangenheit herumgekramt und festgestellt: Es ist noch nicht vorgekommen. Und da wir Sozialdemokraten ja die Zahlung der Maklercourtage durch den Mieter abgeschafft haben, werde ich wohl auch in Zukunft keine 3.000 € in bar auszahlen müssen.

(Zuruf von den PIRATEN: Aber für die Abstandszahlung, die Sie an den Vermieter zahlen!)

Ich selbst bekomme schon einen Koller, wenn ich am Geldautomaten einen 100-€-Schein ausgespuckt bekomme. Den werden Sie bei mir im Viertel gar nicht los. Und das ist das, was ich meine: Das Ganze hat mit der Realität nichts zu tun.

Übrigens beschreiben Sie in Ihrem Antrag 3.000 € als einen Betrag mittlerer Größenordnung. Da kann ich nur sagen: Respekt – Sie müssen ein echt dickes Portemonnaie haben!

(Beifall von der SPD)

Kommen wir zu Ihrer eigenartigen Begründung, warum es keine Höchstgrenze für Barzahlungen geben darf. Im Kern sagen Sie: Kriminelle könnten die bei der bargeldlosen Zahlung entstandenen „erzwungenen“ Daten über den Zahlungsverkehr klauen. Mit Verlaub, Herr Witzel: Aufgrund dieser Argumentation müssten Sie morgens von Essen aus zu Fuß hierher in den Landtag kommen, da man Ihnen ja auch das Auto klauen könnte.

(Zuruf von der FDP: Oh!)

Trotz der Realitätsferne dieses Antrags werden wir – so ist es parlamentarische Gepflogenheit – der Überweisung in den Haushalts- und Finanzausschuss zur abschließenden Beratung zustimmen. Dort können Sie mir vielleicht auch noch detaillierter erläutern, welche individuellen Vorlieben, für die man regelmäßig mehr als 3.000 € ausgibt, denn entdeckt werden könnten.

(Angela Freimuth [FDP]: Das geht Sie gar nichts an!)

Da habe ich nämlich noch keine monoamouröse Idee. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Weske. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Weske hat ungewollt eine eigene Realität offengelegt, die er dann dem Kollegen Witzel vorgehalten hat. Aber das, was Sie als Ihre eigenen Befindlichkeiten beschrieben haben – das kann man ja noch einmal nachlesen –, dürfte eher wunderlicher sein als die Befindlichkeiten mancher kritisierter Kollegen.

Denn ist es ein schlechter Mensch, der 3.000 € in bar zahlt oder überhaupt 1.000 € oder 100 € in Form von Bargeld verwendet? Diese Frage haben sich sicherlich einige Bürgerinnen und Bürger gestellt, nachdem der Finanzminister vorgeschlagen hatte, entsprechend hohe Barzahlungen zu verbieten.

Auch Klaus Müller, Vorsitzender des Verbraucherzentrale Bundesverbands – vom Kollegen Witzel schon einmal zitiert –, hat diese Frage sehr intensiv thematisiert. Er hat einen bemerkenswerten Gastbeitrag in der „Rheinischen Post“ vom 7. Juli 2015 verfasst. Darin beschreibt er die vermeintlich oder auch tatsächlich ehrenwerte Motivationslage des Ministers. Wer will denn angesichts spektakulärer Fälle von Steuerhinterziehung und weit verbreiteter Schwarzgeldgeschäfte dahinter zurückstehen, wenn der Ruf nach mehr Steuerehrlichkeit erschallt? Heiligt da nicht der Zweck alle Mittel? Und ist das nicht ein neuer Anlauf, um tiefer in die Diskussion hineinzukommen?

Ich möchte Ihnen heute allerdings sechs Punkte nennen, warum wir aus Sicht der CDU-Fraktion Bargeld als Zahlungsmittel in Deutschland unbeschränkt erhalten wollen:

Bargeld schützt nämlich vor negativen Zinsen. Die Zinslosigkeit des Bargeldes ist der wichtigste Grund, warum Notenbanken mit ihren Leitzinsen nicht beliebig weit in den negativen Bereich gehen können.

Bargeld schützt unsere Daten. Gesetzestreue Bürger können einen Rest Privatsphäre wahren, der nicht der vollständigen Überwachung oder Überwachbarkeit unterliegt.

Bargeld schafft auch – beim Kollegen Weske dann vielleicht mit Schrecken – Transparenz in unserem Portemonnaie und in unserer Haushaltskasse.

Bargeld ist ein kostenloses Zahlungsmittel, Herr Minister. Kostenlose Zahlungsmittel unterscheiden sich von denen, die mit Karte angeboten werden, im Regelfall ganz deutlich, und das wissen Sie auch. Auch wenn Sie das in Skandinavien einmal angeschaut haben, wie die das so machen – hier in Deutschland und im übrigen Europa ist es aber durchaus so, dass ganze Industrien, die Kartenindustrie, Banken, Sparkassen, wunderbar davon leben, dass Menschen für die Karten zahlen: Sie zahlen Gebühren; Transaktionsgebühren werden fällig usw. Dazu gehören auch die bereits angesprochen Zusatzpakete.

Bargeld bietet den Menschen die Möglichkeit, am Wirtschaftsverkehr teilzuhaben, die sich kein Konto leisten können, und zwar trotz des Kontos für Jedermann, das überall immer propagiert wird.

(Zurufe von der SPD)

Fragen Sie doch mal, ob es in Deutschland Menschen gibt, die kein Konto haben! Gerade von der SPD hätte ich die Erkenntnis erwartet, dass es solche Menschen durchaus gibt.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Aber die 3.000 € suchen Sie bei denen vergebens!)

Wahrscheinlich gibt es davon mehr, als Sie denken und wissen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Bargeld, Herr Minister – und das ist das wichtigste Argument –, genießt Insolvenzschutz. Buchgeld, also Überweisungen, können bei der Pleite einer Bank verloren gehen. So etwas kann aber auch bei einer Überweisung passieren, die Sie beispielsweise an einen Autohändler tätigen, wenn am Wochenende dann ein Insolvenzantrag gestellt wird. Ich kann da durchaus Beispiele aus meinem eigenen Bekanntenkreis nennen, wo Unternehmen, die das eigentlich gar nicht wollten, montags nicht mehr zahlungsannahmefähig waren. Die waren insolvent, und dann gab es eben kein Geld mehr. Dann musste man mit dem Insolvenzverwalter darüber verhandeln, ob man die Anzahlung für das neue Auto angerechnet bekam oder nicht. Sonst war das Geld weg.

In einem solchen Fall geht es um mehr als 3.000 €. Das beantwortet die Frage des Kollegen Weske, wofür man denn vielleicht mehr als 3.000 € Bargeld gebrauchen könnte: zum Beispiel dafür, um einen Gebrauchtwagen zu bezahlen, wenn Sie nicht Gefahr laufen wollen, dass über das Wochenende ein Insolvenzantrag eingereicht wird. Das ist schon vielen passiert. Schauen Sie sich das einmal an!

Wenn Sie mir das nicht glauben, dann glauben Sie es vielleicht Herrn Müller, dem Vorsitzenden des Verbraucherzentrale Bundesverbands, der nicht in dem Verdacht steht, meiner Partei nahezustehen. Herr Müller hat am Ende seiner Ausführungen gesagt:

„Die Aussage des Schriftstellers Dostojewski, dass Geld geprägte Freiheit bedeute, ist heute noch so richtig wie vor 150 Jahren. Daher irren die Bargeldkritiker und auch Minister Walter-Borjans, wenn sie glauben, ein Limit einführen zu können. Die Risiken, dass dies der Einstieg in den Ausstieg vom Bargeld ist, sind immens.“

Herr Minister, ich hoffe, es wird uns gelingen, Sie freundlich, aber bestimmt von Ihrem Irrweg abzubringen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Markus Herbert Weske [SPD]: Das war ein Beitrag aus Dostojewskis „Der Idiot“!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Nun spricht Herr Kollege Abel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht nicht um den Abbau von Freiheitsrechten. Es geht auch nicht um Bevormundung. Es geht um Steuerehrlichkeit und die Bekämpfung von Schwarzarbeit. Das war das Anliegen des Finanzministers, und insofern sollten Sie doch auch so redlich sein, ihm hier nicht andere Motive zu unterstellen. – Das erst einmal an Ihre Adresse, Herr Witzel.

Dieser Finanzminister hat in Sachen Steuerehrlichkeit und Kampf gegen Steuerhinterziehung eine makellose Bilanz.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nur bei Haushaltsfragen nicht!)

Seit 2010 sind wir Motor, wenn es darum geht, Steuerhinterziehung zu bekämpfen und mehr Steuerehrlichkeit zu gewährleisten. Sie waren aber in jedem einzelnen Punkt – ob Steuerabkommen, ob Steuer-CDs – immer gegen uns; das will ich zu Beginn einmal sagen.

Beim Vorschlag zur Einführung einer Bargeldobergrenze ist auch meine Fraktion nicht davon überzeugt, dass dies ein angemessenes Instrument ist. Wir teilen zwar nicht das Horrorszenario, das meine Vorredner hier gezeichnet haben, aber es gibt doch den einen oder anderen Punkt. Auch die Reaktion, die der Vorschlag des Finanzministers hervorgerufen hat, zeigt, dass der Vorschlag in eine Zeit fällt, in der große Verunsicherung herrscht:

Was passiert mit meinen Daten? Was gebe ich preis, wenn ich mit Karte bzw. Geldkarte oder mit PayPal oder Skrill im Internet bezahle? Wird ein Profil von mir erstellt? Gibt es beispielsweise bei der Sparkasse ein Scoring, das geführt wird, je nachdem, wie oft ich kleinere Beträge mit der Karte bezahle oder eben nicht? Hat das irgendwelche Einflüsse auf spätere Kreditvergaben etc.?

Ich würde mich als aufgeklärten, technikaffinen Verbraucher bezeichnen und muss ganz ehrlich sagen, dass ich auf ganz viele dieser Fragen keine Antworten habe, dass ich auch nicht unbedingt beurteilen kann, ob sich Anbieter, die nicht in der Europäischen Union angesiedelt sind, an ihre AGBs halten. Ich kann auch nicht beurteilen, ob es beispielsweise stimmt, dass es ein Scoring gibt oder dass mir auf anderen Portalen höhere Preise angezeigt werden, wenn ich vorher zum Beispiel etwas im Apple-Store bestellt habe. Ich weiß nicht, welche Daten über mich gespeichert sind, und ich weiß auch nicht, wer darauf Zugriff hat.

Das ist ein Problem, das wir haben. Denn es gibt keine sichere Methode für die Verbraucherinnen und Verbraucher, anonym und sicher im Internet oder elektronisch zu zahlen.

(Ralf Witzel [FDP]: Völlig richtig!)

Übrigens, Herr Dr. Optendrenk, haben Sie vielleicht Probleme, was das Copyright Ihres Beitrags angeht. Denn dieser entspricht bis auf das Dostojewski-Zitat eins zu eins dem, was der Kollege Klaus Müller in der „Rheinischen Post“ geschrieben hat.

Klaus Müller hat aber auch in einem anderen Punkt recht. Er hat recht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher keine Möglichkeit haben, zu erfragen, was Institute über sie gespeichert haben. Darüber hinaus ist auch die Diskussion um Negativzinsen, die schwelt, etwas, das die Verbraucherinnen und Verbraucher am Ende belastet. Deswegen sind wir an dieser Stelle etwas vorsichtig. Aber man muss es trotzdem sagen: Das Brimborium, das Sie in Ihrem Antrag aufbauen, teilen wir so nicht.

Ich möchte, da es hier um Steuerehrlichkeit geht, eines hervorheben: Wir haben alleine aufgrund der Auswertung der Steuer-CDs – das werden wir morgen in der Haushaltsdebatte noch einmal hören – und der Selbstanzeigen 1,5 Milliarden € Mehreinnahmen erzielt. Seit 2010 – die Zahl ist ganz aktuell – gab es 21.000 Selbstanzeigen, und obwohl die strafbefreiende Selbstanzeige 2015 teurer geworden ist, verzeichnen wir bis in den Juli hinein steigende Zahlen.

Ich erinnere mich noch ganz genau an die Debatte um den Ankauf der Steuer-CDs, in der Sie damals den Finanzminister als Hehler bezeichnet haben. Auch in der aktuellen Diskussion um die Registrierkassen – momentan können wir den Zeitungen entnehmen, dass man sich kloppt, um welche Summen es geht – sind Sie nicht an unserer Seite, wenn es darum geht, Steuerehrlichkeit zu gewährleisten.

Wir sind aber dabei, und insofern möchte ich Folgendes zur Debatte sagen: Selbst wenn es nur die Hälfte des Betrages ist, den der Finanzminister geschätzt hat, ist es ein Millionenbetrag, der uns fehlt. Das verstehen die Leute, die ehrlich ihre Steuern zahlen, nicht, das verstehen die Selbstständigen, die eine Vorauszahlung der Umsatzsteuer stemmen müssen, nicht, und das verstehen auch viele Angestellte, denen die Steuer direkt abgezogen wird, nicht. Sie alle wollen, dass Steuerehrlichkeit herrscht. Insofern ist das eine wichtige Debatte, die wir führen sollten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Abel. – Für die Piratenfraktion hat nun Herr Schulz das Wort.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Es ist eine Debatte hinsichtlich eines durchaus ernsten und wichtigen Themas. Dostojewski wurde genannt: Geld sei geprägte Freiheit. Aber es gibt auch den § 14 des Bundesbankgesetzes, in dem es heißt: „Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel.“ Das Gesetz kann man natürlich ändern. Dafür gibt es im Bund gegebenenfalls Mehrheiten – oder auch nicht.

Aber der entscheidende Punkt ist: Der Finanzminister betreibt mit seinem Vorstoß die schleichende Abschaffung des Bargelds. In anderen europäischen Staaten gibt es bereits entsprechende Begrenzungen, die deutlich unter dem Limit liegen, welches der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen hier vorschlägt. Aber gleichwohl stellt er sich mit seiner Forderung nach einer Obergrenze für das Bezahlen mit Bargeld in Deutschland – wie soll ich sagen? – an die Spitze derjenigen Kräfte, denen die anonyme Abwicklung von ökonomischen Transaktionen ein Graus ist.

Herr Minister Walter-Borjans stellt Barzahler – und das sagt der Kollege Optendrenk durchaus zu Recht – mit seinen Aussagen pauschal in eine quasi kriminelle Ecke. Und ja, er hat sicherlich auch kriminelle oder steuerhinterziehende Elemente im Blick, wenn er sagt: „Schlechte Menschen zahlen bar.“ Damit meint er sicherlich nicht jemanden, der seinen Gebrauchtwagen kauft.

(Ralf Witzel [FDP]: Doch!)

– Herr Kollege Witzel sagt: „Doch!“ – Also, ich möchte ihm das an dieser Stelle zunächst einmal nicht unterstellen.

Aber das ist die Wahrnehmung der Menschen im Lande, die einen Artikel in der „Rheinischen Post“, in der der Herr Minister zitiert wird, gelesen haben. Das war übrigens am 3. Juli. Das ist also noch gar nicht so lange her.

Solche Aussagen verkennen im Übrigen, dass die Kriminellen, die große Summen transferieren, nicht im Bargeldbereich operieren. Das sind vielmehr stattdessen elektronische Geldwährungen, zum Beispiel Bitcoins. Auch die organisierte Kriminalität ist längst auf elektronische Zahlungsmethoden umgestiegen. Sie packen also hier mit Sicherheit nicht diejenigen, die Sie haben wollen. Wenn wir nach Luxemburg und in die Lux-Leaks schauen, dann haben wir ganz andere Summen im Visier als das, worum es hier geht, um ein paar Milliönchen derer, von denen Sie annehmen, dass sie durch ihre Barzahlungen Steuerhinterziehung ermöglichen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Witzel?

Dietmar Schulz (PIRATEN): Ja, gerne, Herr Präsident.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Kollege. Ich will Ihnen eine Zwischenfrage stellen zu dem Aspekt, den Sie gerade mit dem Altautoverkauf genannt haben. Ist Ihnen die Zusammenfassung der Pressekonferenz des Finanzministers bei dpa vom 3. Juli bekannt? Darin heißt es: Der Kauf eines Fernsehers mit Bargeld sollte weiterhin möglich sein, das Bezahlen eines teuren Sportwagens nicht mehr.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Die Zusammenfassung dieser dpa-Konferenz ist mir nicht bekannt. Ich greife das allerdings durchaus gerne auf. Mir ist bekannt, dass manche Gebraucht-Pkw in der Zwischenzeit billiger sind als mancher Fernseher.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Wenn ich zu Media Markt gehe, sehe ich Fernseher, die zwischen 10.000 und 12.000 € kosten. Die werden natürlich durchaus auch mal bargeldlos bezahlt. Aber auch da gibt es selbstverständlich einen nicht kleinen Gebrauchtmarkt, der inzwischen immer noch auch in Bargeld abgewickelt wird.

Ich komme aber gerne noch auf die Aspekte zurück, die die Beschränkung der Freiheit in diesem Zusammenhang bedeuten. Barzahlung ist nämlich Ausdruck bürgerlicher Freiheit, von Privatheit und Unabhängigkeit, und die Abschaffung derselben oder auch nur eine sehr starke Einschränkung der Bargeldzahlung wären ein massiver Eingriff in die Eigentumsrechte der Bürger.

Abgesehen davon müssen wir mal die Kehrseite all dessen beachten, was hier gefordert wird, wenn wir eine Begrenzung des Bargeldverkehrs fordern oder gar eine bargeldlose Zahlung hier zum Petitum erheben. Es geht nämlich hier unter anderem auch – auch das wurde schon angesprochen – um die Überwachung eines kompletten Konsumverhaltens von Bürgerinnen und Bürgern.

Wenn ich bedenke, dass sich die SPD mittlerweile zum Vorreiter der Vorratsdatenspeicherung aufschwingt, dann ist das bereits guter Ton im Rahmen all dessen, was wir hier in diesem Hause bereits von der SPD gehört haben.

Eine Welt jedoch, in der der Staat, Institutionen und Unternehmen jede private Konsumentscheidung nachvollziehen können, ist ein Orwellscher Albtraum und ein weiterer Schritt in Richtung Totalüberwachung und Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger. Diese Kontrolle lehnen wir in jedem Detail ab.

(Beifall von den PIRATEN)

Mal ganz zu schweigen von der sozialen Dimension! Was machen eigentlich die Menschen, die sich kein Konto leisten können? Auch diese gibt es. Auch diese kommen in den Genuss von Bargeld und unter Umständen auch einmal in den Genuss von 3.000 oder 2.000 €. Die können das Geld nicht mehr en bloc ausgeben? Soll das die Zielsetzung sein? Ich glaube, auch diese Menschen, Herr Minister, haben Sie nicht im Blick, wenn Sie von Steuerehrlichkeit sprechen. Barzahlung ist komplett kostenlos. Auch das wurde bereits erwähnt.

Weitere Funktionen würden durch diese Abschaffung des Bargeldes verloren gehen: Geld als Tausch- und Zahlungsmittel, Geld als Recheneinheit, Geld als Wertaufbewahrungsmittel. Jeder Sparstrumpf würde zur Nullsumme degenerieren, wenn es ein entsprechendes Verbot der Ausgabe dessen gäbe, was man sich von mir aus unter dem Kopfkissen angespart hat. Das sind mittlerweile immer noch Hunderte von Milliarden € europaweit, auch in der Bundesrepublik zig Milliarden €, die an Bargeld in Privathaushalten vorgehalten werden, ohne dass diese jemals an der Steuer vorbei irgendwo erwirtschaftet worden wären.

All das kann hier nicht gewollt sein.

Die Durchschlagskraft der Geldpolitik würde im Übrigen noch erhöht. Selbstverständlich: Das Feld wird bereitet für die Einführung von Negativzinsen durch eine nicht demokratisch legitimierte und kontrollierte EZB.

All das sind Dinge, denen wir hier frühzeitig entgegenwirken müssen, auch wenn es eine Bundesangelegenheit ist, Herr Minister und liebe Kolleginnen und Kollegen. Selbstverständlich ist das auch eine Sache des größten Bundeslandes der Bundesrepublik Deutschland, NRW, mit einem doch sehr aktiven Finanzminister dann, wenn es darum geht, Steuerehrlichkeit zu hinterfragen. Dann tun Sie das bitte an anderen Stellen, aber nicht beim Bargeld in Höhe von 3.000 oder 2.000 € im Bereich des kleinbürgerlichen Daseins! – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schulz. – Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Walter-Borjans das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Ich nehme die Bedenken, die Sie geäußert haben, absolut ernst. Ja, das sind Dinge, die man berücksichtigen muss: Wer ist möglicherweise nicht in der Lage, einen bestimmten Betrag per Überweisung zu bezahlen? Wie sieht es aus mit Menschen, die kein Girokonto haben? Wie könnte das sein mit dem Zugriff von Banken auf Geldbestände? Das sind alles Dinge, die ich ernst nehme.

Deswegen muss ich auch von vornherein einmal sagen: Es hat den Vorschlag, Bargeld zu verbieten, wie das Herr Witzel behauptet und teilweise auch Herr Optendrenk insinuiert hat, nicht gegeben. Den gibt es in Dänemark und in Schweden auch nicht. Dort sind wir mit einer hochrangig besetzten Delegation gewesen, im Übrigen auch mit der Leiterin der Deutschen Bundesbank hier in Nordrhein-Westfalen. Die kann Ihnen bestätigen: Davon ist nicht einmal in den beiden Ländern die Rede. Tatsache ist allerdings, dass dort das Verhalten ein völlig anderes ist und der Anteil der Zahlungen per Karte oder Überweisung enorm viel höher als in Deutschland ist. Das ist Punkt eins.

Punkt zwei ist: Sie haben bewusst oder unbewusst, Herr Witzel, Herr Optendrenk und Herr Schulz, offenbar ein Problem mit der Logik. Ich will Ihnen das mal an einem Beispiel deutlich machen: Bisher war jeder Papst ein Mann. Aber deswegen kann man noch lange nicht den Schluss daraus ziehen, dass jeder Mann ein Papst war.

Das ist aber das, was Sie mir unterstellen. Ich sage: Überwiegend werden kriminelle Handlungen bar abgewickelt. – Daraus leiten Sie ab, dass ich sagen würde, jeder, der bar abwickelt, begehe kriminelle Handlungen, und ich würde den in diese Nähe bringen. Das ist genauso falsch wie das Papstbeispiel.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich kann nur sagen: Machen Sie einmal Fingerübungen zur Logik. – Ich muss schon sagen: Dahinter steckt eine Menge Boshaftigkeit. Sie wollen Menschen Angst machen. Sie wollen offenbar auch eine ganz bestimmte Klientel in Schutz nehmen.

(Beifall von der SPD – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist unerhört!)

Das erleben wir noch viel krasser bei dem Thema INSIKA und manipulationssichere Registrierkassen. Wer verhindern will, was mittlerweile in anderen Ländern Standard ist und belegbar zu Erfolgen geführt hat, der hat offenbar eine Klientel im Blick,

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

von der er glaubt, dass er von der ein paar Stimmen verlieren könnte, was gleichzeitig zeigt, wie groß diese Klientel offenbar sein muss.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Optendrenk?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nein. Ich würde gern erst diesen Beitrag zu Ende bringen. Dann können wir es anschließend machen.

Es hat auch keine Pressekonferenz mit dem Obertitel „Wie beschränke ich Bargeld?“ gegeben, sondern es war eine Pressekonferenz, in der wir zusammengefasst haben, was wir mit einer Delegation in Schweden und in Dänemark diskutiert haben. Dort ist deutlich geworden, dass durch das Überweisen die Kriminalität in dem Bereich des Schwarzgelds die Schwarzarbeit, die Prostitution, der Menschenhandel, das Glücksspiel, die Geldwäscherei dramatisch in dem Maße zurückgegangen ist, in dem es nicht mehr per Bargeld zu machen ist.

Wenn ich hier Zahlen habe, dass zum Beispiel von der Steinbeis-Hochschule in Berlin die Schwarzarbeit bei uns auf 140 Milliarden € – Bauwirtschaft auf 126 Milliarden €, Gastronomie und Dienstleistungen auf 14 Milliarden € – geschätzt wird, die Kriminalität mit 168 Milliarden €, der Drogenhandel mit 63 Milliarden €, der Menschenhandel und die Prostitution auf 21 Milliarden €, das Glücksspiel auf 52 Milliarden € eingeschätzt wird, dann kann ich Ihnen sagen: Ja, unsere Steuerfahnder können Ihnen belegen, dass das Geschäfte sind, die zu einem ganz überwiegenden Teil bar ablaufen.

Deswegen sage ich: Das, was ich auf dieser Pressekonferenz angekündigt habe – neben einer ganzen Reihe von Dingen, wo es darum geht, wie sich der Zahlungsverkehr im Zeitablauf verändert, wie anders junge Menschen heute mit dieser Thematik umgehen als die älteren Menschen –, war:

Unter Anerkennung der Tatsache, dass in Deutschland die Bargeldkultur viel ausgeprägter ist, aber auch in Anerkennung der Tatsache, dass es mittlerweile eine ganze Reihe von Ländern gibt – Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Belgien –, die bei Überweisungen über maximal 3.000 € Beschränkungen haben, habe ich gesagt, dass ich das Thema zur Sprache bringen werde.

Damit nicht der Eindruck entsteht, ich will das jetzt zurücknehmen: Nein, meine Position ist, dass man in dieser Größenordnung darüber nachdenken muss, weil es diese kriminellen Tätigkeiten ein ganzes Stück einschränken würde. Interessanterweise haben Sie ein paar Experten benannt. Es gibt eine Reihe von Experten, die deutlich machen, dass es der richtige Weg ist, unter anderem der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Im Übrigen hat der saarländische CDU-Finanzminister die Summe von 5.000 € als Obergrenze genannt. Ich bin auf 3.000 € Obergrenze nicht festgelegt. Das sind Dinge, worüber diskutiert werden muss.

Ich habe angekündigt, dass ich dieses Thema im Kreis der Finanzminister zur Sprache bringen werde. Das werde ich auch tun, und dann werden wir weitersehen.

Dafür, dass ich bei denen, die das eben gesagt haben, keine Partner habe, habe ich bestimmte Vermutungen, warum das der Fall ist. Das finde ich schade. Das zeigt sich in einer Reihe von Entscheidungen, wodurch offenbar Schlupflöcher offengehalten werden sollen, noch deutlicher als in diesem Fall.

Wenn Herr Optendrenk dazu eine Frage hat, bin ich jetzt gern bereit, diese zu beantworten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist sehr nett von Ihnen. Herr Optendrenk hat die Frage noch. – Bitte schön, Herr Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ich bedanke mich herzlich dafür. Wenn Sie diese Grenze im Grundsatz für eine Möglichkeit halten, organisierter Kriminalität in bestimmten Branchen zu Leibe zu rücken, wie können Sie sich dann erklären, dass insbesondere in dem Land in Europa, in dem wir vermuten, dass organisierte Kriminalität besondere verbreitet ist, und das schon eine Obergrenze von 1.000 € hat, nämlich Italien, offensichtlich die Bekämpfung der organisierten Kriminalität seit vielen Jahrzehnten ziemlich danebengeht und stattdessen alles Mögliche über Firmengeflechte und über bargeldlosen Zahlungsverkehr abgewickelt werden kann, ohne dass der Staat eingreifen kann oder jedenfalls eingreift?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass die Obergrenze für Bargeldzahlungen von heute auf morgen Schwarzgeldhandel, Geldwäsche abschaffen wird – es ist ein Baustein –, so wie ich nie behauptet habe, dass etwa die manipulationssichere Registrierkasse von heute auf morgen dazu führen wird, dass nirgendwo mehr manipuliert wird.

Ich halte ein Geflecht von Regelungen, die wir da brauchen, für wichtig. Es gibt eine ganze Reihe von Kassenherstellern – auch die Bitkom –, die deutlich sagen, dass das Barzahlen mit hohen Beträgen genau der Bereich ist, in dem Kriminalität stattfindet. Das bedeutet nicht die Umkehrung, dass alle, die bar zahlen, kriminell sind.

Es ist im Übrigen nicht etwa so, dass man dem Negativzins ausgeliefert ist. Denn es steht nirgends eine Forderung im Raum, dass jemand zu Hause kein Bargeld horten darf. Es geht darum, ob ich mit hohen Beträgen den Sportwagen, von dem Herr Witzel eben gesprochen hat, kaufen kann. Wenn sich jemand den Porsche für zig Tausend € bar kauft, dann darf man eine gewisse Skepsis haben, dass möglicherweise etwas nicht ganz richtig gelaufen ist. Dann ist es auch nicht schlimm, wenn man an dieser Stelle mal nachfragt, ob alles in Ordnung ist.

(Beifall von der SPD – Angela Freimuth [FDP]: Man kann nicht alle unter Generalverdacht stellen!)

– Nein, Sie wollen den Generalfreispruch. Das ist der Unterschied. Es ist nicht der Generalverdacht, dass jeder, der bar zahlt, etwas falsch macht. Sie möchten, dass von vornherein sichergestellt wird, dass er das darf, weil es einen Generalfreispruch gibt. Das ist eine Argumentationskeule, die Sie gerne nutzen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bleiben Sie bitte am Pult. Es gibt zwei Kurzinterventionen. Die erste ist von der FDP-Fraktion angemeldet worden. Herr Witzel hat gleich das Wort. Die zweite ist von der Fraktion der Piraten angemeldet worden. Da wird Herr Schulz sprechen. Sie haben jeweils 1:30 Minuten, um auf die Interventionen zu antworten. – Bitte schön, Herr Witzel.

(Angela Freimuth [FDP]: Das ist eine völlige Beweislastumkehr! – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, ich darf zunächst einmal zu meiner Freude feststellen, dass Sie für Ihre Überlegungen offenbar, jedenfalls in diesem Landtag, keine parlamentarische Mehrheit haben. Ich habe außer der Fraktion der SPD keine andere in der Debatte vernommen, die Ihre Pläne so unterstützt.

Zum Zweiten und vielleicht damit zusammenhängend möchte ich Sie fragen, ob Sie Ihre Forderung revidieren. Sie laden zu einer Pressekonferenz ein und tätigen nachher Veröffentlichungen. Es gibt mehrere dpa-Meldungen; eine Meldung lautet: „NRW-Finanzminister will Obergrenze für Barzahlung“. Da wird ausgeführt, wie das Gespräch stattgefunden hat, dass Sie fast schon – so muss man es lesen – mit Bedauern festgestellt haben, aufgrund der Bezahlkultur könnten wir hier wohl nicht eine 1.000-€-Begrenzung vornehmen wie im Ausland, aber Sie könnten sich vorstellen, ab 2.000 € die Obergrenze einzuführen.

Ich frage Sie: Was ist denn eine Obergrenze für Barzahlungen von 2.000 €, die Sie sich vorstellen können, anderes als ein Barzahlungsverbot für Beträge oberhalb von 2.000 €? In der dpa-Meldung nach dem Gespräch mit Ihnen heißt es, dass das große Auto oder der teure Schmuck künftig nicht mehr mit einem dicken Bündel Bargeld bezahlt werden darf, wenn es nach Norbert Walter-Borjans geht.

Das ist für mich, so, wie ich es formuliert habe und wie ich es für eine völlig seriöse Feststellung halte, selbstverständlich – und ich werde das auch nicht zurückzunehmen – oberhalb von sehr niedrig angesetzten Grenzwerten dann ein Barzahlungsverbot, das entsprechend greift. Wie verhält es sich? Wollen Sie das hier entsprechend revidieren oder haben Sie das anders einzusortieren? Bislang sind Ihre Äußerungen in dieser Hinsicht aus der Sommerpause klar anders zu verstehen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte schön.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Sie sollten einfach versuchen, Ihre Fantasie von dem zu trennen, was Sie an Sachen, an Fakten vortragen. Beispielswiese Ihre Unterstellung, ich hätte mit Bedauern festgestellt, dass es eine bestimmte Kultur in Deutschland gibt, ist schlicht und ergreifend ein Produkt Ihrer eigenen Fantasie, so wie ich es oft in Ausschusssitzungen und hier im Landtag erlebe. Ich habe das festgestellt.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie müssen schon ein wenig genauer werden, denn nicht ich muss etwas revidieren, sondern Sie müssen etwas revidieren. Ihre Unterstellung, ich wolle ein Barzahlungsverbot, ist etwas völlig anderes als ein Barzahlungsverbot oberhalb eines Grenzwertes, der von den wenigsten bei Barzahlungen erreicht wird. Das muss man doch auch einmal sehen.

Lassen Sie doch einmal sämtliche Menschen im Land fragen, wie viele von denen in den letzten Jahren mehr als 3.000 € für etwas bar bezahlt haben. Von welchem Prozentsatz reden Sie im Augenblick? – Das ist doch der Unterschied. Ein Barzahlungsverbot trifft 100 %. Aber ein Barzahlungsverbot über 3.000 € betrifft einen minimalen Prozentsatz. Und das möchten Sie gerne verwischen. Das ist der Punkt.

Daher sage ich Ihnen: Ich habe gar keine Pläne, sondern ich habe in dieser von dpa richtig wiedergegebenen Pressekonferenz, in der es um eine Reihe von Themen ging, zu diesem Punkt gesagt: Ja, ich werde das im Kreis der Finanzminister ansprechen, weil ich denke, dass das ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit, von Geldwäsche, von Kriminalität ist. Nicht mehr und nicht weniger habe ich gesagt, und nicht mehr und nicht weniger werde ich auch tun.

Dann wird es sich zeigen, ob es dafür Partner gibt. Wenn es keine Partner gibt, sage ich: Ein Sozialdemokrat darf durchaus das Recht haben, zu sagen, was er täte, wenn es dafür eine Mehrheit gäbe. Wenn es die durch andere politische Kräfte, egal ob Koalitionspartner oder andere, nicht gibt, dann wird man es nicht machen können. Das ist in der Großen Koalition in Berlin ganz genauso.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Aber ich meine deutlich, dass die Menschen im Land wissen dürfen: Ja, dieser Minister würde es machen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Ihre Redezeit zum ersten Redebeitrag ist zu Ende. – Wir rufen nun die Kurzintervention der Piratenfraktion auf. Herr Schulz, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Danke, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, zunächst einmal möchte ich sowohl für meine Person als auch für meine Fraktion zurückweisen, dass wir mit der von mir am Rednerpult gewählten Argumentation irgendwelche Klientel bedienen wollten. Sie haben jetzt nicht ausgeführt, um welche Klientel es sich handelt, aber ganz offensichtlich um solche Klientel, die 2.000 und 3.000 € bzw. mehr bar in der Tasche mit sich führen und damit gegebenenfalls auch bezahlen. Vielleicht nehmen sie sogar Zahlungen auch auf sogenannte Prepaid-Kreditkarten in unbegrenzter Höhe vor, um damit letztlich anonym bezahlen zu können.

Aber eins steht auf jeden Fall fest: Soweit Sie ausführen, dass durch Ihren Vorstoß eine Beschränkung krimineller Tätigkeiten stattfinden würde, gerät Ihre Äußerung in Hinblick auf die hier vertretenen Oppositionsfraktionen in ein äußerst fragwürdiges Licht.

Es unterstreicht das, was ich eben gesagt habe, nämlich dass Sie dafür sind, dass Daten bei Versicherungsunternehmen landen, dass registriert werden soll, ob man sich fettreich ernährt, raucht oder Alkohol zu sich nimmt, wann, wo, in welchem Umfang, mit welchen Menschen usw., dass eine staatliche Einflussnahme auf das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger erfolgt. All das halten wir für wesentliche freiheitsrechtliche Elemente, denen wir immer gegenübertreten werden. Wenn Sie so wollen, ist es klientelhaft insofern, als jeder einzelne Bürger, jede einzelne Bürgerin unsere Klientel ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit, darauf zu antworten. Bitte schön.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Schulz, und ich weise zurück, dass Sie mir unterstellen – und das haben Sie wörtlich gesagt –, dass ich diejenigen, die bar bezahlen, pauschal in die Nähe krimineller Handlungen bringen will. Das ist definitiv falsch.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das war ich nicht!)

– Das haben Sie gesagt. Ich habe es mir eben notiert, als Sie es gesagt haben. Es gibt ein Protokoll, da kann man es ja nachlesen.

Der zweite Punkt ist: Inwieweit werden Verhaltensweisen durch Zahlungsweisen, die erfassbar sind, möglicherweise ausgewertet? Das ist ein Thema, das uns auch beschäftigt. Aber ist die Frage, ob kontrolliert werden kann, wie viel Fett, wie viel Tabak und wie viel Alkohol ich zu mir nehme, davon abhängig, ob ich über 3.000 € per Überweisung bezahle? Oder liegt das nicht in dem kleineren Bereich, der ohne Frage als Barzahlungsmöglichkeit weiter besteht? Daran zeigt sich, dass Sie mit aller Gewalt möchten, dass die kleine Gruppe derer, die ich anspreche und von der ich lange noch nicht sage, dass jeder, der über diesen Betrag hinaus bar bezahlt, etwas Unrechtes im Schilde führt, …

(Christof Rasche [FDP]: Aber fast! – Zuruf von Angela Freimuth [FDP])

– Aber umgekehrt ist es so! – Sie müssen, um Empörung zu erzeugen, diesen Betrag gefühlt herunterziehen, dass jeder, der sein Kaugummi kauft, meint: Der will mich kontrollieren. – Das ist falsch.

Und was Sie mit Ihren Zwischenrufen immer wieder wollen, will ich Ihnen sagen: Das ist dasselbe, was Sie mit den Registrierkassen machen: einem dann, wenn man eine Sicherung einbauen will, Generalverdacht zu unterstellen. Das tun Sie, weil Sie einen Generalfreispruch wollen. Sie möchten, dass jeder machen kann, was er will,

(Beifall von der SPD – Zuruf von den PIRATEN: Ja!)

und dass das nicht kontrollierbar ist. Das wollen Sie!

Der Kollege Justizminister hat das einmal auf den Punkt gebracht: Die Tatsache, dass Mord und Totschlag im Strafgesetzbuch stehen, ist noch lange kein Generalverdacht gegenüber jedem redlichen Bürger, dass er möglicherweise morgen zum Mörder wird. So etwas ist doch völliger Unsinn.

(Zuruf von Angela Freimuth [FDP] – Weitere Zurufe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Wir sind am Ende der Debatte. Oder wollen Sie noch Redezeit in Anspruch nehmen? Die Regierung darf ja jederzeit das Wort ergreifen. – Das wollen Sie nicht. Damit sind wir am Ende der Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/9597 an den Haushalts- und Finanzausschuss. Dort wird in öffentlicher Sitzung abgestimmt nach einer vermutlich noch einmal sehr interessanten Beratung. Wer stimmt dieser Überweisung zu? – Das tun alle. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Es bleibt bei der einstimmigen Überweisung.

Wir kommen zu:

8   Massive verfassungs- und europarechtliche Bedenken nicht länger ignorieren – bürokratisches Tariftreue- und Vergabegesetz abschaffen

Eilantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9645

Die Fraktionen von CDU und FDP haben mit Schreiben vom 31. August fristgerecht diesen Eilantrag eingebracht.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Dr. Bergmann für die CDU-Fraktion das Wort.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Das Tariftreue- und Vergabegesetz trat bekanntlich am 1. Mai 2012 in Kraft. Wir haben uns hier wohl schon zehnmal damit beschäftigt.

Gleich vorweg wie immer und zur Vermeidung etwaiger Reflexe: Die CDU-Landtagsfraktion teilt die sozial -und umweltpolitischen Ziele wie etwa Arbeits- und Umweltstandards, Kinderschutz und ordentliche Entlohnung des TVgG.

Dieses Gesetz ist aber der falsche Weg, um diese Ziele zu erreichen, und hat den Effekt eines politischen Placebos. Die Umsetzung auf Länderebene greift zu kurz, ist offensichtlich nicht rechtssicher und droht zusätzlich die Tarifautonomie zu unterlaufen.

Trotz großer Bedenken allerseits – von Experten, Kommunen, mittelständischer Wirtschaft und anderen Institutionen – hatte die rot-grüne Regierungskoalition das Gesetz beschlossen und musste zwischenzeitlich bekanntlich eine Evaluierung deutlich vorziehen, weil sie selbst merkte, dass das alles so nicht funktioniert.

Schon nach der Ankündigung letztes Jahr forderten wir von der Union, die dafür im Haushalt vorgesehenen 425.000 € einfach zu sparen. Wir empfahlen und empfehlen immer noch, stecken Sie das Geld doch in die Haushaltskonsolidierung. Die hat Nordrhein-Westfalen doch bitter nötig.

(Beifall von der CDU)

Das Gesetz und die entsprechende Rechtsverordnung sind sowohl für kommunale Auftraggeber als auch für privatwirtschaftliche Auftragnehmer mit enormen bürokratischen Lasten verbunden. Das dürfen Sie nicht länger ignorieren. Also schaffen Sie doch dieses Bürokratiemonster endlich ab und vertrauen Sie auf das bundesweit gültige Tariftreuegesetz.

Das, Herr Minister Duin, würde auch nur dem entsprechen, was Sie bereits am 28. Januar 2014 im „Kölner Stadt-Anzeiger“ selbst zu diesem Gesetz anmerkten. Damals bedauerten Sie ja im Interview, dass Ihnen – ich zitiere – das Gesetz um die Ohren gehauen würde und es mit sehr hohem bürokratischem Aufwand befrachtet sei.

Recht haben Sie. Handeln Sie dann auch entsprechend! Das wäre stringente Politik.

Auf Grundlage der Einführung vergabefremder Kriterien in das Auswahlverfahren verfälscht das TVgG den Wettbewerb um das wirtschaftlichste Angebot bei Vergaben. Dadurch steigen die Kosten der Beschaffung zulasten der öffentlichen Hand. Diese Lasten wiederum tragen die Bürger, das Handwerk und der Mittelstand durch höhere Abgaben und Gebühren.

Auch laut Handwerksorganisationen hat sich das Gesetz in der Praxis als unpraktikabel erwiesen. Unternehmen ohne eigene Vergabeabteilung können die gestellten Anforderungen oft nicht allein bewältigen. Als Folge der Rechtsprechung des EuGH und der Einführung des Tarifautonomiestärkungsgesetzes lässt sich aus Sicht des Handwerks in Nordrhein-Westfalen ein eigener landesvergabespezifischer Mindestlohn für unser Land nicht mehr rechtfertigen.

(Beifall von der CDU)

Der Verzicht wäre ein wichtiger Schritt für Bürokratieabbau und zur Kostenentlastung von Unternehmen und öffentlichen Auftraggebern zugleich. Denken Sie an die Erleichterung, wenn die Verpflichtungserklärungen wegfielen. In seiner Anwendbarkeit ist das Gesetz schlichtweg nicht praxistauglich und schadet besonders den KMU, wenn diese durch das Gesetz faktisch von der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden, wie es etwa beim straßengebundenen ÖPNV der Fall ist. Im Bereich des Omnibusgewerbes kommt es jetzt sogar bei alten und neu gewonnenen Linien zur Zahlung zweier unterschiedlicher Tariflöhne in einem Unternehmen – beide übrigens in Nordrhein-Westfalen.

Jetzt kommen auch noch massive verfassungs- und europarechtliche Probleme hinzu. Für uns ist das nicht überraschend. Das hatten wir auch schon letztes Jahr vorhergesagt. So ist das TVgG nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit unserer Landesverfassung unvereinbar. Das Gericht hat das dem Verfassungsgerichtshof Münster zur Prüfung vorgelegt.

Auch aus europarechtlicher Sicht ist also das Gesetz nicht haltbar. Damit wird die Behauptung der Landesregierung, das Gesetz halte sich im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben, auch noch eindeutig als falsch entlarvt.

Unter dem Strich ist das TVgG also nicht nur bürokratisch, ineffektiv, kostenintensiv und europarechtswidrig, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit auch verfassungswidrig.

(Beifall von der CDU)

Ein dies auch nur in Ansätzen rechtfertigender konkreter Mehrwert konnte dagegen bisher von der Landesregierung und auch nicht von der Regierungskoalition belegt werden.

Eine Aufhebung des Gesetzes würde zu unmittelbarer Minderung bürokratischer Lasten bei der öffentlichen Hand führen, die kommunalen Haushalte entlasten sowie gerade kleine und mittelständische Unternehmen und das Handwerk stärken. Bisher packen Sie als rot-grüne Landesregierung ständig den Unternehmen neue Steine in den Rucksack. Jetzt könnten Sie endlich einmal wenigstens einen davon wieder aus dem Rucksack herausnehmen. Trauen Sie sich!

Die antragstellenden Fraktionen fordern daher die Landesregierung auf, die Konsequenzen aus der hier nur angerissenen, im Ergebnis vernichtenden Synopse zu ziehen. Wir fordern Sie auf, dem Landtag einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalen und der entsprechenden Verordnungen vorzulegen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bergmann. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Bombis das Wort.

Ralph Bombis (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Das Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG NRW) ist mit der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen nicht vereinbar. Das ist ein Zitat des Verwaltungsgerichts Düsseldorf.

Wir haben es immer gesagt, die rot-grüne Regierungskoalition hat Nordrhein-Westfalen, seinen Bürgerinnen und Bürgern, den Kommunen und dem Mittelstand ein Gesetz zugemutet,

-    das verfassungswidrig ist, das rechtswidrig ist, das belastend wirkt;

-    ein Gesetz, das nun dem Verfassungsgerichtshof zur Prüfung vorliegt, weil auch Gerichte erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel haben; ein Gesetz, das der EuGH bereits im September 2014 für europarechtswidrig erklärt hat;

-    ein Gesetz, das nicht laut uns, sondern laut der kommunalen Spitzenverbände kommunale Auftraggeber vollkommen überfordert; ein Gesetz, das laut dem Städte- und Gemeindebund „massiven bürokratischen Aufwand“ mit sich bringt;

-    ein Gesetz, das laut einer von der Landesregierung selbst in Auftrag gegebenen Evaluierung über 60.000 Unternehmen in Nordrhein-Westfalen Probleme bei der Umsetzung verursacht, das allen Beteiligten – inklusive Steuerzahlern – Prozesskosten verursacht, Gerichten wertvolle Ressourcen raubt und jetzt – so heißt es in der Begründung des Verwaltungsgerichts Düsseldorfs – die in der Landesverfassung garantierte Tarifautonomie unterläuft.

Meine Damen und Herren, warum tut sie das? Tut sie es nur aus Prinzip? Tut sie es nur, weil man nicht zugeben kann, dass es hier ein misslungenes Gesetz gibt? Sie tut es jedenfalls nicht, weil auch nur der Hauch einer positiven Wirkung von diesem Gesetz ausgehen würde.

Sie wollen einen Beweis dafür? – Ich zitiere noch einmal aus der von der Landesregierung selbst in Auftrag gegebenen Studie:

„Gleichzeitig sollte von der aktuellen Zielerreichung insoweit abstrahiert und reflektiert werden, als dass das TVgG NRW in erheblichem Maße gemeinwohlorientiert ist.“

Eine klarere Ohrfeige kann man von einem Gutachter gegenüber dem eigenen Auftraggeber kaum erwarten. Hierin steht mühsam verklausuliert nur, dass das Gesetz keines seiner postulierten Ziele erreicht, dies aber nicht so schlimm sei, weil es wenigstens gut gemeint ist.

Meine Damen und Herren, das reicht nicht!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Spätestens jetzt, wenn der Landesregierung ein Verfassungsbruch attestiert wird, gibt es keine Begründung mehr für ein solches Gesetz. Die rot-grüne Landesregierung hat bereits mehrfach herbe Niederlagen vor dem Verfassungsgerichtshof eingefahren.

(Zuruf von der CDU: Da sind die schmerzfrei!)

Dass SPD und Grüne dieser Umstand nicht stört, ist bemerkenswert. Persönlich füge ich hinzu: Es ist für mich aus rechtsstaatlicher Sicht auch durchaus bedenklich.

Deshalb: Werden Sie bitte endlich Ihrer Verantwortung gerecht! Nehmen Sie diese Belastung zurück, die Sie den Kommunen durch das Tariftreue- und Vergabegesetz auferlegt haben. Nehmen Sie die Belastung für Mittelstand und Handwerk in NRW zurück, die Sie auch durch eine Evaluation nicht mehr verbessern können. Das System des Gesetzes lädt immer noch bei den Unternehmen Dinge ab, die die Unternehmen nicht leisten können.

Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass dieses Gesetz einen Schaden für die Integrität der Rechtsordnung und letztlich auch einen Schaden für das Ansehen der Politik mit sich bringt.

Ich sage zum Abschluss noch einmal das, was Kollege Bergmann direkt zu Anfang gesagt hat: Die Ziele des Gesetzes stehen hier nicht zur Debatte. Aber dieses bürokratische und rechtswidrige Ungetüm gehört abgeschafft. Nehmen Sie die Gelegenheit endlich wahr.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Schmeltzer das Wort.

Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Beim Eilantrag unterstellt man, dass ein Grund nach Antragstellung gegeben sein muss. Ich unterstelle einmal, der Grund lag in den Äußerungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf aus der letzten Woche.

Herr Kollege Bergmann hat ganze neun Sekunden auf diesen Grund verwandt. Das zeigt, Sie haben eigentlich nur einen Grund gesucht, um zum gefühlten 153sten Mal das Thema aufzurufen.

Was hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf gemacht?

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])

– Natürlich wünsche ich das. Klar. Ich habe doch nur einmal darauf hingewiesen, Herr Kollege Bergmann, wieviel Zeit Sie mit der tatsächlichen Ursache verbracht haben. Alles andere von dem, was Sie hier gesagt haben, ist nichts Neues. Es ist zum gefühlten 153sten Mal das Alte. Das Alte wird nicht dadurch besser, dass Sie es permanent wiederholen. Auch im Eilantrag selbst haben Sie ganze sieben Zeilen darauf verwandt. Alles andere ist alter Tabak, ob das Bürokratie ist oder ob das Kosten sind.

Anders als es in der Evaluation zum Tragen gekommen ist, haben 92 % der Unternehmen keine Schwierigkeiten mit der Umsetzung dieses Gesetzes. Sowohl die Vergabestellen als auch die Unternehmen begrüßen dieses Gesetz. Sie geben natürlich Hinweise darauf, wie es vereinfacht werden kann. Wir haben das bereits in verschiedenen Debatten gehört. Wir nehmen das sehr ernst. Wir werden diese Hinweise aufnehmen. Es steht eine Novelle an. Diese Vereinfachungen werden nicht nur ernst genommen, sondern auch aufgenommen.

Was hat das Verwaltungsgericht in Düsseldorf gesagt? Herr Kollege Bombis hat gerade zitiert. Das Verwaltungsgericht urteilt ganz offensichtlich in diesem Zitat schon darüber, was verfassungswidrig ist und was nicht. Tatsächlich hat das Verwaltungsgericht gesagt: Wir fassen einen Vorlagebeschluss für das Verfassungsgericht in Münster. – Den haben sie gefasst und vorgelegt. In der Sache haben sie das gesamte Verfahren ausgesetzt.

Von daher machen wir es nicht so, wie Sie es gerne von uns hätten. Wir mutmaßen nicht, was eventuell kommen könnte. Das haben Sie vor dem Evaluationsbericht immer wieder getan. Auch er hat andere Inhalte als die, die Sie gerne hätten. Wir mutmaßen nicht. Wir warten auf Ergebnisse. Wenn diese Ergebnisse vorliegen, werden wir handeln, wie wir es immer gesagt und getan haben.

Herr Kollege Bombis, Sie haben einen Satz aus der Evaluation herausgesucht und selbst gesagt, er sei mühsam verklausuliert. Der aus Ihrer Sicht mühsam verklausulierte Satz wurde von Ihnen noch interpretiert. Das ist treffend dafür, wie Sie den Evaluationsbericht lesen und alle anderen Punkte zur Begrüßung dieses Gesetzes absolut außer Acht lassen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Unternehmen fordern mehr Prüfung. Sie fordern mehr Service. Darauf werden wir eingehen. Sie fordern eine bessere Verständlichkeit. Dies ist ohne Weiteres von uns aufgenommen werden. Von inhaltlichen Änderungen, von denen Sie immer sprechen, ist in der Evaluation von niemandem die Rede gewesen. Die Hinweise werden geprüft und inhaltlich diskutiert. Die Novelle ist angekündigt und wird unter Beibehaltung des Zieles sicher mit diesen entsprechenden Änderungen und Vereinfachungen kommen. Die aus dem Evaluationsbericht hervorgehende Befürwortung dieses Gesetzes nehmen wir sehr ernst. Deswegen ist dieser Eilantrag natürlich wieder nur abzulehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Priggen das Wort.

Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es ist schon bemerkenswert, wenn vorher zwei Redner von der Opposition sagen, sie begrüßten die Ziele des Gesetzes, aber jedes Mal wieder fordern: Das ganze Gesetz muss abgeschafft werden.

(Zuruf von der FDP: Logisch!)

Das wundert mich bei der FDP weniger, weil die FDP auch beim Mindestlohn immer nur dagegen war. Da gab es bei der CDU mit Karl-Josef Laumann und anderen Menschen, die für einen Mindestlohn waren. Trotzdem hat sich die CDU lange Zeit auch damit schwer getan. Aber es ist schon merkwürdig: Alle Ziele werden unterstützt, aber das konkrete Gesetz wollen Sie lieber nicht haben. Es gibt auch keinen Alternativvorschlag. Es gibt immer nur die pauschale Forderung, das Gesetz abzuschaffen.

Jetzt reden wir heute über einen Eilantrag. Der Anlass für den Eilantrag ist eine Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 27. August. Wir haben uns gestern und heute bemüht, vom Verwaltungsgericht die genaue Vorlage zu bekommen. Wir haben auch in Münster nachgefragt. Beim Verfassungsgericht ist sie noch nicht angekommen. Das Verwaltungsgericht hat seinen Vorlagenbeschluss auch noch nicht im Internet stehen. Er soll fertig sein. Man hat Schwierigkeiten, ihn einzustellen, aber er soll in Kürze übermittelt werden. Das ist der aktuelle Sachstand.

Laut Pressemitteilung geht es um die Tariftreuepflicht im ÖPNV, also nicht um das ganze Gesetz, nicht um alle Sachverhalte, sondern um einen bestimmten Aspekt. Wenn uns die Vorlage des Gerichtes zugegangen ist, werden wir uns diese Vorlage genau anschauen und sie diskutieren. Sie hat es nicht gehindert, einen Eilantrag zu stellen mit der zentralen Forderung, das Gesetz sofort abzuschaffen.

Das ist aber auch nichts Neues. Es ist etwa ein Jahr her, im Plenum am 4. Juli 2014 ist der entsprechende Antrag der FDP, das Gesetz abzuschaffen, von SPD, Grünen und Piraten abgelehnt worden. Also werden wir auch diesmal diesem Eilantrag sicherlich nicht folgen, weil auch das keine vernünftige Vorgehensweise ist.

Wir werden die Vorlage des Gerichtes genau auswerten und darauf schauen, welche Hinweise es gibt. Der Evaluationsprozess läuft. Kollege Schmeltzer hat einige Punkte angesprochen, bei denen wir Konsens haben. Wir waren ja bereit, die Evaluation relativ schnell zu machen. Wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir sie uns im Detail anschauen und sehen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.

Ich bin sicher, da werden Sie uns wie das täglich grüßende Murmeltier sicherlich wieder einen neuen Antrag bescheren, mit dem wir uns dann befassen werden. Und wir werden uns über die Evaluation weiter unterhalten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Sommer das Wort.

Torsten Sommer (PIRATEN): Herr Präsident! Aus zeitökonomischen Gründen stand ich hier oben schon einmal parat.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte wenige Menschen auf der Tribüne und – ich hoffe mehr – am Stream! Wir beschäftigen uns, wie Kollege Schmeltzer schon sagte, zum gefühlten 153. Mal, wenn ich die Zahl richtig in Erinnerung habe

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Genau!)

– danke! –, mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz.

In den Zielen sind wir uns einig; das habe ich hier mehrfach gehört. Das finde ich auch toll; denn wenn wir uns in den Zielen nicht einig wären, würden wir den Lohndumpern und Menschenschindern das Wort reden, die Unternehmensgewinne auf dem Rücken der Mitarbeiter und durch Absenken von immer weiter nach unten driftenden Lohngruppen erwirtschaften möchten.

Das würde unseren Unternehmen in NRW aber gar nicht gerecht. Unsere Unternehmen in NRW können durchaus einen fairen Wettbewerb gewinnen und auch betreiben. Das tun sie auch zum größten Teil. Kollege Bombis sagte eben, 60.000 Unternehmen hätten laut Vorlage der Evaluation Probleme mit dem Vergaberecht. Kollege Schmeltzer wies darauf hin, das seien 8 %. Sie hatten das umgedreht gesagt, 92 % hätten keine Probleme. Das sind halt 8 %. Da muss man Hilfestellung anbieten. Das muss man unkomplizierter regeln. Kein Ding!

Das Ganze abzuschaffen, macht keinen Sinn; denn dann hat man das Ziel nicht mehr im Blick. Und im Ziel – das haben alle betont – sind wir uns einig. Also lassen Sie uns doch wirklich das Ganze sachlich angehen und danach fragen, wo denn wirklich die Haken sind. Die Haken liegen darin, dass kleine Unternehmen bei den Vergaben einfach überfordert sind. Also müssen wir es unkomplizierter regeln. Es wäre total sinnvoll, dazu einfach mal einen Vorschlag zu machen, aber nicht vorzuschlagen, das Ganze abzuschaffen.

Das Ganze ist für die Vergabestellen auch kompliziert. Auch kein Ding! Da muss man mal mit den kommunalen Spitzenverbänden sprechen und sie fragen: Liegt das einfach daran, weil ihr eure Vergabestellen nicht optimal aufgestellt habt, oder liegt es daran, dass es wirklich zu komplex ist? Und wie hättet ihr es gerne, dass es einfach zu machen ist?

Heutzutage gibt es Best-Practice-Beispiele, es gibt Internetplattformen, es gibt alles Mögliche, um so etwas zu vereinfachen. Eine komplette Verabschiedung von den Zielen durch Abschaffung dieses Gesetzes würde uns dem Ziel insgesamt nicht näher bringen.

Gerade ist wieder das Argument der verschiedenen Tarifverträge in einem Unternehmen genannt worden. – Meine Güte! Als Mensch, der sich ein wenig im Arbeitsrecht bewegt, weiß man, dass der Trend der letzten Jahrzehnte im Arbeitsleben in Deutschland dahin geht, dass es immer weniger Tarifverträge und noch viel weniger allgemeingültige Tarifverträge gibt. Der Trend geht seit Jahrzehnten zu Einzelverträgen, was zur Folge hat, dass in verschiedenen, auch größeren Unternehmen im Endeffekt Tausende von Einzelnormen gelten. Ich nenne jetzt keine Beispiele; sie alle dürften Ihnen aber hoffentlich auch bekannt sein. Sich dann aber hinzustellen und zu sagen, sie könnten keine zwei Tarife auseinanderhalten, wird den Unternehmen in diesem Land einfach nicht gerecht. Das können die, das können die sehr wohl. Das macht also keinen Sinn.

(Beifall von den PIRATEN)

Kommen wir jetzt zu den rechtlichen Bedenken. Das ist ein Punkt, liebe Kollegen der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion, den ich bei Ihnen nicht ganz nachvollziehen kann.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Herr Kollege. Würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rehbaum zulassen?

Torsten Sommer (PIRATEN): Ja, natürlich.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann bitte, Herr Kollege.

Henning Rehbaum (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Sie sagten gerade, dass die Unternehmen durchaus mit zwei Tarifverträgen arbeiten könnten und dies auch tun würden. Dann kennen Sie in diesem speziellen Fall den Mittelstand im ÖPNV sicherlich nicht. Dort ist es überhaupt nicht Usus, mit verschiedenen Tarifverträgen zu arbeiten.

Sagen Sie mir noch einmal, wie das ein Unternehmen regeln soll, das einen Altbestand an Linien hat und jetzt ein zusätzliches Linienpaket hinzubekommt, und die Busfahrer jetzt auf unterschiedlichen Linien mit unterschiedlichen Tarifverträgen bei gemischten Dienstplänen fahren. Und sagen Sie mir weiter, welchen Lohn die Leute in der Werkstatt und im Büro in diesen Fällen bekommen.

Torsten Sommer (PIRATEN): Danke für die Zwischenfrage, Herr Rehbaum. – Zum einen ist es sehr schön, dass Sie als Beispiel den ÖPNV nennen; denn sowohl bei den „echten“ – so nenne ich sie mal – privaten ÖPNV-Anbietern als auch bei den Ausgründungen der Kommunen gibt es regelmäßig mehr als einen Tarifvertrag.

Das ist zum Beispiel der Tatsache geschuldet, dass kommunal ausgegründete Unternehmen ganz einfach ehemalige Kollegen aus dem kommunalen Bereich übernommen haben. Diese sind nach § 613a BGB mit allen Rechten und Pflichten und auch ihren alten Arbeitsverträgen übernommen worden.

Die Neueingestellten sind günstiger eingestellt worden – mit einem teilweise wirklich schlechteren Tarifvertrag, der mit einer sogenannten christlichen Gewerkschaft ausgehandelt worden ist, der GÖD, die bis heute den Nachweis schuldig geblieben ist, dass sie überhaupt eine Tarifmächtigkeit erwirken kann. Sie hat bis jetzt niemals nachgewiesen, dass eine Mitgliedschaft der 10.000 Menschen, die sie angeblich vertritt, wirklich zustande gekommen ist. Das ist schon sehr bitter.

Sie rekurrieren nun darauf, dass Aufgaben, die nicht direkt etwas mit den eigentlichen Fahrten zu tun haben, auch abgerechnet werden müssen. Schauen Sie sich die Tarife an. Sie unterscheiden sich gar nicht so viel. Sie machen einfach eine entsprechende betriebswirtschaftliche Rechnung auf und legen sie als Beweis dafür vor, dass sie über diesen Tarifen liegen.

Gerade im Bereich der Verwaltung und der technischen Dienstleistung sind sie beim ÖPNV immer über dem Tarif der Gewerkschaft ver.di, der aktuell als allgemeinverbindlich erklärt wurde. Da kommen Sie gar nicht in die Bredouille, weil Sie ohnehin darüber liegen. Das macht fachlich also gar keinen Sinn. – Damit ist meine Antwort beendet.

Kommen wir jetzt zurück zu den rechtlichen Dingen, die ich noch ansprechen wollte. Hier verstehe ich die Fraktionen von CDU und FDP überhaupt nicht, dass sie jetzt darauf gewartet haben, dass das Verwaltungsgericht Düsseldorf das beim Landesverfassungsgerichtshof vorlegt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Es tut mir leid, Herr Kollege, Sie schon wieder unterbrechen zu müssen, aber es ist das gute Recht eines weiteren Abgeordnetenkollegen der CDU – Herr Kollege Hendriks –, Ihnen ebenfalls eine Frage stellen zu wollen.

Torsten Sommer (PIRATEN): Natürlich.

Heiko Hendriks (CDU): Danke, Herr Sommer, dass Sie die Frage zulassen. – Nur, um das richtig verstanden zu haben: Sie plädieren also für Ausgründungen im ÖPNV, um das Gesetz zu erfüllen. Ist das so richtig?

Torsten Sommer (PIRATEN): Nein, da haben Sie mich nicht richtig verstanden. Ich kann es aber gerne noch einmal erläutern.

Ich habe auf die Frage vom Kollegen Rehbaum, ob es im Bereich des ÖPNV Unternehmen mit unterschiedlichen Tarifverträgen gibt, gesagt: Ja, die gibt es durchaus, und die tun das seit Jahren. – Ich halte dieses System für komplett sinnfrei. Das haben Kommunen in den 80ern und 90ern getan, die ihre – ich sage es einmal so – Altmitarbeiter nicht mehr so hoch entlohnen wollten.

Gleichwohl ist das ein Beispiel dafür, dass es Unternehmen gibt, die ÖPNV in NRW anbieten und durchaus mit mehreren Tarifverträgen arbeiten – und das schon lange vor dem Tariftreue- und Vergabegesetz. Damit rede ich der kommunalen Ausgründung nicht das Wort. – Vielen Dank.

Kommen wir jetzt noch einmal zu den rechtlichen Fragen zurück. Oder gibt es noch Fragen? Ich bin da offen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bisher nicht, Herr Kollege Sommer, aber ich sage Ihnen Bescheid; verlassen Sie sich darauf. Jetzt machen Sie aber ruhig erst einmal weiter.

Torsten Sommer (PIRATEN): Sie sagen mir sonst Bescheid, super. Danke schön.

CDU und FDP, warum warten Sie jetzt auf das Verwaltungsgericht Düsseldorf? Sie hätten hier zusammen das Recht, eine Normenkontrolle beim Landesverfassungsgericht zu beantragen. Warum haben Sie das nicht getan? Wenn Sie sich so sicher sind, dass das alles verfassungswidrig ist, dann hätten Sie das schon lange tun können. Es macht jetzt keinen Sinn, auf das Verwaltungsgericht Düsseldorf zu warten.

Ich sage es einmal ganz vorsichtig – ich wollte es eigentlich nicht sagen, aber egal –: Beim Verfassungssymposium der Verfassungskommission, das in der Villa Horion durchgeführt wurde, war unter anderem auch der Präsident des Verwaltungsgerichts Düsseldorf. Nach einer vielleicht nicht optimal gestalteten Zwischenfrage wurde ihm von Herrn Voßkuhle, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, in 20 Minuten noch einmal der Stoff des Staatsorganisationsrechts aus dem ersten Semester Jura erläutert. Sich auf dieses Verwaltungsgericht zu stützen, ist an der Stelle eventuell nicht unbedingt zielführend.

Von daher empfehle ich meiner Fraktion, diesen Eilantrag abzulehnen. Sie bringen das bestimmt wieder ein. Ich freue mich darauf und tippe auf den Wahlprüfungsausschuss. Dort war er noch nicht. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Duin das Wort.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal: Herr Sommer, ich will Sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Deswegen nehmen Sie mir meine Aussage hoffentlich nicht übel, aber das war mit das Fundierteste und sachlich Orientierteste, was ein Pirat hier an diesem Pult seit Langem gesagt hat.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Torsten Sommer [PIRATEN])

– Jetzt habe ich Sie doch in Schwierigkeiten gebracht. Trotzdem: Ganz herzlichen Dank für diese Erläuterungen, die aber sicherlich nicht dazu führen werden, dass wir in Zukunft keine Anträge aus den Reihen der CDU und der FDP zu diesem Thema mehr erhalten werden. Warum auch nicht.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Was soll ich jetzt machen?)

In der Tat: Der Anlass ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf von letzter Woche. Hier ist festzustellen – das ist ja zum Teil schon einmal herausgearbeitet worden, aber ich will das noch einmal unterstreichen –: Niemand hier im Raum kennt die Urteilsgründe, weil sie uns allen noch nicht vorliegen. Deswegen kennen wir auch nicht die Argumentation des Gerichtes, auf die man sich dann in irgendeiner Weise stützen könnte. Ich glaube, es ist gut, wenn man diese zunächst einmal analysieren wird, und dann kann man auch Schlüsse ziehen.

Es ist jedenfalls auch klar, dass es hier nicht um das TVgG in Gänze ging, sondern in dem Fall, der dort verhandelt wurde, ging es in der Tat um die Regelung für den ÖPNV, und diese zielt eben nicht darauf ab, einen Mindestlohn als unterste Grenze festzulegen, sondern sie soll ein faires Vergabeverfahren ermöglichen, um einen Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten bei der öffentlichen Vergabe unmöglich zu machen.

Entgegen der zumindest in der Pressemitteilung geäußerten Auffassung des Verwaltungsgerichts kann man bei einer solchen Regelung natürlich sehr wohl an einem Eingriff in die Tarifautonomie zweifeln – das will ich einmal ganz vorsichtig sagen –, weil schließlich die Tarifverträge des Verbandes Nordrhein-Westfälischer Omnibusunternehmen ihre Wirkung vollumfänglich behalten. Lediglich bei einem öffentlichen Auftrag erhalten die Beschäftigten einen Zuschlag zu ihrem Arbeitsentgelt. Auch die einschlägige EU-Verordnung lässt die Vorgabe von Sozialstandards bei der öffentlichen Vergabe zu. In anderen Bundesländern gibt es auch vergleichbare Regelungen.

Ob hier also ein solcher Eingriff in die Tarifautonomie tatsächlich vorliegt, wird die Prüfung beim Verfassungsgerichtshof des Landes am Ende ergeben.

Klar ist nur – in der Tat wurde von den Rednern von CDU und FDP ein falscher Eindruck erweckt –: Es gibt bislang kein rechtskräftiges Urteil gegen das Tariftreue- und Vergabegesetz oder gegen § 4 Abs. 2 oder die Regelung zur Verordnung zur Feststellung der Repräsentativität von Tarifverträgen im Bereich des ÖPNV.

Auch das Bundesdruckereiurteil ist erwähnt worden. Wir haben den Anwendern des Gesetzes mit einem sehr frühzeitigen Erlass mit klarstellenden Ausführungen zum Luxemburger Urteil eine sehr praktikable und ausreichende Hilfestellung gegeben, um auch weiterhin Vergabeverfahren europarechtskonform vorzunehmen.

Am Ende bleibt es dabei, was Kollege Priggen und Kollege Schmeltzer zum Ausdruck gebracht haben: Wir haben früher als von Ihnen – dem Landtag – gefordert, den Prozess der Evaluierung in Gang gesetzt. Wir haben umgehend das Ergebnis der Evaluierung vorgelegt und diskutiert. Wir werden uns damit weiter auseinandersetzen. Wir werden Vorschläge zur Novellierung des Gesetzes machen. Einiges haben wir hier schon in Eckpunkten beraten.

Parallel dazu gibt es auf der Bundesebene ein neues GWB. Es gibt eine neue Vergabeverordnung. All das hat auch auf das Tariftreue- und Vergabegesetz NRW unmittelbare Auswirkungen. Der Prozess ist ebenfalls noch nicht abgeschlossen.

Seien Sie insofern sicher: Es wird bei dem Tariftreue- und Vergabegesetz NRW bleiben. Es wird bei ökologischen und sozialen Zielen bleiben. Gleichzeitig wird es uns gelingen, den Verwaltungsaufwand oder – sagen wir es ruhig! – die bürokratischen Belastungen für die Beteiligten geringer werden zu lassen. Das ist zugesagt. Das ist in vielen Dialogen mit dem Handwerk, mit den Vergabestellen, also auch mit den kommunalen Spitzenverbänden, auf den Weg gebracht.

Wir werden uns auch jeweils an die juristischen Erfordernisse – seien sie aus Münster, seien sie vom EuGH – anpassen. Sie können ganz unbesorgt sein. Aber es ist nicht ausreichend zu sagen: Ja, die Ziele finden wir gut; aber konkret etwas zur Erreichung dieser Ziele tun, das wollen wir lieber nicht. – Das ist, wie ich finde, scheinheilig. Deshalb wird es auch in Zukunft ein Tariftreue- und Vergabegesetz in Nordrhein-Westfalen geben. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe somit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir haben einen Eilantrag debattiert, über den bekanntlich direkt abzustimmen ist. Wir kommen also zur Abstimmung über den vorliegenden Antrag Drucksache 16/9645. Wer für diesen Antrag ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Ich stelle fest, der Eilantrag Drucksache 16/9645 ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piratenfraktion gegen die Stimmen von CDU-Fraktion und FDP-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe auf:

9   Fragestunde

Drucksache 16/9600

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Drucksache 16/9600 liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 67 bis 70 vor.

Nicht zuletzt mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit darf ich vorsorglich daran erinnern, dass die Fragestunde nicht nur Fragestunde heißt, sondern auch laut Geschäftsordnung für einen ebensolchen Zeitraum geplant ist.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 67

des Abgeordneten Josef Hovenjürgen von der CDU-Fraktion auf:

Welche landesplanerische Bedeutung hat das newPark-Areal aus Sicht der Staatskanzlei als Landesplanungsbehörde?

Der Landesentwicklungsplan (LEP) legt das sogenannte newPark-Areal in Datteln/Waltrop in Ziel 6.4-1 als Standort für landesbedeutsame flächenintensive Großvorhaben fest. Dennoch hat das Umweltministerium versucht, den Verkauf der Fläche an den Kreis Recklinghausen und damit eine Realisierung des newPark zu verhindern.

In der vergangenen Woche hat es zwar eine Einigung zwischen Umweltministerium, Wirtschaftsministerium und Staatskanzlei gegeben, die den Verkauf der Fläche und die Realisierung des Projekts ermöglichen soll. Mehreren Presseberichten zufolge hält das Umweltministerium die Realisierung des newParks jedoch nach wie vor für überflüssig.

Ich frage daher die Landesregierung:

Welche landesplanerische Bedeutung hat das newPark-Areal aus Sicht der Staatskanzlei als Landesplanungsbehörde?

Die Landesregierung hat angekündigt, dass Herr Minister Duin für die Landesregierung antworten wird. Herr Minister Duin hat das Wort zur Beantwortung der genannten Anfrage. Bitte schön.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Abgeordneter Hovenjürgen, die landesplanerische Bedeutung des von Ihnen auch als newPark-Areal bezeichneten Standorts für landesbedeutsame flächenintensive Großvorhaben Datteln/Waltrop ergibt sich aus dem überarbeiteten Entwurf des Landesentwicklungsplans, kurz: LEP. Dort sind nach wie vor insgesamt vier Standorte für landesbedeutsame flächenintensive Großvorhaben gesichert. Einer davon ist der Standort Datteln/Waltrop. Ich benutze ebenso den Begriff newPark.

Die zugrunde liegenden Beschlüsse über den überarbeiteten Entwurf des Landesentwicklungsplans hat die Landesregierung am 28. April und am 23. Juni 2015 gefasst, und ich verweise auf die Erläuterung zu dem entsprechenden Ziel 6.4-1 im LEP-Entwurf und die Anlage 1 Teil A des dazugehörigen Umweltberichts. – Vielen Dank.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Zu einer ersten Nachfrage erteile ich Herrn Kollegen Hovenjürgen das Wort.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, die Botschaft hören wir wohl, umso mehr sind wir verwundert, dass der Umweltminister trotz dieser Tatsache, die Sie gerade geschildert haben, versucht hat, den Verkauf dieser Flächen an die kreiseigene Grundstücksverwertungsgesellschaft zu verhindern. Der hierdurch ausgelöste Koalitionskrach, der zu einer sechsstündigen Koalitionsausschusssitzung geführt haben soll, konnte nur mühsam beigelegt werden. Laut Minister Remmel hat die Ministerpräsidentin einen sehr weisen und weitsichtigen Weg gewiesen, wie das gemeinsam hinzubekommen sei.

Meine Frage an Sie: Welchen Anteil hatte die Ministerpräsidentin am Zustandekommen des sogenannten Kompromisses zwischen Umweltministerium und Wirtschaftsministerium?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Die Ministerpräsidentin hat an allen Entscheidungen des Kabinetts einen wesentlichen Anteil.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Hausmann vonseiten der CDU.

Wilhelm Hausmann (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich sitze nicht an meinem eigenen Platz, das wollte ich nur signalisieren.

Meine Frage: Wurden zwischen der Ministerpräsidentin, dem Umweltminister und dem Wirtschaftsminister nur Eckpunkte oder auch ein konkreter Bescheidtext vereinbart, wenn sie sich im Kabinett so stark engagiert?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Das Kabinett und, soweit ich gelegentlich daran teilnehme, auch Koalitionsrunden, pflegen nicht Bescheide zu formulieren, sondern sich auf politische Dinge zu verständigen.

Das ist natürlich auch in diesem Fall nicht anders gewesen. Der Bescheid war dann eine Aufgabe, welche, wenn ich das richtig sehe, die Landwirtschaftskammer zu übernehmen hatte. Insofern haben wir keine Bescheidformulierung vorgenommen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage käme von Herrn Lienenkämper. Der ist gerade auch gekommen. Tatsächlich aber kommt sie von Herrn Kollegen Stein. Dennoch habe ich aber – das erleichtert uns wirklich das Geschäft in der Fragestunde – die herzliche Bitte, sich freundlicherweise, wenn es irgendwie geht, auf Ihre Plätze zu setzen. Ich kann das in diesem Fall identifizieren, manchmal ist es aber auch nicht leicht, weil Ihre namentliche Wortmeldung hier oben aufleuchtet. – Herr Kollege Stein, Sie haben das Wort.

Robert Stein (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Minister Duin, inwieweit wurde der Text des Genehmigungsschreibens – inklusive der dort formulierten Auflagen – mit der Ministerpräsidentin oder der Staatskanzlei abgestimmt?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich habe Ihnen und auch der Öffentlichkeit das gemeinsam mit dem Kollegen Remmel im Grunde ausführlich geschildert.

(Zuruf von der CDU: Lauter!)

– Ich bin hier nicht für die Technik zuständig.

(Zuruf von der CDU: Da müssen Sie näher rangehen!)

– Ich habe es nicht verändert! – Ich habe das gemeinsam mit dem Kollegen Remmel der Öffentlichkeit bereits ausführlich dargestellt.

Es hat an jenem Dienstagabend einen Koalitionsausschuss gegeben. Der hat sich mit sehr vielen Themen befasst – und irgendwann auch mit dem Thema „newPark“ und dem in Rede stehenden Genehmigungsverfahren des Ankaufs. Darüber ist dann in dieser Runde ausführlich gesprochen worden, und es ist eine Einigung zwischen den Koalitionspartnern hergestellt worden, die insbesondere dann auch von den beiden wesentlich beteiligten Ministerien – die waren jeweils durch ihre Minister vertreten – geteilt wurde. Es waren auch die Ministerpräsidentin, die stellvertretende Ministerpräsidentin sowie andere Vertreter anwesend. Sie haben diese Einigung gemeinsam herbeigeführt.

Aber ich sage noch einmal: Wir haben da keinen Bescheid formuliert. – Der läge mir jetzt auch gar nicht vor, um zu prüfen, wie er dann sozusagen auch formal auszusehen hat. Das ist sicherlich nicht Angelegenheit einer solchen Runde.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Hendriks.

Heiko Hendriks (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, im deutschen Recht ist es bekanntlich so, dass derjenige, der Flächen in Anspruch nimmt, für Ausgleich oder Ersatz sorgen muss. In der Genehmigung heißt es bei „Auflagen“ unter Punkt 2:

Landwirtschaftliche Flächen sollen nur dann als Ausgleichsflächen in Anspruch genommen werden, wenn die Käuferin nicht in der Lage ist, den Ausgleich auf anderen Flächen unter zumutbaren wirtschaftlichen Bedingungen zu realisieren.

Von Ersatzflächen ist hier explizit nicht die Rede. Das bedeutet, dass die Ankaufsfläche für Ersatzmaßnahmen nicht in Anspruch genommen werden kann. Frage: Weshalb hat die Landesregierung dann Ersatzmaßnahmen auf der Fläche ausgeschlossen?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Wir haben das nicht ausgeschlossen, sondern es ist an die Bedingung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit geknüpft, dass Flächen außerhalb in Anspruch genommen werden sollen. Wenn das nicht der Fall ist, können Ausgleichsflächen eben auch auf der erworbenen oder jetzt zu erwerbenden Fläche ausgewiesen werden.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Hausmann.

Wilhelm Hausmann (CDU): Herr Duin, ist der Ministerpräsidentin oder eben auch der Staatskanzlei bewusst, dass durch den Ausschluss von Ersatzmaßnahmen die VGV weitere Flächen hinzukaufen muss und dass das Projekt dadurch erheblich teurer und auch unwirtschaftlicher wird?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Damit diese in der Frage angestellte Vermutung eben nicht Realität wird, ist ja die gerade auch schon in Rede stehende Formulierung getroffen worden, dass es um die wirtschaftliche Zumutbarkeit geht, weil niemand ein Interesse daran hat, dass die VGV damit wirtschaftlich in irgendeiner Weise überfordert wird.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Minister Duin, das newPark-Areal ist im LEP für industrielle Großansiedlungen vorgesehen. Gleichwohl verbietet die Landesregierung mit den Auflagen, dass die Flächen jetzt in Gänze zur Projektverwirklichung – etwa als Ersatzflächen – genutzt werden können. Meine Frage lautet deshalb: Wieso betreibt die Landesregierung landesplanerische Flächensicherungen, wenn gesicherte Flächen dann doch nicht genutzt werden können?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Um das einmal klarzustellen, weil es nach meinem Eindruck in Ihrer Frage missverständlich formuliert war: Zur Realisierung des Projektes newPark sind ca. rund 150 ha vorgesehen. Anderes ist dann zum Teil für Ausgleichsflächen vorgesehen.

Man wird jetzt im weiteren Verfahren sehen, ob es unter wirtschaftlich zumutbaren Gesichtspunkten Alternativen in Bezug auf das Thema „Ausgleichsflächen“ gibt. Wenn das nicht der Fall ist, werden die vorhandenen Flächen dafür auch genutzt werden können. Insofern geht es überhaupt nicht darum, etwas zu verhindern, sondern es gibt hier eine Auflage. Die ist offen formuliert.

Wenn sie erfüllt werden kann, sind damit dann auch für die Gesellschaft überhaupt gar keine Schwierigkeiten verbunden. Wenn sie nicht in diesem Sinne der Zumutbarkeit erfüllt werden kann, wird ja die vorhandene Fläche dafür in Anspruch genommen. Ich kann also keine unüberwindbare Hürde erkennen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt vom Kollegen Dr. Bergmann.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Durch die Formulierung in der Nr. 2 werden Ersatzmaßnahmen und Maßnahmen zur FFH-Schadensbegrenzung getroffen oder sind davon betroffen. Dadurch kann eine erhebliche Beeinträchtigung des FFH-Gebietes nicht mehr vermieden werden. Ist der Ministerpräsidentin respektive der Staatskanzlei bewusst, dass infolgedessen eine Genehmigung von newPark nur noch in einem aufwändigen EU-Ausnahmever-fahren möglich wäre?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich halte die in der Frage aufgestellte These für falsch. Das schließt auch die Beantwortung der Frage hinsichtlich des Bewusstseins der Staatskanzlei aus. Vielmehr gehen wir davon aus, dass das nicht so ist, wie Sie es gerade in Ihrer Frage versucht haben zu schildern.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Schemmer, seien Sie so nett, noch einmal auf den Knopf zu drücken, denn Sie sind als Nächster dran und haben jetzt das Wort.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Präsident! Dem Wunsch komme ich gerne nach. – Der Standort Datteln/Waltrop ist im LEP ausgewiesen, und er ist im Regionalplan ausgewiesen. Es ist ja, jetzt dargestellt durch den Käuferwillen, auch Absicht eines kommunalen Käufers, diese Fläche bevorratend zu erwerben.

Eigentlich müsste man vor diesem Hintergrund davon ausgehen, dass, wenn es in der ganzen Linie vom Land bis in den kommunalen Bereich so vorgesehen ist, jeder der Beteiligten, so auch das Land, versucht, ein solches Vorhaben zu unterstützen, insbesondere um den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen weiterzuentwickeln.

Meine Frage: Ist Ihnen bei der Genehmigung von Kaufverträgen – landwirtschaftliche Fläche – ein Fall bekannt, bei dem eine Landesregierung versucht, durch Erschweren bei der Genehmigung ein Projekt, das durchgehend gewollt ist, zu verhindern?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Nein, das ist mir inklusive newPark nicht bekannt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Hovenjürgen mit seiner nächsten Frage!

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Minister, die in Rede stehenden Flächen sind seit 40 Jahren an Landwirte mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 31.10. eines Jahres verpachtet. Die Landesregierung gibt der erwerbenden Eigentümerin nun auf, die land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücke unbefristet an Haupt- und Nebenerwerbslandwirte zu angemessenen Bedingungen zu verpachten. Weshalb besteht die Landesregierung auf der Umwandlung in unbefristete Pachtverträge?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Insbesondere ging es aus Sicht der hier betroffenen Landwirtschaft um das Ziel – wir reden hier über den Bescheid der Landwirtschaftskammer –, Planungssicherheit auch für die landwirtschaftlichen Betriebe zu erreichen. Deswegen ist es dort so formuliert worden. Es ist dabei auch die auflösende Bedingung formuliert worden, dass diese Verträge enden, wenn es zur Realisierung des Projektes kommt, wenn also die dafür notwendigen Voraussetzungen geschaffen sind.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Minister, laut den Genehmigungsauflagen darf, übrigens abweichend vom Baugesetzbuch, mit vorbereitenden Maßnahmen zur Erschließung erst dann begonnen werden, wenn ein Bebauungsplan und die entsprechenden Baugenehmigungen vorliegen. Diese Genehmigungen können aber nach Baugesetzbuch nur erteilt werden, wenn die Erschließung gesichert ist. Dies ist nun offensichtlich ein Widerspruch.

Ich frage Sie: Hat die Landesregierung diesen Widerspruch in die Auflagen aufgenommen, um newPark unmöglich zu machen, oder was ist der Hintergrund?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Es bringt überhaupt nichts, wenn Sie in Ihren Fragen regelmäßig Scheinwidersprüche konstruieren. Es ist kein Widerspruch, sondern es ist juristisch völlig gängig, wie es dort formuliert worden ist. Das ist auch keine Sonderhürde.

Ich werde auch nicht müde zu sagen: Wir bräuchten das ganze Projekt in dem LEP überhaupt nicht zu erwähnen, wenn wir es nicht wollten. Wir wollen dieses Projekt. Wir schreiben es in den LEP. Hier ging es darum, Auflagen für einen Grundstückskauf zu formulieren, die ohnehin auch ohne die dann stattgefundene öffentliche Diskussion schon angedacht waren: Es sollte Auflagen durch die Landwirtschaftskammer geben. Und die jetzt gefundenen Formulierungen ermöglichen nach wir vor die Realisierung dieses Projektes. Und das war auch Ziel der Gespräche.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Stein.

Robert Stein (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Minister, ich möchte noch einmal an die vorhergehende Frage von meinem Kollegen Hovenjürgen anknüpfen und Sie fragen, in welchem Umfang derzeit Pachtverträge mit Nebenerwerbslandwirten bestehen und weshalb auch in Zukunft diese Nebenerwerbslandwirte Pachtverträge erhalten sollen.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Diese Frage kann ich Ihnen aus Mangel an Unterlagen nicht beantworten. Das werden wir umgehend nachholen. Ich müsste mich wahrscheinlich sowohl bei der Staatskanzlei als auch im Umwelt-/Landwirtschafts-ministerium noch einmal erkundigen. Das kann ich Ihnen so nicht beantworten.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das heißt, die Unterlagen werden freundlicherweise nachgereicht, zwischen den Fraktionen ausgetauscht, sodass alle in den Genuss dieser Information kommen.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Umgehend, sehr gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Burkert.

Oskar Burkert (CDU): Nach verschiedenen Medienberichten soll der BUND versucht haben, über Nebenerwerbslandwirte Teile der Fläche zu erwerben, um das Projekt juristisch ausbremsen zu können. Können Sie nachvollziehen, dass vor diesem Hintergrund der Eindruck entsteht, die Formulierung unter Nr. 1 diene dazu, dem BUND Pachtflächen und damit die Möglichkeit zur Projektverzögerung zu verschaffen?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Nein, das kann ich nicht nachvollziehen, zumal Sie hier auch auf einen Punkt abstellen, der gerade nicht Realität geworden ist, nämlich ein Vorkaufsrecht auszuüben. Da war ja dann auch die Frage – jedenfalls ist das öffentlich so kommuniziert worden; ich war bei dem Gespräch nicht dabei –, dass sich dort Nebenerwerbslandwirte in Kombination mit beispielsweise BUND irgendetwas überlegt hätten. Dazu ist es in diesem Fall gar nicht gekommen, sondern die VGV erwirbt diese Flächen, und die Landwirte werden diese Flächen pachten – zu den dafür vorgesehenen Zwecken. Ich bin ganz sicher, dass das überhaupt nicht zu einem Problem werden kann.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Dr. Bergmann.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Mich würde in dem Zusammenhang interessieren: Bestehen eigentlich für die weiteren landesbedeutsamen Flächen in Euskirchen, Geilenkirchen und Grevenbroich schon bestandskräftige Bauleitplanungen?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich werde auch diese Antwort nachreichen, weil ich nicht das gesammelte Wissen der dafür zuständigen Stelle, nämlich der Staatskanzlei, hier vor mir liegen habe.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Okay, so verabredet. Das wird nachgereicht. – Herr Kollege Schemmer mit seiner zweiten Frage.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, Sie hatten uns gerade auf die von mir gestellte Frage mitgeteilt, dass das erstmals der Fall wäre, dass das Land Nordrhein-Westfalen in einen solchen Kaufvertrag reingrätscht und den mit Auflagen versieht. Welche Gründe für das Reingrätschen und das Erteilen der Auflagen lagen denn vor?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sie haben meine Antwort falsch wiedergegeben. Ich habe Ihnen gesagt, dass mir kein Fall inklusive newPark bekannt ist. Im Übrigen geht es hier nicht ums Reingrätschen, sondern es ging um ein in der Tat – das ist dokumentiert – zwischen den Koalitionspartnern gelegentlich umstrittenes Projekt, bei dem es galt, eine politische Einigung zu finden. Die haben wir erzielt.

Es ging nicht um Reingrätschen, sondern es bleibt dabei: newPark steht im LEP, newPark soll kommen. Und, wie es der Umweltminister so schön formuliert hat: Wir freuen uns über jeden dort entstehenden Arbeitsplatz.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Hendriks.

Heiko Hendriks (CDU): Herr Minister, Sie sagten gerade: newPark wird kommen. Sie wissen aber auch, dass der Landrat des Kreises Recklinghausen am 31. August 2015 eine Klage gegen die Genehmigung mit Auflagen angekündigt hat, da der Bescheid mit seinen Auflagen formal und inhaltlich rechtswidrig sein soll.

Setzen wir mal voraus, dass der Kreis in der ersten Instanz gewinnen würde: Werden dann Land und Landwirtschaftskammer das Urteil akzeptieren und somit der landesplanerischen Bedeutung der Fläche entsprechen, oder wird das Land oder die Kammer den Instanzenweg beschreiten?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Wir haben beim vorherigen Tagesordnungspunkt auch über gerichtliche Auseinandersetzungen gesprochen. Meine Linie ändert sich da nicht nach Gefühl und Wellenschlag und auch nicht nach der Ziffer des Tagesordnungspunktes.

Es bleibt dabei, dass wir über Urteile dann reden, wenn wir die Urteile kennen und sie analysiert haben. Jetzt darüber zu spekulieren, wie denn die Klage des Kreises ausgehen könnte, und was wir gedächten, daraufhin zu tun, finde ich ein bisschen zu weit gegriffen. Insofern werden wir in Ruhe abwarten, wie ein solches Verfahren ausgeht, und uns dann erst mit den Folgen auseinandersetzen und dazu entsprechende Entscheidungen treffen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Ellerbrock.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, wenn es richtig ist, dass der Landesentwicklungsplan die strategischen Ziele der Landesentwicklung darstellt, und wenn es richtig ist, dass diese strategischen Ziele der Landesentwicklung von Kommunen und von Behörden – auch von Behörden des Landes und Körperschaften öffentlichen Rechts – zu beachten sind – nicht zu berücksichtigen, sondern zu beachten –, dann stellt sich zumindest mir die Frage, ob die jetzt aufgetauchten, in den Medien als „Schwierigkeiten“ dargestellten landwirtschaftlichen Pachtprobleme die Landesregierung überrascht haben. Oder warum hat man nicht versucht, diese Probleme im Vorfeld zu lösen, sodass ein Investor angelockt und nicht abgeschreckt wird?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Es hat ja vor Ort eine ganze Reihe von Diskussionen gegeben. Insofern ist es falsch, zu sagen, dass das nicht aus langer Sicht schon immer bedacht worden ist.

Im Übrigen sind genau diese Ziele, dass das Ganze eben zu beachten ist, nach wie vor erfüllt. Daran ändert auch eine Genehmigung – und Sie sind der größte Experte in diesem gesamten Bereich; Sie werden es bestätigen – mit Auflagen nichts, dass es eine positive Unterstützung für eine Sache geben kann.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Zu seiner dritten und damit letzten Nachfrage Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Minister, Ihnen ist bekannt, dass es im Vorfeld des Einleitens der Vorverkaufsprüfung eine Einigung vor Ort gab, und zwar zwischen Landwirtschaftskammer, zwischen Landwirten vor Ort – die Rede ist auch vom Bauernverband – und dem Kreis Recklinghausen, in der den Landwirten zugestanden wurde, bis zum Eintreten der Rechtskraft die Flächen in dem geltenden Rechtsverhältnis der bestehenden Pachtverträge weiter nutzen zu können, und des Weiteren – sollte es nicht zu diesem Projekt kommen – diesen Landwirten die Flächen zum Verkauf anzubieten?

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Minister Remmel gegen diese Einigung interveniert hat?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Mir ist keine Intervention des Ministers bekannt. Er hat sich dazu ja auch entsprechend geäußert.

Ich kenne die ursprüngliche Vereinbarung, jedenfalls in ihrem Entwurfsstadium, und ich kenne auch den abschließend erfolgten Bescheid. Ich stelle fest, dass wir inhaltlich an dem Punkt stehen, wie die Sache ursprünglich auch gedacht war: Die Landwirte sollen die Flächen so lange nutzen können, bis es zu einer Realisierung des Projektes kommt. Darüber hinaus soll der Verkauf an die Landwirte dann erfolgen, wenn die Verantwortlichen vor Ort – da ging es um Datteln und Waltrop – sich aus dem Projekt verabschieden. Diese Punkte liegen sehr nahe beieinander.

Dann hat es noch den zusätzlichen Punkt mit den Ausgleichsflächen gegeben. Ich finde, auch da ist inzwischen eine Formulierung gefunden worden, die das Ganze vernünftig dastehen lässt und es nach wie vor ermöglicht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Hegemann.

Lothar Hegemann*) (CDU): Herr Minister, die Menschen in der Region waren ja sehr enttäuscht, als es trotz Ihrer wahrscheinlich erfolgten Intervention keine Landesbürgschaft zum Ankauf dieses Grundstücks gegeben hat, mit dem Erfolg, dass es dadurch auf der Zeitstrecke 50 % teurer geworden ist.

Mich würde interessieren, ob Sie die landesplanerischen Auflagen, die jetzt vorhanden sind, bei der Urteilsfindung über die Nichtvergabe einer Landesbürgschaft schon mitberücksichtigt haben; denn die Landesbürgschaft müsste ja an und für sich berücksichtigen, wenn da nicht so mit dem Grundstück umgegangen werden kann, wie man das gerne möchte.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Wir haben damals über die Landesbürgschaft nach einer sehr intensiven Prüfung und insbesondere nach der Vorlage eines Gutachtens

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Gefälligkeitsgutachten!)

entschieden. Dieses Gutachten hatte eine ganze Reihe von Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Tragfähigkeit aufgeworfen. Deswegen haben wir die Bürgschaft nicht erteilt.

Insofern konnten natürlich die Punkte, die jetzt im Zusammenhang mit der Frage „Vorkaufsrecht versus Genehmigung mit Auflagen“ aufgekommen sind, weder in dem damaligen Gutachten noch in der damaligen Entscheidung für die Vergabe der Bürgschaft eine Rolle gespielt haben.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Ellerbrock mit seiner zweiten Frage.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, wenn es richtig ist, dass Planung nur so viel wert ist wie ihre tatsächliche Verwirklichung, wenn es also keine akademische Selbstbefriedigung sein soll, sondern auch den Sinn haben soll, strategische Ziele des Landes umzusetzen, dann ergibt sich doch für die jetzt offensichtlich gewordenen Schwierigkeiten die Notwendigkeit, diese zukünftig auszuschließen, sodass so etwas nicht noch einmal passiert.

Stimmen Sie mir darin zu, dass dann in dem derzeit in Rede stehenden Entwurf des Landesentwicklungsplans für solche Art Flächen nicht nur wie bislang verankert wird, dass diese Flächen planerisch vor konkurrierender Nutzung gesichert werden sollen, sondern dass es strategisches Ziel der Landesregierung ist, solche Flächen für die beabsichtigte Nutzung auch verfügbar zu machen? Stimmen Sie mir da zu?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich sage noch einmal: Der LEP gilt. Natürlich schreiben wir nichts in den LEP – das gilt für alle vier Flächen, die darin genannt sind –, wenn es nicht zur Realisierung kommen soll. Das ist automatisch der Fall, und deshalb kann ich Ihre Grundannahme auch bestätigen: Ja, wir wollen das befördern.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Dann schreiben Sie das doch rein! Dann ist es ja gut! Das war ja schon mal eine Aussage!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bevor wir in eine offene Debatte eintreten, erteile ich Herrn Kollegen Priggen das Wort.

Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Minister, ich möchte Sie fragen, ob die Landwirtschaftskammer und der Kreisverband der Landwirtschaft nicht anders, als es der Kollege Hovenjürgen dargestellt hat , im Interesse ihrer Betriebe als Bedingung ausgehandelt haben, dass sie langfristige Pachtverträge bekommen, die die Betriebe absichern? Ist das nicht ein völlig legitimes Interessenvertretungsrecht des Landwirtschaftsverbandes und auch der Kammer, und ist das nicht insofern unter Nutzung der gesetzlichen Bestimmungen eine Verbesserung der Position der Landwirte?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich bin fest davon überzeugt, dass die jetzt gefundene Formulierung die Planungssicherheit der in Rede stehenden landwirtschaftlichen Betriebe vor Ort deutlich erhöht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Die nächste Frage kommt von dem Kollegen Burkert.

Oskar Burkert (CDU): Herr Minister, aus Nummer 1 ergibt sich, dass erst nach bestandskräftig erteilten Baugenehmigungen und sonstigen Genehmigungen für alle Bauflächen im newPark die Pachtverhältnisse mit mindestens zweijähriger Kündigungsfrist gekündigt werden können. Ist die Ministerpräsidentin bzw. die Staatskanzlei der Meinung, dass unter diesen Voraussetzungen ein Investor gefunden wird?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Erstens. Von Kündigungsfristen ist in der Nummer 1 überhaupt nicht die Rede.

Zweitens gibt es auch aus meiner Sicht überhaupt keinen Grund, die landwirtschaftliche Nutzung zu beenden, bevor eine Realisierung unmittelbar ansteht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Hegemann mit seiner zweiten Frage.

Lothar Hegemann*) (CDU): Herr Minister, Sie haben eben in Ihrer Antwort auf meine Frage erklärt, es habe bei der Beurteilung zur Vergabe einer Landesbürgschaft Zweifel an der wirtschaftlichen Tragfähigkeit gegeben. Das hat schließlich dazu geführt, dass sie nicht gegeben worden ist.

Der „Westdeutsche Rundfunk“ berichtet, dass die Ministerpräsidentin nach der Koalitionsrunde, in der Sie angeblich mit Rücktritt gedroht haben, erklärt habe, sie mache weltweit Werbung für newPark. Deshalb die Frage: Welche neueren Erkenntnisse haben Sie jetzt über die wirtschaftliche Tragfähigkeit von newPark?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Es ging bei der Frage der Bürgschaft darum, ob die Gesellschaft newPark GmbH, die dieses Projekt betreibt, ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept für die nächsten Jahre vorlegt, da sie den Erwerb hätte vollziehen sollen. Das ist eine gänzlich andere Frage als die, die sich jetzt stellt. Denn nun erwirbt der Kreis diese Flächen durch seine Gesellschaft VGV, und es geht um den Grundsatz, der damals gar nicht infrage gestellt wurde, ob es sinnvoll ist, eine solch große Fläche für zukünftige und zukunftsfähige Investitionen vorzuhalten.

Insofern hat die negative Entscheidung zur Bürgschaft damals eben nicht dazu geführt, dass diese Fläche daraufhin in der Diskussion über den LEP gestrichen wurde. Wenn es die Verbindung gegeben hätte, hätte man quasi als Schlussfolgerung der negativen Entscheidung zur Bürgschaft so verfahren müssen. Das ist ausdrücklich nicht erfolgt. Deswegen ist es ebenso richtig, dass die Ministerpräsidentin weltweit für den Standort NRW und insbesondere mit mir gemeinsam immer für die Emscher-Lippe-Region und damit natürlich auch für die Flächen, die wir im LEP vorgesehen haben, wirbt.

(Lothar Hegemann [CDU]: Dann werden wir ja bald Erfolge sehen, nicht?)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Momentan hängt das System. Herr Hegemann lässt sich nicht aus der Rednerliste streichen.

(Lothar Hegemann [CDU]: Ich lasse mich hier hängen!)

– Nein, Sie nicht, Herr Kollege. Das System will Sie nicht aus der Rednerliste entfernen.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das ist ein intelligentes System! – Heiterkeit – Lothar Hegemann [CDU]: Das System ist klug! So weit war ich auch schon! Hammer und ein Tropfen Öl, Herr Präsident! Aber es geht nicht!)

– Ja, aber ich weiß nicht, wo ich das Öl hier eingeben soll.

(Lothar Hegemann [CDU]: Den Trick verrate ich nicht! – Heiterkeit – Lutz Lienenkämper [CDU]: Dann frag doch noch einmal!)

– Das ist sehr schade, Herr Kollege Hegemann. Aber deshalb erteile ich Ihnen doch nicht noch einmal das Wort.

So, ich versuche jetzt, das Mikrofon des Kollegen Möbius freizuschalten. – Das geht auch nicht. Ich verspreche Ihnen: Wir hängen die Zeit später dran, aber jetzt brauchen wir erst einmal Technical Support. Wir können vielleicht ein bisschen improvisieren.

(Christian Möbius [CDU] tauscht mit Lothar Hegemann [CDU] die Plätze. – Lothar Hegemann [CDU]: Also, im Sinne des Gesetzes bin ich jetzt Herr Möbius!)

– Ah, das ist sehr nett. Sonst hätte ich vorgeschlagen, Herrn Möbius vorne ans Rednerpult zu bitten. Aber das ist genauso gut; super.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Da hinten sitzt er besser!)

Herr Kollege Möbius hat das Wort.

Christian Möbius (CDU): Herr Präsident, wir sind ja flexibel.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das weiß ich, Herr Kollege.

Christian Möbius (CDU): Herr Minister, inwieweit teilen Sie die Stellungnahme von örtlichen SPD-Abgeordneten, die die Intervention des Umweltministers ausdrücklich missbilligt haben?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Wir haben innerhalb der Landesregierung, wie ausführlich dargelegt, zu einer gemeinsamen Haltung gefunden, und deswegen vertrete ich diese gemeinsame Haltung. Es steht sowohl den Abgeordneten vor Ort als auch den Akteuren der anderen Parteien völlig frei, das selbst in irgendeiner Weise einzuordnen. Wir haben uns auf eine Richtung verständigt, und die tragen wir gemeinsam.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Das System hängt immer noch. Das heißt, ich werde Herrn Kollegen Rehbaum bitten, auf den Platz von Herrn Kollegen Hegemann zu wechseln.

(Christian Möbius [CDU]: Das rote Lämpchen ist aus!)

– Das mag sein, aber hier stehen Sie noch im System.

Geht denn Ihr Mikrofon noch, Herr Hegemann?

(Lothar Hegemann [CDU]: Nein!)

Dann versuchen wir es einmal bei Herrn Kollegen Rehbaum. Drücken Sie einmal.

(Lothar Hegemann [CDU]: Wieso qualmt das denn bei Ihnen? – Heiterkeit)

Henning Rehbaum (CDU): Ich probiere es einmal.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Irgendwie funktioniert es; wunderbar. Sie haben das Wort.

(Lothar Hegemann [CDU]: Es qualmt aber nicht mehr! – Heiterkeit – Zuruf: Zu viele Fragen!)

Henning Rehbaum (CDU): Herr Minister, in der Summe werden die von Herrn Minister Remmel durchgesetzten Auflagen dazu führen, dass das Projekt newPark nicht realisiert werden kann, sollten diese nicht zurückgenommen werden.

Wurde die Ministerpräsidentin bzw. die Staatskanzlei vom Umweltministerium über die negativen Auswirkungen der Auflagen getäuscht, oder nimmt die Ministerpräsidentin bzw. die Staatskanzlei das Scheitern von newPark billigend in Kauf, um den Koalitionsfrieden zu wahren?

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Jetzt nähern wir uns des Pudels Kern!)

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Wir nehmen das Scheitern keineswegs billigend in Kauf. Im Gegenteil: Wir wollen den Erfolg dieses Projektes. Die Ministerpräsidentin ist auch in keiner Weise von jemandem über irgendetwas getäuscht worden.

(Wilhelm Hausmann [CDU]: Er freut sich irgendwie gar nicht! – Gegenruf von Minister Johannes Remmel: Ihr fragt mich ja gar nicht!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Mündliche Anfrage 67 des Herrn Kollegen Hovenjürgen ist somit beantwortet.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 68

des Herrn Abgeordneten Dirk Wedel von der FDP-Fraktion auf:

Strategieänderung des Finanzministers bei der WestLB-Abwicklung – Welche einzelnen Hintergründe und Begleitumstände sind der Landesregierung zur offenbar völlig neuen Entscheidungslage aufseiten der EU-Kommission bekannt?“

Die Landesregierung hat sich mit ihrem Gesetz zur Restrukturierung der WestLB AG vom 1. Juni 2012 (LT-DS 16/16), das so von der Mehrheit im Landtag beschlossen worden ist, für nachfolgenden Abwicklungsweg entschieden, der im Wortlaut des benannten Gesetzentwurfes dokumentiert ist:

„Das Land Nordrhein-Westfalen übernimmt die alleinige Eigentümerverantwortung für die Service- und Portfoliomanagement-Bank. Das Ser–vicinggeschäft muss bis Ende 2016 verkauft werden. Sollte dies nicht möglich sein, ist es bis Ende 2017 einzustellen.“

In der Folgezeit, verstärkt seit Herbst 2013, haben die Landesregierung und alle Vorstände der Portigon AG dem Landtag gegenüber immer wieder beteuert, dass diese Privatisierung mit durchaus guten Erfolgsaussichten beherzt in Angriff genommen werde.

So hat der Finanzminister beispielsweise bereits am 20. März 2014 ausweislich des HFA-Protokolls 16/507 wörtlich erklärt:

„Der Fahrplan ist der: Wir haben die PFS ausgegliedert, und jetzt geht der Verkaufsprozess los. Also nicht irgendwann, sondern jetzt!“

Später ist mehrfach kommuniziert worden, dass der Verkaufsprozess doch noch auf einen immer späteren Zeitpunkt verschoben werden soll.

Interessant ist in diesem Zusammenhang der nachfolgende Umstand: Die Landesregierung und alle Vorstandsvorsitzenden der Portigon AG haben verständlicherweise betont, dass eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Privatisierung der PFS die Verlängerung des Kooperationsvertrages mit der Ersten Abwicklungsanstalt ist, damit so ein potenzieller Investor bei Übernahme der Fixkostenstrukturen zumindest eine geschäftliche Grundauslastung übernimmt.

So führte zum Beispiel Staatssekretär Dr. Messal gegenüber dem HFA am 3. April 2014 ausweislich Protokoll 16/521 wörtlich aus:

„Auch nach einer Privatisierung der PFS soll aus dieser PFS heraus die Dienstleistung für die EAA erbracht werden. Insofern gehen wir davon aus, dass es auch danach einen Vertrag zwischen dieser PFS bzw. dem neuen Investor und der EAA geben wird. Ein solcher Vertrag wird gegenwärtig besprochen, der dann Grundlage für genau diese Privatisierung sein soll. (…)

Diese Konditionen werden ausgehandelt zwischen den Vorständen der EAA und der Portigon/PFS. Hier ist man auf gutem Wege, aber die Gespräche dauern noch an. Ich bin zuversichtlich, dass sie sehr kurzfristig abgeschlossen werden können. An der Zeitplanung, dass die Privatisierung im zweiten Quartal starten soll, hat sich nichts geändert.“

Dieser sogenannte Kooperationsvertrag III ist jedoch bis zum heutigen Tage entgegen immer neuer Ankündigungen über die Dauer von über einem Jahr gar nicht unterschrieben worden.

Die FDP-Landtagsfraktion hat die Ernsthaftigkeit der Privatisierungsbemühungen seit Längerem ebenso kritisch hinterfragt wie das tatsächliche Interesse der EAA an der Vertragsverlängerung.

Seit dem 19. August 2015 verweist der Finanzminister nun gegenüber dem Landtag und der Öffentlichkeit erstmals auf den nachfolgenden völlig neuen Sachverhalt: Durch eine E-Mail der EU-Kommission vom 27. Juli 2015 hätten sich die bisherigen Rahmenbedingungen fundamental geändert. Auf Nachfrage des Treuhänders für die WestLB-Abwicklung sei es plötzlich für einen Investor nicht mehr möglich, den Kooperationsvertrag mit der EAA zu übernehmen. Dafür gebe es aber eine neue Option, nämlich eine Übertragung der PFS auf die EAA.

Diese Verlautbarung aufseiten der EU wirft zahlreiche Fragen auf, zum Beispiel warum der Handlungsrahmen für den Verkauf der PFS von den Verantwortlichen nicht früher abgeklärt worden ist oder durch welchen neuen Umstand es so unerwartet zu dieser Position bei der EU gekommen ist.

Nach Auskunft des Finanzministers hat Staatssekretär Dr. Messal bereits am 19. August 2015 ein Gespräch mit dem Trustee der EU-Kommission zur Klärung der Angelegenheit geführt.

Der Finanzminister muss den Landtag deshalb im Detail über alle vorliegenden Erkenntnisse des neuen Handlungsrahmens für eine PFS-Priva-tisierung transparent aufklären.

Welche einzelnen Hintergründe und Begleit-umstände sind der Landesregierung zur offenbar völlig neuen Entscheidungslage aufseiten der EU-Kommission bekannt?

Ich bitte Herrn Minister Dr. Walter-Borjans um Beantwortung. Ich bin jetzt mal gespannt, ob sein Mikrofon funktioniert; denn Herrn Duin kann ich auch nicht aus der Redeliste entfernen. Haben Sie sich eingedrückt, Herr Walter-Borjans?

(Minister Dr. Norbert Walter-Borjans: Jetzt, ja!)

– Wunderbar. Jedenfalls funktioniert das Mikro, auch wenn die Anzeige nicht in Ordnung ist. Sie haben das Wort. Bitte schön.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Bei mir leuchtet es rot. Das finde ich beruhigend.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wie immer man das bewerten mag. Hauptsache, Ihr Mikro funktioniert, Herr Minister.

(Heiterkeit)

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wedel, Sie haben eine Frage gestellt und die mit einer einleitenden Behauptung garniert, nämlich „Strategieänderung des Finanzministers bei der WestLB-Abwicklung“, zu der ich zunächst einmal etwas sagen möchte: Eine Strategieänderung des Finanzministers bei der WestLB-Abwicklung gibt es nicht. Denn Sie werden wissen, dass über die Strategie der Vorstand und der Aufsichtsrat der Portigon entscheiden. In diesem Aufsichtsrat bin ich Mitglied.

Aber ich kann Ihnen sagen, was die Strategie des Finanzministers als Eigentümervertreter war und ist und sich deswegen nicht geändert hat, nämlich: Im Rahmen dessen, was die EU-Kommission vorgeschrieben hat, ist die WestLB bzw. die Portigon zu privatisieren oder abzuwickeln, gegebenenfalls auch im Wege der Übertragung. Der Finanzminister hat immer gesagt: Liebe Portigon, das dir mitgegebene Kapital von ursprünglich 4,2 Milliarden € muss dazu reichen, diese Vorgaben ohne weitere Zuschüsse zu erfüllen. – Diese Vorgabe gab es. Das war die Strategie, das ist die Strategie, und das wird sie auch bleiben.

Die Frage, die Sie dann daraus ableiten, ist: Welche einzelnen Hintergründe und Begleitumstände sind der Landesregierung zur offenbar völlig neuen Entscheidungslage aufseiten der EU-Kommission bekannt? Dazu kann ich Ihnen sagen: Hintergründe und Begleitumstände von Entscheidungen der EU-Kommission kenne ich nicht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. Ich vermute, es gibt eine Nachfrage, die sich auf meinem Display leider nicht abbildet. – Gehe ich recht in der Annahme, dass Herr Kollege Wedel eine Nachfrage stellen möchte? Ich hoffe, dass Ihr Mikro funktioniert. Bitte.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, Ihre Begründung für die Unterlassung der PFS-Privatisierung ist eine neue Rechtsauffassung der EU-Kommission, die Sie vom WestLB-Abwicklungs-treuhänder per E-Mail weitergeleitet bekommen haben. Welchen Rechtscharakter bzw. welche Rechts-verbindlichkeit hat diese Mitteilung?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es gab keine Strategieänderung, sondern ich habe Ihnen ja gerade gesagt: Die Auflage der EU-Kom-mission ist Privatisierung oder Abwicklung, gegebenenfalls auf dem Weg der Übertragung. Das ist am Ende eine Wirtschaftlichkeitsberechnung, die die Portigon AG vorzunehmen hat, wobei natürlich einzufließen hat, welche Folgen die nur auf das Unternehmen Portigon bezogenen Wirtschaftlichkeitsüberlegungen für den Gesamtkomplex Portigon und EAA haben, also für das Land insgesamt.

Natürlich sind Auflagen, die zu berücksichtigen sind und die gegebenenfalls auf der Strecke verschärft werden, auch mit ausschlaggebend dafür, was wirtschaftlicher ist – die Abwicklung, die Übertragung oder der Verkauf, die Privatisierung.

Sie kennen den Weg, dass ursprünglich alle Beteiligten die feste Überzeugung hatten, dass es neben der EAA einen weiteren Kunden für die PFS geben würde, die FMS Wertmanagement. Es hatte nichts mit der EU-Kommission zu tun, dass es nicht zu diesem Abschluss gekommen ist. Es hatte auch nichts damit zu tun, dass unterwegs Entscheidungen gefallen sind bzw. sich Rahmenbedingungen verändert haben, die deutlich gemacht haben, dass zurzeit nicht mit einem seriösen Verkauf der PFS gerechnet werden kann.

Es hat insofern von der EU eine Verschärfung gegeben, als die EU festgestellt hat, dass der Kooperationsvertrag zwischen der PFS, der Portigon Financial Services, und der Ersten Abwicklungsanstalt getrennt von einer Veräußerung zu sehen ist. Damit verändern sich natürlich Rahmenbedingungen. Das heißt, wenn Sie ein Unternehmen am Markt verkaufen wollen, das keinen Kunden mehr hat, weil selbst der große Ankerkunde, den es bedient, nicht zusammen mit dem Unternehmen verkauft werden kann, dann schränkt das den Kreis derer, die sich für ein solches Unternehmen interessieren oder dafür sogar etwas bieten könnten, extrem ein.

Das ist eine Vorgabe der EU-Kommission, und die haben wir zu berücksichtigen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, leider haben wir die technischen Probleme immer noch. Deshalb möchte ich folgendes Verfahren vorschlagen, damit wir nicht riskieren, dass die Mikrofonanlage komplett abstürzt, wenn sich jetzt noch weitere Kollegen einklinken – das können wir hier vorne leider auch überhaupt nicht sehen –: Wir machen es wie früher in der Schule mit einem Handzeichen. Die Liste führen wir natürlich weiter. – Bitte nicht alle auf einmal! Es kommt jeder dran, bis zur zulässigen Höchstgrenze der Anzahl der Fragen und mit Blick auf die Uhr, bis die 60 Minuten um sind.

Die nächste Frage kommt von Frau Kollegin Freimuth. Sie ist so nett und kommt nach vorne. Denn erfreulicherweise funktioniert das Mikrofon hier vorne.

(Angela Freimuth [FDP]: Herr Präsident, ich würde Ihnen ungerne widersprechen, aber dieses Mikrofon hier funktioniert auch!)

– Das mag sein, aber gleich haben wir drei offene Mikros. Dann können wir das nicht mehr koordinieren, und dann geht vielleicht gar nichts mehr. So ist es am einfachsten. Derjenige, der eine Frage stellen will, meldet sich und kann dann sofort, wenn ich einverstanden bin, nach vorne kommen. Frau Freimuth, bitte.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident, vielen Dank. – Herr Minister, Sie vermitteln den Eindruck, die Verfügungslage der EU zur Bestandsgefährdung des Kooperationsvertrags mit der EAA sei für Sie völlig überraschend ausgefallen, da die EU offenbar eine neue Haltung eingenommen habe. Dies würde die Planungssicherheit bei der WestLB-Abwicklung aus bislang unerklärlichen Gründen stark einschränken.

Wenn sich die EU bislang tatsächlich anders verhalten hätte, als sie es jetzt neu verlangt, dann stellt sich mir die Frage, die ich an Sie richten möchte: Welche Erklärungsansätze haben Sie für eine plötzliche und unerwartete Kehrtwende der EU?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Freimuth, es gibt keine unerwartete Kehrwende der EU. Wir wissen, dass die EU-Kommission offenbar mit den jeweils tätigen Caseteams Rahmenbedingungen enger zieht, Forderungen nachlegt. In diesem Fall ist es die zusätzliche Forderung, die vorher nicht bestanden hat, weil auch die Lage vonseiten der EU-Kommission zu dem Zeitpunkt so konkret nicht wahrgenommen worden ist.

Jedenfalls gibt es mit einer E-Mail vom 28. August an das Bundeswirtschaftsministerium … Nein, eine früher. Es gab früher schon eine Mitteilung der Kommission, dass man in diesem Verkaufsverfahren Wert darauf legt, dass ein bestehender Kooperationsvertrag nicht kombiniert mit dem Unternehmen veräußert werden darf. Ich sage aber dazu, dass schon unabhängig davon davor – angesichts der bis zu diesem Zeitpunkt zuletzt vorhandenen vagen Kaufinteressen – die Auffassung bestand, dass ein Verkauf gegenüber einer Übertragung nicht wirtschaftlicher sein würde.

Insofern hat auch diese sicher erschwerende Bedingung, die den Kreis der Interessenten im Prinzip auf null dreht, nicht dazu beigetragen, dass es eine Kehrtwende oder eine völlig andere Entscheidungslage gab. Es ist eine verschärfte Rahmenbedingung, und sie hat im Prinzip ein ohnehin schon bestehendes Urteil noch einmal verschärft.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Bombis, der so nett ist, nach vorne zu kommen. Nach der Beantwortung durch Herrn Minister Walter-Borjans ist Herr Kollege Hafke dran und danach Herr Nückel. Wir notieren die weiteren Redner. Jetzt erst mal Herr Kollege Bombis mit seiner Frage.

Ralph Bombis (FDP): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, durch die Übertragung der PFS auf die EAA würden dort der Personalbestand und die Fixkostenstrukturen weiter anwachsen, obwohl umgekehrt dazu der Portfolioumfang kontinuierlich weiter sinkt. Ich frage Sie deshalb: Aus welchen Gründen wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, bei der EAA eine solche Expansion bei den Strukturen vorzunehmen, die mittelfristig, mit fortschreitender Abwicklung, dort auch wieder abgebaut werden müssten?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das ist richtig. Ich habe im Haushalts- und Finanzausschuss mehrfach erklärt, dass die sich ändernden Rahmenbedingungen unter der Strategie, die Sie am Anfang erfragt haben, nämlich dass sich Portigon quasi selbst mit dem ursprünglich zur Verfügung gestellten Kapital auflösen muss, auch zu veränderten Anpassungsschritten führen.

Hätte es einen Vertrag mit der FMS Wertmanagement gegeben, dann hätte mehr Personal beschäftigt werden können, und man hätte auch Umsätze und Gewinne erzielen können, mit denen insgesamt ein größerer Apparat zu erhalten gewesen wäre. Denn es war uns immer wichtig, Perspektiven für möglichst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Portigon zu erhalten. Wenn solche Dinge aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen – erst recht nicht vor dem Hintergrund von Gesprächen, die ich mit dem Bundesfinanzminister und mit anderen geführt habe – nicht zustande kommen, dann verändert sich das.

Das ist in diesem konkreten Fall genauso. Eine PFS, die auf die EAA übertragen wird und am Ende nur noch – sie darf ja kein Neugeschäft machen – das Geschäft für die EAA machen kann, wird mit weniger Personal auskommen. Das bedeutet natürlich, dass sie weiter schrumpfen muss.

Die Vorteile liegen trotzdem auf der Hand. Denn ein ganz wichtiger Bestandteil – das habe ich eben schon gesagt – ist die Sicht vom Eigentümer Land auf beide Elemente, auf die Portigon und auf die Erste Abwicklungsanstalt. Die Erste Abwicklungsanstalt nimmt zurzeit die Dienstleistungen der PFS für die Abwicklung der Portfolien in Anspruch. Es geht uns natürlich darum, die operative Stabilität der EAA und der Portigon AG zu gewährleisten. Zu einem ganz erheblichen Teil sehen wir als Voraussetzung dafür, sicherzustellen, dass die PFS nicht in die Hände von – so sage ich es einmal – Finanzinvestoren gerät, bei denen die operative Stabilität der EAA nicht mehr gewährleistet wäre.

Es gibt Vorteile. Die Portigon AG kann sich dann auf die eigene Abwicklung konzentrieren, und dadurch kann schneller abgebaut werden. Es gibt eine Stabilität, die für zukünftig erforderlichen Leistungen der Portigon AG sichergestellt wird. Es werden Risiken reduziert. Es wird auch eine Sicherung der Beschäftigungsmöglichkeit am Standort Düsseldorf für den dann zumindest kleineren Kreis derer, die Dienstleistungen erbringen, für die EAA geben.

Das alles ist nicht gesichert, wenn die Interessenten, die sich bislang ohne konkrete Angebote, aber vage melden, Finanzinvestoren sind, von denen man nicht den Eindruck haben kann, die Fortsetzung, die Qualifizierung, möglicherweise sogar die Vergrößerung des Unternehmens ist das Ziel. Damit ist in höchstem Maße fraglich, ob die EAA dann ihre operative Stabilität sichergestellt weiß.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Hafke ist so nett, für seine Frage nach vorne zu kommen.

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben auf einen Strategiewechsel bzw. auf die veränderten Rahmenbedingungen bei der WestLB-Privatisierung verwiesen. Da würde mich die neue Verfügungslage, die bezüglich des Abwicklungstrustees entstanden ist, interessieren. Um welche Person oder um welches Unternehmen handelt es sich dort? Vielleicht können Sie etwas konkreter ausführen wie die Situation bei dem Trustee hier aussieht.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das ist die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Dohm Schmidt Janka, die hier die Funktion des Trustees übernimmt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, die doch neue Entscheidungslage der EU torpediert die von der Landesregierung seit Jahren verfolgte Privatisierung der Servicegesellschaft PFS. Das dürfte Ihnen ja eigentlich nicht recht sein. Darum würde mich interessieren, welche argumentativen oder rechtlichen Prozesse Sie als Reaktion gegenüber der EU bislang angestrengt haben, um die EU vielleicht umzustimmen und eine Privatisierung faktisch weiter zu ermöglichen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe im Verlauf der letzten Jahre keinen Hehl aus meiner Auffassung gemacht, dass der Begriff, den Sie gewählt haben, nämlich den Prozess zu torpedieren, an vielerlei Stellen offenbar richtig gewählt ist.

Das fängt nicht erst mit den Auflagen an, die man jetzt noch bekommt, sondern es beginnt mit der Frage, wie die Restrukturierung der WestLB hätte erfolgen können. Sie wissen, dass damals auch der Westfälische Sparkassenverband über Klagemöglichkeiten nachgedacht hat. Hin und wieder muss man sagen: Ja, es ist ärgerlich, dass man einer gewissen bürokratischen Vorgabe ausgeliefert ist.

Wir haben viele Gespräche geführt. Wir haben die Möglichkeit, dagegen zu klagen. Wir haben es damals aus anderen Gründen zwar zunächst erwogen, sind aber dann zu einem anderen Ergebnis gekommen. Jetzt haben wir es nicht erwogen, weil – noch einmal – die zusätzliche Auflage nicht ursächlich dafür war, sich für die Übertragung zu entscheiden.

Es war vorher schon klar: Diejenigen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch Interesse am Erwerb der Portigon Financial Services gezeigt haben, waren keine Unternehmen, die im Sinne der Eigentümer und des Aufsichtsrats gesichert hätten, dass die EAA den erfolgreichen Abbau, den sie in den letzten Jahren betrieben hat, erfolgreich hätte fortsetzen können.

Ich möchte noch einmal unterstreichen, dass wir insgesamt über die letzten Jahre eine Großbank in Ruhe haben abwickeln können – das habe ich auch im Ausschuss vorgetragen –, natürlich mit besseren Rahmenbedingungen, als sie ursprünglich erschienen, aber eben auch durch die hervorragende Arbeit aller Beteiligten in der Portigon AG, in der Portigon Financial Services und in der Ersten Abwicklungsanstalt. Als wir 2012 darüber diskutiert haben, bestand im Bundesfinanzministerium, im Bund und an vielen anderen Stellen die große Sorge, dass hier Turbulenzen entstehen könnten, die weit über Nordrhein-Westfalen und sogar über Deutschland hinausgegangen wären. Der Rückbau ist jedoch in hervorragender Weise gelungen.

Aber genauso habe ich gesagt: Weder die lebende WestLB hatte Freunde in Brüssel noch die sterbende. – Insofern gebe ich zu, dass auch ich hin und wieder verärgert darüber bin, wenn man sieht, dass dieser erfolgreiche Weg nicht geebnet wird. Die Europäische Union und die Europäische Kommission müssten meines Erachtens ein hohes Interesse an einem sauberen Weg haben, schon alleine deshalb, weil wir im Moment ohne Blaupause arbeiten. Das hat es in dieser Größenordnung noch nicht gegeben. Das, was wir leisten, kann sicher noch für viele Fälle in den nächsten Jahren Blaupause sein. Es muss auch einer Kommission daran gelegen sein, dass es hier um einen Prozess geht, der nicht bei anderen, die in einer ähnlichen Situation sind, von Anfang an dazu führt, dass man sich querstellt, wenn man weiß, dass man keine kalkulierbaren Grundlagen hat.

Ich sage aber noch einmal: Wir waren hier schon vorher an einem Punkt, an dem wir erklärt haben, dass nach den gegenwärtigen Vergleichsmaßstäben die Übertragung auf die EAA der bestmögliche Weg ist.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Kerbein. Bitte schön.

Ich darf noch einmal darum bitten, dass sich niemand aus Versehen in die Mikrofonanlage eindrückt. Das Mikro ist dann möglicherweise offen, wir können es aber nicht mehr abschalten. Das könnte nicht überschaubare Konsequenzen für die Kommunikation haben. – Herr Kollege Kerbein, Sie haben das Wort.

Dr. Björn Kerbein (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Es ist unwahrscheinlich, dass die EU anlasslos in einem laufenden Abwicklungsprozess eine neue, so weitreichende Verfügung zur Änderung der WestLB-Abwicklung trifft. Daher frage ich Sie: Welche kommunikativen oder faktischen Handlungen haben seitens der Landesregierung, der Portigon AG oder der EAA im Vorfeld der neuen Verfügung stattgefunden, die auf die neue Entscheidungslage Einfluss gehabt haben dürften?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Erst einmal ist es so, dass wir zwar immer wieder die Kommunikation zur EU-Kommission gesucht und gefunden haben, aber Sie kennen das normale Verfahren. Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitgliedstaat, und darüber besteht der offizielle Kontakt.

Auf der Grundlage unseres Verfahrens wurde zum einen ein Gutachten der EAA über die Umsetzung der von der Kommission vorgegebenen Beschlüsse bzw. Entscheidungen erstellt. Zum anderen haben wir einen stetigen Kontakt zu dem eben von mir angesprochen Trustee.

Darüber hinaus muss ich Ihnen sagen: Auch das ist wieder eine Vermutung Ihrerseits, die Sie äußern können. Sie halten es für unwahrscheinlich, dass dem nicht etwas vorausgegangen ist. Für uns gab es auf dem Weg der weiteren Abwicklung – ohne Erkenntnis, warum eine solche Entscheidung getroffen worden ist – schlicht und ergreifend eine weitere Vorgabe. Das ist nicht neu, das ist nicht zum ersten Mal so.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Freimuth stellt nun ihre zweite Frage.

Angela Freimuth (FDP): Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister, nach Ihren Angaben hat Herr Staatssekretär Dr. Messal ein klärendes Gespräch mit den EU-Behörden geführt – wenn ich richtig informiert bin, am 19. August –, bei dem die Hintergründe dieser überraschenden neuen Erwartungshaltung der EU-Kommission geklärt worden sein sollen. Welche neuen Erkenntnisse und Verabredungen haben sich für die Landesregierung aus dem Gespräch des Staatssekretärs mit der EU ergeben?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Sie wissen, dass das zeitgleich zu der Sondersitzung des Haushalts- und Finanzausschusses war. Ich habe da erklärt, dass gerade zu diesem Zeitpunkt der Staatssekretär nicht mit der EU-Kommission, sondern mit dem Trustee spricht. Das ist ein Meinungsaustausch, wie er immer wieder stattfindet. In diesem Gespräch hat der Trustee lediglich noch einmal bestätigt, dass es diese Sichtweise der EU-Kommission gibt, dass, wenn die PFS verkauft würde, nicht mit einem bestehenden Vertrag verkauft werden kann, sondern dass dieser bestehende Vertrag aus Sicht der EU-Kommission selbst wieder ausschreibungsbedürftig ist.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, das, was viele stutzig macht, ist das überraschende Momentum der plötzlich aufgetauchten E-Mail mitten in der Sommerpause, die auf einmal alle Dinge der seit Jahren angekündigten Privatisierung ändert, wie es der Kollege Wedel ja in seinem Vortext dargestellt hat. Deshalb interessiert einen natürlich: Ist man nicht in einer laufenden Arbeitsbeziehung auch zwischen den Institutionen, sodass sich nicht so überraschend fundamental alles ändert?

Meine Frage an Sie lautet deshalb: Wie gestalten sich die laufenden Kontakte zwischen der EAA und ihren Beratern und Dienstleistern auf der einen Seite und der EU auf der anderen Seite, also von Kommission und Trustee? Kennt man sich nicht, hat man keinen Kontakt, spricht man nicht miteinander, oder gibt es da nicht auch eine Ebene des Dialogs?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Witzel, erst einmal ist der Kreis derer, die es stutzig macht, von Ihnen und einigen Kollegen und Kolleginnen abgesehen, nicht sehr groß. Ich erfahre immer wieder, dass viele Menschen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, voller Respekt dafür sind, wie bisher dieser Prozess der Abwicklung und der Restrukturierung der WestLB erfolgreich über die Bühne gebracht werden konnte.

Ich habe aber auch gesagt, es gibt immer wieder durchaus auch überraschende Entscheidungen der EU-Kommission. Die sind zum Teil vielleicht auch damit erklärbar, dass sich in der Tat die Kommunikationsschiene nach dem Wechsel in der Kommission wieder entwickeln muss. Es gibt da neue Caseteams, der Kommissar Almunia ist nicht mehr in diesem Amt. Das mag dazu führen, dass man sich manches wieder von vorne ansieht und manches noch einmal enger sieht, weil es ganz offenbar – das haben wir hier schon mehrfach miteinander besprochen – immer noch einen Reizbegriff namens WestLB gibt, auch wenn der mittlerweile Portigon heißt und sichergestellt kein Neugeschäft mehr betreiben kann.

Deswegen habe ich Ihnen auch gesagt: Ich bitte dringend darum, hier nicht Öl ins Feuer zu gießen und von „WestLB 2.0“ zu reden. Wir sprechen hier von einer Ersten Abwicklungsanstalt, die definitiv abwickelt und die auch dann, wenn sie eine PFS übernimmt, nicht mehr Neugeschäft machen kann. Es gibt hier keine Bemühungen oder Überlegungen mehr, darüber hinaus etwas zu machen. Im Gegenteil, das hätte eine PFS, die an andere verkauft wird, anderswo machen können. Die Auflage heißt, dass es im Landeseigentum eine Bank dieser Art nicht mehr gibt. Das ist schon der Fall. Sie wird eben erst recht kein Neugeschäft mehr betreiben können, wenn sie übertragen worden ist.

Es gibt eine Reihe von informellen Kontakten. Aber ich muss noch einmal sagen, dass das ganz unabhängig davon gewesen ist, wie oft und wie intensiv wir miteinander gesprochen haben. Es ist leider auch schon zu Zeiten des Kommissars Almunia so gewesen, dass man durchaus nach einem guten Gespräch in Brüssel am nächsten Tag in einer Wirtschaftszeitung enger gezogene Grenzen vernehmen konnte. Das ist in der Tat hin und wieder ärgerlich.

Ich sage aber noch einmal: Die wiederholte Unterstellung, das habe dann zu ganz anderen Verfahren geführt, ist nicht richtig. Der wesentliche Punkt, der zu einer veränderten Ausrichtung geführt hat, ist aus meiner Sicht vielmehr das Nichtzustandekommen einer als fast sicher – auch vom Bund – in Aussicht gestellten Kooperation mit der FMS Wertmanagement gewesen. Wenn damals neben der EAA ein weiterer so großer Kunde vorhanden gewesen wäre, hätte es eine Grundlage gegeben, auch weitere Kunden zu bekommen. Ohne diesen Kunden war langsam absehbar, dass mit dem Näherrücken des Zeitpunktes Ende 2016 der Kreis von Interessenten immer kleiner würde. Und es war klar, dass die Stabilität der EAA dann am besten gesichert werden kann, wenn man überträgt.

Ich habe – dabei bleibe ich auch – immer gesagt: Das ist für uns nicht das Ende des Privatisierungsprozesses. Wir bleiben offen dafür, wenn ernsthafte Interessenten kommen, die die Bedingung erfüllen, dass die EAA stabil bleibt. Dann wird natürlich verglichen: Ist das das wirtschaftlichere Angebot? Insofern gab es nie die klare Abkehr von einer Privatisierung. Aber es war erkennbar: Es gibt nach dem, was jetzt vorliegt, keine wirtschaftlichere Lösung als die Übertragung. Die ist lediglich noch einmal ein Stück weiter bestätigt worden, indem es heißt, man darf diese Veräußerung und diese Privatisierung der PFS nur vornehmen, wenn man nicht gleichzeitig den bestehenden Kooperationsvertrag mit verkauft.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Kollege Bombis hat als Nächster das Wort. Danach ist Herr Kollege Wedel an der Reihe, anschließend Herr Nückel, Herr Kerbein und Herr Kollege Witzel.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, eine Übertragung der PFS an die EAA ist ja ein Steuersparmodell, da durch das Inhousegeschäft zukünftig Umsatzsteuerzahlungen entfallen werden. Können Sie mir beantworten, in welcher Größenordnung durch eine solche Konstruktion in etwa die Steuerersparnis bei der EAA anfällt und damit natürlich auch der Steuereinnahmeausfall auf Landesseite? – Herzlichen Dank.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Bombis, auf eine solche Einlassung habe ich heute gewartet. Es hat sie schon im Haushalts- und Finanzausschuss gegeben, dem Sie nicht angehören. Mir war klar, dass die FDP gerne den Hinweis geben würde, es sei ein Steuersparmodell.

Wenn ein Unternehmen einen Dienstleister übernimmt, dann ist das kein Steuersparmodell, sondern ein Inhousegeschäft. Ich habe auch nichts dagegen, wenn es private Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft so machen. Es geht hier nicht um eine Konstruktion, bei der so getan wird, als ob ein Unternehmen ein eigenes wäre, obwohl es keines ist; das sind die Konstruktionen, mit denen wir uns auseinandersetzen.

Wenn ein Unternehmen nur noch einen Kunden hat, liegt nahe es, dieses Unternehmen nicht als fremdes Unternehmen des gleichen Eigentümers anzusehen, sondern die Unternehmen zusammenzupacken. Dann ergibt sich in der Tat eine Steuerersparnis. Dann ist das kein Sparmodell, sondern ein normaler gewollter Vorgang, wie wir ihn in jedem anderen Gewerbebetrieb unterstützen und begleiten würden.

Das ist der Fall. Aber Sie haben recht – das ist im Übrigen ein Teil der Wirtschaftlichkeitsberechnungen –: Ich muss mir ansehen, wie der Gewinn ist, wenn ich die PFS übertrage. Was hat die EAA davon? Man kann sagen, sie hat nicht nur die knapp 70 Millionen € davon, die allerdings abschmelzen, je später ein Transfer stattfindet und je länger es – aus welchen Gründen auch immer – verzögert wird. Das ist der eine Punkt.

Sie hat weitere Vorzüge, die Sie auch als Sparmodelle beschreiben könnten. Wenn sie von einem fremden Unternehmen etwas kauft, muss sie im Regelfall eine höhere Marge hinnehmen, als es bei einer hausinternen Abteilung der Fall ist. Auch das ist ein Sparbeitrag und bringt noch einmal einen zweistelligen Millionenbetrag.

Was die Nutzung von IT und die Verknüpfungsmöglichkeiten angeht, gibt es eine Reihe von Bausteinen, die eine Ersparnis für die EAA bedeuten. Die PFS kann sie erbringen, wenn sie nur noch einen Kunden hat, wenn man sie überträgt.

Es sieht anders aus, wenn die PFS die Möglichkeit hätte, weitere Kunden zu gewinnen. Wenn sie dann verkauft werden könnte, muss man die Möglichkeiten, weil sie auch dem Land zugutekommen, mit in Erwägung ziehen im Vergleich zu dem, was günstiger wäre, wenn sie bei der EAA ist.

Aber die Frage stellt sich nicht, wenn es die Alternative gar nicht gibt. Wenn es keinen seriösen Käufer gibt, ist die Übertragung konkurrenzlos die bessere Alternative. Sie kann dann nur noch an der Abwicklung gemessen werden. Diese Abwicklung wäre nicht nur nicht wünschenswert; sie wäre auch teurer.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Eigentlich wäre nach meiner Liste jetzt Herr Kollege Wedel an der Reihe. Aber Herr Kollege Nückel steht dort schon auf Stand-by. Wenn Herr Wedel einverstanden ist, spricht zuerst Herr Kollege Nückel. Bitte.

Thomas Nückel (FDP): Ich drängele mich immer gerne vor. Vielen Dank. – Herr Minister, Sie hatten in der vorletzten Antwort Ihre Überraschung über die EU-Rahmenbedingungen zur PFS-Privatisie-rung zum Ausdruck gebracht. Das hat mich überrascht, weil man solche fundamentalen Fragen eigentlich langfristig hätte klären müssen, um eine qualifizierte Entscheidung zu treffen. Deswegen lautet meine Frage: Wann haben Sie jeweils konkret im bisherigen Abwicklungsprozess der letzten Jahre die Rahmenbedingungen für die PFS-Privatisierung inklusive der EAA-Kooperation mit den EU-Behörden im Einzelnen besprochen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Diesbezüglich gab nicht nur mich als Partner. Auch Portigon hat mit EU-Behörden gesprochen.

Noch einmal: Wir hatten eine Vorgabe. Es gab Gutachten. Es war klar, dass eine Übertragung der PFS Teil der möglichen Optionen ist, die sich als Privatisierung oder Abwicklung darstellen. Das ist das eine.

Das andere war, dass die Veräußerung auch eine Kann-Möglichkeit ist, das Unternehmen zu verkaufen. Es ist normal, dass man ein Unternehmen mit dem Kundenstamm und den Verträgen verkauft, die es hat. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wer diese Selbstverständlichkeit infrage stellt, ist derjenige, der das dann auch kommunizieren muss. Das hat die Kommission zu einem ziemlich späten Zeitpunkt getan. Man muss sich in der Tat fragen, warum und wieso. Warum hat man offenbar nicht das Interesse, diesem Prozess den Weg zu bereiten, sondern das Interesse, immer wieder die Hürde noch ein kleines bisschen höher zu legen?

Ich sage trotzdem noch einmal: In diesem Fall ist die Hürde bei jemandem höher gelegt worden, der ohnehin schon eine Etage höher gesprungen ist. Wir hatten schon aus anderen Gründen die Erfahrung und Einschätzung, dass eine Übertragung der wirtschaftlichere Weg ist. Die Alternative, die Portigon Financial Services zu veräußern, ist jetzt lediglich noch ein Stück schlechter geworden.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Kollege Wedel ist an der Reihe, danach Herr Dr. Kerbein und dann noch einmal Herr Kollege Witzel. Dann ist die Liste abgearbeitet.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Die von dem Treuhänder für die WestLB-Abwicklung weitergeleitete E-Mail vom 27. Juli diesen Jahres ist nach Darstellung der Landesregierung von fundamentaler Bedeutung für den abgesagten Privatisierungsprozess. Dieser Vorgang stellt das Gesetz zur Restrukturierung der WestLB in einem wesentlichen Punkt infrage. Auf welchem Verfahrensweg wird die Landesregierung den Abgeordneten diesen Vorgang zur Verfügung stellen? Bitte beantworten Sie das auch unter Angabe des Zeitpunkts der Übermittlung.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Wedel, der Vorgang stellt dieses Verfahren nicht infrage. Ich habe schon gesagt, wir haben immer diese drei Optionen gesehen: die Abwicklung als Assets, die Übertragung auf die EAA und die Privatisierung. – Es ging immer darum, sich anzuschauen, welche der drei Optionen auch aus Sicht der Portigon die wirtschaftlichere ist.

Aus Sicht des Eigentümers Land ging es auch darum, wie das Gesamtgefüge zusammen mit der EAA aussieht. Ich habe ja nicht viel davon, wenn ich auf dem Weg der Veräußerung einen etwas besseren Preis erzielen kann, dafür aber gleichzeitig die EAA ins Wanken bringe. Das muss ich miteinander vergleichen. Deswegen muss ich mir anschauen, wie das im Einzelnen aussieht.

Ich sage es noch einmal, und das war schon früher klar: Wenn der Kreis der Interessenten, von denen man halbwegs sicher sein konnte, dass damit auch eine Risikominimierung für die EAA verbunden ist, schrumpft und am Ende bei allen Beteiligten – nicht nur beim Finanzminister als Eigentümervertreter, sondern auch bei den anderen Eigentümervertretern, im Übrigen auch den Trägern der EAA – Zweifel bestehen, dass die Stabilität der EAA auf diese Weise zu sichern ist und im Übrigen die EAA auch ein Veto einlegen und den Verkauf verhindern kann, dann sieht man doch, dass sich ohnehin ein anderes Vorgehen, eine andere Option langsam aber sicher als die bessere herausbildet.

Diese Veränderungen haben wir natürlich dokumentiert, und die werden dokumentiert. Wir haben, wenn ich richtig informiert bin, auch schon angekündigt, dass wir natürlich auch den Haushalts- und Finanzausschuss darüber informieren werden.

Das ist ein Prozess, womit ich die herzliche Bitte verbinde, dass wir gemeinsam wissen, was für eine Verantwortung dieser Gesamtkomplex der Abwicklung, Restrukturierung, wie man immer das nennt, der WestLB – einer Bank, die zum Zeitpunkt meines Amtsantrittes über 160 Milliarden Bilanzsumme hatte, die jetzt irgendwo bei 19 Milliarden liegt – mit sich bringt. Man muss in diesem Bereich wirklich versuchen, dass wir das sauber weiter vollziehen, und Informationen bitte auch so behandeln, dass wir damit nicht immer neue Signale aussenden, die diejenigen, die ganz offenkundig nicht nur wohlwollend diesen Prozess begleiten, möglicherweise noch einmal auf den Plan rufen.

Wir wollen etwas erreichen, sodass man bei allem, was man in der Geschichte dieser Bank zu großen Teilen gut finden kann, aber zu großen Teilen auch schrecklich finden muss, das zu einem bestmöglichen Ende bringt und dann nicht neue Schwierigkeit heraufbeschwört.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Das Wort zu seiner nächsten Frage hat Herr Kollege Kerbein. – Nach Herrn Kerbein Herr Kollege Witzel zum zweiten und letzten Mal und dann mit der abschließenden und dritten Nachfrage Herr Kollege Wedel.

Dr. Björn Kerbein (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, Nutznießer der aktuellen Strategieänderung ist die Bad Bank EAA. Daher frage ich Sie: Wie hat sich die EAA im letzten Jahr des angedachten Verkaufsprozesses zur PFS verhalten?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es tut mir leid, wenn ich Ihnen immer wieder sozusagen als Ritual widersprechen muss, weil Sie nach mehrfacher Darstellung, dass es keine Strategieänderung war, immer mit der Frage nach der Strategieänderung einleiten. – Es ist keine Strategieänderung, sondern es ist eine Entwicklung auf dem Weg, bei der immer wieder betrachtet wird, was im Moment wirtschaftlicher ist. Das kann sich ändern.

Ich habe mehrfach – dazu stehe ich auch – gesagt: Wir haben bislang einen Prozess sehr gut gemeinsam über die Bühne gebracht, der immer wieder von Querschlägen geprägt war, was aber auch nicht ungewöhnlich ist, weil das, was hier passiert, die Abwicklung einer WestLB, etwas ist, für das es bislang kein Beispiel gibt, an dem man sich irgendetwas abgucken kann. Da haben alle, die daran beteiligt sind, ein hohes Maß an Flexibilität gezeigt.

Was die Rolle der EAA angeht: Sie wissen, wir haben jetzt auf der einen Seite eine Portigon AG als Mutter der PFS, die dem Land vollständig – direkt oder indirekt – über die NRW.BANK gehört. Wir haben auf der anderen Seite die EAA, bei der das Land etwa zur Hälfte Träger ist und zur anderen Hälfte die Sparkassenverbände. Diese EAA macht selbst über die Jahre auch einen hervorragenden Job. Die Kassen waren, wenn man alles zusammenzählt, mal gefüllt mit 177 Milliarden €, und sie liegen jetzt irgendwo in der Größenordnung von weniger als einem Drittel, im Bereich der 50er-Milliarden. Das ist eine enorme Leistung.

Natürlich guckt das EAA-Management aus seiner Sicht darauf, dass es den einerseits notwendigen Partner PFS hält, vor allen Dingen mit Personal hält, das auch kompetent ist und die bisherige erfolgreiche Abwicklungsarbeit weiter betreiben kann. Es geht ja nicht nur darum, die PFS als Partner zu haben. Wenn nämlich der PFS mangels Perspektiven die Menschen davonlaufen gehen, fehlt hinterher für die EAA bei dem Dienstleister PFS auch etwas, egal wem er gehört, selbst wenn er der EAA selber gehört. Das heißt, natürlich hat die EAA darauf Wert gelegt.

Gleichzeitig ist auch klar; Solange sich eine PFS langsam aber sicher mit vielerlei vertraglichen Hintergründen, die dazu bestehen, reduziert, aber immer noch auf der Suche nach Privatisierungsmöglichkeiten, nach zusätzlichem Geschäft, das sie dann generieren kann, ist, so lange gibt es natürlich eine Fixkostenstruktur, die einem Einzelnen, wenn er weiß, ich bin der einzige Kunde, zu teuer ist. Also gibt es zwischen den beiden schlicht und ergreifend Verhandlungen. Der eine sagt: Du musst billiger werden, weil ich dir ja eine Fixkostenstruktur bezahle, mit der du eigentlich noch nach anderen suchst. Und der andere sagt: Ich kriege aber mit dem, was du mir bietest, meine Fixkosten nicht abgedeckt. – Dabei ist auch vollkommen uninteressant, wer da der Eigentümer ist. Darüber haben die beiden miteinander zu reden und müssen schauen, wie sie das irgendwie zusammenbringen.

Auch das war ein Grund, als Aufsichtsrat und als Träger der EAA irgendwann zu diesem Ergebnis zu kommen: Der bessere Weg ist, klar zu sagen, dass dieses Offenhalten der Tür für die Privatisierung vor dem Hintergrund, dass die Interessenten – ich sage es einmal so – nicht greifbar sind, nicht mehr zu rechtfertigen ist. Das ist der Punkt. Und das war immer die Position der EAA. Wie gesagt, die EAA hätte die Möglichkeit, bei einer Veräußerung der PFS an jemanden, von dem sie Zweifel hat, dass die Dienstleistung auf Dauer die Stabilität der Abwicklung gesichert ist, ein Veto einzulegen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, ich würde gerne auf das von Ihnen auch in der heutigen Parlamentssitzung erwähnte Gespräch Ihres Staatssekretärs Dr. Messal mit dem Trustee am 19. August 2015 zu sprechen kommen.

Ich möchte Sie bitten, uns hier darzustellen, was die wesentlichen Ergebnisse und neuen Erkenntnisse aus diesem Gespräch sind. Das konnten Sie bei bisherigen Sitzungsgelegenheiten noch nicht. Insbesondere geht es mir auch um die Frage, was die Motivation für den Trustee gewesen ist, die Fragen neu an die EU-Kommission zu stellen, die er dort neu aufgeworfen hat. Gab es hier eine Bitte von Portigon? Gab es eine Bitte von Ihnen, von Eigentümerseite? Gab es eine Bitte der EAA, diese Punkte klären zu lassen und zu prüfen, wie sich das mit den Verträgen verhält? Was hat Ihnen der Trustee dazu an Erkenntnissen vermittelt?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich mache den Vorschlag, dass wir das in der nächsten Haushalts- und Finanzausschusssitzung unmittelbar mit dem Staatssekretär etwas intensiver beraten; das können wir gerne machen.

Ich kann Ihnen jetzt nur sagen, dass dieses Gespräch aus regelmäßigen Konsultationen zustande gekommen ist, die mit dem Trustee immer wieder stattfinden, und dass hier wirklich ein Interesse daran bestand, einmal zu erfahren, wie die Sichtweise der Kommission in diesem Bereich ist. Es hat einen Meinungsaustausch gegeben. Der Trustee hat noch einmal beschrieben, dass die Kommission der Auffassung ist, dass ein Vertrag nicht mit verkauft werden kann. Wir haben noch einmal beschrieben, warum wir der Rechtsauffassung sind, dass das ein hoch ungewöhnlicher Fall ist.

Diese Überlegungen gehen weiter. Es ist ja nicht so, dass da jetzt Schluss ist, sondern anschließend wird weiter kommuniziert.

Bezüglich der einzelnen Punkte mache ich an dieser Stelle – auch zur Abkürzung – den Vorschlag, dass wir das im Haushalts- und Finanzausschuss noch einmal ansprechen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Die letzte Frage gebührt Herrn Kollegen Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie hatten meine Frage zuvor nicht wirklich beantwortet, aber ich will jetzt doch noch eine neue stellen.

Im Zusammenhang mit dem Vorgang hatten Sie gerade in einer Antwort eine E-Mail vom 28. August 2015 vom oder an das Bundesministerium für Wirtschaft erwähnt. Das habe ich nicht ganz verstanden. Welchen Inhalt hat diese E-Mail?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: In dieser E-Mail hat die Kommission noch einmal über den Punkt der Trennung der Veräußerung PFS und des Kooperationsvertrages hinaus dem Bundeswirtschaftsministerium mitgeteilt, wie die Schritte erfolgen sollen, dass also auch genau darzulegen ist, warum man die Veräußerung nicht für einen wirtschaftlicheren Weg hält, um damit sozusagen auch eine akzeptable Grundlage dafür zu haben, dass die Übertragung auf die EAA erfolgen kann.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Nachfragen zu der debattierten Frage 68 liegen mir nicht vor. Diese Mündliche Anfrage ist damit beantwortet.

Uns liegt jetzt noch die

Mündliche Anfrage 69

des Herrn Kollegen Witzel und die

Mündliche Anfrage 70

des Herrn Kollegen Kern vor.

Beide Fragen können wir heute – die Fragestunde dauert jetzt knapp eineinhalb Stunden – nicht mehr behandeln.

(Ralf Witzel [FDP]: Nächste Sitzung!)

– “Nächste Sitzung“: Bevor ich die Frage gestellt habe, wird sie von Herrn Kollegen Witzel schon beantwortet. – Herr Kollege Kern? – Bei Ihnen auch. Okay. Dann rufen wir die beiden genannten Mündlichen Anfragen in der nächsten Fragestunde an Position eins respektive zwei auf.

Trotz der technischen Widrigkeiten haben wir somit die Fragestunde, wie ich denke, zu Ihrer aller Zufriedenheit über die Bühne gebracht. Ich schließe damit den Tagesordnungspunkt 9.

Für diejenigen, die es interessiert: Wir haben für heute noch 21 Tagesordnungspunkte vorgesehen, also noch einiges miteinander vor. – Ich rufe auf:

10       Ohne Wahl keine Demokratie: Das Wahlverfahren des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit muss für alternative Kandidaten geöffnet werden!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9593

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Herrmann das Wort. – Bitte schön.

Entschuldigen Sie noch einen kleinen Augenblick, Herr Kollege Herrmann. Ich werde gerade darauf hingewiesen, dass aufgrund der technischen Probleme unseres Systems auch das Display mit der Redezeit am Rednerpult nicht mehr funktioniert. Auch für die kommenden Rednerinnen und Redner deshalb der Hinweis: Lassen Sie sich nicht irritieren, wenn Ihre Redezeit bei null steht. Wir sind ja alle mit Hightech-Stoppuhren ausgerüstet und werden versuchen, die Redezeit sekundengenau nachzuhalten. Wenn sie vorbei ist, werden wir Ihnen einen Hinweis geben.

Herr Kollege Herrmann, Sie haben das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Ich warte dann auf Ihren vertrauensvollen und zurückhaltenden Hinweis. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer zu Hause im Stream! Eine Wahl ohne Alternativen ist keine Wahl, und eine Demokratie ohne Wahl ist keine Demokratie. – So kurz und prägnant lässt sich das Problem der Bestimmung des Kandidaten für die Position des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in Nordrhein-Westfalen fassen.

Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass es dabei nicht nur um ein Demokratiedefizit im Wahlprozess selbst geht, sondern auch um die negativen Auswirkungen, die das aktuelle Verfahren auf den Datenschutz in unserem Land hat.

(Thomas Stotko [SPD]: Das ist eine Frechheit!)

Das Amt des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit soll und muss unabhängig sein – unabhängig, um mit höchster Kompetenz und frei von Rücksichtnahmen und Abhängigkeiten die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei den öffentlichen Stellen im Land sicherzustellen.

Eine weitere Aufgabe des Landesbeauftragten ist die Sicherstellung des Rechts auf Information für die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen.

Unabhängigkeit ist auch hier unbedingte Voraussetzung. Die Unabhängigkeit kann aber infrage gestellt werden, wenn die Landesregierung die einzige Institution ist, die die Person, die sie nachher kontrollieren soll, selbst vorschlägt. Im Sinne der Gewaltenteilung muss also eine deutliche Trennung zwischen der Exekutive und dem Amt des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vorgenommen werden.

Wie sich die Situation hier in Nordrhein-Westfalen diesbezüglich präsentiert, mutet nahezu grotesk an. Denn die Trennung ist hier nur eine vermeintliche. Bei der Wahl des LDI handelt es sich schlichtweg nicht um eine Wahl, sondern um einen rein formalen Akt, der lediglich dazu dient, dem Prozess nach außen hin einen demokratischen Anstrich zu geben. Blickt man hinter die Fassade, bleibt allerdings vom schönen Schein nicht mehr viel übrig.

Wird, wie aktuell von der Landesregierung praktiziert, nur ein Kandidat bzw. eine Kandidatin für den Posten des LDI nominiert, so ergeben sich daraus gleich mehrere Probleme:

Zum einen fehlt es im Vorfeld der vermeintlichen Wahl an der Entfaltung eines Diskurses, der sich ergeben würde, wenn verschiedene Kandidaten ihre Ideen und ihre möglichen Ausrichtungen des Amtes diskutieren und präsentieren müssten. Kurz gesagt: Es fehlt an Öffentlichkeit und damit an Transparenz.

Herr Minister Jäger, hören Sie bitte zu, denn da haben Sie immer Nachholbedarf! Deshalb sage ich es Ihnen noch mal: Öffentlichkeit und Transparenz, beides sind grundlegende Elemente der Demokratie.

Zum Zweiten wäre durch eine öffentliche Ausschreibung und eine entsprechende Anhörung potenzieller Kandidaten auch ein wichtiger Schritt im Sinne der Qualitätssicherung getan. Nur ein solcher Prozess ermöglicht es, den fachlich und bezüglich seiner Persönlichkeit besten Kandidaten für das Amt des LDI zu finden. Im Sinne einer qualitativen Auswahl wäre es also auch für die Landesregierung wünschenswert und notwendig, den Prozess zu öffnen, statt sich als allein vorschlagsberechtigte Partei schlichtweg dem Verdacht auszusetzen, verdienten Mitarbeitern einen Posten zukommen zu lassen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ganz explizit möchte ich an dieser Stelle betonen, dass es mir hier bereits um das Verdachtsmoment geht, welches vermieden werden muss. Ich möchte diesen Einwand keineswegs als konkreten Vorwurf oder gar Kritik an der Qualifikation der aktuellen Kandidatin Frau Block verstanden wissen. Es geht mir bei diesem Punkt einzig und allein um eine rein inhaltliche Kritik am Auswahlverfahren und nicht um eine irgendwie geartete Kritik an der Person – ganz deutlich.

(Zuruf: Nein!)

Zum Dritten handelt es sich bei der sogenannten Wahl des LDI im eigentlichen Sinne gar nicht um eine Wahl. Der Definition nach handelt es sich bei der Wahl um die Möglichkeit der Entscheidung zwischen zwei oder mehreren Alternativen. Eine Alternative sieht die Landesregierung allerdings im vorliegenden Fall gar nicht vor. De facto handelt es sich also nicht um eine Wahl, sondern um ein Verfahren nach dem Motto: Friss oder stirb! Es geht nur um die Ernennung des eigenen Kandidaten ohne Rücksicht auf die Grundprinzipien der Demokratie. Dieser Umstand ist nicht hinnehmbar.

Daher wollen wir Piraten eine Demokratisierung dieses Prozesses erreichen und fordern dazu eine Öffnung des Amtes mit Einbindung des Landtags bei Auswahl und Vorschlag der Bewerber.

Ich freue mich auf Ihre Anmerkungen zu unserem Antrag und auf die Beratungen im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann. – Das war eine Punktlandung ohne Uhr.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Die braucht er nicht!)

Herzlichen Glückwunsch. Wir werden noch Orden verteilen.

Herr Stotko ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. Mal gucken, ob er das auch hinkriegt. Gefühlte fünf Minuten.

(Thomas Stotko [SPD]: So lange brauche ich nicht!)

Bitte schön.

Thomas Stotko (SPD): Besten Dank, Herr Präsident. – Ich werde mir alle Mühe geben, die Zeit nicht zu benötigen.

Herr Kollege Herrmann, eigentlich wollte ich es ganz kurz machen. Aber eines kann ich hier nicht so stehen lassen: Erst zu behaupten, es würde der Eindruck entstehen, verdiente Mitarbeiter würden einen solchen Posten bekommen, und zwei Sätze später zu sagen: „So habe ich es aber nicht gemeint“, finde ich eine bodenlose Frechheit gegenüber der Kandidatin und gegenüber dem Verfahren. Man kann sich über das Verfahren selber unterhalten. Aber Leuten zu unterstellen, sie würden den Posten nur bekommen, weil sie … Das kann nicht sein. Tragen Sie das mit Frau Block aus!

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Der Eindruck kann entstehen!)

Folgendes zu Ihrem Antrag:

Erstens. Wie kommen Sie auf die Idee, das sei undemokratisch, wir hätten keine Wahl. Genau die haben wir doch hier. Wer, wenn nicht Sie, die Piraten, wüssten es besser, dass dieses Parlament, wenn jemand einen Vorschlag macht, den er nur alleine machen darf, damit im Parlament nicht durchkommt, was das Thema „Landtagspräsidium“ angeht. Natürlich kann dieses Parlament entscheiden und sagen: Der Vorschlag der Regierung gefällt uns nicht. – Das steht uns allen frei. Wir haben eine Auswahl. Das ist Demokratie.

Zweitens. Wenn Sie einen so klugen Vorschlag machen, wir sollen irgendwelche Gesetze ändern, gebe ich Ihnen ein bisschen Nachhilfeunterricht. Wenn, dann muss die Verfassung geändert werden. In der Verfassung steht, das Vorschlagsrecht liegt bei der Landesregierung, und das Wahlrecht liegt beim Parlament. Das steht in Ihrem Antrag bisher nicht. Im Rahmen der weiteren Beratung können wir das noch mal diskutieren. Gucken Sie mal nach! Das war eine kleine Hilfestellung für Sie.

Drittens. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, ich glaube fest daran, dass dieses Parlament, auch wenn nur ein Vorschlag ins Parlament kommt, durchaus entscheiden kann, ob jemand qualifiziert, geeignet und auch im Sinne einer Kontrolle der Exekutive selber sein Amt wahrnimmt. Ich sage Ihnen das ganz deutlich: Das gilt für die Vorgänger, das gilt für den Amtsinhaber, und das gilt für Frau Block. Wir werden Ihr Vorhaben, wie Sie hören, deutlich ablehnen. – Besten Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Sieveke.

Die Probleme mit unserer Mikrofonanlage heute Abend sind deutlich gemacht worden. Vielleicht ist eine Motivation, die fünf Minuten nicht unbedingt auszunutzen.

Daniel Sieveke (CDU): Ich brauche keine fünf Minuten. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Stotko hat schon einiges dazu gesagt. Über das Verfahren kann man sich sicherlich mal unterhalten. Sie hatten ja auch den Antrag im Innenausschuss gestellt, dass sich beispielsweise die Kandidatin vorstellt. Das haben wir abgelehnt, weil es das Verfahren überhaupt nicht vorsieht. Aber darüber kann man noch mal sprechen.

Herr Stotko hat es angesprochen, Art. 77a Abs. 1 unserer Verfassung sagt aus:

„Der Landtag wählt auf Vorschlag der Landesregierung einen Landesbeauftragten für den Datenschutz mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder;“

Sie müssten also die Verfassung ändern, zwei Drittel dieses Hauses für sich gewinnen, und schon ist Ihr Vorschlag in die Tat umgesetzt worden. Das hätte heute keines Antrags bedurft.

Aber eines möchte ich Ihnen auch sagen: Wir haben parteiübergreifend jedes Mal, wenn der Landesdatenschutzbeauftragte hier seinen Bericht vorgestellt hat, die hohe Kompetenz des Beauftragten gewürdigt – über die Parteigrenzen hinweg, unabhängig. Das, was Sie gerade getan haben, sagen Sie auch dem bisherigen Amtsinhaber gegenüber aus, einen Verdacht zu haben, dass er nicht unabhängig ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn auch der bisherige Amtsinhaber ist auf Vorschlag der damaligen Landesregierung gewählt worden.

Ich glaube, dass Sie sich da gerade auf einem Glatteis bewegt haben, wo wir alle nicht hinwollen. Alle Landesdatenschutzbeauftragten waren bis jetzt unabhängig, und die zukünftigen werden es auch sein.

Ich hoffe, dass wir in diesem Verfahren so weitergehen können. Über das Verfahren an sich können wir gerne auch noch einmal im Innenausschuss sprechen. Diesen Verdacht aber finde ich unerhört. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Sieveke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts des Zeitfortschritts möchte auch ich mich relativ kurz halten. Kollege Herrmann, ich möchte allerdings noch einen Punkt aufgreifen, den Sie vorgetragen haben. Sie haben sich mit der Frage beschäftigt:

Wozu ist der LDI eigentlich da? Wofür hat er eigentliche eine Aufsichtsfunktion? Sie haben das hier so dargestellt, als bestehe die Aufgabe des LDI darin, die Landesregierung zu überwachen. Die Datenschutzaufsicht über den öffentlichen Bereich ist nicht seine einzige Funktion, sondern natürlich übt der LDI die Datenschutzaufsicht auch für den privaten, den nichtöffentlichen Bereich aus. Das tut er bzw. sie in vollständiger, in tatsächlicher Unabhängigkeit. Genau das war das Ziel unseres Gesetzgebungsvorhabens 2011, mit dem wir für die vollständige Unabhängigkeit gesorgt haben.

Übrigens war damals genau dieses Thema des öffentlichen bzw. nichtöffentlichen Datenschutzes eine der größten Hürden in der Umsetzung des EuGH-Urteils. Wir mussten nämlich dafür sorgen, dass ein dann vollständig unabhängig gesetzter LDI diese Aufsichtsfunktion auch vollständig wahrnehmen kann. Ich glaube, das haben wir damals gut organisiert, und wir haben den LDI in seiner Unabhängigkeit und auch in seiner Ausstattung gestärkt. Wir tun das weiter. Auch das ist gut so.

Thomas Stotko hat gerade ein Beispiel dafür genannt, dass Wahlgänge natürlich nicht immer so ausgehen, wie sich die Kandidierenden das wünschen. Ich nenne ein anderes Beispiel aus Schleswig-Holstein. Da gibt es eine funktionierende parlamentarische Mehrheit. Es gab da einen Kandidaten, der in der deutschen Datenschutzszene hochprofiliert ist. Er ist trotz alledem nicht gewählt worden. Insofern finde ich es auch falsch, hier davon zu sprechen, es gäbe überhaupt keine Demokratie. Sie können sich am Freitag entscheiden. In Debatten kann man jederzeit über Verfahrensfragen reden. Die Kollegen haben aber gesagt, in welchen Restriktionen wir uns da bewegen. Insofern schauen wir einmal, was die Ausschussdebatte so bringen wird. – Vielen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die Fraktion der FDP spricht der Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der zu beratende Antrag der Piraten verkennt evident, dass Rechtsgrundlage des Vorschlagsrechts der Landesregierung für den Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit nicht allein das Landesdatenschutzgesetz NRW, sondern nicht weniger als die Landesverfassung ist. Die Kollegen Stotko und Sieveke haben bereits auf Art. 77a Abs.1 der Landesverfassung hingewiesen.

Bezeichnend ist, dass derzeit eine Verfassungskommission hier im Landtag arbeitet, in der alle Fraktionen einschließlich der Piraten vertreten sind. Und die Piraten dort haben bis zum heutigen Tag dieses Thema mit keiner Silbe angesprochen oder Änderungsbedarf an Art. 77a Abs.1 der Landesverfassung geltend gemacht. Deshalb kann Ihr Antrag nur als unausgegorener Schnellschuss gewertet werden, dem es an rechtlicher Substanz fehlt.

(Beifall von der FDP, der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, anders als § 22 Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz und auch als § 5 Abs. 1 Satz 1 des Bundesrechnungshofgesetzes kennen Art. 87 der Landesverfassung und § 3 Abs. 1 Satz 1 Landesrechnungshofgesetz dagegen kein entsprechendes Vorschlagsrecht der Landesregierung zur Wahl des Präsidenten des Landesrechnungshofs. Trotzdem gab es zuletzt nur eine Kandidatin. Somit führt die Abschaffung des Vorschlagsrechts der Landesregierung oder die Einführung neuer Vorschlagsrechte der Fraktionen nicht zwingend zu mehr Kandidaten.

Eine Wahl wird auch nicht zwingend demokratischer, wenn aussichtslose Kandidaten als Statisten der Wahl einen Rahmen geben, aber chancenlos gegen die von den Mehrheitsfraktionen verabredeten Kandidaten sind. Natürlich ist die Möglichkeit, einen gemeinsamen Gegenkandidaten zu stellen, nicht verkehrt, bedürfte aber eben einer Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit.

Der führende Kommentar zur Landesverfassung von Heusch/Schönenbroicher weist zu Recht auf die zutreffende Einschätzung der FDP-Fraktion in Person des Abgeordneten Heinz in der 8. Legislaturperiode hin, die Ansiedlung und Bestellung des LDI sei eher nebensächlich. Bedeutsamer für seine bzw. ihre Unabhängigkeit dürfte im Ergebnis dessen Person sein.

Die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Landesdatenschutzbeauftragten soll die wirksame und zuverlässige Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sicherstellen.

Der EuGH hatte eine unmittelbare und mittelbare Einflussnahme auf die Funktion des LDI als kritisch angesehen und die völlige Unabhängigkeit gefordert, wie sie nun in NRW umgesetzt ist. So wird die Leitung der Kontrollstelle des Landesdatenschutzbeauftragten vom Parlament bestellt. Zum anderen hat der Gesetzgeber die Kompetenzen der Kontrollstelle festgelegt.

Der EuGH hat zudem in seinem Urteil zur Unabhängigkeit von behördlichen Datenschutzbeauftragten betont, „dass bereits die bloße Gefahr einer politischen Einflussnahme der Aufsichtsbehörden auf die Entscheidungen der Kontrollstellen ausreicht, um deren unabhängige Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinträchtigen“. Zum einen könnte es einen vorauseilenden Gehorsam der Kontrollstellen im Hinblick auf die Entscheidungspraxis der Aufsichtsstellen geben. Zum anderen erfordere die Rolle der Kontrollstellen als Hüter des Rechts auf Privatsphäre, dass ihre Entscheidungen – also sie selbst – über jeglichen Verdacht der Parteilichkeit erhaben sind.

Sicher erscheint danach der jetzige Wahlvorschlag der Landesregierung in Form einer Person aus der unmittelbaren beruflichen Nähe des später zu kontrollierenden Innenministers ebenso wie der derzeit regelmäßig stattfindende Personalaustausch des LDI mit dem Ministerium – sprich: Rotation – nicht von vornherein problemfrei, ist formalrechtlich bisher aber nicht als der von Art. 28 der Richtlinie 95/46 geforderten „völligen Unabhängigkeit“ nicht genügend bewertet worden. Eine Emanzipation von bisherigen Loyalitäten und alten Verbindungen wird somit notwendig sein, um das Amt einerseits mit der notwendigen Verbindlichkeit und andererseits im Konfliktfall mit dem erforderlichen Nachdruck für den Datenschutz ausfüllen zu können.

Innere Unabhängigkeit, meine Damen und Herren, kann aber nicht verordnet, sondern muss gelebt werden. Darauf werden wir als Freie Demokraten ein wachsames und kritisches Auge haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es auch kurz machen. Eigentlich ist es unüblich, dass die Landesregierung in Fragen der Landesverfassung, des Parlamentes überhaupt Stellung bezieht. Ich will es doch tun, weil ich finde, dass sich dieses Parlament nicht unnötig klein machen sollte.

Das Parlament wählt auf Vorschlag die Ministerpräsidentin, vier Richter des Landesverfassungsgerichtes, den Landtagspräsidenten. Ich habe das Gefühl, Herr Herrmann, dass Ihre Fraktion diesen Antrag ausschließlich aus taktischen Gründen einbringt, um – ich glaube, am Freitag ist die Wahl – mit Hinweis auf das aus Ihrer Sicht vermeintlich undemokratische Verfahren eine Person nicht zu wählen, die Sie gerade als verdiente Mitarbeiterin bezeichnet haben. Ich will Ihnen zugutehalten: Wenn Sie diese Mitarbeiterin als verdient durch Erfahrung und Kompetenz definieren, dann will ich Ihnen das durchgehen lassen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/9593 an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

11       Rücknahme des Anwendungserlasses vom 2. Juli 2012 zur Hinzurechnung von Finanzierungsanteilen nach § 8 Nummer 1 GewStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9579

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Kollegen Krückel das Wort.

Bernd Krückel (CDU): Danke schön, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Gewerbesteuer“ und hier die Hinzurechnungsvorschriften sind sicherlich ein steuerliches Feinschmeckerthema. Ich versuche daher, mich allgemeinverständlich auszudrücken.

Das Gewerbesteuergesetz sieht Hinzurechnungsvorschriften vor, die es ermöglichen, einen Unternehmensgewinn, der nach den Vorschriften des Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerrechts zutreffend ermittelt wurde, für die Gewerbebesteuerung zu berichtigen. Ich erspare Ihnen andere Beispiele und möchte nur die Hinzurechnung von Mieten und Pachten aufgreifen, die den Grund unseres Antrags darstellen.

Haben zum Beispiel Miet- oder Pachtkosten für das Betriebsgebäude, welches in fremdem Eigentum ist, den Gewinn eines Betriebs gemildert – ich ergänze ausdrücklich: steuerlich zulässig gemildert –, sieht § 8 Nr. 1e Gewerbesteuergesetz die Hinzurechnung eines Viertels der steuerlich geltend gemachten Mieten oder Pachten vor, wenn die Pachten eine bestimmte Höhe übersteigen.

Der Gewinn nach Gewerbesteuergesetz ist somit höher als der Gewinn nach Einkommensteuerrecht. Dies ist auch in Ordnung und nicht zu beanstanden. Der Anwendungserlass aus dem Jahre 2012, gegen den sich unser Antrag richtet, regelt, dass in der Tourismusbranche die Zahlungen für die Anmietung von Hotelzimmern, Miet- oder Pachtaufwendungen im Sinne dieser Hinzurechnungsvorschrift des Gewerbesteuergesetzes sind. Das war, als das Gesetz erlassen wurde, so nicht beabsichtigt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Tourismusbranche mietet keine Gebäude an, wie dies zum Beispiel bei produzierenden Unternehmen der Fall ist. Die Tourismusunternehmen kaufen komplexe Dienstleistungen ein, deren Bestandteil auch die Hotelübernachtungen sind. Sie mieten aber keine – ich zitiere – „unbeweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens an, die im Eigentum eines anderen stehen“, wie es das Gewerbesteuergesetz formuliert.

Diese Hinzurechnungen, die laut Erlass rückwirkend geltend gemacht werden sollen, wird die Branche bis zu 1,4 Milliarden € kosten. Dies führt zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen auf europäischer Ebene, da die anderen Länder hiervon nicht betroffen sind bzw. die Regelungen derartig nicht greifen. Ich werbe für unseren Antrag und hoffe, dass sich auch die Regierungskoalition dem anschließen kann. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Krückel. – Für die SPD-Fraktion hat der Herr Kollege Hübner das Wort.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht der fortgeschrittenen Uhrzeit, Herr Krückel, war das sehr dezidiert, was Sie da vorgetragen haben. Ich möchte vielleicht zwei Bemerkungen in aller gebotenen Kürze – selbstverständlich werden wir uns im Ausschuss mit dem Thema noch einmal auseinandersetzen müssen – machen.

„Feinschmeckerthema“ – da haben Sie sicherlich recht. Sie wissen allerdings auch, weil Sie sicherlich auch die Antworten der Landesregierung auf bestimmte Fragestellungen von der FDP-Fraktion zur Kenntnis nehmen, dass das „Feinschmeckerthema“ derzeit beim Finanzgericht in Münster zur Entscheidung vorliegt und dass in diesem Jahr noch eine Entscheidung erwartet wird.

Daraus folgt aus meiner Sicht sowohl für den Kommunalausschuss als auch für den Haushalts- und Finanzausschuss, wohin wir beides überweisen, dass wir das Thema soweit zurückstellen sollten, bis die Entscheidung letztlich getroffen ist, weil es aktuell keine Belastungen gibt, weil natürlich jeder Reisevermittler einen Antrag auf Nichtvollziehung stellen kann.

Von daher haben Sie recht mit dem „Feinschmeckerthema“. Nichtsdestotrotz wird es aktuell nicht vollzogen, wie das halt so ist, wenn es beim Finanzgericht vorgelegt wird.

Ich hoffe, dass der Verfahrensvorschlag angenommen wird – ich will mich auch noch einmal bedanken, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer auch gesagt haben, wir überweisen es an den Kommunalausschuss, weil Gewerbesteuer nicht ganz unmaßgebliche Einkommensquelle der Kommunen ist –, dass das eine entsprechende Bremsung bis dahin erfährt. Anschließend sollten wir uns dann mit den möglichen Auswirkungen in beiden Ausschüssen auseinandersetzen.

Ein Letztes, weil Sie die Auswirkungen als gigantisch groß dargestellt haben: Es gibt die interessante Situation, dass der Bundestag über einen eigenen Tourismusbranchen-Ausschuss verfügt. Ich habe mir im Vorhinein noch einmal angeguckt, wie viele Tagesordnungspunkte da in der Regel aufgerufen worden sind. Das waren nie ganz so viele Tagesordnungspunkte.

Ich glaube, dass der Bundestag, wenn er sich in diesem Lobbyausschuss mit der Thematik auseinandersetzen muss, auch noch einmal zu einer Entscheidung kommen muss und dass das nicht ausschließlich bei uns in Nordrhein-Westfalen und im Finanzministerium zu klären ist, sondern dass das auf Bundesebene zu klären ist. Das sollte zugegebenermaßen der Lobbyausschuss im Bundestag entsprechend bearbeiten. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann es bei diesem Tagesordnungspunkt kurz machen. Zur Historie: Wir alle haben vor einiger Zeit Zuschriften aus der Branche bekommen. Die Union nimmt solch ein Material natürlich dankbar an und gießt es sofort um in einen Antrag.

Dumm nur, dass es hierzu schon einmal eine Kleine Anfrage gab und eine ausführliche Stellungnahme der Landesregierung dazu, Drucksache 16/5942. Daraus geht klar hervor, dass die Landesregierung nicht etwas zurücknehmen kann, was sie selber nicht erlassen hat. Dazu gibt es eine bundesweit abgestimmte Verwaltungsauffassung. Diese wird gerade in einem Musterverfahren auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft. Der Ausgang ist abzuwarten.

Die Finanzämter in Nordrhein-Westfalen gewähren derzeit schon den betroffenen Reiseveranstaltern bei anhängigen Einspruchsverfahren auf Antrag eine Aussetzung auf Vollziehung, sodass für die Unternehmen keine finanziellen Nachteile zu erwarten sind.

Das ist mit Verweis auf die ausführliche Antwort eigentlich alles, was man dazu sagen kann. Dabei will ich es auch bewenden lassen. Alles Weitere im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Herzlichen Dank, Herr Präsident! Sehr verehrte Damen, meine Herren! Ungeachtet der Frage, dass ein Verfahren anhängig ist, steht es uns durchaus auch zu später Stunde nicht schlecht an, solch ein Thema noch einmal politisch zu würdigen.

Einige der größten Reiseveranstalter haben ihren Sitz in unserem Land. 15.000 Menschen sind bei Reisebüros und Reiseveranstaltern in NRW in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung tätig. Ich glaube, alleine diese Menschen verdienen es schon, dass wir uns mit dem Thema beschäftigen und dass wir ihnen eine Perspektive in ihren Betrieben bieten. Diese ist momentan nämlich in Gefahr.

Wir haben die Gewerbesteuerreform 2008 und vor allem die seit 2012 zunehmenden Einbeziehungen von Hotelzimmerbuchungen durch Reiseveranstalter in die Gewerbesteuerpflicht schon thematisiert. Dazu hatten wir eine Kleine Anfrage gestellt. Wir haben das Ganze auch in einer Fragestunde thematisiert.

Es handelt sich dabei unbestreitbar um Vorleistungen, die typischerweise nicht der Gewerbesteuerpflicht unterfallen sollten. Es drohen sogar rückwirkende Steuerbelastungen, die sich nach Branchenangaben auf über 1 Milliarde € summieren. Das würde definitiv eine Existenzgefährdung für viele Betriebe bedeuten und zusätzlich die Gefahr mit sich bringen, dass größere Unternehmen ihren Standort ins Ausland verlegen könnten.

Die Auswirkungen auf die Beschäftigten und die Wertschöpfung hier in Nordrhein-Westfalen wären damit, so denke ich, auch klar. Deswegen sage ich ganz klar: Es ist relativ erstaunlich, dass der Finanzminister – obwohl er seinerzeit in der Fragestunde und auch in der Beantwortung der Kleinen Anfrage deutlich gemacht hat, dass er im Gespräch mit der Branche steht, ebenso wie mit seinen Finanzministerkollegen – nicht darauf hingewirkt hat, dass Maßnahmen ergriffen werden, die für die Branche wirklich eine Perspektive bieten.

Ich halte deswegen den Antrag, der hier von der CDU-Fraktion vorgelegt wird, für richtig. Außerdem halte ich es für richtig, sich im parlamentarischen Verfahren mit dieser Fragestellung zu befassen, ungeachtet der Frage, ob die Sache gerichtsanhängig ist. Denn es ist eine prinzipielle Frage, die für die Sicherung der Reiseveranstalter, der Reisebüros und ihrer Beschäftigten hier in Nordrhein-Westfalen eine große Bedeutung hat. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Stream! Ich mache es heute relativ kurz und tue etwas vielleicht doch sehr Ungewöhnliches: Ich schließe mich im Wesentlichen den Ausführungen des Kollegen Hübner und insbesondere des Kollegen Abel an, zum einen, was die Perspektive hinsichtlich des finanzgerichtlichen Verfahrens angeht.

(Zuruf von den PIRATEN: Hört, hört!)

Zum anderen, Herr Kollege Bombis, haben Sie selbstverständlich recht: Das Wohl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb der Reisebranche muss man immer im Auge haben. Das werden die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Reisebranche auch tun.

Die gesetzliche Situation hat sich nicht ad hoc – also von heute auf morgen – ergeben, sondern die besteht schon seit Längerem. Ich denke, dass die Reisebranche schon vor einiger Zeit Vorkehrungen getroffen hat – unabhängig von Fragen der Aussetzung etc. – hinsichtlich etwaiger Steuerbelastungen, die dann auf sie zukommen, oder auch entsprechende Rücklagen gebildet hat.

Wir wissen alle – wie auch bereits erwähnt wurde –, dass es sich um einen Lobbyantrag handelt. Das muss man grundsätzlich nicht schlechtheißen. Ich freue mich selbstverständlich auf die Beratungen im Ausschuss, die möglicherweise ausgesetzt werden könnten, da vielleicht eine gerichtliche Entscheidung ergeht, die die Vorgaben des Gesetzgebers oder des Anwendungserlassgebers korrigiert. Von daher wird man sicher allen Interessen gerecht werden können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht der Minister Dr. Norbert Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte gerne ein paar politische Bemerkungen machen, allein schon deshalb, Herr Krückel, weil ich eines nicht gut finde: wenn Sie nämlich den Eindruck erwecken wollen, die Urheberschaft für das, was Sie vorgetragen haben, läge bei Ihnen.

In diesem Punkt lege ich schon großen Wert darauf, dass die Gespräche, die ich mit den Reiseveranstaltern geführt habe, sehr früh auch von den Reiseveranstaltern so verstanden worden sind, dass ich für ihre Argumentation ein großes Verständnis habe.

Wir haben heute schon einmal zu Ihrer Freude gesehen: Hin und wieder vertrete ich Positionen, für die es noch keine breite Mehrheit gibt, für die man noch arbeiten muss. Dazu stehe ich auch dann, wenn ich weiß, dass es diese Mehrheit noch nicht gibt, das Ganze aber meiner Überzeugung entspricht.

Das ist in diesem Fall auch so. Ich sehe einen Unterschied darin, ob jemand ein Auto in einer gemieteten Halle repariert, also die Halle nutzt, um darin einen Wert zu schöpfen, oder ob jemand etwas mietet, das er wieder vermietet, wobei der Mietgegenstand nicht die Hülle ist, sondern sozusagen der Umsatz.

Das ist für mich etwas anderes. Aus diesem Grund vertrete ich in der Tat die Auffassung – wie im Übrigen auch mein Kollege Wirtschaftsminister und der Bundeswirtschaftsminister –, dass man das anders sehen muss. Das wird nicht jedem Kommunalpolitiker gefallen. Der sagt möglicherweise: Da hätte ich aber noch eine Einnahme aus Gewerbesteuern.

Denen muss ich dann sagen: „Vorsicht!“, denn diese Unternehmen denken darüber nach, zumindest diesen Teil des Geschäfts anderswo hinzuverlagern, wo sie diese Steuer eben nicht bezahlen müssen.

Denn die Reisevermittler, also HRS, hotel.de und Ähnliche, machen das nicht. Diese mieten und vermieten nicht, sondern sie vermitteln. Das heißt, sie haben das Problem mit der Gewerbesteuer nicht.

Sie müssten also damit rechnen, dass sich dann Anpassungsprozesse ergeben, die letztendlich nicht zu der erhofften Steuer führen. – Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt ist, dass die Gespräche sowohl mit den Reiseanbietern als auch mit meinen möglichen Partnern unter den Finanzministerinnen und Finanzministern zu der Feststellung geführt haben, dass diese Regelung damals unter gleichzeitiger Absenkung der Körperschaftsteuer getroffen wurde. Es gab also nicht nur die Zusatzbelastung, sondern es gab auch eine erhebliche Entlastung. Es gibt einen damals gemeinsam von allen Ländern und vom Bund getragenen Erlass zur Auslegung dieser Regelung.

Damals haben die Argumente der Reiseveranstalter nicht überzeugen können. Jetzt ist ein Gerichtsverfahren anhängig. Das schafft hoffentlich Klarheit.

Aber eines muss man ganz klar sagen – und damit läuft dieser Antrag ins Leere –: Wir können nicht etwas aufheben, was hier nicht verabschiedet worden ist. Wir können den Erlass auch nicht anders auslegen. Das heißt, die hier gestellten Forderungen sind nicht erfüllbar.

Was die Zielrichtung angeht, so haben Sie mich auf Ihrer Seite, und ich weiß, dass das zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen auch innerhalb des Finanzministeriums und der Finanzministerien der Länder insgesamt führt. Aber hier mache ich aus einem Herzen genauso wenig eine Mördergrube, wie ich es heute beim Thema „Bargeld“ gemacht habe. Mit dem einen können Sie besser leben, mit dem anderen schlechter. Das ist nun einmal so. Ich kann mit beiden gut leben, weil es meine Überzeugungen sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich inzwischen darauf verständigt, den Antrag Drucksache 16/9579 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk zu überweisen. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

12       Leistungsfähigkeit der deutschen Game Development Branche

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9430 – Neudruck

Eine Aussprache heute ist nicht vorgesehen.

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich inzwischen darauf verständigt, den Antrag Drucksache 16/9430Neudruck – an den Ausschuss für Kultur und Medien – federführend – sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Mittelstand und Handwerk mit der Maßgabe zu überweisen, dass Beratung und Abstimmung über den Antrag im Plenum erst nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen.

Wir kommen somit unmittelbar zur Abstimmung. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

13       Internetanschlüsse müssen halten, was sie versprechen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/9592

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Piraten Frau Kollegin Brand das Wort.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir sind jetzt fast am Ende dieses ersten Plenartages, den wir mit einer Gedenkstunde für Dr. Wilhelm Lenz begonnen haben. Ich habe wahrgenommen, dass ihm drei Sachen, die er vorangetrieben hat, besonders wichtig waren, und eine davon war Transparenz. Und so schließen wir den Kreis fast am Ende dieses Tages; denn auch in unserem Antrag geht es um Transparenz.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Sie sind ja eine Philosophin, Frau Kollegin!)

Wir leben mitten in der digitalen Revolution. Kommunikation, Information, Arbeitsleben – alles dreht sich um die digitale Entwicklung, und da ist die Teilhabe eines jeden Menschen umso wichtiger. Ich sage ganz bewusst Revolution und nicht Wandel; denn Wandel impliziert etwas Behäbiges.

Matthi Bolte sprach vorhin von dem NGA, dem Next Generation Access. Dabei impliziert generation die nächste Generation. Alle paar Jahrzehnte ändert sich die Entwicklung. Wenn wir die rasante Entwicklung bei der Digitalisierung betrachten, müssten wir eigentlich vom NHA sprechen, nämlich vom Next Haircut Access; denn so schnell geht es bzw. wird es weitergehen.

Umso schlimmer ist es, dass die Landesregierung jetzt den Plan hat, das Netz bis 2018 auf 50 Mbit/s auszubauen. Untersuchungen zeigen, dass wir dann schon viel, viel weiter sind, dass wir mindestens 120 Mbit/s brauchen. Umso schlimmer ist es, dass Straßen aufgerissen und wieder zugeschüttet werden, ohne gleichzeitig Leerrohre zu verlegen. Umso schlimmer ist es, dass die Menschen zunehmend Angst haben, wer alles zuhört und mitliest, wenn sie sich im Internet bewegen, um sich zu informieren. Schließlich soll die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt werden – zwar nur bis zum nächsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, aber immerhin.

(Beifall von den PIRATEN)

Insgesamt fehlt einmal wieder Proaktivität. Es wird wieder nur reagiert. Wir hecheln der Entwicklung mit unseren Maßnahmen hinterher.

Noch etwas kommt hinzu, als ob nicht schon das reichen würde: Die Anbieter führen die Verbraucher mit dem in die Irre, was sie ihnen versprechen.

(Minister Johannes Remmel: Das hat einen langen Anlauf gebraucht!)

Nehmen wir die Stadt „Neuland City“. Da gibt es ein kleines Gebiet im Südwesten und noch ein kleines Gebiet im Nordosten, und da können die Anbieter tatsächlich 12 Mbit/s anbieten. Also steht in allen Verträgen, die sie in dieser Stadt anbieten: bis zu 12 Mbit/s. – Die Leute sagen: Hey, super! Ich freue mich. Den Vertrag schließe ich doch ab.

Was wirklich bei den Kunden ankommt, ist viel weniger. Und was eine Speed-Prüfung angeht, so muss man bei dieser auch noch schauen, welche Geräte verwendet werden; schließlich erfolgt die Prüfung nicht direkt an der Dose. Wenn eine vierköpfige Familie dann statt der 12 Mbit/s nur 9 Mbit/s zur Verfügung hat und der Mann nachmittags die Kochrezepte fürs Abendbrot, die Frau E-Mails liest, die Tochter vielleicht auf YouTube unterwegs ist und der Sohnemann noch eine halbe Stunde spielen will, dann ist Ende im Gelände. Dann ist Schicht im Schacht. Dann ist nichts mehr mit Internetzugang für alle vier; sie müssen sich dann nämlich abwechseln.

Die Digitalisierung ist in vollem Gange. Wie wir sehen und ich gerade kurz aufgeführt habe: Es gibt viele, viele Baustellen, die angegangen werden müssen, um wirklich alle Menschen mitzunehmen.

Dieser Antrag bearbeitet zumindest eine Baustelle, nämlich dass die Menschen sich für die Leistungen entscheiden können, die sie wirklich wollen. Dazu brauchen sie Transparenz bezüglich der Dienstqualität, die sie tatsächlich bekommen. Sie brauchen Rechte, Kündigungsrechte und mehr Schutz beim Abschluss der Verträge. Wenn das gegeben ist, haben wir auch wieder einen echten Wettbewerb zwischen den Anbietern, die mal klare Fakten darlegen müssen. Was ist das richtige Angebot? Was gebe ich den Kunden wirklich? Der Kunde kann dann Angebot A oder Angebot B wählen, sodass er „sein teuer“ Geld, das er jeden Monat dafür bezahlt, auch richtig anlegt.

Mit dieser Initiative auf Bundesebene betreten Sie übrigens kein Neuland bei der Bundesregierung. Wie wir vermehrt gehört haben, liegt ein entsprechender Transparenzentwurf seit Anfang 2014 in den Schubladen der Bundesregierung und wartet nur darauf, wachgeküsst zu werden. Dementsprechend bitte ich Sie, diesem Antrag zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Blask.

Inge Blask (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dem Titel des heute hier debattierten Antrags „Internetanschlüsse müssen halten, was sie versprechen!“ ist durchaus inhaltlich zuzustimmen.

Allerdings ist Ihr Antrag von vornherein überholt, denn die Forderung, dass sich die Landesregierung für eine transparente und realistische Darstellung der Bandbreiten von Internetverbindungen einsetzen soll, ist nicht neu. Denn gemeinsam mit anderen Bundesländern hat sich die Landesregierung in der Vergangenheit bereits gegenüber der Bundesregierung für die Verbesserung der Transparenz bei Internetanschlüssen eingesetzt.

So hat die Verbraucherschutzministerkonferenz mit der Stimme von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2014 einen Beschluss gefasst, der die von der Bundesnetzagentur initiierte Transparenzverordnung unterstützt. Hierdurch sollen einerseits einheitliche und verbindliche Vorgaben für die Internetanbieter sowie andererseits transparente, vergleichbare, ausreichende und aktuelle Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher in verständlicher Form eingeführt werden.

In dem Eckpunktepapier der Länder wird auch gefordert, dass es ein anbieterunabhängiges und objektives Tool zur Messung der tatsächlichen Leistungen geben soll, sodass auch ein Sonderkündigungsrecht für Verbraucher verankert werden soll, wenn die tatsächliche Datenübertragungsrate regelmäßig von der ausgelobten bzw. vereinbarten abweichen sollte.

Diese Punkte des Eckpunktepapiers sowie die Forderungen der Verbraucherschutzministerkonferenz würden für die Verbraucher ein deutliches Plus an Transparenz bedeuten.

Auch wenn sich die dazugehörige Telekommunikationstransparenzverordnung aktuell leider immer noch in der Ressortabstimmung befindet, sehen Sie, liebe Piraten, dass das Land Nordrhein-Westfalen hier bereits aktiv war und auch weiterhin ist und Ihr Antrag damit überholt ist.

Die SPD-Landtagsfraktion wird Ihren Antrag daher ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Blask. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Stein.

Robert Stein (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer auf der Tribüne und im Stream! Die CDU-Landtagsfraktion begrüßt den vorliegenden Antrag ausdrücklich und wird ihm auch zustimmen.

Die von den Piraten im vorliegenden Antrag angemahnte Transparenzverordnung, die die Bundesnetzagentur im Entwurf im Frühjahr 2014 dem Bundeswirtschaftsministerium weitergeleitet hat, soll nicht nur die Leistungsfähigkeit von Internetanschlüssen transparent machen, sondern nach dem Vorschlag der Bundesnetzagentur auch den sogenannten Routerzwang abschaffen. Zukünftig soll der Endkunde gegenüber seinem Anbieter nicht nur einen Informationsanspruch über die reale Geschwindigkeit seiner Leitung, sondern auch einen Informationsanspruch hinsichtlich der Zugangserkennung und der notwendigen Passwörter erhalten, um einen Router seiner Wahl für den eigenen Gebrauch anzuschließen und somit alle im Markt angebotenen Dienste direkt benutzen zu können. Der Markt soll also gestärkt werden.

Feststellbar ist, dass CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag 2013 vereinbart haben, den Routerzwang abzuschaffen. Das ist auf Seite 35 des Koalitionsvertrags konkret nachzulesen. Wir bedauern sehr, dass SPD-Wirtschaftsminister Gabriel hier immer noch blockiert und seit über einem Jahr die fertige Transparenzverordnung zurückhält anstatt den Koalitionsvertrag im Bund umzusetzen.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Ich halte fest: Während also Paternosterfahren per Verordnung von Frau Nahles untersagt wird, wird Transparenz aus dem SPD-geführten Bundeswirtschaftsministerium heraus blockiert. Umso wichtiger wäre es, wenn sich eine Landesregierung, wenn sich diese Ministerpräsidentin Kraft bei ihrem Parteivorsitzenden für den Erlass dieser Verordnung einsetzen würde. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist in der Tat ein ebenso bekanntes wie ärgerliches Problem, das die Piratenfraktion in ihrem Antrag aufgreift. Diese Bis-zu-Tarife sind für viele Kunden und Kundinnen zu Recht ein Ärgernis.

In diesem ganzen Bereich „wirtschaftlicher Verbraucherschutz im digitalen Rahmen“ ist es durchaus sinnvoll, sich zunächst auch einmal die Rolle der Beratungsangebote, die wir im Land haben, zu vergegenwärtigen, bevor wir auf die konkreten politischen Maßnahmen der letzten Jahre eingehen.

Da will ich einfach noch einmal hervorheben, welche wichtige Funktion den landesgeförderten Verbraucherzentralen da zukommt. Erinnern Sie sich an die Antwort auf die Große Anfrage meiner Fraktion zum digitalen Verbraucherschutz im letzten Jahr! Das waren beeindruckende Zahlen: 360.000 Beratungen, 40 % davon zur Telekommunikation. Ich glaube, das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir in einem digitalisierten Marktumfeld starke Beratungsinstitutionen haben. Diese Arbeit sollten wir anerkennen und auch noch einmal hervorheben, wie wichtig es war, dass wir mit der rot-grünen Landesregierung diesen wichtigen Player ausgebaut und gestärkt haben.

Sie haben in Ihrem Antrag, liebe Kollegin Brand, Transparenz über die tatsächlichen Übertragungskapazitäten angesprochen. Es geht in dieser Gesamtdiskussion natürlich auch um das Thema „Übertragungsvolumina“. Stichwort: Wo Flatrate draufsteht, muss auch Flatrate drin sein.

Auch insofern gibt es über die vergangenen Jahre genügend intensive Aktivitäten der Verbraucherschutzministerinnen und -minister aus den Ländern. Der Vorsitzende der Fachministerkonferenz ist erst heute wieder mit diesem Thema an die Öffentlichkeit gegangen. Trotz der zahlreichen Versuche, trotz der zahlreichen Initiativen aus den Fachministerkonferenzen hat der Bundesjustizminister hier bisher nicht im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher gehandelt, auch wenn das dringend erforderlich wäre.

Zu dem eigentlichen Anliegen kann ich mich der Kollegin Blask gern anschließen. Die hat es schon hervorgehoben: zehnte Verbraucherschutzministerkonferenz am 16. Mai 2014 in Rostock-Warne-münde, Tagesordnungspunkt 32. Im Sammelband der Beschlüsse finden Sie das auf den Seiten 50 und 51 von 91 Seiten. Da steht im Grunde genommen alles drin, was Sie in Ihrem Antrag fordern: aktuelle Informationen, Produktinformationsblatt, Download- und Upload-Rate sowie Paketlaufzeit, Messtools und Sonderkündigungsrecht.

(Simone Brand [PIRATEN]: Seit 2014?)

– Ich kann Ihnen den Beschluss gern zur Verfügung stellen. Dieser Beschluss ist in vier von sechs Ziffern einstimmig, in zwei Ziffern mit deutlicher 13:3:0-Mehrheit gefasst worden. Sie haben ein durchaus wichtiges relevantes Thema aufgegriffen, aber Ihr Antrag kommt einfach anderthalb Jahre zu spät. Er ist nicht mehr aktuell. Die Landesregierung hat die Initiative ergriffen, zu der die Piratenfraktion sie heute auffordern möchte. Damit ist der Antrag aus unserer Sicht obsolet. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Simone Brand [PIRATEN])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn meines Wortbeitrags möchte ich auf eine Sache eingehen, von der ich glaube, dass man das einmal als Parlamentarier sagen muss.

Wir haben heute Morgen eine wichtige Debatte erlebt, in der die Ministerpräsidentin minutenlang überzogen hat. Jetzt geht es um einen Antrag zur Digitalisierung, also einem Thema, welches die Ministerpräsidentin Anfang des Jahres zu einem Megathema erklärt hat.

(Theo Kruse [CDU]: Wohl wahr!)

Wieder einmal glänzt diese Regierung durch pure Abwesenheit.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Dieser Ministerpräsidentin

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

ist es wichtiger,

(Weitere Zurufe)

unten beim Kuchenanschnitt zu sein oder ein Foto mit dem „Express“ zu machen, als den parlamentarischen Debatten zu folgen.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Ich könnte noch weitermachen. – Hauptsache überziehen und der Opposition Sendezeit klauen! So sieht das aus.

(Zuruf von Marc Olejak [PIRATEN])

Es ist so schön, dass Sie sich aufregen. Die Regierung kann sich nicht einmal aufregen. Bis auf einen Minister ist doch gar keiner mehr hier vertreten.

(Minister Johannes Remmel: Der zuständige Minister reicht doch!)

Ich glaube, man sollte einmal darüber nachdenken, ob diese Regierung überhaupt… Die ist hier zu Gast. Dann sollte sie sich auch mit Respekt gegenüber dem Parlament benehmen. Ich finde das ungeheuerlich. Ungeheuerlich ist das.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, das dürfen Sie gern an die Kollegen weitergeben.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist Ihre Wertschätzung!)

– Genau. Es hat etwas mit Wertschätzung zu tun, dass eine Regierung dem Parlament auch folgt und hier während der Debatten anwesend ist.

(Weitere Zurufe)

– Es ist hochinteressant. Es ist das Haus der Parlamentarier.

Lassen Sie mich …

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Ich würde es ihnen auch sagen, wenn sie da sind, aber sie sind ja nicht da.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, es war mir wichtig, als Parlamentarier diese Bemerkung zu machen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Buh!)

– So sieht es aber aus. Ich möchte jetzt zu dem Sachthema übergehen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE] – Minister Johannes Remmel: Wenn der Inhalt dünn ist, dann muss man so etwas sagen! – Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren!

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Marcel Hafke (FDP): Danke sehr, Herr Präsident. – Bei der digitalen Entwicklung

(Weitere Zurufe)

spielt Nordrhein-Westfalen …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Direkt ins Parlament!)

– Es ist hochinteressant.

(Weitere Zurufe)

Ich vergesse jetzt einmal diese inhaltliche Debatte, weil wir gleich sowieso eine direkte Abstimmung dazu haben. – Wissen Sie, was das große Problem ist?

(Zuruf: Ja klar!)

Sie meinen, die ganze Zeit immer irgendwem Belehrungen zu erteilen. Es kann doch einmal das gute Recht eines Abgeordneten sein, zu sagen, was man richtig und was man falsch findet. Ich finde das respektlos, was diese Regierung macht.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Im Haus der Demokratie kann man das doch einmal ansprechen, oder?

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Sie müssen doch einmal zuhören und es akzeptieren, wenn man das zur Aussprache bringt.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

So etwas ist doch unmöglich.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Entschuldigen Sie. Man darf das doch mal …

(Weitere Zurufe)

– Entschuldigen Sie. Das ist das Haus der Abgeordneten; die Regierung ist hier zu Gast.

(Weitere Zurufe)

Die Regierung hat heute Morgen massiv überzogen. Wir hängen zwei Stunden in der Zeit hinterher, und die Ministerpräsidentin hat nichts Wichtigeres zu tun, als beim „Express“ aufs Bild zu kommen. Das ist das Wichtigste für die Ministerpräsidentin, oder was?

(Marc Herter [SPD]: Das geht auf Ihre Redezeit! – Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, ich will nicht dem Beispiel der Ministerpräsidentin folgen.

(Weitere Zurufe)

– Ja. Deswegen probiere ich schon seit drei Minuten, darauf einzugehen. Ich möchte mit zwei Sätzen auf den Antrag der Piraten eingehen und dazu inhaltlich etwas sagen.

(Weitere Zurufe)

Ich finde das inhaltliche Anliegen berechtigt, dass wir über die Digitalisierung, den Breitbandausbau und die Zugriffsmöglichkeiten auf das Internet sprechen. Ich glaube, dass in dem Antrag wichtige Punkte beschrieben werden, die wir eigentlich im Ausschuss besprechen sollten. Ich finde es etwas schade, dass wir heute Abend eine direkte Abstimmung dazu haben.

Das, was wir allerdings in Nordrhein-Westfalen erleben, ist im Bereich der Digitalisierung nicht der Fortschritt, den wir uns wünschen würden, sondern wir wünschen uns hier eine etwas deutlichere Dynamik. Das habe ich heute Mittag schon zum Ausdruck gebracht.

Mit dem Antrag haben wir allerdings insgesamt drei Probleme, und dazu möchte ich Anmerkungen machen.

Erstens. Meines Erachtens ergibt sich aktuell, wenn man objektiven Bewertungen folgt, in der Branche ein gar nicht so schlechtes Bild, wenn man insbesondere die Untersuchung von Stiftung Warentest anschaut.

Zweitens hängt die tatsächliche Geschwindigkeit eines Anschlusses natürlich auch stark von Faktoren ab, die der Anbieter nicht verantworten kann. So ist der Zugriff auf einen Hausanschluss zu Stoßzeiten wie am Sonntagabend nun einmal intensiver als zu anderen Zeiten.

Drittens möchte ich vor allem betonen, was ich eben bereits erwähnt hatte. Wir sollten Nordrhein-Westfalen endlich digital nach vorn bringen. Dafür brauchen wir die Mithilfe aller Beteiligten. Dies gilt auch für die Wirtschaft, und im Speziellen für Internetzugangsanbieter – trotz der geradezu pathologischen Abneigung der Piraten diesen gegenüber.

Es ist ja nicht so, dass die deutsche und insbesondere die nordrhein-westfälische Wirtschaft grundsätzlich an zu wenig Regulierung oder Bürokratie leiden. Der Vorschlag, den Sie eingebracht haben, führt aber zu mehr Bürokratie und im Umkehrschluss der Nutzen ist zu gering.

Wir würden eigentlich ganz gerne mit Ihnen im Ausschuss noch darüber diskutieren. Das ist jetzt leider nicht möglich. Deswegen werden wir uns bei dem Antrag enthalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Hafke, was die Wertschätzung angeht, ist das vielleicht gerade etwas untergegangen. Ich will das für das Protokoll klarstellen: Ich sehe jedenfalls bei den Regierungsfraktionen jeweils die Fraktionsvorsitzenden vertreten und eine erkleckliche Zahl von Fraktionsmitgliedern. Das drückt meines Erachtens keine mangelnde Wertschätzung aus. Das sieht in Ihren Fraktionen nicht ganz so taff aus.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Hafke, für die Landesregierung fühle ich mich da nicht wertgeschätzt, weil ich der zuständige Minister bin. Ich bin da, und mit mir können Sie alles diskutieren, was Sie auch mit der Ministerpräsidentin gerne diskutiert hätten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich kenne Ihre Not. Wenn man inhaltlich dünn unterwegs ist, greift man zu solchen Mitteln. Dann muss man die gesamte Redezeit mit einem solchen Klamauk füllen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Im Kern – und darum würde ich gerne streiten wollen – geht es natürlich auch um die Frage der Digitalisierung.

Aber es ist in erster Linie ein Verbraucherschutzthema. Es geht um die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher im Internet. Da gilt das, was für alle Marktsegmente gilt, hier ganz besonders: Das, was versprochen wird, muss auch gehalten werden. Wenn da draufsteht „bis zu“, dann bedeutet das, dass es überprüfbar sein muss und auch eingehalten wird.

Genau das ist das Problem. Es gibt keine Rechte für Verbraucher, das einzuklagen, beispielsweise durch ein Sonderkündigungsrecht. Wir haben keine Überprüfungsmechanismen zum Beispiel dadurch, dass wir mit einem Tool klären könnten, welche Geschwindigkeit wirklich erreicht wird. Es fehlt auch eine entsprechende Rechtsgrundlage.

Aber da braucht die Landesregierung nicht wachgeküsst zu werden, da braucht Nordrhein-Westfalen nicht wachgeküsst zu werden. Wir haben im Jahr 2014 in der entsprechenden Fachministerkonferenz mit großer Einmütigkeit dies vom Bund gefordert. Der Ball liegt ganz klar im Feld der Bundesregierung. Hier muss gehandelt werden. Das haben meines Erachtens die Rednerinnen und Redner schon deutlich gemacht. Für die entsprechende Unterstützung bin ich auch dankbar.

Herr Stein, es mag ja richtig sein, den Koalitionsvertrag der Bundesregierung zu zitieren. Ich will etwas Wasser in den Wein dieses Vertrages gießen: Denn das eine ist, das im Vertrag zu regeln. Das andere ist, dann auch die administrativen Strukturen zu schaffen und den Verbraucherschutz zu stärken.

Da muss ich leider feststellen, dass auf Bundesebene, aus welchen Gründen auch immer, der Verbraucherschutz nicht gestärkt worden ist. Er ist auf unterschiedliche Ministerien verteilt worden. Und das führt genau dazu, dass wir dieses Hick-Hack heute haben. Da sind dann teilweise der Landwirtschaftsminister, der Justizminister und der Wirtschaftsminister zuständig. Das muss geändert werden. Es wäre schön, wenn Sie sich dafür einsetzten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen somit zur Abstimmung.

Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/9592. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/9592 mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktionen der Piraten und der CDU bei Enthaltung der FDP abgelehnt.

Ich rufe auf:

14       Zweites Gesetz zur Änderung des Meldegesetzes NRW

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8934 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/9601

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Körfges das Wort.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir gerade ein Szenario hatten, bei dem der Aufregungspegel negativ proportional zur Anwesenheit der beiden Oppositionsfraktionen auf dieser Seite war, hoffe ich, dass wir bei diesem Tagesordnungspunkt, auch wenn die Reihen immer noch recht gelichtet sind, uns alle der gehörigen Wertschätzung erfreuen dürfen, insbesondere weil der zuständige Fachminister und einige Kabinettskolleginnen und -kollegen anwesend sind.

(Beifall von der SPD)

Ich will auch die Gelegenheit nutzen – ich habe hier jetzt auch nur so ein dürres Thema, zu dem zwei Sätze ausreichen würden –, mit einer umfänglichen Einleitung vom eigentlichen, relativ streitfreien Thema weitestgehend abzulenken, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Im Übrigen weise ich darauf hin, dass das Bundesmeldegesetz das Melderecht in Deutschland harmonisiert und fortentwickelt hat, dass der Bund mit der Föderalismusreform die zugewiesene ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Meldewesen wahrgenommen hat und wir jetzt unserem gesetzgeberischen Auftrag nachkommen.

Ich finde, das ist etwas, was uns inhaltlich als Landtag in Nordrhein-Westfalen hervorragend positioniert, insbesondere weil der auch von uns hochgeschätzte Datenschutzbeauftragte des Landes, der LDI, bei der Anhörung sehr deutlich gemacht hat, dass er keinerlei Bedenken hat – auch wenn das einige hier im Hohen Haus nicht so recht mitbekommen haben –, weil die Bedenken derjenigen, die bei den kommunalen Spitzenverbände eine finanziell zu starke Belastung gemutmaßt haben, zwischenzeitlich ausgeräumt sind und weil wir eine Reihe von Dingen, die wir organisatorisch besser machen können, mit diesem Meldegesetz ändern können.

Damit will ich beinahe schließen, nicht ohne mir den ketzerischen Hinweis zu erlauben, dass Rot-Grün seinerzeit Schlimmstes bei der Meldegesetzgebung dadurch verhindert hat, dass wir einen unseligen – daran waren leider Schwarz und Gelb beteiligt – Entwurf aufgehalten haben, der nämlich dazu geführt hätte, dass private Meldedaten zum Gegenstand privatwirtschaftlicher Spekulationen geworden wären. Darauf sind wir heute noch stolz.

Den zur Entscheidung vorliegenden Gesetzentwurf werden wir nicht nur erfreut zur Kenntnis nehmen, sondern auch mit der gehörigen Wertschätzung über ihn abstimmen. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kruse.

Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, es richtig, was Herr Kollege Körfges vorgetragen hat. Das Meldewesen unterliegt seit der Föderalismusreform Stufe 1 von 2006 nicht mehr der Rahmengesetzgebung, sondern der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes. Von daher unterstützen wir dem Grunde nach, dass auch das Land Nordrhein-Westfalen hier eine Anpassung vornimmt.

Allerdings, Herr Kollege Körfges: Aus unserer Sicht waren die Bedenken auch in der vergangenen Woche am Donnerstag im Innenausschuss noch nicht gänzlich ausgeräumt – Sie hören im Moment zwar nicht zu, sondern unterhalten sich mit Ihrem Hintermann –, nämlich die Bedenken der kommunalen Spitzenverbände, wer am Ende aller Tage die Kosten trägt. Aus Sicht der CDU-Fraktion steht im Gesetzentwurf nichts dazu, ob und wie der den Kommunen entstehende Mehraufwand kompensiert werden soll.

Deswegen stimmen wir dem Gesetzentwurf dem Grunde nach zwar zu, aber da diese Kostenfolgeregelung nicht vorgenommen worden ist, müssen wir uns als CDU-Fraktion bei diesem Gesetzentwurf der Stimme enthalten.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Für die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrter Herr Minister Jäger! Verehrte Frau Ministerin Schäfer! Herr Fraktionsvorsitzender Mostofizadeh! Lieber Fraktionsvorsitzender Römer! Ich glaube, dieses Meldegesetz debattieren wir heute zwar leider zu etwas späterer Stunde, aber seitens der regierungstragenden Fraktionen und seitens der Landesregierung vor einem gut repräsentierten Publikum.

Es gibt nicht viele Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Freude am Melderecht haben. Ich zähle mich allerdings dazu. Insofern möchte ich trotz der fortgeschrittenen Stunde die Gelegenheit nutzen, einen kurzen Blick darauf zu werfen, warum das Meldegesetz Nordrhein-Westfalen jetzt so wird, wie die Landesregierung es vorschlägt und wie es der Innenausschuss bereits am vergangenen Donnerstag beschlossen hat.

Seit der Föderalismusreform liegt die Zuständigkeit für das Meldewesen ausschließlich beim Bund. Der Bund ist dieser Zuständigkeit im Sommer 2012 nachgekommen. Viele erinnern sich an die Fußballeuropameisterschaft. Im Deutschen Bundestag wurde mit den Stimmen von CDU und FDP ein Meldegesetz beschlossen, das auf der Zielgerade noch geändert wurde. Aus Opt-in für die Weitergabe von Meldedaten an Adresshändler wurde Opt-out. Statt aktiv die Einwilligung für die Weitergabe zu erteilen, hätten die Bürgerinnen und Bürger also aktiv widersprechen sollen.

Die Kritik war damals deutlich an diesem Gesetz, das CDU und FDP beschlossen haben. Thilo Weichert, damals Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein, warnte vor gravierenden Konsequenzen für die betroffenen Bürger und die Kommunen mit ihren Meldebehörden, während lediglich Auskunfteien und Adresshändler von diesem neuen Gesetz profitieren würden. Der LDI NRW kritisierte, das neue Meldegesetz bedeute eine Abkehr vom Recht der informationellen Selbstbestimmung. Die damalige EU-Justizkommissarin Reding sprach – Zitat – von einem Ausverkauf des Datenschutzes.

Wir als rot-grüne Koalition im Land wie auch die rot-grünen Koalitionen in den anderen Ländern haben damals klar versprochen, wir werden unsere Möglichkeiten im Bundesrat nutzen, damit das Gesetz in der von CDU und FDP beschlossenen Fassung, in dieser den Datenschutz ausverkaufenden Fassung, nicht in Kraft tritt. Dieses Versprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir gehalten, und zwar mit dem großen Aufriss: Vermittlungsverfahren, lange Verhandlungen und großer koordinierter Einsatz für die informationelle Selbstbestimmung. An dieser Stelle möchte ich gern dem Haus einmal danken.

Was steckt im Landesrecht? – Im Wesentlichen die Übertragung des Bundesrechts. Aber wir haben auch unsere Spielräume im Sinne des Datenschutzes genutzt, wo wir landesrechtliche Spielräume haben. Ein Beispiel ist etwa die enge Fassung der Modalitäten für die Datenübermittlung an Religionsgemeinschaften.

Der Datenschutzbeauftragte hat im Anhörungsverfahren keine Bedenken formuliert. Die Bedenken der kommunalen Spitzenverbände konnten aus meiner Sicht in der Ausschussdebatte gut aufgeklärt werden. Der vorausgefüllte Meldeschein wird für die Kommunen Entlastungen bringen. Zugleich kann man schwerlich davon ausgehen, dass alle 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen einen ähnlichen Aufwand haben werden wie die ins Feld geführte Landeshauptstadt. Insofern gehen wir auch hier fair mit der kommunalen Familie um.

In diesem Sinne bitte ich Sie alle um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einiges ist schon angesprochen worden. Daher will ich es auch zu dieser fortgeschrittenen Stunde etwas kürzer machen.

Der angehörte Landesdatenschutzbeauftragte hat gegen den Gesetzentwurf keine datenschutzrechtlichen Bedenken erhoben; auch die von den kommunalen Spitzenverbänden erhobenen fiskalischen Bedenken haben wir diskutiert und erörtert.

Ich will aber einen anderen Punkt anführen. Ich meine, wenn man nach dem Meldegesetz so umfangreich Daten der Bürger erfasst und verarbeitet, muss dieses auch Lücken für Kriminelle schließen. Es gibt derzeit die Problematik, dass Bewohner plötzlich aufgrund der einstigen Abschaffung der Vermieterbestätigung feststellen mussten, dass an ihrer Adresse ohne ihr Wissen vielleicht sechs oder sieben andere Personen gemeldet waren, etwa um Pakete bei Versandhändlern zu bestellen, dorthin liefern zu lassen und abzufangen. Geschädigte waren am Ende dann die Unternehmen.

Eine falsche Wohnadresse im Personalausweis ist zudem ein Freifahrtschein gegenüber polizeilichen Maßnahmen, wo ein Festhalten zur Identitätsfeststellung etwa nach Begehung einer Straftat auf zwölf Stunden begrenzt ist.

Polizeiexperten in diesem Land beklagen, dass sich reisende Täter mittlerweile gezielt über Strohleute konspirative Wohnungen in NRW besorgen und als Wohnsitz ausweisen, um bei Verhaftungen den Haftgrund der Fluchtgefahr zu vereiteln. Damit haben sie bislang ganz guten Erfolg. Offenbar sind sie indes später bei dem geplanten Prozessbeginn auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann ein Rechtsstaat nicht akzeptieren. Insofern wären inhaltliche Nachbesserungen wünschenswert gewesen, die solchen Missbrauch verhindern. Wir sehen insgesamt einen akzeptablen, aber nicht gänzlich ohne Kritik behafteten Entwurf. Als FDP-Fraktion werden wir uns enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Lürbke. – Nun spricht Herr Herrmann für die Piratenfraktion.

Frank Herrmann (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause am Stream! Herr Körfges, ein bisschen Wasser muss ich schon in den Wein gießen. Es ist richtig, dass mit dem heute vorliegenden Zweiten Gesetz zur Änderung des Meldegesetzes NRW das Melderecht in NRW an bundesgesetzliche Vorgaben angepasst wird.

Es handelt sich dabei um ein weiteres mit der heißen Nadel gestricktes Gesetz der Landesregierung. Verspätet und kurz bevor die Umsetzungsfrist abläuft, hat die Landesregierung diesen Entwurf eingebracht. Dabei hat sie noch nicht einmal die weiteren Kosten für die Kommunen ausreichend berücksichtigt. Herr Kruse, ich stimme mit Ihrer Kritik überein. Ich bin gespannt, was im weiteren Verfahren von den Kommunen noch angemeldet wird.

Aber nicht nur die Form des Gesetzes bringt Probleme, sondern auch der Inhalt. In dem Volkszählungsurteil aus dem Jahr 1983 hat das Bundesverfassungsgericht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung postuliert und eine Ordnungsnummer für alle Menschen im Land ausdrücklich verboten. Ein zentrales Melderegister hat es daher bisher nicht gegeben.

Mit der im Rahmen der Föderalismusreform auf den Bund übergegangenen Kompetenz im Bereich des Meldewesens haben die Bundesregierung und die Mehrheit im Bundestag einen sehr kreativen Weg eingeschlagen, um dieses Verbot zu unterlaufen.

Anstatt ein offen verfassungswidriges zentrales Melderegister einzuführen, werden die bisher dezentralen Melderegister miteinander vernetzt. Durch die Vernetzung entsteht ein virtuelles zentrales Melderegister. Sie können noch so oft sagen wie Sie wollen, dass dezentral Daten gespeichert werden. Unter dem Strich bleibt es das Gleiche. Durch die Möglichkeit der zentralen Abfrage entsteht ein zentrales Melderegister!

Als ob eine zentrale Datenbank nicht schon schlimm genug wäre, ergänzt dieses rot-grüne Meldegesetz auch die vom Bund vorgesehenen Informationen und erlaubt, noch weitere zusätzliche Daten zu speichern. Weitere Daten aber sind, wie man an dem Vorgehen der anderen Bundesländer sehen kann, gar nicht erforderlich.

Neben den zusätzlichen Daten bleiben aber auch zukünftige Datenweitergaben unbestimmt. Anstatt die zulässigen Weitergaben abschließend im Gesetz zu regeln, soll diese Regelungskompetenz an das Innenministerium delegiert werden. Das Innenministerium soll per Verordnung festlegen dürfen, an wen und unter welchen Bedingungen Meldedaten an Dritte weitergegeben werden. Das ist uns Piraten zu unbestimmt, Herr Minister. Wesentliche Regelungen wie diese müssen im Gesetz verankert sein!

Wenn man sich das einmal technisch anschaut, sollen Meldedaten jederzeit über das Internet abgerufen werden können. Das heißt, die Meldedaten werden auf Webservern gespeichert, die nicht in einem sicheren Intranet stehen, sondern im Internet. Sie werden so den alltäglichen Angriffen von Kriminellen ausgesetzt. Es braucht daher nicht viel Vorstellungskraft, was dies für die Sicherheit der Meldedaten bedeutet, wenn der nächste Heartbleed-Bug entdeckt wird.

Für uns bleibt festzuhalten: Es werden mehr Daten gespeichert als notwendig. Es wird ein vernetztes, zentrales Melderegister gebildet. Die Datensicherheit der Meldedaten ist gefährdet. Damit ist für uns Piraten klar, dass wir dieses Gesetz ablehnen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Das zukünftige Bundesmeldegesetz ändert zum November die Rechtslage. Demzufolge haben wir Ihnen die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderungen unterbreitet. Alles Weitere ist eigentlich in den Debatten erörtert worden. Ich danke dem Ausschuss für die zügige Beratung. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Wir kommen zur Abstimmung.

Der Innenausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/9601, den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/8934 – Neudruck – unverändert anzunehmen. Wir kommen deshalb nicht zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung, sondern über den Gesetzentwurf Drucksache 16/8934 – Neudruck – selbst. Wer stimmt diesem zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion der Piraten. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung von CDU und FDP ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/8934 - Neudruck - gegen die Stimmen der Piraten mit Mehrheit von Rot-Grün unverändert angenommen und in zweiter Lesung verabschiedet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt kommt eine Lesestunde. Das ist das Paket.

(Vizepräsident Oliver Keymis hält Unterlagen in die Höhe.)

Ich habe mir vorgenommen, es bis Mitternacht zu schaffen. Alle diejenigen, die jetzt Lust haben, ein Bier trinken zu gehen – ich weiß gar nicht, ob man so etwas jemals im Protokoll nachlesen darf –,

(Heiterkeit von allen Fraktionen)

könnten jetzt hinuntergehen und sich schon eines genehmigen. Ich lese es trotzdem vor, damit es ins Protokoll kommt.

(Minister Ralf Jäger: Und die Einbringungsreden?)

– Die Einbringungsreden werden nach meinem Kenntnisstand alle zu Protokoll gegeben. Oder möchten Sie noch einige halten?

(Minister Ralf Jäger: Nein, nein!)

– Nicht einmal Herr Minister Jäger will das. Gut. – Alle diejenigen, die gehen wollen, gehen bitte ganz leise.

Dann kommen wir zu

15       Gesetz zur Änderung gesetzlicher Befristungen im Zusammenhang mit der ländlichen Bodenordnung

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9078

erste Lesung

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Die Einbringungsrede wird zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 1) So ist es besprochen und miteinander vereinbart.

Wir kommen also zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/9078 an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf Drucksache 16/9078 ist einstimmig überwiesen.

Tagesordnungspunkt

16       Achtes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9079

erste Lesung

Zur Einbringungsrede wäre der Minister bereit gewesen, er hat aber darauf verzichtet. (Siehe Anlage 2) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/9079 an den Innenausschuss. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig so überwiesen.

Tagesordnungspunkt

17       Gesetz zum Siebzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staats-verträge (Gesetz zum Siebzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9516

erste Lesung

Auch zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Landesregierung die Einbringungsrede zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 3) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/9516 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kultur und Medien. Stimmt jemand dagegen? – Nein. Gibt es Enthaltungen? – Das ist auch nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/9516 einstimmig so überwiesen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

18       Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die kommunalen Versorgungskassen und Zusatzversorgungskassen im Lande Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9517

erste Lesung

Die Einbringungsrede ist bereits zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 4) Damit brauchen wir uns das nicht anzuhören. Das bedauern wir. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/9517 an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Gibt es dazu Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Auch nicht. Einstimmig so überwiesen.

Tagesordnungspunkt

19       Gesetz über die klinische und epidemiologische Krebsregistrierung sowie zur Änderung des Gesundheitsdatenschutzgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9518

erste Lesung

Die Einbringungsrede durch Frau Ministerin Steffens, die mitgeteilt hat, dass sie die Rede nicht halten will, ist bereits zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 5) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen also gleich zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt hier die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/9518 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Einstimmig überwiesen wie vorgesehen.

Tagesordnungspunkt

20       Gesetz zur Umsetzung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes in Nordrhein-West-falen (KInvFöG NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9519

erste Lesung      

Zur Einbringung des Gesetzentwurfes erteile der Landesregierung nicht das Wort; denn es ist mitgeteilt worden, dass die Einbringungsrede zu Protokoll gegeben wurde. (Siehe Anlage 6) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen also zur Abstimmung. Auch hier empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/9519 an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Einstimmig so überwiesen.

Tagesordnungspunkt

21       Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9520

erste Lesung

Die Einbringungsrede ist zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 7) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Die Abstimmung erfolgt: Wer ist für die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/9520 an den Rechtsausschuss? – Alle. Gegenstimmen gibt es keine, Enthaltungen auch nicht. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Tagesordnungspunkt

22       Gesetz über die Abschiebungshaft sowie zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9521

erste Lesung

Die Einbringungsrede ist zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 8) Auch hier findet keine Aussprache statt.

Abstimmung erfolgt: Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/9521 an den Innenausschuss – federführend –, an den Rechtsausschuss sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Gibt es dazu Gegenstimmen? – Nein. Enthaltungen? – Nein. Einstimmig so überwiesen.

Tagesordnungspunkt

23       Gesetz zur Errichtung des Pensionsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/9568

erste Lesung

Die Einbringungsrede ist zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 9) Auch hier findet keine Aussprache statt.

Abstimmung erfolgt: Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/9568 an den Haushalts- und Finanzausschuss. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Einstimmig so überwiesen.

Tagesordnungspunkt

24       Haushaltsrechnung des Landes Nordrhein-Westfalen für das Rechnungsjahr 2012

Unterrichtung
durch die Präsidentin
des Landtags
auf Erteilung der Entlastung
nach § 114 LHO
Drucksache
16/4635

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Haushaltskontrolle
Drucksache 16/9602

In Verbindung mit:

Jahresbericht 2014 des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2013

Unterrichtung
durch den Landesrechnungshof
Drucksache
16/6164

Es ist keine Debatte vorgesehen.

(Zuruf: Abstimmung!)

- Ach, Teufel auch! Besser wärs! Es gibt auch noch eine Seite 2. Herrlich! – Wir kommen somit zur direkten Abstimmung. Über die beiden Nummern der Beschlussempfehlung ist getrennt abzustimmen.

Erstens: Der Haushaltskontrollausschuss empfiehlt in Nr. 1 der Drucksache 16/9602, die vom Ausschuss für Haushaltskontrolle festgestellten Sachverhalte, die Beschlüsse über einzuhaltende Maßnahmen und die dafür gesetzten Termine sowie die ausgesprochenen Missbilligungen gemäß § 114 der Landeshaushaltsordnung zu bestätigen. Wer stimmt dem so zu? – Wer enthält sich? – Wer ist dagegen? 

Bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen CDU, FDP und Piraten, aber mit den Stimmen von SPD und Grünen ist die Empfehlung angenommen und bestätigt.

Zweitens stimmen wir ab über den Vorschlag Nr. 2: Der Haushaltskontrollausschuss empfiehlt in Nr. 2 der Drucksache 16/9602, der Landesregierung für die Landeshaushaltsrechnung 2012 Drucksache 16/4635 im Zusammenhang mit dem Jahresbericht 2014 des Landesrechnungshofes über das Ergebnis der Prüfung im Geschäftsjahr 2013 Drucksache 16/6164 gemäß § 114 der LHO in Verbindung mit Art. 86 der Landesverfassung Entlastung zu erteilen. Wer stimmt dem so zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und Piraten. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall.

Damit ist die Empfehlung Nr. 2 der Drucksache 16/9602 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen und der Landesregierung gemäß § 114 der Landeshaushaltsordnung in Verbindung mit Art. 86 der Landesverfassung Entlastung erteilt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

25       Haushaltsrechnung des Landes Nordrhein-Westfalen für das Rechnungsjahr 2013

Unterrichtung
durch die Präsidentin
des Landtags
auf Erteilung der Entlastung
nach § 114 LHO
Drucksache
16/7671

In Verbindung mit:

Jahresbericht 2015 des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2014

Unterrichtung
durch den Landesrechnungshof
Drucksache
16/9490

Hier ist keine Aussprache vorgehen. Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der beiden Unterrichtungen Drucksache 16/7671 und Drucksache 16/9490 an den Ausschuss für Haushaltskontrolle. Wer stimmt dem so zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Einstimmig so überwiesen.

Tagesordnungspunkt

26       Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Behauptung der Gemeinde Augustdorf sowie weiterer 51 Städte und Gemeinden, das Erste Gesetz zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz) vom 5. November 2013 (GV. NRW. S. 618) verletze die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung

VerfGH 8/15
Vorlage 16/3082

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/9603

Es ist keine Aussprache vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 16/9603, dass der Landtag in dem Verfahren vor dem Verfassungsgericht Stellung nimmt. Ich lasse über die Beschlussempfehlung abstimmen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD und Grüne dafür. Dagegen? – CDU und FDP. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Piraten gegen die Stimmen von CDU und FDP, aber mit den Stimmen von SPD und Grünen ist die Empfehlung angenommen. Der Landtag wird in dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof Stellung nehmen.

Tagesordnungspunkt

27       Nachwahl eines stellvertretenden Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses I

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9533

Hier ist keine Aussprache vorgesehen.

Wir stimmen unmittelbar über den Wahlvorschlag Drucksache 16/9533 ab. Wer stimmt dem Wahlvorschlag zu? – Die CDU, die FDP, die Piratenfraktion, die SPD und die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Das ist einstimmig so beschlossen und der Wahlvorschlag angenommen.

Tagesordnungspunkt

28       Nachwahl eines stellvertretenden Mitglieds in den Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks Köln

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/9607

Auch hier ist keine Aussprache vorgesehen.

Wir stimmen unmittelbar ab: Wer ist für diesen Wahlvorschlag Drucksache 16/9607? – Wer ist dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Wahlvorschlag einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt

29       Zustimmung des Landtags Nordrhein-Westfalen gemäß § 64 Abs. 2 LHO zur Veräußerung von Liegenschaften des Sondervermögens Bau- und Liegenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalen (BLB NRW) – bebautes Grundstück in Bochum

Vorlage 16/3111

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/9604

Es ist keine Aussprache vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Drucksache 16/9604, der Vorlage 16/3111 zuzustimmen und damit in die Grundstücksveräußerung einzuwilligen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthält sich jemand? – CDU, FDP und Piraten enthalten sich. Damit ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen der Antrag des Finanzministers angenommen und dem so entsprochen worden.

Tagesordnungspunkt

30       In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 32
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
Drucksache 16/9605


Die Übersicht enthält zwölf Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 GeschO – alte Fassung § 79 Abs. 2 GeschO – an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden, sowie vier Entschließungsanträge. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen entsprechend der Übersicht 32. Wer stimmt dieser so zu? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die in Drucksache 16/9605 enthaltenen Abstimmungsergebnisse einstimmig bestätigt.

Tagesordnungspunkt

31       Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/34

Mit der Übersicht 16/34 liegen Ihnen Beschlüsse zu Petitionen vor. Wird hierzu das Wort gewünscht? – Nein. Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Das ist auch nicht der Fall. Damit stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass damit diese Beschlüsse zu Petitionen in Übersicht 16/34 bestätigt sind.

Damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung. Es freut mich, das lesen zu dürfen.

(Beifall von allen Fraktionen)

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, 3. September, 10 Uhr. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. Der gemeinsame Parlamentarische Abend mit der Landeshauptstadt ist bereits eröffnet. Viel Freude dabei!

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 21:27 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.


Anlage 1

Zu TOP 15 – „Gesetzentwurf zur Änderung gesetzlicher Befristungen im Zusammenhang mit der ländlichen Bodenordnung – zu Protokoll gegebene Rede

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz:

Der Gesetzentwurf, der heute in den Landtag eingebracht wird, sieht die dauerhafte Entfristung von drei sachlich weiterhin zwingend erforderlichen Landesgesetzen im Bereich des Flurbereinigungsrechts vor.

Am 31. Dezember dieses Jahres würden diese aufgrund der Regelungen zur Befristung von Normen ohne Nachfolgeregelung außer Kraft treten.

In Nordrhein-Westfalen werden nach wie vor Flurbereinigungsverfahren eingeleitet und durchgeführt. Sie dienen nicht nur der Verbesserung agrarstruktureller Verhältnisse in der Land- und Forstwirtschaft, sondern ganz überwiegend der Lösung von Landnutzungskonflikten.

Zurzeit sind rund 300 Verfahren mit einer Gesamtfläche von ca. 125.000 ha und knapp 40.000 Teilnehmern anhängig. Dies entspricht ca. 3,5% der Landesfläche.

Die drei Gesetze, die mit dem Gesetzentwurf entfristet werden sollen, sind bereits in den 1950er-Jahren im Kontext des Flurbereinigungsgesetzes entstanden. Sie sind im Laufe der Jahre, wo notwendig, geändert und angepasst worden und haben sich in der Praxis bewährt.

Im Einzelnen handelt es sich um

     das Ausführungsgesetz zum Flurbereinigungsgesetz,

     das Gesetz über Kosten- und Abgabefreiheit in Verfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz, in Siedlungsverfahren sowie im Kleingartenwesen und

     das Gesetz über die durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten gemeinschaftlichen Angelegenheiten.

Mit dem Ausführungsgesetz zum Flurbereinigungsgesetz nutzt das Land NRW die Handlungsmöglichkeiten, zu denen es durch das Flurbereinigungsgesetz ermächtigt ist.

Der Verfall dieses Gesetzes würde dazu führen, dass die Regelungen zur Spruchstelle für Flurbereinigung und zum Flurbereinigungsgericht keine Gültigkeit mehr besäßen und die im Zusammenhang mit der Verwaltungsstrukturreform geschaffenen Zuständigkeitsregelungen und Befugnisse zwischen meinem Haus als oberer Flurbereinigungsbehörde und den Bezirksregierungen als Flurbereinigungsbehörden aufgehoben würden.

Hierbei würden allerdings die damals in diesem Kontext erfolgten Personal- und Mittelverlagerungen nicht berücksichtigt.

Neben der dauerhaften Entfristung erfolgen mit dem Gesetzentwurf eine geringfügige inhaltliche und eine redaktionelle Änderung.

Das Gesetz über Kosten- und Abgabenfreiheit in Verfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz, in Siedlungsverfahren sowie im Kleingartenwesen überträgt die im Flurbereinigungsgesetz geregelte Freiheit von Gebühren, Steuern, Kosten und Abgaben auf solche aufgrund landesrechtlicher Vorschriften.

Ein Verzicht auf diese Regelung würde überwiegend zu einer aufwändigen Umverteilung öffentlicher Mittel führen, da die Kosten einer Flurbereinigung, die mittelbar auch öffentlichen, strukturpolitischen Zielen dient, zu einem Großteil von der öffentlichen Hand getragen werden.

Das Gesetz über die durch ein Auseinandersetzungsverfahren – dies sind die landwirtschaftlichen Bodenordnungsverfahren nach preußischem Recht – begründeten gemeinschaftlichen Angelegenheiten stellt einen praktikablen Rechtsrahmen für die Verwaltung und Vertretung, insbesondere der Wege und Gewässer im Gesamthandseigentum dar.

Da es in Nordrhein-Westfalen noch eine Vielzahl solcher Wege gibt, würde das Außerkrafttreten des Gesetzes eine Reglungslücke öffnen und den aktuellen Diskussionen um die ländlichen Wirtschaftswege zuwider laufen.

Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf und danke Ihnen.


Anlage 2

Zu TOP 16 – „Achtes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf legen wir als Landesregierung dem Parlament einen Vorschlag über die weitere Behandlung befristeter Vorschriften vor.

Dabei sollen zum einen Regelungen, die sich in der Praxis eindeutig bewährt haben, von einer gesetzlichen Befristung befreit werden.

Zum anderen soll eine mittlerweile entfallene Berichtspflicht aus dem entsprechenden Gesetz gestrichen werden.

Der Gesetzentwurf umfasst die Änderung gesetzlicher Befristungen von drei Gesetzen, nämlich des 2. Euro-Einführungsgesetzes Nordrhein-West­falen, des Landeszustellungsgesetzes, des Gesetzes über Unschädlichkeitszeugnisse sowie die redaktionelle Anpassung des Städteregion Aachen Gesetzes.

Da heute keine inhaltliche Debatte stattfinden wird, sondern diese – sofern der Überweisung zugestimmt wird – im Ausschuss erfolgen soll, will ich auf die Inhalte hier nicht näher eingehen.

Nur noch der bewährte Hinweis:

Die Entfristung bzw. die Streichung von Berichtspflichten bedeutet nicht, dass wir als Landesregierung zukünftig auf die Prüfung und Evaluierung dieser Gesetze verzichten.

Ganz im Gegenteil: Auch künftig werden wir die Gesetze in unserem Land sorgfältig beobachten.

Sollte sich daraus der Bedarf für notwendige Änderungen und Reformen ergeben, werden wir diese im Dialog auf den Weg bringen. –Herzlichen Dank.

 


Anlage 3

Zu TOP 17 – „Gesetz zum Siebzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Gesetz zum Siebzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag) – zu Protokoll gegebene Rede

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien:

Wie Sie wissen, hat das Bundesverfassungsgericht im März 2014 verfassungsrechtliche Anforderungen an den ZDF-Staatsvertrag konkretisiert und vorgegeben, diese in einem Änderungsstaatsvertrag umzusetzen. Den entsprechenden 17. Rundfunkänderungsstaatsvertrag haben die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 18. Juni 2015 unterzeichnet. Damit werden insbesondere geändert:

     Die Zusammensetzung der Gremien und Ausschüsse,

     das Verfahren zur Wahl der Gremienmitglieder,

     die Absicherung der Staatsferne der Mitglieder durch sogenannte Unvereinbarkeitsregeln (Inkompatibilität),

     die Sicherstellung der Unabhängigkeit der Gremienmitglieder,

     die Berücksichtigung der Gleichstellung von Männern und Frauen bei der Besetzung der Gremien und

     die Transparenz der Arbeit der Gremien.

Wir hatten Anfang des Jahres das Parlament bereits im Vorfeld über den damaligen Entwurf informiert.

Daraufhin wurde am 19. März 2015 hier im Plenum debattiert und insbesondere gefordert, dass der Bereich LSBTTIQ (lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuell und quere Menschen) im ZDF-Fernsehrat abgebildet sein sollte.

Ich hatte Ihnen damals zugesagt, mich im Länderkreis dafür einzusetzen. Dies konnte bei den folgenden – schwierigen – Verhandlungen erreicht werden!

Der neugefasste ZDF-Staatsvertrag sieht nun vor, dass die Länder jeweils aus unterschiedlichen Bereichen Organisationen benennen. NRW hat den Bereich „Medienwirtschaft und Film“ behalten, und wir schlagen Ihnen vor, mit Teil 2 des vorliegenden Gesetzesentwurfs als entsendungsberechtigte Organisationen den Film- und Medienverband NRW e. V., das Filmbüro NW e. V. und den Kulturrat NRW e.V., Sektion Medien, zu bestimmen.

Ich bitte um Zustimmung zum Staatsvertrag und zum Gesetz und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Anlage 4

Zu TOP 18 – „Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die kommunalen Versorgungskassen und Zusatzversorgungskassen im Lande Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Die kommunalen Versorgungskassen und Zusatzversorgungskassen in Nordrhein-Westfalen mit ihren Sitzen in Münster und Köln sind in der öffentlichen Wahrnehmung meist nicht sehr bekannt, aber dennoch wichtige Dienstleister für die Kommunen.

Sie berechnen und zahlen die beamtenrechtlichen Versorgungsleistungen für ihre Mitglieder.

Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Mitglieder schaffen sie eine zusätzliche betriebliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung. Insgesamt verwalten die Kassen ein Vermögen von mehreren Milliarden Euro.

Der vorliegende Gesetzentwurf dient in erster Linie dazu, das bis zum 31.12.2015 befristete Gesetz – sozusagen die „Arbeitsgrundlage der Versorgungskassen“ – in seiner Geltung unbefristet zu verlängern.

Die vorgesehene Aufhebung der Befristung resultiert daraus, dass sich das Gesetz in seiner grundlegenden Bedeutung für die Kommunen bewährt hat.

Neben einigen redaktionellen Anpassungen und Klarstellungen soll weiterhin die fachliche Prüfung von Prüfberichten, Geschäftsplänen und Finanzierungsplänen im Rahmen der Aufsicht durch mein Haus optimiert werden.

Wir haben deshalb eine Rechtsgrundlage geschaffen, um in Einzelfällen eine externe Prüfung durch neutrale – von der Aufsichtsbehörde zu beauftragende – Gutachter vorzusehen.

Die zusätzlichen, aber notwendigen Aufsichtskosten werden von den Versorgungs- und Zusatzversorgungskassen getragen.

Ich wünsche mir, dass die Versorgungs- und Zusatzkassen ihre erfolgreiche Arbeit fortsetzen können und dass dieser Gesetzentwurf die Zustimmung im Fachausschuss erfährt. – Herzlichen Dank.

 


Anlage 5

Zu TOP 19 – „Gesetz über die klinische und epidemiologische Krebsregistrierung sowie zur Änderung des Gesundheitsdatenschutzgesetzes – zu Protokoll gegebene Rede

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter:

Ich freue mich sehr, dem Landtag NRW heute den Regierungsentwurf des Gesetzes über die klinische und epidemiologische Krebsregistrierung sowie zur Änderung des Gesundheitsdatenschutzgesetzes vorzulegen. Denn mit dem vorliegenden Gesetz kann ein wichtiger Schritt für die Verbesserung der onkologischen Versorgung von Patientinnen und Patienten in NRW gemacht werden. Immer noch erkranken ca. 110.000 (Zahl aus dem Jahr 2012) Menschen jährlich in NRW an Krebs.

Durch das Krebsfrüherkennungs- und -register­gesetz aus dem Jahr 2013 sind die Länder durch den neuen § 65c SGB V verpflichtet worden, klinische Krebsregister zu errichten.

Bereits seit zehn Jahren gibt es in NRW das erfolgreich arbeitende epidemiologische Krebsregister. Die Landesregierung hält die Organisation in einem gemeinsamen Register, welches beide Aufgaben wahrnimmt, für sinnvoll und zweckmäßig. Finanziert wird das gemeinsame Register aus Landesmitteln, aber auch – durch die Zahlung einer Fallpauschale – zu einem großen Teil von den Kassen als Kostenträgern. Deshalb haben diese durch den Erlass von Förderkriterien auch Einfluss auf die Gestaltung des Registers.

Die Verbesserung der onkologischen Versorgung und Behandlung von Patientinnen und Patienten ist ein Ziel, welches angesichts der hohen Krankheitszahl und Sterblichkeitsraten ein Thema mit enormer gesellschaftlicher und gesundheitspolitischer Bedeutung – und zudem ein Ziel des Nationalen Krebsplanes – ist. Hierzu wird das Landeskrebsregistergesetz auch im Hinblick auf Qualitätsverbesserung und –sicherung einen wichtigen Beitrag leisten.

Durch das Gesetz werden alle meldepflichtigen Personen verpflichtet, Daten von behandelten Patientinnen und Patienten an das Register zu melden. Diese Meldung muss in Form des bundesweit einheitlichen ADT/GEKID Datensatzes erfolgen. Dies stellt die bundesweite Vergleichbarkeit der Daten in den jeweiligen Landesregistern sicher.

Im Hinblick auf die sensiblen und deshalb schutzbedürftigen Daten der Betroffenen verfügt das Register über ein umfassendes Datenschutzkonzept.

Bei der Meldung werden ausschließlich elektronische Meldewege genutzt. Für die Meldung erhalten die meldepflichtigen Personen je nach Art der Meldung eine Meldevergütung vom Register und die Kostenträger zahlen an das Register eine Fallpauschale.

Mit der Umsetzung des Gesetzes in die Praxis werden sich neue Herausforderungen ergeben:

Bei den Meldern vor Ort muss die notwendige Akzeptanz durch Information in Form von Schulungen oder Ähnlichem hergestellt werden.

Die bisherigen Datenstrukturen des epidemiologischen Registers müssen unter Beachtung des umfassenden Datenschutzkonzeptes weiterentwickelt werden, sodass sie für die umfangreichen Meldungen nutzbar sind.

Um die Finanzierung durch die Kostenträger langfristig zu sichern, müssen nicht zuletzt auch die Förderkriterien durch das Register erfüllt werden.

Ich freue mich darauf, weitere Einzelheiten der neuen Strukturen und Verfahren mit Ihnen im Ausschuss zu diskutieren.

 


Anlage 6

Zu TOP 20 – „Gesetz zur Umsetzung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen (KInvFöG NRW) – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Der Bund stellt 3,5 Milliarden € zur Verfügung, damit die Investitionstätigkeit finanzschwacher Kommunen gefördert wird.

Von diesen 3,5 Milliarden € entfallen auf Nordrhein-Westfalen etwas über 1,1 Milliarden €. Das entspricht einem Anteil von 32 %.

Mit diesem Gesetzentwurf schaffen wir die Grundlage dafür, dass unsere Kommunen ihren Anteil umgehend investieren können. Damit setzen wir das Bundesrecht schnell, unbürokratisch und wirkungsvoll um.

Wir stellen die Fördermittel pauschal zur Verfügung, sodass die Kreise und Gemeinden eigene Schwerpunkte setzen können. Sie wissen selbst am besten, in welchen Bereichen die Mittel sinnvoll eingesetzt werden können.

Mit unserem Verteilschlüssel setzen wir dabei die bundesgesetzliche Vorgabe, nur finanzschwache Kommunen zu fördern, gerecht und rechtssicher um:

Die Verteilung erfolgt nach den bewährten Kriterien des GFG an alle Gemeinden und Kreise, die in mindestens einem der Jahre von 2011 bis 2015 Schlüsselzuweisungen erhalten haben.

Dem Verteilungsschlüssel liegt das Verhältnis der Summe der Schlüsselzuweisungen der Gemeinde bzw. des Kreises für die Jahre 2011 bis 2015 zur Gesamtsumme der Schlüsselzuweisungen aller Gemeinden und Kreise in diesem Zeitraum zugrunde.

Die Investitionsmaßnahmen werden mit bis zu 90 % gefördert. Unsere Kommunen müssen nicht mehr als den bundesrechtlich vorgeschriebenen Eigenanteil erbringen.

Es gilt die sogenannte Trägerneutralität, das heißt: Auch nichtkommunale Träger können gefördert werden, wobei sie dann ebenfalls einen Eigenanteil erbringen sollen. Dies betrifft zum Beispiel die Träger von Einrichtungen für frühkindliche Bildung oder auch gemeinnützigen Weiterbildungseinrichtungen.

Der Verwendungsnachweis ist sehr vereinfacht:

Eine Prüfung durch die Bezirksregierungen ist – von einer Plausibilitätsprüfung abgesehen – nicht vorgesehen. Die den Vorgaben des Bundes entsprechende Verwendung wird kommunalintern durch die örtliche Rechnungsprüfung bescheinigt und nach außen durch die Hauptverwaltungsbeamtin bzw. den Hauptverwaltungsbeamten bestätigt.

Zur Beschleunigung des Verfahrens können Gemeinden und Kreise im Haushaltsjahr 2015 – bei Doppelhaushalten 2015/2016 auch im Jahr 2016 – Maßnahmen im Rahmen dieses Gesetzes durch den Rat bzw. den Kreistag beschließen.

Die Aufstellung eines Nachtragshaushalts ist nicht erforderlich.

Ich bin gespannt auf die Beratungen im Fachausschuss. – Herzlichen Dank.

 


Anlage 7

Zu TOP 21 – „Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Rede

Thomas Kutschaty, Justizminister:

Die Landesregierung hatte die Schaffung eines eigenständigen Landesrichter- und Staatsanwältegesetzes als eines der rechtspolitischen Ziele dieser Legislaturperiode genannt. Ich freue mich, Ihnen den Entwurf dieses Gesetzes heute vorlegen zu dürfen.

Das bestehende Landesrichtergesetz, in dem die Rechtsstellung der Richterinnen und Richter unseres Landes geregelt ist, wurde im Jahr 1966 erlassen und ist seitdem nahezu unverändert geblieben.

Vor allem die Regelungen zur Beteiligung der Richtervertretungen entsprechen nicht mehr dem im öffentlichen Dienst etablierten Stand der Mitbestimmung. Gegenüber den Beteiligungsrechten der Personalvertretungen bleiben die Rechte der Richtervertretungen weit zurück. Eine Reform der richterlichen Beteiligungsrechte wird deshalb bereits seit Längerem diskutiert.

Dies gilt erst recht, nachdem für die Staatsanwaltschaften mit der Novellierung des Landespersonalvertretungsgesetzes im Jahr 2011 die Bildung von Personalvertretungen für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auch auf der örtlichen Ebene ermöglicht wurde.

Es ist nunmehr an der Zeit, für alle Angehörigen der Justiz und damit auch für die Richterschaft ein zeitgemäßes Mitbestimmungsrecht zu schaffen, das dem personalvertretungsrechtlichen Niveau entspricht.

Im Fokus des Gesetzgebungsvorhabens steht daher der wirkungsvolle Ausbau der Beteiligungsrechte für die Richterschaft. In dem neuen Gesetz werden die Beteiligungsrechte im richterlichen Bereich an die Regelungen des Landespersonalvertretungsgesetzes angeglichen. Auf diese Weise sind künftig in der gesamten Justiz alle wesentlichen Personalmaßnahmen mitbestimmungspflichtig. Hierzu zählen jetzt auch Einstellungen von Proberichterinnen und Proberichtern, Lebenszeiternennungen nach Ablauf der Probezeit, Abordnungen und auch Zurruhesetzungen.

Um bei alledem eine unterschiedliche Ausgestaltung der Beteiligungsrechte zwischen Richterschaft und Staatsanwaltschaft zu vermeiden, werden durch das neue Gesetz zugleich Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte so weit wie möglich – vor allem hinsichtlich der Ausgestaltung der Mitbestimmung – erstmals in einem Regelwerk zusammengeführt.

Die Einbeziehung von Richterschaft und Staatsanwaltschaft in einem Gesetz veranschaulicht zugleich den Stellenwert und die Bedeutung beider Berufsstände als tragende Säulen der Justiz.

Die vorgesehene Stärkung von Beteiligungsrechten dient nicht nur der Sicherstellung einer effektiven Vertretung der Interessen der einzelnen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Ich begreife den Ausbau der Beteiligungsrechte gerade im Bereich der Justiz auch und vor allem als einen wesentlichen Bestandteil für die Sicherung einer effizienten, leistungsfähigen und unabhängigen Justiz insgesamt. Denn die frühzeitige und umfassende Einbeziehung gerade auch der Richterinnen und Richter in personellen, sozialen und sonstigen „eigenen“ Angelegenheiten stärkt die Gesamtverantwortung der Richterschaft und damit die Judikative als unabhängige dritte Staatsgewalt.

Neben den mitbestimmungsrelevanten Neuerungen ist ein weiteres Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfs die Fortentwicklung der dienstrechtlichen Regelungen. Auch insoweit ist das bestehende Landesrichtergesetz veraltet.

Mit dem neuen Gesetz sollen familienfreundliche und moderne Regelungen, die sich im Beamtenrecht längst etabliert haben, auch für die Richterschaft eingeführt werden. So können zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zukünftig Richterinnen und Richter während der Elternzeit auch in unterhälftiger Teilzeit beschäftigt werden. Außerdem wird auch für Richterinnen und Richter die Familienpflegezeit eingeführt. Des Weiteren wird Richterinnen und Richtern der Geburtsjahrgänge vor 1964 die Möglichkeit eröffnet, den Eintritt in den Ruhestand bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres hinauszuschieben.

Auch im Bereich der Personalentwicklung wird das Gesetz Neuerungen mit sich bringen. So werden sowohl die Fortbildungspflicht des Einzelnen als auch die Verpflichtung des Dienstherrn zur Förderung der dienstlichen Fortbildung erstmals gesetzlich fundiert. Im Gesetz verankert werden außerdem eigenständige Regelungen zur dienstlichen Beurteilung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten.

Schließlich soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch dem Modernisierungsbedarf bei den Vorschriften über die Richterdienstgerichte Rechnung getragen werden.

Zukünftig sollen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte als ständige Beisitzerinnen oder Beisitzer an den Entscheidungen der Richterdienstgerichte mitwirken. Dadurch werden künftig anwaltlicher Sachverstand und die anwaltliche Sichtweise bei der Entscheidungsfindung einbezogen und berücksichtigt. Hierdurch öffnet sich die Justiz dem Blickwinkel der Anwaltschaft als weiterem Organ der Rechtspflege.

Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf wird Nordrhein-Westfalen seinen hohen Ansprüchen auf dem Gebiet der Mitbestimmung gerecht. Die Änderungen im Bereich des Dienstrechts der Richterinnen und Richter sind fällig und zeitgemäß. Ich bitte daher um Ihre Unterstützung und Zustimmung zu dem Gesetzgebungsvorhaben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 


Anlage 8

Zu TOP 22 – „Gesetz über die Abschiebungshaft sowie zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Die Übergangsregelung zur Durchführung von Abschiebungshaft, die das Parlament Ende April beschlossen hat, tritt Ende des Jahres wieder außer Kraft.

Ich habe bereits damals angekündigt, dass wir eine große Lösung vorschlagen werden, mit klaren Rahmenbedingungen, wie Abschiebungshaft so menschenwürdig wie möglich ausgestaltet werden kann – diese legen wir heute vor.

Unabhängig vom Inhalt bleibt es dabei: Die Abschiebungshaft wird auch in Zukunft die Ultima Ratio sein.

Der Entwurf für ein neues Abschiebungshaftvollzugsgesetz enthält in 36 Paragrafen detaillierte Vorgaben, wodurch eine Verweisung auf das Strafvollzugsrecht grundsätzlich entbehrlich wird.

Wesentliche Standards für eine humane Vollzugsgestaltung wie Einzelunterbringung, viel Bewegungsfreiheit innerhalb der Einrichtung, großzügige Besuchsregelungen, ein Beschwerdewesen und ein Beirat Abschiebungshaft werden erstmals spezialgesetzlich festgeschrieben.

Der Gesetzentwurf hat eine umfangreiche Verbändeanhörung durchlaufe. Aufgrund der in vielen Gesprächen und schriftlichen Stellungnahmen geäußerten Vorschläge wurden Änderungen und Ergänzungen im Gesetzentwurf vorgenommen, die einen möglichst humanen Abschiebungshaftvollzug unterstreichen.

So soll künftig während der Unterbringung der Besitz von Bargeld und privater Mobiltelefone ebenso wie die Inanspruchnahme niedergelassener Ärztinnen und Ärzte auf eigene Kosten zugelassen werden.

Soweit die aktuelle Unterbringungssituation dies zulässt, kann von einem Einschluss während der Nachtruhe abgesehen werden.

Darüber hinaus werden Angehörige anerkannter Flüchtlingshilfeorganisationen im Hinblick auf Besuchszeiten, -dauer und -räume beauftragten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gleichgestellt.

Ich bin zuversichtlich, dass wir bis Ende des Jahres über diesen Gesetzentwurf hier abschließend abstimmen können. – Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Herzlichen Dank

 


Anlage 9

Zu TOP 23 – „Gesetz zur Errichtung des Pensionfonds des Landes Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Rede

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister:

Das System der künftigen Versorgung unserer Beamtinnen, Beamten, Richterinnen und Richter steht wie alle übrigen Alterssicherungssysteme auch vor großen Herausforderungen – insbesondere aufgrund der demografischen Entwicklung und einer steigenden Zahl von Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfängern.

Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden und sie für den Landeshaushalt tragfähig zu machen, hat das Land Nordrhein-Westfalen bereits seit vielen Jahren Rücklagen in den Sondervermögen „Versorgungsrücklage“ und „Versorgungsfonds“ gebildet. Ziel ist eine nachhaltige und generationengerechte Finanzierung der künftigen Versorgungsausgaben.

Nach den gesetzlichen Regelungen im aktuellen Versorgungsfondsgesetz ist im Jahr 2017 eine Entscheidung über Beginn, Höhe und Dauer von Ausschüttungen des Sondervermögens „Versorgungsrücklage“ zu treffen und ebenfalls eine Entscheidung über den Beginn von Ausschüttungen aus dem Sondervermögen „Versorgungsfonds“ möglich. Die Schaffung einer Gesetzesgrundlage über Ausschüttungen aus den beiden Sondervermögen unter Beibehaltung der bisherigen Zuführungsregelungen würde im Ergebnis zu einem Nebeneinander von Zuführungen und Ausschüttungen führen.

Um eine transparente Gesetzesgrundlage zu schaffen, die eine einheitliche und nachhaltige Basis für die Finanzierung der zukünftigen Versorgungsansprüche gewährleistet, soll mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf zum 1. Januar 2017 das Sondervermögen „Pensionsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen“ errichtet werden. Das Ziel der Landesregierung, eine nachhaltige und generationengerechte Finanzierung künftiger Versorgungsausgaben, bleibt dabei nicht nur erhalten, sondern wird darüber hinaus gestärkt.

Die Vermögen der beiden jetzigen Sondervermögen Versorgungsrücklage und Versorgungsfonds gehen vollständig auf das neue Sondervermögen Pensionsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen über. Das bis dahin bereits angesparte Vermögen bleibt für die Finanzierung der künftigen Versorgungsausgaben zweckgebunden erhalten. Ende 2017 wird der Bestand voraussichtlich mehr als 10,3 Milliarden € betragen.

Mit aktuell gut 8 Milliarden € in den Sondervermögen hat Nordrhein-Westfalen den absolut höchsten Bestand aller Länder. Bayern als bevölkerungsmäßig nächstgrößeres Land hat derzeit dagegen nur 2,1 Milliarden € im Bestand des Pensionsfonds. Unser Land ist damit in Sachen Vorsorgevermögen besser aufgestellt als jedes andere Land.

Das zeigt sich auch bei der Pro-Kopf-Vorsorge. Mit einem rechnerischen Vorsorgevermögen im Jahr 2014 von rund 35.600 € je Bediensteten belegt NRW den dritten Platz im Länderranking. Lediglich Sachsen und Rheinland-Pfalz haben derzeit eine höhere Pro-Kopf-Vorsorge.

Anders als im jetzigen Versorgungsfondsgesetz noch möglich, sind Abführungen aus dem Sondervermögen ab 2018 in den Haushalt mit dem neuen Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Insoweit besteht in NRW Rechtssicherheit; davon kann in vielen Ländern keine Rede sein.

Der Bestand der Versorgungsrücklage bleibt im Interesse der Vorsorge für künftige Versorgungsausgaben unangetastet!

Als Zuführungsbetrag zum neu zu gründenden Pensionsfonds soll ab dem Jahr 2018 jährlich 200 Millionen € festgeschrieben werden. Dadurch wird sichergestellt, dass auch künftig Haushaltsmittel zur nachhaltigen und generationengerechten Finanzierung der Versorgungsausgaben zur Verfügung gestellt werden. Die bisher für die Versorgungsrücklage vorgesehene Zuführung von rund 508 Millionen € im Jahr 2017 soll dem Pensionsfonds zusätzlich zugeführt werden.

Ausschüttungen an den Landeshaushalt sind nicht vorgesehen. Der Bestand des neu geschaffenen Sondervermögens bleibt damit ungeschmälert – und wächst mittelfristig durch die jährliche Zuführung in Höhe von 200 Millionen € noch weiter auf!

Ich bitte Sie, der Überweisung des Gesetzentwurfs in den Haushalts- und Finanzausschuss zuzustimmen.