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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/87

16. Wahlperiode

24.06.2015

87. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 24. Juni 2015

Mitteilungen der Präsidentin. 8869

Ergänzung der Tagesordnung. 8869

1   Ergebnisse der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder (MPK) vom 18.06.2015

Unterrichtung
durch die Landesregierung. 8869

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 8869

Armin Laschet (CDU) 8873

Norbert Römer (SPD) 8876

Christian Lindner (FDP) 8878

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 8882

Frank Herrmann (PIRATEN) 8884

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 8886

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 8889

Stefan Zimkeit (SPD) 8890

Monika Düker (GRÜNE) 8891

Simone Brand (PIRATEN) 8892

2   Gesetz über die Feststellung eines zweiten Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8650 – zweiter Neudruck

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9068

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9069

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9071

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9072

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9077

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/9000

zweite und dritte Lesung. 8894

Stefan Zimkeit (SPD) 8894

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 8894

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 8896

Dr. Joachim Stamp (FDP) 8898

Dietmar Schulz (PIRATEN) 8899

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 8900

Ergebnis. 8901

Aussprache zur dritten Lesung. 8902

Ralf Witzel (FDP) 8902

Stefan Zimkeit (SPD) 8903

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 8904

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 8905

Ergebnis. 8905

3   Kooperationsverbot im Grundgesetz aufheben und Finanzierung des Ganztags zum Projekt des Gesamtstaats machen – Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz bis 2020 einführen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/8830. 8906

Yvonne Gebauer (FDP) 8906

Iris Preuß-Buchholz (SPD) 8907

Astrid Birkhahn (CDU) 8907

Sigrid Beer (GRÜNE) 8908

Michele Marsching (PIRATEN) 8910

Ministerin Sylvia Löhrmann. 8910

Ergebnis. 8911

4   Gesetz zur Sicherung von Schullaufbahnen und zur Weiterentwicklung des Schulrechts (12. Schulrechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/8441

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/8999

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9066

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9080

zweite Lesung. 8912

Renate Hendricks (SPD) 8912

Klaus Kaiser (CDU) 8914

Sigrid Beer (GRÜNE) 8915

Yvonne Gebauer (FDP) 8917

Michele Marsching (PIRATEN) 8918

Ministerin Sylvia Löhrmann. 8920

Ergebnis. 8922

5   Nordrhein-Westfalen muss hessische Bundesratsinitiative zur Schaffung eines neuen Straftatbestandes für tätliche Angriffe auf Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte unterstützen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8979. 8922

Theo Kruse (CDU) 8922

Hans-Willi Körfges (SPD) 8923

Verena Schäffer (GRÜNE) 8924

Dirk Wedel (FDP) 8925

Dirk Schatz (PIRATEN) 8926

Minister Thomas Kutschaty. 8927

Ergebnis. 8929

6   Überwachungsgesamtrechnung vorlegen: Transparenz über Situation der Freiheiten in unserer Gesellschaft schaffen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/8976. 8929

Frank Herrmann (PIRATEN) 8929

Guido van den Berg (SPD) 8930

Theo Kruse (CDU) 8931

Matthi Bolte (GRÜNE) 8933

Marc Lürbke (FDP) 8934

Minister Thomas Kutschaty. 8935

Ergebnis. 8936

7   Bausteine einer gelingenden Energiewende – Wärmespeicherung und Digitalisierung vorantreiben

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8983. 8936

Thomas Kufen (CDU) 8936

Dietmar Bell (SPD) 8937

Wibke Brems (GRÜNE) 8938

Dietmar Brockes (FDP) 8939

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 8940

Minister Johannes Remmel 8941

Ergebnis. 8942

8   Das Ehrenamt im Sport stärken statt weiter belasten – Kollateralschäden des Mindestlohngesetzes verhindern

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/8994. 8942

Dr. Björn Kerbein (FDP) 8942

Rainer Bischoff (SPD) 8943

Holger Müller (CDU) 8945

Josefine Paul (GRÜNE) 8946

Lukas Lamla (PIRATEN) 8947

Ministerin Ute Schäfer 8948

Ergebnis. 8949

9   Hohe Krankenstände in der Landesverwaltung durch Einführung eines pro-aktiven behördlichen Gesundheitsmanagements senken

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8981. 8949

Werner Lohn (CDU) 8949

Uli Hahnen (SPD) 8950

Monika Düker (GRÜNE) 8951

Marc Lürbke (FDP) 8952

Dirk Schatz (PIRATEN) 8953

Minister Thomas Kutschaty. 8954

Ergebnis. 8955

10 Volksinitiative gemäß Artikel 67a der Landesverfassung:

Kurzbezeichnung
„G9-jetzt!“

Unterrichtung
durch die Präsidentin
des Landtags
zur Beschlussfassung
Drucksache 16/8659

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/9011

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9081

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9091. 8956

Eva Voigt-Küppers (SPD) 8956

Klaus Kaiser (CDU) 8957

Sigrid Beer (GRÜNE) 8958

Yvonne Gebauer (FDP) 8959

Monika Pieper (PIRATEN) 8960

Ministerin Sylvia Löhrmann. 8962

Ergebnis. 8963

Namentliche Abstimmung
siehe Anlage 1

11 Fragestunde

Drucksache 16/9015. 8963

Mündliche Anfrage 65

der Abgeordneten
Ingola Schmitz (FDP)

„Orchesterförderung in Nordrhein-West-falen – Weshalb wird der Kammerphilharmonie Amadé eine ihrem Rang angemessene institutionelle sowie projektbezogene Förderung verweigert und der mögliche Konkurs eines Spitzenorchesters damit billigend in Kauf genommen?“ 8963

Ministerin Ute Schäfer 8964

Mündliche Anfrage 66

des Abgeordneten
Marc Lürbke (FDP)

„Das Geheimnis Staumühle – Zeitnahe Veräußerung der Wohnsiedlung Stau-mühle oder weiter andauernde Blockade für die Zukunft eines Ortsteils in der Gemeinde Hövelhof?“ 8967

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 8967

12 Eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle für Nordrhein-Westfalen schaffen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/8974. 8971

Dirk Schatz (PIRATEN) 8971

Andreas Bialas (SPD) 8972

Gregor Golland (CDU) 8973

Verena Schäffer (GRÜNE) 8974

Marc Lürbke (FDP) 8976

Minister Thomas Kutschaty. 8977

Ergebnis. 8978

13 Qualität im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärken – Werbung und Sponsoring schrittweise reduzieren

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/8990. 8978

Alexander Vogt (SPD) 8978

Oliver Keymis (GRÜNE) 8979

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU) 8980

Thomas Nückel (FDP) 8981

Lukas Lamla (PIRATEN) 8982

Minister Guntram Schneider 8982

Ergebnis. 8983

14 Ländlicher Raum darf bei der Digitalisierung nicht abgehängt werden – Land muss Kommunen beim Breitbandausbau unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8982. 8983

Ergebnis. 8983

15 Gesetz über die Bestimmung des 31. Oktober 2017 als 500. Jahrestag der Reformation zum Feiertag in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8386

Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/8941

zweite Lesung. 8983

Ergebnis. 8983

Siehe auch Nachtrag zu dieser
Abstimmung nach TOP 16

16 Gesetz zur Beschleunigung der Aufstellung kommunaler Gesamtabschlüsse

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8385

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9067

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/9012

zweite Lesung. 8983

Ralf Nettelstroth (CDU) 8984

Michael Hübner (SPD) 8984

Mario Krüger (GRÜNE) 8985

Kai Abruszat (FDP) 8985

Frank Herrmann (PIRATEN) 8986

Minister Thomas Kutschaty. 8986

Ergebnis. 8986

Nachtrag zur Abstimmung zu TOP 15. 8987

17 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den „Westdeutschen Rundfunk Köln“ (WDR-Gesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/8654 – Neudruck

Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 16/9013

zweite Lesung. 8987

Ergebnis. 8987

18 Gesetz über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen (Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichengesetz – FwKatsEG – NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8933

erste Lesung. 8987

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)

Ergebnis. 8987

19 Zweites Gesetz zur Änderung des Meldegesetzes NRW

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8934 – Neudruck

erste Lesung. 8987

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)

Ergebnis. 8987

20 Vereinbarung zur Ausführung des Artikels 11 Abs. 2 des Abkommens über das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt-Finanzierungsvereinbarung)

Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung
zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/8154

Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/8942. 8987

Ergebnis. 8987

21 Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen und nach § 92 SGB XI

Verordnungsentwurf
der Landesregierung
Vorlage 16/2943
Vorlage 16/2953

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/9014. 8988

Ergebnis. 8988

22 Noch nicht genehmigte über- und außerplanmäßige Ausgaben des Haushaltsjahres 2013

Antrag
des Finanzministeriums
gemäß Artikel 85 Absatz 2
der Landesverfassung
Vorlage 16/2903

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/9016. 8988

Ergebnis. 8988

23 Wahl von einem Mitglied des Landtags in den Beirat für Wohnraumförderung bei der NRW.BANK

Wahlvorschlag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9017. 8988

Ergebnis. 8988

24 Nachwahl eines ordentlichen Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses I

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9070. 8988

Ergebnis. 8988

25 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 31
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a.F.)
Drucksache 16/9018 – Neudruck. 8988

Ergebnis. 8988

26 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/33. 8988

Ergebnis. 8988

Anlage 1. 8991

Namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/9011TOP 10 (Volksinitiative gemäß Artikel 67a der Landesverfassung: Kurzbezeichnung „G9-jetzt!“)

Anlage 2. 8999

Zu TOP 18 – „Gesetz über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen (Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichengesetz – FwKatsEG – NRW)“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 8999

Anlage 3. 9001

Zu TOP 19 – „Zweites Gesetz zur Änderung des Meldegesetzes NRW“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 9001


Entschuldigt waren:

 

Minister Ralf Jäger       
(ab 14:30 Uhr)

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren

Ministerin Barbara Steffens

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans      
(ab 18 Uhr)

Carina Gödecke (SPD
(zur namentlichen Abstimmung        
 zu TOP 10)

Eva Steininger-Bludau (SPD)   
(bis 15:30 Uhr)

Achim Tüttenberg (SPD)

Peter Biesenbach (CDU)          
(ab 16:30 Uhr)

Dr. Gerd Hachen (CDU)
(vormittags abwesend)

Wilhelm Hausmann (CDU)

Heiko Hendriks (CDU)  
(ab 15:30 bis 17:15 Uhr, ab 19 Uhr)

Rita Klöpper (CDU)

Thomas Kufen (CDU)   
(ab 16:40 Uhr)

Andrea Milz (CDU)       
(ab 15:20 Uhr)

Daniel Sieveke (CDU)  
(ab 15:20 Uhr)

Robert Stein (CDU)      
(ab 17:15 Uhr)

Horst Becker (GRÜNE) 
(ab 14 Uhr)

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE)           
(ab 14:45 Uhr)

Holger Ellerbrock (FDP)           
(ab 12 Uhr)

Daniel Düngel (PIRATEN)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)      
(ab 17 Uhr)

Kai Schmalenbach (PIRATEN)

Daniel Schwerd (PIRATEN)      

Torsten Sommer (PIRATEN)     
(ab 19:10 Uhr)

 


Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 87. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Vertreterinnen und Vertretern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wie Sie unschwer erkennen und auch schon in der Vorbereitung auf den heutigen Plenartag in den Fraktionen erfahren haben, steht heute in der Mitte des Plenarsaals eine sehr außergewöhnliche Kamera. Wir werden während des kompletten Plenartages Aufnahmen von unserer Sitzung fertigen lassen, die wir später für den neuen Film über das Parlament und die parlamentarische Arbeit im Landtag Nordrhein-Westfalen, den wir für das Besucherzentrum benötigen, nutzen. Lassen Sie sich bitte nicht irritieren! Diejenigen, die die Kamera bedienen, haben versprochen, das so unauffällig wie möglich zu machen, aber der Standort der Kamera wird während der Plenarsitzung auch verändert werden müssen.

Dieser Hinweis richtet sich auch an unsere Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne. Ausnahmsweise wende ich mich auch einmal an Sie – das ist nämlich hier im Plenum nicht üblich –, damit Sie wissen: Das ist schon eine außergewöhnliche Situation, die Sie miterleben werden, und nicht der Alltag im nordrhein-westfälischen Landtag.

Vor Eintritt in die Tagesordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich weiterhin darauf hinweisen, dass sich die Fraktionen zwischenzeitlich darauf verständigt haben, als zusätzlichen Tagesordnungspunkt 24 einen Wahlvorschlag der Fraktion der CDU ohne Debatte aufzunehmen. Dieser Wahlvorschlag beinhaltet die Nachwahl eines ordentlichen Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses I und trägt die Drucksachennummer 16/9070. Damit verschieben sich die dann nachfolgenden Tagesordnungspunkte, wenn wir diesen Tagesordnungspunkt 24 neu aufnehmen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Damit treten wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Ergebnisse der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder (MPK) vom 18.06.2015

Unterrichtung
durch die Landesregierung

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 19. Juni dieses Jahres mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu dem genannten Thema zu unterrichten.

Die Unterrichtung erfolgt durch Frau Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Bitte schön.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn der Plenarsitzung möchte ich Sie gerne über die Ergebnisse und Beratungen der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder mit der Bundeskanzlerin am vorigen Donnerstag informieren.

Auf der Konferenz wurden einige Themen besprochen und Beschlüsse gefasst, die für unser Land Nordrhein-Westfalen besonders wichtig sind und die auch schon mehrfach Thema hier im Landtag waren. Ich möchte mich auf die wesentlichen Themen konzentrieren. Das sind in erster Linie das Thema „Flüchtlinge“ und das Thema „Länderfinanzausgleich“.

Meine Damen und Herren, beim Thema „Flüchtlingspolitik“ – dies war ein zentrales Thema der Konferenz am Donnerstag – geht es um die Situation der Menschen, die in größter Not zu uns geflohen sind, ihre Aufnahme, ihre Unterbringung und Versorgung. Damit beschäftigen wir uns seit geraumer Zeit. Sie wird auch in Zukunft im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen müssen. Denn die katastrophale Lage zum Beispiel in Syrien, im Irak, im Jemen und in Afghanistan zwingt immer mehr Menschen dazu, vor Unterdrückung, Terror und Krieg aus ihrer Heimat zu fliehen und anderswo Zuflucht zu suchen. Diesen Menschen müssen wir helfen. Das zu tun, ist ein Gebot der Menschlichkeit und zugleich eine große Herausforderung für Bund, Länder und Kommunen.

Die finanziellen Lasten tragen in erster Linie die Länder und Kommunen. An dieser Stelle möchte ich den Städten, Gemeinden und Kreisen bei uns in Nordrhein-Westfalen für ihr großes Engagement und für ihre großartige Arbeit danken.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Wir alle wissen, dass manche von ihnen an der Grenze der Belastbarkeit angekommen sind. Umso mehr Anerkennung und Respekt verdient, was dort täglich geschieht.

Ausdrücklichen Dank und Respekt möchte ich auch den vielen Vereinen und Initiativen, Bürgerinnen und Bürgern bekunden, die sich ehrenamtlich und mit ganzem Herzen um die Flüchtlinge kümmern.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Vor allem die menschliche Zuwendung, die sie geben, ist für die Flüchtlinge von unschätzbarem Wert. Mit ihrem Engagement machen sie sich auch um die Willkommenskultur in unserem Land verdient. Herzlichen Dank – ich denke, von uns allen – dafür!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zusammen mit den anderen Ländern und den Kommunen haben wir dem Bund bereits im vergangenen Jahr deutlich gemacht, dass er sich stärker engagieren muss, insbesondere, um die Kommunen zu entlasten.

Im Dezember haben wir gemeinsam die Zusage des Bundes erreicht, Länder und Kommunen finanziell zu entlasten, und zwar durch die sogenannte Flüchtlingsmilliarde. Diese Flüchtlingsmilliarde – das kann man nicht oft genug wiederholen – ist kein Milliardengeschenk. Denn die Hälfte davon müssen die Länder aus ihren Haushalten finanzieren.

Als der Bund die Flüchtlingsmilliarde zugesagt hat, rechnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für das Jahr 2015 mit 200.000 Asylerstanträgen in Deutschland. Schon heute werden doppelt so viele Anträge erwartet. Inzwischen gehen wir sogar von einer Zahl weit über 400.000 aus.

Tatsache ist also, dass die vom Bund vor einem halben Jahr zugesagten Hilfen bei Weitem nicht ausreichen. Umso wichtiger ist es deshalb, dass es uns nun gemeinsam mit den anderen Ländern gelungen ist, mit der Bundesregierung eine ganze Reihe von Maßnahmen zu vereinbaren, die insbesondere die Kommunen finanziell entlasten wird. Diese Entlastung ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Besonders hervorheben möchte ich, dass der Bund sich – ich möchte sagen: endlich – zu einer Verantwortungsgemeinschaft mit Ländern und Kommunen bekannt hat. Er hat grundsätzlich akzeptiert, dass er stärker in der Pflicht ist, als er bisher anerkennen wollte und als er bisher gezeigt hat. Der Bund wird sich deshalb ab 2016 – das ist schon klar – strukturell, dauerhaft und dynamisch an den gesamtstaatlichen Kosten beteiligen.

Damit ist klar: Der Bund zahlt nicht, wie bisher vorgesehen, eine einmalige Pauschale, sondern er richtet seine Hilfen an der tatsächlichen Zahl der Flüchtlinge aus. Das war eine zentrale Forderung – auch aus Nordrhein-Westfalen, und wir haben uns als Länder durchgesetzt. Das ist ein entscheidender Fortschritt, den wir an dieser Stelle erzielen konnten.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Ich möchte noch einmal sehr deutlich formulieren: Wir verhandeln dort im Namen und für die Kommunen. In den Punkten geht es ausschließlich um die finanzielle Entlastung der Kommunen und nicht um etwas, was sozusagen dem Landeshaushalt zugutekommt, sondern wir reichen das Geld direkt an die Kommunen durch. Wir sind uns einig, dass das ein wichtiger Schritt ist.

Bis zum Herbst wird eine Bund-Länder-Arbeitsgrup-pe unter Federführung des Bundeskanzleramtes, des Bundesinnenministers mit den Chefinnen und Chefs der Staatskanzleien Vorschläge machen, wie und in welchem Umfang eine solche Entlastung erfolgen wird.

Quasi als Sofortmaßnahme hat sich der Bund bereit erklärt, die bisher schon zugesagten pauschalen Hilfen für Länder und Kommunen aus dem Jahr 2016, nämlich 500 Millionen, auf das Jahr 2015 vorzuziehen.

Das bedeutet für Nordrhein-Westfalen im laufenden Jahr noch einmal zusätzlich 108 Millionen. Auch an dieser Stelle ist noch einmal zu betonen – eine Tatsache, die leider zu oft ignoriert wird –: Die Hälfte dieser 108 Millionen muss das Land refinanzieren. Trotzdem haben wir in der Koalition entschieden, diese 108 Millionen eins zu eins an unsere Kommunen weiterzugeben. Denn wir wissen von der schwierigen Situation vor Ort.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich betone, dass uns das nicht leichtfällt. Denn auch das Land hat, verbunden mit der Flüchtlingsfrage, erheblich höhere Ausgaben zu schultern. Das haben wir schon im Nachtragshaushalt 2015 deutlich gemacht, der heute beraten wird, und das wird auch im Haushalt 2016 eine große Rolle spielen. Denn das Land finanziert eine Reihe von Kosten, die jetzt gar nicht Gegenstand der Verhandlungen in Berlin sind.

Ich nenne sie einmal, damit das noch einmal deutlich wird:

Das Land finanziert den Aufbau und die Finanzierung weiterer Erstaufnahmeeinrichtungen und dort auch Unterbringung, Verpflegung und Taschengeld.

Das Land finanziert die FlüAG-Pauschale in Richtung Kommunen.

Diese Mehrausgaben schultern wir durch das, was sich im Haushalt als Belastung niederschlägt.

Darüber hinaus finanzieren wir aber auch Kitaplätze, Ganztag, mehr Personal in den Schulen, also Lehrerinnen- und Lehrerstellen, die wir auch jetzt für 2016 wieder einpreisen müssen. All das sind also höhere Ausgaben auch für die Bezirksregierungen, aber auch für die Gerichte. Auf diesen Punkt komme ich nachher zurück.

Dieser Aufbau ist richtig. Wir schultern diese Mehrausgaben im Rahmen unserer Verantwortung, und ich bin froh darüber, dass wir dazu im Landtag bisher einen gemeinsamen Konsens finden konnten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Der entscheidende Flaschenhals und Kostentreiber beim Thema „Flüchtlinge“ ist die Dauer der Verfahren. Deshalb ist es sehr wichtig, dass der Bund zugesagt hat, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in den Jahren 2015 und 2016 mit bis zu 2.000 zusätzlichen Stellen für die Bearbeitung von Anträgen auszustatten.

Warum das so wichtig ist, zeigen die Zahlen, die ja auch transparent sind. Zurzeit liegen dort mehr als 220.000 Fälle, die noch in Bearbeitung sind. Diese Halde – so will ich es mal nennen – wächst monatlich um rund 10.000 Fälle.

Wenn wir es nicht schaffen, das wegzuarbeiten, bleibt es bei der problematischen Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Dann müssen wir schneller in die Kommunen rüberschieben. Das alles wäre am Ende eine hohe Belastung für alle Beteiligten. Deshalb ist die Dauer der Verfahren die zentrale Frage. Damit ist eine weitere zentrale Forderung der Länder erfüllt.

Es ist der richtige Weg, die Dauer der Asylverfahren und zugleich die Gesamtaufenthaltsdauer von Asylbewerbern aus Herkunftsländern mit besonders niedriger Schutzquote weiter zu verkürzen; denn die bisher überlange Verfahrensdauer hat sowohl die Flüchtlinge als auch ganz besonders die Kommunen sehr stark belastet.

Ich möchte aber noch folgenden Punkt anbringen: Was das Verfahren anbelangt, können wir nicht nur auf den Bund zeigen, sondern wenn die Verfahren schneller vonstattengehen sollen, dann ist wichtig, dass auch wir – die Kommunen und das Land – uns der eigenen Verantwortung stellen. Das bedeutet, dass die Möglichkeiten in den Ausländer- und Sozialbehörden, Verfahren schneller durchlaufen zu lassen, verbessert werden müssen. Das bedeutet auch Personal, was dort gebraucht werden wird. Weiter bedeutet es für das Land, dass die Stellen an den Verwaltungsgerichten ausgebaut werden müssen. Auch das haben wir in unseren Haushaltsplanungen personell und organisatorisch vorbereitet.

Meine Damen und Herren, Bund und Länder sind sich – auch das war Gegenstand der Gespräche – einig, die Anstrengungen für Integration zu intensivieren. Wir sind uns klar darüber, dass das geschehen muss. Wir als Land tun das – wie wir es beim Flüchtlingsgipfel auch miteinander vereinbart haben – durch verstärkte Anstrengungen über die Integrationszentren, über die wir die Mittel sozusagen hin vor Ort transportieren.

Der Bund ist prioritär für die Integrationskurse zuständig. Ich bin sehr froh darüber, dass er sich bereit erklärt hat, die Integrationskurse auch für Asylsuchende und Geduldete mit guter Bleibeperspektive zu öffnen. Er bietet jetzt Sprachkurse in einem Umfang von 300 Stunden an. Wenn die Anerkennung vorliegt, sind es die üblichen 600 Stunden. Ich mache kein Hehl daraus: Wir hätten uns etwas mehr gewünscht. Ich bin aber froh, dass dieser wichtige Einstiegsschritt jetzt erst einmal getan wurde.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Eine weitere Forderung der Länder ist bisher noch nicht erfüllt. Wir werden hier aber weiter kämpfen. Dabei handelt es um eine Öffnung der Sprachkurse auch im berufsbezogenen Bereich. Das sind die sogenannten ESF-BAMF-Kurse sowie die Kurse im Bereich Hochschule. Hier konnten wir den Bund noch nicht bewegen, sich stärker zu engagieren. Ich hoffe, dass uns das in den anstehenden Verhandlungsrunden noch gelingen wird.

Wichtig ist aber auch – das war ebenfalls Thema in unseren Flüchtlingsrunden – die Anerkennung der Bildungsabschlüsse. Hier haben die Länder zugesagt, dass sie mehr Stellen für die länderübergreifende Gutachterstelle einsetzen werden. Hier gibt es auf den unterschiedlichen politischen Ebenen einiges zu tun. Auch hier werden wir als Länder unsere Hausaufgaben machen.

Bund und Länder werden sich gemeinsam dafür einsetzen, dass junge Asylsuchende und Geduldete mit guter Bleibeperspektive, die sich in einer Ausbildung befinden, endlich einen rechtsicheren Aufenthaltsstatus für die Dauer der Ausbildung bekommen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage deutlich: Für mich wäre es wichtig, dass das sogar noch darüber hinausgeht!

Auch das Thema „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ hat eine große Rolle gespielt. Der Bund hat inzwischen dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt, der unter anderem eine bundesweite Aufnahmepflicht der Länder durch ein bundesweites und landesinternes Verteilungsverfahren vorsieht. Dieses Gesetz soll zum 1. Januar 2016 in Kraft treten. Wir sind uns aber mit dem Bund einig, dass wir hier schnellstmöglich ein Übergangskonzept brauchen. Hier geht es ebenfalls um finanzielle Belastungen. Auch das werden wir noch einmal aufs Tableau legen.

Meine Damen und Herren, es stellt sich die wichtige Frage des Wohnraums. Unser Wohnungsbauminister hat jetzt ein Programm zum Ausbau von Unterkünften bzw. Wohnungen für Flüchtlinge vorgestellt. Wir sind uns mit dem Bund darüber einig, dass auch dies noch konkretisiert werden muss. Hier brauchen wir mehr bezahlbaren Wohnraum. Das wird – darüber sind sich alle im Klaren – ein zunehmender Engpass werden. Wir sind auf einem guten Weg, über die bestehenden Programme eine weitere Ausweitung der Finanzierungsmöglichkeiten sicherzustellen. Auch dafür müssen wir noch kämpfen. Über den Umfang werden wir reden. Dass das aber ein wichtiges Thema ist, darüber sind sich alle Beteiligten im Klaren.

Ich komme zu einem weiteren Punkt, der uns ebenfalls am Herzen liegt und immer wieder auch hier Thema ist: Das ist die Gesundheitsversorgung. Dabei geht es darum, wie man das organisiert. Der Bund wird im Einvernehmen mit den Ländern – das hat er zugesagt – die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass ärztliche Behandlungen von Asylsuchenden mit den gesetzlichen Krankenversicherungen abgerechnet werden können. Diese Regelung soll für die Länder optional, für die Krankenkassen aber verpflichtend sein. Sie soll deshalb optional sein, weil beispielsweise Bayern das nicht in Angriff nehmen möchte.

Dies ermöglicht es, die Kommunen von den Verwaltungskosten bei der Abrechnung von Gesundheitsleistungen zu entlasten. Die Leistungen werden vom Umfang her allerdings wie bisher analog dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden. Hier geht es um eine organisatorische und damit auch indirekt finanzielle Entlastung der Kommunen. Auch das ist eine wichtige Aufgabe, der wir uns stellen müssen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bei diesem Thema viel erreicht. Schon jetzt verbessern wir ein Stückchen weit die Lebenssituation von Flüchtlingen. Wir entlasten unsere Städte und Gemeinden, und wir tragen außerdem zum Erhalt der Willkommenskultur in Nordrhein-Westfalen bei.

Manche Maßnahmen werden Zeit brauchen. Wenn das Bundesamt für Migration neue Stellen schafft, müssen die erst besetzt werden. Die Leute müssen eingearbeitet werden. Auch wenn wir alle ungeduldig sind: Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass nicht schon morgen eine Verbesserung eintreten wird. Einig sind wir uns aber, dass wir keine Zeit verlieren dürfen. Wir werden darauf achten, dass die Vorarbeiten zügig durchgeführt werden, damit wir, wie geplant, auf der Ministerpräsidentenkonferenz im Herbst über die genauen Details dieser dauerhaften strukturellen und dynamischen Kostenbeteiligung des Bundes beschließen können. Die entscheidenden Fragen, die jetzt in der Arbeitsgruppe zu klären sein werden, sind: Wie erfolgt dieser Ausgleich? Wie hilft der Bund konkret den Kommunen?

Die Länder haben vorgeschlagen, das über eine Pauschale zu organisieren. Der Bund scheint eher dahin zu tendieren, im Rahmen einer Entflechtung bestimmte Aufgabengruppen zu übernehmen. Ehrlich gesagt, in welcher Form das kommen wird, darüber lassen wir mit uns reden. Wichtig ist, dass sich die Finanzierung und die Hilfen für die Kommunen an der tatsächlichen Zahl der Flüchtlinge orientieren. Wenn sie steigt, muss der Bund mehr geben, und wenn sie sinkt, kann er meinetwegen weniger geben. Das ist im Moment aber nicht absehbar.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ein zweites Thema, das ich ansprechen möchte, ist der Länderfinanzausgleich. Obwohl die Gespräche zwischen den Ländern und mit der Bundeskanzlerin über die Zukunft der Bund-Länder-Finanzbeziehun-gen intensiv waren, gab es noch kein konkretes Ergebnis. Immerhin waren sich alle Länder einig, dass wir endlich sobald wie möglich zur Einigung kommen sollten; und es gibt sie, die kleinen Schritte der Annäherung.

Ich bin überzeugt davon: Wir könnten eine Lösung finden, mit der erstens am Ende alle Länder finanziell besser dastehen und zweitens die besonderen finanziellen Probleme Einzelner angemessen berücksichtigt werden. Das gilt zum einen für Bremen und das Saarland mit ihrer prekären Haushaltssituation, es gilt aber auch für die ostdeutschen Länder.

(Zurufe von der FDP)

– Ja, wenn Sie sich diese Dimensionen anschauen, dann können Sie froh sein, dass Sie dort nicht im Parlament sitzen. Das sage ich ganz deutlich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir bleiben da solidarisch. Dass Solidarität in dieser Hinsicht ein Fremdwort für Sie ist, das wissen wir.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage hier deutlich: Auch die ostdeutschen Länder brauchen noch unsere Solidarität. Ja, wir wissen, es sieht nicht überall so aus, wie wir uns das gerne vorstellen. Da gibt es noch eine Menge zu tun. Aber wir sind uns auch darin einig – hier im Land und Gott sei Dank auch hier im Parlament –, dass mehr Klarheit, mehr Transparenz und mehr Gerechtigkeit geschaffen werden muss. Der Bund muss seinen Beitrag zu einer fairen Lösung leisten, und die Bereitschaft dazu ist erkennbar.

Klar ist, dass es keine Lösung gegen die Interessen Nordrhein-Westfalens geben kann. Deshalb wird insbesondere der für unser Land besonders ungerechte Umsatzsteuervorwegausgleich abgeschafft werden müssen. Denn er verwischt, dass Nordrhein-Westfalen ein starkes Zahlerland ist.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Wir brauchen weiterhin einen Ausgleich. Wir bleiben solidarisch, aber dieser Ausgleich ist kein Ausgleich mehr. Es findet vielmehr eine Überkompensation statt. Deshalb sagen wir: mehr Klarheit, mehr Transparenz. Wir wollen mehr von dem behalten, was in diesem Land von den Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet wird.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

In diesen Punkten stimmen wir mit dem Bundesfinanzminister überein, dessen Vorschlag ebenfalls die Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs beinhaltet. Das ist erfreulich, aber das ist nicht ohne Grund so. Denn auch die Wissenschaft fordert, dass endlich mehr Klarheit darüber besteht, welcher Ausgleich tatsächlich in Deutschland stattfinden muss und wie er dann auch im Einzelnen stattfindet.

Was Überkompensation bedeutet, kann man an vielen Beispielen aufzeigen. Wenn östliche Bundesländer, die insgesamt ungefähr die Größe Nordrhein-Westfalens haben, bereits ihre Schulden zurückzahlen können, wir aber noch nicht dazu in der Lage sind,

(Zuruf von der FDP)

dann muss man sich die Details genau anschauen. Ich empfehle das sehr. Auf den Haushalt 2016 bezogen, um es einmal plakativ zu machen, bedeutet das, dass wir für jeden Euro, den wir ausgeben, noch 2,5 Cent an neuen Schulden aufnehmen müssen. 2010 waren das übrigens noch 11 Cent.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ostdeutschland, annähernd so groß wie wir, fehlt eigentlich an jedem Euro 30 Cent. Über die Ausgleichssysteme bekommen die ostdeutschen Länder allerdings 32 Cent zurück, sodass sie am Ende noch einen Überschuss haben. Diese Ungerechtigkeit werden wir im Länderfinanzausgleichssystem nicht belassen können, meine Damen und Herren. Das wird so nicht gehen!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Da meine Redezeit zu Ende geht, kann ich leider nichts mehr zu den Streitigkeiten mit Bayern zum Thema „Netz“ ausführen. Das ist allerdings ein separates Thema, über das wir sicherlich in Zukunft noch einmal intensiv diskutieren können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank für die Unterrichtung, Frau Ministerpräsidentin.

Damit steigen wir in die Aussprache zur Unterrichtung der Landesregierung ein. Als erster Redner hat vonseiten der CDU-Fraktion deren Fraktionsvorsitzender, Herr Kollege Armin Laschet, das Wort.

Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In welcher Stimmung wir diese Debatte führen, kann man sich vor Augen führen, wenn man die Meldungen von Montagabend aus Freital bei Dresden liest: 100 aggressive Demonstranten pöbeln und schimpfen gegen Flüchtlinge vor einem Hotel. – Sie werfen Böller. Mittendrin Lutz Bachmann, der PEGIDA-Gründer, wegen Drogenhandels und Einbrüchen vorbestraft. Die Zeitungen schreiben, es gab eine pogromartige Stimmung. Einige twitterten und schrieben auf Facebook: „Friedliche Spaziergänge wie bisher helfen nicht mehr“, und die „Rheinische Post“ titelt heute: „Mehr Straftaten gegen Flüchtlinge“.

Wir in Nordrhein-Westfalen haben ein anderes Signal gesetzt. Der Erzbischof von Köln hat am letzten Freitag mit 23.000 Glockenschlägen im ganzen Erzbistum Köln an die Toten im Mittelmeer erinnert. Das war ein Signal, das weit über Köln hinausgeht. Wir danken dem Erzbischof von Köln für dieses starke Signal.

(Beifall von allen Fraktionen)

Deshalb ist es gut, dass wir in diesen Fragen auch in diesem Landtag über die Parteigrenzen hinweg auch bei Nuancenunterschieden immer zusammengestanden haben. Deshalb ist es auch gut, dass der Flüchtlingsgipfel in der letzten Woche diese Verantwortungsgemeinschaft – Sie haben das Wort ebenfalls gebraucht, Frau Ministerpräsidentin – zwischen Bund, Ländern und Kommunen unterstrichen hat.

Der Bund hat erkannt: Flüchtlinge kommen nicht nach Köln oder Dortmund, Flüchtlinge kommen nicht nach Bayern oder Nordrhein-Westfalen, sondern Flüchtlinge kommen nach Europa, kommen nach Deutschland, und deshalb ist das eine Aufgabe, die Bund, Länder und Kommunen – so, wie der Gipfel gesagt hat – strukturell, dauerhaft und dynamisch gesamtdeutsch tragen müssen. Das ist das Gute bei diesem Gipfel, und in dieser Frage haben Sie auch die volle Unterstützung der CDU.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nun gibt es ein paar Maßnahmen, die auf diesem Gipfel beschlossen worden sind. Wichtig ist, dass wir den Blick nicht nur nach Berlin richten – da ist jetzt einiges passiert –, denn es gibt auch Hausaufgaben, die man in Nordrhein-Westfalen machen muss.

Wir alle wissen, dass die Kommunen in anderen Ländern eine stärkere Unterstützung durch ihre Landesregierungen erfahren. Wenn beispielsweise in Bayern 100 % der Kosten übernommen werden, redet man dort in den Kommunen schon anders über die Flüchtlingsproblematik als in den Kommunen hier in Nordrhein-Westfalen, die ohnehin schon unter großen Finanzproblemen leiden, und die die Folgen des Strukturwandels sowie hoher Verschuldung zu tragen haben. Dass sie bis heute nur 25 %, 26 % oder 27 % ihrer Kosten erstattet bekommen, macht die Lage dramatischer als in anderen Bundesländern.

(Beifall von der CDU)

Ich glaube deshalb, dass wir über die vielen Maßnahmen hinaus, die Sie erwähnt haben, drei Aufgabenfelder in den Blick nehmen müssen, die solche Fragen betreffen wie: Kommen, Bleiben und Gehen. Das hängt eng zusammen. Deshalb werde ich das, was ich im Folgenden vortrage, auch so strukturieren.

In der Bosch-Kommission sitzen wir derzeit mit Spitzenvertretern der Arbeitgeber und der kommunalen Spitzenverbände zusammen, um nach Lösungen innerhalb unserer Rechtssystematik zu suchen. Unsere Rechtsgrundlagen greifen da noch nicht genügend ineinander über: Der Wechsel vom Flüchtlingsstatus hinein in die Integration ist systematisch eigentlich nicht vorgesehen, obwohl das aber in vielen Kommunen der Realität entspricht.

Deshalb zunächst zum Stichwort „Kommen“: „Kommen“ bedeutet, dass wir über Deutschland hinaus auch europäische Verteilschlüssel brauchen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von der SPD: Beantragt!)

Es geht nicht, dass wenige Länder in der Europäischen Union die gesamte Last tragen, wohingegen zehn, zwölf oder 14 Länder keinen einzigen Flüchtling aufnehmen. Das ist nicht die europäische Solidarität, wie wir sie uns vorstellen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Unser Königsteiner Schlüssel ist da durchaus ein Modell. Natürlich kann man nicht proportional Flüchtlinge nach Griechenland bringen, also in ein Land, das ohnehin riesige Probleme hat.

(Lachen von Michele Marsching [PIRATEN] – Zuruf von den GRÜNEN)

Aber die wirtschaftlich stärkeren Länder müssen mehr leisten, als das heute der Fall ist. Nach Griechenland werden derzeit keine Flüchtlinge verteilt,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Aber die kommen da hin, und zwar Zigtausende!)

aber auf manchen griechischen Inseln kommen sehr wohl Flüchtlinge an, insbesondere aus Syrien. Und da muss Europa gleichermaßen auch Griechenland helfen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die zweite wichtige Frage ist die nach dem Torwechsel. Insbesondere aus dem Kosovo kommen viele Flüchtlinge, die, wenn sie wüssten, dass sie auch über eine legale Arbeitsmigration kommen könnten, gar nicht erst den Weg über das Asyl gehen würden.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Vielleicht!)

Deshalb sind Informationskampagnen, wie sie die Bundesregierung derzeit im Kosovo durchführt – dort werden denjenigen, die aus gesuchten Berufen kommen, andere Wege aufzeigt als der über das Asyl –, ein richtiger Schritt. Dies würde die Kommunen, die Gerichte und die Verwaltungsverfahren entlasten.

Der dritte Punkt ist das Bleiben. Viele, die vielleicht nicht als politisch Verfolgte anerkannt werden, werden am Ende doch nicht abgeschoben, wenn sie beispielsweise aus Syrien oder aus dem Irak kommen. Das sind Flüchtlinge, bei denen wir davon ausgehen können: Sie werden auf Dauer bei uns bleiben.

Wenn dem so ist, dann müssen wir das System ändern. Bis vor einigen Jahren gab es sogar noch Arbeitsverbote. Jetzt hingegen muss es das Ziel sein, dass deren beruflichen Abschlüsse schneller anerkannt werden, dass sie schneller Deutsch lernen und dass sie sich schneller aus eigener Kraft ernähren können und nicht von sozialen Leistungen leben.

(Beifall von der CDU und Bernhard von Grünberg [SPD])

Das muss jetzt bei dieser Gruppe von Flüchtlingen geleistet werden. Dazu gibt es viele Vorschläge, die die Ministerpräsidenten in der letzten Woche beschlossen haben.

Die neuralgische Stelle jedes Asylverfahrens sind die Erstaufnahmeplätze. Mit der Aufstockung der Zielmarke um 4.000 auf 16.500 Plätze hat die Landesregierung einen richtigen Weg eingeschlagen. Wir sind seit Längerem der Meinung, dass wir in den Erstaufnahmeeinrichtungen 20.000 Plätze brauchen.

Außerdem sollte bei uns in Nordrhein-Westfalen mehr Aufenthaltszeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen veranschlagt werden. Derzeit beträgt die Aufenthaltsdauer dort 14 Tage, bevor die Überstellung in die Kommunen erfolgt. Ziel muss es sein, schon in der Erstaufnahmeeinrichtung zu klären, wer ein Recht hat, dauerhaft hierzubleiben, und wer zurückkehren muss. Das sollte geschehen, bevor irgendjemand in die Kommune überwiesen wird.

(Nadja Lüders [SPD]: Das liegt am BAMF!)

– Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass das BAMF da mehr tun muss, dann haben Sie recht; das ist wahr.

(Zustimmung von Nadja Lüders [SPD] und Frank Herrmann [PIRATEN])

Trotzdem muss eine Landesregierung auch klar sagen: Wir führen zurück, bevor wir in die Kommune überweisen.

(Beifall von der CDU)

Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen hat gestern eine entsprechende Regierungserklärung abgegeben. Darin hat sie gesagt, sie wolle sich auf die tatsächlich heimatlosen Verfolgten und Traumatisierten konzentrieren. Außerdem hat sie zugesagt, dass Menschen aus sicheren Herkunftsländern den Kommunen gar nicht mehr zugewiesen werden,

(Nadja Lüders [SPD]: Aber das muss doch erst mal festgestellt werden!)

sondern gleich in dem Verfahren schnellstmöglich zurückgeschickt werden. Eine solch klare Aussage würde ich mir auch von dieser Landesregierung wünschen.

(Beifall von der CDU)

Die Ministerpräsidentin hat heute im Bonner „General-Anzeiger“ gesagt, Nordrhein-Westfalen habe – ich zitiere wörtlich – „fast 2.000 Asylanten zwangsweise zurückgeführt“. Ein Viertel aller bundesweiten Abschiebungen finde in Nordrhein-Westfalen statt.

Ich halte es für wichtig, dass wir bei der Frage nach sicheren Herkunftsländern ernsthaft prüfen – wie es auch der Gipfel beschlossen hat –, ob nicht zusätzlich zu Serbien sowie Bosnien und Herzegowina auch Montenegro, Albanien und Kosovo als sichere Drittländer eingestuft werden. Das sind zum Teil Beitrittskandidaten zur Europäischen Union.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Dort sind Flüchtlinge sicher.

Lieber Herr Kollege Herter, bei der Frage nach Serbien, Bosnien und Herzegowina

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Die sind als Minderheiten aber nicht sicher!)

sagt heute jeder: „Das ist in Ordnung“,

(Marc Herter [SPD]: So ist es, aber doch nicht der Kosovo! - Hans-Willi Körfges [SPD]: Fahren Sie da hin und informieren Sie sich!)

auch die Zwischenrufer, die Herren Herter und Körfges. Aber dass es so gekommen ist, war nur möglich, weil Ministerpräsident Kretschmann zugestimmt hat. Nordrhein-Westfalen hat dazu nicht Ja gesagt.

(Beifall von der CDU und Ralf Witzel [FDP])

Ich wünsche mir, dass das beim nächsten Mal deutlicher gemacht wird.

Wir schaffen das Ganze eher, wenn wir uns auf diejenigen Flüchtlinge konzentrieren, die wirklich schutzbedürftig sind.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wer entscheidet das?)

Es handelt sich immerhin um Daten des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. Wenn wir uns daran halten und uns um die Betroffenen kümmern, ihnen eine Perspektive geben,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das entscheidet ein Asylverfahren und nicht das Herkunftsland!)

dann heißt das zugleich, dass man bei sicheren Drittländern zu klareren Regelungen kommen muss. Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

(Beifall von der CDU)

Übrigens haben die Ministerpräsidenten dies im Prinzip auch beschlossen; es gibt also gar keinen Grund zur Unruhe. In den drei Ländern wird nun exakt geprüft, ob die Evaluierung im Falle von Serbien zur Verbesserung der Situation beigetragen hat. Und wenn man dann zu dem Ergebnis kommt, dass es etwas gebracht hat, sind die Ministerpräsidenten prinzipiell offen, diese anderen Länder ebenfalls einzubeziehen.

(Marc Herter [SPD]: Und wenn nicht?)

Deshalb gibt es an dieser Stelle keinen Grund, sich aufzuregen.

(Beifall von der CDU)

Ich möchte noch einen Aspekt hinzufügen, dem wir unsere besondere Aufmerksamkeit widmen müssen: die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Solange sie minderjährig sind, werden sie von der Jugendhilfe unterstützt, und viele andere Mechanismen greifen helfend ein. Wenn die Jugendlichen erst einmal 18 Jahre alt werden, haben wir das Problem, dass sie damit in ein völlig anderes System hineinkommen. Das ändert aber nichts an ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit. Wenn diese jungen Menschen mit 18 Jahren, ohne Eltern in einem fremden Land, einen Weg von Bildung und Aufstieg beschreiten können sollen, brauchen wir dafür neue Ideen. Darauf ist unser Recht derzeit nicht vorbereitet.

Ich habe gemeinsam mit der Ministerin Öney aus Baden-Württemberg eine besonders vorbildliche Einrichtung in Meßstetten besucht. Der Ort hat 5.000 Einwohner, und dort leben 1.500 Flüchtlinge. Dort denkt man über eine Art Internatslösung nach: Die Jugendlichen machen eine Berufsausbildung, sie leben mit anderen Jugendlichen zusammen und werden gemeinsam betreut. Sie erlernen einen Beruf und leben gemeinschaftlich, wie wir das aus klassischen Internaten kennen. So können sie diesen Weg auch ohne ihre Eltern gehen.

Ich finde, das sollten wir uns auch einmal als Modell für Nordrhein-Westfalen genauer überlegen. So könnte man für diese Gruppe – zum Beispiel in Aachen an der Grenze; da, wo sie aufgegriffen werden – eine Lösung finden. Das müssen wir als Gesamtaufgabe des Landes ansehen.

(Beifall von der CDU)

Ein Letztes. Manche Kräfte in der Wirtschaft sagen: Wir suchen uns die Leute heraus, die wir brauchen können. – Das geschieht sogar bei denjenigen, die zurückkehren müssen, also Menschen aus dem Kosovo oder aus anderen Ländern. Aber: Wir müssen darauf achten, dass wir die Menschen nicht nur nach Nützlichkeitserwägungen aussuchen.

Sicher gibt es klare Kriterien: Derjenige, der Potenzial hat, muss früh gefördert werden. Es geht aber nicht, dass es heißt: Die Besten suchen wir uns heraus, und für den Rest ist der Staat zuständig. Alle sozialen Kosten, die zu tragen sind, übernimmt der Staat, aber ansonsten durchbrechen wir alle Regeln des Aufenthaltsrechts. Das muss in diesem Dreiklang von Kommen – Bleiben – Gehen sauber getrennt werden.

Dann schaffen wir auch eine Stimmungslage, in der die Menschen in Nordrhein-Westfalen weiterhin sagen: Bei vielen ist ein Potenzial vorhanden; den anderen werden wir solidarisch beistehen. Das muss in unseren Konzepten, die wir entwickeln, deutlich werden.

(Beifall von der CDU)

Unser Ziel muss sein: den Flüchtlingsstatus schnell hinter sich lassen, das Schicksal in die eigenen Hände nehmen, dabei helfen, dass ein solcher Aufstieg durch Bildung in unserem Land möglich wird. Unser Land hat dieses Potenzial.

Wenn wir uns andere Länder auf der Welt anschauen, insbesondere die Anrainerstaaten am Mittelmeer – zum Beispiel den Libanon, der mit vier Millionen Einwohnern eine Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat –, dann bin ich mir sicher, dass wir die Zahl der Flüchtlinge, die wir derzeit in Deutschland haben, mit einer großen Solidarleistung ebenfalls bewältigen werden.

Das hat dieses Land schon einmal bewiesen. Und dafür sollten wir auch über die Parteigrenzen hinweg eintreten: Wir sollten den Flüchtlingen einen Aufstieg, einen Einstieg in unsere Gesellschaft, den Spurwechsel vom Flüchtlingsstatus in ein gleichberechtigtes, aus eigener Arbeit selbst gestaltetes Leben in unserem Land ermöglichen. Das ist das Ziel der Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der CDU – Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt deren Fraktionsvorsitzender Herr Kollege Norbert Römer das Wort.

Norbert Römer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank an die Ministerpräsidentin und die Landesregierung.

Ich danke Ihnen zum einen dafür, dass Sie heute Morgen das Hohe Haus über viele wichtige Fragen informiert haben: Wie gehen wir mit den Menschen um, die aus Not, aus Bedrängnis, aus Kriegsgebieten zu uns kommen? Wie helfen wir Ihnen? Wie nehmen wir alle – Bund, Länder und Kommunen – in die Verantwortung, damit wir diese Herausforderung gemeinsam bestehen können?

Zum anderen danke ich Ihnen dafür, dass Sie uns auch darüber informiert haben, wie die schwierigen, harten Verhandlungen über eine transparentere und vor allen Dingen gerechtere Bund-Länder-Finanz-ierung vorangekommen sind.

Ich will ausdrücklich sagen, Herr Kollege Laschet, ich bin auch Ihnen dafür dankbar, dass Sie in dieser wichtigen Frage, in der es um Menschen geht, deutlich gemacht haben: Da tragen wir alle hier im Hohen Haus eine gemeinsame Verantwortung; da stehen wir zusammen. Das ist ein gutes Signal an Nordrhein-Westfalen, an die Menschen und vor allen Dingen an diejenigen, die zu uns kommen. Vielen Dank für die Unterstützung durch die CDU in dieser wichtigen Frage.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, es geht dabei nicht nur um finanzielle Fragen, obwohl diese nicht unwichtig sind, auch im Verhältnis von Bund, Ländern und Kommunen. Es geht selbstverständlich auch darum, anzuerkennen und darauf aufzubauen, wie groß die Hilfsbereitschaft in unserem Land ist, und dafür zu sorgen – auch mit den Debatten hier im Hohen Haus – dass bei den Menschen das Signal ankommt: Wir kümmern uns vor allem um diejenigen, die zu uns kommen. Es geht um Hilfsbereitschaft, es geht um Solidarität, es geht darum, füreinander einzustehen.

Herr Kollege Laschet, Sie haben zu Recht Kardinal Woelki, den Erzbischof von Köln, für diese beeindruckende Aktion gelobt. Ich hatte die Gelegenheit, zusammen mit meinem Fraktionsvorstand am Donnerstagabend voriger Woche, also einen Tag vor dieser großen Aktion, ein intensives, lange vorbereitetes Gespräch mit Kardinal Woelki, Erzbischof Becker, Bischof Genn und den Generalvikaren der fünf katholischen Bistümer in Nordrhein-Westfalen und dem Katholischen Büro zu führen, bei dem es auch um diese Frage ging.

Am Vorabend dieser Aktion haben wir vor allem darüber geredet, was uns – Politik, Gesellschaft, auch Kirche – hier in Nordrhein-Westfalen im Umgang mit diesen Menschen eint. Wir sind übereingekommen – Sie haben das gerade ebenfalls angeführt –:

Ja, es braucht in Europa mehr Solidarität mit denjenigen Menschen, die aus Not, aus Todesangst vor Hunger und Elend die lebensgefährdende Flucht über das Mittelmeer wagen. Die 23.000 Glockenschläge sollten öffentlich daran erinnern, dass seit geraumer Zeit so viele Menschen auf der Flucht – vor Hunger und Elend, vor Not und Bedrängnis, vor Krieg – im Mittelmeer ums Leben kommen.

Wir in Europa müssen beweisen, dass wir nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen zusammenstehen, sondern dass wir auch ein Hort von Menschlichkeit sind. Ich glaube, das ist ein Signal, das wir an die Länder der Europäischen Union geben müssen und für das wir gemeinsam einstehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber weil Sie – Herr Kollege Laschet, das ist bei solchen Debatten eben immer so – sich selbst nicht davor haben schützen können, im Mittelteil Ihrer Rede ein bisschen in parteipolitisches Klein-Klein abzugleiten, will ich doch noch einige Punkte Ihrer Rede aufnehmen.

(Zuruf von der CDU)

Ja, das Land Nordrhein-Westfalen, die Landesregierung, diese Koalition geht bis an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten, um die Kommunen bei der Bewältigung der Herausforderung dieses wichtigen Problems finanziell zu unterstützen und auch eigene Aufgaben zu erledigen. Mit den Mitteln des Nachtragshaushalts stellen wir dafür im Jahr 2015 insgesamt 705 Millionen € zur Verfügung; im nächsten Jahr, in 2016, sogar 1,157 Milliarden €.

Herr Kollege Laschet, wenn Sie an Bayern erinnern und sagen: „Die unterstützten ihre Kommunen aber in einem größeren Ausmaß“, dann will ich nur darauf hinweisen, dass wir in Nordrhein-Westfalen ein völlig anderes Finanzierungssystem haben.

(Zuruf von der CDU)

Fast 10 Milliarden € bekommen unsere Kommunen inzwischen aus Landesmitteln über das GFG. Herr Kollege Laschet, das gibt es in Bayern nicht. Auch das muss man akzeptieren und anerkennen, wenn man über die Frage redet, inwieweit Land und Kommunen gemeinsam an diese Herausforderungen herangehen.

Das Land macht das, was seine Aufgabe ist – die Ministerpräsidentin hat darauf hingewiesen –: Stellen schaffen für Lehrerinnen und Lehrer, damit die Flüchtlingskinder hier vernünftig unterrichtet werden können; den finanziellen Herausforderungen in den Kitas begegnen, damit die Kinder in die Kitas kommen können; zugleich ist da noch die Unterstützung der Kommunen.

Wir sind uns doch mit den kommunalen Spitzenverbänden einig, dass jetzt vor allem der Bund an der Reihe ist, auch mit finanziellen Leistungen in diese Verantwortung zu treten. Es ist die Leistung der Ministerpräsidenten, dafür gesorgt zu haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich freue mich darüber, Herr Kollege Laschet, dass Sie – wenn auch mit ein bisschen Zeitverzögerung an einigen Punkten; zwei Punkte habe ich da besonders herausgehört – einem Entschließungsantrag, den wir vor zwei Plenarwochen hier eingebracht haben, nun auch inhaltlich beitreten. Das ist in Ordnung. Ich freue mich darüber, weil dies deutlich macht, dass wir in dieser wichtigen Frage zusammenstehen sollten.

Dann ist auch verziehen, Herr Kollege Laschet, dass Sie im Mittelteil Ihrer Rede wieder in das parteipolitische Klein-Klein verfallen sind. Ich erinnere an Ihre Pirouette bei der Frage, was denn sichere Herkunftsländer sind. Am Ende haben Sie wieder zugegeben: Jawohl, wir gehen in eine Prüfung hinein. – Das ist ein offener Prozess. Also: Alles in Ordnung.

Vermisst habe ich jedoch die Unterstützung bei der wichtigen Frage: Wie geht es in Nordrhein-West-falen mit Blick auf das weiter, was dieses Land und seine Kommunen seit vielen Jahren an solidarischer, finanzieller Unterstützung für andere Länder, für andere Städte und vor allem für Ostdeutschland leisten?

Im Haushalts- und Finanzausschuss haben wir doch einen gemeinsamen Beschluss gefasst, und da hätte ich gerne auch von Ihnen gehört, dass die Ministerpräsidentin die Rückendeckung der CDU-Fraktion bei ihrem Bemühen hat, dafür zu sorgen, dass endlich mehr Transparenz in dieses Finanzierungssystem hineinkommt. Damit eines klar ist: Nordrhein-Westfalen zahlt viel Geld in diese gemeinsame Finanzierung hinein; Nordrhein-Westfa-len ist Geberland und nicht Nehmerland.

Herr Kollege Laschet, das hätte ich mir gewünscht. Das wäre für die harten Auseinandersetzungen in Berlin hilfreich gewesen, auch im Gespräch mit den anderen Bundesländern. Das haben Sie leider nicht getan.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, es bleibt eine schwierige Auseinandersetzung mit den anderen Bundesländern und mit dem Bund über diese für uns wichtige Frage. Die Ministerpräsidentin hat ein paar Zahlen genannt. Ich will das hier noch einmal aufnehmen.

Unser Land Nordrhein-Westfalen zahlt über den Umsatzsteuervorwegausgleich 2,3 Milliarden € oder 2,4 Milliarden €. Das kommt in dem, was über den Länderfinanzausgleich öffentlich gemacht wird, gar nicht zum Tragen. Über den sogenannten direkten Ausgleich bekommen wir dann rund 800 Millionen € wieder zurück. Damit zahlen wir unter dem Strich 1,4 Milliarden €, manchmal auch 1,5 Milliarden € direkt an andere Länder.

Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen vor allem von der Opposition, wir brauchen uns doch nicht zu verstecken! Dieses Land Nordrhein-Westfalen hat ebenso wie seine Menschen jahrzehntelang Solidarität mit finanzschwächeren Ländern geübt – erst mit Bayern, jetzt mit den ostdeutschen Bundesländern. In Sachen Solidarität brauchen wir keinen Nachhilfeunterricht. Wir werden solidarisch bleiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das muss man den Menschen in Nordrhein-Westfalen auch sagen. Es ist doch ein Unding, dass unser Land bezogen auf die finanzielle Stärke vor der Umverteilung auf dem fünften Platz liegt und nach der Umverteilung auf dem letzten! Vor der Umverteilung hatten wir pro Einwohner rund 1.000 € mehr als beispielsweise das Land Sachsen – das uns von Ihnen, Herr Kollege Laschet, ja öfter als Vorbild vor Augen geführt wird –, und nach der Umverteilung 500 € weniger.

Der sächsische Ministerpräsident ist sich inzwischen darüber im Klaren, glaube ich. Schließlich weiß er, was diese Auseinandersetzung vor allen Dingen für die Frage bedeutet: Wie geht es nach 2019 mit der Finanzierung der wichtigen Unterstützung auch für die ostdeutschen Bundesländer weiter? Nach meiner Einschätzung würde der sächsische Ministerpräsident heute nicht noch einmal mit dem Finger auf Nordrhein-Westfalen zeigen – das Land, aus dem viele Milliarden Euro nach Sachsen und in die anderen ostdeutschen Bundesländer geflossen sind – und uns ermahnen, wir sollten doch einmal ein bisschen sparsamer mit unseren Ausgaben sein.

Herr Kollege Laschet, helfen Sie mit, dass der Kollege Tillich einen solchen Fehler nicht noch einmal macht. Halten Sie uns Sachsen nicht immer als Vorbild vor. Wir sind in jedem Fall bereit, auch in der Zukunft solidarisch mit den ostdeutschen Bundesländern umzugehen. Wir sagen den Menschen in Nordrhein-Westfalen aber zugleich: Bei aller Solidarität, die wir auch zukünftig üben werden – auch mit dem Saarland und mit Bremen, weil sie nicht aus eigener Schuld in diese Schwierigkeiten gekommen sind –, wollen wir von dem, was die Menschen in Nordrhein-Westfalen erwirtschaftet haben und weiter erwirtschaften, ein bisschen mehr bei uns behalten.

Das ist fair, das ist gerecht, und das ist vor allen Dingen auch wichtig, damit wir in unserem Land weiter nach vorne kommen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, wir stellen uns den Herausforderungen, die entstehen durch immer mehr Menschen, die zu uns kommen aus Not und Elend, aus Krisen- und Kriegsgebieten. Wir werden dafür sorgen, dass es im Bund-Länder-Finanzausgleich zu einer anderen, einer transparenteren, einer vor allen Dingen für Nordrhein-Westfalen gerechteren Verteilung kommt.

Wir bleiben dabei selbstverständlich auf unserem Kurs, den wir hier in Nordrhein-Westfalen 2010 begonnen haben und den wir konsequent fortsetzen. Die Ministerpräsidentin hat mit wenigen Zahlen darauf verwiesen. Wir werden bereits im Jahre 2019 ohne neue Schulden auskommen können, ohne dass wir unsere wichtigen Aufgaben vernachlässigen würden – nämlich die Investitionen in die Zukunft, in die Köpfe und Herzen unserer Kinder, vor allen Dingen in die Förderung von Familien, in die Stabilisierung der kommunalen Finanzen, in die Infrastruktur und damit in eine gute Zukunft für unser Land und für seine Menschen.

Das machen wir. Darauf können Sie sich verlassen. Die Menschen können sich darauf verlassen. – Vielen Dank fürs Zuhören.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die FDP-Fraktion spricht der Fraktionsvorsitzende Herr Kollege Christian Lindner.

Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Ministerpräsidentin, Sie haben eben mit Blick auf das Engagement von Bürgern und Kommunen in der Flüchtlingshilfe angemessene und richtige Worte gefunden. Generell dürfen wir sagen: In der Flüchtlingspolitik überwiegen in diesem Hause die Gemeinsamkeiten die Unterschiede.

Das ist auch angemessen und richtig; denn es geht zum einen um die Frage der Humanität gegenüber Menschen, die in größter Not bei uns Schutz suchen. Zum anderen geht es darum, dass der Staat seine Handlungsfähigkeit in diesem sensiblen Feld unter Beweis stellt; denn Menschen haben Angst, und Menschen werden auch Zeugen von Überforderung ihrer gemeindlichen Strukturen.

Wir alle in Bund und Ländern sind also gefordert – aus Gründen der Humanität und um dafür zu sorgen, dass nicht irgendwann Rechtspopulisten aus den Ängsten der Menschen Kapital schlagen wollen –, in dieser Frage Gemeinsamkeit und Handlungsfähigkeit zu zeigen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben für heute eine Unterrichtung nach einer Ministerpräsidentenkonferenz angemeldet. Deshalb haben wir uns natürlich im Einzelnen gefragt, wozu Sie hier Position beziehen werden. Vieles – so gut wie alles – von dem, was Sie hier dargetan haben, war bereits aus den Medien und aus den einschlägigen Stellungnahmen bekannt. Zu den Finanzbeziehungen von Bund und Ländern sind wir schon durch die Zeitungslektüre am Morgen informiert worden.

Die Ministerpräsidenten haben sich mit der Bundeskanzlerin über den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ausgetauscht. Dazu haben Sie hier heute nicht gesprochen. Auch über die Digitalisierung des Landes ist bei der MPK beraten worden, wenngleich auch mit durchaus mauen Ergebnissen. Wenn die Regierungschefs von Bund und Länder erklären, sie wollten die Herausforderung der Digitalisierung annehmen, wie es in der Erklärung heißt, dann ist das angesichts der fundamentalen Umwälzung, die damit verbunden ist, nun kein Grund zur Beruhigung.

Wir haben uns gefragt: Zu welchen Punkten werden Sie, Frau Ministerpräsidentin, hier noch Stellung nehmen? So, wie Wolfgang Clement, Peer Steinbrück und Jürgen Rüttgers, Ihre Vorgänger, ja eine Unterrichtung immer auch genutzt haben, um zusätzliche politische Punkte zu markieren, neue Punkte zu markieren.

Also war die Spannung groß, was dieser Punkt sein würde. Ich hatte damit gerechnet, dass Sie etwa zur Kohleabgabe Stellung nehmen.

(Zurufe)

Dazu erreichen uns aus Berlin widersprüchliche Signale, ob sie jetzt kommt, oder ob sie nicht kommt.

(Zuruf von der SPD: Da merkt man, dass Sie keinen Signalgeber mehr haben!)

Ich hätte erwartet, dass Sie hier noch einmal die Position unterstreichen,

(Beifall von der FDP)

dass wir nicht gleichzeitig aus Kernenergie und Kohle aussteigen können, wenn unser Land nicht deindustrialisiert werden soll. Dazu nichts!

Dann habe ich überlegt: Möglicherweise haben Sie genauso wie wir gelesen, dass Nordrhein-Westfalen bezogen auf den Arbeitsmarkt zum Sorgenkind geworden ist und sogar in Thüringen die Entwicklung jetzt besser ist als hier bei uns an Rhein und Ruhr.

(Lachen von Jochen Ott [SPD] – Zurufe)

Ich hatte also erwartet, sie würden vielleicht diese Unterrichtung dazu nutzen, in der Wirtschaftspolitik einen Politikwechsel anzukündigen. Denn fünf Jahre Kraft waren eben kein soziales Versprechen, sondern haben den Menschen konkret in der sozialen Realität Chancen genommen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD)

Vielleicht wäre auch die sagenumwobene Kabinettsumbildung jetzt bekanntgegeben worden.

(Zuruf von der SPD: Eine Welt, wie sie mir gefällt! – Weitere Zurufe)

Vielleicht wäre auch der heutige Arbeitstag der letzte Arbeitstag von Svenja Schulze, der Atomkugel-Ministerin, gewesen. Aber nichts davon!

(Beifall von der FDP – Ibrahim Yetim [SPD]: Sie haben keine Chance, Herr Lindner! – Zuruf von der SPD: „Heute“-Show! – Weitere Zurufe)

Frau Ministerpräsidentin, ich muss Ihnen sagen: Überraschung gelungen. Es gab in dieser Unterrichtung für den Landtag nichts Neues zu erfahren.

(Beifall von der FDP)

Nun zu den beiden Punkten, die Sie hier dargelegt haben.

Zur Frage der Flüchtlingspolitik wird sich gleich, in der zweiten Runde, mein Kollege Dr. Joachim Stamp noch im Einzelnen äußern. Er war gerade mit den beiden Evangelischen Landeskirchen in Italien

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nicht nur er!)

und bringt unmittelbare Eindrücke von dort mit. – Nicht nur er, auch andere.

Ich will vorab nur sagen, dass auch aus unserer Sicht die Ergebnisse, auf die sich Bund und Länder verständigt haben, in die richtige Richtung gehen, insbesondere bezogen auf die Beteiligung des Bundes, die Beschleunigung von Verfahren und auch die besseren Integrationsmöglichkeiten.

Aber wesentliche Fragen, die konkretisiert werden müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind in den Herbst verschoben worden. Sie haben eben selber gesagt, was alles noch offen ist. Aber in dieser hochsensiblen politischen Aufgabe brauchen wir jetzt Lösungen. Die Flüchtlingspolitik verträgt keine politische Sommerpause, Frau Ministerpräsidentin. Es muss jetzt und schnell gehandelt werden.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie haben gelobt, dass sich der Bund jetzt dauerhaft und strukturell an den Kosten beteiligen wird. Das haben Sie hier – Kollege Laschet genauso – als einen wesentlichen Fortschritt unterstrichen. – Ja, die Richtung stimmt. Aber wir sollten nicht vergessen, dass das, was der Bund zugesagt hat, eigentlich noch zu wenig ist. Es sollte doch diejenige staatliche Ebene die Kosten für die Flüchtlingspolitik übernehmen, die auch tatsächlich über Aufnahme und Aufenthalt entscheidet. Wir brauchen in dieser Frage also das Konnexitätsprinzip, durch das Aufgabe und Kostenverantwortung zusammengeführt werden. Das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss dauerhaft und vollständig beendet werden, wenn wir tatsächlich zu einer sachgerechten politischen Lösung kommen wollen.

(Beifall von der FDP)

Frau Ministerpräsidentin, ich hätte mir gewünscht, dass Sie in dieser Unterrichtung auch die Gesamtlage in der Flüchtlingspolitik in den Blick nehmen. Gerade heute erfahren wir, dass sich Ungarn aus der Dublin-III-Verordnung herausstehlen will, dass also innerhalb Europas in dieser kritischen Frage keine Rechtssicherheit mehr besteht. Es muss doch ein Anliegen Deutschlands sein, auf eine faire Lastenverteilung und vor allen Dingen auf die Autorität und Einhaltung des gemeinsamen Rechtes zu achten.

Kein Wort von Ihnen, Frau Ministerpräsidentin, auch zu den Fluchtursachen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Insbesondere die Bekämpfung der Schlepperkriminalität muss doch ein Anliegen Deutschlands sein.

(Zurufe von Nadja Lüders [SPD] und Hans-Willi Körfges [SPD])

Das nimmt nicht nur den Migrationsdruck, sondern das befreit Menschen auch aus tödlicher Gefahr. Es ist also eine wichtige Aufgabe, zu der hier nicht geschwiegen werden darf.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will als zweiter Redner der Opposition den Schwerpunkt dann aber doch auf die Situation bei den Finanzen legen. Aufgrund einer unabgesprochenen Aufgabenteilung zwischen Armin Laschet und mir hat er sich zu diesem Punkt ja nicht positioniert.

(Lachen von Armin Laschet [CDU])

Ich habe Ihrer Unterrichtung keinerlei Impulse für eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbezie-hungen entnommen.

(Minister Johannes Remmel: Indirekte Notenvergabe!)

– Ich verteile hier keine Noten. Ich habe hier auch keine Notizen vorliegen. Insofern mache ich das hier nicht, nicht einmal bei der Ministerpräsidentin.

(Zurufe)

Im Übrigen ist es ja der Lieblingssport von Norbert Römer, Zensuren zu verteilen.

(Beifall von der FDP und Armin Laschet [CDU])

Ich habe also keine echten neuen Impulse für eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen aufgenommen.

Der Finanzminister hat sich am Umsatzsteuervorwegausgleich festgebissen. Er hat angekündigt, in dieser Frage wolle er „södern“ und „seehofern“. Dazu kann man nur sagen: Bitte nicht, Herr Finanzminister! Vertreten Sie nordrhein-westfälische Interessen, aber markieren Sie in der Bund-Länder-Finanz-politik weiter einen Unterschied zu dem, was die CSU macht! Das ist unsere herzliche Bitte.

Tatsächlich ist der Umsatzsteuervorwegausgleich auch eine gewisse Stilblüte im Fiskalföderalismus. Seine Abschaffung wäre nicht falsch. Wir wollen aber in Erinnerung rufen, Frau Ministerpräsidentin, dass das jetzt gültige Finanzausgleichsgesetz im Jahr 2005 verabschiedet worden ist. Seine Architekten heißen Hans Eichel und Peer Steinbrück. Im Bundestag hieß es damals: 17:0 beschlossen, so Hans Eichel. Was Sie hier also beklagen, ist das Ergebnis sozialdemokratischer Finanzpolitik.

Sie beklagen einen leistungsfeindlichen Finanzausgleich. Sie beklagen leistungsfeindliche Umverteilung, obwohl das Ihre eigene Politik war und obwohl Sie den Bürgerinnen und Bürgern in der Steuerpolitik die gleiche leistungsfeindliche Umverteilungspolitik zumuten wollen, die Sie als Ministerpräsidentin beklagen.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, es wäre auch sinnvoller gewesen, nicht nur über Verteilungsfragen zu sprechen, wie Sie das hier getan haben: Wir wollen mehr Taler aus dem Topf haben. Wir wollen mehr Transparenz darüber haben, dass wir ein starkes Land sind. – Sinnvoller wäre es gewesen, echte, systematische Korrekturen vorzuschlagen, durch die die Anreize zur Pflege eigener Steuerquellen und der eigenen Wirtschaftskraft unterstrichen werden, damit nicht nur verteilt wird.

Natürlich gibt es auch Verteilungsfragen unter den Ländern und zwischen Bund und Ländern. Es kann nicht länger nach Himmelsrichtungen verteilt werden. Es gibt auch bestimmte Sonderbedarfe an der Küste oder der kleinen Länder, über die man kritisch sprechen muss, weil sie unsystematisch sind. Die Frage der sogenannten Einwohnerveredlung bei den Stadtstaaten wäre zum Beispiel eine interessante Frage. Sie könnte auch von Nordrhein-Westfalen aus vorgetragen werden, wie das beim letzten Verfahren über den Bund-Länder-Finanz-ausgleich Ende der 1990er-Jahre der Fall war.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Aber zu diesen systematischen Fragen hören wir von Rot-Grün – übrigens auch von der Union – nichts; denn die Einigung erfolgte ja nicht durch eine Umverteilung zwischen Bund und Ländern,

(Nadja Lüders [SPD]: Aber jetzt von Ihnen, oder wie?)

indem zum Beispiel der Bund zusätzlich Mittel an die Ländergesamtheit gibt oder innerhalb der Länder umverteilt wird. Die Einigung, Frau Ministerpräsidentin, die Sie erzielt haben – Schwarz-Rot-Grün –, ist eine Einigung zulasten Dritter, nämlich zulasten der Bürgerinnen und Bürger, weil Sie sich gemeinsam darauf verständigt haben, zum Beispiel den Solidaritätszuschlag länger in Anspruch zu nehmen.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Falsch!)

– Ja, Kollege Zimkeit, der soll nach Ihrem Willen auch 30 Jahre nach unserer staatlichen Einheit weiter bezahlt werden. Der Aufbau Ost wird damit mit der größten Steuerlüge seit Kaiser Wilhelms Sektsteuer belastet werden.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD)

Rot-Grün hat damit ja Erfahrung. Das haben wir zuletzt bei der Grunderwerbsteuer vorgeführt bekommen. Diese wird auch umverteilt, nämlich von den Menschen weg, die zum ersten Mal Eigentum erwerben wollen, hin in die Kasse von Norbert Walter-Borjans. Das wussten wir schon.

Etwas Neues war allerdings in der Tat – Norbert Römer ist darauf eingegangen –, dass auch die geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Union im Haushalts- und Finanzausschuss mit Ihnen gemeinsam ein entsprechendes Papier zu den staatlichen Finanzbeziehungen vorgelegt haben. Sie haben das gelobt, Herr Römer. Ich will das einfach nur zur Kenntnis nehmen. Es ist ein ganz besonders ulkiger Sparvorschlag der CDU: Wir sparen uns die Opposition in der Finanzpolitik. – Nach dem Schulkonsens kommt jetzt offenbar der Finanzkonsens. Darüber kann sich Rot-Grün freuen.

Trotzdem ist es bemerkenswert und traurig, dass in Zeiten höchster Staatseinnahmen und niedrigster Steuern niemals in unserer Geschichte so wenig bis gar nicht über die Möglichkeit der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger gesprochen wurde.

(Beifall von der FDP)

Da stimmt irgendetwas in der öffentlichen Debatte nicht.

(Beifall von der FDP)

Die Zahlen könnten nicht besser sein. Ich will mich nur auf die gesamtstaatlichen Einnahmen bis 2019 konzentrieren. 2019 soll ja das Jahr sein, in dem Rot-Grün die Schuldenbremse einhält. Es ist jetzt fast als politischer Durchbruch gefeiert worden, dass Sie möglicherweise etwas früher als gedacht in der Lage sein werden, einfach nur das Recht zu akzeptieren und einzuhalten.

(Zuruf von der SPD: Das ärgert Sie aber, oder? – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft – Weitere Zurufe von der SPD)

– Ich bitte Sie, das wissen Sie doch selber auch: Das machen Sie doch nicht durch eine Konsolidierungspolitik. Wie waren denn die Ergebnisse des Effizienzteams? Viel Spesen, nichts gewesen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wir sind auf dem richtigen Weg!)

Nein, das machen Sie ausschließlich durch die dynamisch wachsenden Staatseinnahmen. Bis 2019 werden Bund, Länder und Gemeinden 100 Milliarden € per annum mehr vereinnahmen, als es in diesem Jahr der Fall ist. Dann kann sogar ein Blinder mit dem Krückstock den Haushalt ausgleichen, Herr Walter-Borjans. Eigentlich müssten Sie viel ehrgeiziger sein.

(Zuruf von Minister Johannes Remmel)

Sie müssten es früher schaffen. Sie müssten auch eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger zumindest für möglich halten. Denn die gigantische Umverteilung durch den niedrigen Zins von Privat zu Staat und aus der Zukunft in die Gegenwart ist im Grunde doch eine moralische Verpflichtung für den Staat, seine Finanzierungsvorteile an die Bürgerinnen und Bürger weiterzugeben. Das ist eine Frage der Fairness.

(Beifall von der FDP)

Nebenbei gesagt, weil Sie eine besondere Akribie haben, Steuerquellen auszuschöpfen und das Recht durchzusetzen: Herr Finanzminister, meine Empfehlung, nein meine Bitte ist, dass Sie bei der Erbschaftsteuer bitte schön nicht den Mittelstand belasten, dass Sie die Menschen mit dem Solidaritätszuschlag nicht auf Dauer weiter behelligen, sondern dass Sie sich bitte einmal um die Googles, Apples, Amazons, Starbucks und IKEAs dieser Welt kümmern,

(Beifall von der FDP)

die auf unseren Märkten tätig sind und keinen Cent Steuern zahlen. Da können Sie sich verdient machen, aber nicht bei Mittelstand und Bürgern.

Sie wollen Mehreinnahmen über eine Veränderung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen für Nordrhein-Westfalen erreichen. Ich glaube nicht, dass Sie das bei dem Ziel weiterbringt, die Haushalte in Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahren unter Kontrolle zu bringen. Fünf Jahre lang gab es jetzt schon keine strukturellen Einsparungen. Jetzt versprechen Sie, 2019 keine neuen Schulden mehr zu benötigen.

Wenn man sich die mittelfristige Finanzplanung im Einzelnen ansieht, stellt man fest: Die echte Veränderung – Überraschung! – kommt erst im Jahr 2018. Nach der nächsten Bundes- und der nächsten Landtagswahl wollen Sie dann innerhalb von zwei Haushaltsjahren das vollziehen, wozu Sie in den sieben Jahren zuvor nicht bereit oder in der Lage waren. Wer soll denn an dieses Regierungswunder vom Rhein glauben?

(Beifall von der FDP – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Wem machen Sie da ein X für ein U vor?

(Beifall von der FDP)

Nein, das halte ich für unseriös. Ihre Regierungspraxis zeigt eines: Zwischen 2010 und 2017 werden Sie 14 Milliarden € zusätzliches Geld eingenommen haben. Aber Sie werden zugleich 15 Milliarden € mehr an Staatsausgaben realisiert haben. Das zeigt das eigentliche Problem. Sie geben immer mehr Geld aus, als Sie haben. Sie müssen also nicht den Finanzausgleich ändern, sondern Ihre Mentalität.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Herr Lindner angefangen hat zu reden, habe ich gedacht: Ist er im falschen Film? Bin ich im falschen Film? Herr Lindner, ich kann nur sagen, ich werde mich in Ihren falschen Film nicht einblenden. Dass die Ministerpräsidentin bei Unterrichtungen nicht über Kabinettsumbildung redet, das ist, glaube ich, Herr Kollege, nicht nur vernünftig, sondern sinnvoll.

(Kai Abruszat [FDP]: Da ist doch was dran! – Weitere Zurufe von der FDP)

Dass Sie aber, Herr Kollege Lindner, Ihre Textbausteine, die Sie offensichtlich für diesen Plenartag vorbereitet haben, unbedingt loswerden wollten, spricht für Sie.

Ich möchte noch hinzufügen: Sie haben sich sehr, sehr schlecht vorbereitet,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

zum Beispiel, was das angeht, was Sie der Ministerpräsidentin vorgeworfen haben.

Ich nenne einmal das Stichwort kommunale Finanzkraft, das Stichwort Einwohnerveredlung. Andere Maßstäbe, die im Länderfinanzausgleich eine Rolle spielen könnten, sind mehrseitig in den Vorlagen des Finanzministers im Haushalts- und Finanzausschuss nachzulesen. Sie haben sich schlichtweg mit der Frage des Länderfinanzausgleichs nicht befasst.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte zunächst einmal der Ministerpräsidentin für ihre ausgesprochen engagierte und inhaltsreiche Rede zur Unterrichtung hier im Landtag danken. Sie hat wichtige Punkte der Flüchtlingspolitik und des Länderfinanzausgleichs angesprochen. Und, Herr Kollege, sie hat sich im Gegensatz zur FDP auch in der Sache zur Flüchtlingspolitik und zu den Nöten und Sorgen dieses Landes eingelassen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben in der Flüchtlingspolitik im Lande mit ganz konkreten Problemen zu tun. Da möchte ich an das anknüpfen, was Kollege Römer gesagt hat. Dieses Land hat nach dem Flüchtlingsgipfel von Nordrhein-Westfalen wenige Tage später einen Nachtragshaushalt vorgelegt, in dem allein 40 Millionen € mehr an die Kommunen fließen, in dem die 108 Millionen €, die jetzt im neuen Haushalt drin sind, eins zu eins an die Kommunen weitergeleitet werden.

Wir haben einen Härtefallfonds für die Krankenkosten in den Kommunen eingerichtet. Und wir haben – das hat Kollege Römer schon gesagt – Kitaplätze ausgebaut und 300 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer eingestellt, um Sprachkurse und Einsteigerklassen zu ermöglichen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht tatsächlich bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit unseres Landes zugunsten der Menschen, der Flüchtlinge und der Kommunen in diesem Lande, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn jetzt auf dem Gipfel der Ministerpräsidenten zusammen mit der Bundeskanzlerin nach zähen Verhandlungen, nach 18-monatigen Verhandlungen, der Bund zugesteht, dass es eine strukturelle Aufgabe des Gesamtstaates ist, dass die Flüchtlingskosten vom Gesamtstaat tatsächlich zu tragen sind und dass es eine Verantwortungsgemeinschaft gibt, aus der sich bisher nur die FDP verabschiedet hat, dann ist das richtig und notwendig. Es ist ein gutes Signal für das Land Nordrhein-Westfalen, dass dieses Ergebnis erzielt worden ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Natürlich wäre es das Beste und Einfachste, wenn das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft würde und die Kosten, die auftreten, vergleichbar zu den Kosten für die Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, angeglichen würden. Nun sind wir aber nicht an dem Punkt.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen lautet der Vorschlag von Länderseite, eine pauschale Lösung in der Größenordnung um die 12.000 € pro Flüchtling pro Jahr einzubringen –  ein vernünftiger Vorschlag. Und ich halte es mit der Ministerpräsidentin: Wenn es auf andere Art und Weise per Gesetz zur Kostenübernahme kommt, ist auch das vernünftig. Aber wir brauchen eine substanzielle Unterstützung der Länder und Kommunen bei der Finanzierung der Flüchtlingsunterbringungskosten und – das ist noch entscheidender – der Integration der Menschen in dieses Land, die hier dauerhaft leben möchten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Laschet, ich möchte ausdrücklich dazusagen: Ich war sehr positiv überrascht und erfreut, mit welcher Tonlage Sie Ihre Rede begonnen haben. Ich möchte Sie ausdrücklich unterstützen, was die Sensibilität der Tonlage anbetrifft, und ich möchte nicht in ein Klein-Klein verfallen, was die Frage der Flüchtlingsunterbringung in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland anbetrifft.

Aber – das möchte ich schon hinzufügen, weil Sie es auch selbst zum Thema gemacht haben – die legale Zuwanderung nach Deutschland ist ein wichtiges Thema. Ein Zuwanderungsgesetz wäre da in der Tat ein echter Durchbruch. Nur, Herr Kollege, im CDU-Parteiprogramm ist davon nichts zu lesen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kollege, in Ihrer Rede war der Schwerpunkt der CDU-Maßnahmen Kritik an der Landesregierung, was die konkrete Kostenübernahme in Nordrhein-Westfalen anbelangt. Und ein sehr breiter Anteil war, wie man denn die Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, möglichst schnell wieder abschieben kann. Da passen Reden und Handeln nicht so ganz zusammen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Erlauben Sie mir noch zwei, drei Anmerkungen zu dem Thema „Länderfinanzausgleich“. Herr Kollege Römer und auch die Ministerpräsidentin haben wesentliche Fakten dazu schon genannt. Aber eines will ich mir nicht verkneifen: Das Land Sachsen, das sehr von der Solidarität Nordrhein-Westfalens profitiert, bekommt 5,8 Milliarden € aus dem Bund-Länder-Finanzausgleich. Nordrhein-Westfalen zahlt netto mindestens 1,7 Milliarden € ein, früher waren es sogar über 2,5 Milliarden €. Aus diesem Land müssen wir uns wirklich keine Tipps zur Haushaltskonsolidierung geben lassen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vor einigen Monaten war Kollege Laschet offensichtlich noch auf die Nebelkerzen des Herrn Tillich hereingefallen und hat beste Noten für das Land Sachsen in Sachen Haushaltskonsolidierung vergeben. Offensichtlich waren Sie damals in Unkenntnis der wirklichen Zusammenhänge und haben Nordrhein-Westfalen wieder einmal schlechtgeredet, Herr Laschet.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Jetzt, Herr Kollege Laschet, ist es aber so – das begrüße ich ausdrücklich –: Die CDU-Fraktion hat in Gänze im Haushaltsausschuss der Linie der Landesregierung zugestimmt und einem wesentlichen Faktor, nämlich der Herausnahme des Umsatzsteuervorwegausgleichs, zugestimmt. Das macht Nordrhein-Westfalen stark. Dafür möchte ich Ihnen ausdrücklich danken.

(Beifall von der SPD)

Es ist gut, dass CDU, SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen sagen: Ohne eine Reform des Umsatzsteuervorwegausgleichs wird es keine Einigung mit Nordrhein-Westfalen in dieser Frage geben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Eines noch dazu: Wir machen das nicht, um Rechenspiele durchzuführen oder an einer Stelle recht zu haben. Es geht darum, dass mehr Geld von dem, das hier erwirtschaftet wird, in Nordrhein-Westfalen bleibt. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen haben einen Anspruch darauf, dass wir uns für sie einsetzen, dass wir für bessere Schulen, für Hochschulen, für Kitaplätze und andere Dinge sorgen.

Darum geht es in diesem Finanzausgleichsystem. Das Geld muss in Nordrhein-Westfalen sinnvoll eingesetzt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich werde jetzt auch nicht der Versuchung erliegen, hier eine Haushaltsdebatte zu führen, die Herr Lindner versucht hat anzustoßen. Aber zwei nackte Zahlen möchte ich Ihnen schon einmal vortragen:

Nordrhein-Westfalen ist, wenn man die originären Kosten des Landes betrachtet, das kostengünstigste Land. Um es gleich gegenüber der FDP vorwegzunehmen: Selbst wenn man den Kommunalisierungsgrad einbezieht, ist Nordrhein-Westfalen auf Platz fünf der effizientesten Länder, was die Ausgabenpolitik aller Bundesländer in Deutschland anbetrifft. Schlechtreden der Haushaltspolitik ist nicht auf der Tagesordnung. Das könnte allenfalls einer schludrigen Recherche oder einer willentlichen Falschdarstellung nachfolgen, die möglicherweise irgendwo geknobelt oder hergeleitet worden ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Frau Ministerpräsidentin, liebe Landesregierung, ich möchte Sie ausdrücklich bestärken, weiterhin keine Ermüdungszustimmung zuzulassen, weil es so lange dauert. Nordrhein-Westfalen braucht einen fairen Abschluss, was den Länderfinanzausgleich anbetrifft. Wir bestärken Sie: Bleiben Sie dort meinetwegen auch stur und dickköpfig, wenn es sein muss, aber bleiben Sie insbesondere klar, weil es gerecht zugehen muss im Länderfinanzausgleich. Es kann nicht sein, dass Schimpftiraden aus, sagen wir einmal, Bayern dazu führen, dass der Länderfinanzausgleich zu unseren Lasten ausgestaltet wird.

Eines möchte ich in Richtung östliche Bundesländer erwähnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden solidarisch bleiben. Aber es kann nicht sein, dass Ostländer keine Pensionen zu zahlen haben, wenig Schulden aufgebaut haben und wir weiterhin Schulden abbauen sollen, die wir auf unsere Kosten aufbauen mussten, um den Ausgleich zu zahlen. Das wird mit Nordrhein-Westfalen so nicht weitergehen können. Wir bestärken Sie, liebe Landesregierung, dort weiter zu machen.

Ich danke ganz ausdrücklich der CDU-Fraktion, dass sie da mitgemacht hat. Ich würde mich freuen, wenn die FDP – beim nächsten Tagesordnungspunkt sind Sie die Vorletzten, bei diesem Tagesordnungspunkt wären Sie die Letzten – dieser Linie Nordrhein-Westfalens beitreten könnte und wir für ein starkes Nordrhein-Westfalen sorgen könnten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Abgeordnete Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Kommentar zu den Ausführungen zum Bund-Länder-Finanzausgleich erspare ich mir jetzt. Es ist bisher nichts Sinnvolles dabei herausgekommen. So habe ich Sie zwischen den Zeilen verstanden. Ich werde mich daher auf den Bereich „Asyl- und Flüchtlingspolitik“ beschränken.

Verehrte Frau Ministerpräsidentin, Ihnen wird nicht alles gefallen, was ich in meiner Rede ausführen werde. Ich möchte aber, dass Sie wissen, dass ich Sie nicht verantwortlich mache für die Versäumnisse der letzten fünf Jahre in Bezug auf die nordrhein-westfälische Flüchtlingsaufnahme. Die Verantwortung für den Bereich fällt dem Ministerium für Inneres und Kommunales zu. Teile meiner Kritik beziehen sich ausschließlich auf das Versagen dieser Aufsichtsbehörde und des Herrn Innenministers.

Wir begrüßen daher außerordentlich, dass Sie die Flüchtlingsaufnahme in Nordrhein-Westfalen zur Chefsache machen und uns über die Ergebnisse der Besprechung zwischen der Kanzlerin und den Regierungschefinnen und -chefs der Länder vom 18. Juni unterrichtet haben. Das bleibt aber hoffentlich keine Ausnahme.

Eine unserer Forderungen lautet ja schon länger, dass die Flüchtlingspolitik aus dem Innenressort ausgegliedert werden soll. Der Blickwinkel auf die Situation von Flüchtlingen sollte kein ordnungs- oder sicherheitspolitischer sein.

Wir schlagen deshalb abermals vor, dass, solange die Landesaufnahme in solch einem desolaten Zustand ist wie aktuell, die Staatskanzlei diesen Bereich vorübergehend übernimmt. Wenn ein Normalbetrieb ans Laufen gebracht werden sein wird, dann sollte Flüchtlingspolitik dem Integrationsressort angegliedert werden. Das ist übrigens in Rheinland-Pfalz schon der Fall.

Ich werde später noch weitere Vorschläge für eine nachhaltige, humane und an den Bedürfnissen der Flüchtlinge ausgerichtete Flüchtlingsaufnahme in ganz NRW unterbreiten. Zunächst möchte ich aber über das Treffen und die eben von Ihnen vorgestellten Beschlüsse vom 18. Juni sprechen.

Beachtlich ist immerhin, dass es überhaupt wenigstens einige konkrete Beschlüsse gibt. Denn trotz Zunahme der Taktung zwischen den Gesprächen wurde lange gezaudert und die Verantwortung immer wieder zwischen den Ländern und dem Bund hin und her geschoben. Flüchtlinge wurden übrigens noch zu keinem Spitzengespräch eingeladen.

Doch wer, verehrte Frau Kraft, kann denn besser aus dem Blickwinkel der Flüchtlinge die momentane Situation beschreiben, als die Flüchtlinge selbst? Deshalb haben wir im letzten Oktober nach den Misshandlungsvorfällen in Burbach, Essen und Bad Berleburg Flüchtlinge aus dem Opti-Park in den Landtag eingeladen, damit diese von ihren Erlebnissen erzählen. Leider hatte aber niemand von den anderen Fraktionen Zeit, die Menschen zu treffen, die von den Sicherheitsleuten in den Landesaufnahmeeinrichtungen drangsaliert worden sind.

(Zuruf)

Das war und ist mehr als bedauerlich.

Heute haben Sie aber noch einmal die Chance, die Perspektive von Flüchtlingen aus erster Hand zu erfahren. Um 14:00 Uhr wollen Sakher Almohamad, Fadi Khatib und Elhakam Sukhni aus Dortmund über ihre Flucht und die Situation in Nordrhein-Westfalen berichten. Sie sind hier im Landtag und freuen sich auf alle Interessierten. Herzlich willkommen!

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, mit den Beschlüssen vom 18. Juni 2015 hat die etablierte Politik nach mehr als fünf Jahren, in denen die Flüchtlingszahlen aufgrund von Kriegen und Krisen in und rund um Europa stetig gestiegen sind, endlich ein Stück weit reagiert. Das war ein zäher Prozess, der leider nur durch Katastrophen vorangetrieben wurde – sei es der erste Flüchtlingsgipfel in Nordrhein-Westfalen als Folge der Misshandlungen von Burbach oder jetzt die Aktivitäten im Bund, weil man auch in Berlin bei den Dramen, die sich täglich im Mittelmeer abspielen, nicht mehr weggucken kann.

Doch was gibt es konkret? Wenn man sich die Beschlüsse in Bezug auf die finanzielle Hilfe ansieht, dann gibt es da nicht viel Neues. Dort steht, dass die pauschale Hilfe für Länder und Kommunen in Höhe von 500 Millionen € aus dem Jahr 2016 auf das Jahr 2015 vorgezogen wird. Ansonsten ist nur schwammig von einer „dynamischen“ und „strukturellen“ und „dauerhaften“ Beteiligung des Bundes in Zukunft die Rede. Ob diese Beteiligung aber auch substanziell sein wird, das steht da nicht.

Addieren wir die 500 Millionen € zu den 500 Millionen € von diesem Jahr, dann haben wir die 1 Milliarde €, die uns schon zum dritten Mal verkauft wird: Flüchtlingsmilliarde haben Sie es eben genannt. Es ist also kein neues Geld, sondern die Milliarde, die wir schon aus den Haushaltsberatungen im Dezember kennen.

Woher die kommt, sollten wir auch nicht vergessen. Für diese 1 Milliarde € haben Sie nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, im Bundesrat der Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes zugestimmt. Dabei ist die Abschaffung dieses unsäglichen und diskriminierenden Sondergesetzes eigentlich Bestandteil des rot-grünen Koalitionsvertrages und elementarer Bestandteil grüner Flüchtlingspolitik.

(Beifall von den PIRATEN)

Seit Jahren vertrösten Sie uns alle in Bezug auf die Standards für die Flüchtlinge und mehr Geld für die Kommunen mit der Forderung nach der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Herr Mostofizadeh hat es eben wieder vorgebracht. Dann dieser Deal mit der Bundesregierung! Das ist unglaublich!

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Ministerpräsidentin, mit den auf der Ministerpräsidentenkonferenz gefassten Beschlüssen etablieren Sie ein Zweiklassenasylsystem. Zukünftig soll das Asylrecht und sollen weitere Flüchtlingsrechte den Schutzsuchenden nicht mehr unterschiedslos zur Verfügung gestellt werden. Auf der einen Seite bekommen die Kommunen und das Land Zuckerbrote in Form von Geld, aber nur unter der Bedingung, dass sie ordentlich die Peitsche gegen Flüchtlinge aus den angeblich sicheren Herkunftsstaaten schwingen.

Mit dem Aktionsplan der Bundesregierung und der Länder sollen die Asylverfahren von Westbalkanflüchtlingen noch weiter beschleunigt werden, die Aufenthaltsdauer verkürzt und die Abschiebung direkt aus den Landesaufnahmen heraus erfolgen. In Nordrhein-Westfalen wird das sogar schon seit Anfang des Jahres gemacht. Es ist gelebte Praxis für Flüchtlinge aus dem Kosovo. Sie werden in Abschiebezentren festgehalten und gar nicht erst in die Kommunen verteilt.

Ich finde das verachtenswert. Dieses Vorgehen bringt die ganzen Verfahrensabläufe noch mehr durcheinander, und andere Asylbewerber müssen darunter leiden.

Der Kosovo ist übrigens kein sicherer Herkunftsstaat. Dass die Landesregierung dies durchaus weiß, ist durch den Sensibilisierungserlass vom 21.09.2010, der im letzten Dezember aktualisiert wurde, auch dokumentiert. Trotzdem hat die Landesregierung in den letzten Monaten für das geplante massenhafte Abschieben und das Inhaftierungsprogramm der Bundesregierung – genannt: Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und zur Aufenthaltsbeendigung – aufgerüstet. Mit allen Mitteln und allen rechtlichen und humanen Widerständen und Einwänden zum Trotz hat man den größten Abschiebeknast Europas wieder ans Laufen gebracht.

Das ist schäbig und keine humane Flüchtlingspolitik.

(Beifall von den PIRATEN)

Eine der ganz wenigen positiven Nachrichten ist, dass Bund und Länder sich nun dafür einsetzen wollen, dass junge Asylsuchende und Geduldete in Ausbildung eine Rechtssicherheit hinsichtlich ihres Aufenthalts für die Dauer ihrer Ausbildung erhalten sollen. Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben sofort gehandelt und Erlasse zur Sicherung der Duldung während der Ausbildung herausgegeben. Wann folgt NRW? – Bisher Fehlanzeige.

Meine Damen und Herren, natürlich begrüßen wir angesichts der desolaten Kassenlage der NRW-Kommunen jeden Geldsegen für das Land und die Kommunen. Es fällt jedoch auf, dass in den Beschlüssen die Belange der Flüchtlinge nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Das Wort „Standards“ für die Unterbringung und Versorgung der Schutzsuchenden fällt kein einziges Mal.

Die Kommunen werden für zusätzliche Mittel dankbar sein, aber ob das Geld zu einer humanen, nachhaltigen und an den Bedürfnissen der Schutzsuchenden orientierten Versorgung und Unterbringung in den Kommunen führen wird, bleibt mehr als fraglich. Die Gelder sind nicht zweckgebunden. Warum sollten die Kommunen freiwillig für Qualitätsstandards sorgen, wenn sie vom Land vorgelebt bekommen, wie Unterversorgung geht?

Wenn Sie an einer echten Neukonzeption interessiert wären, dann wäre hier und jetzt die Zeit zu handeln und Standards für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in ganz NRW zu definieren. Vorschläge dazu – auch von uns – liegen auf dem Tisch.

Meine Damen und Herren, in weniger als vier Wochen läuft die Frist ab, die EU-Aufnahmerichtlinie für Flüchtlinge in deutsches Recht umzusetzen. Aber auch hier gibt es weder im Bund noch im Land besondere Anstrengungen, die geforderten Regelungen zu definieren. Die Leidtragenden werden wieder die Kommunen und noch mehr die Flüchtlinge sein. Die Richtlinie verlangt, die besondere Schutzbedürftigkeit von Traumatisierten, Schwangeren, Kranken und minderjährigen Kindern zu erkennen und die Menschen entsprechend zu versorgen.

Die Stadt Köln hat auf eine Anfrage der Piratengruppe im Rat dazu Folgendes geantwortet:

„Im Rahmen der (kurzfristigen) Zuweisungen von Asylbewerbern durch die Bezirksregierung Arnsberg werden in der Regel keine verwertbaren Informationen zur Schutzbedürftigkeit und den besonderen Bedürfnissen der Antragsteller mitgeliefert.“

Statt die Versorgung der Schutzbedürftigen in der Landesaufnahme vorzubereiten, wird also der Aufwand auf jede einzelne Kommune abgewälzt. Das ist eine Ressourcenverschwendung, die wir uns nicht leisten können.

Dass wir in NRW noch weit entfernt sind von der Umsetzung der Aufnahmerichtlinie, wurde auch in den Anhörungen zum Nachtragshaushalt durch Experten massiv angeprangert. Dort wurden übrigens noch weitere Kosten für die Unterbringung und Versorgung erwähnt, die ebenfalls von der Landesregierung auf die Kommunen abgewälzt werden. Ich denke, dass mein Kollege Dietmar Schulz dazu noch bei der Haushaltsdebatte einige Anmerkungen machen wird.

Ich komme zum Schluss: Durch die von Journalisten aufgedeckten Misshandlungen und Übergriffe auf Schutzsuchende in Burbach fand überhaupt erst ein Umdenken statt. Dennoch sind wir von einer nachhaltigen und humanen Flüchtlingsaufnahme noch sehr weit entfernt. Die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie überlassen wir dem Budget der freiwilligen Leistungen der Kommunen und verursachen damit Kürzungen an anderer Stelle – immer zum Nachteil der Menschen.

Das von uns Piraten direkt nach Burbach geforderte Beschwerdemanagement lässt auf sich warten.

Insgesamt hat die Landesregierung, was die psychologische, medizinische, soziale und rechtliche Betreuung der Flüchtlinge angeht, gerade einmal aufgeholt, was sie in den letzten Jahren sträflich versäumt hat. Unter massivem Druck aufgrund mangelnder Vorsorge und Vorbereitung entstanden in den letzten Jahren Dutzende neuer Aufnahmeeinrichtungen – aber ohne Qualitätsstandards. Viele dieser Einrichtungen beherbergen mehr als 500 Menschen. Das widerspricht den eigenen Ansprüchen der Landesregierung. Und auch wir Piraten bevorzugen über das Land verteilte Einrichtungen für 300 bis maximal 500 Personen.

Die Landesregierung sucht weiterhin unter Hochdruck neue Standorte. Es gibt immer noch Probleme mit rassistischen Sicherheitsdiensten, wie das Beispiel der Erstaufnahmestelle in Köln zeigt.

Bisher kann also von einer Entwarnung in der Versorgung von Flüchtlingen überhaupt gar keine Rede sein. Im Gegenteil, mit Ihren Aktivitäten zur Schaffung eines Zweiklassenasylsystems beschädigen Sie das Vertrauen der Menschen und untergraben die Hilfsbereitschaft der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer.

Wir stimmen sicher darin überein, dass die Fluchtgründe in den Herkunftsländern beseitigt werden müssen. Niemand verlässt freiwillig und ohne Not seine Heimat. Aber Sie und wir wissen, dass unsere Möglichkeiten als Bundesland da eher beschränkt sind. Unsere Aufgabe hier ist es, die Menschen, die bei uns Schutz und Hilfe suchen, unterzubringen und zu versorgen, und zwar unabhängig von ihrer Herkunft. Wir dürfen Menschen nicht ausgrenzen, nur weil sie im falschen Land geboren sind. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerpräsidentin Kraft.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt noch die Möglichkeit, miteinander einzelne Punkte zu diskutieren.

Ich möchte zunächst auf Herrn Herrmann eingehen. Lieber Herr Herrmann, ich habe keine und wir haben keine Entwarnung gegeben, sondern wir sagen bei allen Gelegenheiten: Es ist eine große Herausforderung, die wir gemeinsam meistern. Ich bitte Sie, uns und niemandem zu unterstellen, dass er nicht an einer humanen und nachhaltigen Flüchtlingspolitik interessiert sei. Niemandem sollte man das unterstellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bitte Sie auch, zur Kenntnis zu nehmen: Ich werde versuchen, nachher die Flüchtlinge, die Sie genannt haben, zu treffen. Aber ich möchte, dass Sie uns allen nicht unterstellen, wir hätten derartige Kontakte nicht. Wir alle – auch ich als Landtagsabgeordnete – sind in Flüchtlingseinrichtungen unterwegs. Mich berühren diese Schicksale. Ich bin zum Teil fix und fertig, wenn ich von dort komme. Das sage ich hier in aller Offenheit.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Warum sind Sie dann für schnellere Abschiebung?)

Ich möchte mir nicht unterstellen lassen, dass ich die Realitäten von Flüchtlingen nicht zur Kenntnis nehme. Das ist nicht so.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nehmen Sie das bitte so hin. Zumindest durch Organisationen wie NGOs und Pro Asyl saßen sie auch mit in unseren Flüchtlingsrunden. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Es überrascht mich immer etwas, wenn ich sehe, dass Sie als Piraten – ich nehme Sie jetzt mal als Gruppe, obwohl ich weiß, dass das nicht immer so einfach ist – darauf gucken, was in der Landesregierung bei welchem Ministerium aufgehängt ist, und dann sozusagen eine einseitige Schuldzuweisung vornehmen. Auch das lasse ich nicht zu. Dieses Thema betrifft jeden einzelnen Minister und jede einzelne Ministerin in meinem Kabinett. Es ist regelmäßig Thema bei den Kabinettssitzungen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Warum dauert es dann so lange, bis etwas passiert?)

Wir alle stehen zusammen, um diese Herausforderungen bestmöglich zu meistern. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, auch in meinem Kabinett.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich danke für den Punkt, den Sie gemacht haben. Es gäbe substanziell nichts Neues. Ich kann in der Kürze der Zeit nicht immer alles ausführen. Ich komme gleich darauf zurück.

Substanziell wichtig ist – und das habe ich in der ersten Runde nicht gesagt –: Dieses Geld von 2016 wird auf 2015 vorgezogen. Aber es besteht Einigkeit darüber, dass das von der Größenordnung in 2016 die untere Reißleine des zu Vereinbarenden ist. Damit in den Haushalten jetzt kein Umplanen stattfinden muss, ist klar: Wir reden über mehr, mindestens über das Gleiche.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Mindestens 500!)

– Mindestens 500. Und wir reden über erheblich mehr Mittel in den Folgejahren, die bisher nicht auf der Agenda standen und die zusätzlich zu sehen sind, die aber dann nicht nur einmalig kommen oder für ein Jahr, sondern strukturell und dauerhaft. Das ist, denke ich schon, ein entscheidender Fortschritt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann haben Sie über Politik aus Sicht der Flüchtlinge gesprochen. Ja, ich glaube, auch eine Verfahrensbeschleunigung, eine unterschiedliche Betrachtungsweise derjenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben, und derjenigen, bei denen das erkennbar nicht der Fall ist, ist im Sinne der Flüchtlinge. Wenn jemand vom Westbalkan hierher kommt und monatelang in unseren Einrichtungen ist, weil der Flaschenhals der Verwaltungsstrukturen immer noch so ist und weil wir aber auch jedem rechtsstaatliche Verfahren garantieren – auch darauf werden wir nicht verzichten –,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

ist es doch sinnvoll, darüber nachzudenken, diese Verfahren zu beschleunigen. Wir wissen, dass diejenigen, die vom Westbalkan kommen, eine Bleibeperspektive weit unterhalb von 10 % haben.

(Zuruf von Frank Herrmann [PIRATEN])

– Es gibt nun einmal rechtsstaatliche Verfahren. Fakt ist: Am Ende gehen die so aus. Ich weiß, dass das vielen nicht gefällt, aber es ist nun einmal so. Es gibt Asylgründe. Es gibt die Dinge, die abzuarbeiten und zu klären sind. Die werden geklärt, und dann sind die Zahlen so.

Dass wir also Verfahrensbeschleunigungen für diese Gruppe wollen und brauchen, ist, glaube ich, auch im Sinne der Flüchtlinge, damit sie eben nicht monatelang in unseren Einrichtungen sitzen. Es tut mir leid. Da bin ich anderer Auffassung.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Ich komme zu Herrn Laschet. Herr Laschet, ich wollte Ihnen danken. Das hätte ich am Ende meines Wortbeitrags gesagt. Dazu bin ich aber in der ersten Runde nicht gekommen. Ich möchte das nicht versäumen, weil ich es ganz wichtig finde, dass wir in diesen Fragen nahe beieinander bleiben und dass Sie hier auch mit uns an einem Strang ziehen, nicht nur bei diesem Thema, sondern auch beim Thema „Länderfinanzausgleich“. Das führt zu einer stärkeren Position Nordrhein-Westfalens bei allen Gesprächen, die ich dort führe. Dafür sage ich an dieser Stelle ausdrücklich Ihnen und den Kolleginnen und Kollegen herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie vergleichen Äpfel mit Birnen, wenn Sie Pauschalen in Nordrhein-Westfalen mit direkten Zahlungen in Bayern vergleichen. Lassen Sie das!

Wenn Sie schon Prozentzahlen in den Raum setzen, dann sind die, die Sie genannt haben, absolut unrealistisch. Sie lassen dabei – das hat der Kollege gerade schon erwähnt – außer Acht, dass in Bayern Strukturen wie das GFG gar nicht existieren.

Wir haben auf Wunsch der Kommunen ein System mit Pauschalen. Die wollen das so. Deshalb müssen wir daran arbeiten, dass die Belastungen der Kommunen geringer werden. Wir können das am ehesten dadurch erreichen, dass wir Verfahren beschleunigen und den Flaschenhals abschaffen. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass es den Kommunen in dieser Frage besser geht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zu Herrn Lindner: Flüchtlingspolitik verträgt keine Sommerpause, haben Sie gesagt. Ich glaube, den Eindruck habe ich auch nicht erweckt. Vielmehr habe ich Ihnen gesagt, dass die Arbeitsgruppe jetzt gerade tagt.

Ich spreche jetzt mal ein bisschen aus dem Nähkästchen: Dass wir uns über die Höhe der finanziellen Entlastungen und auch über die Strukturen noch nicht haben verständigen können, liegt daran, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt. Denn der Bundesfinanzminister und der Bund insgesamt haben ein reges Interesse daran, dass sie diese Dinge zusammen auf dem Tisch haben, damit sie die Größenordnung der Belastungen des Bundeshaushalts sehen. Wenn Sie da noch säßen, hätten Sie das auch im Blick. Das setze ich einfach voraus.

(Beifall von der SPD)

Insofern kann ich das nachvollziehen. Ich halte es nicht für gut, weil die Fragen inhaltlich nicht miteinander verknüpft sind, aber ich muss das akzeptieren, dass die Bundesregierung das sozusagen auf den Weg bringt.

Es war auch notwendig, noch einmal zu klären: Wie hoch sind die finanziellen Lasten der Kommunen real? Daher stammen diese berühmten 12.500 €. Das ist das, was Bayern, weil ja einzeln abgerechnet wird, extrapolieren kann. Wenn Sie das mit der Zahl der Flüchtlinge multiplizieren, kommen Sie auf die Milliarden, die in den letzten Wochen durch die Presse gegangen sind.

Unsere Vorstellung aufseiten der Länder – ich wiederhole das – war, dass der Bund hiervon einen gewissen Prozentsatz bezahlt, am besten 100 %. Aber da wir nicht blauäugig sind,

(Zuruf von der CDU)

wollen wir über Pauschalen finanziert werden. Das ist vielleicht technisch etwas schwieriger. Deshalb ist die Bundesseite, insbesondere der Finanzminister, nach meinen Erfahrungen eher dafür, bestimmte Leistungen zu übernehmen, sodass die Kommunen entlastet werden. Über diese Fragen – wie in vielen Fällen hängt eines eng mit dem anderen zusammen – werden wir in der Arbeitsgruppe beraten und im September Beschlüsse dazu fassen. Das halte ich für gut und richtig.

Dann haben Sie angemerkt, dass ich zu vielen Themen nicht Stellung bezogen habe. Es tut mir leid, ich kann – erstens – nicht über das reden, was nicht Gegenstand der Ministerpräsidentenkonferenz war. Wir haben nämlich nicht intensiv über die Klimaabgabe gesprochen, weil dieser Prozess noch im Gange ist. Aber ich kann Ihnen gerne in diesem Raum zum fünften Mal unsere Position dazu vortragen. Das würde allerdings nicht weiterführen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir eine gute Regelung finden werden – im Sinne der Arbeitsplätze und des Standorts Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Wir werden das Dreieck „Sicher – sauber – bezahlbar“ nachhaltig in den Blick nehmen.

Ich habe nicht über Fluchtursachen und Europa gesprochen. Es tut mir leid, aber wenn man 20 Minuten für eine Einbringung hat, kann man nicht zu jedem Thema Stellung beziehen. Sie nutzen die Gelegenheit, weil Sie sich nicht immer in die Niederungen des Tagtäglichen begeben und deshalb auch nicht ganz sicher sind, was beispielsweise die Einzelheiten des Länderfinanzausgleichs angeht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bitte um Verständnis, aber an solchen Stellen kann ich auch nicht mehr nachhelfen.

Keine neuen Impulse für den Länderfinanzausgleich – wir haben über all die Themen, die Sie angesprochen haben, miteinander gesprochen.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Die Fragen lauten: Was ist realisierbar? Wie kriegt man am Ende alle an einen Tisch? Wie kann man eine gute Lösung erreichen?

Jetzt kommen Sie wieder mit der Soligeschichte. Die Beibehaltung des Soli und seine Überführung in die Einkommensteuer war ein Vorschlag des Bundesfinanzministers. Ich glaube, das wäre eine ehrliche Variante gewesen. Denn anders als Sie sehen wir alle an diesem Tisch – offensichtlich einschließlich Bundesfinanzminister –, dass große finanzielle Herausforderungen vor uns liegen, weil das Leistungsspektrum, das wir den Bürgerinnen und Bürgern servieren, nicht dauerhaft gleichgeblieben ist.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Als Sie regiert haben, lieber Herr Laschet, liebe FDP, da waren nicht in diesem Umfang Kitaplätze zu finanzieren, und es ist gut, dass wir uns dieser Herausforderung gestellt haben. Aber das sind dauerhafte Mehrausgaben, die noch wachsen werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Als Sie regiert haben und auch schon davor, als wir regiert haben, haben wir die Infrastruktur in den Kommunen, in den Ländern und im Bund auf Verschleiß gefahren. Wir haben hier doch Einigkeit darüber, mehr Geld in die Infrastruktur zu investieren. Deshalb haben wir uns der Position verschrieben, uns an der Stelle ehrlich zu machen. Aber das ist vergossene Milch, weil CDU und CSU der Auffassung sind, das politisch nicht durchzuhalten. Vielleicht auch, weil die FDP Druck gemacht und Steuererhöhungen ins Spiel gebracht hat, wobei die Belastung für die Bürgerinnen und Bürger gleichgeblieben wäre.

Jetzt aber ist die Situation eingetreten, dass der Bundesfinanzminister sagt: Wir schmelzen das dann ab. – Zur Wahrheit gehört, wenn der Bundesfinanzminister von Abschmelzen spricht: Zunächst steigt das Aufkommen bis 2019 –, es fließt immer mehr in die Taschen des Bundeshaushalts. Ab 2019 sinkt das Aufkommen langsam ab.

Das heißt, von 2014 bis 2030 wird der Bundesfinanzminister noch rund 170 Milliarden mehr in der Tasche haben. Dass wir dann im Länderfinanzausgleich darüber reden, dass wir einen Teil davon für die wachsenden Aufgaben von Kommunen und Ländern brauchen, ist ein legitimes Anliegen. Da sind wir nicht die Blutsauger des Bundes. Auch das möchte ich deutlich machen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb ist keine Einigung zulasten der Bürgerinnen und Bürger spürbar, sondern wir vertreten eine klare Position. Wenn Sie schon eine Haushaltsdebatte führen wollen – ich habe noch ein paar Minütchen Zeit –, führe ich die auch.

Sie fragen, warum bei so hohem Steueraufkommen keine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger stattfindet. – Genau deshalb, weil wir die wichtigen Aufgaben, in Kinder, Bildung, Infrastruktur und digitale Infrastruktur, die Ihnen doch auch am Herzen liegt, zu investieren, erfüllen wollen.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Wir können kein Geld drucken, sondern nur das ausgeben, was uns zur Verfügung steht. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann greifen Sie die Berichterstattung über die Forschungsergebnisse zu den Arbeitslosenzahlen aus Thüringen auf. Es war mir klar, dass das heute von der FDP kommt. Liebe Leute – wir sind ja hier unter uns –:

(Christian Lindner [FDP]: Das sind wir nicht!)

Lassen Sie mal die Kirche im Dorf! Die Entvölkerung, die in Thüringen und anderen ostdeutschen Ländern stattfindet, die Strukturveränderung, die sich aus einer dramatischen demografischen Lage entwickelt, führt dazu, dass die Arbeitslosenzahlen in diesen Ländern per se sinken. Ich bin froh, dass die Bevölkerung bei uns wieder wächst.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Ich bin froh, dass wir das schaffen, und ich bin froh, dass wir wirtschaftlich auf einem exzellenten Weg unterwegs sind. Auch das gehört zur Wahrheit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Wenn Sie mir das schon nicht glauben, empfehle ich Ihnen den Artikel im „Kölner Stadt-Anzeiger“ von heute. Dort wird Frau Christiane Schönefeld, NRW-Chefin der Bundesanstalt für Arbeit, dazu gefragt. Sie sagt – ich zitiere –:

„Der Vergleich von NRW mit Thüringen verbietet sich im Übrigen aus meiner Sicht. Dort haben zum einen viele Menschen das Bundesland verlassen. In NRW steigt die Zahl der Einwohner. Außerdem gibt es in Thüringen die demografische Komponente: Viele Menschen fallen aus der thüringischen Arbeitsmarktstatistik heraus, weil sie in Rente gehen.“

Auf die nächste Frage antwortet sie:

„Aber auch NRW hat eine stabile positive Entwicklung bei den Kennzahlen des Arbeitsmarktes. Die Arbeitslosigkeit sinkt, und die Zahl der Beschäftigten steigt.“

Das ist Realität in diesem Land, und die lassen wir uns von Ihnen nicht kaputtreden. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Beifall von der Regierungsbank)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte gliedert sich erkennbar in zwei Teile. Das Thema „Flüchtlinge“ und alles, was damit zusammenhängt, haben wir umfänglich debattiert. Dazu gibt es erfreulicherweise einen breiten Konsens hier im Hause. Unser Fraktionsvorsitzender Armin Laschet hat dazu das Notwendige gesagt.

Was die Themen „Finanzpolitik“ bzw. „Neuordnung der Länderfinanzbeziehungen“ angeht, hat der Kollege Mostofizadeh eben richtig darauf hingewiesen, dass wir in den letzten Wochen einen sehr aufwändigen, am Schluss aber erfolgreich miteinander durchgeführten Prozess im Haushalts- und Finanzausschuss gehabt haben, um das umzusetzen, was uns das Plenum am 20.03. durch eine Änderung der Beschlussempfehlung zu einer Abstimmung über einen Antrag von SPD und Grünen aufgetragen hatte.

Damals haben wir gesagt: Wenn es denn der Koalition ernst damit ist, dass wir, wo das möglich ist, beim Thema „Länderfinanzausgleich“ in Berlin und auch gegenüber den anderen Ländern gemeinsam auftreten, dann können wir keine Formulierungen mittragen, die erkennbar Parteisprech sind und nicht ausdrücklich die Interessenlage des Landes berücksichtigen.

(Beifall von der CDU)

Es kommt nämlich wirklich darauf an, die Interessen des Landes und nicht die Interessen einer Partei zu vertreten. Zum Glück ist es gelungen, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren, der dann auch Anfang Juni im HFA mit den Stimmen der Koalition und unserer Fraktion, der CDU, verabschiedet worden ist.

Ich ziehe ein Fazit in Bezug darauf, was wir gemeinsam für die Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens erreichen wollen:

Wir wollen, dass der Länderfinanzausgleich transparenter wird. Das ist eine alte Forderung, die Nordrhein-Westfalen schon zur Regierungszeit von Jürgen Rüttgers erhoben hat und die seinerzeit noch nicht umgesetzt wurde. Sie muss aber jetzt, was eine Neuregelung anbetrifft, mit Blick auf die Zeit nach 2019 umsetzbar sein.

Wir wollen, dass der Umsatzsteuerausgleich als eine Stufe, die so kompliziert ist, dass sie kein Mensch mehr erklären kann, herausgenommen werden muss. Das müssen wir in das System des Länderfinanzausgleichs integrieren und damit deutlich machen, an welcher Stelle tatsächlich Bedürftigkeit besteht und wo Solidarität vonnöten ist. Damit muss aber auch ein Stück weit Verständlichkeit in den Bund-Länder-Finanzbeziehungen entstehen.

(Beifall von der CDU)

Es ist ein gutes Zwischenergebnis, dass es möglich geworden ist, den Bundesfinanzminister für diese Idee zu gewinnen. Das ist eine gute Grundlage. Unser Parteifreund Wolfgang Schäuble hat an dieser Stelle – genauso wie die Landesregierung – die Unterstützung der CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen.

Wenn Sie allerdings im Verhältnis zu den anderen Bundesländern etwas erreichen wollen und sich überlegen, warum wir denn immer noch so allein stehen – das hat die Frau Ministerpräsidentin durch die Blume eben ja auch noch einmal deutlich gemacht –, dann muss man sich die Frage stellen, ob wir bei allen Themen bisher wirklich ehrlich aufgestellt waren.

Waren wir bei der Frage, ob es wirklich nur ein Akt der Solidarität nach außen hin – insbesondere den Ostländern gegenüber – gewesen ist, ehrlich? Oder kann es vielleicht auch daran liegen, dass wir in Nordrhein-Westfalen – anders als in den östlichen Bundesländern – in 2014 zum Beispiel nicht 1 % Ausgabensteigerung, sondern fast 4 % gehabt haben?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Kann es vielleicht sein, dass wir in Nordrhein-West-falen auch in 2015 fast 4 % Ausgabensteigerung haben und deshalb die hohen Steuermehreinnahmen nicht zu einer entsprechenden Absenkung der Nettoneuverschuldung führen? Kann es sein, dass Sie im Haushaltsentwurf 2016 wieder fast 4 % Ausgabensteigerung haben?

Wenn Sie die Steuerrekordeinnahmen nicht dazu nutzen, gleichzeitig auf der Ausgabenseite auf die Bremse zu treten, wird Ihr Ausgabenpfad für die Jahre 2018 und 2019 ein Märchenbuch bleiben!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb gehören zur weiteren Debatte bezüglich der Bund-Länder-Finanzbeziehungen insbesondere nicht nur Gemeinsamkeit dieses Hohen Hauses und Solidarität der Menschen in Nordrhein-Westfalen, sondern auch Ehrlichkeit im Umgang miteinander; denn die Zahlen über das Istergebnis sind veröffentlicht. Die haben die anderen auch. Wir werden nur dann gemeinsam erfolgreich sein, wenn wir gemeinsam mit ehrlichen Zahlen antreten!

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Zimkeit.

Stefan Zimkeit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es noch einmal ausdrücklich begrüßen, dass wir mit der CDU bei der Frage des Länderfinanzausgleichs – wie gerade auch noch einmal beschrieben wurde – zu einer einheitlichen Positionierung gekommen sind. Insbesondere möchte ich persönlich dem Kollegen Optendrenk für seinen Einsatz in dieser Frage danken, weil eine gemeinsame Positionierung im gemeinsamen Interesse Nordrhein-Westfalens gut für dieses Land ist. Ich bedanke mich dafür bei der CDU und finde es sehr bedauerlich, dass sich insbesondere die FDP einer solchen gemeinsamen Positionierung entzogen hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich stelle darüber hinaus fest: Die Tatsache, dass die mittelfristige Finanzplanung des Landes 2019 eine Nullneuverschuldung ausweisen wird, hat die Oppositionsfraktionen hart getroffen. Das von Ihnen aufgebaute Kartenhaus sowie der von Ihnen aufgebaute Popanz, dass dieses Land die Schuldenbremse nicht einhalten wird, brechen damit zusammen – und damit ein Großteil Ihrer Wahlkampfstrategie.

Insofern kann ich verstehen, dass Sie hier mit so großen Worten darauf eingegangen sind, obwohl es nicht zur Tagesordnung gehört. Fakt ist: Wir werden die Schuldenbremse früher einhalten. Dass Sie diese mittelfristige Finanzplanung schon als falsch kritisieren, bevor Sie sie gelesen haben, zeigt, dass es Ihnen dabei nur um Parteipolitik und nicht um Fakten geht.

Ich habe noch eines vergessen: Herr Optendrenk: Sie sagen zu Recht, dass Sie unserem sogenannten Parteisprech – das soll es ja bei der CDU auch manchmal geben – nicht folgen konnten, was den Antrag anbelangt. Das haben wir von Ihnen auch nicht erwartet. Wir können das gut nachvollziehen. Wir sagen – das sagt auch Hannelore Kraft als Ministerpräsidentin –, dass wir solidarisch bleiben, gleichzeitig aber mehr von dem, was hier in Nordrhein-Westfalen erwirtschaftet wird, behalten wollen. Das ist unabhängig davon, ob es Parteisprech ist oder nicht. Das ist richtig und unsere Positionierung. Eigentlich setzen Sie sich ja mit uns gemeinsam dafür ein.

(Beifall von der SPD)

Herr Lindner, Sie haben sich hier hingestellt und mit den immer gleichen und, wie ich zugeben muss, rhetorisch gut vorgetragenen – deshalb waren sie inhaltlich aber noch lange nicht gut – Aussagen versucht, von den eigentlichen Thematiken abzulenken. Sie haben sich relativ wenig zur Flüchtlingspolitik geäußert, und Sie haben sich nicht – zumindest nicht fundiert – zur Frage des Länderfinanzausgleichs geäußert. Stattdessen haben Sie sich an der Haushaltsplanung abgearbeitet. Dass auch Sie einmal wieder diese Positionen ohne dezidierte Kenntnisse der Hintergründe und der Akten vortragen, finde ich bemerkenswert.

Noch bemerkenswerter finde ich das, was Sie zum Soli gesagt haben. Sie haben behauptet, CDU, SPD und Grüne hätten gemeinsam mit einem Antrag beschlossen, dass es beim Soli bleiben soll. – Das ist falsch. Wenn Sie einen solchen Antrag einmal lesen und sich nicht nur populistisch hierhin stellen würden, um Punkte zu machen, dann wüssten Sie das auch.

Der eigentliche Fakt ist doch, Herr Lindner, dass Sie sich nicht mit Landespolitik beschäftigen, dass Sie sich beim LFA nicht positiv für das Land positionieren, sondern dass Sie dieses Parlament – ich sage es bewusst – missbrauchen, um Bundespolitik zu machen. Und dabei sind Ihnen leider die Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen augenscheinlich egal.

(Christof Rasche [FDP]: Katastrophales Niveau! Die neue SPD!)

Das finden wir nicht in Ordnung. Wir sollten uns hier gemeinsam für die Interessen dieses Landes einsetzen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das letzte und dieses Jahr waren geprägt von einem zähen Ringen um den Umgang mit den steigenden Zahlen von Geflüchteten. Allein im letzten Jahr gab es zwei sogenannte Asylkompromisse im Bundesrat, dieses Jahr schon zwei Flüchtlingsgipfel; der letzte hier im Juni, zu dem wir heute die Unterrichtung erfolgt. Und es ist noch lange nicht zu Ende.

Es ging und es geht weiter um zwei große Themenkomplexe. Der erste ist: Wann und vor allen Dingen wie übernimmt der Bund Verantwortung und beteiligt sich der Bund endlich an den Kosten und vor allem an der Unterstützung der Kommunen? Der zweite Komplex behandelt die Frage: Wie gelingt für die Flüchtlinge, die zu uns kommen, eine schnellere, bessere Integration? Oder: Soll sie überhaupt gelingen?

Beim ersten Punkt geht es um Verteilungskämpfe. Die sind immer schwierig. Aber – in dieser Hinsicht ist ein entscheidender Schritt nach vorne gemacht worden; die Ministerpräsidentin hat es bereits dargestellt – zum ersten Mal begreift auch der Bund die Unterbringung und Versorgung als nationale Gemeinschaftsaufgabe.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal meinen Dank an Hannelore Kraft richten. Denn die Länder und auch ihr zähes Ringen und Kämpfen in manch nächtlicher Sitzung haben dazu beigetragen, dass wir endlich zu dieser Aussage gekommen sind und ab 2016 etwas erwarten dürfen. Herzlichen Dank auch an die Ministerpräsidentin!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Bei der zweiten Frage, nämlich „Wie gelingt Integration? Wie nehmen wir die Menschen hier auf?“, geht es in der Tat um etwas sehr viel Schwierigeres als um die Verteilung von Geld, und das will etwas heißen. Hier geht es um ideologische Barrieren in den Köpfen, die noch sehr viel schwieriger zu überwinden sind.

Dafür hat Herr Laschet – er ist jetzt nicht mehr im Raum – heute ein Paradebeispiel geliefert. Er verkündete hier vollmundig: Wir müssen überlegen, wie wir Menschen, die als Asylbewerber zu uns kommen, vielleicht auch als Arbeitsmigranten gebrauchen können, und das einmal umswitchen. Wir brauchen ein neues Denken. Wir möchten die Leute aufnehmen und sie integrieren.

Genau diesem alten Denken ist die CDU nach wie vor verhaftet, weswegen wir in dieser Hinsicht nicht vorankommen. Wenn er hier die Glocken von Herrn Woelki lobt, sollte er bzw. sollten Sie von der CDU sich vielleicht auch einmal anhören, was Herr Woelki zu der aktuellen EU- und zur deutschen Flüchtlingspolitik zu sagen hat. Denn das ist viel mehr, als nur betroffene Gesichter beim Glockenläuten zu machen, nämlich Handeln, damit es den Menschen, die hier ankommen, auch besser geht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich nenne Ihnen dazu ein ganz konkretes Beispiel, weil die Zeit nicht ausreicht, das ausführlicher zu erklären. Das Beispiel sind junge Flüchtlinge in Ausbildung. Schon jetzt kann man eine Duldung für die Dauer der Ausbildung ausstellen, und das tun viele Kommunen auch. Die rot-grünen Länder haben hier Bundesratsbeschlüsse herbeigeführt und, unterstützt von der Wirtschaft, gesagt: Nein, wir brauchen für die Ausbildung einen sicheren Aufenthaltstitel.

Wenn sie dann von den Arbeitgebern übernommen werden, dann sollten sie das auch können und darüber hinaus auch hier bleiben dürfen. Rational erschließt sich das eigentlich jedem: Wir brauchen Auszubildende. Arbeitgeber sowie der Staat haben in die Ausbildung investiert. Warum sollen sie denn dann nicht hierbleiben können, wenn wir sie doch brauchen?

Jetzt komme ich auf das zu sprechen, was in dem Beschluss übrig bleibt, sowie auf das alte Denken, das angeblich von Herrn Laschet bzw. der CDU überwunden wurde, aber eben doch nicht überwunden wurde. In dem Beschluss findet sich dann lediglich für die Dauer der Ausbildung – und dann auch nur für diejenigen mit guter Bleibeperspektive; wir reduzieren diese Zahl also erneut – Rechtssicherheit; was immer das heißt. Sie sollen Rechtssicherheit bekommen.

Die Bayern – das kommt hinzu –, die immerhin einen christsozialen Hintergrund haben, sprechen sich sogar gegen einen Aufenthaltsstatus für die Dauer der Ausbildung aus und machen auch noch eine Protokollnotiz daraus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, das ist das Gegenteil von dem, was Herr Laschet hier als Ziel ankündigt!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist Ideologie. Das ist Abwehr. Das ist inhuman. Wir brauchen diese jungen Menschen doch. Das ist zudem irrational und gegen alles, was uns vonseiten der Wirtschaft gesagt wird. Denn sie brauchen diese Leute. Das ist Ideologie statt Vernunft und Integration. Ich glaube, es braucht hoch länger, diese Sperren in den Köpfen aufzuheben.

Ein weiteres Beispiel ist die Gesundheitsversorgung. Gute Erfahrungen wurden mit dem sogenannten Bremer Modell gemacht. Die Flüchtlinge bekommen eine Gesundheitskarte. Sie brauchen nicht mehr für eine Einzelfallfallbeantragung zum Amt, wo dann abgewogen wird, sondern sie bekommen den gleichen Leistungsumfang, was wiederum eine Verwaltungsvereinfachung ist. Somit haben alle etwas davon. Es wird auch nicht teurer für die Kommunen. Nein, alle profitieren davon: die Flüchtlinge und die Kommunen.

Das Naheliegende wäre jetzt, zu sagen: Prima, dann machen wir das für alle. Jeder Flüchtling bekommt einen GKV-Status. Der Bund gibt einen Zuschuss in die GKV. Und damit wäre allen geholfen. Das wäre für alle ein Gewinn.

Anstatt aber rational und human an die Dinge heranzugehen, auch hier Ideologie. Hier geht es noch nicht einmal um das Geld – über so viel Geld reden wir hier schließlich gar nicht –, sondern hier geht es um den sogenannten Pull-Effekt, der dann wieder von der CDU aus der Tasche geholt wird. Denn Sie meinen, dass der Flüchtling, der sich in Libyen in ein seeuntaugliches Schlauchboot setzt, darüber nachdenkt, welchen Leistungsumfang er in Deutschland erhält, wenn er diese Karte ausgehändigt bekommt. Es ist zynisch, hier mit dem Pull-Effekt zu argumentieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Und was ist dabei herausgekommen? Was hören wir von dem Beschluss? – Da Bayern das natürlich strikt ablehnt – die Menschen sollen hier schlechtergestellt werden als alle anderen –, ist eine optionale Regelung für die Länder herausgekommen, diese Karte einzuführen, also keine Aufnahme in die GKV.

Jetzt gilt es – das will ich für uns als Grüne im Land auch noch einmal sagen – für uns als Land, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um eine Vereinbarung mit den Kassen zu erreichen, damit wir den Kommunen – von denen in NRW übrigens viele darauf warten – ein Angebot machen können, ohne Leistungseinschränkung und mit einer sehr einfachen Verwaltung diese Gesundheitskarte einzuführen.

Wir Grüne möchten nicht, dass eine Leistungseinschränkung erfolgt. Wir möchten nicht, dass die Ärzte, überlegen, wenn dort „Flüchtling“ steht: Ist diese Operation, die aus meiner Sicht als Arzt eigentlich notwendig ist, eine Notversorgung nach den §§ 2 und 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes? Und ist diese Prothese für diesen kriegsbeschädigten Menschen notwendig oder nicht? Nein, wir möchten nicht, dass die Ärzte das entscheiden.

Wir möchten, dass es eine Karte für alle mit dem gleichen Leistungsumfang gibt. Dafür werden wir Grüne uns auch weiterhin auf allen Ebenen einsetzen. Wir unterstützen die Gesundheitsministerin bei den Verhandlungen mit den Kassen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN – Frank Herrmann [PIRATEN]: Da wollen wir das Gleiche!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beispiele lassen sich fortsetzen. Die Sprachkurse, die einen wichtigen Teil für die Integration von Anfang an darstellen, die Herr Laschet immer einfordert, werden auch nur begrenzt geöffnet.

Ich will zum Schluss einige Sätze zum schwierigen Thema „Balkan“ sagen, weil das sehr oft angesprochen wurde. – Nein, wir lösen mit dem Asylrecht nicht die Probleme auf dem Balkan. Wir lösen sie aber auch nicht mit diesen Sprüchen, die wieder von der CDU gekommen sind, dass die Einstufung als sichere Herkunftsländer tatsächlich Fluchtursachen bekämpfe und die Menschen davon abhalte, zu uns zu kommen.

Diese Menschen fliehen nicht aus Lust oder weil es vielleicht eine tolle Gesundheitskarte gibt. Nein. Wir waren mit dem Innenminister im Kosovo, und diese Menschen sagten uns: Wir haben in den Ländern keine Perspektive. Wir möchten für unsere Kinder eine Zukunft haben.

Eine Einstufung als sichere Herkunftsländer wird keine Beschleunigung der Verfahren bringen. Sie wird auch nicht zu einer Abschreckung führen. Sie diskriminiert vielmehr diese Menschen und spricht ihnen ihre individuellen Fluchtgründe ab. Das lehnen wir ab. Wir lehnen ab, auf dem Rücken der Menschen eine billige Parteipolemik zu machen.

Wir möchten, dass die Fluchtursachen in den Ländern bekämpft werden und dass jeder, der zu uns kommt, ein anständiges Verfahren erhält. Wir wollen die Menschen human aufnehmen und integrieren. – Schönen Dank.

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Düker. – Als nächste Rednerin hat Frau Brand für die Piratenfraktion das Wort.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Zunächst ein kleiner Ausflug auf Bundesebene zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wir hören: Es hat sich wieder mit der Prognose vertan, und zwar nicht nur ein bisschen, sondern es wurde nur knapp die Hälfte geschätzt. Das war nicht das erste Mal. Ich würde mir wünschen, dass man denen zumindest mal einen Fernseher hinstellt oder eine Zeitung abonniert, damit sie sich über das Weltgeschehen informieren können.

(Beifall von den PIRATEN)

Denn was die in den letzten Jahren da machen, ist eine Katastrophe.

Der Klops des Tages allerdings, den ich hier heute gehört habe, kam – jetzt ist er leider weg – von Herrn Lindner.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Der hat doch seinen Auftritt gehabt!)

Er rief Frau Kraft auf, sie möge sich doch um die Fluchtursachen kümmern. Und das wäre die Bekämpfung der Schlepperkriminalität.

(Heiterkeit von Norbert Römer [SPD])

Wir waren vor zwei Wochen in Italien. Wir waren in einem Erstaufnahmelager. Herr Lindner sollte vielleicht einmal seine Kollegen, Dr. Stamp, fragen. Wir haben dort Menschen gesehen, die traumatisiert aus Kriegsgebieten gekommen sind. Wenn Sie einmal in diese Augen geschaut haben, werden Sie das nicht vergessen. Wenn man dann hört, nur die Schlepperkriminalität sei schuld, ist das unfassbar schlecht.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Frau Kraft – mein Kollege Herrmann hat es schon erwähnt … Jetzt ist sie auch weg.

(Lebhafter Widerspruch – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie ist da! Sie erklärt Herrn Lindner gerade die Lage! – Zuruf: Sie war die ganze Zeit da! – Weitere Zurufe)

– Gut.

(Fortgesetzt Zurufe)

– Es ist gut; jetzt ist sie ja da.

Ich muss trotzdem noch einmal ganz kurz auf die Standards eingehen. Sie feiern ja jetzt, dass die 108 Millionen € an die Kommunen durchgewinkt werden.

Das geschieht jedoch wieder nach dem Gießkannenprinzip. Ich möchte dazu kurz aus der letzten Anhörung zum Nachtragshaushalt zitieren. Da sagte Frau Windgasse vom Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Düsseldorf, die Erstattung an die Kommunen durch die Landesregierung sei in der Tat in NRW sehr niedrig. – Das ändert sich jetzt. – Weiter führte Frau Windgasse aus:  

„Aber NRW ist auch, soweit ich weiß, eines von zwei Bundesländern, die dann auch den Kommunen kaum Vorgaben machen, wie die Flüchtlinge zu versorgen sind.“!

Hört, hört! Alle anderen Bundesländer können diese Vorgaben wohl machen. Ich finde es ganz spannend, dass hier immer wieder das Totschlagargument „Konnexitätsprinzip“ kommt. Wenn das in anderen Bundesländern geht, warum denn dann nicht hier?

(Stefan Zimkeit [SPD]: Weil sie nicht alle die gleiche Verfassung haben!)

Der Zaubersatz des Tages kam von Herrn Römer, der nämlich fragte: Wie gehen wir mit den Flüchtlingen um? Nicht, dass wir damit umgehen, dass jetzt mehr Gelder da sind, was schön und gut ist, sondern: Wie?

Dazu gehören einmal die Standards. Dazu gehört, dass bei den Landeseinrichtungen ein Heim-TÜV eingeführt wird. Dazu gehört auf jeden Fall, dass der Flüchtlingsrat mehr Unterstützung bekommt, und zwar auch finanziell. Denn der Flüchtlingsrat ist die Schnittstelle zwischen allen Organisationen, die sich um Flüchtlingsfragen kümmern, und er ist ganz dringend erforderlich für die Sensibilisierung und Aufklärung der Aufnahmegesellschaft.

Ich weiß nicht, wie oft ich es hier schon gesagt habe: Eine erfolgreiche Integration der Migranten in unsere Gesellschaft kann nur erfolgen, wenn wir die Aufnahmegesellschaft mitnehmen, wenn wir sie aufklären, wenn wir sie sensibilisieren. Dafür ist der Flüchtlingsrat eminent wichtig. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Jetzt liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Ende der heutigen Unterrichtung.

Ich rufe auf:

2   Gesetz über die Feststellung eines zweiten Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8650 – zweiter Neudruck

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9068

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9069

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9071

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9072

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9077

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/9000

zweite und dritte Lesung

Die Aussprache wird jetzt eröffnet. Als erster Redner ist für die SPD-Fraktion Herr Kollege Zimkeit am Pult. Bitte schön, Herr Kollege.

Stefan Zimkeit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ja einen Großteil der Debatte gerade schon vorweggenommen, auch den ernsten Hintergrund, der zumindest einen Großteil dieses Nachtragshaushalts ausmacht, nämlich die stärkere Unterstützung für Flüchtlinge.

Trotz dieses ernsten Hintergrunds ist aus unserer Sicht dieser Nachtragshaushalt sehr positiv im Gegensatz zu anderen Nachtragshaushalten, die oft Probleme aufwarfen.

Dieser Haushalt führt zu mehr Unterstützung für Flüchtlinge, verbessert die Situation der Schulen und ist besonders kommunalfreundlich. Er ist solide aufgestellt, weil er zu einer leichten Absenkung der Neuverschuldung führen wird. Insofern ist dieser Nachtragshaushalt aus unserer Sicht zustimmungsfähig.

(Ralf Witzel [FDP]: Mit welchen Einsparmaßnahmen denn?)

– Zu den Einsparmaßnahmen und Ihren Vorschlägen, Herr Witzel, komme ich gleich noch.

Es gibt mehr Unterstützung der Flüchtlinge unter anderem durch zusätzliche Investitionen in die Aufnahmeeinrichtungen des Landes. Er ist positiv für die Schulen, weil wir 674 neue Lehrerstellen zur Verfügung stellen, die die Unterrichtssituation verbessern können. Und insbesondere ist es positiv für die Kommunen, weil wir die Voraussetzungen für die Durchleitung der Investitionsmittel hiermit haushaltspolitisch schaffen. Und es wird durch den gerade von uns diskutierten Antrag, nämlich die gesamten Mittel des Bundes, also 54 Millionen €, an die Kommunen weiterzuleiten, noch kommunalfreundlicher. Auch die 54 Millionen €, die aus Landesmitteln finanziert werden müssen, werden komplett an die Kommunen gehen, um deren Situation bei der Flüchtlingsaufnahme zu verbessern.

Die CDU und die FDP haben in den Debatten in den Ausschüssen immer die übliche Position vertreten: Hier wird zu wenig getan. Hier wird zu wenig Geld ausgegeben. – Gleichzeitig werden von Herrn Witzel wieder mehr Einsparungen gefordert. Es ist wieder die Dialektik dieser beiden Oppositionsparteien, zwei widersprüchliche Dinge zu fordern.

Festzuhalten bleibt als Fakt: Die FDP hat keinen einzigen Änderungsantrag für Mehrausgaben und keinen einzigen Antrag gestellt, wo denn strukturelle Einsparungen vorgenommen werden können. Sie reden viel, aber sie machen keine konkreten Vorschläge.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ähnlich verhält es sich bei der CDU. Sie haben einen Änderungsantrag hinsichtlich der Hilfsfonds gestellt. Den müssen wir leider ablehnen, weil wir bei der gemeinsamen, zwischen den Fraktionen besprochenen Vorgehensweise, diese Frage im Haushalt 2016 aufzugreifen, bleiben und das jetzt für einen politischen Showantrag halten. Jeder weiß, dass die entsprechenden Zahlen für einen solchen Antrag noch nicht vorliegen.

Interessanter finde ich aber den Antrag der CDU, wie sie das denn finanzieren will. Sie predigt immer: Man muss eigene Haushaltsanträge doch mit strukturellen Einsparungen hinterlegen. – Die strukturelle Einsparung, die die CDU vorschlägt, ist eine Absenkung des Zinsansatzes, und das vor dem Hintergrund, dass Sie sonst immer kritisieren, dass wir die Zinsrisiken nicht richtig und nicht hoch genug bewerten. Da beißen Sie sich selbst in den Schwanz, was diese Vorgehensweise angeht. Das ist auch keine solide Haushaltspolitik.

Zusammenfassend können wir sagen: Dieser Nachtrag hilft den Kommunen, unterstützt die Arbeit für Flüchtlinge, verbessert die Situation an den Schulen, und das Ganze bei Senkung der Neuverschuldung. Einem solchen Antrag kann man eigentlich nur zustimmen. Wenn die Opposition sich wie angekündigt enthält, ist das ja fast eine Zustimmung. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Zimkeit. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Zimkeit hat sich – ich möchte mit der Frage von Deckungsanträgen beginnen – in Oberhausener Dialektik aus seiner Zeit im Rat und in anderen Gremien zurückgeflüchtet. Herr Zimkeit, wir reden über strukturelle Haushaltskonsolidierung auf der einen Seite,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ja!)

und wir reden bei Haushaltsanträgen über konkrete Gegenfinanzierungen auf der anderen Seite. Wir legen zu einem ganz konkreten Haushaltsantrag einen ganz konkreten Deckungsvorschlag vor. Und der Minister ist auch noch so nett, uns zu beantworten, dass er eine solche Absenkung für finanzierbar, aber nicht für erforderlich hält, da er den Antrag für nicht erforderlich hält. Und in der Pressekonferenz erklärt er noch, dass der Zinsansatz auch immer sein Puffer ist. Insofern muss man natürlich sagen: Sie können mit Ihrer Kritik nur von dem Kernproblem dieses Antrags und seiner Ablehnung durch Ihre Fraktion ablenken.

Wir haben in der letzten Woche in der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses besprochen, dass es ein gemeinsames fachliches Anliegen aller Fraktionen des Landtags ist, die Landesregierung bei diesem Thema, nämlich einen Hilfsfonds für Menschen einzurichten, die schwerste Misshandlungen erlitten haben und die jetzt endlich die Hilfe durch den Staat und durch andere Institutionen bekommen sollen, die ihnen seit Jahren zusteht und die immer wieder verschleppt worden ist, zu unterstützen, indem wir ihr an der Stelle Rückenwind für die Gespräche mit den anderen Institutionen in den nächsten Monaten geben wollen.

(Beifall von der CDU)

Dieser Rückenwind ist übrigens Gegenstand des Antrags im Plenum im Mai gewesen. Damals hat hier Justizminister Kutschaty in Vertretung des Ministers Schneider erklärt: Schauen Sie bitte, Herr Burkert, in den Nachtragshaushalt. Da werden Sie finden, dass im Nachtragshaushalt 2015 ein Strichansatz steht, um das genau zu decken.

Minister Schneider hat das Gleiche im Fachausschuss erzählt. Dann gehe ich doch davon aus, dass Sie Ihre beiden Minister nicht in den Regen stellen wollen. Ich habe aber offensichtlich falsch gedacht. Sie stellen sie nämlich trotzdem in den Regen. Sie geben aber insbesondere – und das ist das Traurige in einer solch sensiblen Geschichte – nicht den Rückenwind für Hilfe für die Schwächsten.

(Beifall von der CDU – Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist nicht wahr, und das wissen Sie genau!)

Ansonsten wird doch immer die Ministerpräsidentin mit den Worten zitiert: Wir wollen keinen zurücklassen.

Warum können wir denn nicht – ganz ernsthaft, auch wenn die Summe im Detail nicht feststeht – der Landesregierung eine Ermächtigung erteilen? Ein Haushalt ist immer eine Ermächtigung und keine Verpflichtung, eine Höchstsumme auszugeben. Warum können wir keine Ermächtigung erteilen, damit sie mit Rückendeckung arbeiten kann? Wir hätten es hier signalisieren können.

Wenn Sie das nicht machen, ist das übrigens auch ein etwas komischer Vorgang, weil wir mit Blick auf genau die Bereitschaft, noch einmal darüber zu sprechen, im Haushaltsausschuss unseren Antrag zunächst zurückgestellt haben. Sie haben bis gestern Nachmittag keinen Satz an uns verloren, wie Sie damit umgehen wollen. Sie haben sich nicht bei uns gemeldet. Und deshalb haben wir diesen Antrag wieder eingereicht. Wir haben in der letzten Woche darüber gesprochen, dass wir bei diesem sensiblen Thema die Gemeinsamkeit des Parlamentes erhalten wollen. Deshalb ist es so schade.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Abel?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Aber natürlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich. – Bitte schön, Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Optendrenk. – Ich habe eine Frage zu Ihren Ausführungen. Stimmen Sie mir zu, dass wir im Haushalts- und Finanzausschuss letzte Woche vereinbart haben, dass wir das an die Kolleginnen und Kollegen auf Fachebene weitergeben, Sie daraufhin Ihren Antrag zurückgezogen haben und es heute Morgen eine Unterrichtung der Obleute im Gesundheitsausschuss gab, wo der Staatssekretär noch einmal ausdrücklich gesagt hat, dass es bei der Vereinbarung, die alle Fraktionen hier im Hause getroffen haben, bleibt, wir für den Haushalt 2016 einen Strichansatz machen und es eine feste Zusage gibt, auch in einem Brief an Sie? Ist das so, wie ich es wiedergegeben habe?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Kollege Abel, ich bedanke mich für Ihre Zwischenfrage, denn das gibt mir Gelegenheit, den Sachverhalt an einer entscheidenden Stelle klarzustellen.

Das, was immer „Verabredung“ unter den Fachpolitikern genannt worden ist, ist keine, sondern es hat eine E-Mail des Sprechers der SPD-Fraktion im zuständigen Fachausschuss gegeben, das gehe leider nicht mit dem Nachtragshaushalt 2015, und das sollten alle anderen, insbesondere die Oppositionssprecher, bitte akzeptieren. Das ist keine Vereinbarung, sondern das ist eine Erklärung „Es geht nicht“ oder „Wir wollen nicht“. Eine Vereinbarung ist etwas anderes.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Das heißt, die Grundlage Ihrer ganzen Argumentation stimmt nicht.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Nein, das stimmt nicht!)

Da müssen Sie sich bitte mit Ihren Fachkollegen aus dem Bereich Gesundheit und Soziales noch einmal rückkoppeln.

Tatsache ist, dass Herr Minister Schneider mir einen Brief geschrieben hat, in dem steht, es sei ein Versehen, dass es im Haushalt 2015 nicht steht. Insofern wollte man das gerade mit einer parlamentarischen Initiative korrigieren, weil auch der Herr Minister offensichtlich der Auffassung ist, dass man dieses Thema möglichst gut lösen sollte.

(Minister Guntram Schneider: Natürlich!)

Wir wollten ihm und dem Chef der Staatskanzlei, der dazu im August verhandeln soll, explizit Rückendeckung über alle Parteigrenzen hinweg geben.

(Beifall von der CDU)

Deshalb ist es schade, dass das nicht zustande kommt.

Zum Haushalt im Übrigen haben wir bei den Flüchtlingsthemen in der Sache diskutiert. Was wir uns erhofft hätten, wenn man schon jetzt einen zweiten Nachtrag vorlegt, den wir jetzt in einem beschleunigten Verfahren beraten, wäre, dass es ein Gesamtkonzept gibt, wie wir in Zukunft mit dem Thema „Flüchtlingspolitik“ im Haushalt des Landes, und zwar nicht eben mal wieder in einzelnen Etappen, umgeht. Dieses Gesamtkonzept ist auch im Rahmen der weiteren Haushaltsberatungen nicht erarbeitet und vorgelegt worden.

Deshalb sind die Änderungsanträge von SPD und Grünen in der Tat eine Selbstverständlichkeit, nämlich dass man dasjenige, das vereinbart ist, den Kommunen weiterleitet. Da ist auch nichts zu feiern; das tun andere auch. Das ist eigentlich ein Ausdruck der Fairness gegenüber denen, die vor Ort die Arbeit leisten müssen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Genau!)

Alles andere wäre im Grunde genommen die Fortsetzung Ihrer Politik der letzten Jahre, nämlich den Kommunen keine angemessene Ausstattung dafür zu geben, was Sie an Kosten haben. Insbesondere immer dann, wenn die aus dem System herausgefallen sind, wenn eine Duldung ausgesprochen ist, bezahlen die Kommunen alles allein.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Hatten Sie höhere Pauschalen?)

Das ist ein nordrhein-westfälischer Spezialfall, und der belastet die Haushalte in allen Kommunen in Nordrhein-Westfalen ganz massiv.

Sie haben kein Gesamtkonzept, Sie haben im Grunde auch kein Konsolidierungskonzept. Wenn Sie dann das Märchenbuch, das sich „Mittelfristige Finanzplanung des Finanzministers“ nennt,

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

noch zur Grundlage Ihrer Wahlkampfstrategie machen wollen, dann wünsche ich Ihnen damit viel Erfolg. Damit werden Sie eine wunderbare Bruchlandung erreichen, aber für Sie selbst und nicht für andere. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Haushalt dient dazu, um die Mittel, die wir jetzt vom Bund haben, bestmöglich an die Kommunen weiterzuleiten. Wir wollen zusätzliche Stellen für Lehrerinnen und Lehrer schaffen, und wir wollen die Mittel, die die Kommunen für Investitionen haben, schnell zur Verfügung stellen, damit diese schnell eingesetzt werden.

Deswegen auch der Dank an die anderen Fraktionen hier im Hause, dass wir es trotz der politischen Differenzen, trotz des politischen Wettbewerbs gewährleisten konnten, dass wir ein schnelles Verfahren wählen konnten, dass die Mittel schnell vor Ort, dort, wo sie gebraucht werden, ankommen können.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich will noch etwas sagen, das auch die Zustimmung der Opposition finden sollte. Wir erleben bei der Frage der Flüchtlinge vor Ort so viel Unterstützung von den Sportvereinen, von unseren Kultureinrichtungen, von vielen ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürgern, von NGOs. Sie wollen Menschen helfen, sie wollen eine Willkommenskultur für diejenigen schaffen, die vor Krieg und Terror geflohen sind, die aus Not und Elend zu uns gekommen sind. Das ist eine ganz wunderbare Unterstützung. Dafür sollten wir auch unsere Anerkennung aussprechen, und das will ich zu Beginn dieser Debatte um den Nachtrag ausdrücklich tun.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir schaffen über 800 neue Stellen, um eine umfangreiche Unterstützung für die steigende Zahl der Flüchtlinge zu gewährleisten, darunter 674 zusätzliche Lehrerplanstellen. Denn Bildung ist der wichtigste Schlüssel zur Integration. Die zusätzlichen Mittel, die für das Jahr 2015 vom Bund kommen – 108 Millionen € – geben wir sofort weiter, und wir übernehmen die Hälfte der Summe aus Landesmitteln, die an den Bund zurückgezahlt werden müssen. Die zusätzlichen Mittel werden unter anderem für die Unterbringung, die Betreuung und Versorgung der Flüchtlinge gebraucht. Das Land baut kontinuierlich die Kapazität der Erstaufnahmeplätze aus. Dafür werden die notwendigen Mittel bereitgestellt.

Wir haben in der ersten Lesung zum Nachtrag betont, dass wir es als Vorleistung für den Bund sehen. Inzwischen gibt es Verhandlungsergebnisse, die erfreulich sind. Die Flüchtlingsbetreuung ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Deswegen ist es gut, dass der Bund erklärt hat, dass er sich dauerhaft und strukturell an diesen Kosten beteiligen will.

Die Aufnahme und Versorgung Asylsuchender ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Für Herbst sind Gespräche angekündigt. Bis dahin gibt es Arbeitsgruppen. Wir hoffen, dass unsere Forderung aus Nordrhein-Westfalen, aber auch die Forderung aus der Zivilgesellschaft und von den Kirchen dort Niederschlag finden.

Es geht darum, dauerhafte Lösungen für die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge zu finden. Es geht um eine Erhöhung der Sprachfördermittel, damit Menschen endlich Zugang zu Sprachförderung haben.

Deswegen ist es wichtig, dass wir auch bei dieser Frage gemeinsam dafür streiten, dass wir hier Unterstützung bekommen. Ich fände es sinnvoll, das so zu tun, wie wir es bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen im letzten Plenum und im Ausschuss hinbekommen haben.

Nordrhein-Westfalen ist in Vorleistung getreten. Wir haben das gemacht, was in unseren Möglichkeiten liegt. Wir brauchen jedoch, weil es eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, die Unterstützung des Bundes. Hier müssen im Herbst konkrete Ergebnisse folgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Schluss will ich doch noch einmal etwas ansprechen, was eben in der Rede von Herrn Dr. Optendrenk aufgeworfen worden ist. Im letzten Haushalts- und Finanzausschuss haben wir über einen Antrag der CDU zum Thema „Heimkinderfonds“ gesprochen. Herr Dr. Optendrenk, wie wir schon im Ausschuss gesagt haben, ist das, was Sie vorhaben, nicht notwendig, weil es noch nicht etatreif ist.

Es ist überhaupt noch nicht klar: Wie sieht der Kreis der Destinatäre aus? Wie sieht die Struktur derjenigen aus, die dort einzahlen müssen? Dort müssen andere Länder mit einzahlen; dort müssen Regionalverbände mit einzahlen. Dort müssen aber unter Umständen auch die Kirchen ihren Anteil leisten. Das alles ist überhaupt noch nicht klar. Im August dieses Jahres wird sich dazu erneut eine Arbeitsgruppe treffen.

Wir haben – so habe ich die Fachkolleginnen und -kollegen verstanden – im Mai dieses Jahres zwischen allen im Haus vertretenen Fraktionen hier eine Vereinbarung getroffen. Diese Vereinbarung wird jetzt umgesetzt. Das ist Ihnen schriftlich zugesagt worden. Der Finanzminister wird sicherlich auch noch einmal darstellen, dass wir natürlich im Haushalt 2016 dafür Sorge tragen, dass wir dann, wenn dort eine Einigung erzielt worden ist – die es noch nicht gibt –, die Mittel sofort zur Verfügung stellen. Das haben Sie schriftlich; das haben Sie mündlich. Den Fachleuten im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist das heute Morgen vom Staatssekretär noch einmal versichert worden.

Meines Erachtens sollten Sie noch einmal in sich gehen und überlegen, ob sich dieses Thema wirklich für eine Profilierung eignet. Wir hatten im Mai dieses Jahres eine gemeinsame Vereinbarung getroffen. Es handelt sich hier um ein hochsensibles Thema; davon sind Menschen unmittelbar betroffen. Es eignet sich nicht für parteipolitische Profilierung, denke ich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Burkert?

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Ja, sehr gern.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich. – Bitte schön, Herr Kollege.

Oskar Burkert (CDU): Schönen Dank. – Wir haben eine Vereinbarung getroffen, das ist richtig. In diesem gemeinsamen Antrag ist aber ein Satz herausgestrichen worden, sonst wäre es zu keinem Konsens gekommen. Dem haben wir zugestimmt. Wir haben aber auch gesagt: Wenn dieser Antrag hier beraten wird, werden wir die Forderung aufstellen, dass – wie Herr Minister Schneider es uns gesagt hat – im Nachtragshaushalt ein Titel eingestellt wird. Dieses werden wir auch einfordern. – Nicht mehr und nicht weniger haben wir getan.

Vizepräsident Oliver Keymis: Stimmen Sie dem so zu, Herr Abel?

(Heiterkeit von der FDP)

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident, ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, dass wir im Haushalts- und Finanzausschuss – so ist es uns auch dargestellt worden – vor der Situation stehen, dass das Ganze noch nicht etatreif ist. Es gibt noch keine Entscheidung darüber. Die Destinatäre stehen noch nicht fest. Das System, wie in diesen Fonds eingezahlt werden soll, steht noch nicht fest. Es bringt nichts, jetzt einen Strichansatz in den Haushalt einzustellen.

Wir haben gesagt: Wir werden das in den Haushalt 2016 aufnehmen, wenn es konkrete Summen gibt, oder dann auch einen Strichansatz vorsehen, damit wir diese Mittel weiterleiten können. – Das ist die Vereinbarung. Wie die Fachleute uns gesagt haben, wäre das für die Lösung dieses Problems ausreichend. Deswegen verstehe ich nicht, worüber wir jetzt reden.

(Beifall von Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE])

Es bringt überhaupt nichts, jetzt dort einen Strichansatz hineinzubringen. Wir machen das im Haushalt 2016. Das haben Sie schriftlich. Sie haben unser Wort.

Das sollte zur Beantwortung Ihrer Intervention reichen. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Abel. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Nachtragshaushalt wird schnell Makulatur sein. Das, was auf dem Flüchtlingsgipfel besprochen worden ist, wird nicht ausreichen.

Ich bin auch enttäuscht von dem, was die Ministerpräsidentin hier zu den Leistungen des Bundes verkündet hat. Auf dem Flüchtlingsgipfel klangen die Forderungen unserer Ministerpräsidentin viel forscher. Da hieß es: Für jedes Verfahren, das länger als drei Monate dauert, soll zukünftig vollumfänglich der Bund aufkommen.

(Beifall von der FDP)

Das sei die Verabredung zwischen den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, und das solle gegenüber der Bundesregierung durchgesetzt werden. – Davon ist so gut wie nichts mehr übrig.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Konnten Sie vorhin nicht reden, sodass Sie das jetzt nachholen? – Gegenruf von Marcel Hafke [FDP]: Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, Herr Kollege!)

– Lieber Herr Kollege, ich bin Ihre Zwischenrufe aus so vielen Ausschusssitzungen gewohnt, dass mich das nicht weiter anficht. Ich will da jetzt kein deutsches Sprichwort bemühen, sonst würde ich einen Ordnungsruf kassieren.

Ich möchte lieber noch einmal darüber sprechen, was wir erwarten und was leider ausgeblieben ist, obwohl ich mir heute an dieser Stelle viel mehr erwartet hätte; denn wir wollen mit diesem Nachtragshaushalt insgesamt die Flüchtlingspolitik finanzieren. Dazu gehört eben auch, dass wir die Möglichkeiten schaffen, dass diejenigen, die zu uns kommen und von Anfang an selbst ihr Leben in die Hand nehmen und selbst arbeiten wollen, eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt erfahren. Dafür passiert zu wenig. Auch das, was jetzt beschlossen ist, reicht dafür nicht aus. Es ist zwar sinnvoll, mit den Sprachkursen zu beginnen, wir brauchen aber eine richtige Unterstützung vor Ort in Bezug auf den Einstieg in den Arbeitsmarkt; denn dort beginnt die Integration, und dort findet sie am stärksten statt.

Meine Damen und Herren, wir müssen aber – weil das natürlich eine große Kostenfrage ist, sowohl für das Land als auch für die Kommunen – auch noch einmal über die Straffung der Verfahren sprechen. Die Kollegin Düker ist jetzt nicht mehr anwesend, glaube ich; es sind aber andere Kolleginnen und Kollegen der Grünen da, die fachlich mit der Sache befasst sind. Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist – die Ministerpräsidentin hat das vorhin nämlich nicht ausgeführt –, dass die Bund-Länder-Gruppe jetzt sehr wohl prüft, Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Das hat die von Ihnen getragene Landesregierung mitgezeichnet.

(Kai Abruszat [FDP]: Das stimmt!)

Als ich das vor einem halben Jahr für die Länder Bosnien, Serbien und Mazedonien hier eingefordert habe, haben Sie mir Rechtspopulismus vorgeworden.

(Beifall von der FDP)

Insofern kann ich nur an Sie appellieren, hier jetzt zur nötigen Sachlichkeit zurückzukommen.

(Ralf Witzel [FDP]: Ganz genau!)

Umgekehrt ist es mir dann auch zu billig, nur zu sagen, das seien sichere Herkunftsländer; denn die Leute vom Balkan werden auch weiterhin hierher kommen. Es muss tatsächlich etwas in diesen Ländern passieren. Aber auch dazu hören wir von der Landesregierung nichts. Auch auf dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern haben wir nichts dazu gehört, was denn wirklich im Hinblick auf den Balkan passieren soll.

Vorhin ist von der Kollegin Düker ausgeführt worden, die Flüchtlinge kämen ja nicht ohne Grund. Richtig! Dort wird zum Teil von kriminellen Strukturen Propaganda dafür gemacht, nach Deutschland zu kommen. Das wird von Serbien teilweise unterstützt, weil Serbien ein Interesse daran hat, die Nachbarländer zu destabilisieren.

Diese Dinge können wir doch nicht hinnehmen – sowohl im Sinne dieser Länder als auch in unserem eigenen Sinne! Da erwarte ich Initiativen. Eigentlich hätte ich auch erwartet – schließlich hat Herr Jäger dieses Thema immer wieder angesprochen –, dass das auf einer solchen Bund-Länder-Konferenz ebenfalls zum Thema gemacht wird.

(Beifall von der FDP)

Wenn es um die Verfahrensbeschleunigung geht, wird in den Ergebnissen von Bund und Ländern nur darüber gesprochen, wie die Verfahren gegenüber den Flüchtlingen vom Balkan durch Beschleunigung gestrafft werden können.

(Beifall von der FDP)

Aber warum sprechen wir denn nicht auch einmal über diejenigen aus den de facto unsicheren Herkunftsländern wie Syrien, wie Eritrea? Warum kommen wir denn nicht auch dort zu entsprechenden Gruppenanerkennungen? Auch das würde die Verfahren erheblich beschleunigen.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Auch das wäre eine Möglichkeit, um von dem Berg mit den 220.000 unerledigten Altfällen herunterzukommen, damit wieder zügige Verfahren zu ermöglichen und die Kommunen zu entlasten.

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten,

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

die man noch angehen muss: Die Bekämpfung der Schlepperbanden hat Christian Lindner vorhin genannt. Wir brauchen darüber hinaus auch eine legale Möglichkeit der Zuwanderung in den deutschen und den europäischen Arbeitsmarkt. Wir brauchen auch humanitäre Korridore für besonders Schutzbedürftige. Darüber sind wir uns, denke ich, hier im Hause einig. Das werden wir auch gemeinsam weiterverfolgen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Nun spricht für die Fraktion der Piraten Herr Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und am Stream! Die Piratenfraktion begrüßt grundsätzlich die im Nachtragshaushalt enthaltenen Mehrausgaben für die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen.

Die Schaffung von zusätzlichen Unterbringungsplätzen in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Zentralen Unterbringungseinrichtungen des Landes ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch die zusätzlich bereitgestellten Lehrerstellen sind der Kritik grundsätzlich nicht zugänglich. Die Kritikpunkte in diesem Bereich folgen noch.

Die jetzt in den Änderungsanträgen von Rot-Grün vorgesehene Verteilung der Bundesmittel und die Zuweisung in Höhe von insgesamt 108 Millionen € – also einschließlich des Anteils des Landes an die Kommunen – halten wir für eine Selbstverständlichkeit. Das ist nichts, was sich diese Landesregierung aus unserer Sicht als Erfolg in die Geschichtsbücher schreiben lassen kann.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Erzählen dürfen wir es aber trotzdem, oder?)

Dennoch stimmen wir Piraten diesen Änderungsanträgen zu.

Wir dürfen allerdings nicht außer Acht lassen, dass wir davon ausgehen müssen, dass die Landesregierung vom Bund schlicht und ergreifend 90 % dessen, was sie selbst an Forderungen in den Raum gestellt hat, gar nicht mit nach Hause gebracht hat. Da war die Rede von rund 9.700 € Kosten pro Flüchtling. Dies hätte bezogen auf die Bundesrepublik einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag ausgemacht, round about 5 Milliarden €. Davon hätte dann, wenn der Bund entsprechend gezahlt hätte, dem Land Nordrhein-Westfalen rund 1 Milliarde € zugestanden. Die Landesregierung kommt jetzt mit insgesamt 100 Millionen € – das sind 10 % – nach Hause. Das halten wir für zu wenig.

Dies sind dann aber auch schon abschließend die Gründe, welche es uns überhaupt ermöglichen, uns bei der Abstimmung über den von der Landesregierung vorgelegten Nachtragshaushalt insgesamt zu enthalten.

Der zweite Nachtragshaushalt 2015 ist ein Schritt in die richtige Richtung – ich sagte es bereits –, greift aber zu kurz und schöpft nicht die vielfältigen, auch fiskalischen Möglichkeiten der Landesregierung aus, um insbesondere auch den Kommunen diejenigen Mittel vollumfänglich zur Verfügung zu stellen, die notwendig sind.

Nach wie vor fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept. Bei der Landesregierung bleibt die Flüchtlingspolitik Flickschusterei. Die Landesregierung hechelt hinter der rasenden Entwicklung hinterher, obwohl sich die flüchtlingsbedingte Zuwanderung bereits im vergangenen Jahr abzeichnete. Steigende Flüchtlingszahlen zeichnen sich in einer steilen Kurve nach oben ohnehin schon seit dem Jahr 2011 ab. Die Piratenfraktion hat schon 2012 – dem ersten Jahr ihrer Teilnahme hier im Hohen Hause – darauf hingewiesen und dies in zahlreichen Änderungsanträgen zum Haushalt – in mittlerweile drei Haushaltsberatungen – dokumentiert.

Lernen durch Schmerzen, aber ohne Lernen – so könnte man diesen zweiten Nachtragshaushalt bezeichnen.

Meine Damen und Herren, in Anbetracht der stark steigenden Flüchtlingszahlen hätte es dringend mehr an Landesmitteln bedurft, zum Beispiel für den NRW-Flüchtlingsrat, aber auch an vielen anderen Stellen, die heute im Laufe der Debatte schon genannt wurden. Der Flüchtlingsrat fungiert als wichtige Schnittstelle zwischen allen mit Flüchtlingsfragen befassten Beteiligten, insbesondere – so hat der Kollege Abel es eben auch gesagt – den NGOs, den vielen zivilgesellschaftlich Engagierten und den Betroffenen.

Tatsächlich ist es aber so, dass den Kommunen endlich auch aus dem Landeshaushalt heraus unter die Arme gegriffen werden muss. Die desolate Finanzlage der Kommunen in NRW in Kombination mit den steigenden Flüchtlingszahlen führt dazu, dass eine gefährliche Gemengelage entsteht, in der die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger gegen die Bedürfnisse der Flüchtlinge aufgewogen werden. Dies darf nicht passieren.

Es ist nämlich auf der anderen Seite finanzpolitisch auch ein Unding, dass NRW nach wie vor – auch nach der Vereinbarung im Kanzleramt, über die heute sehr ausführlich gesprochen worden ist – mit seinen Pauschalzahlungen an die Kommunen nur die Hälfte der Kosten der Kommunen an diese erstattet. Daran ändern auch die Zuweisungen des Bundes nichts, die jetzt im Änderungsantrag von Rot-Grün ausgewiesen sind.

NRW ist knauserig und könnte mehr. NRW rangiert auf einem der letzten Plätze, wenn es um die Finanzierung der Kommunen in Bezug auf die Lasten geht, die aufgrund der Zuwanderung und der Flüchtlingssituation entstanden sind und weiter entstehen. Frau Ministerpräsidentin Kraft und Herr Kommunalminister Jäger sollten aus unserer Sicht einmal auf den Tisch des Finanzministers klopfen und dort nachfragen, wo denn tatsächlich die Mittel sind.

Herr Finanzminister, wir Piraten haben jüngst, nämlich in der letzten Woche, in Ihrem Hause angefragt, welche Mittel sich angesichts der aktuellen Steuerschätzungen in der Landeskasse als verfügbar zeigen. Sie hatten nichts Besseres zu tun, als zu mauern und die Karten nicht offenzulegen. Stattdessen hatten Sie in der letzten Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses immerhin die Chuzpe, darzulegen, dass Sie von den Steuerschätzungen nach einem eigenen Schlüssel abweichen und praktisch eine hausinterne Steuerschätzung machen, die deutlich hinter der Realität zurückbleibt. Die wahren Zahlen auf Basis Ihrer Annahmen legen Sie dem Parlament trotz aktueller Nachfrage nicht offen.

Dieses intransparente Verhalten führt aus unserer Sicht zu einer Unterfinanzierung der Kommunen im Hinblick auf die Flüchtlingssituation. Dies können wir, um Gottes willen, hier im Hohen Hause – jedenfalls vonseiten der Opposition – nicht mittragen. Herr Finanzminister, ich fordere Sie hier definitiv auf, die Zahlen einmal offenzulegen, wie es denn mit dem von Ihnen selbst angelegten Schlüssel in Bezug auf die Steuerschätzung für Nordrhein-Westfalen aussieht.

Weil die Richtung stimmt, aber dieser Nachtragshaushalt kein schlüssiges Gesamtkonzept für die Herausforderung der Flüchtlingspolitik erkennen lässt, wird sich die Piratenfraktion insgesamt bei der Abstimmung über den Nachtragshaushalt enthalten.

Im Hinblick auf die Anträge der CDU muss ich sagen – ich habe dazu mit unseren entsprechenden Fachpolitikern Rücksprache gehalten –: Wir sehen natürlich wie alle Fraktionen hier im Hause die absolute Notwendigkeit, dass hier dringend etwas getan werden muss.

Das soll ja auch geschehen, und zwar im August. Ich danke Herrn Kollegen Abel für das von ihm gegebene Wort. Ab August beginnen so langsam die Debatten zum Haushalt 2016. Herr Kollege Abel hat zugesagt, dass dann entsprechende Änderungen in den Haushalt eingestellt werden. Ich gehe davon aus, dass dies fraktionsübergreifend geschehen wird.

So sehr ich die Änderungsanträge persönlich begrüße und sie positiv sehe, folge ich doch der Empfehlung unserer Fachpolitiker, vor allem mit Blick auf die Stimmung im Fachausschuss und die dort getroffenen Vereinbarungen. An dieser Stelle werden wir uns daher zumindest bei den Änderungsanträgen enthalten. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schulz. – Als nächster Redner spricht für die Landesregierung der Finanzminister Herr Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will es kurz machen: Ich will mich bei allen Fraktionen bedanken, die dazu beigetragen haben, dass wir diesen für die Menschen in Not so wichtigen Nachtragshaushalt schnell verabschieden können, und dass es nicht Monate benötigt, um die notwendigen Stellen einzurichten und das nötige Geld zur Verfügung zu stellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Schade ist lediglich, dass selbst eine solch übereinstimmende Haltung mit ein paar akrobatischen Verbalien versehen werden muss, um deutlich zu machen, dass man das Ritual zwischen Opposition und Regierung aufrechterhält. Das wäre nicht nötig gewesen; aber es muss offenbar so sein. Wenn es den weiteren Verlauf aber nicht verhindert oder behindert, ist das in Ordnung.

Ich will nur zwei Dinge sagen.

Das eine ist: Ja, Herr Schulz, was die Entwicklung der Flüchtlingszahlen angeht, hecheln wir im Augenblick dem hinterher, was man im Haushalt abbilden kann. Es ist einfach so, dass wir ständig neue Zahlen bekommen. Weder Sie als Opposition noch wir als Regierung würden es richtig machen, wenn wir im Vorgriff einen viel zu großen Rahmen setzen würden. Man muss immer genau beobachten, was passiert. Es ist schlimm genug, dass so viel passiert, und darauf müssen wir reagieren. Das ist richtig so.

Zweiter Punkt. Ja, wir haben Wert darauf gelegt, den Haushalt eng zu fassen. Wir konzentrieren uns lediglich auf das Thema „Flüchtlinge“ und auf die Voraussetzungen für das kommunale Investitionsprogramm. Das ist dennoch kein Grund, hier einen Antrag abzulehnen, der sich mit einem Hilfsfonds für die Opfer von Unrecht und Misshandlungen in Einrichtungen der Behindertenhilfe befasst.

Aber reiten Sie doch nicht darauf herum, dass offenbar eine Verwechslung zwischen dem Nachtrag 2015 und dem Haushaltsansatz 2016 stattgefunden hat. Wir sind als Finanzministerium gemeinsam mit dem Fachressort zu der Auffassung gelangt, dass wir selbst für 2016 noch keine Zahlen kennen und nicht wissen, wie hoch der Bedarf sein wird. Um symbolisch deutlich zu machen, dass wir zu diesem Hilfsfonds stehen, nehmen wir einen Strichansatz in den Haushalt auf. Damit wollen wir deutlich machen: Sobald konkrete Daten vorliegen, können wir sie einsetzen. Wenn wir das aber für 2016 schon nicht können, was soll dann ein solcher Antrag für 2015?

(Beifall von den GRÜNEN)

Für 2015 haben wir keinerlei Grundlage. Den Willen haben wir jedoch. Nehmen Sie das mit. Mehr brauchen wir dafür nicht.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Showanträge!)

Wenn man da jetzt einen Unterschied machen will, kann man das tun. Aber dann soll die Öffentlichkeit auch wissen, dass die reale Grundlage dafür fehlt. Von der Sache her stimmen wir doch überein. Das sollten wir auch einmal nach draußen signalisieren.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Der Sache nicht würdig!)

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Walter-Borjans. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Uns liegen insgesamt fünf Anträge vor. Anschließend wird über den Gesetzentwurf der Landesregierung in zweiter Lesung abgestimmt.

Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/9068. Wer stimmt diesem Antrag zu? – SPD und Grüne, die Fraktion der Piraten sowie die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag Drucksache 16/9068 ist bei Enthaltung der CDU einstimmig angenommen.

Wir stimmen ab über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/9069. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – SPD und Grüne sowie die Fraktion der Piraten, die Fraktion der CDU und die FDP-Fraktion. Wer ist dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Auch niemand. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/9069 einstimmig angenommen.

Drittens kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/9071. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – Die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? SPD und Grüne stimmen dagegen. – Wer enthält sich? – Es enthält sich die FDP-Fraktion und die Fraktion der Piraten. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/9071 mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Viertens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/9072. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – Die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? SPD und Grüne stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Es enthalten sich FDP und Piratenfraktion. Damit ist auch dieser Änderungsantrag Drucksache 16/9072 mit breiter Mehrheit im Hohen Haus abgelehnt.

Fünftens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/9077. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – SPD und Grüne stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag Drucksache 16/9077 ist bei Enthaltung von CDU, Piraten und FDP einstimmig angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Landesregierung in zweiter von drei Lesungen. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 16/9000, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.

Wir kommen also zur Abstimmung, und zwar nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den Gesetzentwurf Drucksache 16/8650 – zweiter Neudruck – in der soeben geänderten Fassung. Wer stimmt dem so zu? – SPD und Grüne stimmen so zu. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf Drucksache 16/8650 - zweiter Neudruck -  ist in der geänderten Fassung in zweiter Lesung bei Enthaltung von CDU, FDP und Piratenfraktion einstimmig angenommen.

Wie zwischen den Fraktionen im Ältestenrat vereinbart, kommen wir jetzt zur dritten Lesung. Das ist nach § 78 Abs. 2 der Geschäftsordnung zulässig, wenn niemand widerspricht. – Ich sehe keinen Widerspruch.

Dann rufe ich die dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung Drucksache 16/8650, zweiter Neudruck – Gesetz über die Feststellung eines zweiten Nachtrags zum Haushaltplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2015 – auf. Eine Rücküberweisung hat nicht stattgefunden. Der Haushalts- und Finanzausschuss hat seine Beschlussempfehlung ausdrücklich zur zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs abgegeben. Grundlage für unsere dritte Lesung ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/8650 – zweiter Neudruck – in der geänderten Fassung nach der zweiten Lesung, wie soeben beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Zimkeit das Wort.

– Sie verzichten auf Ihren Wortbeitrag? Dann erteile ich das Wort der CDU, Herrn Dr. Optendrenk.

(Dr. Marcus Optendrenk [CDU]: Ich verzichte!)

Er verzichtet auch. – Herr Abel von den Grünen?

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Ich verzichte!)

– Sie haben sich offenbar verständigt. Das steht hier noch nicht. Herr Witzel redet

(Zurufe und Beifall von der FDP)

und sagt, was noch zu sagen ist. Bitte schön, Herr Kollege Witzel, Sie haben das Wort.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor es hier von anderen Fraktionen falsch verstanden würde, wenn Haushälter nicht zu einem Haushalt reden – wobei der Finanzminister gerade viele Vorlagen geliefert hat –, bleiben wir Ihnen unseren Debattenbeitrag natürlich nicht schuldig.

Der Finanzminister hat zu Recht gesagt: Wenn Menschen in Not sind, muss man helfen, auch über Fraktionsgrenzen hinweg. Deshalb nehmen wir zur Kenntnis, dass die Regierung festgestellt hat, dass dies richtigerweise auch in diesem Parlament möglich ist. Trotzdem: Wenn Haushaltsfragen entschieden werden, darf es – auch wenn man sich in der Zielsetzung einig ist, Menschen zu helfen – zwischen den Fraktionen unterschiedliche Vorstellungen geben, wie man diese Ziele am besten erreicht.

Fachpolitisch ist von meinem Kollegen bereits in früheren Debattenrunden darauf hingewiesen worden, dass wir in Nordrhein-Westfalen das strukturelle Problem eines geringen Finanzierungsanteils für die kommunalen Lasten im Zusammenhang mit der Flüchtlingsunterbringung haben. In Sachverständigenanhörungen des Haushalts- und Finanzausschusses ist beispielsweise von Bildungsverbänden darauf hingewiesen worden, dass sie die jetzt eingeplanten Ressourcen für nicht auskömmlich halten, um ohne Qualitätsverlust für den Unterricht die immensen Herausforderungen zu schultern, die sich voraussichtlich im Jahre 2015 stellen werden.

Uns als Haushälter interessiert die Frage: Wie ist ein Nachtragshaushalt von der Finanzierungsseite her zu bewerten? Da, Herr Kollege Zimkeit, haben Sie gesagt, wir sollten hier Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung machen. Die bekommen Sie jedes Jahr, immer ein ganz dickes Paket. Sie bekommen sie auch zu dem neuen Haushalt für 2016. Herr Zimkeit, wenn wir bei den vielen Nachtragshaushalten,

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

die Sie hier vorlegen, jedes Mal unser komplettes Kompendium „Neuorientierung der Haushaltspolitik“ vorlegen würden, würden Sie umgekehrt sagen, wir sollten uns auf die eigentliche Beschlussfassung des Haushalts konzentrieren.

Sie wissen, alleine durch Ihre Wahlgeschenke können Sie ganz zeitnah eine halbe Milliarde Euro im Haushalt einsparen, wenn Sie das denn wollen. Das haben Sie bislang immer abgelehnt. Viele strukturelle perspektivische Maßnahmen kommen entsprechend hinzu, die sich für Sie anbieten würden.

Eines muss man schon feststellen: Dieser Haushalt hier enthält keine politische Prioritätensetzung für den Bereich der Flüchtlinge. Hier hat keine Regierung entschieden: „Wir kürzen woanders, um hier einen neuen Schwerpunkt unserer Arbeit zu setzen“, sondern Sie leiten Gelder durch, die sich ergeben, weil der Bund hier mehr Spielräume ermöglicht

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

oder weil einfach Steuermehreinnahmen infolge von Steuererhöhungen vorhanden sind. Dieser Punkt ist sehr wohl zu besprechen.

Wir brauchen eine Belastungsbremse für die Bürger. Seit Jahren verzeichnen wir bei Ihnen den Trend einer immer stärker zunehmenden Umverteilung von Privat zu Staat. Menschen, die Vorsorge für ihr Alter treffen wollen, können in Zeiten der Niedrigzinsphase immer weniger für sich selbst zurücklegen.

(Zurufe)

Arbeitnehmer liefern immer mehr Geld beim Staat ab, weil Sie die kalte Progression nicht zurückfahren. Wenn Sonderaufgaben wie der Aufbau Ost beim Soli entfallen, dann beschließen Sie hier im Landtag, dass Sie das Soliaufkommen auch zukünftig haben wollen. Das ist doch die Wahrheit zu diesem Haushalt!

Wir wollen Menschen in Not helfen. An Ihrem Vorgehen kritisieren wir ausdrücklich, dass Sie das nicht über eine richtige politische Schwerpunktsetzung tun, sondern nur dadurch, dass immer mehr Belastungen für Unternehmen und Bürger in Nordrhein-Westfalen zu schultern sind.

Ein weiterer Punkt zu Ihrer Haushaltsplanung: Sie werden natürlich nicht behaupten, dass es für Sie als Regierungsfraktion ein Selbstzweck sei, Steuersätze zu erhöhen. Ende letzten Jahres haben Sie gesagt: Für Ihre Haushaltsfinanzierung wollen Sie 400 Millionen € aus einer nochmaligen Grunderwerbsteuererhöhung bekommen. Wir haben uns die Steuerprognosen des Finanzministers angesehen, die er Ende letzten Jahres mit den Aktualisierungen in der Planung veröffentlicht hat.

Wir haben gesagt: Wenn das Parlament mit rot-grüner Mehrheit den Steuersatz erhöht, dann muss man den auf das bislang nach dem altem Steuersatz Kalkulierte anwenden. Dann hätten Sie aber 200 Millionen € mehr im Haushalt ausweisen müssen. Das haben Sie aber nicht getan. Jetzt machen Sie genau jetzt das, was wir seit Wochen prognostizieren: Wenn Sie im Laufe des Jahres Geld brauchen, dann machen Sie es über einen Nachtrag, in dem überraschenderweise auf einmal mehr Steuern da sind. Das ist unsolide. Sie gaukeln den Bürgern vor, die Belastungen wären niedriger. In Wahrheit sind sie höher, damit Sie sich solche Polster hier aneignen können. Das dürfen wir in einer Haushaltsdebatte wohl noch kritisieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Bleiben Sie am Pult. Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Zimkeit.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ich habe mich zu Wort gemeldet, keine Kurzintervention!)

– Keine Kurzintervention. Sie wollen einen Redebeitrag leisten. Dann ans Pult mit Ihnen, Herr Kollege Zimkeit. Jetzt ist die Gelegenheit. Sie haben das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Stefan Zimkeit (SPD): Danke, Herr Präsident! Ich weiß nicht, ob es an der Kamera liegt, die hier steht, oder an der Vorbildfunktion von Herrn Lindner, dass Herr Witzel jetzt seine Textbausteine, die wir uns jedes Mal hier anhören müssen, unbedingt noch einmal wiederholen muss. Dadurch werden sie auch nicht richtiger.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will mich – damit keine Missverständnisse aufkommen – zu dem Punkt mit den Wahlgeschenken äußern, den Sie immer wieder ansprechen. Zum einen merken wir immer wieder: Der FDP ist es fremd, vor der Wahl etwas zu versprechen und es danach einzuhalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben das beim Soli erlebt, dessen Abschaffung Sie versprochen haben, was Sie aber zu Ihrer Regierungszeit nicht eingehalten haben. Jetzt verlangen Sie ständig von anderen dessen Abschaffung.

Wir gehen da anders vor. Wir haben vor der Wahl versprochen, die Studiengebühren abzuschaffen. Wir haben vor der Wahl versprochen, das erste Kindergartenjahr beitragsfrei zu stellen. Das waren unsere Versprechen. Die haben wir eingehalten. Dabei bleiben wir. Sie wollen das wieder ändern. Familien und Studenten mit Gebühren zu belasten, das wird mit uns nicht machbar sein. Das gibt es nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Obwohl wir unsere Versprechen einhalten, betreiben wir eine solide Haushaltspolitik, die dazu führen wird, dass wir 2019 keine Neuverschuldung machen werden. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der richtige Weg.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Zimkeit, bleiben Sie bitte am Pult stehen. – Danke schön. Jetzt komme ich auch zu meiner Kurzintervention. Nun haben wir eine – angemeldet von der FDP-Fraktion. Herr Lindner, wenn Sie sich eindrücken, können wir das Mikrofon freischalten. Bitte schön.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Jetzt bin ich aber nervös!)

Christian Lindner (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Zimkeit, da Sie ja jetzt in das parteipolitische Kleingeldwechseln eingestiegen sind,

(Heiterkeit von der SPD)

und hier über die Haushaltsdebatte hinaus grundsätzliche Charakterfragen von Parteien angesprochen haben, wer seine Wahlversprechen hält und wer nicht, will ich Sie daran erinnern, dass im Jahr 2005 die Sozialdemokratische Partei Deutschlands einen ganzen Bundestagswahlkampf damit bestritten hatte zu sagen: „Merkelsteuer, das wird teuer“. Sie haben sich gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer gewandt. Nach der Wahl kam die große Wahllüge. Sie haben sie nicht um 2 %, sondern um 3 % erhöht. So viel zum Thema Glaubwürdigkeit der SPD.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD – Zurufe von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Kollegen, darf ich um ein bisschen Ruhe bitten? – Herr Kollege Zimkeit, Sie haben das Wort zur Erwiderung. Bitte schön.

Stefan Zimkeit (SPD): Wenn Sie gerade den Vorwurf des parteipolitischen Kleingeldes erhoben haben bei unserer Debatte, weiß ich jetzt nicht, wie ich Ihren Redebeitrag noch darunter bewerten will. Das will ich aber auch nicht tun, weil Sie augenscheinlich nur von Ihren eigenen Versäumnissen ablenken wollen.

Wie das damals in den Koalitionsverhandlungen gelaufen ist, wissen Sie. Aber warum äußern Sie sich denn nicht zu der Frage? Warum stellen Sie sich immer wieder hier hin und sagen: Wir fordern von der jetzigen Landesregierung Unterstützung für die Abschaffung der kalten Progression, für die Abschaffung des Soli; das muss endlich gemacht werden. – Warum haben Sie es während Ihrer Regierungszeit nicht durchgesetzt und nicht angepackt?

(Beifall von der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Sie verlangen immer von anderen, dass sie das umsetzen, wozu Sie nicht in der Lage waren. Warum sind Sie dazu nicht in der Lage gewesen? Weil Ihnen die Ansätze für eine solide Haushaltspolitik fehlen. Sie haben sich nämlich mit Ihren Vorschlägen gegenüber Herrn Schäuble nicht durchsetzen können, weil Sie nicht in der Lage sind, solide Gegenfinanzierungsmaßnahmen vorzuschlagen.

Jetzt wiederhole ich den letzten Punkt. Angesichts der Tatsache, dass Sie so viel reden müssen, scheinen Sie ja zu wissen, dass Sie auf dem falschen Weg sind.

Jetzt möchte ich den letzten Punkt wiederholen: Sie sind hier in weiten Teilen wieder nur in bundespolitischen Debatten. Herr Stamp hat gerade seine bundespolitische Rede wiederholt, die er wegen Ihrer langen Redezeit beim ersten Tagesordnungspunkt nicht leisten konnte. Wir sind hier kein Ersatzparlament für den Bund, wo Sie nicht mehr vertreten sind, sondern ein Landesparlament.

(Zurufe von der FDP)

Deswegen sollten Sie sich auch einmal mit Landespolitik beschäftigen!

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. So weit die Kurzintervention und die Entgegnung darauf. – Wir fahren fort in der vorgesehenen Rednerfolge. Das heißt, meine Damen und Herren, dass ich für die Piratenfraktion Herrn Kollegen Dr. Paul das Wort erteile.

(Zurufe von der FDP – Zurufe von der SPD)

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Raum und zu Hause! Ich möchte angesichts des vorliegenden Nachtragshaushalts, zu dem Herr Schulz schon für unsere Fraktion ausgeführt hat, noch zwei Detailpunkte hervorheben, die uns nicht so ganz unwesentlich erscheinen.

Erstens. Ein Nachtragshaushalt, der im Wesentlichen die milden Gaben des Bundes verteilen hilft, so ja auch der Begründungsansatz im Gesetzentwurf, ist nichts weiter als Brosamen für die geplagten und gebeutelten Kommunen.

(Beifall von den PIRATEN)

Insbesondere die Anhörung der Sachverständigen zum zweiten Nachtragshaushalt hat das eindrucksvoll bestätigt. So kritisiert beispielweise der Philologen-Verband Nordrhein-Westfalen, dass der Lehrerbedarf, bezogen auf mehr als 17.000 Schülerinnen und Schüler, 1.013 Stellen ausmacht. Von diesem Bedarf wird aber nur ein Teil gedeckt – ca. zwei Drittel, nämlich 674 Stellen, sind es insgesamt –, sodass nach wie vor von 339 fehlenden Stellen auszugehen ist, die nur vorübergehend dem Kontingent gegen Unterrichtsausfall und für individuelle Förderung entnommen werden können. Es müssten also 1.013 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen werden, auch in Anbetracht der mit der Inklusion verbundenen Herausforderungen.

Zweitens. Das Psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf kritisiert die fehlende Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie. Sie ist den Mitgliedsstaaten bis zum 20. Juli auferlegt. Die Landesregierung hat aus Sicht des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge in Düsseldorf auch nach Vorlage dieses Nachtragshaushalts zu wenig getan, um die EU-Aufnah-merichtlinie fristgerecht umzusetzen. Wir fürchten, dieses Unterlassen wird langfristig dem Land Nordrhein-Westfalen teuer zu stehen kommen.

Wenn man bei den Menschen von Anfang an feststellt, welchen Bedarf sie haben, und den entsprechend deckt, ergeben sich hohe Einsparungsmöglichkeiten, weil zum Teil stationäre Behandlungen oder auch unnötige Doppelbehandlungen vermieden werden. Vor allem wenn die Leute nicht behandelt werden, neigen die Krankheiten dazu, zu chronifizieren, sodass die Leute langfristig auf Transferleistungen angewiesen sind, was bei einer vernünftigen Behandlung von Anfang an in sehr vielen Fällen vermieden werden könnte.

Es geht um einen Personenkreis – das ist heute mehrfach gesagt worden – mit einem ganz besonderen Schutzbedarf. Wenn wir in die Statistik schauen, erkennen wir, dass sehr viele von diesen Menschen auch langfristig in Deutschland bleiben werden. Daher rechnet es sich natürlich, sie von Anfang an so zu versorgen, dass sie möglichst schnell über ihre Traumatisierungen und ihre psychischen Probleme hinwegkommen und sich sowohl am Arbeitsleben als auch am gesellschaftlichen Leben beteiligen können.

Statt aber proaktiv zu handeln und die EU-Aufnahmerichtlinie auf Landesebene umzusetzen, wird momentan nur die Verantwortlichkeit zwischen Bund und Ländern hin und her geschoben. Weitsichtige Politik sieht nach unserer Auffassung ganz anders aus. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Paul. – Für die Landesregierung erteile ich noch einmal Herrn Finanzminister Walter-Borjans das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten über einen Nachtragshaushalt. Es geht in diesem Nachtragshaushalt darum, schnellstmöglich die Bedingungen zu schaffen, dass wir den Flüchtlingen in unserem Land helfen können. Wer dabei hätte Änderungen vorbringen wollen, hätte Änderungsanträge stellen können.

(Beifall von der SPD)

Hier wird ständig zitiert und darüber gesprochen, was fehlt, was man noch hätte machen können, aber es liegen keine Änderungsanträge vor. Man kommt offenbar nicht damit klar – das geht ganz besonders an die Adresse der FDP –, dass man hier eine gemeinsame Zielsetzung gemeinsam verfolgen kann. Herr Lindner, wenn Sie hier parteipolitisches Kleingeld ins Spiel bringen, muss ich sagen: Das, was Sie dazu geäußert haben, war parteipolitisches Falschgeld.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das gehört nicht in eine Diskussion, weil das nicht des Themas würdig ist, mit dem wir uns hier beschäftigen. Die Grunderwerbsteuer und all die anderen Punkte, die Sie angeführt haben, sind abstruse Argumentationslinien, als wenn die Bürger höher belastet wären, wenn am Ende ein höheres Gesamtaufkommen aus der Steuer erzielt wird. Die Steuer ist um 1,5 % gestiegen. Nicht mehr und nicht weniger. Alles andere können wir an anderer Stelle beraten.

Hier geht es jetzt um einen Nachtragshaushalt zu einem ganz wichtigen Thema. Ich fände gut, wenn wir das nicht mit Argumenten belasteten, die hier nicht hingehören und am Ende nur der Selbstprofilierung dienen sollen, die nicht passt. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister Walter-Borjans, vielen Dank. Ich war nicht dazu gekommen, Sie zu fragen, ob Sie eine Frage von Herrn Kollegen Schulz zulassen. Ich vermute, dass Sie das tun.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ja.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Sie hatten gerade ausgeführt, dass keine Änderungsanträge, trotz der vielen Kritikpunkte der Opposition, vorliegen würden. Können Sie vielleicht die Frage beantworten, wie viele von den sinnvollen, wichtigen und guten Änderungsanträgen der Opposition seit den Haushaltsberatungen zum Haushalt 2012 bis heute vonseiten der regierungstragenden Fraktionen angenommen worden sind?

(Beifall von den PIRATEN)

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es ist abwegig, diese Frage an die Regierung zu stellen. Richten Sie diese Frage doch an das Parlament!

Es gehört zur parlamentarischen Auseinandersetzung, Änderungsanträge zu stellen. Es gehört auch dazu, über sie zu diskutieren und über sie abzustimmen. Bei Abstimmungen gibt es Mehrheiten und Minderheiten. Der Minister kann Ihnen dafür jetzt nicht die statistischen Grundlagen bieten. Wenn Sie daraus den Schluss ziehen, dass Sie künftig keine Änderungsanträge mehr stellen wollen, dann kann ich Ihnen dabei nicht helfen. Den parlamentarischen Gepflogenheiten wird das sicherlich nicht dienen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

 

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/8650 – zweiter Neudruck. Wir stimmen jetzt in der dritten Lesung über den Gesetzentwurf in der geänderten Fassung nach der zweiten Lesung ab. Da das Beratungsverfahren hiermit abgeschlossen wird, handelt es sich um eine Schlussabstimmung nach § 76 Abs. 3 der Geschäftsordnung. Wer für die Annahme des Gesetzentwurfs in der geänderten Fassung nach der zweiten Lesung ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt gegen den Gesetzentwurf? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf Drucksache 16/8650zweiter Neudruck – mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktionen von CDU, FDP und Piraten in dritter Lesung angenommen und verabschiedet ist.

Ich schließe damit die Beratung zu Tagesordnungspunkt 2 und rufe auf:

3   Kooperationsverbot im Grundgesetz aufheben und Finanzierung des Ganztags zum Projekt des Gesamtstaats machen – Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz bis 2020 einführen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/8830

Ich eröffne die Beratung und erteile als erster Rednerin für die antragstellende FDP-Fraktion Frau Kollegin Gebauer das Wort. Bitte, Frau Kollegin.

(Unruhe)

Ich bitte wieder die Kolleginnen und Kollegen, die unbedingt den Saal verlassen müssen, das geräuscharm zu tun. Die anderen bitte ich, etwaige Gespräche vielleicht außerhalb des Plenums fortzusetzen, damit wir der Rednerin die gebührende Aufmerksamkeit schenken können. – Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident, herzlichen Dank. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aufhebung des Kooperationsverbots und der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz sind die beiden Forderungen des vorliegenden FDP-Antrages. Lassen Sie mich mit dem Kooperationsverbot beginnen.

Ja, es ist richtig: Die FDP hat ihre Position zum Thema „Kooperationsverbot“ geändert.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der SPD: Willkommen im Club!)

– Herzlichen Dank. Wir sagen dazu „German Mut“ und „beste Bildung“. Das ist unser Anspruch und unser Leitmotiv. Wir nehmen aber das „Willkommen im Club“ gerne an.

Die Entscheidung zur Aufhebung des Kooperationsverbotes ist auch der Erkenntnis geschuldet, dass Länder und Kommunen den Weg zur verkündeten Bildungsrepublik niemals allein schaffen werden. Auch wenn alle Parteien die allgemein versprochene Bildungsrepublik im Munde führen – die Bürger draußen wissen ganz genau, dass wir hiervon noch meilenweit entfernt sind.

Bildung muss zu einer gesamtstaatlichen Aufgabe werden, Bildung muss auch in einer gesamtstaatlichen Verantwortung liegen. Mit Kleinstaaterei werden wir es nicht schaffen, in die Spitzengruppe der Bildungsnationen zurückzukehren.

Meine Damen und Herren, zur Übernahme von mehr Verantwortung durch den Bund gehört auch der Ganztagsausbau. Dort brauchen wir unbestritten mehr Dynamik.

(Beifall von der FDP)

Wir hatten unlängst eine Anhörung im Rahmen der OGS-Debatte. Dort kam zutage, dass zum Beispiel in Bielefeld 55 % des Ganztagsbedarfs abgedeckt werden können, der tatsächliche Bedarf aber bei 75 % liegt. In Köln liegt er sogar bei 78 %, aber dort kann er auch nicht gedeckt werden. In Düsseldorf konnten wir lesen, dass Eltern gar von einem OGS-Platz abgeraten wurde, weil das Angebot bei Weitem die Nachfrage nicht deckt.

Es gab in diesem Zusammenhang auch eine Kleine Anfrage der CDU-Fraktion, in der es hieß, dass bis zu 40 % der Kommunen in Nordrhein-Westfalen die Nachfrage nach OGS-Plätzen nicht decken können.

Aber: Ganztag betrifft nicht nur den Primarbereich. Die wissenschaftliche Begleitung schreibt unter anderem zur Sekundarstufe I im Bildungsbericht Ganztagsschule NRW – ich darf zitieren –:

„Der Ganztagsoffensive für die Sekundarstufe I folgte zunächst ein rasanter Anstieg von Ganztagsrealschulen und -gymnasien. Zuletzt stieg die Zahl ‚neuer‘ Ganztagsschulen in diesen Schulformen jedoch nur noch geringfügig an.“

Meine Damen und Herren, der Hebel für mehr Dynamik ist ein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz. Ein Rechtsanspruch muss neben der Primarstufe natürlich auch für alle anderen Schulformen der Sekundarstufe I gelten. Um dies gleich vorwegzunehmen: Natürlich gelten hier die Voraussetzungen der zumutbaren Entfernung und auch das Vorhandensein der jeweiligen Schulform.

Aber es gibt auch eine nicht geringfügige Anzahl von Eltern, die keinen Ganztag möchten. Da Ganztag als Zwang nicht das Ziel sein darf, müssen entsprechende Flexibilisierungsmöglichkeiten ausgebaut werden.

Ich komme auf den Anfang zurück, nämlich auf die Aufhebung des Kooperationsverbotes und damit natürlich auch zu der wichtigen Frage der Finanzierung des Ganztagsausbaus. Wenn man – das ist hier jetzt als Fingerzeig gemeint – die Zahlen von Prof. Klemm, seines Zeichens allseits respektierter Bildungsökonom, zugrunde legt, dann reden wir über die nächsten Jahre jeweils von Milliardenbeträgen beim Ganztagsausbau – Milliarden, die weder Kommunen noch Länder alleine stemmen können. Deshalb muss der Bund hier mit ins Boot geholt werden.

Uns als FDP-Fraktion ist völlig klar, dass dieses Vorhaben, dass unser Vorhaben zeitlich und finanziell auch für den Bund ein sehr ehrgeiziges ist. Wenn Deutschland aber bis zum Jahre 2030 sage und schreibe 230 Milliarden zusätzlich für die Rente hier in Deutschland ausgibt, dann sollten uns unsere Kinder und Jugendlichen diese Kraftanstrengung allemal wert sein. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Preuß-Buchholz das Wort. Bitte schön.

Iris Preuß-Buchholz (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Forderung, das Kooperationsverbot im Bildungsbereich zwischen dem Bund und den Ländern aufzuheben, ist nicht neu. Auch die Verknüpfung einer Aufhebung des Kooperationsverbotes im Bildungsbereich mit der Finanzierung des Ausbaus des Ganztages im Schulbereich ist nicht neu.

Ich denke, dass eine große Mehrheit in diesem Hause das starre Kooperationsverbot im Bildungsbereich – so wie es in der Föderalismuskommission im Jahre 2006 vonseiten der damals CDU-regierten Länder durchgesetzt wurde – gerne differenzierter handhaben würde. Leider war das bei den vergangenen Koalitionsverhandlungen im Bund nicht möglich, weil die Verhandlungsführung für den Bildungsbereich aufseiten der Union ausgerechnet beim bayerischen Kultusminister lag.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss kein Hellseher sein, um vorauszusehen, dass beim Thema „Kooperationsverbot“ noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Die von der Bundeskanzlerin vor Jahren ausgerufene Bildungsrepublik schreit geradezu danach, mit Leben gefüllt zu werden.

Ich möchte feststellen, dass Nordrhein-Westfalen seiner Verantwortung hierbei in beispielhafter Weise nachkommt. Leider reichen die finanziellen Mittel unseres Landes zurzeit nicht aus, um in diesen wichtigen Bereich noch mehr Geld zu investieren, um unserer im Grundgesetz verankerten Verantwortung für den Bildungsbereich, und zwar von der Kita bis zur Hochschule, so nachkommen zu können, wie es wünschenswert wäre.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Forderung, dass auch der Bund finanzielle Verantwortung für den Bildungsbereich übernehmen muss, wird mit Ausnahme der CSU von keinem Akteur ernsthaft bestritten. Die Rufe hierzu werden seit Jahren lauter, und zwar aus den Bereichen der Wissenschaft, der Politik und der Wirtschaft.

Mit dem vorliegenden Antrag begeht die antragstellende Fraktion eine Wende, die wir interessiert zur Kenntnis genommen haben. Allerdings – das möchte ich deutlich sagen – gibt es keinen Applaus für diesen Sinneswandel, denn es wäre schön gewesen, wenn Ihnen diese Einsicht auch früher während Ihrer Regierungszeit schon gekommen wäre.

Ich hätte auch gerne etwas zu den inhaltlichen Komponenten des Antrages, dem Ausbau des Ganztages und der Forderung nach einem Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz ab 2020, gesagt. Allerdings habe ich auch nach mehrmaliger Lektüre dieser vier Seiten keine Anstöße gefunden, die für uns, die wir hier seit Jahren in diesem Bereich arbeiten, wirklich neu sind.

Dass die Mehrheit der Eltern Ganztagsangebote für ihre Kinder wünscht, ist alles andere als neu. Deshalb haben wir, SPD und Grüne, uns vor über zehn Jahren auf den Weg gemacht, Angebote wie den offenen Ganztag im Grundschulbereich und Betreuungsangebote im Bereich der Sekundarstufe I auszubauen. 28 % der Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen besuchen heute Schulen im gebundenen Ganztag, und weitere 15 % – im Grundschulbereich sind es sogar 40 % – nutzen Angebote des offenen Ganztages. Das ist eine Leistung, auf die wir stolz sind.

Die im vorliegenden Antrag konstatierte Stagnation des Ausbaus kann ich beim besten Willen nicht erkennen, auch wenn wir sicherlich noch nicht am Ziel angekommen sind. Nach einer langen Phase des quantitativen Ausbaus haben wir den qualitativen Ausbau nun vorangetrieben. Das Land und die Kommunen haben hier in den vergangenen Jahren Großartiges geleistet, und aus zunächst improvisierten Zwischenlösungen sind vielfach attraktive Einrichtungen geworden.

Hieran hat die Kooperation von Schule mit Trägern der Jugendhilfe, mit den Kirchen, mit Wohlfahrtsverbänden sowie Akteuren aus den Bereichen Musik, Sport und Wirtschaft einen entscheidenden Anteil.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorliegende Antrag bietet wenig Neues. Er stellt vielmehr den Versuch dar, der antragstellenden Fraktion einen neuen, bildungspolitisch progressiveren Anstrich zu geben. Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass der neue Anstrich mit Wasserfarbe aufgetragen wurde, die schon beim nächsten Regenschauer wieder verläuft.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Trotz alledem: Der Überweisung des Antrages stimmen wir gerne zu. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Birkhahn.

Astrid Birkhahn (CDU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Meine Herren, meine Damen! Ganztagsschulen sind hoch angesehen und ein Modell, von dem Schüler profitieren können, weil es Raum für Förderung gibt, bei dem Eltern profitieren, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr deutlich erleichtert wird, und bei dem auch Pädagogen in fröhliches Nachdenken kommen, weil durch die andere Rhythmisierung des Schulalltags neue Lernerfahrungen möglich sind. Ganztagsschulen sind eigentlich wirklich ein Idealfall.

Wir haben in der letzten Dekade – von 2003 bis 2009 – ein Investitionsprogramm gehabt, mit dem neue Ganztagsplätze geschaffen worden sind. Als die Bertelsmann Stiftung 2012 eine Studie machte, auf der der FDP-Antrag in wesentlichen Teilen fußt, stellte man fest: Die Ausbaudynamik ist erlahmt. – Klar, wenn ich erst mal 175.000 Plätze schaffe, kann das nicht in diesem Tempo weitergehen, bundesweit betrachtet. Aber wenn wir auf Nordrhein-Westfalen schauen, kann man deutlich sagen: Wir haben ein relativ ausreichendes Angebot. Denn bei uns sind 70 % der Schulen Ganztagsschulen, während der Durchschnitt bundesweit bei 56 % liegt.

Sich mit der Frage zu beschäftigen – das ist ein positiver Vorstoß der FDP-Fraktion –: „Wie kann ich dieses Angebot sichern, und wie kann ich damit weiter umgehen?“, ist das große Positivum dieses Antrags. Ob jedoch der Weg über einen Rechtsanspruch sachgerecht, zielführend und bedarfsgerecht ist, bleibt im Arbeitsprozess noch zu klären.

Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, die CDU ist verlässlich. Von daher werden Sie sicherlich nachvollziehen können, dass es für uns äußerst fragwürdig ist, ob der Finanzierungsweg über die Abschaffung des Kooperationsverbotes ein sinnvoller ist.

Noch einmal in Erinnerung gerufen: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben nicht ohne Grund die hoheitliche Aufgabe zur Gestaltung von Bildungspolitik auf die Länder übertragen. Seit der Reichsgründung 1871 bis 1933 war Schule, war Bildungspolitik ein Herzstück der Länderstaatlichkeit, und dies äußerst erfolgreich.

1949, als das neue Grundgesetz konzipiert wurde, war es vollkommen klar, dass in Art. 30 dieser Bildungsföderalismus fest verankert wird. Nach den Erfahrungen des Dritten Reiches wollte man keine zentralistisch gelenkte Bildungspolitik mehr ermöglichen, und deswegen wurde Bildungspolitik auf die Länder diversifiziert.

Wenn wir das Kooperationsverbot abschaffen, würde es zu einer bundeseinheitlichen Bildungspolitik kommen. Berlin soll bezahlen, selbstverständlich will Berlin dann auch mitbestimmen. Können wir als Landespolitiker das ernsthaft wollen?

(Beifall von der CDU und Sigrid Beer [GRÜNE])

Wollen wir auf die Freiheit der Gestaltung verzichten und die damit verbundene Verantwortung abgeben? Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen bei Bildungsfragen in den Ländern weiterhin passgenaue Lösungen, die nicht von Berlin aus gefunden werden können.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Ich fühle mich von dem französischen Philosophen Alexis de Tocqueville verstanden, der gesagt hat: Durch hemmungsloses Gleichheitsstreben setzt man die Errungenschaften der Freiheit aufs Spiel.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Christian Lindner [FDP] – Gegenruf von der SPD)

Deswegen, meine Damen und Herren, leuchtet es nicht ein, dass an den Grundpfeilern des historisch bewährten Bildungsföderalismus aufgrund einer Elternbefragung von 2012 gerüttelt wird.

Ohne Zweifel ist der Elternwille für uns ein wichtiges Entscheidungskriterium. Genau deshalb sind die Vielfalt des Schulsystems und die Berücksichtigung der Individualität von Kindern und Jugendlichen im Blick zu behalten.

Wir brauchen – das hat Frau Gebauer schon ausgeführt – neben Ganztagsschulen auch eine gewisse Anzahl von Schulen, die bewusst auf den Ganztag verzichten oder, wie Sie gesagt haben, ihn flexibel gestalten. Kinder und Jugendliche und Familien brauchen neben der Zeit in der Schule auch Zeit, gemeinsam aktiv zu sein.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das Rüstzeug fürs Leben erlernt man nicht nur in der Schule und bei der Ganztagsbetreuung. Wir haben darüber nachzudenken, welche Schulform jeweils die beste ist. Deshalb ist es unsere Aufgabe, passgenaue und bedarfsgerechte Angebote zu ermöglichen.

Ich erwarte, dass die Diskussion im Ausschuss lebendig werden wird. Darauf freue ich mich sehr. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich danke Ihnen, Frau Kollegin. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat aus einer Stellungnahme des Hannoveraner Kreises der FDP aus dem Jahr 2011. Die Kollegin Pieper-von Heiden hat es damals mit unterschrieben.

„Wir FDP-Bildungspolitiker werden mit aller Leidenschaft dagegen kämpfen, dass uns irgendjemand in der Bildungspolitik zur fünften sozialdemokratischen Partei machen will. Wenn wir die gleichen Lösungen anbieten, wie alle anderen, wofür braucht es uns dann noch?“

(Christian Lindner [FDP]: Damit meinte sie mich! Das war gegen mich gerichtet!)

– Ja, das war gegen Herrn Lindner gerichtet, der sich all das jetzt zu Herzen genommen hat. – Aber es stimmt: Wofür braucht es die FDP? Auf jeden Fall nicht zur Einreichung von Bundesratsinitiativen. Das hat nämlich diese Landesregierung schon mehrfach gemacht, zuletzt im Jahr 2014. Leider ist die Bundesregierung dem nicht gefolgt.

(Zuruf von der FDP)

Sie haben auch die Unterstützung mit Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen nicht aufgenommen. Da sind wir als Land mit eingestiegen. Deswegen finde ich es schon amüsant, dass uns die FDP auffordert, endlich mal eine Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen.

(Beifall von den GRÜNEN – Christof Rasche [FDP]: Macht das doch!)

Ja, das finde ich ganz toll.

Also: Wir Grüne kennen seit vielen Jahren die Bedeutung des Ganztagsschulausbaus. Zusammen mit der SPD und der rot-grünen Bundesregierung haben wir 2004 ein 4-Milliarden-Programm aufgelegt – ich will nur noch mal daran erinnern –, um bundesweit den Aufbau von Ganztagsschulinfrastrukturen zu unterstützen. Das war ein wichtiger und produktiver Beitrag zur Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen in der Bildungspolitik, der für Nordrhein-Westfalen einen ganz enormen Schub gerade im Ausbau in der Grundschule mit sich gebracht hat.

Von der damaligen Opposition gab es dafür eigentlich nur Kritik und Häme. So wie bei den Kitas hatte man eigentlich auch das Besteigen des Zuges der Ganztagsschule verschlafen. Übrigens kam die Speerspitze dieser Bewegung dann aus dem Land, von dem der Kollege Laschet – er ist jetzt nicht mehr da – sagt, dass daraus Milch und Honig fließen. – Na, in der Sache „Ganztag“ ist Bayern allerdings nicht die Speerspitze der Bewegung, sondern eher das Schlusslicht. Das hat uns die Bertelsmann Stiftung noch einmal deutlich aufgeschrieben. Also richtet den Blick auf Nordrhein-Westfalen. Wir sind nämlich als Flächenland führend, was den Ganztagsschulausbau angeht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Damals wurde aber – das ist mit aus Bayern gekommen – das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in Bildungsfragen verursacht. Das ist wirklich die kapitalste Fehlentscheidung in diesem Jahrzehnt gewesen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn man das jetzt noch einmal Revue passieren lässt, muss man aber auch sagen, welcher Anteil an dieser Entscheidung der FDP zuzurechnen ist.

(Zuruf von Yvonne Gebauer [FDP])

– Frau Gebauer, Sie kommen spät! Willkommen im Klub! Schön, dass wir jetzt darüber reden. Sie sollten aber nicht so tun, als ob Sie damit nie etwas zu tun gehabt hätten; denn damals, 2006, war es die hier mitregierende FDP, die bei der Abstimmung über die Föderalismusreform im letzten Moment umgekippt ist. Heute brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, um das wieder herzustellen, was Sie mit versemmelt haben. Das muss man doch einmal ganz deutlich sagen!

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der FDP)

– Sie zeigen auch wieder mit Fingern auf andere Leute!

Kommen wir jetzt aber zu Ihnen, Herr Lindner. Dieser Zentralismusansatz, den Sie uns jetzt hier in neuer Bonbonverpackung liefern, ist total klasse! Die Kollegin Birkhahn hat ja darauf hingewiesen: Dann wird demnächst die Frage, wie die kleinen Grundschulstandorte im Hochsauerlandkreis gestaltet werden sollen, in Berlin entschieden. Oder in Berlin wird über die Frage entschieden, wie sich das letzte Gymnasium im Kreis Höxter aufgrund der wirklich enormen demografischen Entwicklung entwickeln soll. Herr Lindner, das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Das ist reiner Stammtisch, den Sie da fabrizieren! Das hat mit seriöser Bildungspolitik und der Gestaltung in einem Flächenland wie Nordrhein-Westfalen überhaupt nichts zu tun!

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Sie mit uns ernsthaft über die Abschaffung des Kooperationsverbotes und darüber reden wollen, das zu einem Kooperationsgebot zu gestalten, dann herzlich willkommen! Dann können wir das wirklich gemeinsam machen. Diese anderen Dinge aber sollten Sie weglassen. Das tut dem Bildungsföderalismus nicht gut.

Ich zitiere noch einmal aus dem Beschluss des Hannoveraner Kreises. Damals wurde Cornelia Pieper beschimpft. Da wurde gesagt: Sie

„spaltet und polarisiert … mit ihren ständigen öffentlichen Forderungen nach einem Zentralabitur, nach der Aufhebung des Kooperationsverbotes, nach mehr Bundeskompetenz und mit ihrer Sehnsucht nach dem DDR-Schulsystem.“

Ich will jetzt gar nicht Herrn Hirche mit ins Feld führen. Der hat ja von einem Reichsschulministerium gesprochen, als es um das FDP-Programm ging. So weit will ich nicht gehen.

Ich will aber doch sagen: Herr Lindner, diese Gedanken sind absurd. Packen Sie das wieder ein. Das hat mit gutem Föderalismus nichts zu tun – auch nichts damit, Qualität in der Bildung hier im Land nach vorn zu bringen!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Marsching das Wort.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

(Es findet ein Zwiegespräch zwischen Sigrid Beer [GRÜNE] und Christian Lindner [FDP] statt.)

– Wenn Sie Ihr Zwiegespräch beendet haben, würde ich mich über Ihre Aufmerksamkeit freuen. – Vielen Dank!

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Zunächst einmal sage ich an die FDP gewandt: Herzlich willkommen im Boot. Ich persönlich finde es gut, wenn man seine Meinung ändert, sich hier hinstellt und auch dazu steht, dass man früher einmal einen Fehler gemacht hat, heute Dinge aber anders sieht. Von daher sage ich von unserer Seite aus von ganzem Herzen: Willkommen im Boot!

Ich möchte drei Punkte vortragen:

Erstens. Warum sollte man das Kooperationsverbot aufheben? Warum sind auch wir dafür?

Die Föderalismusreform wollte einen Wettbewerb im Bildungsbereich schaffen.

Wir Piraten glauben, dass das ein großer Fehler ist; denn Bildung ist kein Gut, das man einfach von A nach B bringen und im Osten billiger als im Westen produzieren kann. Auch ist es im Norden nicht besser als im Süden, sondern die Menschen leben, wo sie leben. Und nur ganz wenige Privilegierte haben, um ihnen eine bessere Bildung zu ermöglichen, die Möglichkeit, ihre Kinder auf eine Schule in einem anderen Bundesland zu schicken. Von daher können wir die Bildung nicht einfach so in den Wettbewerb stellen. Das wollen wir auch nicht.

Zweitens. Warum sollte man den Bund bei der Finanzierung der Bildung beteiligen?

In der Prognos-Studie „Fiskalische Wirkungen des Ganztags“ wurde ganz klar gesagt: Die Kosten für die Ganztagsbeschulung liegen beim Land und bei den Kommunen, wohingegen die Mehreinnahmen aus der Einkommensteuer und im Bereich der Sozialversicherungsbeiträge auf Bundesebene zusammenfließen. – Dann soll der Bund doch bitte auch etwas von diesen Mehreinnahmen weitergeben bzw. abgeben. – Bei der Aufhebung des Kooperationsverbotes sind wir uns hier also relativ einig.

Wenn ich den FDP-Antrag aber lese, stelle ich fest, dass er sich ein bisschen liest wie „Ganztag – da geht es um die Betreuung der Kinder, damit die Eltern für den Arbeitsmarkt flexibler sind!“ Wir Piraten glauben, dass Ganztag nicht Betreuung bedeutet, sondern dass er ein pädagogisches Angebot sein muss. Es muss eine vernünftige Balance zwischen Entspannung bzw. Spielen und Lernen geben. Optimal sollte dies sogar als Konzept über den ganzen Tag gehen – und nicht nur für den Nachmittag gedacht sein. – Ziel des Ganztags und der Ganztagsbetreuung sind die Kinder und bitte nicht der Arbeitsmarkt.

Drittens und letztens: Wenn wir schon – der Kollege Keymis als sitzungsleitender Präsident hat gerade diesen Begriff verwandt – eine „breite Mehrheit“ für die Aufhebung des Kooperationsverbotes im Bildungsbereich haben, dann lassen Sie uns demnächst doch auch einmal über das Herausnehmen des Bildungsbereichs aus der Schuldenbremse reden. Das würde der Bildungsrepublik wirklich weiterhelfen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was den Föderalismus angeht, ist, glaube ich, die Linie sinnvoll, wenn sie etwas differenzierter betrachtet wird. Frau Birkhahn, man kann ein Ganztagsschulprogramm auf Bundesebene machen. Das hat es nämlich vor der Verfassungsänderung – Frau Beer hat darauf hingewiesen – gegeben. Trotzdem hatten wir damals – das will ich noch einmal verdeutlichen – den Bildungsföderalismus. Mit einer solchen Initiative sagt doch niemand, dass den Ländern die Zuständigkeit für die Bildung entzogen werden kann.

Ich finde, dass in dieser Debatte eines viel zu kurz kommt: Wir müssen doch bedenken, dass Schule heute so viel mehr ist als früher, als dieses Fundament für die Republik geschaffen wurde. Da war Schule die Aneinanderreihung von 45-Minuten-Takten: Sie fing morgens an und hörte mittags auf – von Ganztag keine Spur. Schule war zudem eine Sache, die ausschließlich der Gestaltung durch Lehrerinnen und Lehrer oblag.

Heute haben wir eine mit multiprofessionellen Teams gestaltete Schule. Diese sozialpolitische Dimension der Schule und des schulischen Lernens, mit der auch die meisten Versäumnisse verbunden sind, geht nicht konform mit der jetzigen Konstruktion. Deswegen werben wir dafür, dass der Bund seiner sozialpolitischen Verantwortung in der Bildung gerecht wird und sich daran beteiligt. Das wäre ein guter Weg.

(Zustimmung von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Die Lehrerinnen und Lehrer können wir auch selbst finanzieren bzw. bezahlen. Wenn der Bund aber die Schulpsychologen, die Teilhabeassistenz, die Schulsozialarbeit und weitere multiprofessionelle Teams bezahlen oder mitfinanzieren würde, wären Land und Kommunen massiv entlastet. Für diesen Weg treten wir ein.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Das können wir aber auch. Zu sagen, wenn die Sache mit dem Kooperationsverbot gut würde, würde alles andere automatisch auch gut: So monokausal verhält es sich auch in dieser Frage nicht. Die sozialpolitische Beteiligung mit Bezug auf die Sozialgesetzgebung des Bundes können wir nämlich sogar ohne die Veränderung der Verfassung erreichen, und dafür sollten wir massiv eintreten.

Der zweiter Aspekt, auf den ich eingehen möchte, beschäftigt sich mit der Frage: Brauchen wir für den Ausbau des Ganztags zwingend einen Rechtsanspruch? – Aus meiner Sicht ist ein Rechtsanspruch immer dann erforderlich, wenn es keine Dynamik gibt oder der Ausbau nicht vorangeht.

Frau Birkhahn hat recht: Die Dynamik bzw. die quantitative Entwicklung in Nordrhein-Westfalen ist gut. Da haben wir in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Die Zahlen sind genannt: 40 % der Kinder in Grundschulen sowie 36 % der Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I lernen mit einem Ganztagsangebot. Damit liegen wir in Nordrhein-Westfalen über dem Bundesdurchschnitt. Das möchte ich hier einmal ausdrücklich festhalten. Manche hier im Haus haben ja Freude daran, auf das zu verweisen, was wir angeblich nicht so gut machen.

Ich möchte das auch einmal anhand von Zahlen aufzeigen: In den Grundschulen gab es im Jahr 2005 59.000 Betreuungsplätze. Ich füge hinzu: Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsplätze. Denn das ist der Auftrag und nicht – in Anführungsstrichen – „nur“ die Betreuung. Diese Zahl ist im Jahr 2010 auf 186.000 und 2014 auf 250.000 Plätze angewachsen.

Eine solche Dynamik soll mir einmal jemand in einem anderen Bereich vorweisen und sagen, es ginge nicht voran! Das zeigt doch, dass es immer dort, wo es gewollt ist und wo die Kommunen neue Gruppen dann auch beantragen, eine gute Entwicklung gibt.

Aus meiner Sicht würde ein Rechtsanspruch hier nicht zwingend zu einem schnelleren Ausbau beitragen.

Ich möchte Ihnen auch die Zahlen für die Gymnasien nennen, weil uns da immer unterstellt wird, wir hätten das nicht im Blick: Beim Ganztag stieg die Anzahl der Plätze zwischen 2005 und 2010 von 12.000 auf 30.000 Plätze. Das entspricht einem Plus von etwa 18.000. In der Zeit zwischen 2010 und 2014 gab es ein Anstieg auf 78.000 Plätze, sprich um 48.000 Plätze. Das ist ein ordentlicher Zuwachs.

Ich will das so zusammenfassen: Alle Anträge aus Schulen und Kommunen auf Ausbau des gebundenen Ganztags im Bereich der weiterführenden Schule und auch beim OGS-Ausbau sind vom Land genehmigt worden sind. Wir investieren hier gerne und aus Überzeugung einen ordentlichen Batzen im Haushalt 2015,

(Beifall von den GRÜNEN und Eva Voigt-Küppers [SPD])

nämlich 704 Millionen €. Darin enthalten sind 8.450 Lehrerstellen.

Ich glaube, damit sind wir wirklich gut unterwegs, und das wird sich noch steigern. Jedenfalls besteht hier kein Handlungsbedarf, der durch einen Rechtsanspruch untermauert werden müsste.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf etwas anderes hinweisen. Es gab eine Diskussion über folgende Frage: Will man einen Ganztag, der allein von Lehrerinnen und Lehrern gestaltet ist?

Wir haben mit unserem Trägerkonzept – und das ist einzigartig für ein Flächenland – einen anderen Weg gewählt, und zwar in Form von guten Kooperationen, unter anderem mit den Kultur- und Sportverbänden. Wir wollen einen bunt gestalteten Ganztag mit vielfältigen Angeboten. Deswegen spricht auch das aus meiner Sicht gegen den Antrag der FDP und für den Weg, für den sich die Landesregierung hier entschieden hat. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mit nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/8830 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist dafür? – Ist jemand dagegen? Oder enthält sich der Stimme? – Weder noch. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

4   Gesetz zur Sicherung von Schullaufbahnen und zur Weiterentwicklung des Schulrechts (12. Schulrechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/8441

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/8999

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9066

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/9080

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Hendricks das Wort.

Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beginnen möchte ich mit einem ausdrücklichen Dank an alle diejenigen, die sich an den konstruktiven Beratungen des 12. Schulrechtsänderungsgesetzes beteiligt haben. Hierzu zähle ich übrigens alle Fraktionen dieses Hauses und vor allen Dingen die Kirchen, das MSW und deren Mitarbeiter sowie die Mitarbeiter der Staatskanzlei. Auch ihnen einen herzlichen Dank!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Liebe Frau Gebauer, Sie haben sich nicht dazu durchringen können, am Ende mitzugehen, obwohl Sie an dem Prozess beteiligt gewesen sind.

(Yvonne Gebauer [FDP]: Stimmt!)

Aber mit dem heutigen Entschließungsantrag haben Sie uns nun wirklich überrascht, und ich frage mich tatsächlich, ob es die Nachwehen des Parteitages in Siegburg sind, die auf diese Art und Weise bis in das 12. Schulrechtsänderungsgesetz hineinreichen. Das fände ich nicht gut, weil es der Sache nicht dienlich ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, wir legen heute zwei Änderungsanträge vor, Antrag 1 und Antrag 2, sowie einen Entschließungsantrag der drei Fraktionen CDU, SPD und Grüne.

Die beiden Änderungsanträge zum 12. Schulrechtsänderungsgesetz nehmen bewusst Anregungen aus der Anhörung auf und verdeutlichen noch einmal, dass wir Anhörungen wirklich ernst nehmen. Sie nehmen aber auch das auf, was wir von Anfang an angekündigt haben, dass es nämlich nicht nur bei der Streichung eines Satzes in § 57 bleibt, sondern dass wir das qualitativ hinterlegen und uns Gedanken machen, wie wir das Schulgesetz an der Stelle so ändern, dass deutlich wird, was wir eigentlich wollen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte aufgefordert, das Verhältnis von staatlicher Neutralität und dem individuellen Recht, religiöse Überzeugungen auch äußerlich bekunden zu können, im Gesetz neu zu justieren. Wir haben nun § 2 Abs. 7 den Satz vorangestellt: „Die Schule ist ein Raum religiöser und weltanschaulicher Freiheit.“ Alle am Schulleben Beteiligten sind verpflichtet, die Menschenrechte, die Freiheitsgrundrechte und die freiheitlich-demokrati-sche Grundordnung zu wahren. Das Tragen von religiös konnotierter Kleidung als Symbol ist damit nicht grundsätzlich verboten. Allerdings findet es die Grenze da, wo es den Frieden der Schule stört.

Genau die Frage des Schulfriedens ist auch in der Anhörung thematisiert worden. In der Anhörung ist noch einmal deutlich gemacht worden, dass die Frage, was den Schulfrieden denn nun wirklich stört, im Vorhinein sehr schlecht definiert werden kann.

Das Thema „Schulfrieden“ hat auch in der Anhörung einen relativ großen Umfang bei den Stellungnahmen eingenommen. Ich möchte zitieren, was Prof. Fabian Wittreck zu dem Thema gesagt hat, weil das Thema „Schulfrieden“ auch im Antrag der FDP eine große Rolle spielt. Er hat deutlich gemacht – ich zitiere jetzt –:

„Wir müssen uns klarmachen, wir sind der Sache nach im Gefahrenabwehrrecht. Da gelten gewisse Regeln. Diese hat das Bundesverfassungsgericht angewandt. Deswegen ist die Antwort für die Schulen erbärmlich einfach. Sie müssen es vor Ort entscheiden.“

Das genau ist auch das, was wir in den Gesetzentwurf aufnehmen, jedoch nicht, um die Schulen am Ende allein dastehen zu lassen, sondern um ihnen Hilfe zu geben, wenn sie tatsächlich in die Situation kommen, dass sie Unterstützung brauchen. Dazu ist die Schulaufsicht da, wenn die Schulen die Konfliktlage nicht alleine lösen können.

Es wäre sehr schön gewesen, wenn das sozusagen von der FDP auch in der Deutlichkeit, wie es die Verfassungsrechtler in der Anhörung gesagt haben, angenommen worden wäre.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Frau Balbach hat in der Anhörung sehr pragmatisch gesagt – auch das fand ich sehr bemerkenswert –

„Wir haben als Verband … nicht einen Regelungsbedarf gesehen, der bedient werden soll.“

Schulen müssen und sollen aber unterstützt werden, wenn Konfliktfälle auftreten. Genau das, meine Damen und Herren, tun wir.

Im Schulgesetz ist die individuelle Förderung verankert. Sie ist bei einer immer heterogener werdenden Zusammensetzung der Schülerschaft auch notwendig. Ziel der Schulpolitik ist, bestmögliche Bedingungen für jedes Kind zu schaffen. Dies gilt es, auch beim demografisch bedingten Schülerrückgang und dem geänderten Schülerwahlverhalten von Eltern immer abzusichern.

Mit dem Schulkonsens, meine Damen und Herren, haben wir das Wohl des einzelnen Kindes in den Mittelpunkt gestellt. Damit profitieren die Kinder und Jugendlichen auch von der Weiterentwicklung, die sich aus dem Schulkonsens in der Nachjustierung ergeben muss. Allen Parteien des Schulkonsenses ist es wichtig, dass die individuelle Förderung bestmöglich umgesetzt wird. In diesem Sinne sind auch die Änderungen, die jetzt im 12. Schulrechtänderungsgesetz vorgesehen sind, zu verstehen.

Individuell fördern, meine Damen und Herren, heißt, den einzelnen Schüler bzw. die einzelne Schülerin entsprechend der Begabung und den Möglichkeiten optimal zu unterstützen.

Individualisierung und Differenzierung leisten aber auch einen wichtigen Beitrag, um herkunftsbedingte Unterschiede ausgleichen zu können. Sie sind Voraussetzung für das Vermeiden des Aufbaus von Benachteiligungen und für das Finden von Begabungen.

Individuelle Förderung kann im jahrgangsübergreifenden Unterricht unterstützt werden. Insbesondere begabten Schülern und Schülerinnen kann es in jahrgangsübergreifenden Klassen leichter gemacht werden, am Lernangebot höherer Jahrgänge teilzunehmen. Franz Weinert hat einmal gesagt: „Guter Unterricht ist ein Unterricht, in dem mehr gelernt als gelehrt wird.“ Diese Voraussetzung birgt auch der jahrgangsübergreifende Unterricht.

Zudem kann jahrgangsübergreifender Unterricht den Teilstandorten helfen, die Möglichkeiten der Differenzierung besser zu praktizieren. Deshalb wollen wir auch, dass an Teilstandorten jahrgangsübergreifender Unterricht praktiziert werden kann. Wir sind uns aber auch darüber im Klaren, dass dazu die notwendige Lehreraus- und ?fortbildung erforderlich ist, denn es gibt immer auch noch Widerstände bei Lehrerinnen und Lehrern gegen jahrgangsübergreifenden Unterricht.

Meine Damen und Herren, die individuelle Förderung ist Leitbild des 12. Schulrechtsänderungsgesetzes, das sich zum Ziel setzt, Schullaufbahnen und Bildungsverläufe auch dort zu sichern, wo in der Fläche kein vollständiges Schulsystem mehr vorhanden ist. Entsprechend den Empfehlungen aus der Bildungskonferenz schaffen wir mit dem 12. Schulrechtsänderungsgesetz die Möglichkeit, an den Realschulen einen Hauptschulabschluss zu erlangen. Schülern und Schülerinnen wird so die Möglichkeit geboten, ihre Schullaufbahn auch dann an der Realschule fortzusetzen, wenn in räumlicher Nähe keine Hauptschule mehr besteht.

Die Entscheidung, ob ein Schüler oder eine Schülerin nach Klasse 6 im Bildungsgang der Realschule weiter unterrichtet werden kann, ist jedoch immer eine pädagogische. Diese individuelle Förderung wird in der Realschule im Klassenverband zukünftig in innerer und äußerer Differenzierung erfolgen.

Etwa in den Gemeinden, in denen weder eine Hauptschule noch eine Realschule existiert, stellt sich das Problem der Gewährleistung der individuellen Bildungsverläufe auch für Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums. Die Bildungskonferenz hat sich mit diesem Thema sehr intensiv beschäftigt und noch hervorgehoben, dass die Kultur des Behaltens weiterentwickelt werden muss. Dabei sind in Nordrhein-Westfalen – das wissen wir auch, wenn wir uns die Zahlen zum Sitzenbleiben oder zu Abschulungen anschauen – schon erhebliche Fortschritte gemacht worden.

Zukünftig kann es aber insbesondere im ländlichen Raum auch für Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums erforderlich sein, nach individuellen Lösungen zu suchen, um die Sicherung einer Schullaufbahn tatsächlich vorzunehmen. Dies ist dann mit allen Beteiligten vor Ort abzustimmen. Dann hat sozusagen auch das Kind den Vorrang, weil das an der Entwicklung der Biografie des einzelnen Kindes festgemacht wird.

Meine Damen und Herren, mit dem 12. Schulrechts-änderungsgesetz nehmen wir auch Regelungen zu § 61 vor, also zur Frage der Schulleiterwahl. Dieser Paragraf hatte in Nordrhein-Westfalen für relativ viel Verwirrung gesorgt. Wir wollen ihn jetzt angleichen.

Mit dem neuen Verfahren berücksichtigen wir auf der einen Seite das Beamtenrecht, schaffen aber zudem Klarheit zur Beteiligung von Schulkonferenzen und Schulträgern. Das neue Verfahren muss nun im Sinne der staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft transparent umgesetzt werden. Die Bezirksregierungen sind gefordert, die Stellungnahme der Schulen und der Schulträger ausreichend in die Entscheidung einfließen zu lassen.

Es scheint wünschenswert und angebracht, das neue Verfahren zu evaluieren und seine Wirkungsweise dahin gehend zu beobachten, wie das Zusammenspiel von Schulaufsicht, Schulträgern und Schulen tatsächlich funktioniert.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit dem Sprichwort des deutschen Pädagogen und Philosophen Friedrich Paulsen enden:

„Es gibt keine wichtigere Sorge in der Schule als die, den Geist der Wahrheit und des Vertrauens in ihren Räumen zu erhalten. Er will aber nur wohnen, wo zugleich der Geist der Freiheit wohnt.“

Ich hoffe, dass wir mit den Regelungen des 12. Schulrechtsänderungsgesetzes genau in diesem Sinne weiter verfahren können. – Ich bedanke mich.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kaiser.

Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute stehen wir vor der Verabschiedung des 12. Schulrechtsänderungsgesetzes, das wir als größte Oppositionspartei mittragen. Dabei geht es uns vor allem um die Absicherung folgender drei Punkte, die wir durch dieses Gesetz zu einer sinnvollen Lösung führen.

Zuerst geht es um das sogenannte Kopftuchverbot. Wir wissen alle, dass das Bundesverfassungsgericht den Passus des Schulgesetzes zum Kopftuchverbot für Lehrerinnen für nichtig erklärt hat. Daher war es bei der ohnehin anstehenden Gesetzesnovelle sinnvoll, diese Frage mit zu lösen.

Für uns als CDU ist vor allem eines wichtig: Wir verstehen unsere Schulen nicht als religionsfreie Räume. Religiöses Bekenntnis und staatliche Neutralität widersprechen sich nicht. Daher war es uns in besonderer Weise wichtig, dass die Regelungen des Gesetzes im vollen Einvernehmen mit den christlichen Kirchen gefasst wurden. Das ist gelungen, ich finde, sogar in vorbildlicher Weise. Wir haben gegenüber den Kirchen Wort gehalten. Die ursprüngliche Formulierung im Gesetzentwurf wurde nach der Anhörung so, wie wir es vorher zugesagt hatten, weiter konkretisiert und im Detail abgestimmt. Die Feststellung im Gesetz – ich zitiere –:

„Die Schule ist ein Raum religiöser wie weltanschaulicher Freiheit.“

macht dies deutlich.

Gleichzeitig haben wir eindeutig festgelegt, dass der Schulfrieden durch keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen Bekundungen gefährdet werden darf. Einige Lehrergewerkschaften hatten die Sorge, bei möglichen Konfliktfällen in den Schulen allein gelassen zu werden. Das Gesetz lässt die Schulleitungen nicht alleine, insbesondere bei der Abstimmung im konkreten Fall, der Verletzung des Schulfriedens, durch die Unterstützung und Beratung seitens der oberen Schulaufsichtsbehörde.

Gerade auch die Betonung der Besonderheit des Religionsunterrichts und der Bekenntnisschulen sichert hier einen noch größeren Freiraum religiöser Überzeugungen.

Das heißt, zum Thema „Aufhebung des Kopftuchverbots durch das Bundesverfassungsgericht“ verabschieden wir heute eine pragmatische, handhabbare und rechtssichere Lösung. Die Interessen der beiden christlichen Kirchen sind auf Dauer voll einvernehmlich berücksichtigt.

Eine zweite wichtige Frage wird hier zukunftsweisend gelöst. Durch die Möglichkeit für Realschulen, unter bestimmten Bedingungen ab Klasse 7 den Hauptschulbildungsgang anzubieten, gibt es hier eine handhabbare Lösung bei zurückgehenden Schülerzahlen und auch da, wo eine Hauptschule vor Ort nicht mehr vorhanden ist. Ohne Schulwechsel können dann an den Realschulen, an denen der Schulträger dies will – dies ist wichtig: der Schulträger ist da entscheidend –, alle Abschlüsse der Sekundarstufe I, insbesondere auch die Hauptschulabschlüsse, angeboten werden.

Dies ist eine Lösung gerade für den ländlichen Raum, wo häufig für eine Sekundar- oder Gesamtschule nicht ausreichend Schülerinnen und Schüler vorhanden sind, jedoch eine mindestens zweizügige Realschule auf Dauer abgesichert ist. Das heißt, alle Schülerinnen und Schüler können vor Ort beschult werden, und die verbleibenden Hauptschülerinnen und Hauptschüler – das ist für uns auch eine soziale Frage – müssen nicht die weitesten Wege fahren.

Dabei wird jetzt in dem Entschließungsantrag die Möglichkeit für äußerliche Differenzierung noch einmal konkreter beschrieben. Frau Hendricks hatte es angesprochen. Die ernst zu nehmenden Bedenken gerade von „lehrer nrw“, sprich konkret: von und Frau Balbach, konnten entsprechend berücksichtigt und umgesetzt werden. Formen der äußeren und inneren Differenzierung bieten hinreichend Möglichkeiten für ein qualitativ gutes Angebot sowohl für Haupt- als auch Realschüler. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird diese Lösung insbesondere kleinere Systeme betreffen.

In dem Entschließungsantrag werden die Details, wie sie dann in den entsprechenden Verordnungen zu regeln sind, noch einmal aufgelistet.

Ein dritter Aspekt: Durch das 12. Schulrechtsänderungsgesetz wird die Bestellung der Schulleiterinnen und Schulleiter rechtssicher geregelt. Die Erfordernisse aus den einschlägigen Gerichtsurteilen werden aufgenommen. Weiterhin wird gegenüber der heutigen Rechtslage die Position der Schulkonferenz klargestellt. Die Position der Schulträger wird eindeutig gestärkt. Das sage ich als jemand, der seit 1979 ein kommunales Mandat hat. Ich begrüße es nachdrücklich, dass wir das Vorschlagsrecht in diesem Besetzungsverfahren wieder offensiver wahrnehmen können.

(Beifall von der CDU)

Soweit wie die Regeln des Beamtengesetzes es heute zulassen, gibt es damit mehr Spielraum. Wir nehmen natürlich die Bedenken, die seitens der kommunalen Spitzenverbände nochmals artikuliert und vorgebracht wurden, sehr ernst. Ich denke aber, die Rechtslage gibt im Moment nicht mehr her. Deshalb ist rechtssicheres Handeln wichtiger. Wir werden es, wie zugesagt, beobachten.

Jedoch können wir auch bei den Veränderungen, die im Schulsystem insgesamt stattfinden, natürlich nicht aus dem Blick verlieren, dass es auch Schulleiter gibt, die versetzt werden müssen, weil Schulen auslaufen. Auch für diese Fälle muss eine vernünftige Handhabe gewährleistet sein.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Die CDU steht für die Eigenverantwortlichkeit der Schulen und für die staatlich-kommunale Verantwortungsgemeinschaft für die einzelnen Schulen und deren Leitungen.

In den nächsten Jahren werden wir ein waches Auge darauf haben, ob die Position der Schulträger bei der Schulleiterbestellung wirklich nachhaltig gestärkt wird. Diese Stärkung ist unsere Absicht, und das wird durch das jetzt vereinbarte Vorschlagsrecht entsprechend deutlich.

In dem Entschließungsantrag haben wir einen weiteren Aspekt aufgeführt, nämlich die Möglichkeiten und weiteren Flexibilisierungen im Bereich des jahrgangsübergreifenden Unterrichts. Das wollen wir aufnehmen. Denn gerade für die wohnortnahe Beschulung im ländlichen Raum – Frau Beer hat eben dankenswerterweise den mir nicht ganz unvertrauten Hochsauerlandkreis und dessen Grundschulversorgung genannt – gibt es nur die Lösung, dass der jahrgangsübergreifende Unterricht verstärkt angeboten wird. Wir wollen gewährleisten, dass das insbesondere in Fort- und Ausbildung zum Mainstream der Lehrerausbildung gehört.

Wir sind sicher, dass damit unser Schulsystem weiter demografiefest wird, wie wir es mit dem Schulkonsens beabsichtigt hatten, denn wir wollen wohnortnah in Bildung und nicht in Schulbusse investieren.

Wir wissen gerade von den Lehrerinnen und Lehrern, die sich entschlossen haben, jahrgangsübergreifend zu arbeiten, dass sie das, wenn sie einmal in dem Geschäft sind, mit großen Enthusiasmus und großer Euphorie tun. Deshalb ist das der Weg, den wir beschreiten sollten.

Kurz und gut: Mit dem 12. Schulrechtsänderungsgesetz werden wichtige Schritte, die auch im Schulkonsens vereinbart wurden, zu Ende geführt. Für Realschulen ergeben sich neue Chancen, bei der Schulleiterwahl werden die Rechte der Schulträger gestärkt, wir schaffen eine sichere Rechtslage nach dem Kopftuchurteil und geben den Schulen Möglichkeiten der Intervention bei Gefährdung des Schulfriedens, sichern aber ebenso die religiöse Freiheit der Schulen. Der Schulkonsens trägt hier, und die neuen Möglichkeiten sind in diesem Sinne.

Abschließend bedanke ich mich bei den anderen Fraktionen, bei den Vertretern der Kirchen, aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerien und der Staatskanzlei, die uns als Opposition entsprechend fair und offen beraten haben. – Herzlichen Dank für das Zuhören, auch Ihnen, Frau Ministerin.

(Beifall von der CDU und Sigrid Beer [GRÜNE])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte da anfangen, wo Kollege Kaiser aufgehört hat, weil ich mich gerne bei allen bedanken möchte für einen ganz intensiven Austausch und für einen ganz intensiven Arbeitsprozess, den wir miteinander hatten, und zwar besonders in der Frage: Wie setzen wir das sogenannte Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts in der Schulgesetzgebung in Nordrhein-Westfalen um? – Das war vertrauensvoll, das war offen, das war verlässlich. Es ist genauso, wie wir es angekündigt haben.

Wir haben zwei Runden miteinander gedreht. Wir haben das miteinander, Kollege Marsching, auch mit den Kirchlichen Büros in der Rückkopplung getan. Wir haben es als grüne Fraktion auch noch einmal mit islamischen Verbänden diskutiert. Das war uns besonders wichtig. Das war ein Prozess, wie wir ihn angekündigt haben, und den haben wir auch so gestaltet.

Deswegen, Frau Kollegin Gebauer, bin ich ein bisschen enttäuscht über Ihren Antrag. Denn das, was Sie dort hineingeschrieben haben – wir hätten sie provoziert –, ist nicht fair. Das hat mich wirklich umgehauen. Ich will es zitieren.

„Während SPD, CDU und Grüne zunächst versucht haben, in politisch verantwortungsloser Weise lediglich den vom Verfassungsgericht für nichtig erklärten § 57 Absatz 4 Satz 3 Schulgesetz zu streichen ...“

Das ist doch eine völlige Verzerrung der Ausgangslage, weil wir gesagt haben, wir hören uns in der Anhörung die Voten an, und dann gehen wir damit in einen Prozess hinein. Dass Sie das in Ihrer Fraktion nicht geregelt bekommen – zugestanden. Das ist aber eine ganz andere Geschichte. Die Fraktion ist natürlich frei, dann darüber zu schreiben. Aber wir hatten einen engen Prozess, an dem Sie auch teilgenommen haben. Ich finde, dann kann man es nicht so aufschreiben. Das finde ich ungerechtfertigt, und das sollte so nicht sein.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Was Sie in der Anhörung offensichtlich auch nicht wahrgenommen haben, weil Sie nicht zugehört haben, ist die Warnung der Verfassungsrechtler gewesen – Kollege Kaiser und auch Kollegin Hendricks haben schon darauf hingewiesen –, jetzt keinen Katalog von Situationen zu entwickeln, die dann gegebenenfalls schulfriedensstörendreif sein sollten.

Wir haben miteinander festgestellt, wer eigentlich die Störungen im Schulfrieden auslöst. Ist es der Mensch mit dem religiösen Symbol, oder sind es diejenigen, die sich von außen daran stören? Das können Schüler und Schülerinnen, aber auch Eltern sein, die diese Frage in die Schule hineintragen.

Von daher ist es richtig,  es so zu machen wie wir. Wir wollen keinen Katalog, der quasi Anleitungen dazu liefert, wie man den Schulfrieden stört. Das ist genau die andere Logik, die dahintersteckt und die wir nicht provozieren wollen.

Die Schulen sind nicht alleingelassen; sie haben in der Tat ein Backoffice. Das sind die Bezirksregierungen, das ist auch das Schulministerium. Deswegen ist es hier im Gesetz gut angelegt.

Was mir noch sehr wichtig ist, zu betonen, ist: Wir haben in der Bundesrepublik und auch in Nordrhein-Westfalen kein laizistisches Gesellschaftsmodell, und wir haben auch kein laizistisches Verfassungsrecht. Es ist vorbildlich, wie Staat und Religionsgemeinschaften im Verhältnis zusammenstehen. Das ist auch immer wieder in den internationalen Diskussionen beobachtbar. Es ist gut und richtig, dass wir das im Schulgesetz jetzt auch abbilden und sehr deutlich formulieren: Die Schule ist ein Raum religiöser wie weltanschaulicher Freiheit.

Natürlich gehört auch dazu, die Grundrechte zu wahren, die Menschenrechte zu wahren. Aber das ist der allgemeine Auftrag an alle Lehrerinnen und Lehrer, an das Schulpersonal, egal welcher Multiprofessionalität, so, wie sie sich in Schule vorfinden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben zu diesem Punkt sehr ausführlich gearbeitet, haben aber auch in den anderen Punkten unsere Hausaufgaben gemacht. Gerade die Frage der Schulleitungsbesetzung ist im Land immer wieder stark diskutiert worden, hat zu Konfliktlagen in den Schulen geführt. Es war notwendig, dass wir uns das ansehen und es anders regeln.

Mit den Transparenzpflichten, die jetzt auferlegt sind, auch der Schulaufsicht, das gegenüber dem Schulträger, gegenüber den Schulkonferenzen darzubieten, haben wir zu einem guten Modell gefunden. Bezüglich der Frage der amtsangemessenen Stellenbesetzung, die sich vorhin auch stellte, ist schon der Hinweis gekommen. Da, wo auf kommunale Entscheidungen hin Schulen auch neu überführt werden, wo Schulen auslaufen, müssen Kolleginnen und Kollegen auch eine Zukunftsperspektive haben. Das ist wichtig. Aber das soll natürlich auch in der Rücksprache mit den kommunalen Schulträgern erfolgen.

Deswegen haben wir in den Entschließungsantrag deutlich hineingeschrieben, dass wir darauf achten werden, dass wir dazu eine Evaluation vorlegen, aber von beiden Seiten miteinander in dieser Verantwortungsgemeinschaft zu arbeiten. Das ist im Gesetz noch einmal bestärkt. Das ist so angelegt.

Der dritte Punkt sind die individuellen Bildungsverläufe, die wir sichern wollen. Es ist in der Tat so, die Bildungskonferenz hat dazu herausgearbeitet, dass wir im Prinzip zwei verschiedene Wege in Nordrhein-Westfalen haben, die durch den Schulkonsens in der Landesverfassung so niedergelegt sind. Das ist einmal der Weg über das gegliederte System, zum anderen der Weg in das integrierte System. Eltern brauchen Beratung, in welchen Weg sie hineingehen. Dann muss auch klar sein, wie es weitergeht, falls sich dort Hindernisse aufbauen.

Gerade in der Frage der Demografie ist es ganz wichtig, dass Schüler und Schülerinnen möglichst ohne Brüche an einer Schule ihre Bildungslaufbahn fortsetzen und im Heimatort beschult werden können, auch wenn es in diesem Fall zum Beispiel keine Hauptschule gibt, wenn es dort kein integriertes System gibt oder das integrierte System schon belegt ist.

Dann ist es auch die Aufgabe des gegliederten Systems, genau diese Fürsorge für die Schülerinnen und Schüler aufzunehmen. Das gilt im Übrigen auch für die rheinische Lösung, was die Gymnasien betrifft. Das ist ja auch immer in der Diskussion herausgearbeitet worden. Es war interessant, in der Anhörung zu hören, dass es diese rheinische Lösung gibt und dass man da auch im Sinne von Schülerinnen und Schülern entscheidet und entscheiden kann. Das sind sicherlich spannende Dinge, die uns da in Zukunft begleiten werden.

Zum Schluss: Das jahrgangsübergreifende Lernen ist auch schon angesprochen worden. Mir liegt sehr daran, dass wir davon wegkommen, es als Notlösung zu betrachten. Nein, das ist ein pädagogisches Konzept. Das hat sich bewährt – gerade an den kleinen Grundschulstandorten, an denen als Folge der Demografie diese Innovation immer stärker im Land greift, aber auch mit Überzeugung umgesetzt wird. Man sieht an den Schulen, die das schon über Jahre praktizieren: Das ist gutes Lernen. Das tut den Kindern gut.

Die Unterschiedlichkeit, die Verschiedenheit von Kindern kann im jahrgangsübergreifenden Unterricht ganz besonders berücksichtigt werden. Es ist ein guter Ansatz, der die Teilstandorte im Land stärkt, der aber auch allen Schulen neue Impulse gibt und auch Freiheiten einräumt, pädagogisch mit der Verschiedenheit von Kindern gelingend umzugehen.

Ich bedanke mich bei allen, die in diesem intensiven Prozess mitgewirkt haben, und freue mich, dass wir heute mehr Klarheit für Schulen, für Eltern sowie für Schülerinnen und Schüler im Land schaffen. Das ist ein guter Beschluss, den wir jetzt noch kurz vor den Sommerferien fassen und der dann baldmöglichst hier auch wirksam werden kann. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Fraktion der FDP spricht Frau Kollegin Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Beer, lassen Sie mich eines vorwegnehmen: Ich war bei der Anhörung anwesend und habe auch zugehört. Natürlich gab es auch die Äußerungen, die Sie hier gerade zitiert haben. Es gab aber auch Äußerungen in eine andere Richtung. Darauf werde ich nachher noch einmal konkret eingehen.

Sie haben die Gespräche angeführt, zu denen Sie eingeladen haben, um hier zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Für das Gesprächsangebot habe ich mich bedankt. Das tue ich an dieser Stelle gerne noch einmal. Dass es jetzt nicht zu einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen gekommen ist, erklärt sich vielleicht gleich aus meiner Rede heraus. Gleichwohl finde ich es gerade in solchen entscheidenden Fragen immer richtig und wichtig, dass man miteinander einen Dialog führt, um gemeinsam um die beste Regelung zu ringen.

Aber – jetzt kommt das Aber, auf das Sie sicherlich schon gewartet haben – der jetzt vorliegende Gesetzentwurf einschließlich des Entschließungsantrags von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen hat uns in seinem Inhalt als FDP-Fraktion nicht überzeugt. Ich möchte Ihnen auch sagen, warum: Wir haben als FDP von Anfang an erklärt, dass die Verantwortung zur Feststellung der Gefährdung des Schulfriedens nicht auf die Schulen abgewälzt werden kann.

(Beifall von der FDP)

Sie haben vorhin eine in unserem Antrag enthaltene Feststellung angesprochen. Ja, dazu stehen wir auch. Es war schon ein schlanker Fuß, den Sie sich zunächst – zunächst – gemacht haben,

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das war als offener Prozess angelegt!)

indem Sie nämlich einfach den vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Satz im Schulgesetz gestrichen haben.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das war genauso angekündigt!)

Daraufhin haben Sie dann zwar eine Anhörung zu diesem 12. Schulrechtsänderungsgesetz einberufen. Aber auch da muss ich Wasser in den Wein gießen; denn der Zeitpunkt und das Verfahren in Bezug auf die Anhörung wurden nicht nur seitens der FDP-Fraktion kritisiert, sondern auch von vielen Verbänden, die erklärt haben, dass ihnen in diesem knappen Zeitraum überhaupt keine Möglichkeit gegeben worden ist,

(Christof Rasche [FDP]: Hört! Hört!)

zu dem 12. Schulrechtsänderungsgesetz ausreichend Stellung zu beziehen. Diesen Vorwurf müssen Sie sich auch gefallen lassen.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Gebauer, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Frau Kollegin Hendricks würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Yvonne Gebauer (FDP): Sonst sehr gerne; aber jetzt würde ich gerne weiter fortfahren. Vielleicht erübrigt sich die Zwischenfrage dadurch nachher auch.

Unter anderem die Lehrerverbände haben in der Anhörung deutlich zum Ausdruck gebracht, dass dieses Verfahren, das der knappen Zeit geschuldet war, trotzdem der Sache nicht angemessen war.

Sie haben jetzt Änderungen vorgenommen, die von meinem Vorredner und meinen beiden Vorrednerinnen schon dargelegt worden sind. Es bleibt aber dabei: Sie bürden den Schulen weiterhin die Hauptverantwortung auf.

Auch folgende Anmerkung kann ich Ihnen nicht ersparen: Dass Sie in Ihren Entschließungsantrag hineinschreiben, dass Schulen sich mit vorgesetzten Behörden abstimmen können und sollen, ist keine tatsächliche Hilfestellung. Meine Damen und Herren, das halte ich für eine pure Selbstverständlichkeit. So etwas muss nicht explizit in einem zusätzlichen Antrag erwähnt werden.

(Beifall von Angela Freimuth [FDP])

Wir hätten es uns jetzt einfach machen und sagen können: Mit dem, was Rot, Schwarz und Grün hier zusammen mit den Piraten auf den Weg gebracht haben, sind wir nicht einverstanden. – Das haben wir nicht getan, sondern aufgrund der Ernsthaftigkeit des Themas einen eigenen Entschließungsantrag erarbeitet, weil wir der Meinung sind, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt tatsächlich nach mehr verlangt.

In unserem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag sind in Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht weiter reichende Formulierungen dargelegt, die den Schulen auch im Gesetz präzisere Handlungsorientierungen geben würden.

Sie haben auf die vom Bundesverfassungsgericht genannte Möglichkeit, für einen begrenzten Zeitraum örtlich begrenzt über den Einzelfall hinausgehende gesetzliche Regelungen zu verankern, explizit verzichtet. Hier hat das Bundesverfassungsgericht aber von substanziellen Konfliktlagen und der „konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen“ gesprochen. Das ist dann letztendlich im Schulgesetz selber oder auf dem Verordnungswege zu regeln.

Sie haben sich entschieden, hier den einfachen Weg zu gehen. Sie regeln das nicht.

Wir aber sind der Überzeugung, dass Sie in diesem Zusammenhang den Schulen in jedem Einzelfall eben die Konflikte aufzwingen.

(Beifall von der FDP)

Man muss sich auch bewusst machen, dass die Schule – und eben nicht die Schulaufsicht oder das Ministerium – die letztlich getroffene Entscheidung gegenüber Schülern, gegenüber den Eltern und gegenüber den Lehrern verantworten muss. Dass wir das so nicht mittragen können, hat uns zu diesem Entschließungsantrag am heutigen Tage bewegt.

Vielleicht werden in den nächsten Jahren nur in geringer Zahl Konflikte auftreten. Aber, meine Damen und Herren – das möchte ich hier auch zu bedenken geben –, das könnte sich aus unterschiedlichsten Gründen in den nächsten Jahren durchaus ändern.

Frau Ministerin Löhrmann hat sich dafür gelobt, dass man jetzt mit einer Neuregelung – so wie sie jetzt vorliegt – unter den Bundesländern ganz vorn sei. Aber auch hier sagen wir als FDP: Sie hätten in diesem Zusammenhang doch lieber noch einmal innehalten sollen. Denn die Folgen dieses überstürzten Handelns werden hier in Nordrhein-Westfalen die Schulen ausbaden müssen.

Ich komme noch zu zwei weiteren Punkten. Einmal ist es das Vorgehen gegen die Schulen in freier Trägerschaft. Auch dieses Vorgehen werden wir als FDP-Fraktion nicht mittragen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ist auch in der Anhörung schon negativ beschieden worden! Das ist Unfug!)

Sie greifen zwar die im Grundgesetz verankerte Privatschulfreiheit nicht direkt an. Nein, das tun Sie nicht; das ist richtig. Aber mit der Verabschiedung dieses 12. Schulrechtsänderungsgesetzes droht trotzdem ein schleichendes, gezieltes Verhindern der Gründung von Schulen in freier Trägerschaft. Das, meine Damen und Herren, wurde auch in der Anhörung ganz deutlich.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Darauf haben Sie eine passende Antwort in der Anhörung bekommen!)

An dieser Stelle wundert mich dann doch das Verhalten der CDU. Denn die Evangelischen Kirchen haben das in der Anhörung ganz deutlich zum Ausdruck gebracht.

Last, but not least – auch Sie haben das angesprochen, Frau Beer – das Thema „Schulleiterwahl“: Auch hier können wir als FDP-Fraktion nicht zustimmen. Ich war eigentlich immer der Meinung, dass es hier ein gemeinsames Ziel ist, den Schulen mehr Beteiligung zu ermöglichen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie geben nun der Verwaltung per Ermächtigungsnorm die Möglichkeit, zukünftig „überzählige“ Schulleiter direkt auf die entsprechenden Posten zu vermitteln.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wollen Sie die in den Keller schicken? Oder was machen Sie mit denen? – Ingrid Hack [SPD]: Die sind überzählig? – Sigrid Beer [GRÜNE]: Überzählige Schulleitungen?)

Lehrer, Eltern und Schüler werden nicht mit eingebunden. Auch das haben die kommunalen Spitzenverbände deutlich kritisiert.

Meine Damen und Herren, aus unserer Sicht sichert dieser Gesetzentwurf keinen Schulfrieden. Er ist ein Angriff auf die freie Trägerschaft, und er nimmt den Schulgemeinden die entsprechenden Beteiligungsmöglichkeiten. Von daher werden wir den Gesetzentwurf ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat für die Piraten Herr Kollege Marsching das Wort.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Als Letzter zu so einem Thema zu reden, ist immer sehr dankbar. Wenn man nichts wiederholt, kann man viel Zeit sparen.

Ich versuche einmal, Folgendes noch beizutragen und unsere Position klarzumachen. Ich habe hier in der ersten Lesung gesagt:

„Drei Regelungen in einen Topf geworfen und gerührt – das ergibt kein gutes Gericht.“

Erstens reden wir über die Sicherstellung von individuellen Bildungsgängen, zweitens über die Schulleiterbestellungen, drittens über das Kopftuchverbot. Das alles ist schon angesprochen worden.

Zunächst zu den Regelungen zum Bildungsgang der Hauptschule an Realschulen: Das schließt eine Lücke. Auch das habe ich in der ersten Lesung schon erwähnt. Trotz meiner Ankündigung, dass wir da auf die Kritik reagieren wollen, muss ich sagen: In der Anhörung hat uns das Thema nicht getroffen. Es scheint da tatsächlich eine gute Regelung gefunden worden zu sein. Von daher können wir diesem Teil des Gesetzentwurfs zustimmen.

Beim Thema „Schulleiterbestellungen“ ist es schon ein bisschen kritischer. Wir haben uns gewünscht, dass bei der Bestellung von Schulleitern ein bisschen mehr Demokratie Einzug hält, zum Beispiel durch Regelungen mit Findungskommissionen wie beispielsweise in Schleswig-Holstein, Hamburg oder Bremen. Wir haben das aufgezeigt und vorgeschlagen, Lösungen zu übernehmen.

Wir mussten allerdings auch erkennen, dass die Umsetzung beamtenrechtlich sehr schwierig wäre. Wir haben bei uns intern sehr lange darum gerungen, wie wir uns verhalten sollten. Am Ende stand das Ergebnis, dass wir auch diesem Teil zustimmen werden. Wir glauben, dass das einfach ein erster Schritt ist. Die Transparenz ist gegeben. Die Beteiligung für Schulträger und Schulkonferenz ist durch das Vorschlagsrecht gegeben. Also: Auch zu diesem Bereich werden wir unsere Zustimmung geben können.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Marsching, Entschuldigung. Frau Kollegin Beer würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr gerne.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Kollege. – Ich freue mich, dass Sie nach der Abwägung – wir haben uns ja auch noch einmal andere Schulgesetze angeschaut; ich habe dazu eine Rückmeldung gegeben – zustimmen können.

Die Kollegin Gebauer konnte ich gerade nicht mehr erreichen. Ich frage jetzt Sie, gerade weil Sie das noch einmal sehr genau hin und her überlegt haben: Sind Sie der Meinung, dass wir in Nordrhein-Westfalen überzählige Schulleitungen haben?

Michele Marsching (PIRATEN): Ich kann jetzt natürlich nicht für die Kollegin Gebauer antworten. Auch versuchen möchte ich das nicht. Danke.

Ich bin der Meinung, dass wir gerade im Hinblick darauf, dass wir so viele freie Schulleitungsstellen nicht besetzen können, nicht von überzähligen Schulleitern reden können.

Aber natürlich müssen die Schulleitungen, deren Schulen geschlossen wurden, weiterhin versorgt werden. Natürlich müssen die auch weiterhin eingesetzt werden. Die sind nicht überzählig, sondern, glaube ich, im System sogar dringend nötig.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Ich komme zum letzten Punkt, zum Thema „Kopftuchverbot“. Ich nehme das einmal als Stichwort. Wir wissen, eigentlich geht es um religiöse Symbole. Aber das Wort „Kopftuchverbot“ hat sich so eingebürgert.

Ich möchte noch kurz die Historie dazu beschreiben. Wir wissen alle, dass das Verfassungsgericht entschieden hat: Der Passus ist nichtig, das Gesetz muss geändert werden. Daraufhin kam hier in den Landtag ein rot-grün-schwarzer Entwurf, der beinhaltete, diesen Satz zu streichen. Wir hatten eine, wie ich finde, sehr interessante, sehr aufschlussreiche Anhörung und haben uns dann – auch das haben wir schon gehört – mit allen Fraktionen getroffen. Ich meine, dass die Gespräche sehr konstruktiv waren. Wir haben den Text betreffend – am Ende ging es tatsächlich um Passiv- bzw. Aktivformulierungen – wirklich gerungen. Am Ende hatten wir einen Text, dem wir vorbehaltlos zustimmen können.

Warum die FDP bei diesem Text nicht mitmachen konnte und warum dann auch der Prozess von der FDP nicht weiterbegleitet wurde – ich habe gewartet; ich habe auch Ihre Rede abgewartet, Frau Gebauer –, habe ich immer noch nicht verstanden. Ich habe es im Ausschuss nicht verstanden und verstehe es hier nicht. Zumindest zu dem Teil gibt es keine Kritik, die so substanziell wäre, dass man sie nicht in den Prozess hätte einbringen können. Mir fehlt irgendwie das Verständnis. Aber sei es drum.

Eine Kritik muss ich allerdings in dem Bereich loswerden, auch wenn Kollegin Beer gerade gesagt hat, dass die grüne Fraktion mit den muslimischen Verbänden geredet hat. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass die muslimischen Verbände in diesen Prozess eingebunden gewesen wären. Anders herum muss ich diese Kritik auch an die muslimischen Verbände zurückspielen; denn sie waren in der Anhörung vertreten. Das Einzige, was sie gesagt haben, war, dass sie nichts zu sagen haben. Ich wünsche mir tatsächlich ein bisschen mehr Beteiligung von beiden Seiten: sowohl das Angebot zur Teilnahme als auch die Annahme des Teilnahmeangebots.

Wir können also allen drei Teilen des Gesetzentwurfs in der geänderten Fassung zustimmen.

Zu den Entschließungsanträgen, zunächst zu dem Entschließungsantrag von Rot-Grün und von der CDU. – Ich bin ganz ehrlich. Ich habe ihn mir jetzt durchgelesen. Ich wollte es eigentlich gar nicht. Ich wollte es mir nicht mehr durchlesen. Noch einen Tag vor dem Plenarsitzung einen solchen Entschließungsantrag zu einem Thema hineinzuwerfen, welches wir seit Wochen hin- und herwälzen, ist ungefähr genauso schlimm wie Entschließungsanträge, die mich erst hier auf dem Tisch erreichen, liebe FDP. Wobei einige Sachen im Entschließungsantrag der FDP schon so krude sind, dass ich ihn schon inhaltlich ablehnen würde.

Ich empfehle meiner Fraktion, Entschließungsanträge abzulehnen, die in einer solch kurzen Frist tatsächlich elementare Erklärungen oder Änderungen fordern. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching.

Bevor ich Frau Ministerin Löhrmann für die Landesregierung das Wort erteile, will ich gerne noch eine kleine Irritation aufklären. Frau Kollegin Beer hatte sich in der Tat noch einmal zu einer Zwischenfrage eingedrückt. Allerdings war die Redezeit von Frau Kollegin Gebauer nicht nur überschritten, sondern sie hatte ihre Rede gerade auch beendet. Von daher habe ich gar nicht mehr versucht, die Zwischenfrage zu platzieren. Deshalb ist alles in Ordnung. Wenn es Kritik gibt, dann höchstens am Verhandlungsgeschick der sitzungsleitenden Präsidentin.

Jetzt hat Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal lassen sich Dinge aufklären. Dann entstehen zumindest keine längerfristigen Verhärtungen an Punkten, an denen es nicht erforderlich ist.

Meine Damen und Herren, der Schulkonsens wirkt. Das konnten wir gestern an den veröffentlichten Zahlen erkennen. Er trägt offensichtlich auch. Das betrifft die Fraktionen, die ursprünglich daran mitgewirkt haben, aber auch andere, die sich konstruktiv einbringen. Das sieht man bei der Beratung dieses Gesetzes.

Ich möchte auf zwei Punkte etwas ausführlicher eingehen, weil sie von besonderem politischem Gewicht sind. Das sind die Kopftuchregelungen und die Möglichkeit für betroffene Schülerinnen und Schüler, ihre Bildungsgänge fortzusetzen.

Die Landesregierung begrüßt den breiten Konsens im Landtag zu diesem Gesetz und insbesondere zur künftigen Regelung zum Tragen politischer, religiöser und weltanschaulicher Bekundungen von Lehrkräften in Schulen. Sie dankt auch den Kirchen. Es hat auch andere Gespräche gegeben, in denen es möglich war, diesen Konsens und diesen Weg mitzugehen. Allen, die im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens aktiv beteiligt waren, gilt mein Dank.

Im Gesetzentwurf geht es zwar um politische, religiöse und weltanschauliche Bekundungen aller Art. Aber es war doch immer klar, was damit gemeint war. Nordrhein-Westfalen ist das erste Land, das die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Tragen religiös konnotierter Kleidung umgesetzt hat. Die Debatte im Parlament und in der interessierten Öffentlichkeit hat gezeigt, dass dies mehr als nur ein formaler Akt war.

Frau Gebauer, zu Ihrer Klage und Sorgebekundungen über das, was nun in den Schulen passiert: Hätten wir gar nichts gemacht, wäre der nicht grundrechtskonforme Satz nichtig geworden. Es hätte dann überhaupt keinen Diskurs darüber gegeben. Das möchte ich noch einmal deutlich machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich frage mich wirklich nach dieser Anhörung, wer die FDP in diesen Fragen juristisch berät.

Ich habe in den letzten Monaten zu dieser Frage eine Reihe von Briefen erhalten. Der Tenor reicht von der Zustimmung zum Beschluss des Verfassungsgerichts über Skepsis bis hin zu entschiedener Ablehnung nach dem Motto „Das Bundesverfassungsgericht hat geirrt“. Von Schulpraktikerinnen und -praktikern ist die Sorge geäußert worden, Schulen würden alleingelassen, wenn es dort zu Auseinandersetzungen über das komme, was das Bundesverfassungsgericht – ich zitiere – „die Frage des richtigen religiösen Verhaltens“ genannt hat.

Denjenigen möchte ich antworten und noch einmal ausdrücklich hervorheben: Die Landesregierung ist sich dieser Sorgen bewusst. Ich versichere Ihnen, sie wird die Schulen nicht alleinlassen.

In der Zwischenzeit habe ich noch einmal eine Reihe von Gesprächen mit den Lehrerverbänden geführt. Ich habe die Gelegenheit genutzt, in einigen Hauptpersonalräten darüber zu sprechen, um das aufzunehmen und klarzustellen. Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte und Vertreter der kommunalen Integrationszentren haben sich angeboten, als Brückenbauer mit dabei zu sein, wenn es darum geht, der gewachsenen Vielfalt und religiösen Pluralität in unserem Land zu ihrem Recht zu verhelfen. Um nicht mehr und nicht weniger geht es bei dieser Frage.

Den Erfahrungen, die wir seit vielen Jahren in den Schulen des Landes gesammelt haben, lässt sich auch nicht entnehmen, dass es künftig zu nennenswerten Konflikten in den Schulen kommen wird. Schließlich gab es die auch vor dem sogenannten Kopftuchgesetz nicht.

Zu dieser Einschätzung gehört auch, dass der Schulfrieden nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in keinem Fall gestört ist, wenn Eltern meinen, dafür reiche schon der Anblick einer Lehrerin mit Kopftuch. Es kann nicht richtig sein, dass sich der gestörte Schulfrieden danach bemessen lässt, wieviel Toleranz oder Intoleranz die an den Schulen Lebenden haben.

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist klar: Das Kopftuch ist als Ausdruck der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit geschützt. Dieser Schutz eines Grundrechts bedeutet aber nicht, den ebenfalls durch die Verfassung garantierten staatlichen Erziehungsauftrag aus dem Blick zu verlieren. Letztlich geht es darum, dieses Verhältnis so zu gestalten, dass weder das eine noch das andere gefährdet wird. Das erfordert auf der einen Seite von muslimischen Lehrerinnen genauso wie von allen anderen Lehrerinnen und Lehrern die Einhaltung ihrer Dienstpflichten. Auf der anderen Seite erfordert es Toleranz: einer Tugend, von der Goethe gesagt hat, sie könne nur eine vorübergehende Haltung sein und müsse zur Anerkennung führen.

Unser Auftrag ist es auch, Vorurteilen entgegenzutreten. Das einfache Muster: „Frau + Kopftuch = konservativ = unterdrückt“ trägt so nicht mehr. Wir müssen dafür werben, dass das endlich anerkannt und wahrgenommen wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Gehen Sie an die Universitäten! Lernen Sie junge Frauen kennen, die aufgeklärt sind, die arbeiten wollen. Diese bestätigen das Bild einer unterdrückten Frau gerade nicht. Da rate ich zu Gelassenheit in der Auseinandersetzung.

Meine Damen und Herren, „Gesetz zur Sicherung von Schullaufbahnen“ – so lautet der Titel des 12. Schulrechtsänderungsgesetzes. Damit sind die künftigen Bildungsgänge der Hauptschulen an Realschulen gemeint und die rheinische Lösung, bezogen auf die Gymnasien. Das ist keine große Reform, geht es doch um eine kleine, im Gesetz definierte Schülergruppe, nämlich um Kinder, die nach der Erprobungsstufe nicht mehr im Bildungsgang der Realschule gefördert werden können.

Wir wollen einen Weg finden, dass diese Jugendlichen dann an ihrer Schule weiter ihren Weg gehen und auch einen Abschluss machen können. Es wird aber keine neue Schulform installiert. Das stand kurzzeitig zur Debatte. Wir haben uns im Schulkonsens aus guten Gründen aber gegen die Verbundschule entschieden und wollen sie hier nicht durch die Hintertür wieder einführen. Vielmehr geht es darum, dass die Jugendlichen in Zeiten des demografischen Wandels – das haben Frau Hendricks, Herr Kaiser und Frau Beer ausgeführt – an ihren Schulen einen Schulabschluss schaffen und diesen auch erreichen können. Vieles dazu ist in der Begründung und im Entschließungsantrag auch noch einmal formuliert.

Die Regelungen, die hier getroffen und erläutert sind, beweisen, dass der Schulkonsens des Jahres 2011 nicht statisch ist. Im Rahmen des dort vereinbarten Schulangebots sind weiterhin über Verbands-, Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsame Wege in der Bildungspolitik hier in Nordrhein-Westfalen möglich. Dafür danke ich insbesondere der CDU, aber auch den Piraten, die sich in diesen Prozess einbringen. Ich danke natürlich auch den Vertreterinnen und Vertretern der Verbände in der Bildungskonferenz.

Ich will noch einmal betonen, dass dort die wesentlichen Kompromisse und die wesentlichen Ziele und Wege über die verschiedenen Verbandsinteressen hinweg aufgezeigt und vorbereitet worden sind. Durch den Schulkonsens, durch das konstruktive Agieren in der Bildungskonferenz, hat sich nicht nur eine Koexistenz verschiedener Systeme, sondern auch eine gute Kooperation zwischen den verschiedenen Verbänden ergeben. Das ist gut für die Kinder und Jugendlichen bei uns in Nordrhein-Westfalen, und die wollen wir in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Um diesen Konsens und diesen Weg beneiden uns die Akteure in anderen Bundesländern.

Ich möchte noch etwas zum „Thema Schulleiterin/Schulleiter“ sagen. Die Änderung des Verfahrens hierzu ist längst überfällig. Die aktuelle Regelung zur Wahl ist von den Schulkonferenzen, Schulträgern oder der Elternschaft häufig im Sinne einer echten Entscheidungskompetenz verstanden worden. Die so geweckten Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. Das hat bei allen Beteiligten – ich sage es einmal salopp – Frust und Unverständnis hervorgerufen.

Ich verstehe da durchaus, wie die Piraten argumentieren. Die Verwaltungsgerichte haben jedoch übereinstimmend festgestellt, dass die Entscheidung über die Stellenbesetzung allein durch den Dienstherrn nach dem Leistungsprinzip getroffen werden muss. Dies ist im Gesetzentwurf berücksichtigt. Schulkonferenz und Schulträger werden aber durch ein Anhörungsrecht umfassend beteiligt und können bei der Stellenbesetzung mitwirken, ohne dass die Entscheidung rechtlich angreifbar wird.

Frau Gebauer, Sie sprechen davon, dass wir überzählige Schulleiter hätten. Darüber bin ich gestolpert, weil wir alle wissen, dass wir Schulleiter dringend brauchen. Wenn jemand an seinem alten Einsatzplatz nicht mehr gefordert und gefragt ist, dann ist es sinnvoll, dass er an einer anderen Schule wirkt und sie leitet. Da sind wir uns auch einig.

Ich komme zu einem letzten Aspekt, der mir bei der Verleihung des letzten Deutschen Schulpreises viel Freude bereitet hat. Dort hat zum einen eine Wuppertaler Schule – die Gesamtschule Barmen – den ersten Platz gemacht, worüber wir uns, glaube ich, alle gemeinsam freuen.

(Beifall)

Zum anderen hat eine Schule aus Rostock, eine Jenaplan-Schule, einen der Zweitpreise bekommen. Die Schule hat den Preis unter anderem erhalten, weil sie jahrgangsübergreifend arbeitet, auch im Bereich der Sekundarstufe I, was sich viele gar nicht vorstellen können. Der Moderator hat dann einen kleinen Jungen interviewt, der – ich würde mal sagen – in Klasse 6 war. Da wurde diese Junge gefragt: Ja, wie ist das denn mit den jahrgangsübergreifenden Arbeiten? – Darauf hat er geantwortet: Da lernen wir ganz viel. Da bringen wir uns gegenseitig ganz viel bei. Das ist toll, und dann brauchen unsere Lehrer auch nicht mehr so viel zu arbeiten. – Das, so fand ich, war eine wunderbare Aussage.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich werde das mal mitnehmen in die Gespräche mit den Lehrerverbänden und sehen, was wir daraus machen können. In diesem Sinne ist auch das ein guter Weg, der hier aufgezeigt wird.

Meine Damen und Herren, ich freue mich über die breite Unterstützung für dieses Gesetzespaket und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir haben insgesamt drei Abstimmungen durchzuführen, erstens über den Gesetzentwurf Drucksache 16/8441. Der Ausschuss für Schule und Weiterbildung empfiehlt in Drucksache 16/8999, den Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen.

Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/8999. Wer dieser Beschlussempfehlung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Kolleginnen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und die Piraten. Wer stimmt dagegen? – Das ist die FDP-Fraktion. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/8999 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Wir kommen – zweitens – zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/9066. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die antragstellenden Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU. Wer stimmt dagegen? – Die FDP-Fraktion und die Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/9066 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ebenfalls angenommen.

Wir stimmen – drittens – ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/9080. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und die Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/9080 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Wir sind am Ende von Tagesordnungspunkt 4.

Ich rufe Tagesordnungspunkt auf:

5   Nordrhein-Westfalen muss hessische Bundesratsinitiative zur Schaffung eines neuen Straftatbestandes für tätliche Angriffe auf Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte unterstützen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8979

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion erhält der Kollege Theo Kruse das Wort.

Theo Kruse (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im vergangenen Jahr hat es in Nordrhein-Westfalen bedauerlicherweise erneut einen kräftigen Zuwachs an Straftaten gegen Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte gegeben. Dies verdeutlicht die Antwort des Innenministers Ralf Jäger auf eine Kleine Anfrage der CDU-Fraktion:

Während im Jahr 2011 rund 6.000 Polizistinnen und Polizisten in Nordrhein-Westfalen Opfer einer Straftat geworden sind, belief sich ihre Zahl im vergangenen Jahr bereits auf 7.900. Das ist ein Zuwachs von gut 30 % innerhalb von vier Jahren. Bei den Angriffen auf Feuerwehrleute war im gleichen Zeitraum sogar eine Steigerungsrate von sage und schreibe 67 % zu verzeichnen. Diese Entwicklung ist – ich denke, da sind wir uns alle einig – außerordentlich besorgniserregend und kann und darf in einem Rechtstaat nicht hingenommen werden.

Gleichwohl sieht die rot-grüne Landesregierung mit dem federführenden Innenminister dieser Entwicklung tatenlos zu. In Erinnerung rufen möchte ich, dass die von der Ministerpräsidentin bereits im Rahmen ihrer Regierungserklärung 2012 angekündigte Aktion, eine sogenannte „Woche des Respekts“ durchzuführen – womit SPD und die Grünen die Gewalt gegen Polizeibeamte eindämmen wollten –, bis heute nicht ein einziges Mal stattgefunden hat.

Dafür kann es eigentlich nur zwei Erklärungen geben. Eine Erklärung könnte sein, dass die Ausarbeitung eines entsprechenden Konzepts ein solch gewaltiges Mammutprojekt darstellt, dass es sich nicht binnen einer Legislaturperiode auf die Beine stellen lässt.

Eine andere Erklärung könnte allerdings auch sein – und die, denke ich, ist viel stichhaltiger –, dass die Ministerpräsidentin, die Landesregierung und auch die federführenden Fachminister – ich sehe Herrn Justizminister Kutschaty, der anscheinend gleich zu dieser Initiative sprechen will – inzwischen selbst eingesehen haben, dass man sich mit solchen Alibiveranstaltungen bei den ca. 40.000 Polizeibeamten lächerlich macht.

(Beifall von der CDU – Zurufe von den GRÜNEN)

Ich bin jedenfalls gespannt, ob die groß angekündigte „Woche des Respekts“ – wohlgemerkt die einzige Maßnahme, die SPD und Grüne bislang zur Bekämpfung von Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und andere Einsatzkräfte angekündigt haben – auch im vierten Jahr in Folge ausfallen wird.

Mit Freude hat die CDU-Fraktion zur Kenntnis genommen, dass die hessische Landesregierung vor wenigen Wochen eine Bundesratsinitiative gestartet hat, die auf die Einführung eines neuen Straftatbestandes für tätliche Angriffe auf Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte gerichtet ist. Als wesentliche Verbesserungen, die der hessische Gesetzentwurf im Vergleich zur geltenden Rechtslage bewirkt, sind zu nennen:

Erstens. Die Strafbarkeit soll nicht mehr davon abhängen, dass die Beamten eine Vollstreckungshandlung ausführen. Zweitens. Es soll eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten für entsprechende Angriffe eingeführt werden. Drittens. Die Geldstrafe wird als Sanktionsmittel ausgeschlossen. Viertens. Für besonders schwere Fälle ist eine Verdoppelung der Höchststrafe von fünf auf zehn Jahre vorgesehen.

Betonen möchte ich, dass der hessische Gesetzentwurf damit deutlich über frühere CDU-Forderungen in diesem Themenfeld hinausgeht.

Dass dies in Hessen gemeinsam mit den Grünen möglich war, ist überaus bemerkenswert. Angesichts der eingangs beschriebenen Entwicklungen ist es allerdings auch bitter nötig.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD)

Der Rechtsstaat, verehrte Kolleginnen und Kollegen, kann und muss deutlich machen, dass Angriffe auf einen Menschen, der anderen Menschen helfen will oder der Recht und Gesetz Geltung verschaffen will, ein besonderes Unrecht darstellen.

Hinweisen möchte ich auf den Umstand, dass richtigerweise gerade diese Personen – auch und gerade in Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte – die Wertschätzung der Politik erfahren. Dabei darf aus Sicht von Nordrhein-Westfalen diese Landesregierung nicht länger im Abseits stehen, sondern muss der Initiative von Hessen folgen.

(Beifall von der CDU)

Wenn die Grünen in Hessen, verehrte Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, im Interesse von Polizisten, Feuerwehrleuten und Rettungskräften entsprechenden Handlungsbedarf erkannt haben, dann sollten Sie in Nordrhein-West-falen ebenfalls dazu in der Lage sein.

Deswegen bitte ich zunächst um Zustimmung zur Überweisungsempfehlung an den entsprechenden Ausschuss. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fange mit dem an, was uns – bezogen auf die Wertschätzung für die Arbeit von Einsatzkräften, Feuerwehrleuten und Rettungskräften, Polizistinnen und Polizisten – alle eint: Diese Menschen leisten einen besonderen Dienst, der mit großen Herausforderungen und Gefahren verbunden ist und dem Schutz und Sicherheit der Bevölkerung im Wesentlichen dient.

Darüber hinaus – da bin ich sehr nah bei dem, was der verehrte Vorredner Herr Kollege Kruse gesagt hat – repräsentiert Polizei, genau wie andere Einsatzkräfte auch, den Rechtsstaat und sichert die grundrechtlichen Freiheiten für die Bürgerinnen und Bürger ab. Wir in Nordrhein-Westfalen sind – das sage ich hier für uns alle, denke ich – stolz auf die demokratische Verankerung unserer Polizei und deren entsprechendes Auftreten. Daher haben Sie uns an Ihrer Seite, wenn es darum geht, Wertschätzung auszudrücken

(Zuruf: Aber!)

– ja, das Aber kommt gleich, ich bin erst einmal bei den Gemeinsamkeiten –, wenn es darum geht, dass wir nicht hinnehmen wollen, dass Polizistinnen und Polizisten Opfer von Gewalttaten werden.

Wir wollen auch nicht hinnehmen, dass viele Menschen den notwendigen Respekt, den die Polizistinnen und Polizisten stellvertretend für das gesamte Gemeinwesen verdienen, verlieren. Da sind wir an der Seite der Polizei und derjenigen, die diese Wertschätzung zum Ausdruck bringen wollen.

Nur: Bei der Wahl der Mittel, lieber Herr Kollege Kruse, kann ich Ihnen sagen, dass Sie sehr einfallslos sind. Das ist im Laufe meiner politischen Arbeit im Landtag – ich habe einmal nachgerechnet – inzwischen die sechste Aufführung dieser Art.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Intonierung ist immer ähnlich. Sie versuchen, den Menschen einzureden, dass durch strafgesetzliche Verschärfungen der Schutz für unsere Polizistinnen und Polizisten verbessert würde. Das machen Sie in Kenntnis der Tatsache, dass in zahlreichen Anhörungen genau dieser generalpräventive Aspekt bezogen auf Gewaltdelikte immer aufs Neue widerlegt worden ist. Statt echte Wertschätzung zu zeigen und für realen Schutz zu sorgen, wollen Sie den betroffenen Beamtinnen und Beamten und der Bevölkerung ein Placebo verkaufen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit haben wir ein Problem.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Herr Kruse – da bin ich wieder nah bei Ihnen –, wir haben natürlich ein gewisses Problem damit, dass es in anderen Bundesländern – offensichtlich der jeweiligen Mehrheits- und Machtkonstellation geschuldet – ein überraschendes Zusammenwirken von Kräften in dieser Frage gibt, das ich bis vor einigen Monaten für schier undenkbar gehalten hätte. Dass dieses Thema bei den Grünen in Hessen – ich habe eine Pressemitteilung und einen Redeausschnitt des innenpolitischen Sprechers der Grünen vorliegen – tatsächlich zu einer solchen Überhöhung der Strafverschärfung führt, hätte ich eigentlich für undenkbar gehalten. Ich glaube aber, da sind eher Sie aufgefordert, etwas dazu zu sagen, statt dass ich mir hintergründige Gedanken dazu mache.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage zu, dass wir – das ist im Koalitionsvertrag auch so angelegt; Sie haben das, was wir darin festgehalten haben, gerade schon zitiert – Ihren Antrag ernsthaft zum Anlass nehmen, darüber zu diskutieren. Wir werden uns im Ausschuss auch darüber unterhalten, was wir im Hinblick auf eine generelle Gewaltneigung machen können.

Wir werden wieder die Sachverständigen befragen, die uns empirisch belegen werden – da bin ich mir einigermaßen sicher –, dass höhere Strafandrohungen gerade bei körperlichen Übergriffen und bei Gewaltübergriffen, die oft situativ bedingt sind, leider nicht das Mittel der Wahl sind. Ich gehe ansonsten davon aus, dass auch generalpräventive Aspekte sinnvoll sein können; in diesem Fall aber sicherlich nicht.

Das hohe Strafmaß, das der hessische Entwurf vorsieht, muss auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit gestatten, vor allem, wenn man mit einem halben Jahr Freiheitsstrafe als unterem Strafrahmen einem Vorgang begegnen will, den ich nicht bagatellisieren will. Aber es ist immerhin etwas anderes, wenn man ein Ei in Richtung eines Beamten wirft, als wenn man sie körperlich unmittelbar attackiert. Da muss man doch die Betrachtung anstellen, wie sich dieser Strafrahmen zu dem aus anderen Körperverletzungsdelikten verhält. Man muss sich deshalb die Frage gefallen lassen, ob die Verhältnismäßigkeit noch gewahrt ist.

Zu all den Bedenken im Hinblick auf den generalpräventiven Aspekt kommt bei mir noch ein systematisches Bedenken hinzu. Das kann ich Ihnen als Jurist nicht ersparen. Wer versucht, sozusagen stand alone die Systematik der Körperverletzungsdelikte im Strafgesetzbuch neu aufzuarbeiten, fängt am verkehrten Ende an.

Ich freue mich auf spannende Diskussionen, die sicherlich auch einen gewissen belehrenden Aspekt haben können. Ich bin da allerdings nicht sehr zuversichtlich; denn Sie sind im Laufe von vier oder fünf Anhörungen, an die ich mich erinnere, in der Sache auch nicht schlauer geworden. Wir werden aber gern unseren Teil dazu beitragen, …

Präsidentin Carina Gödecke: Denken Sie an die Redezeit!

Hans-Willi Körfges (SPD): … dass die Polizistinnen und Polizisten in Nordrhein-Westfalen wissen:

Der Landtag in Nordrhein-Westfalen will sich mit dem Problem der zunehmenden Gewalt gegen unsere Beamtinnen und Beamte auseinandersetzen. Dabei haben Sie uns an ihrer Seite. Allerdings ist das Mittel, das Sie gewählt haben, aus meiner Sicht nicht richtig. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Lieber Hans-Willi, die Spitze möchte ich gerne aufgreifen. Es gibt Regierungskonstellationen – momentan auf Bundesebene –, wo wir uns manchmal auch fragen, warum das dazu führt, dass bestimmte Beschlüsse, die viele Landesverbände Ihrer Partei gefasst haben, einfach über Bord geworfen werden.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Das kennen wir aus NRW auch!)

Darüber tauschen wir uns aber vielleicht ein anderes Mal und auch morgen aus.

(Beifall und Heiterkeit von den GRÜNEN)

Bei einem Punkt sind der Kollege Hans-Willi Körfges und ich uns aber einig, nämlich dass Gewalt gegen Personen niemals hinnehmbar ist. Gerade für Polizeibeamtinnen und -beamte, für Feuerwehrleute und Rettungskräfte, die im Auftrag des Staates handeln, tragen wir als Abgeordnete eine besondere Verantwortung.

Die CDU hat in ihrem Antrag die Demonstrationen in Frankfurt vom März 2015 angesprochen. Hierzu will ich noch einmal sagen, dass Gewalt niemals ein legitimes Mittel politischer Auseinandersetzungen sein kann und sein darf.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Eines ist mir besonders wichtig: Polizeibeamtinnen und -beamte schützen bei Demonstrationen ein hohes Gut unserer Demokratie, und zwar die Versammlungsfreiheit. Polizeibeamtinnen und -beamte, aber natürlich auch Feuerwehrleute und Rettungskräfte schützen Menschen und retten Leben. Deshalb ist Gewalt gegen sie überhaupt nicht nachvollziehbar und niemals akzeptabel.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ja, die Anerkennung und den Respekt vor deren Arbeit gilt es zu stärken. Das gilt es auch immer wieder von politischer Seite aus deutlich zu machen. Ich glaube jedoch nicht, dass Strafrechtsverschärfungen oder die Einführung neuer Straftatbestände dazu führen, dass solche gesellschaftlichen Werte gestärkt werden. Ich meine, dass man über das Strafmaß keinen Respekt schafft und schon gar nicht Straftaten verhindert.

Gerade in diesem Bereich – da muss man vielleicht noch einmal genau hinsehen – der Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte kommt es zur Gewalt im Affekt und unter Alkoholeinfluss. Insofern ist es Symbolpolitik, die Sie hier betreiben. Denn der Straftäter oder die Straftäterin interessiert sich bei der Tat doch nicht für das Strafmaß – wahrscheinlich kennt diese Person das Strafmaß noch nicht einmal –, sondern die Tat geschieht im Affekt.

Im Übrigen will ich noch einmal darauf hinweisen, dass Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und –beamte, gegen Feuerwehrleute und Rettungskräfte wie die Gewalt gegen jede andere Person auch heute schon unter Strafe steht. Ich erinnere an die Straftatbestände der Körperverletzung, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder der Beleidigung.

Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen – das Innenministerium – hat im Jahr 2010 eine eigene Studie zum Thema „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“ in Auftrag gegeben. Diese Studie liegt mittlerweile vor. Wir haben darüber schon in den verschiedenen Gremien diskutiert.

Wir haben auch über die Handlungsempfehlungen diskutiert. Davon ist bereits einiges vom Innenministerium umgesetzt worden. Zum Beispiel gibt es mehr Informationen über Hilfs- und Beratungsangebote, wenn Polizeieinsatzkräfte nach einem gewalttätigen Übergriff traumatisiert sind. Das, finde ich, ist auch eine ganz wichtige Maßnahme: dass der Staat denjenigen Hilfe anbietet, die für den Staat tätig sind und in dieser Funktion auch zur Zielscheibe von Gewalt werden.

Eine andere Handlungsempfehlung, an der wir arbeiten müssen und die umzusetzen ist, ist zum Beispiel die stärkere Verankerung des Themas „Umgang mit Gewalt“ in der Aus- und Fortbildung.

Was ich insgesamt sagen will, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ist Folgendes: Es gibt durchaus Möglichkeiten, an diesem Thema zu arbeiten, damit umzugehen und auch Antworten zu finden, die möglicherweise ein bisschen langfristiger sind, dafür vielleicht aber auch nachhaltiger. Es gibt andere Möglichkeiten, als immer nur nach Strafverschärfungen oder neuen Straftatbeständen zu rufen. Der Kollege Hans-Willi Körfges hat es ja schon gesagt: Genau das tun Sie hier jedes Jahr erneut.

Worauf ich noch hinweisen möchte – das ist vielleicht noch ein neuer Aspekt in der Diskussion –: Ich meine, dass wir uns diese Polizeistudie auch im Hinblick darauf anschauen sollten, inwiefern wir Handlungsempfehlungen auch auf andere Bereiche – also auf Rettungskräfte und auf Feuerwehrleute – übertragen können. Das wäre mal ein neuer Aspekt in der Debatte. Da schließen wir uns gerne an, weil wir diese Diskussion führen müssen. Das werden wir dann noch im Ausschuss tun. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Wedel das Wort.

Dirk Wedel (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Polizeibeamte werden immer häufiger beleidigt, bespuckt, bedroht, angegriffen, verletzt. Respekt und Hemmschwellen sind gesunken. Gewaltsame Übergriffe auf sie – ob bei Demonstrationen, bei Fußballspielen oder im alltäglichen Polizeidienst – werden brutaler, heftiger und gezielt lebensgefährlicher. Das können wir als Demokraten nicht dulden.

Auch die FDP-Fraktion will diejenigen bestmöglich schützen, die uns beschützen: unsere Polizeibeamten. Das Ziel des Gesetzesantrags teilen wir ausdrücklich. Aber wir halten andere Wege für richtiger und zielführender als einen neuen Straftatbestand, und zwar aus folgenden Erwägungen:

Erstens. Der Gesetzesantrag gesteht in der Begründung zu, dass eine Strafbarkeitslücke für tätliche Angriffe auf Polizei- und Rettungskräfte nicht besteht. Praktisch immer vollzieht sich der tätliche Angriff in Form einer versuchten oder vollendeten Körperverletzung, kann aber zugleich Elemente des Widerstandleistens enthalten. Von den Straftatbeständen der Beleidigung über die ausdifferenzierten Tatbestände bei Körperverletzungsdelikten bis hin zu den Regelungen in Fällen versuchten Totschlags oder Mordes bietet das StGB eine erhebliche Bandbreite für eine Bestrafung, mit der nahezu jeder diskutierte Übergriff einer tat- und schuldangemessenen rechtsstaatlichen Reaktion zugeführt werden kann.

Zweitens. Der Glaube der CDU an die generalpräventive Wirkung der Erhöhung von Strafrahmen ist unerschütterlich, wird aber gerade im Falle der Gewalt gegen Polizeibeamte empirisch widerlegt. Dies belegen die ernüchternden Fakten nach der zuletzt 2011 auf Betreiben der Union erfolgten Verschärfung des § 113 StGB.

Die Zahl der Gewaltdelikte gegen Polizeivollzugsbeamte ist in Nordrhein-Westfalen von 2011 bis 2014 von ca. 6.000 auf knapp 8.000 angestiegen, also um 25 %. Die Zahl der Widerstandshandlungen gegen Polizeivollzugsbeamte ist in den letzten vier Jahren kontinuierlich von 4.645 auf 6.046 angestiegen. Die Zahl der gefährlichen Körperverletzungen gegen Polizeivollzugsbeamte betrug im Jahr 2014 ganze 540 Fälle; von 2013 auf 2014 bedeutete das einen Anstieg um gut 50 %. Auch die vorsätzliche einfache Körperverletzung gegen Polizeivollzugsbeamte ist um über 100 Fälle weiter angestiegen auf nun 587 Fälle.

Die Gleichung „härtere Strafe für tätlichen Angriff gleich weniger Gewalt gegen Polizeibeamte“ wird ebenso nicht aufgehen.

Drittens. Die in dem Entwurf des § 112 bereits im Grundtatbestand vorgesehene Mindeststrafe von sechs Monaten ist unverhältnismäßig. Herr Körfges, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie die Rede des Kollegen Greilich im Hessischen Landtag nachgelesen haben, der dort das Beispiel des Eierwurfs aufgebracht hat.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Das ist Allgemeingut!)

Unter einem tätlichen Angriff ist eine auf den Körper zielende gewaltsame Einwirkung zu verstehen. Eine Körperverletzung muss weder eintreten noch gewollt sein. Der tätliche Angriff auf Polizeibeamte und andere Rettungskräfte, der nicht zu einer Körperverletzung führt, soll also mit einer höheren Mindeststrafe belegt sein als die vollendete Körperverletzung und selbst als die gefährliche Körperverletzung des § 224 StGB, der im Gegensatz zu dem Entwurf des § 112 einen minderschweren Fall mit geringerem Strafrahmen vorsieht. Alles nur um eine Geldstrafe vollständig auszuschließen. Diesem Ziel wird alles untergeordnet, und dafür werden rechtssystematische Brüche in Kauf genommen.

In keinem Verhältnis steht der Entwurf des § 112 schließlich zum Straftatbestand der Gefangenenmeuterei in § 121 StGB, der den tätlichen Angriff von mehreren Gefangenen mit vereinten Kräften auf Anstaltsbedienstete mit einer geringeren Mindeststrafe belegt als der vorgeschlagene § 112.

Nur am Rande sei bemerkt, dass bei diesem Gesetzesantrag wohl übersehen wurde, in § 113 StGB den Abs. 2 Nr. 2 zu ändern, da es denklogisch dann dort keinen „Angegriffenen“ mehr geben kann.

Meine Damen und Herren, wir haben kein Defizit im Strafgesetzbuch, sondern in der Strafverfolgung. Beleidigungen gegen Beamte werden zu wenig verfolgt, ebenso Schadenersatzansprüche wegen zerstörter Einsatzmittel. Oft können Täter mangels ausreichender Kräfte nicht identifiziert und bestraft werden. Oft lässt der Staat dank einer überlasteten Justiz mit seiner Antwort zu lange auf sich warten, müssen aufgrund zu langer Verfahrensdauer gar geringere Strafen ausgesprochen werden. Hier muss die Politik ansetzen, anstatt neue Straftatbestände zu schaffen. Das schützt unsere Einsatzkräfte effektiver. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schatz.

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Herr Körfges, Herr Wedel, wenn man als Letzter oder fast Letzter spricht, hat man das Problem, dass sich Reden eventuell überschneiden. Bei uns wird es fast so klingen, als hätten wir uns abgesprochen. Haben wir aber nicht.

Es ist ein wichtiges Thema, das die CDU in ihrem Antrag anspricht, keine Frage. Ich persönlich halte es – das betone ich ausdrücklich – für genauso wichtig wie den umgekehrten Fall, nämlich rechtswidrige Übergriffe von Polizeibeamten. Das ist für mich kein Unterschied. Deshalb ist es aus meiner Sicht gut und wichtig, darüber zu reden und die Debatte aufrechtzuerhalten.

Schlecht ist allerdings, wie es die CDU wieder mal versucht. Wie lange ist es her, dass Sie das das letzte Mal versucht haben, bei diesem wichtigen Thema mit purer Effekthascherei einen großen öffentlichen Aufschrei zu erregen? Wir hatten das Thema erst vor Kurzem. Die Anhörung dazu ist nicht einmal ein Dreivierteljahr her, bei der Ihnen die Experten eindeutig gesagt haben, dass höhere Strafen bei diesem Thema absolut gar nichts bringen. Okay, zugegeben, Sie haben das Thema ein klein wenig abgeändert und andere Nuancen hineingebracht. Das macht es in der Sache aber nicht richtiger.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Im Gegenteil!)

Eine Sache muss ich Ihnen aber zugestehen; da hatten Sie mir bei meiner damaligen Rede zu Ihrem Antrag „Gewalt gegen Polizeibeamte ist kein Kavaliersdelikt“ anscheinend zugehört. Denn da habe ich gesagt: Ich bekomme langsam das Gefühl, dass Sie eine Art Sonderstrafrecht für Gewalt gegen Polizeibeamte wollen, weil ein Angriff gegen Polizisten Ihrer Meinung nach ein höheres Unrecht darstellt, als wenn derselbe Angriff auf einen normalen Menschen erfolgen würde. Darüber kann man sicherlich diskutieren, auch wenn man im Ergebnis anderer Meinung ist. Aber dann seien Sie wenigstens ehrlich und sprechen es offen aus!

Glückwunsch, Sie haben dazugelernt. Diesmal sprechen Sie es offen aus. Das ist auf eine Art löblich, ändert aber nichts daran, dass ich im Ergebnis anderer Meinung bin. Denn zum einen stellt diese Form der Gewalt, aus philosophischer Sicht gesprochen, für mich kein höheres Unrecht dar. Zum anderen wird das, was Sie hier fordern, aus rein sachlicher Sicht gesprochen, im Ergebnis nichts bringen. Es wird im Gegenteil vor allem die Menschen besonders schlimm treffen, die Sie mit diesem Antrag eigentlich gar nicht treffen wollen. Aber so weit denken Sie ja nicht. Hauptsache, man kann damit Stimmen fangen.

Ich möchte Ihnen gern erklären, was ich meine. Schauen wir uns dazu Ihren Antrag an! Fangen wir ganz oben an! Dort schreiben Sie direkt im ersten Satz: Eine Schneise der Verwüstung wurde gezogen. Dabei wurden 150 Polizeibeamte verletzt, einige davon schwer. 80 von ihnen wurden mit ätzendem Reizstoff attackiert.

Weiter unten im Beschlussteil heißt es:

„Reizgasangriffe, Stein- und Flaschenwürfe auf Polizeibeamte, brennende Streifenwagen und Straßenbarrikaden haben mit Demonstrationsfreiheit nichts mehr zu tun.“

Den letzten Satz kann ich genauso, wie er dort steht, unterschreiben. Und natürlich sind 150 verletzte Polizeibeamte 150 zu viel. Natürlich müssen die Täter mit allen rechtsstaatlich möglichen Mitteln zur Rechenschaft gezogen werden. Ich denke, darüber besteht im Haus überhaupt kein Dissens.

Aber Sie machen schlichtweg einen groben sachlichen Fehler, wenn Sie diese schwerwiegenden Szenarien, die Sie in Ihrem Antrag zitieren, mit dem Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs in Verbindung bringen. Das ist einfach nur fahrlässig. Denn die Täter, die das gemacht haben, was Sie in Ihrem Antrag beschreiben, werden auch heute schon schwer genug bestraft – völlig zu Recht. Vor allem muss es dafür, dass ein tätlicher Angriff im Sinne des Strafgesetzbuches vorliegt, nicht einmal im Ansatz so weit kommen, wie Sie es in Ihrem Antrag beschreiben. Diesen Fehler machen Sie in Ihrem Antrag.

Wissen Sie eigentlich, was ein tätlicher Angriff ist? Es wurde gerade schon mehrfach erwähnt. In Ihrem Antrag definieren Sie das zumindest teilweise, aber nur so weit, wie es Ihren Zwecken dient. Den wichtigen Teil lassen Sie weg.

Unter einem tätlichen Angriff versteht man nämlich jede in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung. – Jetzt der wichtige Teil, den Herr Wedel gerade schon erwähnt hat: Zu einer Körperberührung oder einem Verletzungserfolg muss es dabei nicht kommen.

Überlegen wir doch mal, was das in der Praxis bedeuten wird. Nehmen wir mal an, ich komme in eine Situation mit einem Polizeibeamten und mache dann – aus welchen Gründen auch immer – eine abwehrende Armbewegung: beispielsweise so.

(Der Redner macht eine Bewegung mit dem Arm.)

Ich verletze den Beamten dabei nicht, ich berühre ihn nicht einmal. Die Bewegung ist aber schon ganz gezielt gegen den Beamten gerichtet. Dass ich das mache, mag in dieser Situation vielleicht falsch sein, das mag vielleicht sogar strafrechtlich relevant sein, keine Frage. Aber jetzt überlegen Sie mal ganz genau: Wollen Sie einen Menschen tatsächlich für eine solche Bewegung, ohne dass er dabei jemanden verletzt oder gar berührt hat, für ein halbes Jahr ins Gefängnis stecken?

Das ist nur ein Beispiel. Herr Körfges hat gerade ein anderes Beispiel genannt. Ich denke, die Realität wird noch eine Fülle weiterer Beispiele hervorbringen, die die Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme zum Vorschein bringen.

Wenn das Ihrem Rechtsstaatverständnis entspricht, einen Menschen wegen derart lapidarer Dinge – das möchte ich mit diesem Begriff nicht verharmlosen – für ein halbes Jahr der Freiheit zu berauben, dann habe ich, ehrlich gesagt, keine Ahnung, was Sie in diesem Hause machen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Körfges konnte sich gerade an sechs ähnliche CDU-Initiativen zu diesem Thema erinnern. Ich komme nicht auf ganz so viele, habe allerdings nur die letzten fünf Jahre zurückgerechnet und bin auf vier Initiativen gekommen. Bei keinem Ihrer vergangenen Anträge, lieber Herr Kruse, konnten Sie bislang punkten.

(Zuruf von Dagmar Hanses [GRÜNE] und Josef Hovenjürgen [CDU])

Es ist gerade schon mehrfach angesprochen worden: Die Ergebnisse der Sachverständigenanhörung zu derartigen Initiativen waren für Sie verheerend. Jetzt wollen Sie sozusagen als Trittbrettfahrer auf einen hessischen Zug aufspringen, indem Sie uns nahelegen wollen, diese Gesetzesinitiative aus Hessen zu unterstützen.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich finde es nicht schlecht, wenn wir uns hier im Landtag häufiger zu dem Thema „Gewaltexzesse gegen Polizeibeamtinnen und ?beamte oder Rettungskräfte“ unterhalten. Das ist gut und richtig. Das ist ein bitteres Thema, das uns alle tief besorgt und betrübt. Der Schutz der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, aber auch der Rettungskräfte und Feuerwehrmenschen vor Gewalt und deren Folgen hat auch für die Landesregierung höchste Priorität. Deswegen bin ich für jeden sinnvollen Vorschlag dankbar, der hier Hilfe schaffen kann. Ich bin allerdings mehr als skeptisch, dass der reine Ruf nach Strafverschärfung deutliche Erfolge bringen wird.

Lassen Sie mich die hessische Gesetzesinitiative zum besseren Verständnis ganz kurz erläutern! Im Wesentlichen schlägt das Bundesland Hessen die Schaffung eines neuen Straftatbestandes, eines § 112 des Strafgesetzbuchs, vor. Diese Strafvorschrift sieht einen Mindeststrafrahmen von sechs Monaten bis hin zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vor – unabhängig von der Durchführung einer Vollstreckungshandlung. Für besonders schwere Fälle sollen sogar zehn Jahre Freiheitsstrafe möglich sein. Entsprechende Regelungen sollen nicht nur für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, sondern auch für Rettungskräfte gelten.

Der wesentliche Unterschied zum bislang geltenden § 113 Strafgesetzbuch ist, dass die neue Vorschrift keine Tathandlung mehr im Zusammenhang mit einer Vollstreckungshandlung des Beamten voraussetzt, sondern künftig soll es genügen, dass der Angriff durch den Dienst motiviert ist und der Polizeibeamte innerhalb oder außerhalb des Dienstes als Symbol des Staates angegriffen wird.

In der Entwurfsbegründung betont das Bundesland Hessen, dass der Zweck der neuen Strafbestimmung nicht vorrangig die Pönalisierung bislang straffreier Handlungsweisen sei. Es gehe – ich zitiere –

„hauptsächlich darum, angemessene staatliche Reaktionen in Fällen zu ermöglichen, in denen sich diejenigen, die für die Sicherheit und das Wohlbehalten der Bevölkerung eintreten, gerade aus diesem Grunde tätlichen Angriffen ausgesetzt sehen.“

Aber bereits nach dem geltenden Recht, meine Damen und Herren, steht insbesondere in § 113 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – für Körperverletzungstatbestände ein umfangreiches strafrechtliches Instrumentarium zur Ahndung solcher Übergriffe zur Verfügung. Das stellt Hessen auch in seinem Gesetzentwurf überhaupt nicht in Abrede.

Dieser Entwurf zielt vielmehr darauf ab – ich zitiere hier wieder aus der Begründung – „angemessene staatliche Reaktionen in Fällen zu ermöglichen“, in denen Polizeibeamte als solche angegriffen werden. Es wird damit suggeriert, das geltende Recht stelle nur unzureichende Sanktionsmöglichkeiten bereit.

Das, meine Damen und Herren, trifft aber nicht zu. Die allgemeinen Strafzumessungsregeln, bei denen unter anderem auch die Tatmotivation zu berücksichtigen ist, gelten selbstverständlich auch in diesem Deliktsbereich. Außerdem ist nicht ersichtlich – das wird von Hessen auch gar nicht behauptet –, dass die derzeitige Strafverfolgungs- und Verurteilungspraxis unangemessen wäre.

Ich betone noch einmal: Ich bin für jeden Vorschlag zur Bekämpfung von gewaltsamen Übergriffen dankbar, der uns in der Sache weiterbringen wird. Dieser Vorschlag scheint es jedoch nicht zu sein.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kruse zulassen?

Thomas Kutschaty, Justizminister: Ja, gerne.

Theo Kruse (CDU): Herr Minister Kutschaty, da durchaus die Aussicht besteht, dass unser Antrag im federführenden Ausschuss keine Mehrheit erfährt, wir uns aber angesichts der Wortbeiträge und auch aufgrund Ihrer Ausführungen doch in der Beschreibung des Problems einig sind, frage ich Sie: Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen? An welche Maßnahmen oder Initiativen denkt Ihr Haus bzw. die Landesregierung insgesamt, um dem seit Jahren dramatisch gestiegenen Problem nun endlich Rechnung zu tragen und Gewalt gegen Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte ernsthaft anzugehen und zu bekämpfen? Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte schön.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Vielen Dank, Herr Kruse. Das steht in meinem Redetext hinten. Darauf komme ich im weiteren Verlauf meiner Rede zurück.

Lassen Sie mich zum weiteren Verfahren noch einmal darstellen, dass im Bundesrat neben dem hessischen Gesetzentwurf auch eine Initiative aus dem Saarland vorliegt. Wir haben uns, glaube ich, sowohl im Innenausschuss als auch im Rechtsausschuss des Bundesrates sehr klug darauf verständigt, diese Initiativen nicht sofort abzustimmen, sondern noch einmal ausführlich und sehr detailliert weiter zu beraten und zu erörtern.

Just in diesen Tagen, nämlich heute beginnend, beschäftigt sich auch die Innenministerkonferenz mit genau diesem Thema. Eine wesentliche Aufgabe der Innenministerkonferenz wird sein, genau zu überprüfen, welche Veränderungen es seit dem Jahre 2011 gegeben hat. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass wir schon im Jahr 2011 eine deutliche Strafverschärfung bei § 113 vorgenommen haben. Ganz offensichtlich – wie gerade mehrfach anhand der Fallzahlen zitiert worden ist – hat diese bloße Strafverschärfung nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Deswegen ist es gut, dass wir hier keine gesetzgeberischen Schnellschüsse vornehmen, sondern dass auch die Innenministerkonferenz diese Diskussion weiterführen wird.

Gewalt, meine Damen und Herren, kann meiner Überzeugung nach – jetzt komme ich auch zu Ihnen, lieber Herr Kruse – nicht durch bloße Änderungen des Strafrechts wirksam reduziert werden. Die Strafverschärfung als Allheilmittel zu propagieren, bedeutet, glaube ich, erfolgversprechende Lösungsansätze außer Acht zu lassen, sie zumindest in den Hintergrund drängen zu lassen.

Wir müssen hier ganz entscheidend Präventionsarbeit leisten. Dazu gehört auch, dass wir unsere Polizei so ausrüsten und vorbereiten, dass sie tätlichen Angriffen bestmöglich begegnen kann. Hierzu hat die Landesregierung schon eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, die wir alle hier schon erörtert haben und die wir gerne auch in den weiteren Fachberatungen im Innen- und im Rechtsausschuss noch einmal diskutieren können.

Insgesamt gilt es, die Ursachen und Bedingungen für den Ausbruch von Gewalt zu verändern. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nur in einem langfristigen Prozess auch nachhaltig zu erreichen. Die Landesregierung wird ihre bisherigen umfangreichen Bemühungen zur Reduzierung von Gewalt auch unter diesem Gesichtspunkt konsequent weiter fortführen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich möchte darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um eine Minute und 33 Sekunden überschritten hat. – Ich sehe aber keine weiteren Wortmeldungen.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/8979 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Rechtsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

6   Überwachungsgesamtrechnung vorlegen: Transparenz über Situation der Freiheiten in unserer Gesellschaft schaffen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/8976

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Piraten dem Kollegen Herrmann das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Ganz herzlichen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Am vergangenen Samstag bei der Pressekonferenz nach dem Parteikonvent der SPD hat Sigmar Gabriel gesagt, dass es in der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung seit Jahren keine neuen Argumente gibt. Wahrscheinlich meinte er, was die Gegner einer Vorratsdatenspeicherung schon immer gesagt haben, dass für ein Gefühl der Sicherheit die Überwachung der gesamten Bevölkerung nicht akzeptabel ist, und dass die Befürworter sagen: Wir machen es trotzdem.

Wenn er das aber tatsächlich so meinte, dass es keine neuen Argumente gibt, ist festzustellen, dass dann ja wohl auch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 die Vorratsdatenspeicherung auf Basis der alten, bestehenden Argumente für verfassungswidrig erklärt hat. Auch der Europäische Gerichtshof hat im letzten Jahr auf Basis eben dieser Argumente die EU-Richtlinie für nichtig – weil nicht mit der Grundrechtscharta vereinbar – erklärt.

Wie vermessen ist dann eigentlich der Parteivorsitzende, wenn er sagt: „Wir machen es trotzdem“? Immerhin 40 % der anwesenden SPD-Mitglieder wollten dem nicht folgen; aber eine knappe Mehrheit unterstützte den Vorsitzenden und seine eigentümliche Interpretation der Rechtsprechung zu deutschen und europäischen Grund- und Bürgerrechten.

Was ist das für eine Partei, die Willy Brandt als ihren Ehrenvorsitzenden hat? Das ist schon bemerkenswert. Willy Brandt hat 1987 nämlich gesagt: Deutsche Sozialdemokraten dürfen Kränkungen der Freiheit nie und nimmer hinnehmen. Im Zweifel für die Freiheit!

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Im Zweifel für die Freiheit, ja. Und genau deswegen darf es keine Vorratsdatenspeicherung geben.

Aber natürlich gibt es auch neue Argumente gegen die Vorratsdatenspeicherung. Seit der letzten Debatte gab es zahlreiche Studien und Untersuchungen, zur Aufklärungsquote und zum Nutzen bei der Strafverfolgung zum Beispiel. Die Ergebnisse: Vorratsdatenspeicherung ist nicht notwendig, nicht verhältnismäßig.

Noch etwas anderes ist wichtig. In den letzten zehn Jahren hat sich das Telefon zum Smartphone entwickelt, zum ständigen Begleiter beinahe jedes Menschen. Das heißt auch, dass die Aufzeichnung der Kontakte und Verbindungsdaten dieser Smartphones ein ungleich schwerwiegenderer Eingriff in die Lebens- und Privatsphäre der Menschen ist.

Durch die Digitalisierung vieler anderer Abläufe in unserem Arbeits- und Lebensumfeld fallen viele weitere persönliche und nicht persönliche Daten an. Die Vorratsdatenspeicherung existiert somit nicht im luftleeren Raum, sondern tritt in Verbindung mit anderen Datensammlungen.

Das hat das Bundesverfassungsgericht schon vorausgesehen, als es das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2010 gekippt hat. Denn im Urteil hat es in der Randnummer 208 eine klare Pflicht für den Gesetzgeber formuliert: Staatliche Datensammlungen sind in Grenzen zu halten. Staatliche Datensammlungen müssen eine Ausnahme sein und dürfen nicht die Regel darstellen. Schon bei der Planung neuer Datensammlungen muss der Gesetzgeber eine Überwachungsgesamtrechnung, eine Gesamtschau der bestehenden Instrumente, vornehmen: Wo speichert der Staat Daten der Bürgerinnen und Bürger? In welchem Ausmaß? Für wie lange? Wer kontrolliert wie häufig, dass die Datensammler richtig speichern, verarbeiten und löschen?

Das gilt eben nicht für das einzelne Gesetz bzw. die einzelne Maßnahme, sondern im Kontext mit anderen bestehenden Gesetzen. Das ist es, was heute notwendig ist.

Bislang ist keine Regierung, weder die Bundesregierung noch die nordrhein-westfälische Landesregierung, dieser Pflicht nachgekommen. Eine Überwachungsgesamtrechnung, wie die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Gesamtübersicht an Datensammelmaßnahmen auch genannt wird, hat es noch nicht gegeben. Diese Übersicht brauchen wir aber, und zwar auch im Hinblick auf die weitere technische Entwicklung, auch hier in Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel im Hinblick auf die Digitalisierung der Polizeiarbeit.

Freiheit ist der Normalzustand, und jede einzelne Maßnahme, die die Freiheit einschränkt, muss sorgfältig geprüft und bewertet werden. Dann muss die vorgeschlagene Maßnahme im Kontext aller Maßnahmen betrachtet werden. Genau hier setzt unser Antrag an.

Lassen Sie uns gemeinsam Transparenz über die Datensammlungen auf EU-, bundes- und landespolitischer Ebene herstellen. Wir Piraten denken zwar schon seit Langem, das Maß ist voll, aber unsere und Ihre Bewertungen können wir auf Grundlage einer umfassenden Auswertung der bestehenden Überwachungs- und Datensammelinstrumente gerne zusammenführen. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege van den Berg.

Guido van den Berg (SPD):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Herrmann, vielen Dank. Es ist mitnichten so, dass ein SPD-Parteikonvent auf dem Niveau diskutiert, das Sie uns gerade dargeboten haben.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Nein, schlimmer!)

Da können Sie sicher sein. Ebenso können Sie sich sicher sein, dass sich Sozialdemokraten höchste Mühe geben, die Werte unserer Gesellschaft im Wege der Abwägung zu einem Ausgleich zu bringen. Das können Sie allein schon am Stimmergebnis dieses Konvents ablesen.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Ja, genau! Sie haben dafür gestimmt!)

Sie machen es sich einfach und tun so, als ob der Wert der informationellen Selbstbestimmung und des Datenschutzes alle anderen Grundrechte in unserem Land überlagern würde. Das ist mitnichten der Fall, und damit würden Sie auch das Bundesverfassungsgericht völlig falsch zitieren. Das sei an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit gesagt, lieber Herr Hermann.

(Marc Lürbke [FDP]: Wer macht es sich denn einfach?)

Meine Damen und Herren, Sie haben weniger Redezeit auf Ihren eigenen Antrag verwendet, der eine Überwachungsgesamtrechnung fordert.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Genau!)

Dieser ist der Volkswirtschaft entlehnt, in der es eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung gibt. Wenn man sich einmal anschaut, wie diese definiert ist, liest man, dass sie das Ziel verfolgt, das Wirtschaftsgeschehen in einer Volkswirtschaft für einen zurückliegenden und daher abgeschlossenen Zeitraum – und jetzt passen Sie auf – quantitativ möglichst umfassend zu beschreiben.

Ist das eigentlich die Aufgabe? Sie rufen jetzt sicher „Ja“. Ich glaube, nicht. Es geht vielmehr um eine qualitative Betrachtung und nicht um eine quantitative.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Auch die ist manchmal sehr wichtig! Beides: qualitativ und quantitativ!)

Darum geht es, und das hat das Bundesverfassungsgericht übrigens sehr deutlich gesagt.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Beides!)

– Glauben Sie, es bringt irgendeinen Mehrwert, über Megabits zu rechnen? Soll die Landesverwaltung in ihrer Breite auflisten, wo Megabits erhoben werden? Ist dann eine Megabit-Zahl X schlimmer als die andere Y? – Das ist doch Unfug.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Sie verrennen sich gerade, Herr Kollege!)

Es geht vielmehr um eine qualitative Abwägung von Rechtsgütern. Da muss man sich hinbewegen.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Ja, genau! Und die nennt man schon mal Rechnung, Herr Kollege!)

So einfach kann man es sich nicht machen, lieber Herr Paul.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Qualität auch eingefordert. Es hat deutlich gemacht, dass es darum geht, die Grundrechte des Datenschutzes nicht über andere Grundrechte zu setzen. Wenn es um Freiheit, um Leben, um körperliche Unversehrtheit und auch um die sexuelle Selbstbestimmung von Menschen geht, dann ist es möglich, auch das Grundrecht des Datenschutzes einzuschränken. Das ist die geltende Rechtsprechung und ganz klare Kommentarlage des Bundesverfassungsgerichts.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Wenn es insgesamt nicht zu viel ist!)

Darüber gehen Sie einfach immer hinweg. Aber das ist das Kernproblem an dieser Sache.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Wenn es insgesamt nicht zu viel ist!)

Ich sage Ihnen, was mich noch stört: Nur so zu tun, als sei in der ganzen Frage von Digitalisierung und Veränderung unserer Gesellschaft einzig und allein der Staat das Problem, ist eine absolute Reduzierung der Problemlage.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das hat keiner von uns gesagt!)

Sie wissen hundertprozentig – auch Sie, lieber Herr Paul –, dass BND, NSA und andere bei Weitem nicht so viele Daten sammeln wie Facebook, Google und andere Unternehmen auf diesem Erdball, und dass wir uns diesen Aufgaben stellen müssen.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Haben Sie mal Nachrichten geguckt in der Zeit?)

Ich habe, ehrlich gesagt, immer die Hoffnung gehabt – auch, als Sie in dieses Parlament einzogen –, dass Sie mehr Kompetenz in dem Themenfeld mitbringen würden und uns hier vielleicht auch mehr Anregungen geben würden. Aber da kommt doch nichts!

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Richtig, wir wissen nämlich, dass bei Facebook die NSA eine Hintertür hat! Wenn der eine sammelt, sammelt der andere gleich mit!)

Stattdessen formulieren Sie den hundertsten Antrag zum Thema „Vorratsdatenspeicherung“ und erfinden nur immer eine andere Überschrift. Das ist doch die Wahrheit, und das ist das, was mich ärgert.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: In Zusammenhängen denken bereichert!)

Meine Damen und Herren, ich glaube, so einfach kann man es sich bei diesem Thema nicht machen.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Wer es sich einfach macht, das sind Sie!)

Sie versuchen immer, einen neuen Anlass zu finden, darüber zu diskutieren.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Weil es immer neue Anlässe gibt! Das ist ja das Schlimme!)

Ich kann das durchaus nachvollziehen. Gucken Sie sich an, was das Bundesverfassungsgericht in dem von Ihnen zitierten Urteil gesagt hat. Es hat gar nicht die Landesebene angesprochen, sondern den Gesetzgeber im Deutschen Bundestag.

Jetzt formulieren Sie das um und tun so, als ob es ein landespolitisches Thema sei, mit dem wir uns an dieser Stelle befassen müssen.

Ich sage Ihnen deutlich: Unsere Aufgabe kann man sehr klar beschreiben. Bei jedem neuen Gesetzesakt, der angegangen wird, auch hier in Nordrhein-Westfalen, fließen regelmäßig Überlegungen ein, was verhältnismäßig ist.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Genau!)

Dieser Aufgabe müssen wir uns vor jeder neuen Gesetzesinitiative neu stellen. Aber aus Ihren Reihen kommt immer verhältnismäßig wenig.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Warten Sie mal ab! Meldegesetz zum Beispiel! – Dirk Schatz [PIRATEN]: Wir machen das aus dem Bauch raus!)

Das ist die wahre Antwort auf die Frage, wo diese Abwägung stattfinden muss. Stattdessen jetzt populistisch zu sagen, ich setze einen neuen Begriff in die Welt, und die gesamte Landesverwaltung soll die Megabits sammeln und ein Riesenbürokratiemonster aufbauen – diesen Weg gehen wir nicht mit Ihnen.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Sie sammeln ja sowieso schon! Das ist ja das Problem! Sie müssen ja nur auswerten!)

Wir werden uns qualitativ mit dem Thema befassen und nicht einfach so einen Popanz aufbauen. Das sage ich Ihnen.

Wir freuen uns auf die Überweisung in den Innenausschuss,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Und ich freue mich auf eine qualitative Auseinandersetzung!)

aber ich kann Ihnen schon verraten: Sie werden mit dieser Art, Politik zu machen, wenig Erfolg haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Theo Kruse.

Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ausdrücklich loben möchte ich dem Grunde nach die Ausführungen meines unmittelbaren Vorredners, die ich in weiten Teilen nachvollziehen kann und anerkennen möchte.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Große Koalition, super! – Lachen von den PIRATEN – Zuruf von den PIRATEN: Die GroKo steht!)

Ich möchte allerdings zu dem vorgegebenen Antrag der Piraten reden. Das ist das Thema dieses Tagesordnungspunktes. Zur Vorratsdatenspeicherung kommen wir morgen früh noch.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Kooperation des Bundesnachrichtendienstes mit dem US-Geheimdienst NSA ist in den letzten Monaten von vielen Politikern, vor allen Dingen aus dem links-grünen, aber auch aus dem Piratenspektrum scharf kritisiert worden. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vor wenigen Tagen, am 18. Juni, unter Berufung auf eine aktuelle Umfrage des Allensbach-Instituts berichtete, geht diese Kritik am Geheimdienst allerdings am Empfinden der Bevölkerung meilenweit vorbei.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Frank Herrmann [PIRATEN]: Ach ja? Welche Bevölkerung haben Sie denn befragt?)

78 % der Befragten erachten Geheimdienste demnach als wichtig für den Landesschutz. Weitere 70 % finden zudem die konkrete Zusammenarbeit zwischen deutschen und amerikanischen Geheimdiensten ausgesprochen richtig. Und 64 %, also immerhin knapp zwei Drittel der Befragten, sind der Auffassung, dass Deutschland auf diesem Gebiet zwingend auf die Kooperation mit den Vereinigten Staaten angewiesen sei.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Ei, ei, ei!)

Diese Zahlen belegen sehr deutlich: Die Deutschen halten geheime Dienste, die Daten sammeln, ganz offensichtlich für notwendig. Im Übrigen: Es sind geheime Dienste. Die tagen und arbeiten geheim. Sonst wären es ja öffentliche Dienste.

(Heiterkeit – Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Und wie die arbeiten, das wissen wir in Nordrhein-Westfalen.

(Heiterkeit – Matthi Bolte [GRÜNE]: Da haben Sie sich ja richtig Gedanken gemacht!)

– Das sage ich Ihnen. – Sie wissen, dass das Sammeln von Informationen noch keine Folter ist. Dass der Staat bestimmte Daten nicht aus Langeweile sammelt, sondern weil er sie schlicht und ergreifend benötigt, um schwerste Straftaten und verfassungsfeindliche Bestrebungen zu bekämpfen – dieses Gefahrenbewusstsein, verehrte Kolleginnen und Kollegen, und nüchterne Einsicht in bestehende Realitäten fehlt leider den Vertretern der Piratenfraktion in diesem Hause,

(Lachen von Frank Herrmann [PIRATEN])

die im vorliegenden Antrag erneut das Zerrbild eines Unterdrückungsstaates

(Frank Herrmann [PIRATEN]: „Überwachung“, nicht „Unterdrückung“! – Dirk Schatz [PIRATEN]: Das ist ein Unterschied!)

an die Wand malen, der seine Bürger mit den vielfältigen Überwachungsmaßnahmen drangsaliert

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Ja, auf Demos! Genau!)

und dringend gestoppt werden muss, weil sich sonst niemand mehr traut, auf die Straße zu gehen, geschweige denn, das Handy oder das Internet zu benutzten.

Um es klar zu sagen: Diese Befürchtung, die in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt, ist realitätsfremd.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Nein!)

Selbstverständlich ist sich die große Mehrheit in diesem Hause einig, dass Nachrichtendienste an das Recht gebunden sind und einer wirksamen Kontrolle bedürfen. Ebenso selbstverständlich muss es sein, dass es in einem Rechtsstaat kein Gremium geben darf, das nicht legitimiert ist und ein Eigenleben entwickelt. Parlamentarische Kontrolle ist unabdingbar.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das sehen wir ja gerade!)

Die wahre Bedrohung für unsere Daten und für grundrechtlich geschützte Freiheiten – das verkennen die Piraten in ihrem vorliegenden Antrag leider völlig – geht aber gerade aus unserer und aus meiner Sicht nicht von deutschen Sicherheitsbehörden oder befreundeten amerikanischen Diensten aus, sondern von der Spionagetätigkeit chinesischer oder russischer Geheimdienste.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Ach so!)

Ich erinnere dazu nur an den kürzlich erfolgten Hackerangriff auf den Bundestag, der aktuell untersucht wird.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wo kommt der denn her?)

Geradezu absurd ist der Versuch der Piraten, erneut am Beispiel der Vorratsdatenspeicherung den Eindruck zu erwecken, dass der deutsche Staat seine Bürger unter einen Generalverdacht stelle.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, …

Theo Kruse (CDU): Denn zum einen sammelt der Staat Daten ja gerade nicht.

(Zurufe von den PIRATEN)

Er verpflichtet lediglich private Telekommunikationsanbieter dazu, sie für einen bestimmten Zeitraum aufzubewahren und sie den Ermittlungsbehörden zur Aufklärung schwerster Straftaten auf richterliche Anordnung – erst dann! – zur Verfügung zu stellen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Oder auf einfache Anfrage geht es auch!)

Zum anderen stellt der Staat seine …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, …

Theo Kruse (CDU): Nein, Herr Präsident, ich möchte meine Gedanken zum Ende führen, weil das alles in einem Zusammenhang steht. Ich lasse dann am Ende gern eine Nachfrage zu.

Zum anderen stellt der Staat seine Einwohner ja auch nicht unter einen Generalverdacht, bloß weil er sie gesetzlich dazu verpflichtet, sich an ihrem Wohnsitz an- oder abzumelden, oder weil er die Daten aller Fahrzeughalter speichert.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Bei An- und Abmeldung ist das kein Problem, bei Benutzung schon! – Dirk Schatz [PIRATEN]: Freiwillige Abgabe oder eben nicht, wie ich zum Beispiel! Das ist der Unterschied!)

Gar nicht angesprochen wurde aus meiner Sicht der Umgang mit persönlichen Daten durch Konzerne wie Facebook, die ihre Nutzer in dieser Hinsicht nämlich geradezu rechtlos stellen – im Vergleich zu den staatlichen Stellen im Übrigen. All dies, verehrte Kollegen der Piratenfraktion, spielt in Ihrem Antrag überhaupt keine Rolle.

Die CDU-Fraktion wird Sie in Ihrem Antrag nicht unterstützen. Gleichwohl freuen wir uns natürlich auf die weiteren Ausführungen und Beratungen im entsprechenden Ausschuss und können der Überweisungsempfehlung ausdrücklich zustimmen.

(Zuruf von Frank Herrmann [PIRATEN])

Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Die Redezeit ist deutlich überschritten. Der Redner hat das Pult verlassen. Ich habe keine Möglichkeit mehr, die Frage zuzulassen. Vielleicht können Sie das gleich noch klären. – Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Kollege Kruse hat es gerade schon angesprochen: Über die Vorratsdatenspeicherung debattieren wir morgen. Das muss auch nicht Schwerpunkt dieser Debatte sein. Gleichwohl wissen Sie alle, dass ich den Beschluss des SPD-Parteikonvents für falsch halte. Aber darauf können wir uns ja morgen konzentrieren.

Ich hatte mich bei diesem Antrag eigentlich auf eine schöne akademische Diskussion gefreut. Sie haben ihn ja sogar mit Fußnoten aus der NJW unterlegt. Das Thema ist durchaus interessant. Aber Kollege Herrmann hat jetzt doch nur über Vorratsdatenspeicherung geredet. Das ist eigentlich ein bisschen schade, passt aber dazu, dass ich mir aufgrund Ihrer Argumentation nicht ganz sicher bin, ob die Komplexität dessen, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil mit dieser Überwachungsgesamtrechnung meint und einfordert, bei Ihnen so recht angekommen ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung festgestellt: „Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland.“

Das Verfassungsgericht hat vor diesem Hintergrund zu Recht eingefordert, dass ein Gesetzgeber, wenn er ein neues Sicherheitsgesetz einbringt oder wenn er an Sicherheitsgesetzen Veränderungen vornimmt, eine Gesamtabwägung zwischen etwaigen neuen und bereits vorhandenen Grundrechtseingriffen erstellen muss. Das ist völlig klar, denn das ist gängige Staatspraxis. Das ist vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen.

Ich will aus den Zwischenrufen, die wir hier ausgetauscht haben, eines gerne aufnehmen:

Das ist auch eine hochpolitische Frage, und das ist keine Frage, die man nur in einen wissenschaftlichen Forschungsauftrag packen und dann akademisch beantworten kann.

Ihr Antrag aber will genau das. Sie wollen eine politische Frage in einen Forschungsauftrag verpacken und dann an die Wissenschaft delegieren.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wir müssen erst die Wissenschaft sammeln lassen und es dann politisch bewerten!)

Ihr Antrag liest sich so, dass Sie sich vorstellen: Am Ende des Tages wickelt sich der Justizminister eine Kellnerschürze um und legt Ihnen eine schwarze Kladde auf den Tisch, in der dann die Überwachungsgesamtrechnung enthalten ist. Das ist das, was in Ihrem Antrag steht.

Sie sagen auch nicht, welchen Mehrwert das haben soll. Das wird in Ihrem Antrag nicht erläutert. Sie sagen auch nicht, unter welchen Prämissen eine solche Forschungsarbeit stattfinden soll. Ist denn eine stille SMS einen Punkt in der Rechnung wert, eine TKÜ 100 Punkte, eine Videoüberwachung 80 Punkte in der Rechnung wert? Bei einer korrekten Kennzeichnung werden dann zehn Punkte gutgeschrieben? Und was soll eigentlich ein wissenschaftlich objektiviertes Überwachungsgesamtbudget sein? – Das zeigt doch ein Stück weit die Absurdität dessen, was Sie uns hier vorlegen, nämlich eine solche politische Frage verwissenschaftlichen zu wollen. Es ist eine politische Frage, die wir hier stellen und die wir auch politisch beantworten müssen.

Herr Kollege Herrmann, vergegenwärtigen Sie sich einmal, dass jede und jeder von uns eine andere Gesamtrechnung aufmachen wird. Für Sie und für mich ist die ausufernde Videoüberwachung ein großes Ärgernis, für einige Kollegen von der CDU hingegen – wenn Sie sich an die Debatten im Innenausschuss erinnern – ist sie ein Hochgenuss.

Stellen Sie sich doch einmal vor, diese Kollegen, mit denen wir es im Innenausschuss immer zu tun haben, kommen am Ende des Monats zu dem Ergebnis, dass in diesem Überwachungsgesamtbudget noch ein bisschen Spielraum ist zu dem, was gerade noch rechtsstaatlich erträglich ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass den konservativen Sicherheitsfanatikern ziemlich schnell noch etwas einfällt, wo man noch ein paar mehr Freiheitseinschränkungen vornehmen kann.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wir sind zuversichtlich, dass da kein Platz mehr ist! – Weiterer Zuruf von den PIRATEN: Vielleicht kommt auch heraus, dass kein Platz mehr ist!)

Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Antrag der Piratenfraktion nicht verhohnepiepeln, aber was Sie einfordern, ist, eine politische Selbstverständlichkeit mit akademischen Mitteln anzugehen. Der Gesetzgeber nimmt in jedem einzelnen Gesetzgebungsvorhaben eine Abwägung vor,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Dann sollten wir das öffentlich machen!)

ob ein Mehr an Grundrechtseingriffen gegenüber dem Sicherheitsgewinn verantwortbar und gerechtfertigt ist oder nicht.

Insofern ist es einfach nicht möglich, unabhängig von einem konkreten Gesetzgebungsvorhaben eine Überwachungsgesamtrechnung aufzumachen. Ich habe es auch nie so verstanden, dass das Bundesverfassungsgericht das gefordert hätte. Es ist eine Abwägung dessen, was tatsächlich an Eingriffen in Grundrechte, an Eingriffen in Freiheitsrechte passiert. Das ist mit der Überwachungsgesamtrechnung gemeint. Es ist aber keine einzelne Studie, eine losgelöste Aufsummierung von Überwachungsmaßnahmen gemeint.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine Gesamtrechnung kann immer nur im Kontext eines konkreten Gesetzgebungsvorhabens zu belastbaren Abwägungsergebnissen führen.

Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich halte sehr viel von der Evaluierung bestehender Gesetze unter wissenschaftlichen Standards. Das ist vernünftig, wenn es auf ein konkretes Gesetz, auf ein konkretes Vorhaben bezogen ist. Dann macht das auch Sinn, und deswegen machen wir das ja auch. Wir haben eine Evaluierung in das Verfassungsschutzgesetz aufgenommen, wir haben sie in die §§ 15a, 20a und 20b Polizeigesetz aufgenommen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit.

Matthi Bolte (GRÜNE): In diesen Bereichen hat Rot-Grün auch die Befugnisse jeweils klarer gefasst, beschränkt und transparenter gemacht. Das war richtig so, und deswegen freue ich mich darauf, mit Ihnen im Ausschuss darüber noch einmal zu sprechen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Herrmann, ich bin da ganz bei Ihnen. Die Überwachungsgesamtrechnung fällt schlecht aus, sowohl von Schwarz-Rot im Bund als auch von der Landesregierung hier in Nordrhein-Westfalen. Und in den letzten Jahren wurden auf allen politischen Ebenen staatliche Datensammlungen eingeführt, die direkten negativen Einfluss auf die Freiheitswahrnehmungen der Bürgerinnen und Bürger haben.

Da bringt die schwarz-rote Bundesregierung auf der einen Seite eine verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung auf den Weg und legt auf der anderen Seite beispielsweise der Stiftung Datenschutz trotz der jüngsten Datenskandale aus ideologischen Gründen zunehmend Steine in den Weg. Die Unabhängigkeit der Stiftung soll ja laut Koalitionsvereinbarung aufgegeben werden. Der Haushaltsmittelansatz im Bund wurde vollständig gestrichen. Meine Damen und Herren, so schadet man dann dem Datenschutz in diesem Land.

Schauen wir nach Nordrhein-Westfalen: Auch hier sind die letzten Aufrechten, Anständigen in der SPD beim Thema „Datenschutz“ und „Vorratsdatenspeicherung“ verstummt. Da wird sich lieber brav eingereiht.

Auch bei den Grünen bleibt es mehr bei warmen Worten anstatt dass Taten in diesem Bereich erfolgen würden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Fakt ist doch: Anlasslose Überwachung ist Gift für die Freiheit.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Für einen Lebensraum der Freiheit – darum geht es auch in dem Antrag – ist es nicht nur erheblich, wie gefährlich einzelne schädliche Einflüsse für sich genommen sind, sondern es geht darum, ob gerade in der Summe, also quasi kumulativ, die Existenz der Freiheit bedroht ist und wir am Ende vielleicht Zustände bekommen, bei denen mit Sicherheit feststeht, dass unsere Freiheit vielleicht längst so gar nicht mehr existiert.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bolte zulassen?

Marc Lürbke (FDP): Ja, aber natürlich.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Matthi Bolte (GRÜNE): Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. Ganz herzlichen Dank, Kollege Lürbke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Sie haben eben gesagt, dass in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen zusätzliche Datensammlungen zulasten der Freiheitsrechte beschlossen worden seien. Mich würde sehr interessieren, was Sie da konkret meinen.

Ich habe eben Gesetze aufgeführt, bei denen wir die Befugnisse von Sicherheitsbehörden konkreter und enger gefasst haben, als es etwa noch eine schwarz-gelbe Landesregierung – ich will nur das Stichwort Onlinedurchsuchung nennen – gemacht hat.

Vor diesem Hintergrund wäre meine Frage: Was hat Rot-Grün in den letzten fünf Jahren in Nordrhein-Westfalen konkret an zusätzlichen Datensammlungen beschlossen? – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Frank Herrmann [PIRATEN]: Keine Überwachung!)

Marc Lürbke (FDP): Herr Kollege Bolte, ich kann verstehen, dass Sie hier die Ehre der Koalition retten wollen. Aber ich gehe davon aus, dass auch Sie den Bericht des LDI gelesen und die Probleme in diesem Land, die der LDI aufwirft, zur Kenntnis genommen haben. Das sind auch Verschärfungen, die in den letzten Jahren geschehen sind.

Im Übrigen geht es hier gerade nicht um die Frage, ob für einzelne Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit geprüft werden muss, sondern es geht um den gesamten Rahmen. Da ist nun einmal auch das Zeugnis dieser Landesregierung keines, mit dem man sich sonderlich rühmen sollte.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Konkret! – Matthi Bolte [GRÜNE]: Da bleibt nur ein Flecken! – Jochen Ott [SPD]: Jetzt ist er im kurzen Gras!)

– Herr Bolte, ich kann das verstehen.

(Beifall von der FDP und Zurufe)

– Meine Damen und Herren, für Freiheitsbefürworter.

Herr Bolte, Sie haben den Bericht des LDI gelesen. Schauen Sie noch einmal hinein. Legen Sie sich den Bericht einmal unter das Kopfkissen.

Für Sicherheitsfanatiker mögen diese Fragen vielleicht lästige Bürokratie sein. Für eine Landesregierung, die hier mehr oder minder ohne klaren Kurs herumeiert, ist es offenbar ein Thema, das man vom Tisch haben will

(Jochen Ott [SPD]: Nur eins?)

– ja klar –, und zwar ohne Transparenz zu erzeugen, ohne den Bürgern Informationen über Rechtschutzmöglichkeiten zu geben. – Ich glaube, das geht nicht.

Wenn ich von dem LDI rede, Herr Bolte, dann kann es auch nicht reichen, den Scheinwerfer immer nur auf einige Punkte zu werfen, sondern wir brauchen eine Landesregierung, die den Datenschutz in die Offensive bringt. Wir brauchen eine Datenschutzoffensive, meine Damen und Herren.

(Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN] – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Weil ich gerade vom LDI sprach – Herr Justizminister, Sie sind heute für Herrn Jäger hier –: Die Abteilungsleiterin des MIK, die auch für den Datenschutz zuständig ist, soll dem Vernehmen nach im Herbst als LDI ins Rennen gehen. Es wäre doch einmal ein schönes Abschiedsgeschenk vom Ministerium oder vielleicht ein Antrittsgeschenk und eine gute Vorbereitung für die Tätigkeit als LDI, über die Sommerpause einen Überblick über alle bestehenden staatlichen oder staatlich beauftragten Datensammlungen und Überwachungsmaßnahmen zu erstellen, von denen die Bürger und die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen betroffen sind, und das Ganze dann dem Landtag zur Verfügung zu stellen. Sie von Rot-Grün, die Landesregierung, könnten das einmal veranlassen.

Ich freue mich auf jeden Fall sehr auf die Beratungen im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung von Herrn Minister Jäger Herr Minister Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den Antrag der Piraten richtig gelesen und verstanden habe, dann geht es Ihnen in dem Text Ihres Antrags um den Gedanken einer Gesamtschau auf die schon vorhandenen Datensammlungen.

(Zuruf von Thomas Kufen [CDU])

Dieser Gedanke ist durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung so entwickelt worden. Dieser Gedanke der Gesamtdatenschau ist nach meinem Rechtsverständnis und meiner Auslegung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein wichtiger Prüfstein für den Bundesgesetzgeber, wenn er sich erneut mit der Frage – was er jetzt offensichtlich tut – der Einführung einer erneuten Vorratsdatenspeicherung beschäftigt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Jeden Gesetzgeber!)

Deswegen richtet sich diese vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Vorgabe ganz eindeutig an den Bundesgesetzgeber und nicht an uns hier im nordrhein-westfälischen Landtag. Es ist völlig unstreitig, dass die Regelungen einer Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten nicht hier in Düsseldorf beschlossen werden, sondern die Entscheidungen entsprechend in Berlin getroffen werden müssen.

Ich kann verstehen, dass Sie im Augenblick ein gesteigertes Interesse an der Thematik der Vorratsdatenspeicherung haben. Aber ich halte es schon für abwegig, das Thema „Vorratsdatenspeicherung“ jetzt über den Umweg der sogenannten Überwachungsgesamtrechnung in die Beratungen des Landtags einzubringen. Wir werden uns morgen noch einmal in aller Ausführlichkeit auch zum Thema „Vorratsdatenspeicherung“ hier austauschen können.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus der Piratenfraktion, ich glaube, Sie verkennen die Auswirkungen des vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Rechtsgedankens und ziehen hieraus die falschen Schlüsse, und das gleich in zweierlei Hinsicht.

Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts richten sich allein an die Bundesebene und dort an die gesetzgebende Gewalt. In Ihrem Antrag richten Sie sich an die Landesebene und dazu auch noch an die Exekutive auf Landesebene. Sie adressieren somit nicht nur die falsche Staatsgewalt, sondern mit der Länderebene auch die unzuständige Verwaltungsebene.

Meine Damen und Herren, bereits heute werden bei der Änderung von Sicherheitsgesetzen des Landes bei Grundrechtseingriffen die Eingriffstiefe und ihr sicherheitspolitischer Effekt sehr sorgfältig abgewogen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Aber ohne den Kontext!)

Die Landesregierung legt gerade im Kontext von Grundrechtseingriffen ein großes gesteigertes Interesse und ein hohes Maß an die Transparenz. Für die Landesregierung gibt es jedoch weder eine Verpflichtung noch eine Notwendigkeit, eine derartige Überwachungsgesamtrechnung zu erstellen. Das können wir selbst bei gutem Willen nicht aus den Hinweisen und Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entnehmen.

Sofern Sie wirklich ein ernsthaftes Informationsbedürfnis über Regelungen von anlasslosen Datensammlungen haben sollten, werden sie diese in den einschlägigen Rechtsvorschriften finden. Diese Gesetze sind selbstverständlich für jedermann einsehbar und transparent. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/8976 an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht folgen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

7   Bausteine einer gelingenden Energiewende – Wärmespeicherung und Digitalisierung vorantreiben

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8983

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Kollegen Kufen das Wort.

Thomas Kufen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wärmespeicherung und Digitalisierung vorantreiben“ kann man auch wie folgt übersetzen – damit ist das Ziel unseres Antrags beschrieben –: Wie können wir eigentlich die Nachtspeicherheizungen, die es nach wie vor in vielen Wohnungen gerade in Ballungsräumen gibt, nutzen, indem wir sie zu echten Tagspeicherheizungen machen und vielleicht in Verbindung mit einem Internetanschluss auch die erneuerbaren Energien entsprechend nutzen? Denn:

„Im Gebäudebereich werden knapp 40 Prozent der gesamten Endenergie in Deutschland verbraucht. Der größte Einzelbeitrag entfällt auf die Beheizung.“

Das sind die ersten beiden Sätze des Kapitels „Energieeffizienz im Gebäudebereich voranbringen“ des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz, den die Bundesregierung im Dezember vergangenen Jahres vorgelegt hat.

In diesem Aktionsplan gibt es drei Eckpfeiler: erstens, die Energieeffizienz im Gebäudebereich zu steigern, zweitens, die Energieeffizienz als Geschäftsmodell weiter zu etablieren, und drittens, die Eigenverantwortung für Energieeffizienz zu erhöhen. Diese drei Punkte wollen wir uns zunutze machen und haben sie in unserem Antrag verbunden.

Denn wie wir wissen, gibt es heute immer noch über 1 Million Nachtspeicheröfen in unserem Land, die man im Sinne der Energieeffizienz nutzen und ertüchtigen könnte. Genaue Zahlen darüber, wie viele Nachtspeicherheizungen eigentlich existieren, liegen allerdings nicht vor. Die Branche spricht sogar von 1,6 Millionen Nachtspeicheröfen. Allein in Nordrhein-Westfalen sollen es rund 400.000 sein. In meiner Heimatstadt Essen geht man davon aus, dass es immer noch 60.000 sind. In Dortmund sollen es 20.000 sein.

Die Energiewirtschaft hat das Thema „Speicher“ mittlerweile als Geschäftsmodell erkannt und bietet sehr vielfältige, sehr interessante Lösungen an. Wenn man entsprechende Gespräche führt, was Sie genauso tun wie wir, erhält man häufig die Auskunft, dass unter bestimmten Voraussetzungen bis zu 25 % der Energiekosten bei Wärmespeichersystemen eingespart werden können, zum Beispiel bei Einsatz einer Anbindung an eine hauseigene PV-Anlage und Nutzung von Smart-Grid-fähigen Leitungen.

Durch die Nutzung der Smart-Grid-Fähigkeit lässt sich auch die Eigenverantwortung erhöhen, da sehr flexibel auf die Bedarfe im privaten Haushalt reagiert werden kann. Gleiches gilt sicherlich für die gewerbliche Nutzung.

Uns ist wichtig, dass wir nur dann über eine Förderung und Ertüchtigung von Speicheröfen sprechen, wenn sie mit einer vermehrten Nutzung der erneuerbaren Energien einhergeht, also wenn die Speicheröfen durch erneuerbare Energien gespeist werden. So lässt sich die Energie über eine eigene PV-Anlage, ein Windrad oder entsprechende Ökostromtarife einspeisen.

Die Kritiker werden einwenden, dass man im Sommer, wenn die PV-Anlagen besonders viel Ertrag bringen, eigentlich gar keine Heizung braucht. Widerlegt ist diese These mit Blick auf die aktuellen Temperaturen in diesem Sommer. Insofern kann man das durchaus hintanstellen. Die Temperaturen der letzten Tage konnten Sie selber verfolgen. Natürlich erfolgen im Sommer auch die Nutzung von Elektrogeräten im Haushalt und das Duschen mit warmem Wasser.

Mit unserem Antrag wollen wir die Landesregierung auffordern, sich im Rahmen der bestehenden Förderprogramme des Bundes dafür einzusetzen, Wärmespeichersysteme sowie Wärmeerzeugungs- und Raumheizungskonzepte nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Landesregierung sollte also bei der Bundesregierung anmahnen, dass sie entsprechend gefördert werden.

Weil Förderprogramme zwar sehr gut und schön sind, aber vielfach reichlich bürokratisch daherkommen, machen wir einen ganz konkreten Vorschlag. Wir schlagen nämlich vor, die steuerliche Absetzbarkeit, die der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz für private Investitionen vorsieht, auch auf die Wärmespeicherheizungen auszudehnen. So könnten zum Beispiel 10 % der energetischen Sanierungskosten über zehn Jahre vom zu versteuernden Einkommen abgesetzt werden.

Solche einfachen Möglichkeiten gab es in der Vergangenheit auch schon. Ich halte sie für die effizientesten. Man sollte nicht wieder neue bürokratische Maßnahmen und Förderprogramme für Hausbesitzer aufbauen, sondern es ihnen möglichst einfach machen und ihnen einen entsprechenden Anreiz geben.

Wir freuen uns auf die weitere Diskussion im Fachausschuss. Es ist auch eine gute Gelegenheit zur energiepolitischen Debatte jenseits der klassischen Diskussionen um Strom, Steinkohle und Braunkohle, wenn wir in diesem Land bei einem ganz speziellen Thema, das aber gerade für die Menschen im Ruhrgebiet ein ganz wichtiges Thema ist, einen wichtigen Akzent setzen können, wie es dort weitergeht. Wenn wir dem wichtigen Stichwort „Speicher“ hier einen weiteren Akzent hinzufügen können, können wir damit auch einen Baustein der gelingenden Energiewende setzen.

Daher freuen wir uns auf die weitere Beratung im Fachausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kufen. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bell.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal will ich durchaus positiv würdigen, dass die CDU sich nun mit der Frage des dezentralen Speichers als wesentlichem Merkmal einer gelingenden Energiewende auseinandersetzt.

Völlig unstrittig und mittlerweile wohl eher auch ein Allgemeinplatz ist ja, dass die Volatilität der erneuerbaren Energien dringend Antworten auf der Seite der Speichermedien benötigt.

Wer sich mit dieser Thematik befasst, weiß deshalb auch, dass es einer Vielzahl technischer Lösungen bedarf. Das betrifft sowohl die Speicherdauer als auch die Speicherkapazität. Natürlich spielt Wärme dabei eine herausragende Rolle, weil 50 % der Energie in Deutschland für Wärmeerzeugung als Raum- oder Prozesswärme und Warmwasser genutzt werden.

Verwundert haben wir uns allerdings die Augen gerieben, als wir gesehen haben, dass dies jetzt mit dem Versuch einer Renaissance von Nachtspeicherheizungen gekoppelt wird. Ich will daran erinnern, dass die Große Koalition in Berlin unter Beteiligung der Union in der Periode 2005 bis 2010 ein Verbot von Nachtspeicherheizungen durchsetzen wollte, welches dann 2013 von der schwarz-gelben Bundesregierung gekippt wurde.

Hintergrund dieses Versuchs waren die extrem schlechten Wirkungsgrade und die Trägheit des Systems im Vergleich zu allen anderen Heizformen. Selbst wenn die von Ihnen, Herr Kufen, intendierten Einsparungen bei Neugeräten erzielt werden können, liegt die energetische Performance dieser Technologie im Vergleich mit anderen Technologien eindeutig auf den hinteren Plätzen.

Ich frage mich zudem, warum wir als Landtag uns explizit für eine spezielle Speichertechnik aussprechen sollen, wo der Markt zurzeit extrem in Bewegung ist und Speicher mittlerweile Marktreife erreicht haben.

Kollegin Müller-Witt und ich hatten das große Vergnügen, im März dieses Jahres die Speichermesse hier in Düsseldorf zu besuchen und uns ein umfassendes Bild der aktuellen Marktsituation zu machen.

Wer Gespräche mit Branchenvertreterinnen und ?vertretern führt, erkennt doch sehr schnell, dass es hierbei weniger um die Förderung einzelner Technologien als vielmehr um die Rahmenbedingungen der Speicherung und Einspeisung innerhalb des Energiesystems geht, das es den Speichertechnologien erschwert, den Markt zu durchdringen.

Die Frage ist also, ob Speicher bei Ladung als Endverbraucher betrachtet und damit den entsprechenden Regularien unterworfen werden.

Dass es zurzeit dynamische Entwicklungen gibt, zeigt ja unter anderem auch der Zusammenschluss von Tesla und Lichtblick und deren Versuch, einen preisgünstigen dezentralen Speicher auf dem Markt zu etablieren.

Man kann sich, meine sehr verehrten Damen und Herren, des Eindruckes nicht erwehren, dass es im Vorfeld der Formulierung des Antrages Hintergrundgespräche mit Interessenvertretungen der Wohnungswirtschaft gegeben hat, die eine Unterstützung zur Sanierung alter Heizungsbestände suchen.

Herr Kufen, ich habe großen Respekt davor, dass man natürlich auch bei einer bestimmten politischen Kandidatur für seine Stadt entsprechend versucht, ein bisschen was zu bewegen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Würde er nie machen!)

Sie selber schreiben, 60.000 Einheiten wären in Essen noch auf dem Markt. Das ist völlig legitim. Aber selbst bei den Herstellern führen Nachtspeicheröfen mittlerweile eher ein Schattendasein.

Wenn Sie zum Beispiel einfach einmal auf die Webseiten von Vaillant oder anderen großen Herstellern in Nordrhein-Westfalen gehen, können Sie erkennen, dass die Präsentation da eher auf kleine KWK-Anlagen und moderne Brennwerttechnologie zentriert ist. Selbst ein Energieerzeuger wie die EnBW eignet sich nicht als Kronzeuge für die Inhalte Ihres Antrages. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus der „Stuttgarter Zeitung“ vom 24. April 2014:

„Ein Revival der Nachtspeicherheizung erwartet der Versorger nicht.“

Wir werden natürlich der Überweisung des Antrages zustimmen, sind aber wirklich gespannt, ob bei der Debatte im Ausschuss ernsthaft neue Erkenntnisse generiert werden können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Viel zu selten diskutieren wir hier über die Wärmewende als Teil der Energiewende. Meist reden wir über Strom. In diesem Bereich haben wir schon den größten Anteil an erneuerbaren Energien, aber gleichzeitig – wenn wir ehrlich sind – macht dieser Bereich eigentlich den kleinsten Anteil an unserem Endenergieverbrauch aus. Den größten Anteil am deutschen Endenergieverbrauch macht dagegen mit etwa 50 % die Wärme aus.

Herzlichen Dank also erst einmal an die CDU dafür, dass wir – jedenfalls wenn man nach der Überschrift geht – hier über die Wärmewende und den damit zusammenhängenden Bereich diskutieren.

Jetzt merken Sie schon: Es kommt natürlich das Aber. Denn so, wie Sie das Thema hier angehen, ist es, wie ich finde, eher eine recht einseitige Lobbyinitiative

(Zuruf von der CDU: Was?)

und auch ein Zeugnis Ihres geringen Einflusses auf Ihre eigene Bundesregierung.

Stromheizungen, die in den 70er-Jahren für die Unterstützung von unflexiblen Braunkohle- und Atomkraftwerken eingesetzt und initiiert wurden, haben sich völlig überholt. Als Elektrotechnikingenieurin habe ich im Studium früh gelernt, dass es physikalischer Unsinn ist, eine hohe Energieform wie Strom in eine eher niedrige Energieform wie Wärme umzuwandeln. Denn das ist total ineffizient. Daran ändert sich auch weiterhin erst einmal nichts.

Jetzt sind die Rahmenbedingungen mittlerweile zugegebenermaßen gänzlich anders als in den 70er-Jahren. Der Anteil der erneuerbaren Energien hat sich – ich glaube, das kann man gut und gerne sagen – verzehnfacht und liegt bezogen auf den Strom bei fast 30 %. Also: Mehr erneuerbare Energien in diesem Bereich führen dazu, dass mehr Flexibilität gefordert ist.

Ja, ich stimme zu: Bevor die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien abgeregelt werden muss, ist eine Verwendung im Wärmespeicher sicherlich besser.

(Zuruf: Aha!)

Ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende ist aber insgesamt, dass sich die Sektoren mehr miteinander verschränken müssen. Das ausschließlich – das kritisiere ich an dieser Stelle – auf eine Technik, nämlich die Nachtspeicherheizung, zu beziehen halte ich für sehr einseitig. Ich finde, das riecht geradezu nach einem Einfluss aus einer Lobbygruppe – das haben wir eben gehört – oder vielleicht nach einer Bürgermeisterkandidatur.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Enttäuscht bin ich, ehrlich gesagt, darüber hinaus auch von dem Baustein, den Sie in Ihrer Überschrift als zweiten Baustein der Energiewende benennen, und zwar nennen Sie hier noch groß das Wort „Digitalisierung“. Auch hier fokussieren Sie sich traurigerweise auf, wie Sie es nennen, „Tagspeichersysteme mit Internetanschluss“. Wenn das für Sie die Digitalisierung in der Energiewende ist, ist das wirklich sehr, sehr traurig.

Die wahren Vorteile der Digitalisierung und der Verschränkung mit der Energiewende gehen noch viel weiter über das hinaus, was Sie hier mal eben so in einem Satz abgehandelt haben. Das finde ich schon sehr schwierig.

Ihr Beschlussvorschlag offenbart dann Ihr komplettes Dilemma. Eine Aufgabe ist eine Fleißaufgabe für die Landesregierung, und in zwei von drei Forderungen verlangen Sie von der Landesregierung, sich bei der Bundesregierung für etwas einzusetzen. Na ja, von der FDP sind wir Bundestagsstellvertreteranträge ja gewöhnt. Dass Sie als CDU das hier nötig haben, ist eine Erkenntnis, die wir im Ausschuss gerne noch einmal weiterdiskutieren können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Brockes.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Brems, wenn man Ihren Lebenslauf, Ihren Werdegang kennt, ist es schon interessant, Ihre Rede zu hören, in der Sie anderen Lobbyarbeit vorwerfen. Das ist schon sehr, sehr bemerkenswert.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, aktuell gibt es in Deutschland rund 1,5 Millionen Nachtspeicherheizungen. Die meisten davon stammen aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren. Mit Unterstützung der Politik hieß es nämlich damals, wegen des Nachtstroms seien sie besonders günstig. Heute ist das mitnichten so. Das Heizen mit Nachtstrom ist gegenüber Erdgas und Heizöl deutlich teurer.

Der Strompreis für private Haushalte in Deutschland hat sich allein seit dem Jahr 1998 im Bundesdurchschnitt nahezu verdoppelt. Davon ist fast die Hälfte der Politik geschuldet: durch neue zusätzliche Steuern, Abgaben und Umlagen wie zum Beispiel durch das EEG.

Deshalb ist es richtig und fair, hier etwas zu machen. Wir halten es für konsequent und richtig, wenn die Politik nun dafür sorgt, dass die teils enormen Betriebskosten für Nachtspeicheröfen gesenkt werden können – durch Modernisierungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen zum Beispiel mit Mitteln der KfW-Förderung.

Um die Energiewende zum Erfolg zu führen, werden Strom- und Wärmemarkt näher zusammenrücken müssen. Wegen des übertriebenen Ausbaus erneuerbarer Energien und wegen der zunehmenden Netzüberlastung wird die Speicherung von Überschussstrom über kurze und längere Zeiträume eine wichtige Rolle spielen.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Brockes, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Frau Kollegin Brems würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Dietmar Brockes (FDP): Ja, bitte doch. Immer.

Wibke Brems*) (GRÜNE): Herr Brockes, herzlichen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben ganz am Anfang Ihrer Rede gesagt, es sei schon erstaunlich, dass ich hier etwas über Lobbyismus sage. Ich würde gerne von Ihnen den Beleg bekommen, an welcher Stelle ich als Lobbyistin aufgetreten bin.

Ich finde es etwas schwierig. Sie selbst fordern, dass alle unterschiedlichen Berufsgruppen in einem Parlament vertreten sind. Wenn dann jemand aus dieser Berufsgruppe vertreten ist und aus diesem Wirtschaftsbereich Fachkompetenz mitbringt, weil er vorher dort gearbeitet hat – wohl gemerkt: nie währenddessen –, dann kritisieren Sie das als Lobbyismus. Ich würde dafür gerne einen Beleg von Ihnen bekommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dietmar Brockes (FDP): Liebe Kollegin Brems, wir dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Sie haben eben dem Kollegen Kufen Lobbyarbeit vorgeworfen. Ich weiß, wie Sie über erneuerbare Energien reden und dass Sie in dem Bereich gearbeitet haben. Gestatten Sie mir, Ihnen klar zu sagen, dass man dann vorsichtig sein muss, wenn man anderen Lobbyismus vorwirft.

Ich persönlich finde an Lobbyismus nichts Verkehrtes. Das sage ich Ihnen ganz offen. Wir brauchen Informationen. Wir brauche Lobbyarbeit, um im Abwägungsprozess die richtige Entscheidung im Landtag zu treffen. Ich habe mich – wie gesagt – auf Ihre Äußerungen zu Herrn Kufen bezogen. Es war jedenfalls nicht als einseitiger Vorwurf an Sie gerichtet, wie es scheinbar bei Ihnen angekommen ist.

(Beifall von Thomas Kufen [CDU])

Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt wieder auf meine Rede zurückkommen. Ich habe gerade deutlich gemacht, wie wichtig es ist, zu schauen, wie wir mit dem Überschussstrom umgehen. Nachtspeicherheizungen können einen wichtigen Beitrag zur besseren Integration von erneuerbaren Energien in integrierte Netze liefern. Deshalb haben FDP und CDU das Verbot von Nachtspeicherheizungen ab 2019 aus gutem Grund wieder aufgehoben.

Unter dem Stichwort „Power to Heat“ werden bereits heute einige vielversprechende Techniken vorangebracht, etwa bei der Erdwärmepumpe. Aber es ist sicher unbestritten, dass diese in puncto Kosten der Speicherheizung einiges voraushat. Deswegen ging und geht es an dieser Stelle auch nicht um eine Renaissance der Nachtspeicherheizungen. Aber es gibt Fälle, in denen eine Umrüstung der bestehenden Anlagen zum Beispiel auf Gastherme, auf Geothermie oder auf Fernwärme nicht machbar oder nicht wirtschaftlich ist. Deshalb ist es richtig, dass auch hier Alternativen angeboten werden.

Meine Damen und Herren, die FDP unterstützt das Schaffen von Anreizen zur Modernisierung und besseren Systemeinbindung von Nachtspeicherheizungen. Auch die Erfassung des Bestands an Nachtspeicherheizungen ist sicherlich sinnvoll, allein schon um das Lastmanagement sinnvoll durchführen zu können. Ob das unbedingt Aufgabe der Landesregierung sein muss, sei jetzt einmal dahingestellt, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU. Das sollten wir im Ausschuss diskutieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der antragstellenden Fraktion, für uns ist es ehrlich gesagt nicht nachvollziehbar, wenn Sie hier parallel einen Zwang für Ökostrom einführen wollen.

Herr Kufen, Sie haben eben gesagt, Sie wollen es einfach machen. Das ist gerade an dieser Stelle nicht gegeben. Ich stelle mir allein den bürokratischen Aufwand vor, wenn man vermutlich über zehn Jahre oder länger nachweisen muss, dass man diesen sogenannten Ökostrom bezieht. Deshalb sehen wir zumindest diesbezüglich noch Beratungs- und Korrekturbedarf. In der jetzigen Form werden wir dem Antrag noch nicht zustimmen können. Aber wir freuen uns auf die weitere konstruktive Beratung im Ausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und draußen! Wir befassen uns also heute mit einem Antrag der CDU mit dem vielversprechenden Titel „Bausteine einer gelingenden Energiewende – Wärmespeicherung und Digitalisierung vorantreiben“. Leider werden Begründung und Antragsinhalt dem nicht gerecht. Es geht fast ausschließlich um elektrische Nachtspeicherheizungen. Die zahlreichen anderen Möglichkeiten der Power-to-Heat-Verfahren finden keine Erwähnung.

Es ist zutreffend, dass es bereits eine große Anzahl alter Nachtspeicherheizungen gibt. Es ist aber fragwürdig, ob man sie wirklich in den Wohnungen behalten möchte, weil sie Asbest- und Chromatverbindungen enthalten. Ein zeitweiliges Überangebot an Strom sollte auch nicht zur Abregelung von erneuerbaren Energien führen, sondern dazu, dass alte und unflexible Kraftwerke – also zuallererst Braunkohlekraftwerke – aus dem Markt verschwinden.

In den nächsten Jahrzehnten werden Speicher an Bedeutung gewinnen. Aber zuerst ist es wichtig, die Erneuerbaren mit Priorität in den Strommarkt zu integrieren. Ein Überangebot an Strom deutet derzeit nur darauf hin, dass der Kraftwerkspark noch nicht flexibel genug ist.

Die schädlichste fossile Energie, die Braunkohle, sorgt dafür, dass im In- und Ausland umweltfreundlichere Alternativen im Fossilbereich, die Gaskraftwerke, aus dem Markt gedrängt werden.

Strom ist generell zu wertvoll, um ihn gezielt fürs Heizen zu produzieren. Frau Brems hat das ja schon dargelegt. Diese Nutzung ist nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen sinnvoll. Wärmespeicher sind zuallererst da sinnvoll, wo auch Wärme anfällt, zum Beispiel bei der Kraft-Wärme-Kopplung oder Solarthermie.

Mit der Argumentation der CDU könnte man auch sagen, dass alte Glühbirnen für Haushalte mit Ökostrom sinnvoll sind. Der Gesamtwirkungsgrad liegt dabei auch bei 100 %, ungefähr 10 % Licht, 90 % Wärme. Und das hätte gegenüber den Nachtspeicherheizungen den Vorteil, dass nur dann geheizt wird, wenn das Licht an ist. Vor diesem Hintergrund ist der Antrag der CDU mit Blick auf den Hoffnungsträger, den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, kontraproduktiv.

Für die Digitalisierung hätte ich mir ein paar Hinweise darauf gewünscht, wie der Datenschutz und der Schutz vor Angriffen mit dem Ziel der Destabilisierung der Netze organisiert werden soll. Sie haben doch so schöne Sicherheitsesoteriker in Ihrer Fraktion. Warum haben die dazu nicht einmal etwas zu sagen?

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Thomas Kufen [CDU])

– Ja, Sie haben noch Pfeile im Köcher, schön.

Generell ist es eine gute Sache, Wärmespeicher zu fördern und in dem Kontext auch die Digitalisierung voranzutreiben. Nur leider benutzt die CDU den Antrag fast vollständig dazu, für die alten Nachtspeicherheizungen bzw. für das Konzept des Austauschs alter durch neue Anlagen zu werben. Das ist eher kein Baustein in der gelingenden Energiewende.

Der Abbau alter Anlagen, ja, aber dann Einbau anderer und besserer Heizungen und Speicher. Wärmespeicherung und Digitalisierung gerne, aber es muss dann auch primär gezielt produzierte Wärme verwendet werden. Heizen mit Strom eventuell in der Zukunft, wenn bei 100 % Ökostrom wirklich etwas übrigbleiben sollte, was sonst keinen Abnehmer findet.

Wir stimmen der Überweisung zu. Für den Anspruch, Baustein einer gelingenden Energiewende zu sein und Wärmespeicherung und Digitalisierung vorantreiben zu wollen, ist im Antrag noch reichlich Luft nach oben. Sinnvoll ist eine Umformulierung, die diesen Antrag in Verbindung stellt zu den am 29. Januar hier erfolgreich behandelten Anträgen zum Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz und den Potenzialen der Kraft-Wärme-Kopplung in Nordrhein-West-falen. Das waren die Drucksachen 16/7770 und 16/7840. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich die Überschrift des CDU-Antrags gelesen habe, war ich sehr gespannt und dachte, endlich bekommen wir eine Debatte über das, was die ganze Zeit gefehlt hat. Wir reden sehr viel, teilweise zu Recht über neue Energieerzeugungsanlagen, über neue Kraftwerke, ob Wind, Sonne, Geothermie, aber wir reden viel zu wenig über das, was dazwischen ist, nämlich ein neues System, das aus Netzen und Speichern besteht, die Dezentralität gewährleisten.

Als ich dann den Antrag weitergelesen habe, bin ich jedoch zu dem Schluss gekommen: Das ist alter Wein in neuen Schläuchen

(Zuruf von Thomas Kufen [CDU])

und insofern ein doppeltes Paradoxon. Es ist noch nicht einmal die Rede von Wein. Die Überschrift jedenfalls verspricht, über Wärmespeicherung zu reden, also über erneuerbare Wärmespeicherung, aber es wird die ganze Zeit über Stromspeicherung philosophiert und dann auch letztlich noch über fossile Stromspeicherung, also konventionelle Energieerzeugung.

Zum Zweiten war ich sehr gespannt bei dem Wort „Digitalisierung“, weil das in der Tat elektrisiert, wenn es um erneuerbare Energien geht. Sie verstehen aber offensichtlich unter Digitalisierung, dass die Landesregierung Daten sammelt. Ich glaube, das ist nicht unsere Aufgabe, und das ist auch nicht das, was im Kern Digitalisierung für die erneuerbaren Energien bedeutet.

Vielleicht ein paar Zahlen, die die Argumente illustrieren. Wir haben in den Jahren 2011 bis 2013 beim Heizstrom einen Preisanstieg von rund 4 Cent gehabt, was einer Verteuerung von knapp 30 % entspricht. Aktuell liegt der Preis für eine Kilowattstunde Speicherstrom bei 20,7 Cent gegenüber beispielsweise 5,2 Cent je Kilowattstunde für Holzpellets, einer wirklich erneuerbaren Energie. Ungefähr ein Viertel der Kosten fällt für erneuerbare Wärmeenergie an im Vergleich zu dem Preis, der in der Umwandlung für Speicherstrom anfällt.

Bei einem Vierpersonenhaushalt, durchschnittliches Einfamilienhaus, bedeutet das 4.000 € im Jahr gegenüber 1.000 € beispielsweise für eine erneuerbare Pellet-Wärme-Erzeugung. Das ist, finde ich, ein schlagendes Argument.

Auch wenn ich dann diesen Grundansatz etwas näher betrachte, erneuerbarer Energien flexibel für den Wärmebereich zu nutzen, komme ich zu einem eher desaströsen Ergebnis Ihres politischen Anliegens. Wir brauchen tatsächlich den Ausbau der Übertragungsnetze. Da wäre es hilfreich, wenn Sie beim bayerischen Ministerpräsidenten dafür sorgen würden, dass die Blockade im Süden der Republik aufhört.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen den Ausbau der Verteilnetze. In der Tat ist das die beste Option, um die Flexibilität und auch die Dezentralität zu gewährleisten. Und wir brauchen den Ausbau der Grenzkuppelstellen. Dann wäre schon viel erreicht, wenn es um Flexibilität geht. Lassen Sie uns das genauer betrachten.

Was fällt tatsächlich an „überschüssiger“ erneuerbarer Strommenge an? Das sind im Jahre 2013 0,55 Terawattstunden gewesen. Der Verbrauch hingegen der 1,6 Millionen elektrischen Speicherheizsysteme in der Bundesrepublik liegt bei 10 bis 15 Terawatt. In keinem Verhältnis steht der Überschuss der erneuerbaren Energien auf der einen Seite zum Bedarf der Stromheizungen auf der anderen Seite. Wenn dann auch noch Förderungen aus einem KfW-Programm gefordert werden, geht es hier um Absatzhilfe für fossile Energieträger.

Und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann nicht Aufgabe der öffentlichen Hand sein und schon gar nicht Aufgabe der Landesregierung, wo wir uns zum Ziel gesetzt haben, auch im Bereich der Wärme zunehmend fossile Wärmeerzeugung durch erneuerbare Wärme zu ersetzen. Das ist in der Tat ein Zukunftsmarkt, mit dem wir uns beschäftigen müssen.

Insofern ist das Etikett der elektrischen Nachtspeicherheizung als Speicher für erneuerbare Energien aus Sicht der Landesregierung eine Mogelpackung. Das sollten wir auch nicht weiter verfolgen. Immer da, wo ein Einsatz dezentral, wo keine andere Möglichkeit gegeben ist, kann man in der Tat darüber reden. Eine Massenanwendung ist aber zukünftig für die Nachtspeicherheizung nicht sinnvoll. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wenn das so bleibt – und es bleibt so –, schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/8983 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Dieser Ausschuss bekommt die Federführung. Die Mitberatung geht an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf

8   Das Ehrenamt im Sport stärken statt weiter belasten – Kollateralschäden des Mindestlohngesetzes verhindern

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/8994

Ich eröffne die Aussprache. Herr Dr. Kerbein erhält für die antragstellende Fraktion zuerst das Wort.

Dr. Björn Kerbein (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Was wir in Sonntagsreden zu Recht betonen, was wir loben und immer wieder einfordern, ist das ehrenamtliche Engagement. Wir alle wissen: Ohne Ehrenamt ist kein Staat zu machen.

(Beifall von der FDP)

Gerade wir in der Politik wissen das. Nur scheinen wir dieses leider auch regelmäßig wieder zu vergessen.

Was für die Politik gilt, gilt noch viel mehr für den organisierten Sport. Vorstände, Übungsleiter und Trainer – sie alle engagieren sich in ihrer Freizeit für unsere Kinder und Jugendlichen, aber auch ganz konkret zum Beispiel für gelingende Inklusion und vielfältige Integration.

Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Sportausschuss kennen die Zahlen auswendig: Wir haben 5 Millionen Vereinsmitglieder in NRW, 19.000 Sport-vereine und 365.000 Menschen, die sich bei uns engagieren.

Jedem ist klar: Nur das ehrenamtliche Engagement macht das Training unserer Kinder und Jugendlichen, sportliche Wettkämpfe, soziales und vor allem informelles Lernen sowie aktives Vereinsleben und Zusammengehörigkeitsgefühl doch überhaupt erst möglich. Gerade in Zeiten, in denen es immer schwieriger wird, Menschen für das Ehrenamt zu begeistern, sollten wir uns dessen bewusst sein.

In den letzten Jahren müssen wir leider beobachten, dass auch viele Sportvereine Probleme haben, die ehrenamtlichen Positionen zu besetzen. Die Gründe sind, wie Sie wissen werden, sehr vielfältig. Aber eines ist klar: Wenn der Staat immer mehr regulieren möchte, immer mehr vorschreiben möchte und sich auch immer mehr absichern möchte, dann ist es für den einzelnen schwer zu sagen, ja, ich engagiere mich auch außerhalb meiner Familie, außerhalb meines Berufes oder meiner Ausbildung noch für das Ehrenamt. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich vor Ort umhören, werden Sie in den Vereinen und Verbänden genau dieses hören.

Erstens. Mit einem flächendeckenden Mindestlohn ist dieser Trend leider nochmals verstärkt worden. In der Sportszene herrscht große Verunsicherung. Erstens müssen sich die Vereine jetzt fragen, für wen der Mindestlohn gilt. Jede Form der bezahlten Mitarbeit in den Vereinen muss also auf den Prüfstand, und zwar in arbeitsrechtlicher Sicht, in sozialversicherungsrechtlicher Sicht sowie in unfallversicherungsrechtlicher Sicht und letztlich auch nach dem Lohnsteuerrecht. Das Gespräch zwischen dem DOSB und dem DFB und Frau Nahles Anfang des Jahres hat in dieser Frage leider überhaupt keinen Beitrag zur Rechtssicherheit geleistet.

(Beifall von der FDP)

Das können Sie nachlesen. Der Landessportbund hat das Ende April gut festgehalten. Der DOSB hat sich gestern in seinem Newsletter auf die Ausführungen des LSB bezogen.

Zweitens. Muss der Mindestlohn gezahlt werden, sind die ehrenamtlichen Vereinsvorstände in der Aufzeichnungs- und Dokumentationspflicht genauso wie jeder andere Arbeitgeber. Als Arbeitgeber kann ich Ihnen für mein kleines Unternehmen sagen, dass wir das gerade noch so leisten können, auch wenn das sowohl auf Arbeitnehmerseite als auch auf meiner Seite doch zu Problemen führen kann. Zum Beispiel haben wir die Siebentageregelung nach dem Mindestlohngesetz. Wenn ich einmal in Urlaub fahren möchte, ist das gar nicht so einfach, da hinterherzukommen.

Aber egal, es geht nicht um mich, es geht um das Ehrenamt. Das ist das, was uns Freie Demokraten antreibt. Wir setzen uns für Menschen ein, die Verantwortung in den Vereinen tragen.

(Beifall von der FDP)

Sie sind in hohem Maße verunsichert. Sie müssen heute – seit dem 1. Januar – abwägen und entscheiden, ob das Mindestlohngesetz anzuwenden ist. Wenn das der Fall ist, kommt auf sie der enorme Bürokratieaufwand zu, der Zeit und Ressourcen verbraucht, die doch besser in den eigentlichen gemeinnützigen Zweck des Vereins investiert werden sollten.

Es kann nicht sein, dass wir ehrenamtliche Vereinsarbeit genauso regulieren, wie es der Bundesgesetzgeber jetzt für die Unternehmen macht. Wir können und müssen hier mit zweierlei Maßen messen.

Meine Damen und Herren, für mich ist das die Abkehr von der Maxime, das Ehrenamt zu entlasten und zu stärken. Das kann und darf nicht unser Anspruch sein. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der FDP: Sehr gut!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Kerbein. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bischoff.

Rainer Bischoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das war eine Ihrer ersten Reden, Herr Dr. Kerbein. Deswegen will ich versuchen, sehr ruhig zu bleiben. Sie machen mich schon wütend. Das muss ich sagen.

(Zuruf von Dr. Björn Kerbein [FDP])

Bei Ihnen ist überhaupt nicht angekommen, dass das Ehrenamt noch nie Bestandteil des Mindestlohngesetzes war. Sie reiten hier ein Mäntelchen und erzählen die ganze Zeit vom Ehrenamt.

(Zuruf von Dr. Björn Kerbein [FDP])

Das Mindestlohngesetz hat am 1. Januar dieses Jahres bereits ausgeschlossen, dass Ehrenamt irgendwie etwas mit Mindestlohn zu tun hat. Deswegen war Ihr ganzer Redebeitrag völlig daneben.

Ich möchte aber erklären, warum der Mindestlohn gekommen ist.

(Zurufe von der FDP)

– Ich bin jetzt dran, Herr Rasche und Herr Dr. Kerbein. Ich habe Ihnen lange zugehört. Das war schon arg schwierig.

Lesen Sie das einmal im Mindestlohngesetz nach. Das Ehrenamt ist ausgeschlossen. Das ist das Erste.

Das Zweite ist, dass ich bei Ihnen Herrn Alda vermisse. Am 30. April habe ich hier gestanden. Da haben Sie über den Arbeits- und Sozialausschuss das Thema „Mindestlohn“ hier aufgeführt. Sie haben erzählt, dass wäre eine fürchterliche Bürokratie. Jetzt versuchen Sie über das Ehrenamt, was überhaupt nicht Bestandteil des Gesetzes ist, das Thema wieder aufzuführen. Herr Rasche hat sich damals sehr aufgeregt, als ich Folgendes vorgetragen habe:

Ihnen geht es überhaupt nicht um die Sache. Sie haben bei dem Thema „Mindestlohn“ eine Auseinandersetzung gesellschaftlicher Art verloren. Das passt Ihnen nicht. Jetzt versuchen Sie permanent, irgendwie dieses Thema aufs Tapet zu bringen, ohne den Menschen irgendwie dabei zu helfen, der Sportlerfamilie schon überhaupt nicht. Da haben Sie sich genauso aufgeregt.

Können Sie sich erinnern, was Herr Alda hier am Schluss der Debatte gesagt hat? Ich weiß das noch gut: Ich habe keinen Bock, diese Notizzettel auszufüllen.

Das war seine Begründung für die Ablehnung des Mindestlohns. Er hat als Bürokratie dargestellt, irgendeinen Zettel ausfüllen zu müssen.

(Zurufe von der FDP)

Das ist völlig lächerlich. Sie führen hier einen ideologischen Kampf. Den werden Sie nicht gewinnen, den haben Sie schon verloren. Den werden Sie auch im Sportbereich nicht gewinnen.

Wir sind stolz auf den Mindestlohn.

(Beifall von der SPD)

Wir sind stolz darauf, dass er bereits seit sechs Monaten eine Erfolgsgeschichte ist, dass Millionen von Beschäftigten ihre Familien von ihrem Lohn ernähren können und nicht mehr über Hartz IV aufstocken müssen. Darauf sind wir stolz. Das betrachten wir auch weiterhin als Erfolgsgeschichte. Das lassen wir uns auch nicht mit derartigen Anträgen und Redebeiträgen zerreden. Es ist eine Ihrer ersten Reden, Herr Kerbein, sonst wäre ich noch ein bisschen heftiger geworden. Es ist also völlig daneben.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Bischoff, darf ich Sie unterbrechen?

Rainer Bischoff (SPD): Nein, ich möchte jetzt weiterreden.

(Dietmar Brockes [FDP]: Angst vor einer Zwischenfrage!)

Ich will versuchen, auf die Reihenfolge Ihrer Argumente einzugehen. Grausam ist überhaupt nichts und Angst habe ich auch nicht. Ich spreche hier zum zweiten Mal zu diesem Thema.

(Christof Rasche [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

– Ich lasse immer noch keine Zwischenfrage zu, Herr Rasche. Sie können sich noch ein paarmal melden, aber das ändert nichts.

Am 1. Januar ist das Mindestlohngesetz eingeführt worden. Bereits am 23. Februar hat es ein Gespräch zwischen der Arbeitsministerin Nahles, dem Präsidenten des Deutschen Sportbundes und dem Präsidenten des DFB gegeben. Die haben ihren Verbänden das Ergebnis des Gespräches mitgeteilt. Ich zitiere einmal Anfang und Ende dieses Briefes, der am 6. März gekommen ist:

Erfreulicherweise konnten für diese Fragen und Probleme gute Lösungen gefunden werden.

So beginnt das Schreiben. Es endet wie folgt:

Zusammenfassend können wir mit dem erzielten Ergebnis sehr zufrieden sein.

Dann kommt noch:

Der Inhalt dieses Schreibens wurde mit dem BMAS abgestimmt.

Das erklären Herr Hörmann, der Präsident des DOSB, und der Präsident des DFB, wahrlich keine Freunde der Sozialdemokratie. Das sind keine Parteifreunde von Frau Nahles. Sie haben vielmehr ein gescheites Gespräch geführt und alle Probleme gelöst, die in der Zwischenzone lagen.

Das Ehrenamt ist nicht Bestandteil des Mindestlohngesetzes, aber es gibt natürlich 400-€-Jobber in den Vereinen, es gibt hauptamtlich Beschäftigte in den Vereinen, und es gibt eine Kombination von beidem.

(Zurufe von der FDP)

Die muss definiert werden.

(Dietmar Brockes [FDP]: Sie müssen zuhören!)

Herr Kerbein hat das nicht vorgetragen. Er hat die ganze Zeit vom Ehrenamt gesprochen. Das stimmt eben nicht. Ich höre gut zu, vor allem, wenn ich der nachfolgende Redner bin. Außerdem wäre es gut, wenn Sie sich ein bisschen beruhigen könnten.

(Lachen bei der FDP)

Nachdem nun im Februar diese Absprache stand, waren alle Eckpunkte gesetzt. Die FDP hat dann vier Monate bis zum Juni gewartet, um einen Antrag zu stellen und gewissermaßen die Landesregierung aufzufordern, sie möge bitte all das klären, was doch bereits durch das Gespräch geklärt ist. Das ist im Grunde der Inhalt Ihres Antrags, Herr Kerbein.

Deswegen werden Sie vermutlich nachvollziehen können, dass wir das nicht voller Begeisterung noch einmal im Ausschuss diskutieren. Wir werden aber der Überweisung zustimmen, weil Demokraten das üblicherweise so tun. Wir werden jedoch kaum zu neuen Erkenntnissen gelangen, jedenfalls nicht durch Ihren Antrag und auch nicht durch Ihren Redebeitrag, der völlig sachfremd und völlig neben der Spur war. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Bischoff, bleiben Sie bitte gleich da. Wer keine Zwischenfrage zulässt, muss mit dem Risiko einer Kurzintervention rechnen. – Herr Kollege Rasche, Sie haben das Wort.

Christof Rasche (FDP): Frau Präsidentin! Lieber Kollege Bischoff, das ist überhaupt kein Risiko. Wir sind doch in einem netten Austausch. Wo ist das Problem?

Ich war einmal Mitglied im Sportausschuss, Sie sind es wie der Kollege Kerbein und der Kollege Müller auch. Da stellt man sich eigentlich einem sportlichen Wettbewerb und weicht keiner Zwischenfrage aus, lieber Kollege. Das ist alles andere als sportlich.

(Beifall von der FDP)

Das will ich einmal dazu anmerken.

Tatsächlich hat Frau Nahles mit dem DOSB und verschiedenen Sportverbänden im Februar gesprochen und hinterher suggeriert, das Problem wäre gelöst. Dann gibt es vom 27. April 2015 eine Mitteilung des Landessportbundes, in der es heißt:

„Die Rechtslage ist schwer verständlich, für die Sportvereine schwer zu handhaben und sicherlich alles andere als förderlich für das Ehrenamt.“

Ich könnte noch weiter vorlesen. Das ist eine offizielle Mitteilung des Landessportbundes vom 27. April. Wir haben in der letzten Woche mit Vertretern des Landessportbundes gesprochen. Sie haben uns das ausführlich bestätigt.

Seit gestern gibt es ein Papier vom Deutschen Olympischen Sportbund, der genau diese Passage vom Landessportbund mündlich und schriftlich unterstützt.

Deswegen wäre es für dieses Hohe Haus angemessen, rein sachlich mit dieser Fragestellung umzugehen, und es wäre sportlich, auch mit Respekt der anderen Seite – in diesem Fall der FDP – zu begegnen.

(Beifall von der FDP)

Rainer Bischoff (SPD): Ich hatte, glaube ich, eingangs gesagt, dass ich das Sachliche gewünscht hätte. Das habe ich bei Herrn Kerbein nicht festgestellt, weil er permanent darüber gesprochen hat, dass das Ehrenamt mit dem Mindestlohngesetz in Konflikt gerät. Das tut es nicht.

(Christof Rasche [FDP]: Sportvereine sind Arbeitgeber!)

– Jetzt darf ich ausreden.

Das wird vermutlich auch nicht in den Schreiben des LSB und des DOSB stehen, dass das Ehrenamt vom Mindestlohn ausgenommen ist. Es hat eine Reihe von Verhandlungen vorher gegeben, wo genau vor dem 1. Januar das Ergebnis erzielt worden ist, dass das Ehrenamt eben nicht Bestandteil ist. Insofern war das, was Herr Kerbein vorgetragen hat, unsachlich, passte überhaupt nicht und hat die Frage lediglich in ein Mäntelchen gepackt. Ich wiederhole deshalb noch einmal, was ich eben ausgesagt habe. Das ist nach wie vor meine Aussage. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit, Herr Rasche.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bischoff. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Müller das Wort.

Holger Müller (CDU): Frau Präsidentin! Ich bin überrascht: So viel Leben beim Kollegen Bischoff! Das hat mich gefreut.

(Zuruf von der SPD: Uns auch!)

Ich will jetzt aber trotzdem den Versuch unternehmen, die Diskussion zu versachlichen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

– Da staunen Sie.

Es gibt die mehrfach angesprochene Vereinbarung von Frau Nahles mit dem DOSB und dem DFB. Ich habe eine Anfrage an die Landesregierung bezüglich der Auswirkungen des Mindestlohnes im Sport gestellt. Die ist auch zunächst einmal zufriedenstellend beantwortet worden. Das ist für mich in der Handbarkeit für die Sportvereine derzeit ein gangbarer Weg.

Allerdings: Es gibt schon erhebliche Probleme. Deshalb bin ich der FDP durchaus dankbar dafür, dass sie das Thema noch einmal aufgreift.

(Beifall von der FDP)

Ich möchte jetzt aber nicht über den Mindestlohn – pro oder kontra – diskutieren, sondern nur über die Auswirkungen im ehrenamtlichen Bereich.

(Christof Rasche [FDP]: Sehr gut!)

Zunächst einmal: Die Aussage, die damals getroffen worden ist, halte ich für richtig, für löblich. Es stellt sich aber schon die Frage, ob sie vor den Arbeitsgerichten auch bindend ist. Ich fürchte nämlich, dass sie das nicht ist, solange es keine klare gesetzliche Normierung gibt.

(Christof Rasche [FDP]: Genau das sagt der Landessportbund!)

Das ist eine Schwäche. Was nützen die besten Beschlüsse, wenn der Richter das Gesetz sehen will, und das Gesetz ist noch nicht da? Von daher ist der Ansatz des FDP-Antrages meines Erachtens durchaus nachvollziehbar und vernünftig.

Die Frage nach dem „Vertragsamateur“ – gehen Sie mal davon aus, Kollege Bischoff, Kollege Dr. Kerbein und alle anderen, dass ich das wirklich sehr genau gelesen habe – ist ja ohnehin eine schwierige. Denn ich kenne viele Vertragsamateure gerade im Fußballsport, die für 450 € noch nicht einmal ihre Fußballschuhe anziehen. Das ist natürlich eine sehr schwierige Materie.

Es gibt eine weitere Problematik. Bei Ehrenamtlern stellt sich nämlich oft die Frage, ob sie Arbeitnehmer sind – dann würde das Mindestlohngesetz gelten – oder ob sie ein echtes Ehrenamt ausüben. Dann würde das Mindestlohngesetz eben nicht gelten. Wo ist denn jetzt die Unterscheidung? Die Landesregierung hat durchaus Maßstäbe für den Sport vorgegeben. Aber worin besteht letztlich die Unterscheidung? Das ist alles noch nicht geklärt, sodass wir meines Erachtens die Frage der gesetzlichen Normierung ernsthaft angehen müssen.

Der Begriff der „ehrenamtlichen Tätigkeit“ ist durchaus schillernd. Der wird von vielen Betroffenen entsprechend für sich definiert. Da werden nämlich zum Teil Tätigkeiten ausgeübt, die auch hauptberuflich ausgeübt werden, zum Beispiel Rettungsschwimmer, die Freiwillige Feuerwehr, ehrenamtliche Bürgermeister und auch noch andere. Das ist für den Verein oder für den Verband keine ganz einfache Situation; das möchte ich hier doch noch einmal festhalten. Von daher begrüße ich die Lösung der Ministerin für die Sportverbände und halte sie für in Ordnung.

Aber jetzt kommt der nächste Bereich. Diese Erklärung gilt ja bisher nur für den Sport. Ein fast genauso großer Bereich unserer Gesellschaft ist ebenfalls ehrenamtlich organisiert. Für diese Ehrenamtlichen kenne ich eine entsprechende Aussage bisher nicht.

Von daher, meine ich, ist es schon sinnvoll, wenn wir das Ganze im Sportausschuss noch einmal vernünftig diskutieren, dann vielleicht etwas entemotionalisiert. Diejenigen, die mich kennen, wissen ja: Ich bin eigentlich immer für Emotionalisierung. – Aber hier geht es ja nicht um die SPD allein; hier geht es um alle Menschen.

(Heiterkeit)

Von daher bemühe ich mich hier und heute, wirklich sehr sachgemäß, hart an der Sache vorzutragen.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Der aktuelle Standpunkt der CDU – „aktuell“ heißt ja nicht, dass wir jedes Mal die Meinung wechseln – ...

(Heiterkeit)

Also, das Fazit aus dem, was ich vorgetragen habe, lautet: Wir fordern das Bundesministerium für Arbeit und soziale Ordnung auf, sich zu bewegen, weil die derzeitige Situation keine Rechtssicherheit bietet und weil wir bisher trotz mündlicher Zusagen noch nichts Einklagbares vorliegen haben. Insofern muss Frau Nahles liefern, damit die Vereine und die Ehrenamtlichen die verdiente Rechtssicherheit erfahren. – Ich bedanke mich für die ungeteilte Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der FDP und Eva Voigt-Küppers [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Für die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war ja bislang eine recht kurzweilige Debatte. Bei dem doch eher sperrigen Thema hätte ich gar nicht damit gerechnet, dass wir da zu einer derart emotionalen Debatte kommen.

Nichtdestotrotz will ich als Vorbemerkung – bevor wir dann zum Sport kommen – einmal festhalten, dass es eine große Errungenschaft ist, dass wir seit dem 1. Januar 2015 ein Mindestlohngesetz haben. Darüber, ob die Höhe von 8,50 € angemessen ist, lässt sich diskutieren, aber hier ist vielleicht nicht der richtige Ort dafür.

Und – wenn Sie mir diese kleine Spitze in Richtung FDP erlauben –: Ich glaube, die Erfahrung hat gezeigt, dass die regulative Kraft des Marktes eben nicht ausreicht, um verantwortungsvolle Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu ersetzen. Deshalb war die Initiative richtig, und deshalb ist auch das Mindestlohngesetz so in seiner Form erst einmal richtig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Müller hat es schon aufgegriffen: Das Ministerium hat im Sportausschuss in der Sitzung am 3. März 2015 einen von Ihnen beantragten Bericht vorgelegt, in dem noch einmal klargestellt wird, dass – so der Bericht – die Pflicht zur Zahlung eines Mindestlohns dann gegeben ist, wenn es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, nicht aber, wenn ein Ehrenamt vorliegt.

Das Mindestlohngesetz erstreckt sich nicht auf das Ehrenamt. Insofern hat Herr Bischoff sicherlich recht, wenn er sagt, dass es in Ihrem Wortbeitrag, Herr Dr. Kerbein, eine etwas unglückliche Vermischung von Ehrenamt und zu bezahlenden Tätigkeiten, die unter das Mindestlohngesetz fallen würden, gegeben hat.

„Ehrenamt“ heißt dabei aber nicht, dass es nicht auch eine adäquate Aufwandsentschädigung geben dürfte. Das Mindestlohngesetz bezieht sich auch nicht auf den Bereich, in dem Übungsleiterpauschalen und dergleichen gezahlt werden. Das kann auch weiterhin in der Art und Weise durch die Vereine gemacht werden. Da kommt auch kein von Ihnen wieder mal angeprangerter „bürokratischer Mehraufwand“ hinzu.

Also: Ehrenamtliche Tätigkeiten fallen gerade deshalb nicht unter das Mindestlohngesetz, weil eben nicht die Erwartung einer adäquaten monetären Gegenleistung im Vordergrund steht, sondern das Engagement für das Gemeinwohl.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Dr. Kerbein, wir sind da völlig einer Meinung: Vereine und ehrenamtlich Tätige in diesen Vereinen sind ein wichtiger Baustein unserer Gesellschaft – ohne jede Frage. Es geht in diesem Zusammenhang ja nicht in erster Linie um den schnöden Mammon, sondern es geht um das Engagement und die Verantwortung für das Gemeinwohl. Daran – das will ich doch noch einmal unterstreichen – ändert das Mindestlohngesetz erst einmal rein gar nichts. Es drangsaliert in dieser vorliegenden Form auch nicht den organisierten Sport.

Klar ist aber ebenso: Auch der Sport hat eine gesellschaftliche Verantwortung zur adäquaten Bezahlung da, wo reguläre Beschäftigungsverhältnisse bestehen.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Dann fallen Tätigkeiten im Sport selbstverständlich unter das Mindestlohngesetz. Also: Wenn beispielsweise in der Verwaltung eines Vereins jemand auf Minijobbasis die Arbeit dort unterstützt, dann liegt hier ein Arbeitsverhältnis vor, und das fällt selbstverständlich unter das Mindestlohngesetz. Das ist auch richtig so.

Wer allerdings eine Jugendmannschaft trainiert und dafür eine Übungsleiterpauschale erhält, tut dies in den allermeisten Fällen – das ist auch vollkommen unstrittig – ehrenamtlich. Das ist durch andere gesetzliche Vorgaben – wie zum Beispiel Steuerfreibeträge – geregelt und fällt gerade nicht unter das Mindestlohngesetz.

(Zuruf von Dr. Björn Kerbein [FDP])

Das kann sogar ein und dieselbe Person sein, wenn beide Tätigkeiten klar voneinander getrennt sind. Denn eines muss auch klar sein: Die Deklarierung als Ehrenamt darf nicht dazu führen, dass das Mindestlohngesetz bei eigentlichen Erwerbsbeschäftigungen unterlaufen wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Auch die sogenannten Vertragsamateure fallen erst mal grundsätzlich nicht unter das Mindestlohngesetz. Ich will aber trotzdem zugestehen, dass es hier eine Grauzone gibt.

(Zuruf von Dr. Björn Kerbein [FDP])

Deswegen bedarf es hier einer Einzelfallprüfung. Denn in vielen Fällen ist nicht ganz trennscharf zu unterscheiden, ob jemand die Tätigkeit in erster Linie als sportliche Betätigung sieht oder aus Spaß an der Freude ausübt, oder ob hier tatsächlich schon in erster Linie eine Betätigung zum Broterwerb vorliegt. Deswegen ist es richtig, dass wir weiterhin eine Einzelfallprüfung brauchen.

Aber ich glaube, das ist auch nicht das Kernstück, über das Sie sich auslassen wollten. Vielmehr – diese Bemerkung werden Sie mir auch erlauben – waren in Ihrem Antrag wieder allerlei Versatzstücke gegen den Mindestlohn enthalten. Es wird also wieder das Bürokratiemonster ausgerufen und dass die Sportvereine drangsaliert werden sollen.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Wenn aber kein Mindestlohn gezahlt werden muss, wird auch niemand drangsaliert, weil es keine Dokumentationspflichten gibt.

Kollege Bischoff hat es schon dargestellt: Sie sind grundsätzlich gegen das Mindestlohngesetz, und jetzt muss auch noch der Sport herhalten, um hier diese Debatte noch mal zu führen. – Ich glaube, dass wir gut daran tun, das Mindestlohngesetz und die durchaus bestehenden Grauzonen weiter im Ausschuss zu verfolgen.

Wir sollten aber ein Stück weit abrüsten, was die Ideologisierung angeht. Der Mindestlohn ist da; das ist gesellschaftlich erst mal gut. Das Ehrenamt ist eine gesellschaftspolitisch wichtige Aufgabe, keine Frage; es ist nach meiner Auffassung jedoch vom Mindestlohngesetz erst mal nicht erfasst. Die Grauzonen werden wir sicherlich im Ausschuss miteinander debattieren. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Lamla.

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Antrag der FDP – und täglich grüßt der Mindestlohn, so oder so ähnlich könnte man den heutigen Tagesordnungspunkt zusammenfassen, und eigentlich wäre damit alles gesagt. Man bekommt so ein bisschen den Eindruck, die neoliberale Mindestlohnkritik hat sich heute die Sporthose angezogen und besucht uns hier in Düsseldorf.

(Lachen von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Meine Vorredner haben eigentlich alles gesagt, und daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Ihnen allen einen Vorschlag für einen Paradigmenwechsel zu unterbreiten.

Zu Beginn möchte ich noch einmal sagen, dass wir Piraten die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns begrüßen. Es gehört zu den Aufgaben des Staates, sicherzustellen, dass auch im freien Markt die Menschenwürde respektiert wird. Wer voll berufstätig ist, darf nicht unter der Armutsgrenze leben und auf staatliche Zusatzleistungen angewiesen sein. Auch wenn nach unserer Ansicht der gesetzliche Mindestlohn mit 8,50 € etwas zu gering ausgefallen ist, halten wir seine Einführung für die richtige Entscheidung.

Mittelfristig wollen wir jedoch mit dem Recht auf eine sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe ein umfassenderes System zur allgemeinen bedingungslosen Existenzsicherung etablieren: Die Rede ist von der Einführung eines sogenannten bedingungslosen Grundeinkommens. Das wäre ein Paradigmenwechsel.

Aber was hat das alles mit Sport zu tun? Ich stimme der FDP teilweise zu, wenn sie feststellt, dass der Mindestlohn die Arbeit in den Sportvereinen erschwert hat. Es ist auch richtig, dass der gesetzliche Mindestlohn zu rechtlicher Verunsicherung bei den Sportvereinen und ?verbänden geführt hat.

Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass dem Ehrenamt bereits vor Einführung des Mindestlohns ziemlich viel abverlangt wurde. Die bezahlte Mitarbeit in einem Verein berührt grundsätzlich mindestens vier voneinander unabhängige Rechtsgebiete, was die Angelegenheit für Vereine nur schwer handhabbar macht. Beim Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht, Unfallversicherungsrecht und Steuerrecht fühlen sich viele kleine Vereine seit Jahren allein gelassen. Von der viel beschworenen Entlastung des Ehrenamts sind wir momentan noch meilenweit entfernt.

Trotzdem leisten bundesweit 8 Millionen ehrenamtlich Engagierte einen unverzichtbaren Beitrag für ihren Sportverein – ob als Übungsleiterin einer Turnstunde oder als Betreuerin in einer Sporthalle, als Schiedsrichterin beim Wettkampf oder als Platzwartin. Der Umfang des Engagements variiert nach persönlicher Kapazität, Interesse und Motivation.

Herr Bischoff, so leidenschaftlich ich Ihre Rede fand – die Grenzen zwischen Ehrenamt und Hauptamt im Sport verschwimmen leider. Deshalb ist es oftmals schwer zu erkennen, ob eine bezahlte Mitarbeit in einem Sportverein im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erfolgt oder nicht. Muss der Mindestlohn bezahlt werden oder nicht? Kann eine Angestellte den Verein am Ende womöglich sogar verklagen oder nicht? Zerbricht daran die Sportlandschaft?

Meine Damen und Herren, weder die rot-schwarzen Mindestentlöhner noch die grünen Gehaltszwerge oder die gelben Anschlussverwerter haben eine Lösung für das Problem. Daher fordern wir Piraten Sie auf: Sehen Sie den Mindestlohn als eine Brückentechnologie! Folgen Sie dem Vorschlag der Piraten, und setzen Sie sich für das bedingungslose Grundeinkommen ein!

Damit wären wir mit einem Schlag ganz viele Sorgen los. Die Sportvereine müssten sich fortan nicht mit dem Klein-Klein des Mindestlohns befassen. Sie könnten ihre Zeit für sinnvollere Dinge nutzen, wie zum Beispiel für die Werbung von neuen Mitgliedern und Ehrenamtlern. Existenzängste würden der Vergangenheit angehören, und die Ehrenamtlichen könnten sich somit voll und ganz auf ihr Ehrenamt konzentrieren. Der Staat könnte sich endlich selbst für seine Stärkung des Ehrenamtes rühmen. Das bedingungslose Grundeinkommen auch im Sport wäre eine Win-Win-Win-Situation für alle.

Mir bleibt nur, hinzuzufügen: Wir stimmen selbstverständlich der Überweisung an den Ausschuss zu, obwohl ich nicht glaube, dass wir von unserer Linie abweichen werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Schäfer das Wort.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich möchte Ihnen am Anfang einmal vortragen, was die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Ehrenamt gesagt hat:

„Die ehrenamtliche Tätigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Vergütung grundsätzlich nicht erwartet wird. Die Ausübung von Ehrenämtern dient insofern nicht der Sicherung oder Besserung der wirtschaftlichen Existenz. Sie ist vielmehr Ausdruck einer inneren Haltung gegenüber Belangen des Allgemeinwohls.“

Ich trage das vor, weil diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dem Mindestlohngesetz zugrunde gelegt ist.

Das ist ein sehr unbestimmter Rechtsbegriff. Für Herrn Müller gleich noch die Anmerkung: Das gilt natürlich für jedes Ehrenamt. Das ist nicht nur auf den Sport konzentriert, sondern es gilt für andere ehrenamtliche Tätigkeiten ebenso. Insofern ist es manchmal schwierig, bei diesen Grauzonen – das wurde gerade noch einmal gesagt – zwischen Minijob und Ehrenamt zu unterscheiden. Es kann auch einen Minijob geben, der durchaus ehrenamtlich getragen ist.

Wenn man das alles jetzt gesetzlich definieren und festlegen wollte, würde das zu unglaublichen Fallkonstellationen führen, die man vermutlich gar nicht gerichtsfest hinbekommen würde. Deshalb war es richtig und wichtig, dass der DOSB und der DFB das Gespräch mit Frau Nahles in dem Kontext geführt und nachgefragt haben: Was bedeutet das tatsächlich für das Ehrenamt im Sport? Was bedeutet das für Sportvereine?

Ich habe gerade noch einmal – deswegen habe ich mein iPad hier vorne liegen – im Internet nachgeschaut und noch einmal den Brief durchgelesen, den DFB und DOSB am 6. März 2015 an alle Vereine geschickt haben. Die beiden Verbände haben diesen Brief nach den Gesprächen im BMAS gemeinsam unterzeichnet. Der letzte Satz – ich zitiere aus dem Brief von 6. März 2015 – lautet:

„Zusammenfassend können wir mit dem erzielten Ergebnis sehr zufrieden sein. Es ist nicht auszuschließen, dass auch künftig noch Grenzfälle auftreten können und werden. Für die meisten Fallkonstellationen wurden jedoch nun praktikable Lösungen und Rechtssicherheit hinsichtlich der Haftung für die Vereine und damit die zu Recht angemahnte Klarheit geschaffen.“

Der Inhalt wurde auch mit dem BMAS abgestimmt, sodass man erst einmal davon ausgehen kann, dass dies die Handlungsgrundlage ist.

Gleichzeitig kann ich Ihnen aber auch mitteilen, dass es immer noch Gespräche über die sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen zwischen den Spitzenverbänden der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung sowie der Bundes-agentur für Arbeit gibt. Darüber wird weiter beraten bzw. behandelt. Ich finde, dass man das erst noch abwarten muss.

Ganz wichtig aber ist: Jedermann kann – unabhängig davon, was jetzt noch weiter beraten oder verhandelt wird – jederzeit den sozialversicherungsrechtlichen Status von der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund prüfen und feststellen lassen. Jeder hat die Möglichkeit, dies in Anspruch zu nehmen. Dem Brief von DSOB und DFB war ja zu entnehmen, dass es um einzelne Grenzfälle geht, wo man sich nicht ganz sicher sein kann.

Insofern hoffe ich, dass wir diese Debatte entemotionalisieren können. Ich hoffe außerdem, dass das jetzt kein Versuch war, hier noch einmal eine Debatte über den Mindestlohn aufzumachen, sondern dass es tatsächlich um den Sport in Vereinen geht. Davon gehe ich einfach einmal aus, weil ich Herrn Dr. Kerbein auch so einschätze. Insofern freue ich mich auf die versachlichte Debatte im Sportausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Aussprache schließen kann.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/8994 an den Sportausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dagegen stimmen? – Sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so an den Sportausschuss überwiesen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt:

9   Hohe Krankenstände in der Landesverwaltung durch Einführung eines pro-aktiven behördlichen Gesundheitsmanagements senken

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8981

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion der CDU hat Herr Kollege Lohn das Wort.

Werner Lohn (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gesundheitsmanagement – was ist das denn? Brauchen wir das überhaupt? – So war noch vor einigen Jahren die erste Reaktion bei Politikern und Behördenleitern. Die Zeiten haben sich Gott sei Dank geändert. Heute ist es so, dass man sich nach der Luxemburger Deklaration aus dem Jahre 1997 im Prinzip einig ist:

„Gesunde, motivierte und gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sowohl in sozialer wie auch in ökonomischer Hinsicht Voraussetzung für eine erfolgreiche Landesverwaltung.“

Verehrte Damen und Herren der Landesregierung – Herr Kutschaty vertritt Sie heute, glaube ich –, modernes Gesundheitsmanagement ist also mehr als Müsli und ein bisschen Bewegung für die Mitarbeiter. Es muss vielmehr eine ganzheitliche Unternehmens- und Organisationsstrategie sein. Sie soll darauf abzielen, Krankheiten am Arbeitsplatz und krankmachenden Arbeitsbedingungen vorzubeugen.

Zu einer solchen Strategie gehören beispielsweise ein moderner Führungsstil, eine moderne Personalentwicklung, wodurch Mitarbeitergesundheit als sozialer und ökonomischer Wert geschätzt wird; das Schaffen von Behördenstrukturen und Arbeitsplatzsituationen, die nicht krankheitsfördernd sind; Transparenz und Beteiligung von Mitarbeitern und Gewerkschaften bei den Veränderungsprozessen sowie größtmögliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere für Teilzeitbeschäftigte. Hier ist – bei allem Respekt – der Begriff „Gender Mainstreaming“ einmal richtig angewandt. Da ist es vonnöten.

Möglichst weitreichende Entscheidungsverantwortung und Gestaltungsspielraum für die Beschäftigten tragen zur Motivation und zu hoher Arbeitszufriedenheit bei. Natürlich gehört auch eine effektive Gesundheitsförderung durch Sportangebote, Gesundheitsberatung, Kuren und gesunde Ernährung dazu. Also auch Müsli und Sport – aber nicht nur!

Ein solch ganzheitliches und professionelles Gesundheitsmanagement ist eine dringend notwendige Investition in die Zukunft. Wie sieht das bei uns in Nordrhein-Westfalen aus? Wir haben leider immer noch kein wirkliches Gesundheitsmanagement. Dafür aber haben wir einen erschreckend hohen Krankenstand in der Landesverwaltung. Seit Februar dieses Jahres liegt uns der Krankenstandsbericht vor. Er hat immer noch das Manko, dass die Daten von 180.000 Lehrern nicht miterfasst worden sind. Trotzdem hat er eine Aussagekraft, denn der Krankenstand in der Landesverwaltung ist alarmierend hoch.

Wir haben im Jahr 2013 insgesamt 2,6 Millionen Krankentage zu verzeichnen – und das bei nur 143.000 Beschäftigten, wobei die Lehrer, wie gesagt, fehlen. Das ist ein Ausfall von 7,53 % aller vorgesehenen Arbeitstage und macht durchschnittlich 18 Fehltage pro Jahr und Mitarbeiter aus. Dies entspricht im Jahr – das ist wirklich sehr erstaunlich – unproduktiven Personalkosten in Höhe von ca. 520 Millionen €. Wenn man die Lehrer dazurechnen würde, käme man bei den unproduktiven Personalkosten wahrscheinlich leicht auf eine Summe in Höhe von 1 Milliarde €. Das ist natürlich nicht alles einzusparen; aber darauf komme ich gleich noch.

Man kann die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst sicher nicht eins zu eins mit denen vergleichen, die in der freien Wirtschaft herrschen; deswegen geht das auch bei den Krankendaten nicht. Der Unterschied aber ist gravierend. Im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen liegt der krankheitsbedingte Arbeitsausfall bei nur 3,78 %; das entspricht ungefähr neun Fehltagen pro Person. Das heißt also, der Krankenstand im öffentlichen Dienst unseres Landes war in 2013 doppelt so hoch wie der in der Privatwirtschaft.

Im Bereich von Polizei und Justiz war er noch viel höher; da sind es circa 20 Fehltage. Im Bereich des Arbeitsministeriums ist der Krankenstand mit 10,2 % und 24 Arbeitstagen pro Mitarbeiter bezeichnenderweise am höchsten. Da fällt krankheitsbedingt fast ein ganzer Arbeitsmonat pro Mitarbeiter aus.

Die ökonomische Dimension des Krankenstandes wird deutlich, wenn man realisiert, dass allein 1 % weniger Krankentage in der NRW-Verwaltung pro Jahr zu einer Ersparnis von circa 69 Millionen € führen würden.

Man kann jetzt über die Ursachen mutmaßen – richtige und belastbare Erkenntnisse liegen uns dennoch nicht vor. Wir brauchen deswegen eine Studie über Ausmaß, Ursachen und Verbesserungsmöglichkeiten in Sachen Mitarbeitergesundheit. Diese fehlt bislang noch. Die Landesregierung ist leider noch nicht so weit. Sie verweist jedoch seit mittlerweile fünf Jahren darauf, dass das Gesundheitsmanagement zusammen mit der großen Dienstrechtsreform kommen soll.

Ich bin gespannt, wann sie denn kommt. Die letzte Auskunft, die hierzu vorliegt, stammt vom 15. Januar 2015. Da sagte, glaube ich, der Innenminister: In den ersten Monaten dieses Jahres lege ich einen Referentenentwurf zur großen Dienstrechtsreform vor,

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das halbe Jahr ist um! Wo ist es?)

und darin ist auch das Gesundheitsmanagement enthalten.

Ich kann Ihnen Folgendes dazu sagen: Wir haben heute den 24. Juni, und …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Werner Lohn (CDU): … selbst bei weitestgehender Auslegung des Kalenders sind die ersten Monate bereits vorbei, und ein Ergebnis ist leider nicht zu sehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Werner Lohn (CDU): Verehrte Damen und Herren, ich komme jetzt zum Ende. Das Gesundheitsmanagement muss, wenn es funktionieren soll, zur Chefsache gemacht werden.

Frau Kraft ist jetzt nicht da; das möchte ich gar nicht kritisieren. Frau Kraft hätte jetzt noch zwei Jahre Zeit, sich um das Wohl von 400.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu kümmern. Weisen Sie endlich Ihre Ressortchefs an, aktiv zu werden! Der bloße Rahmenvertrag des Innenministeriums aus dem Jahr 2011 reicht dazu bei Weitem nicht aus. Wir sind alle aufgefordert, für das Wohlbefinden der Mitarbeiter etwas zu tun. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Hahnen.

Uli Hahnen (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, das Senken von Krankheitsständen, ein ordentliches Gesundheitsmanagement – das sind Allerweltswahrheiten, das sind Binsenweisheiten. Ich glaube, das brauchen wir hier nicht erneut zu beschließen. Wir könnten auch gerne einmal beschließen, Herr Kollege Lohn, dass im Himmel Jahrmarkt sein soll. Ein bisschen habe ich das Gefühl, dass Sie noch nicht auf dem aktuellen Stand sind.

Das ist ja ein altbekanntes Thema, und wir, die Koalitionsfraktionen, haben dieses Thema ganz hochrangig angesiedelt, nämlich in unserem Koalitionsvertrag. Das können Sie gerne im Koalitionsvertrag nachlesen. Darüber hinaus haben wir im Mai des Jahres 2011 von der Landesregierung ein entsprechendes Rahmenkonzept mit passgenauen Konstellationen für das Gesundheitsmanagement bekommen. Dort sind die Eckpunkte für die einzelnen Ressorts genannt – Sie können sie gerne nachlesen –, und zwar handelt es sich um ressort- und behördenspezifische Konzepte unter Einbeziehung der jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wir kommen ja aus dem Innenbereich. Sie wissen sicherlich, dass die Landesregierung insbesondere für die Polizei, die Sie in Ihrem Antrag besonders hervorheben, schon seit Langem ein ganz spezielles betriebliches Gesundheitsmanagement entwickelt hat. Nicht nur dort, sondern in der gesamten Landesverwaltung haben wir fortlaufend Erweiterungen vorgenommen und entsprechende Programme aufgelegt, und zwar Programme, die mit den entsprechenden finanziellen Mitteln hinterlegt sind.

Eigentlich sollte Ihnen das als CDU-Fraktion bekannt sein, zumindest denjenigen, die schon in den schrecklichen fünf Jahren zwischen 2005 und 2010 diesem Landtag angehört haben. Denn selbst in dieser Zeit hat es ein entsprechendes Gesundheitsmanagement hier im Hause gegeben, und zwar in allen Ministerien.

Aber lassen Sie uns einmal darüber reden, welches denn die Gründe für einen hohen Krankenstand sind. Die Gründe liegen eindeutig in der Arbeitsverdichtung. Wenn ich vor diesem Hintergrund heute wieder von Ihnen höre, Herr Lohn, dass Sie den Krankenstand lediglich mit Geld und Einsparmöglichkeiten im Haushalt in Verbindung bringen, dann sage ich Ihnen: Bei den Koalitionsfraktionen steht der Mensch und dessen Gesundheit im Vordergrund, und erst danach geht es um die Kosten, die aufgrund der Krankenstände entstehen.

Die Arbeitsverdichtung war in den Jahren 2005 bis 2010 das Thema der Regierung von CDU und FDP. Sie haben einen massiven Personalabbau betrieben, Sie haben in NRW 13.611 Stellen abgebaut, und Sie hatten den Plan, über das Jahr 2010 hinaus weitere 12.000 Stellen abzubauen. Gott sein Dank hat der Wähler diesen Unfug mit seiner Wahlentscheidung im Jahr 2010 gestoppt.

Fazit: Sie haben einen Antrag gestellt; es ist ja immer schön, wenn man einen Antrag stellen kann. Wir können diesen Antrag gerne im Ausschuss beraten. Ich habe ein wenig das Gefühl, dass Ihnen der Sachverstand bei der Bewältigung dieses Themas fehlt. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Also lassen Sie uns das Ganze im Fachausschuss gerne noch einmal gemeinsam aufarbeiten. Vielleicht haben Sie, Herr Kollege Lohn, bis dahin auch Gelegenheit, noch einmal all das nachzulesen, was die Regierungskoalitionen vereinbart haben und vor allen Dingen, was davon umgesetzt worden ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hahnen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hohe Krankenstände sind in jeder Organisation – ob in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst – immer ein Alarmsignal und eine Aufforderung an die Arbeitgeber, Hintergründe zu ermitteln und Ursachen anzugehen.

Nicht unbedingt helfen dabei Durchschnittswerte weiter. Ich erinnere mich an ein Beispiel aus der Polizei – das war zu Ihrer Regierungszeit, Herr Lohn –, da hatten wir ebenfalls über dieses Thema im Innenausschuss diskutiert. Damals haben wir uns die Krankenstände behördenspezifisch auflisten lassen, und es gab eklatante Unterschiede zwischen den einzelnen Behörden.

Ich meine, damals wäre Köln der Spitzenreiter gewesen. Andere Behörden wiederum hatten nur einen Bruchteil der Krankenstände zu verzeichnen. Man muss also genau hinschauen. Unter Umständen sind behördenspezifische Ursachen der Grund, oder eben auch andere.

Und deswegen, Herr Lohn – da kann ich dem Kollegen nur zustimmen, der gerade gesprochen hat –: Sie haben die Zeit irgendwie verpasst.

Es gibt – zumindest kenne ich das auch und habe es mir einmal darstellen lassen – extra für die Polizei ein behördliches Gesundheitsmanagement, weil man das nicht einzelnen Behörden überlassen darf. Denn dann kommen wir zu solchen Ergebnissen, wie wir sie vor einigen Jahren hatten, dass damit sehr unterschiedlich umgegangen wurde. Es muss verbindliche Standards geben. Sie sind eingeführt worden. Es gibt dieses Management.

Und es ist richtig: Das hat viel mit verschiedenen Faktoren zu tun. Es hat vor allem viel mit guter Führung zu tun, ob sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohlfühlen oder nicht wohlfühlen. Gute Führung sollte merken, dass da eventuell etwas nicht stimmt, und ein Personalgespräch führen oder andere Dinge tun. Das hat mit Arbeitsschutz tun, aber auch mit Personalverwendung, um individuelle Lösungen zu finden. Für all das braucht man ein vernünftiges Management. Da ist eine ganze Menge passiert. Und man braucht natürlich auch Prävention.

Das hat aus unserer Sicht zunächst einmal nichts mit dieser Dienstrechtsreform zu tun. Herr Lohn, ich weiß gar nicht wie Sie auf diese Vorstellung kommen, dass das alles in die Dienstrechtsreform verschoben werde.

(Marc Lürbke [FDP]: Das hat der Minister gesagt! – Zuruf von Werner Lohn [CDU])

Es passiert jeden Tag, dass dieses Gesundheitsmanagement gelebt wird. Aus meiner Sicht hat das mit einer Reform nichts zu tun, sondern muss unabhängig von solchen Reformen flächendeckend implementiert werden.

Deswegen schlage ich vor: Statt eines Antrags hätten Sie vielleicht erst einmal eine Anfrage machen sollen, um alle auf denselben Stand zu bringen. Vielleicht hätten Sie fragen sollen, dann wären Sie jetzt etwas schlauer, und wir könnten aufgrund des vorliegenden Sachverhalts besser diskutieren.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Düker, „fragen“ ist ein gutes Stichwort. Herr Kollege Lohn würde Sie nämlich gerne etwas fragen. Er hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet.

Monika Düker (GRÜNE): Na klar, wenn es in der Sache weiterhilft, Herr Lohn, helfe ich Ihnen immer gerne.

(Heiterkeit von Astrid Birkhahn [CDU])

Werner Lohn (CDU): Frau Düker, ich glaube, in diesem Fall muss ich Ihnen mal weiterhelfen. Sie haben mich gerade gefragt, warum das mit der Dienstrechtsreform kombiniert werden müsse. Ich möchte mal aus einem Schreiben des Finanzministers vom 15. Januar 2015 zitieren. Da schreibt er: „Inhaltliche Schwerpunkte der Dienstrechtsmodernisierung sind: …“ Dann kommen die Punkte 1 bis 5, die ich Ihnen ersparen will. Unter Punkt 6 heißt es: „Schaffung eines behördlichen Gesundheitsmanagements.“

Wenn Sie als regierungstragende Fraktion nicht wissen, was in den Ministerien passiert, wundert es mich auch nicht, dass Sie nie zu einem Gesundheitsmanagement kommen.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Lohn, selbstverständlich gehört eine fortlaufende Optimierung eines behördlichen Gesundheitsmanagements in jede Reform hinein. Und was gut ist, kann immer noch besser gemacht werden. Aber festzustellen, dass gar nichts gemacht wird, und dann alles erst irgendwann mit der Dienstrechtsreform anzugehen, ist falsch.

Wie gesagt: Formulieren Sie das als Frage und lassen Sie sich berichten. Ich nehme an, die Landesregierung wird gleich noch einiges darstellen. Dann können wir auf der Grundlage dessen diskutieren, was ist.

Ich finde es schon ein bisschen dreist, wie Sie vorgehen. Ich zitiere einige Ihrer „Eckpunkte“, die Sie als Voraussetzungen nennen:

„Einbeziehung des Ziels Mitarbeitergesundheit …“  — Sie reden da von „Leitbild“. Sie reden von „Einbindung der Beschäftigten und ihrer Personalvertretungen …“, „Beteiligung von Führungskräften“, „Workshops“, „Projektgruppen“ und „Steuergremien“. Vor allen Dingen reden sie viel von Beteiligung und Einbindung und davon, dass dann auch genug Stellen da sein müssen, damit die Menschen sich wohlfühlen.

Was haben Sie denn fünf Jahre lang gemacht? Sie haben die Axt an das Landespersonalvertretungsgesetz gelegt. Genau das, was Sie hier einfordern, haben Sie doch in Ihrer real existierenden Regierungszeit völlig demontiert. Sie haben während Ihrer Regierungszeit das Gegenteil dessen gemacht, was Sie jetzt aufschreiben.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Kein Mensch glaubt Ihnen doch, dass sie das ernst meinen.

(Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE])

Das andere ist: Wir haben von Ihnen bei Regierungsübernahme eine Stellenbesetzungsquote von 70 % bei den Bezirksregierungen – da haben Sie ordentlich zugelangt – übernommen. Und jetzt jammern Sie hier darüber, dass nicht genug Stellen vorhanden bzw. frei seien und dass man das alles ändern müsse.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: So richtig glaubwürdig kommt das nicht rüber, wenn Sie das fordern, wenn man an Ihre fünf Jahre Regierungszeit zurückdenkt, die wir Gott sei Dank beendet haben. Jetzt sind wir auf dem Weg, genau das umzusetzen.

(Zuruf von Werner Lohn [CDU])

Deswegen: Fragen Sie erst einmal, bevor Sie solche Forderungen stellen. Dann kommen wir weiter.

(Beifall von Dr. Roland Adelmann [SPD])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne Frage sind für eine effektive und erfolgreiche öffentliche Verwaltung motivierte und vor allem auch gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unerlässlich. Daher ist wohl auch Konsens – das hat man schon in verschiedenen Beiträgen herausgehört –, dass die hohen Krankenstände in der Landesverwaltung durch Einführung eines proaktiven behördlichen Gesundheitsmanagements noch erfolgreicher gesenkt werden können.

Ich will das ganz exemplarisch für einen Geschäftsbereich des Innenministeriums machen, nämlich konkret für die Polizei. Das ist auch schon mehrfach angesprochen worden. Im Jahr 2013, liebe Kolleginnen und Kollegen, waren bei der Polizei NRW 4.591 Beschäftigte länger als 31 Tage krank. Insgesamt fielen in dem Jahr fast eine Million Krankentage an. Frau Düker, bei einer Million Krankentage ist auch nicht mehr die Frage, wie sich das behördenspezifisch aufteilt.

(Monika Düker [GRÜNE]: Doch! Doch! Doch!)

Das sind über 4.000 Stellen oder, wenn man es korrekt sagt, über 4.000 Vollzeitäquivalente, die dauerhaft in den Behörden vor Ort durch Krankheit fehlen. Das ist eine Riesenbaustelle. Deshalb müssen in der Tat die Ursachen auf den Tisch, und sie müssen untersucht werden. Insofern hat die CDU an dieser Stelle durchaus recht, wenn sie in ihrem Antrag eine entsprechende Studie zur Erforschung der Ursachen fordert.

Aber, meine Damen und Herren, bei der Polizei braucht man nicht unbedingt erst eine solche Studie. Denn dort liegen verschiedene Informationen heute schon auf dem Tisch. So hat die Expertenkommission „Bürgernahe Polizei – Den demographischen Wandel gestalten“ eindringlich festgestellt, dass das gesamte Arbeitsvermögen der Polizei aufgrund von Ausfallzeiten durch Krankheiten, Teilzeit oder Verwendungseinschränkung auf nur 75 % reduziert ist. Oder, anders gesprochen: 25 % der Arbeitszeit der Polizei stehen dauerhaft nicht zur Verfügung. Jeder vierte Polizeibeamte existiert faktisch nur auf dem Papier, aber nicht für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger auf der Straße.

Was hat das alles mit Gesundheitsmanagement zu tun? Ich glaube, eine ganze Menge. Denn zugleich haben wir einen enormen Überstundenberg, den Polizeibeamte anhäufen. Dies geschieht unter anderem auch dadurch, dass sie dann die Arbeit ihrer fehlenden Kollegen ausgleichen müssen – und das unter Druck, Stress und zusätzlicher Arbeitsbelastung, bis sie dann am Ende womöglich auch noch selbst krank werden.

Die Expertenkommission warnt eindringlich, dass diese dauernde Schwächung und Lücke des Personalkörpers nicht auf dem Rücken der Kollegen kompensiert werden könne. „Auf dem Rücken“ ist eigentlich ein sehr schöner Begriff dabei, wenn wir hier über Gesundheitsmanagement reden. Ihm kommt in diesem Zusammenhang ja eine doppelte Bedeutung zu.

Richtigerweise fordert daher die Expertenkommission eine Korrektur der Einstellungsermächtigungen, wie wir das als FDP-Fraktion auch schon lange fordern. Da geht es auch um mehr als die 326 unbesetzten Tarifstellen, Herr Lohn, die Sie in Ihrem Antrag aufgeführt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet das jetzt alles für das behördliche Gesundheitsmanagement? Wie erfolgreich ist denn die Umsetzung des bereits bestehenden Gesundheitsmanagements der Polizei Nordrhein-Westfalens?

Frau Düker, Sie haben gesagt, da müsse man jetzt erst einmal eine Anfrage stellen. Ich nehme jetzt einmal die CDU in Schutz. Sie hat eine Anfrage gestellt. Ich kenne zum Beispiel die Anfrage des Kollegen Golland, der sich nach dem Gesundheitsmanagement bei der Polizei erkundigt hat. Die Antworten darauf waren leider sehr, sehr dünn. Sie haben gezeigt, dass hier noch viel, viel mehr passieren muss, dass bisher alles nur sehr, sehr schleppend vorangeht. Deswegen besteht in dieser Frage noch absoluter Handlungsbedarf in Nordrhein-Westfalen.

Ich gebe nur ein Beispiel zum Schluss: Ich hatte eben schon vom Rücken gesprochen, daher komme ich jetzt auf die Rückenschmerzen. Rückenschmerzen zählen in der Arbeitsunfähigkeitsstatistik für Polizeibeamte des Landes Sachsen-Anhalt zu den häufigsten Erkrankungen. Deshalb gibt es dort das wissenschaftliche Projekt „Evaluation einer aktiven Krafttrainingstherapie bei männlichen Polizeibeamten mit Rückenschmerzen“. Warum das jetzt nur die männlichen Beamten betrifft, weiß ich nicht, das ist ja eine Evaluation aus Sachsen-Anhalt. Aber ich bezweifle stark, dass die Rücken der Polizeibeamten in Nordrhein-Westfalen nicht auch ähnliche Probleme machen. Da könnte man ja mal hinterfragen, welche Rolle die möglichst rückenschonende Sitzhöhe und Haltung bei der Auswahl und Ausschreibung der Streifenwagenmodelle der Polizei spielt, in denen die Polizeibeamten jeden Tag viele Stunden sitzen.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Recaro-Sitze!)

Sie sehen, da gibt es noch viele spannende Fragen, denen wir uns im Ausschuss widmen müssen. Darauf freue ich mich; das wird sicher eine spannende Beratung. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und Dr. Marcus Opten-drenk [CDU])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Schatz das Wort.

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Lürbke, Recaro-Sitze im Streifenwagen fände ich super. Darüber müssen wir auf jeden Fall reden.

Aber zurück zum Thema: Bereits am 29. August 2012, also kurz nach Beginn der Wahlperiode, hat meine Fraktion das Thema mit der Großen Anfrage 1 aufgegriffen und im weiteren Verlauf der Wahlperiode aufrechterhalten.

Ich bedanke mich in diesem Fall ausdrücklich bei der CDU-Fraktion, dass sie dieses sehr wichtige Thema nach nunmehr drei Jahren endlich für sich entdeckt hat, sich unserer Meinung anschließt und die Debatte mit diesem Antrag aufrechterhält. Der Antrag geht definitiv in die richtige Richtung, Herr Lohn, und wird daher von uns wohlwollend aufgenommen.

(Beifall von Werner Lohn [CDU])

Es ist aus meiner Sicht auch beschämend, dass die Landesregierung es immer noch nicht geschafft hat, sich dieses Themas anzunehmen, nachdem sie nun schon seit Jahren großspurig darauf verweist, es mit der großen Dienstrechtsreform angehen zu wollen. Die Frage ist aber: Wo bleibt denn diese Dienstrechtsreform? – Ich habe im Kopf, dass Anfang 2013 schon etwas kommen sollte, zuletzt wurde das Jahr 2015 erwähnt. Jetzt haben wir Mitte 2015, und es immer noch nichts da. Und ich habe das Gefühl, dass in dieser Legislaturperiode von Ihnen gar nichts mehr kommt.

Jetzt sprachen Herr Hahnen und Frau Düker an, das Gesundheitsmanagement bei der Polizei gebe es ja schon. Auf dem Papier mag es das geben. Da gibt es auch das Eingliederungsmanagement. Aber wenn Sie jetzt mit den Personalräten sprechen, dann wird dieses Management auch immer gerne als Ausgliederungsmanagement bezeichnet, durch das kranke Menschen aus den Dienst herausgedrängt werden sollen, nach dem Motto: Wenn Sie nicht wiederkommen, fliegen Sie raus. – Ob das für die Beamten und Beschäftigten dieses Landes der richtige Weg ist, weiß ich nicht. Ich halte das jedenfalls nicht für den richtigen Weg.

Ich denke, und da bin ich mir mit der CDU einig, die Krankenstände sind allarmierend hoch. Die Landesregierung hat bisher nur bedingte Maßnahmen ergriffen, um dieses Problem vernünftig anzugehen. Da die Regierung aber mit unserer Großen Anfrage bereits im Jahr 2012 auf das Thema hingewiesen wurde, können wir hier und heute natürlich erwarten, dass spätestens nach der Sommerpause ein detaillierter Plan vorgelegt wird, um ein geeignetes Gesundheitsmanagement für die gesamte Verwaltung zu etablieren.

Vielleicht ein kleiner Tipp am Rande, mit dem man eventuell weiter arbeiten kann. Vor gar nicht allzu langer Zeit – ich meine, es war sogar im Rechtsausschuss – habe ich die Frage gestellt, ob es von offizieller Seite ebenso gesehen wird. Das wurde meines Erachtens auch bejaht. Es gibt nämlich anscheinend einen komischen Effekt. Ganz grob kann man sagen: Je höher die Besoldungsgruppe ist, desto niedriger ist der Krankenstand.

Jetzt kann man es sich einfach machen und sagen, dann bezahlen wir einfach alle mit A15, und wir haben keine Kranken mehr. Ich denke aber, dass die Lösung nicht so einfach ist. Dennoch ist dieser Effekt offensichtlich vorhanden. Wir sollten uns die Frage stellen, woran das liegt. Allein an der höheren Vergütung wird es nicht liegen. Ich behaupte, es liegt vor allem auch daran, dass mit mehr Geld natürlich automatisch immer ein Mehr an Verantwortung, an Partizipation bei getroffenen Entscheidungen und auch die Anerkennung der geleisteten Arbeit einhergehen. Das werden die Hauptgründe für diesen Effekt sein.

Die Landesregierung muss sich vor allem daransetzen, ihre Beschäftigten für die Arbeit richtig wertzuschätzen, und ihnen zeigen, dass sie wichtig sind und dass es ihre geleistete Arbeit ist, die diesen Staat aufrechterhält.

(Beifall von den PIRATEN)

Eines kann ich Ihnen versichern: Plumpe Reden hier im Hause, wo Sie mit tollen Worten immer wieder hervorheben, wie toll doch alle sind und wie super alle arbeiten, welche Leistungen sie vollbringen, helfen da mit Sicherheit in keiner Art und Weise weiter. Das Einzige, was Sie damit vielleicht erreichen, ist, dass sich die Beschäftigten damit noch mehr verhöhnt fühlen. Denn wenn Sie sie in tollen Sonntagsreden über den Klee loben, ihnen aber nicht auch mit Taten zeigen, was sie wert sind, dann bringt das gar nichts. Sie müssen ihnen zeigen, und zwar mit Taten, was sie wert sind. Reden reichen da nicht. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN und Ursula Doppmeier [CDU])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Schatz. – Für die Landesregierung erteile ich in Vertretung von Herrn Minister Jäger Herrn Minister Kutschaty das Wort.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU-Fraktion zitiert insbesondere eine Zahl, nämlich: 7,53 %. Das ist die durchschnittliche Krankenquote im Jahr 2013 gewesen. Dieser Krankenstand gibt immer wieder von Neuem Anlass, dem betrieblichen Gesundheitsmanagement eine sehr hohe Priorität einzuräumen. Und genau das tut diese Landesregierung seit vielen Jahren. Das belegt nicht nur der Koalitionsvertrag, das beweisen vor allem die umfassenden Konzepte und Maßnahmen in allen Bereichen der Landesverwaltung.

Aber wir sehen nicht nur die Quote, meine Damen und Herren, sondern wir sehen insbesondere die Menschen hinter der Quote. Auch wir wollen gesunde Beschäftigte. Unredlich ist es, uns zu unterstellen, die genannte Krankenstandsquote lasse sich mit mangelndem Gesundheitsmanagement in Verbindung bringen.

Hätten Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, den aktuellen Krankenstandsbericht einmal genau gelesen, so wäre Ihnen aufgefallen, dass die für die Landesverwaltung ermittelte Krankenstandsquote mit den Daten, die die gesetzlichen Krankenversicherungen erheben, nicht vergleichbar ist.

Ich will Ihnen das gerne erklären. Die gesetzlichen Krankenversicherungen erheben in der Regel nur die attestpflichtigen Krankheitstage, also krankheitsbedingte Abwesenheiten, die länger als drei Tage dauern. Dagegen erfasst die Krankenstandserhebung der Landesverwaltung alle krankheitsbedingten Abwesenheitstage vom ersten Tag an. Dass da natürlich Verzerrungen in der Statistik auftreten, ist, glaube ich, relativ schnell nachvollziehbar.

Auch sind die Beschäftigtengruppen so nicht vergleichbar. Es ist allgemeiner Wissensstand, dass die Altersquote im öffentlichen Dienst besonders hoch ist. Ich will Ihnen hier auch nur eine Zahl nennen. Im Jahr 2013 waren bereits 55 % der Landesbeschäftigten älter als 45 Jahre. Dass bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern insbesondere die Anzahl der Dauererkrankungstage höher ist als bei jungen Beschäftigten, ist wohl auch sehr nachvollziehbar.

Wir haben uns schon früh verpflichtet, da etwas zu tun, ein strategisches Gesundheitsmanagement in allen Landesbehörden aktiv zu fördern. Auch die Wiedereingliederung von kranken Beschäftigten steht bei uns sehr zentral im Mittelpunkt. Wir haben 2011 ein Rahmenkonzept zum betrieblichen Gesundheitsmanagement erarbeitet, das für alle Ressorts auf einer einheitlichen Basis gilt, aber auch passgenaue Konzepte für die jeweiligen, individuell sehr unterschiedlichen Bereiche ermöglicht. Das bedeutet nicht allein Äpfel für alle am frühen Morgen, sondern auch ganz bewusstes strategisches Handeln in den Bereichen Führung, Personalmanagement, Organisation, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Behördenkultur und Werte, aber auch bei der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Ich will Ihnen das am Beispiel meines Geschäftsbereichs ganz konkret erläutern. Ich habe mir vor fünf Jahren natürlich zunächst die Krankenstände angeschaut. Das mache ich auch in regelmäßigen Abständen. Mir war relativ schnell klar, wenn es hier gelingen könnte, allein aus dem Geschäftsbereich ein Drittel der Kranken wieder gesund zu machen, gäbe es überhaupt keine Personalprobleme. Deswegen arbeiten wir daran auch sehr intensiv.

Das beginnt mit dem Gesundheitsmanagement im Ministerium selbst, wo wir nämlich darauf achten, dass Menschen genau so eingesetzt werden, wie es ihren Fähigkeiten entspricht. Das ermöglicht, dass wir keinen überfordern, aber auch keinen unterfordern, dass wir die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf als genauso wichtig betrachten wie die regelmäßige Abhaltung von Gesundheitstagungen und das gezielte Gesundheitsfördern der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Maßnahmen im Justizministerium geben ihnen recht. Ich bin immer sehr stolz, auch sagen zu können, dass die Kolleginnen und Kollegen im Justizministerium mit einer Krankenstandsquote von rund 3,5 % belegen, dass aktives Gesundheitsmanagement, wie wir es praktizieren, auch erfolgreich ist.

Das Gleiche gilt auch für den Geschäftsbereich. Es gibt eben doch sehr große Unterschiede. Das kann man genauso im Polizeibereich, im Justizvollzugsbereich nicht globalisierend über einen Kamm scheren. Man muss sehr individuell und genau hinschauen. Frau Kollegin Düker hat das gerade schon zu Recht deutlich gemacht.

Wenn Sie sich – auch hier aus meinem Geschäftsbereich ein Beispiel – die Krankenstände der Beschäftigten in den Justizvollzugsanstalten anschauen, wo die Arbeit für alle Kolleginnen und Kollegen gleichermaßen sehr anspruchsvoll, letztendlich manchmal auch gefährlich und in vielen Bereichen auch stark belastend ist, erleben Sie auch dort erhebliche Differenzen und Unterschiede.

Aber es ist auch eine Frage der Führungskultur in den jeweiligen Behörden, und zwar nicht nur eine Frage der Führungskultur in der Spitze, sondern gerade im Bereich der mittleren Ebene, wo man gezielt nachsteuern kann. Das machen wir sehr individuell, und die Zahlen belegen uns, dass wir hier auf einem guten Weg sind. Ich weiß, dass alle Kolleginnen und Kollegen im Kabinett mit ihren Geschäftsbereichen in ihren Ministerien ähnlich handeln.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die Zeit, Herr Minister.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Für uns ist ganz wichtig, dass wir die Interessenvertretung und die Beschäftigten dabei auf allen Ebenen aktiv einbinden.

Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Wir sind hier bereits auf einem guten Weg. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/8981 an den Innenausschuss – der ist federführend –, an den Haushalts- und Finanzausschuss, an den Unterausschuss Personal sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen. Herzlichen Dank.

Ich rufe auf:

10       Volksinitiative gemäß Artikel 67a der Landesverfassung:

Kurzbezeichnung
„G9-jetzt!“

Unterrichtung
durch die Präsidentin
des Landtags
zur Beschlussfassung
Drucksache 16/8659

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/9011

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9081

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9091

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Voigt-Küppers das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Eva Voigt-Küppers (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach viel medialer Aufmerksamkeit und nach der mehrfachen Behandlung im Ausschuss befasst sich das Plenum heute mit der Volksinitiative „G9-jetzt!“ und den 100.000 Unterschriften.

Vorab möchte ich an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion noch einmal Danke sagen für die vielen Impulse, die uns sowohl durch die Initiative selbst als auch durch begleitende Briefe, E-Mails und Anrufe erreicht haben.

(Beifall von der SPD)

Die Zahl der Unterschriften zeigt, wie groß das Interesse am Thema ist.

Ich kann Ihnen versichern: In den letzten 15 Monaten ist kaum ein Tag vergangen, an dem ich nicht über G8 diskutiert habe. Deshalb lassen Sie mich festhalten: Wir nehmen die Sorgen und Nöte, die uns geschildert wurden, sehr ernst.

Bevor ich aber auf den Inhalt der Volksinitiative eingehe, muss ich kurz etwas zum vorliegenden Entschließungsantrag der CDU sagen. Herr Kaiser, Ihr Vorstoß heute Morgen hat bei uns großes Befremden ausgelöst. Sie erwecken damit den Anschein, G8 sei unser Kind. Ich darf Sie daran erinnern, dass wir es hier mit einem Gymnasium zu tun haben, das diese Landesregierung so nie haben wollte.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

CDU und FDP haben G8 damals Hals über Kopf eingeführt. Herr Kaiser, Sie persönlich haben damals an diesem Pult gestanden und das Gesetz in den höchsten Tönen gelobt.

Inhaltlich sehe ich in Ihrem Entschließungsantrag ansonsten keine Unterschiede zu den Positionen, die wir in dieser Sache vertreten. Damit hätten Sie sich ohne Weiteres der Beschlussempfehlung des Ausschusses anschließen können. Dass Sie das nicht tun, ist reines Oppositionsgetöse und ganz schlechter Stil, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Doch zur Sache – denn darum sollte es hier gehen –:

(Lachen von der CDU)

Wir können ganz viel von dem teilen, was uns vorgetragen wurde. Allerdings ist die Art, in der hier argumentiert wurde, in weiten Teilen unseriös. Fast überall sind die Inhalte auf fahrlässige Weise verkürzt und vereinfacht – ganz so, als seien alle Probleme mit einer Rückkehr zu G9 zu beheben. So einfach ist es aber nicht.

Dargestellt wurde zum Beispiel, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen bei Schülerinnen und Schülern erheblich zugenommen habe. Daran ist aber nicht G8 alleine schuld; denn dann müssten Erkrankungen bei Schülerinnen und Schülern an Gymnasien signifikant höher sein als an anderen Schulformen. Diese Darstellung ist nicht fair gegenüber den Schülerinnen und Schülern der Gymnasien und auch nicht der anderen Schulformen. Mit einer Rückkehr zu G9 ist uns hier also nicht geholfen. Deshalb ist es wichtig, umfassend zu untersuchen, welche Ursachen dazu führen, dass sich immer mehr Schülerinnen und Schüler gestresst fühlen.

Gleiches gilt für die Nachhilfe. Natürlich haben heute viel mehr Schülerinnen und Schüler Nachhilfe, als uns gefallen könnte. Aber auch hier gilt: Das beschränkt sich nicht auf das Gymnasium.

Gleiches gilt für den Vorwurf, dass immer mehr Jugendliche immer weniger Zeit haben. Das ist kein Problem von G8. Natürlich gestehe ich zu, dass insbesondere Jugendliche Zeit brauchen, die sie autonom gestalten können, auch außerhalb von Familie und institutionellen Räumen. Aber allein den Ganztag dafür verantwortlich zu machen, ist eindimensional. Es gibt viele Gründe für dieses Problem, zum Beispiel eine immer mehr beschleunigte Arbeitswelt oder eine hohe mediale Präsenz im Leben unserer Kinder – ja, auch schon Kinder – und Jugendlichen. All das zu untersuchen, hat sich übrigens die Enquetekommission „Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen“ als Aufgabe gesetzt.

Gleiches gilt für die unterstellte Unreife von Abiturienten und Abiturientinnen – schlechtere Manieren, weniger Wissen. Mit Verlaub: Darüber hat sich Aristoteles schon vor 2.400 Jahren beschwert.

Statt unsere Kinder und Jugendlichen immer schlechtzureden, sollten wir Achtung vor dem haben, was sie leisten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zu guter Letzt komme ich zu dem Argument, Hessen und Niedersachsen machten es vor. Diese beiden Länder machen zunächst nur vor, dass der Schritt zu G9 genommen werden kann. Damit ist aber noch keineswegs gesagt, dass G9 erfolgreich ist. Erste Stimmen aus Niedersachsen lassen das bezweifeln. Und wenn man schon nach Hessen und Niedersachsen guckt, warum dann nicht gleich auch nach Sachsen und Thüringen? Dort gab es an Gymnasien nie etwas anderes als G8. Und wo sind da die Proteste?

Ich darf daran erinnern, dass wir nach der Regierungsübernahme für Gymnasien die Möglichkeit geschaffen haben, im Rahmen eines Modellprojekts zu G9 zurückzukehren. Nur ein Dutzend Schulen haben von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Wir sind deshalb davon überzeugt, dass sich die Probleme nicht mit der Rückkehr zu G9 beheben lassen.

Der Name der Initiative – „G9-jetzt!“ – unterstreicht direkten Handlungsbedarf.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Eva Voigt-Küppers (SPD): Handlungsbedarf besteht in der Tat, und zwar jetzt.

Meine Damen und Herren, Politik besteht nicht aus Ja- und Nein-Entscheidungen, auch wenn dieses Bild gerne vermittelt wird. Politik besteht auch daraus, zuhören zu können und Entscheidungen zu treffen. Deshalb bitten wir Sie, unseren Weg mitzugehen, dafür zu sorgen, dass G8 endlich funktioniert, und das Versprechen zu geben, dass wir uns, falls alle unsere Bemühungen doch nicht zum gewünschten Ergebnis führen, dann wieder zusammensetzen und weiter beraten.

Natürlich bieten wir den Eltern, die sich Sorgen machen, den Dialog an; denn schon immer haben wir nach der Devise gehandelt, Betroffene zu Beteiligten zu machen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Kaiser das Wort.

Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über 100.000 Unterschriften zeigen die großen Sorgen der Eltern, die sie mit der Schulform ihrer Wahl und der ihrer Kinder haben, mit dem Gymnasium. Wer politische Verantwortung hat, egal ob in Opposition oder Regierung, kann und darf diese Sorgen nicht auf die leichte Schulter nehmen.

(Beifall von der CDU)

Der deutsch-baltische Chemiker, Nobelpreisträger und Philosoph Wilhelm Ostwald, nach dem auch einige Gymnasien in Deutschland benannt sind, hat einmal gesagt – ich zitiere –:

„Je mehr wir vom Schüler fordern, umso mehr wird er leisten.“

Dabei kommt das zum Ausdruck, was wir als Aushängeschild in der über 200-jährigen Tradition der Gymnasien in Deutschland verstehen: Leistung und die Freude an der Leistung als Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium und einen erfolgreichen Lebensweg.

Die Sorgen der Eltern belegen aber, dass dies heute nicht mehr überall so empfunden wird. Alle von uns haben ja die vielen Mails erreicht, in denen Eltern die Sorge um zu viel Stress und um die Gesundheit ihrer Kinder konkret beschreiben. Es wird von Kindern berichtet, die offensichtlich keine Freude mehr an der Schule haben, weil die Schule bei ihnen als ständige Überforderung und ständiger Stress ankommt. Das muss man politisch akzeptieren, und da muss man den Problemen auf den Grund gehen.

Eines ist sicherlich richtig: Als Ostwald gelernt hat, stand er nicht unter Notendruck, weil es keinen Numerus clausus gab, der erreicht werden musste.

Heute ist das anders. Wir wissen: Wenn die Zahl der Abiturienten wie in den vergangenen Jahren weiter stetig steigt, wird der Druck auf die begehrten Studienplätze noch größer werden, dann wird der NC steigen, weil er einfach ein mathematischer Teiler ist, der die Zahl der Studienplätze zu der Zahl der Bewerberinnen und Bewerber ins Verhältnis setzt.

Bei allen Eltern, die ihr Kind mit dem Ziel „Abitur und Studium“ auf ein Gymnasium schicken, herrscht heute ein entsprechender Erwartungsdruck, der sich vielfach in den Mails äußert. Genau diese Sorgen der Eltern kann man nur zu gut verstehen und nachvollziehen.

(Beifall von Hendrik Schmitz [CDU] – Zuruf: Ihr habt doch den Druck gemacht!)

Die CDU-Fraktion antwortet heute mit einem eigenen Entschließungsantrag, in dem wir deutlich machen: Es geht uns darum, dass wir das, was an Sorgen geäußert wird – die ja auch substanziell berechtigt sind –, aufgreifen.

Was uns aber auch wichtig ist: Die Rückkehr zu G9 ist nicht die Patentlösung. Deshalb sind die Vorschläge der Initiative Diskussionsanregungen für uns im parlamentarischen Verfahren. Wir sagen, wir müssen mit diesen Vorschlägen ernsthaft umgehen. Aber sie sind nicht die Patentlösung, weil sie in vielen Punkten eben nicht weit genug greifen und die Ursachen als solche auch nicht bekämpfen.

Die offenen Fragen betreffen nämlich häufig die Details und müssen, wenn man politisch verantwortlich handelt, genau in den Blick genommen werden.

Nehmen wir das Thema „Ganztag“. Viele Eltern äußern ihre Sorge, es könnte zu viel Ganztag sein. Sie wollen, dass am Nachmittag kein verbindlicher Unterricht mehr stattfindet. Wir haben aber andererseits die gesellschaftliche Tendenz, dass eine stetig steigende Zahl von Eltern mehr Ganztag fordert, um Familie und Beruf gut in Einklang zu bringen.

Aber für die CDU steht Wahlfreiheit im Vordergrund. Es sollte auch die Wahlfreiheit für ein Nichtganztagsangebot geben, wenn Eltern dies wünschen.

(Beifall von der CDU)

Noch mehr Mails als von den jetzt betroffenen Eltern der Kinder im G8-Gymnasium erhalten wir als Bildungspolitiker – gerade auch die Politiker von der Opposition – von Eltern, die den hohen Unterrichtsausfall beklagen. Da wird ebenfalls deutlich: Hier gibt es Eltern, die massiv mehr Unterricht fordern, und hier gibt es auch Eltern, die massiv weniger Unterricht fordern. Auch das ist etwas, was man politisch im Diskurs angehen muss. Da gibt es kein Patentrezept.

Die Rückkehr zu G9 als bildungspolitische Allzweckwaffe beantwortet eben leider nicht alle Fragen. Deshalb müssen wir sie entsprechend ernst nehmen und das umsetzen.

Denn wir als CDU stehen dafür, dass das Gymnasium die beliebteste Schulform in Nordrhein-Westfalen ist. Wir als CDU in Nordrhein-Westfalen stehen dafür, dass das Gymnasium auch die beliebteste Schulform in Nordrhein-Westfalen bleibt. Das ist uns ganz wichtig.

(Beifall von der CDU)

Deshalb ist auf Dauer ein Gymnasium nur so zu organisieren, wenn es bei der großen Mehrheit aller Betroffenen die nötige Akzeptanz findet. Deshalb müssen wir daran arbeiten, deshalb dürfen wir es uns nicht leicht machen, und deshalb darf man diese Überlegungen der Initiative nicht kalt vom Tisch wischen.

(Beifall von Hendrik Schmitz [CDU] und Dr. Marcus Optendrenk [CDU])

Die Lösung kann nur sein, sich mit den Fragestellungen ernsthaft auseinanderzusetzen und ernsthaft auch über neue Lösungen nachzudenken. Das sichern wir den Eltern zu. Wir verschließen uns auch vor neuen Erkenntnissen nicht.

Als Politiker sind wir eher fakten- und evidenzorientiert, wissen aber, dass gerade das Herz und die Emotionen bei der Meinungsbildung wesentlich stärker mitwirken. Denn bei allen Mails, die wir erhalten haben, wird deutlich, dass sie mit sehr viel Herzblut und großer Liebe für die eigenen Kinder geschrieben wurden.

Deshalb haben wir ein offenes Ohr. Jedoch sind wir bei allen Forderungen nicht unkritisch.

Abschließend sei mir die Bemerkung erlaubt: Ich war am Sonntag auf einer Abifete von G8lern. Ich habe da natürlich gefragt. Keiner von denen wollte zurück zu G9. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kaiser. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nein, niemand geht kalt mit der Volksinitiative um, niemand geht kalt mit den Eltern um, die ihre Sorgen zum Ausdruck bringen. Das ist bisher an keiner Stelle der Fall gewesen; da bin ich auch mit dem Kollegen Kaiser sehr einig. Das tut auch Rot-Grün nicht, das tun auch diejenigen nicht, die sich heute nicht positiv zu dem Anliegen der Volksinitiative verhalten. Denn wir haben in der Tat über viele Monate miteinander einen schwierigen Abwägungsprozess bewegt.

Die große Mehrheit des Hauses hat hier gemeinsam vor kurzer Zeit die Umsetzung der Empfehlung des runden Tisches auf den Weg gebracht, damit Schulen weiter an der Unterrichtsentwicklung arbeiten, damit Eltern, Schülerinnen verlässliche Parameter vorfinden, die zum Beispiel deutlich machen, dass in den Jahrgangsstufen 5, 6 und 7 – wenn es keine gebundenen Ganztagsschulen sind – maximal ein langer Tag stattfinden, in den Jahrgangsstufen 8 und 9 maximal zwei lange Tage stattfinden werden. Das ist wichtig.

Mein Appell an den Kollegen Kaiser ist – denn ich empfand es heute Morgen schon als etwas erstaunlich –, dass die Schulen den Rückhalt, die Sicherheit und das Vertrauen haben müssen bei dem Weg, den sie jetzt einschlagen und den wir ihnen auch gemeinsam zumuten und abverlangen.

Viele Schulen in Nordrhein-Westfalen haben schon sehr positive Ergebnisse, haben gute Beispiele. Wir wollen, dass das flächendeckend für alle Eltern auch verlässlich ist und dass es verbindlich ist. Wir dürfen keine Rückwärtsrolle machen, sondern müssen alle Lehrerenergien auf diesen gelingenden Prozess konzentrieren. Es ist wichtig, dass dieses Signal hier auch heute von denen ausgeht, die das unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wer sich die Argumente der Volksinitiative genau anhört – sie haben auch vorgetragen: „Schaut doch mal auf die anderen Länder, wie es dort geht“ –, der muss doch jetzt zur Kenntnis nehmen – ich habe das heute Morgen im Schulausschuss auch gesagt –:

Das ist eben nicht „Friede, Freude, Eierkuchen“. Die Rückkehr zu G9 – ich schaue nach Niedersachsen – hat nicht dazu geführt, dass jetzt Ruhe in die Schulen einkehrt – ganz und gar nicht –, sondern da werden jetzt gute Unterrichtskonzepte rückabgewickelt. Da werden in kürzester Zeit 15.000 Unterschriften gesammelt – gerade aus dem Bereich der Theaterpädagogen, der Kunstpädagogen –, weil es jetzt nicht nach vorne geht, weil dort das gute Unterrichtskonzept wieder rückabgewickelt wird und weil gute Schule nach hinten geworfen wird.

Und: Welche Stimmen schallen uns aus Niedersachsen entgegen? „Das, was ihr in Nordrhein-Westfalen habt, den Schulkonsens, die Ruhe für Unterrichtsentwicklung, das wünschen wir uns.“ Deswegen, liebe CDU, habe ich eigentlich gedacht, dieses Signal geht heute von der CDU aus, nämlich das Signal, für diese Ruhe für Schulentwicklung zu sorgen – und nicht Verwirrung zu stiften.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben einen eigenen Entschließungsantrag eingebracht. Wenn man genau hinschaut, liegen wir in unserem Anliegen nicht auseinander. Das sagen wir sehr deutlich. Natürlich nehmen wir die Eltern ernst. Wir haben miteinander beschlossen, auch auf die Umsetzung der Empfehlungen zu schauen, den Prozess zu begleiten und zu evaluieren. Das machen wir natürlich genauso. Deswegen wird es einen Entschließungsantrag von Rot-Grün geben. Die Beschimpfungen gegen die rot-grüne Landesregierung sind herausgenommen, aber ansonsten ist das im Prinzip der gleiche Wortlaut, den die CDU vorgelegt hat. Wir demonstrieren dadurch noch einmal, dass wir uns im Prinzip einig sind. Mit einem solch kleinen politischen Manöver lassen wir Sie einfach nicht ausbüxen, liebe CDU.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Eines ist mir noch einmal sehr wichtig. Wenn wir diesen Prozess miteinander begleiten, sollten wir dafür sorgen, dass wir gesamtgesellschaftlich die Diskussion über die Frage führen müssen, wie sich Druck und Leistungserwartung in Bezug auf Kinder und Jugendliche entwickeln. Darüber sind wir uns sicherlich einig.

Wir müssen uns alle selbstkritisch etwas fragen. Es kann doch nicht sein, dass „befriedigend“ nicht mehr als akzeptable Schulnote behandelt wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Man muss Kindern Entwicklungsmöglichkeiten lassen. Es fängt in der Tat nicht erst in der weiterführenden Schule an. Schauen wir uns doch an, mit welchen Erwartungen Kinder schon in Kita und Grundschule konfrontiert werden. Wir sind doch alle gemeinsam mit im Boot. Darüber möchte ich einen offensiven gesellschaftlichen Diskurs. Er gehört auch in dieses Haus: Wie gestalten wir die Lebensbedingungen? Wie gestalten wir gute Schule für Kinder und Jugendliche?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist die Aufgabe, die uns beschäftigen muss. Wir sind gerne dabei. Wir schauen auf die Umsetzung. Wir sind im Gespräch mit den Eltern. Hier wird nichts beiseitegeschoben. Aber wir schaffen auch Klarheit und Ruhe für die Schulentwicklung in den Schulen. Wir gehen den gelingenden Weg nach vorne. Wir tragen für die Schulen die Verantwortung, sie jetzt nicht in neues Chaos zu stürzen. Das nehmen wir in dieser Abwägung wahr.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich während der Anhörung von Vertretern der Volksinitiative im Schulausschuss bewusst mit Statements zurückgehalten. Ich fand, es gebietet der Respekt, an dieser Stelle intensiv zuzuhören, wenn mit einem derart großen Engagement unter anderem 100.000 Unterschriften gesammelt worden sind.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Als FDP haben wir uns nach der Anhörung und der Darlegung der Argumente noch einmal inhaltlich damit auseinandergesetzt. Wir sind aber wiederum zu der Meinung gekommen, dass wir eine Rückkehr zu G9 für falsch halten.

Es wäre in unseren Augen ein Fehler, die Gymnasien erneut in jahrelange Umstellungsprozesse zu stürzen. Im Gegenteil. Wir möchten die Gymnasien in Nordrhein-Westfalen stärken. Eine Stärkung findet aber nicht statt, wenn man diese Schulform mit riesigen neuen Umwälzungen belastet.

Die Initiative hat viele Probleme angesprochen. Diese nehmen wir ernst. Sie werden nicht negiert. Sie sind vorhanden. Aber wir können nicht jedes Problem an der Schulform Gymnasium dem Problem G8 zuordnen. Auch das haben letztendlich alle Fraktionen so dargelegt.

Die Initiative äußert immer wieder, es wäre ganz einfach, zu G9 zurückzukehren. Das ist unserer Auffassung nach nicht der Fall. Es gibt massive Herausforderungen, die mit einer Rückabwicklung zu G9 verbunden wären. Das ist kein Spaziergang. Wir haben viele Gespräche auch am Rande des runden Tisches geführt. In diesen Gesprächen kam überwiegend zum Ausdruck, dass keine Rückkehr zu G9 gewünscht wird. Auch diesen Beteiligten muss man letztendlich ihre Meinung zugestehen.

Ein paar kritische Anmerkungen gegenüber den Befürwortern von G9. Es hat mich schon herausgefordert, auf die unzähligen Briefe, die ich erhalten habe, gelassen zu reagieren. Es wurde gesagt, Abgeordnete hätten es gewagt, Argumente nachzufragen und infrage zu stellen. Ich muss sagen, ich verstehe meine Arbeit als Abgeordnete so, dass mir Dinge nicht nur vorgetragen werden. Wenn ich dazu Nachfragen habe, nehme ich mir in der Anhörung die Freiheit heraus, entsprechende Nachfragen zu stellen. Dafür muss ich mich nicht rechtfertigen.

(Beifall von der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Wir sind auch der Meinung, G8 kann funktionieren. Jetzt schaue ich nicht nur auf die ostdeutschen Länder. Wir haben auch hier in Nordrhein-Westfalen Beispiele, anhand derer wir klar belegen können, wie gut G8 funktionieren kann. Das haben wir heute Morgen noch einmal gehört. Es funktioniert nicht an allen Schulen. Das ist richtig. Aber es funktioniert an vielen Schulen. Diese vielen Schulen sollten wir nehmen, um das in die Fläche zu bringen.

Meine Damen und Herren, an der Stelle muss ich doch jetzt einiges in Richtung CDU loswerden. Ich bin schon darüber erstaunt, was Sie uns heute als Entschließungsantrag vorlegen. Herr Kaiser, Sie saßen heute Morgen im Schulausschuss und kündigten an, es käme noch ein Entschließungsantrag seitens der CDU. Das nähmen Sie zum Anlass, um sich heute im Schulausschuss zu enthalten. – Was Sie auch getan haben.

Dann erwarten wir einen Entschließungsantrag. Ich war wirklich sehr gespannt darauf, was darin stehen würde. Darin steht:

„Der Landtag nimmt das Anliegen der Volksinitiative „G9-jetzt!“ zur Kenntnis und sichert den Eltern zu, die Fragen und Probleme mit dem achtjährigen gymnasialen Bildungsgang im Weiteren intensiv zu beraten.

Der Landtag hat das Anliegen der Volksinitiative damit behandelt.“

Meine Herren, das ist aber ein Entschließungsantrag! Das hätte ich heute Morgen kaum erwartet!

(Beifall von der FDP, der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Mein lieber Scholli!

Aber, damit nicht genug. Jetzt gibt es noch einen Entschließungsantrag von SPD und Grünen. Der wiederum ist auch beachtlich. Dieser lautet nämlich:

„Der Landtag nimmt das Anliegen der Eltern zur Kenntnis und sichert den Eltern zu, die Weiterentwicklung des achtjährigen gymnasialen Bildungsgangs im Sinne der Empfehlungen des Runden Tisches im Weiteren zu begleiten und zu evaluieren.

Der Landtag hat das Anliegen der Volksinitiative damit behandelt.“

Den Kommentar verkneife ich mir, wenn man da von einem eigenen Entschließungsantrag spricht. Meine Damen und Herren, die Inhalte beider Anträge sind für die FDP Selbstverständlichkeiten. Wir haben das heute Morgen im Schulausschuss tatsächlich alle fraktionsübergreifend dargelegt und beschlossen. Ich kann diesen beiden Entschließungsanträgen, so wie sie uns vorliegen, inhaltlich zwar folgen, aber ich muss sagen: Den Namen „Entschließungsantrag“ haben die weiß Gott nicht verdient. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Piratenfraktion spricht Frau Kollegin Pieper.

Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Es geht hier um zwei Dinge: Es geht zum einen darum, dass es nicht selbstverständlich ist und nicht häufig vorkommt, dass eine Volksinitiative 100.000 Stimmen sammelt, um ein Anliegen aus der Bevölkerung in den Landtag zu tragen. Das finde ich toll, das finde ich richtig. Dafür schon mal ein herzliches Dankeschön.

(Beifall von den PIRATEN)

Durch die Volksinitiative ist es gelungen, dass wir uns heute im Landtag wieder mit dem Thema G8/G9 beschäftigen müssen. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Menschen in NRW alles andere als politikverdrossen sind. Sie möchten sich einbringen, sie möchten ernst genommen werden und ihre Themen hier auch vertreten wissen.

Es führt nicht zur Politik-, sondern zu Politikerverdrossenheit und entsprechender Wahlmüdigkeit, wenn durch die Ablehnung einer solchen Initiative die Ohnmacht der Menschen bei politischer Mitwirkung wieder einmal aufgezeigt wird.

Handeln Sie! Lassen Sie zumindest das Thema nicht einschlafen! Beenden Sie die Initiative nicht jetzt und hier! Lassen Sie uns weiter darüber sprechen! Dann zeigen Sie: Wir nehmen die Menschen ernst.

Dann, meine Damen und Herren, braucht es auch keine Wahlurnen im Hauptbahnhof oder irgendwo im Supermarkt, wie das jetzt verhandelt wurde, um eine höhere Wahlbeteiligung zu erhalten.

Inhaltlich wissen wir, dass die überhastete und unvorbereitete Einführung zum Schuljahr 2005/2006 ein Fehler war. Wir wissen auch alle von den Problemen, die mit der Verkürzung einhergehen. Die Fehler sind die Verdichtung der Inhalte in der Sekundarstufe I, die Entkopplung des Gymnasiums von den Bildungsgängen anderer Schulformen und die Tatsache, dass am Gymnasium zum Abschluss der Sekundarstufe I kein mittlerer Schulabschluss mehr verliehen werden kann.

Frau Beer, Sie sprachen gerade von verlässlichen Parametern, die jetzt hergestellt werden. Mich stört in der Diskussion, dass es im Moment tatsächlich nur noch darum geht: Wie ist das zu organisieren? Wie schaffe ich eine Erleichterung? Die grundsätzliche Kritik am G9 geht hier ein bisschen unter. Ich zitiere einmal mit Verlaub, Herr Präsident:

„Das Alter von 10 bis 15 Jahren ist eine der größten physischen und psychischen Umbruchphasen im Leben mit Wachstumsschüben, die zu Ermüdung und Erschöpfung führen können, neuronalen Veränderungen, Hormonschüben, die Stimmungsschwankungen auslösen, neuartigen sexuellen Empfindungen, sozialen Prozesse … Genau in dieser Lebensphase schlägt das … G8 ohne Rücksicht durch.“

Das kam nicht von mir, das ist nämlich von der Kollegin Beer. 2008 hat sie das hier gesagt. Ich frage mich tatsächlich, ob die Vereinfachung des G8 diese ganzen Sachen ausräumen kann. Das wage ich ernsthaft zu bezweifeln.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage der von Ihnen soeben angesprochenen Frau Kollegin Beer zulassen?

Monika Pieper (PIRATEN): Selbstverständlich.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte.

Sigrid Beer (GRÜNE): Das ist sehr nett, Frau Kollegin. – Ich möchte Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen, dass seit 2008 in der Tat einiges passiert ist und wir auf die Schulen gucken können, bei denen es einen gelingenden Prozess gibt. Ich möchte noch einmal das Gymnasium Alsdorf mit der Dalton-Pädagogik nennen, die durch ihre Rhythmisierung genau diesen Fragen entgegenkommt.

Diese Schulen nicht wieder in eine Rückabwicklung zu stürzen, das ist die Abwägung. Es geht darum, alle nach vorne zu bringen, um solche Konzepte zu verfolgen. Können Sie dem zustimmen?

Monika Pieper (PIRATEN): Ich stimme Ihnen erst einmal zu, dass es durchaus Schulen gibt, die es schaffen, die eine große Anstrengungsbereitschaft zeigen. Wir wissen aber auch, dass das nicht alle Schulen schaffen und dass in der Schülerschaft, in der Lehrerschaft, in der Elternschaft bei vielen einfach der Wunsch da ist, zum G9 zurückzukehren.

Wir sagen auch ganz ehrlich: Wir teilen nicht jedes Anliegen der Volksinitiative. Während die Volksinitiative den Ganztagsunterricht ablehnt, sind wir für den Ausbau von Ganztag. Das haben wir auch nie abgestritten.

Gerade ist gesagt worden, die Volksinitiative löse nicht alle Fragen. -Das will sie auch gar nicht. Das kann sie auch gar nicht. Sie löst nicht die ganzen Schulprobleme. Aber ich glaube, das muss sie auch gar nicht. Wir müssen aber doch zur Kenntnis nehmen, dass die Menschen in NRW das G8 nicht wollen. Verlässliche Untersuchungen sagen: 75 % der Menschen in NRW wollen es nicht. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Da müssen wir handeln.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Schüler wollen es nicht, die Jugendverbände wollen es nicht. Das wurde gestern noch im Landtag gesagt. Einfach zu sagen, weiter so, reicht nicht.

Zum einen ist die Durchsetzung des Willens der Menschen in NRW für uns ein sehr wichtiges Kriterium. Außerdem ist die eingebrachte Volksinitiative für uns eine gute Basis für die Weiterentwicklung der Schule. Es geht nicht um ein Zurück; es geht darum – das habe ich auch immer wieder betont –, zu gucken: Wie können wir eine Oberstufe strukturieren? Wie können wir da flexibel arbeiten?

Dann komme ich noch zu den Entschließungsanträgen. Ich schließe mich Frau Gebauer voll umfänglich an. Ich finde es schon witzig.

Zwei Sachen möchte ich noch erwähnen. Zum einen: In beiden Entschließungsanträgen steht – ich zitiere sinngemäß –: Die geforderte Rückkehr zum neunjährigen Bildungsgang und die verbindliche Reduzierung löst nicht alle Probleme. – Das ist wahr.

Und weiter heißt es: Der Landtag ist sich zudem bewusst, dass es neben dem Wunsch derjenigen Eltern, die sich an der Volksinitiative beteiligt haben, auch Gymnasien gibt, die im Konsens aller Beteiligten am achtjährigen Gymnasium festhalten wollen.

Ja, meine Damen und Herren, dann geben Sie es doch einfach frei! Lassen Sie doch die Schulen entscheiden. Dann kann doch die Schulkonferenz gucken.

(Zuruf)

– Ja. Dann kann doch jede Schule das erst einmal so machen, wie sie will. – Das ist nicht nachzuvollziehen.

Zum anderen noch einen letzten Satz. Ich habe es beim letzten Mal schon gesagt: Ich finde die FDP da ehrlich. Das finde ich großartig, auch wenn wir die Meinung nicht teilen. Aber dieses Geschwurbel von der CDU, die heute auch noch twittern: „SPD und Grüne machten es sich einfach!“ -Sehr viel schwerer machen Sie sich das hier auch nicht. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Entschließungsanträgen, Frau Gebauer: Vielleicht kann ich Erläuterungshilfe geben.

(Yvonne Gebauer [FDP]: Der CDU! Nicht mir!)

Die CDU-Fraktion versucht, sich mit diesem Entschließungsantrag aus der Verantwortung zu stehlen, und will sich mit Blick auf den Wahlkampf Hintertürchen offenlassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist die einzige Begründung. So! Das Schöne ist: SPD und Grüne und andere haben es offenbar gemerkt, und deswegen haben sie diesen Entschließungsantrag dagegengesetzt, um die CDU mit dieser billigen Masche nicht durchkommen zu lassen. Das ist doch relativ einfach zu verstehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass sich der Landtag heute erneut mit der Volksinitiative beschäftigt und die Initiatorinnen und Initiatoren zuvor Gelegenheit hatten, im Schulausschuss ihre Sichtweise vorzutragen und ihr Anliegen zu begründen.

Die Volksinitiative hat ein Thema aufgegriffen, das viele Menschen beschäftigt. Die Regierungskoalition – die Landesregierung – hat es im Übrigen schon seit 2010 beschäftigt, weil wir seitdem mit dieser Fragestellung befasst sind und systematisch daran arbeiten, ein Gymnasium zu gestalten, das für die Kinder und Jugendlichen – um die geht es – erträglich ist, leistbar ist und schaffbar ist, und zwar ohne Qualitätsverlust. Das ist unser Ansatz. Dafür hat es diesen Arbeitsprozess gegeben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Durch die Diskussionen und Entscheidungen in einigen Bundesländern ist die Debatte neu auf die Tagesordnung gekommen. Deswegen hat es im vergangenen Jahr den runden Tisch gegeben, inklusive Unterarbeitsgruppen, an dem es eine breite Beteiligung der Fraktionen, der Gewerkschaften und Verbände, der Eltern- und Schülervertretungen und der Bürgerinitiativen gab.

In insgesamt sieben mehrstündigen Sitzungen mit Unterarbeitsgruppen des runden Tisches konnte die Initiative ihr Anliegen und ihre Argumente vortragen und diskutieren. Am Ende des langen und intensiven Arbeitsprozesses fand das Anliegen jedoch keine Mehrheit. Stattdessen hat sich die breite Mehrheit der Beteiligten dafür ausgesprochen, den achtjährigen Bildungsgang am Gymnasium so weiter zu entwickeln, dass Belastungen für Schülerinnen und Schüler ohne Niveauverlust reduziert werden.

Strukturelle Änderungen zum jetzigen Zeitpunkt wurden abgelehnt und stattdessen zehn Empfehlungen formuliert, die von der Landesregierung bereits in rechtliche Vorgaben umgesetzt wurden. Ich habe den Landtag darüber unterrichtet. Grundsatzbeschlüsse dazu sind im Dezember letzten Jahres gefasst worden.

In allen fünf Regierungsbezirken haben wir bereits im März gemeinsam mit der jeweiligen Schulaufsicht in Schulleiterdienstbesprechungen die geplanten Änderungen vorgestellt und mit den Schulleitungen erörtert.

Dabei hat es weitere sinnvolle, der Schulpraxis angemessene Anregungen gegeben, die noch einmal zu Veränderungen geführt haben und mit den beteiligten Verbänden rückgekoppelt worden sind.

Damit will ich sagen, dass unsere Gymnasien hier auf dem Weg sind, den Bildungsgang weiterzuentwickeln. Ich möchte noch einmal betonen, was ich heute Morgen auch im Schulausschuss gesagt habe: Unsere Gymnasien sind dabei unterschiedlich weit. Manche sagen jetzt schon: Das ist für uns nichts Neues. Das machen wir. Die Eltern sind zufrieden. Die Schülerinnen und Schüler sind zufrieden. Andere sagen: Das schaffen wir ja alles gar nicht so schnell. Also müssen wir auch differenziert bei der Schulentwicklung und Begleitung der Gymnasien vorgehen.

Von wegen: wir machten es uns einfach. Die Sache ist nicht einfach. Aber wie Sie es machen würden, lieber Herr Kaiser, die Antwort sind Sie hier schuldig geblieben. Wollen Sie in jedes Gymnasium jemanden hineinsetzen, der das beobachtet?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie versuchen, sich hier einen schlanken Fuß zu machen.

Die Schulkonferenzen prüfen, ob und wo sie ihren vorrangigen Entwicklungsbedarf sehen. Den werden sie im nächsten Schuljahr dann auch pädagogisch vernünftig umsetzen, und wir begleiten diesen Prozess.

Der Wunsch nach einer einfachen Lösung greift zu kurz – „Zurück zu G9 und alles wird wieder gut!“ –: Schauen Sie nach Niedersachsen! Es ist schon genannt worden. In kürzester Zeit hat sich dort große Ernüchterung breitgemacht. 15.000 Unterschriften sind dem Landtag oder dem Ministerpräsidenten übergeben worden, innerhalb von wenigen Wochen gesammelt, weil etwa Musikunterricht gekürzt wird und jetzt nicht mehr in Doppelstunden stattfinden kann. Da wächst jetzt die Unzufriedenheit mit einer vermeintlich einfachen Rolle rückwärts.

Insofern bin auch ich der Auffassung, dass es jetzt falsch wäre, hier einmal eben den Schalter wieder zurückzulegen und einen innovativen intensiven Arbeitsprozess in unseren Gymnasien zu unterbrechen. Dabei sehe auch ich mich bestätigt durch Schulen, die erfolgreich arbeiten. Im Ratsgymnasium waren wir letzte Woche, Frau Korte, Frau Howe. Der Schulleiter hat inständig an uns appelliert, bitte jetzt bei dem Weg der Optimierung zu bleiben und nicht zurückzukehren, weil es schlecht für die Schulleitung und die Schülerinnen und Schüler wäre. Und um die geht es, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Schule und Weiterbildung empfiehlt in Drucksache 16/9011: „1. Dem Anliegen der Volksinitiative mit der Kurzbezeichnung ‚G9 – jetzt!‘ wird nicht gefolgt. 2. Der Landtag hat das Anliegen der Volksinitiative damit abschließend behandelt.“

Meine Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion der Piraten hat gemäß § 44 unserer Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung zu der von mir soeben vorgetragenen Beschlussempfehlung Drucksache 16/9011 beantragt. Nach Abs. 2 dieses Paragrafen erfolgt die namentliche Abstimmung durch Aufruf der Namen der Abgeordneten. Die Abstimmenden haben, wie Sie wissen, bei Namensaufruf mit Ja oder Nein zu antworten oder zu erklären, dass sie sich der Stimme enthalten. Ich darf die Schriftführer bitten, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Der Namensaufruf erfolgt. [Abstimmungsliste siehe Anlage 1])

Vizepräsident Oliver Keymis: Wer möchte bei der namentlichen Abstimmung noch seine Stimme abgeben? – Ich sehe niemanden mehr.

Dann schließe ich die Abstimmung, und wir kommen zur Auszählung.

(Die Auszählung erfolgt.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem die 360-Grad-Kamera nun einen der vermutlich entspanntesten Momente im Parlament zehn Minuten lang hat aufnehmen können, haben wir jetzt ein Ergebnis: Ihre Stimme haben abgegeben 214 Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 141 Abgeordnete. Mit Nein stimmten 15 Abgeordnete. 58 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Damit ist die Beschussempfehlung Drucksache 16/9011 angenommen. Ich stelle weiterhin fest, dass der Landtag die Volksinitiative Drucksache 16/8659 abschließend behandelt hat.

Nun kommen wir zur Abstimmung erstens über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU in Drucksache 16/9081. Wer stimmt dem Entschließungsantrag der CDU zu? – Die CDU. Wer stimmt dagegen? – SPD und Grüne sowie die Fraktion der Piraten. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der FDP ist dieser Entschließungsantrag mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Zweitens stimmen wir ab über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/9091. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – Die Piratenfraktion. Wer enthält sich? – Dieser Antrag ist bei Enthaltung von CDU und FDP gegen die Stimmen der Piraten mit großer Mehrheit angenommen. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes.

Ich rufe auf:

11       Fragestunde

Drucksache 16/9015

Mit der Drucksache 16/9015 liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 65 und 66 vor.

Ich rufe nun die

Mündliche Anfrage 65

der Frau Abgeordneten Ingola Schmitz von der FDP-Fraktion auf:

Orchesterförderung in Nordrhein-West-falen – Weshalb wird der Kammerphilharmonie Amadé eine ihrem Rang angemessene institutionelle sowie projektbezogene Förderung verweigert und der mögliche Konkurs eines Spitzenorchesters damit billigend in Kauf genommen?“

Laut dem jüngsten Kulturförderbericht gehört die Förderung von Musikerinnen und Musikern, Musikensembles und Institutionen zu den wichtigsten kulturpolitischen Aufgaben des Landes. Von dieser Förderung sollen demnach neben den Landesorchestern auch kommunale, freie, Nach-wuchs- und Spitzenorchester profitieren, um die reichhaltige und vielfältige Orchesterlandschaft Nordrhein-Westfalens zu erhalten und zu stärken.

Vor diesem Hintergrund wirft die Förderpraxis bezüglich der Kammerphilharmonie (KP) Amadé Fragen auf. Die KP Amadé ist ein Orchester in Trägerschaft eines Vereins mit dem Status der Gemeinnützigkeit. Wesentlicher Satzungszweck ist die Förderung junger Musiker. Seit August 2013 besteht auch ein Förderverein mit Sitz in Münster, der sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, öffentlich geförderte Projekte durchzuführen und abzuwickeln. Die Bezirksregierung Köln bescheinigt, dass die KP Amadé die gleichen Aufgaben erfüllt wie die Orchester in öffentlicher Trägerschaft.

Wie einschlägigen Rezensionen (Übersicht: http://www.kp-amade.eu) zu entnehmen ist, handelt es sich bei dem 1997 in Münster gegründeten freien Orchester unter dem Dirigenten Frieder Obstfeld um ein „Ausnahmeorchester“ („Neue Musikzeitung“ 19.06.2011, „Das Orchester“ 10/12) von europäischem Format und einer hohen künstlerischen Güte.

Dies belegt auch die regelmäßige Partnerschaft mit einigen der weltweit führenden Künstlerpersönlichkeiten sowie die starke Präsenz auf vielen der bedeutendsten Podien innerhalb und außerhalb Nordrhein-Westfalens; beispielhaft seien hier Auftritte bei Veranstaltern wie dem Festival Mecklenburg-Vorpommern, dem Rheingau Musik Festival, dem Schleswig-Holstein Musik Festival, im Berliner Konzerthaus, in der Berliner Philharmonie, der Kölner Philharmonie, dem Konzerthaus Dortmund, der Philharmonie Essen und bei Bayer Kultur erwähnt sowie das Weihnachtskonzert des Bundespräsidenten, mehrere Sommer- und Weihnachtskonzerte der ehemaligen Ministerpräsidenten Clement und Rüttgers sowie das NRW-Wirtschaftsforum 2005 in Tokio. Hinzu kommen Eigenveranstaltungen wie die Sommerlichen Musiktage Soest, die das Orchester jährlich veranstaltet.

Trotz seines Renommees wird die Kammerphilharmonie Amadé vom zuständigen Ministerium nicht institutionell gefördert, sondern nur projektbezogen und mit vergleichsweise bescheidenen Summen: Seit 2004 betrug die Förderhöhe jährlich rund 60.000 € und war damit deutlich geringer bemessen als die Förderung für vergleichbare Ensembles, deren Förderung zwischen 2009 und 2012 circa dreimal höher als die der KPA bemessen war und die darüber hinaus von einer institutionellen Förderung profitieren. Im Jahr 2012 erhielt die KPA sogar nur 22.500 € an Fördermitteln, 2013 wurde die Förderung gänzlich eingestellt.

Das Ministerium begründete dies mit Beanstandungen bei Verwendungsnachweisen. Laut dem Orchester handelt es sich jedoch um einen Formfehler, der der Tatsache geschuldet ist, dass die KP Amadé nicht institutionell gefördert wird, sondern ausschließlich projektbezogen. Daher kann sich das Orchester keine professionelle Geschäftsführung leisten, weshalb diese Aufgaben ehrenamtlich von einem der Orchestermusiker übernommen wurden.

Statt dies als Fehlerursache anzuerkennen und mit dem Orchester guten Willens tragfähige Lösungen zu installieren, wurde der KP Amadé vorgeworfen, dass sie „keine Gewähr für eine ordnungsgemäße Geschäftsführung“ biete (Schreiben des MFKJKS an den DLF vom 16. Dezember 2013). Gleichzeitig wurde die KPA selbst bei Versuchen behindert, sich durch die Zusammenarbeit mit Kommunen in Westfalen eine solide, berechenbare finanzielle Basis zu schaffen.

Um den auf Missverständnissen beruhenden Eindruck zu revidieren und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zurückzukehren, wurde im August 2013 der Förderverein „Verein der Freunde und Förderer der Kammerphilharmonie Amadé“ gegründet, der neben dem Trägerverein „Kammerphilharmonie Amadé e.V.“ besteht und dessen Vorstand unter anderem der ehemalige Innenstaatssekretär von Sachsen-Anhalt, Dr. Rainer Holtschneider, angehört. Auch dieser Verein ist berechtigt, öffentlich geförderte Projekte durchzuführen und garantiert die ordnungsgemäße Verwendung von Fördergeldern.

Jedoch scheiterten alle Versuche, die Diskussion mit dem Ministerium auf eine konstruktive Ebene zurückzuführen, sodass sich im Dezember 2013 der Deutschlandfunk an das Ministerium wandte und in „Kultur heute“ einen Beitrag über den „kulturpolitischen Skandal“ brachte, in dem die „zynische Kommunikationslosigkeit“ der Regierung als „Demokratieskandal in diesem Kulturskandal“ gegeißelt wurde. Erst danach kam es zu einem Telefonat zwischen Verein und Staatssekretär Bernd Neuendorf. Der Förderantrag des Vereins vom 21. August 2013 wurde dennoch am 14. Januar 2014 abgelehnt, also fast fünf Monate nach Antragsstellung.

Weshalb wird der Kammerphilharmonie Amadé eine ihrem Rang angemessene institutionelle sowie projektbezogene Förderung verweigert und der mögliche Konkurs eines Spitzenorchesters damit billigend in Kauf genommen?

Die Frage richtet sich an die Kulturministerin, Frau Schäfer. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

(Unruhe)

– Kolleginnen und Kollegen, ich darf darum bitten, etwas ruhiger zu sein, damit die, die interessiert sind, der Antwort auch folgen können. – Frau Ministerin, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herzlichen Dank, Herr Präsident. Liebe Kollegin Schmitz, die Kammerphilharmonie Amadé ist ein freies Kammerensemble, von denen sich viele – auch in Nordrhein-Westfalen – auf dem Markt befinden. Sie steht damit in Konkurrenz zu vielen anderen vergleichbaren Ensembles.

Ohne an dieser Stelle über den vermeintlichen Rang der Kammerphilharmonie Amadé urteilen zu wollen, darf ich zunächst einmal darauf hinweisen, dass es keinen rechtlichen Anspruch auf Förderung gibt. Da das Land NRW nicht in der Trägerschaft dieses Orchesters steht, ist es auch nicht dafür verantwortlich, in welchen Strukturen das Orchester arbeitet. Das ist grundsätzlich Sache des Trägers.

Die Kammerphilharmonie Amadé wurde allerdings über viele Jahre vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert, teils mit erheblichen Summen. Trotz mittlerweile jahrzehntelanger Förderung durch das Land – teils in beträchtlicher Höhe – sind reibungslose Abläufe von Förderverfahren mit diesem Orchester jedoch eher die Ausnahme geblieben.

Die Kulturabteilung hat über viele Jahre immer wieder Wege gesucht, das Ensemble trotz seiner schwierigen Haushaltslage zu fördern. Aus diesem Grund ist in den letzten Jahren der Fokus auf die Premierenförderung – das heißt auf die Förderung der Probenphase und des ersten Konzertes – gelegt worden. Mit einer Konzentration auf diesen Aspekt sollte das Ensemble ab 2007 in die Lage versetzt werden, seine wirtschaftliche Situation zu verbessern. Dies ist jedoch nicht gelungen.

Aufgrund von Verstößen gegen die Zuwendungsvorschriften – festgestellte regelmäßige Verstöße sind zum Beispiel: vorzeitiger Maßnahmebeginn, zweckfremde Verwendung, vorzeitiger Mittelabruf, fehlende Nachweise von Ausgaben – ist es bei fast allen Maßnahmen der geförderten Jahre 2006 bis 2012 zur Rückforderung durch die Bezirksregierung gekommen. Die Bezirksregierung Köln hat festgestellt, dass die Kammerphilharmonie Amadé trotz langjähriger Förderungen und Erfahrungen aus vorjährigen Prüfverfahren die zuwendungsrechtlichen Vorgaben immer noch nicht einhält.

Im Rahmen eines dieser Verwendungsnachweisprüfverfahren hat die Bezirksregierung zudem festgestellt, dass seitens der Kammerphilharmonie Amadé falsche Angaben im Nachweisverfahren erfolgt sind, die dann zu einer Rückforderung seitens des Landes führten.

Die Bezirksregierung hat festgestellt, dass aus ihrer Sicht ein Täuschungsversuch vorliegt und somit Zweifel an der ordnungsgemäßen Geschäftsführung bestehen. Daher hat sie eine Förderung des eingereichten Zuwendungsantrages abgelehnt. Diese Einschätzung wurde vom Ministerium geteilt. Daraufhin wurde der Zuwendungsantrag abgelehnt.

In der Folge hat der Verein Kammerphilharmonie Amadé mit Sitz in Köln die Bezirksregierung Köln und damit das Land auf Erlass einer Zuwendung verklagt. Das Verfahren war im März 2014. Auch vor Gericht wurde festgestellt, dass ein Täuschungsversuch vorliegt.

Die Rückforderungsansprüche des Landes aus den Jahren 2007 bis 2012 sind auf Antrag des Ensembles gestundet worden, und die Stundungsfrist läuft zum 30.09.2015 aus. Danach hat das Ensemble die entsprechenden Rückforderungsansprüche an das Land zu leisten. – So viel von mir dazu.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es gibt eine Frage von Frau Schmitz. – Bitte schön, Frau Schmitz.

Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank für die Beantwortung, Frau Ministerin. Bevor ich meine Nachfrage stelle, darf ich mir erlauben, die Vertreter des Orchesters ganz herzlich hier zu begrüßen, insbesondere den Dirigenten, der extra aus Berlin angereist ist. Herr Obstfeld, herzlich willkommen!

Frau Ministerin, mit Erlass vom 30. Mai 2012 teilte Herr Peter Landmann vom Ministerium der Bezirksregierung Köln mit, dass man deren Zweifel an der ordnungsgemäßen Geschäftsführung teile und daher keine Möglichkeit sehe, Projektanträge für dieses Jahr zu bewilligen. Für den Fall, dass die KPA hiergegen klage, solle die Bezirksregierung sämtliche Nachweise der Unglaubwürdigkeit und der nicht ordnungsgemäßen Geschäftsordnung prüfen.

Wie wir nun erfahren haben, existiert neben diesem offiziellen Erlass auch eine interne Version, wonach darauf zu achten sein, dass bei der Frage, wann der Antragsteller zukünftig wieder die Gewähr für eine ordnungsgemäße Geschäftsführung biete, auch die Begleichung ausstehender Rückforderungen zu berücksichtigen sei.

Weshalb hat man dem Gericht nicht auch diese interne Fassung zukommen lassen, damit es sich ein vollständiges Bild von dem Sachverhalt machen kann?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Der Bericht ist dem Ministerium nicht bekannt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Die nächste Frage stellt Herr Witzel. – Bitte schön, Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, für die Gelegenheit zu einer Nachfrage. – Frau Ministerin Schäfer, am 21. Februar 2012 wurde der KPA die Genehmigung zum vorzeitigen Maßnahmebeginn von der Bezirksregierung Köln erteilt. Einen Tag später teilte die Bezirksregierung dem Ministerium nach unseren Informationen mit, dass sich die Zweifel an der ordnungsgemäßen Geschäftsführung ergeben hätten.

Hierüber wurde die KPA weder informiert, noch gab man ihr die Möglichkeit zur Anhörung. Drei Monate später wies das Ministerium die Bezirksregierung an, den Antrag abzulehnen. Das Projekt war von der KPA zu diesem Zeitpunkt bereits durchgeführt und aufgrund des Ablehnungsbescheides so eine Deckungslücke in Höhe von 17.000 € entstanden.

Meine Frage lautet: Weshalb hat die Landesregierung die KPA nicht rechtzeitig über den Verdachtsfall informiert und ihr nicht die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, indem der Ablehnungsbescheid erst Wochen nach der Projektdurchführung versendet und damit eine schwierige finanzielle Schieflage des Orchesters in Kauf genommen worden ist?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ich glaube, Herr Witzel, ich habe in meiner Antwort deutlich gemacht, dass es in den vergangenen Jahren nie möglich war, tatsächlich reibungslose Abläufe von Förderverfahren mit diesem Orchester hinzubekommen. Ein vorzeitiger Maßnahmebeginn ist keine Förderzusage.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Schneider hat eine Frage.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Ministerin, in dieser Fragestunde wird auch Bezug genommen auf ein Telefonat zwischen dem ehemaligen Innenstaatssekretär von Sachsen-Anhalt Dr. Rainer Holtschneider aus dem Vorstand des Vereins der Freunde und Förderer der Kammerphilharmonie Amadé mit Herrn Staatssekretär Neuendorf.

Dieses Telefonat war nach vielen erfolglosen Versuchen zustande gekommen, nachdem der „Deutschlandfunk“ für eine Sendung am 18.12.2013 zu recherchieren begonnen hatte, in der er dann über die zynische Kommunikationslosigkeit der Landesregierung berichtete.

Obwohl der Staatssekretär in dem Gespräch vorschlägt, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, wird bereits ein anknüpfendes Schreiben von Herrn Holtschneider vom 28. Dezember 2013 nicht mehr beantwortet. Wieso verweigert die Landesregierung trotz ihrer Versprechungen und zahlreicher Versuche der Kontaktaufnahme weiterhin das Gespräch?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Die Landesregierung hat keine Versprechungen gemacht. Das möchte ich hier noch einmal ganz deutlich sagen.

Ich glaube, in meinem ersten Redebeitrag ist deutlich geworden, dass die Rahmenbedingungen für die Abläufe bei den Förderverfahren sich bei diesem Orchester sehr schwierig gestalten. Dahin gehend kann eine verantwortungsbewusste Landesregierung keine weiteren Förderungen zusagen, zumal auch in einem Gerichtsurteil offiziell nachgewiesen worden ist, dass hier ein Täuschungsversuch vorgelegen hat.

Vielleicht darf ich auch noch darauf hinweisen, dass sich dieser Verein – nachdem über die Bezirksregierung Köln keinerlei Förderung mehr erfolgt ist; auch nicht mehr über das Ministerium – dann 2013 in Münster gegründet hat, um so zu versuchen, vielleicht über die dortige Bezirksregierung in ein Verfahren der Förderung hineinzukommen. Aber auch das ist aus den von mir genannten Gründen nicht erfolgreich gewesen.

Und vielleicht darf ich auch noch sagen, dass nach dem bemerkenswerten anfänglichen Engagement von Frau Dr. Düttmann-Braun und Herrn Dr. Holtschneider nach den Gesprächen mit dem Land – auf der Ebene von Herrn Staatssekretär – bzw. der Bezirksregierung kein weiteres Engagement seitens dieses Vereins erfolgt ist. Eine Internetseite dieses Vereins existiert bis heute nicht. Wir konnten in der Kürze der Zeit auch nicht herausfinden, ob es diesen Verein überhaupt noch gibt. Jedenfalls ist für das Jahr 2015 seitens der KP Amadé oder seitens des besagten Freundeskreises kein Förderantrag gestellt worden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren angemeldeten Fragen mehr vor.

(Wortmeldung von Ralf Witzel [FDP])

– Herr Witzel, bitte schön. Sie haben das Wort zu Ihrer zweiten und letzten Frage.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident, ich habe noch eine Nachfrage: Der von der KPA selbst erwirtschaftete Anteil aus Konzerteinnahmen, Spenden und privaten Leistungen betrug nach unseren Erkenntnissen in den Jahren 1997 bis 2012 im Durchschnitt rund 63 %. Damit lag er deutlich höher als bei Orchestern in freier Trägerschaft. Er betrug mehr als beispielsweise bei einem der Vorzeigeorchester, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen.

Trotz dieser vielversprechenden Wirtschaftszahlen behauptete das Ministerium im „Deutschlandfunk“ im 16. Dezember 2013, dass derzeit anscheinend keine ausreichende Nachfrage nach Konzerten der KPA bestünde und dass es der KPA in all den Jahren nicht gelungen sei, sich eine Existenz aufzubauen, die nicht von Projektzuschüssen des Landes abhängig sei.

Wie kommt die Landesregierung zu dieser Einschätzung? Wieso berücksichtigt sie nicht die wirtschaftlichen Fakten der KPA?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ich kann nur für das Land Nordrhein-Westfalen sprechen. Für das Land Nordrhein-Westfalen stellte sich die Sache genauso dar, wie es im „Deutschlandfunk“ gesagt worden ist.

Ansonsten weise ich noch einmal darauf hin, dass das Gerichtsurteil auch deutlich gemacht hat, dass aufgrund einer mangelnden oder nicht vorhandenen Geschäftsführung offensichtlich die Förderabläufe und die Förderverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden. So etwas kann eine nordrhein-westfälische Landesregierung nicht weiter unterstützen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Jetzt liegen keine weiteren Fragen mehr vor. Damit beende ich die Aussprache zur Mündlichen Anfrage 65 und danke der Frau Ministerin für die Beantwortung.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 66

des Herrn Abgeordneten Marc Lürbke von der Fraktion der FDP auf:

Das Geheimnis Staumühle – Zeitnahe Veräußerung der Wohnsiedlung Staumühle oder weiter andauernde Blockade für die Zukunft eines Ortsteils in der Gemeinde Hövelhof?“

Die sogenannte JVA-Siedlung Staumühle steht im Eigentum des landeseigenen Bau- und Liegenschaftsbetriebs (BLB) und soll nach dessen Willen bereits seit einiger Zeit veräußert werden. Ursprünglich wurde die aus über 80 Häusern bestehende Siedlung für die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Hövelhof gebaut. In der Siedlung stehen insgesamt 69 Reihen- und 13 Einzelhäuser.

Erste Berichte zu geplanten Veräußerungen seitens des BLB gab es bereits im Jahr 2013, auf die sich verschiedenen Meldungen zufolge drei potenzielle Käufer meldeten. So berichtet beispielsweise die „Neue Westfälische“ am 6. Januar 2015 über die seinerzeitigen Reaktionen:

     „Daraufhin meldeten sich drei Interessenten, von denen einer wiederholt großes Interesse bekundet hat, den kompletten Wohnungsbestand zu kaufen, zu sanieren und anschließend wieder zu vermieten.“

Obwohl dem Vernehmen nach dem BLB mittlerweile ein vielversprechendes Investitionskonzept vorliegt, mangelt es weiter an konkreten Ergebnissen, und es entsteht der Eindruck, dass der Verkauf der Siedlung verschleppt bzw. verzögert wird. Die Gemeinde Hövelhof interessiert sich dennoch sehr für den Erhalt des Gebietes und hat die planungsrechtlichen Grundlagen für eine adäquate Nutzung bereits geschaffen.

Die bisherigen Antworten des Finanzministers auf parlamentarische Anfragen im Landtag sind nur wenig aussagekräftig und vage. Sie geben allen Beteiligten insbesondere keine Planungssicherheit für Investitionsvorhaben. Insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der besonderen Herausforderungen für die ländlichen Regionen ist dieser Zustand nicht länger haltbar.

Weiterhin bleibt offen, welche konkreten Planungen die rot-grüne Landesregierung gegenwärtig und zukünftig für die Wohnsiedlung Staumühle und die Zukunft des Ortsteils bei ihrem Vorgehen verfolgt und welche Gründe für die enormen Verzögerungen bei der Entwicklung der Liegenschaft vorliegen. Nach Informationen der FDP-Landtagsfraktion existiert wenigstens ein belastbares Investitionskonzept. Es ist daher zu hinterfragen, welche Hinderungsgründe einer zukünftigen Entwicklung des Ortsteils weiterhin im Wege stehen könnten.

Der Finanzminister sollte dem Parlament daher die aktuellen Überlegungen und Absichten von Landesregierung und BLB zur zukünftigen Nachnutzung der Gebäude im Detail darlegen.

Erfolgt eine zeitnahe Veräußerung der Wohnsiedlung Staumühle, um die zukünftige Entwicklung eines Ortsteils in Hövelhof nicht zu blockieren?

Hier ist der Herr Finanzminister Herr Dr. Walter-Borjans gefragt, der entgegen meiner Notiz heute doch im Saal ist und deshalb auf die Anfrage antworten kann. Sie sind jetzt on air. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Vielen Dank. – Herr Lürbke, es geht – anders als die Überschrift Ihrer Mündlichen Anfrage und die Frage selbst es vermuten ließe – weder um ein Geheimnis noch um eine Blockade.

Die Landesregierung hat seit Dezember 2014 bereits in drei Antworten auf Kleine Anfragen ausführlich zu diesem Thema Stellung genommen und dabei aufgezeigt, dass vor dem Verkauf noch verschiedene technische, rechtliche und finanzielle Fragen zu klären sind.

Der BLB und die Gemeinde haben das gemeinsame Ziel, die Liegenschaft zeitnah zu veräußern; allerdings stellt der Verkauf der Staumühle besondere Herausforderungen an die Verkaufsvorbereitungen. Das hat sich zwischenzeitlich auch durch immer wieder neu aufkommende Probleme gezeigt.

Die Liegenschaft ist von den Bedingungen her nicht mit anderen Liegenschaften vergleichbar. Es handelt sich um eine große Fläche mit vielen Häusern und Wohnungen, die seinerzeit für die Bediensteten der JVA Hövelhof gebaut worden sind. Deshalb ist die Versorgungsinfrastruktur sehr eng mit der Justizvollzugsanstalt verbunden. Das ist ein Grund, warum vor einem Verkauf viele technische, rechtliche und finanzielle Fragen zu klären sind.

Ein paar weitere Punkte würde ich gerne nennen, um zu beschreiben, was hierbei das Besondere ist:

Erstens. Es bestand eine unklare planungsrechtliche Situation für die Nutzung als private Wohnsiedlung. Die Gemeinde hat das Ganze erst im April 2015, also vor zwei Monaten, rechtskräftig geklärt. Vorher wäre ein Verkauf nicht möglich gewesen.

Zweitens. Das Ver- und Entsorgungsnetz der Wohnsiedlung muss – zumindest teilweise – von der JVA getrennt werden. Weil es sich bislang um Dienstwohnungen der JVA gehandelt hat, sind die Erschließung, die Versorgung und die Entsorgung an die JVA geknüpft. Das ist zu trennen.

Die künftige Wärmeversorgung der Wohnsiedlung kann mittelfristig nicht mehr über das Blockheizkraftwerk der JVA sichergestellt werden. Auch hierfür muss eine andere Lösung gefunden werden.

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, BImA, muss dem Erwerber die Nutzung der Druckerhöhungsstation für die Trinkwasserversorgung gestatten. Auch das ist bislang nicht erfolgt.

Der BLB-Zentrale wurde erst im März dieses Jahres durch die Stadt bekannt, dass ein Teil der Zufahrtsstraße in privatem Eigentum steht. Hier wird gerade nach einer Lösung für ein Wegerecht gesucht.

Es gibt noch einen weiteren Punkt: Es wurde bekannt, dass das Justizministerium die Mietverträge für die Wohnbereiche gekündigt hat. Es gibt aber noch Verwaltungsgebäude auf dem Gebiet. Auch da sind noch Fragen zu klären.

Die Schaffung der baurechtlichen Voraussetzungen durch die Gemeinde hat Zeit in Anspruch genommen. Die von mir genannten Punkte sind ebenfalls recht zeitraubend. Der BLB bemüht sich trotzdem intensiv um den Verkauf der Liegenschaft. Es gibt mehrere Interessenten, die angeschrieben worden sind. Bislang haben insgesamt vier davon ein Interesse bekundet. Diese Interessenten sind um die Einreichung von Unterlagen für Konzept und Finanzierung gebeten worden.

Geantwortet hat bislang nur ein Interessent, der auch entsprechende Unterlagen beigefügt hat. Mit diesem steht der BLB in Kontakt.

Trotzdem lässt es die Landeshaushaltsordnung nicht zu, selbst im Falle einer Einigung mit einem Interessenten direkt zu einem Verkauf zu kommen. Hier werden lediglich Vorfragen geklärt; denn sobald die offenen Punkte, die ich eben genannt habe, geklärt sind, muss der BLB das Grundstück im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung veräußern.

Ein genauer Zeitplan kann erst genannt werden, wenn diese Vorfragen geklärt sind. Der BLB geht aber davon aus, dass noch in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2015 mit dem Ausschreibungsverfahren begonnen werden kann. – So viel zunächst dazu.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Lürbke hat eine Frage.

Marc Lürbke (FDP): Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Minister, für die Ausführungen. Die Unklarheiten bezüglich der weiteren Entwicklungen und die Verzögerungen bei der Veräußerung der Wohnsiedlung Staumühle haben die Bürgerinnen und Bürger vor Ort doch stark beunruhigt, und das hat viele Fragen aufgeworfen. Diese Bedenken haben auch die Antworten auf die Kleinen Anfragen nicht vollumfänglich ausräumen können.

Mein Eindruck ist – das möchte ich betonen –, dass alle Beteiligten vor Ort – die Bürger, die Bewohner der Wohnsiedlung sowie die Gemeinde und die Investoren – an einer zeitnahen Weiterentwicklung des Ortes interessiert sind. Herr Minister, vielleicht können Sie vor diesem Hintergrund den konkreten Sachstand des Veräußerungsverfahrens noch einmal detailliert darstellen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte schön.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich denke, dass das, was ich dargestellt habe, schon sehr konkret war. Ich habe die Fragen genannt, die noch geklärt werden müssen. In dem Moment, in dem diese Fragen geklärt sind – teilweise von der Gemeinde oder von anderen Beteiligten –, wird auch noch in diesem Jahr eine Ausschreibung erfolgen.

Wenn der BLB mir gegenüber die Einschätzung abgibt, dass er davon ausgeht, in der zweiten Jahreshälfte dieses Jahres mit einer Ausschreibung beginnen zu können, dann gehe ich davon aus, dass es sich um Fragen handelt, die in dieser Zeit noch zu klären sind.

Allerdings ist es mir auch wichtig zu sagen, dass es Kontakt zu den Mietern gibt. Das Problem ist ja, dass in dieser hundert Häuser und Wohnungen umfassenden Siedlung – also ein relativ großes Areal – einerseits Leerstand vorhanden ist, andererseits auch noch Mieter dort wohnen, die eine Garantie für ihre Mietverträge haben. Das ist durch weitere Verträge entsprechend gesichert.

Mit diesen Mietern steht der BLB meiner Kenntnis nach in Kontakt und tauscht sich aus. Es ist für die Betroffenen sicher keine schöne Situation, festzustellen, dass man erstens nicht mehr in einer vollständig geschlossenen und belegten Siedlung lebt und es zweitens einen Renovierungsbedarf gibt, der vor dem Hintergrund der derzeit unklaren Lage nicht umgesetzt wird.

Anschließend weiß man nicht, was aus Fragen wird wie: Was passiert mit der Ver- und Entsorgung? Was passiert mit der Beheizung? Wer wird möglicherweise Käufer dieses Areals? – Das ist auf Dauer sicher kein haltbarer Zustand, gar keine Frage. Aber diese Punkte, die hier im Raum stehen, sind noch zu klären. Vorher kann man dieses Problem nicht lösen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Witzel hat eine Frage.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, für die Gelegenheit zu einer ersten Nachfrage. – Herr Minister Dr. Walter-Borjans, Ihnen ist aus verschiedenen, auch schriftlichen Berichten, auf die Sie vorhin verwiesen haben, bekannt, welche Bedeutung die Weiterentwicklung des Geländes für den Ortsteil Staumühle insgesamt hat.

Sie haben gerade über Vorfragen und offene Punkte berichtet, die vor Ort den Verkauf verzögern. Daher ist meine Frage: Mit welcher Priorität und mit welcher Unterstützung gehen Sie die von Ihnen bezifferten offenen Punkte an, damit es hier ein gutes Ende – idealerweise noch in diesem Jahr – für alle Seiten durch einen erfolgreichen Verkauf gibt?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das, was wir hier besprechen, gehört zum operativen Geschäft des BLB. Das sind Dinge, die der BLB zu klären hat. Das ist sicher nicht der einzige Punkt. Sie wissen, dass der BLB insgesamt 10,5 Millionen m2 vermietet, und selbst eine Menge von hundert Häusern und Wohnungen ist, gemessen daran, nur ein gewisser Teil. Es wird diese Fragen in vielen Bereichen immer wieder geben.

Was mich persönlich angeht, kann ich Ihnen sagen, dass ich schon beim Aufkommen der ersten Kleinen Anfrage deutlich gemacht habe, dass mir an einer schnellstmöglichen Lösung gelegen ist, und zwar erstens wegen der betroffenen Bürgerinnen und Bürger, zweitens weil auch zu dem Zeitpunkt, als noch keine Kündigung ausgesprochen worden ist, erkennbar war, dass es hier keinen Bedarf mehr vonseiten des Justizministeriums gab und dass man deswegen entsprechende Schritte einleiten konnte.

Das ist schließlich auch erfolgt, allerdings haben diese Schritte dann erst die Probleme ans Tageslicht gebracht. Ich kann sehr gut verstehen, dass in dieser vergleichsweise kleinen Gemeinde hundert Häuser und Wohnungen nicht wenig sind und dass das für die Gemeinde eine große Bedeutung hat. Wenn die Gemeinde selbst aber erst im April 2015 planungsrechtliche Voraussetzungen für eine Sache schafft, bei der der Mietvertrag bereits Ende des Jahres 2012 gekündigt worden ist, dann zeigt das, dass entweder die Priorität nicht so groß war oder dass man auch in der Gemeinde vorher eine Menge Fragen zu klären hatte. Das kann ja durchaus sein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Schneider hat eine Frage.

Susanne Schneider (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Minister, wie gestaltet sich grundsätzlich die gegenwärtige Zusammenarbeit mit der BImA bezüglich der offen gebliebenen Fragestellungen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister!

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nach meinem Kenntnisstand gibt es – wie ich eben schon sagte – nicht nur in diesem Bereich, sondern in einer ganzen Reihe von Bereichen Berührungspunkte zwischen BLB auf Landesebene und BImA auf Bundesebene. Das geht auch hier auf einem ganz kollegialen Weg.

Es ist allerdings so, dass durchaus beide Seiten ihre Ziele verfolgen; das heißt, dass in dem Punkt der Druckerhöhungsstation für die Trinkwasserversorgung ganz offenbar die BImA von einer gewissen preislichen Vorstellung ausgeht, über die mit dem BLB bislang noch keine Einigung gefunden worden ist.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Dr. Kerbein hat eine Frage.

Dr. Björn Kerbein (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Minister Walter-Borjans, ich habe folgende Frage: Ist die Landesregierung an einem schnellen Abschluss des Verkaufs interessiert, um nicht in Konflikt beispielsweise mit Angebotsbindungsfristen der Investitionskonzepte zu geraten?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Eindeutig ja.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Schmitz hat eine Frage.

Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Minister, ist der aktuell gewonnene Eindruck der Verschleppung und Verzögerung bei der Veräußerung der Wohnsiedlung Staumühle richtig?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Lürbke hat eine zweite Frage.

Marc Lürbke (FDP): Herr Minister, ich habe noch eine zweite Frage, und zwar haben Sie von den Kaufinteressenten gesprochen. Wie viele potenzielle Kaufinteressenten gibt es gegenwärtig?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe eben gesagt: Im Moment gibt es erkennbar nur einen Kaufinteressenten. Vier Kaufinteressenten sind angesprochen bzw. angeschrieben worden. Einer hat seine Vorstellungen abgegeben. Das geschah auch in dem Wissen, dass am Ende zunächst eine Ausschreibung auf den Weg gebracht werden muss. Daran kann sich natürlich der Betreffende beteiligen. Ob es weitere Kaufinteressenten gibt, wird man sehen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Schneider hat eine zweite und letzte Frage an Sie.

Susanne Schneider (FDP): Herr Minister, welche Kriterien sollte neben dem Verkaufspreis eine öffentliche Ausschreibung gegebenenfalls enthalten bzw. vorsehen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kenne im Augenblick nicht den Kriterienkatalog des BLB. Da eine Abstimmung mit der Gemeinde besteht, die hier planungsrechtliche Vorgaben geschaffen hat, gehe ich gehe davon aus – das kenne ich aus allen vergleichbaren Fällen –: Wenn die Gemeinde im April bauplanungsrechtliche Voraussetzungen für eine Nutzung als private Wohnsiedlung geschaffen hat, dann kann man daraus ableiten, was offenbar geplant ist. Dann müssen die entsprechenden Dinge, die zusammen mit der Gemeinde zu überlegen sind, umgesetzt werden. Ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, welche Wertigkeit die Gemeinde für dieses Areal in ihren Zielvorstellungen vorsieht. Aber darüber gibt es Gespräche zwischen der Gemeinde und dem BLB.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Witzel stellt seine zweite und letzte Frage.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, für die Gelegenheit zu einer erneuten Nachfrage.

Herr Minister Dr. Walter-Borjans, uns ist bekannt – und Ihnen ja auch –, dass es sich um eine vergleichsweise große Liegenschaft handelt, die einen nicht zu vernachlässigenden Wert hat. Deshalb gehe ich sicherlich richtigerweise davon aus, dass es alternative Planungen gibt, vor allem wenn Sie sagen, momentan gebe es nur einen ernsthaften Interessenten.

Deshalb meine Frage: Nach welchen Alternativen gehen Sie vor? Sind Sie auch aktiv in der Ansprache weiterer Investoren? Welche Planungen verfolgen Sie, wenn sich abzeichnet, dass ein zeitnaher Verkauf in realistischer Weise nicht zustande kommt?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich bin mit den Einzelheiten, die miteinander besprochen werden, nicht richtig vertraut. Es gibt jedoch ein paar Indikatoren, die deutlich machen, dass eine solch hohe Nachfrage und eine so dringende Bedeutung offenbar nicht gegeben sein können.

Punkt eins. Der erste Schritt war, dass das Justizministerium seinerzeit für sich einen Bedarf erkannt hatte, Dienstwohnungen neben der JVA zu haben. Dieser Bedarf scheint nicht mehr zu bestehen, weil es alternativ eine Menge Angebote gibt, wo beschäftigte Bedienstete der JVA wohnen können, die offenbar eher angenommen werden, als unmittelbar in der Nachbarschaft der JVA zu wohnen.

Punkt zwei. Es hat bislang keinen großen Andrang an Interessenten gegeben. Auf die Gespräche über Werte will ich jetzt nicht im Einzelnen eingehen, weil das die Verkaufsverhandlungen erschweren oder verändern könnte. Wir reden hier nicht darüber, dass sich Investoren mit sehr hohen Angeboten die Klinke in die Hand geben, sondern es ist eher so, dass man davon ausgehen muss, dass da noch einiges zu bereinigen ist, dass Gebäude abzureißen und Veränderungen vorzunehmen sind.

Vor allen Dingen die Punkte, die ich eben genannt habe – Trennung der Erschließungsleitungen, Wär-meversorgung – führen dazu, dass es hier offenbar einen sehr bescheidenen Preisrahmen gibt, in dem Angebote abgegeben werden. Jetzt also zu sagen, in dieser Region bestünde ein sehr hohes Interesse genau an diesem Areal und dass deswegen hier eine Verschleppung vorliegt, die vom BLB zu verantworten ist – das kann ich wirklich nicht bestätigen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Seine dritte und letzte Frage stellt jetzt Herr Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Vielen Dank, Herr Minister. Die letzte Frage von mir, die aber nicht nur mir, sondern sicher allen Beteiligten unter den Nägeln brennt: Wann ist denn mit dem Abschluss des Verfahrens zu rechnen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann nur wiederholen, was ich eben gesagt habe: In der zweiten Hälfte des Jahres 2015 wird es eine Ausschreibung geben. Das ist dann aber sicher noch nicht der Abschluss, weil man abwarten und prüfen muss, welche Interessenten sich auf diese Ausschreibung melden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Alda hat noch eine Frage. Bitte schön.

Ulrich Alda*) (FDP): Danke, Herr Präsident. Herr Minister, ich würde mich freuen, wenn Sie noch eine Frage beantworten würden. Ist bekannt, wie es aktuell mit dem Sanierungsstau an den Gebäuden aussieht?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es gibt ganz eindeutig einen Sanierungsbedarf. Von „Sanierungsstau“ kann man ja nur reden, wenn die Wohnnutzung in der vorhandenen Form erhalten bleiben sollte. Das ist jedoch offenbar mit der Gemeinde und mit dem Interessenten sowie möglichen weiteren Interessenten nicht geklärt. Deswegen macht es keinen Sinn, Sanierungsmaßnahmen in einem schon zu großen Teilen freigezogenen Areal vorzunehmen, wenn dort anschließend etwas ganz anderes entstehen soll.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Fragen liegen mir nicht vor. Damit sind wir nicht nur am Ende der Mündlichen Anfrage 66, sondern auch am Ende der Fragestunde.

Wir kommen zu:

12       Eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle für Nordrhein-Westfalen schaffen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/8974

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Piratenfraktion Herrn Kollegen Schatz das Wort.

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! – Offensichtlich bin ich neben dem Minister der einzige Redner, der momentan da ist. Ich weiß nicht, ob wir warten sollen oder ob ich schon mal anfangen soll.

Vizepräsident Oliver Keymis: Ich habe Ihnen das Wort erteilt, Herr Kollege. Sie können also sprechen. Bitte schön!

Dirk Schatz (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren, die bis jetzt anwesend sind, und auch diejenigen, die noch fehlen! Eine Frau, die durch Beamte der KPB Lippe misshandelt worden sein soll; ein tödlicher Faustschlag in Gelsenkirchen, bei dem ein Beamter der Kripo der Vater des beschuldigten Polizeibeamten ist; der Fall Herford; eine Kommissaranwärterin mit Migrationshintergrund, die auf rassistische Art und Weise von anderen Auszubildenden gemobbt wurde, und zuletzt das Kölner SEK – ganz aktuell – gleich zweimal.

Das ist nur ein Auszug der Fälle, die allein im letzten Jahr im Innenausschuss und/oder der Presse thematisiert wurden. Es waren am Ende sogar noch ein paar mehr. Die Fälle, mit denen ich im Petitionsausschuss zu tun habe, sind dabei auch noch nicht eingerechnet.

Wenn man allein die Presse der letzten Zeit liest, könnte man annehmen, es hätte einen dramatischen Anstieg von Polizeigewalt oder innerdienstlichen Vorfällen gegeben. Ich behaupte jedoch: Das ist nicht der Fall. Vielmehr wird im Moment, auch durch die Presse, einfach nur mehr nachgebohrt. Dadurch werden mehr Fälle öffentlich. Wie immer dürfte die Dunkelziffer entsprechend höher liegen.

Mir stellt sich die Frage, was schlimmer ist: dass jetzt deutlich wird, wie viele es wirklich sind, oder wie viele Fälle in der Vergangenheit eben nicht öffentlich wurden, aber natürlich dennoch vorhanden gewesen sein dürften.

Komischerweise hat das MIK nach den Veröffentlichungen unverzüglich dafür gesorgt, dass die Ermittlungen an andere Behörden abgegeben werden – wie immer natürlich erst dann, als es schon zu spät war, nämlich hinterher. Und was wäre passiert, wenn das nicht, wie in dem einen oder anderen Fall, quasi nur durch Zufall an die Öffentlichkeit gekommen wäre? Es wäre nichts passiert, und dieselben Beamten, die, vielleicht sogar absichtlich, Fehler gemacht haben, wären weiter für die Ermittlungen verantwortlich gewesen.

Die Ermittlungen wurden dann – zumindest offiziell – an andere Behörden abgegeben, um dem Anschein der Parteilichkeit zuvorzukommen. Nun, um dem zuvorzukommen, war es ein wenig spät, wie ich finde. Wie vor allem auch der Fall Herford zeigt, gibt es manchmal eben nicht nur den Anschein der Parteilichkeit, sondern sie ist im Einzelfall auch tatsächlich vorhanden. Ganz aktuell will der Minister sogar alle SEK-Einheiten mit einer Sonderinspektion überprüfen lassen.

Ich bin der Auffassung: Mit der im Antrag geforderten Polizeibeschwerdestelle hätte es vielleicht gar nicht erst soweit kommen müssen.

Ich finde es beschämend, dass einzelne Beamte es schaffen können, den Ruf der Institution Polizei und die hervorragende tägliche Arbeit des allergrößten Teils aller Polizeibeamtinnen und -beamten derart in den Dreck zu ziehen. Aufgrund der Redezeit will ich mich hier gar nicht über die Ursache dessen auslassen. In der Ausschussdebatte wird dafür definitiv genug Zeit sein, denke ich.

In manchen Fällen erscheinen mir allerdings die Gründe dieses Verhaltens der Beamten aus rein menschlicher Sicht durchaus nachvollziehbar. Ich betone ausdrücklich: Ich finde das nicht richtig. Es ist aus meiner Sicht auch nicht gerechtfertigt oder in irgendeiner Art und Weise akzeptabel. Aber aus rein menschlicher Sicht finde ich es manchmal nachvollziehbar. Genau deshalb ist es aber umso wichtiger, dass Ermittlungen bezüglich Beschwerden im Bereich der Polizei von einer unabhängigen Stelle geführt werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Genauso wichtig sind dabei aus meiner Sicht aber auch Dinge, die den innerdienstlichen Bereich betreffen. Polizeibeamte und -beamtinnen müssen die Möglichkeit haben, sich bei behördeninternen Missständen oder persönlichen Problemen vor allem außerhalb des Dienstweges an eine unabhängige und fachlich geeignete Stelle wenden zu können. Deshalb halten es nicht nur wir Piraten, sondern auch einschlägige NGOs und Koryphäen aus dem Bereich der Wissenschaft für unerlässlich, eine solche Stelle einzurichten. Auch andere Bundesländer und sogar der Bund kommen langsam zu diesem Schluss.

Ich hoffe sehr, dass wir im Rahmen der Ausschussdebatte bei diesem doch sehr wichtigen Thema zu einer guten Lösung kommen können.

An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass unser Antrag ganz bewusst sehr offen formuliert ist. Selbst in Bezug auf die unter Punkt II.5 genannten Grundsätze haben wir geschrieben: „sollten … Beachtung finden“. Das ist bewusst im Konjunktiv formuliert. Das ist kein Zufall. Wir haben uns dafür entschieden, einen runden Tisch zu fordern und gerade nicht mit einem konkreten Vorschlag voranzupreschen; denn dieses Vorgehen ermöglicht es, am Ende einen Kompromiss zu finden, der bei diesem wichtigen Thema für alle Beteiligten oder zumindest für eine breite Mehrheit tragbar sein wird.

Daher möchte ich für diesen Antrag werben. Ich bitte natürlich um Überweisung in den Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Für die SPD spricht Herr Kollege Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich den Antrag richtig verstanden habe, geht es im Kern um zwei wesentliche Dinge, die eine von Ihnen so genannte unabhängige Beschwerdestelle zu leisten habe.

Der erste Strang ist die Bearbeitung von Beschwerden seitens der Bürger gegenüber der Polizei, wobei ich das hier etwas schärfer fassen muss. Es soll nicht allein um eine gemeldete Unzufriedenheit des Bürgers gehen, sondern darum, dass Polizisten Straftaten begehen und diese ungeahndet blieben, wenn es diese unabhängige Stelle nicht gäbe und diese unabhängige Stelle nicht ermitteln würde. Ihr Antragstext und auch die Beispiele, die Sie hier in Ihrer Rede angeführt haben, weisen klar in diese Richtung.

Damit berühren Sie die Rechtsgrundlage für die Ermächtigung zur Ermittlung, die in der Strafprozessordnung geregelt ist und klar der Staatsanwaltschaft und ihren Zuarbeitern, der Polizei, zugewiesen wird. Sie würden aus dieser Rechtssystematik herausgehen und eine neue Ermächtigungsgrundlage jenseits der jetzigen Zuständigkeit einzig für Ermittlungsverfahren gegen Polizisten benötigen. Daher müssten Sie erklären, worin sich ein Polizist, gegen den zu ermitteln wäre, grundlegend von anderen Personen unterscheidet. Ich finde selbst keine Antwort darauf.

Der von Ihnen angesprochene Beauftragte für die Landespolizei in Rheinland-Pfalz darf dies ebenfalls ausdrücklich nicht. Im § 3 des Landesgesetzes über den Bürgerbeauftragten des Landes Rheinland-Pfalz und den Beauftragten für die Landespolizei ist klar die Grenze genannt. So kann er auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen nur bezüglich des zeitlichen Verfahrens einwirken. Weitere Rechte hat er nicht, schon gar keine eigenen Ermittlungsrechte. Das geht ja auch kaum, weil dies Bundesrecht beträfe.

Derzeit bestehen in Nordrhein-Westfalen folgende Möglichkeiten, sich gegen eine gefühlte oder auch zu Recht angemahnte ungerechtfertigte Maßnahme seitens der Polizei zur Wehr zu setzen: Jeder kann eine Strafanzeige stellen. Jeder kann auch eine Klarstellung im gegen den Betroffenen selbst gerichteten Verfahren erwirken. Es gibt die Dienstaufsichtsbeschwerde. Außerdem haben wir in unserer Verfassung das Petitionsrecht.

Hier darf ich auch einmal auf das in diesem Zusammenhang häufig geäußerte Argument eingehen, dass der Korpsgeist eine Rolle spiele. Einen Korpsgeist kann es an der einen oder anderen Stelle geben. Das verneint niemand von uns – genauso wenig, dass Fehler und Straftaten geschehen. Auch das verneint keiner von uns. Es fragt sich nur, ob sie derartig häufig und signifikant sind – und vor allem, ob sie unerkannt sind und bleiben.

Eines sei an dieser Stelle auch klar gesagt: Der § 163 der Strafprozessordnung zwingt die Polizei zur Ermittlung beim Verdacht einer Straftat, weil man sich ansonsten selbst strafbar macht –

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

auch wenn der vermeintliche Täter ein Polizist sein sollte. Diese klare Rechtsposition ist auch ein klarer Riegel vor dem unreflektierten Mitmachen oder Tolerieren. Falscher Gehorsam oder Cliquenmauscheln sind beim Decken von Straftaten selbst strafbar.

Der zweite Strang ist die Bearbeitung von Beschwerden innerhalb der Polizei selbst, also von einer unabhängigen Stelle, um möglichen Folgen in Form von Mobbing oder Ähnlichem bei Kritik an Einsätzen oder Personen, die sonst nur intern geäußert werden könnte, Vorschub zu leisten. Dieser zweite Strang unterscheidet sich erheblich vom ersten. Hier geht es um das innere Konfliktmanagement, um offene und ehrliche Einsatznachbereitung, um eine Fehlerkultur und die Fähigkeit, ob und inwieweit die Polizei eine lernende Einheit ist.

Diese innere Angelegenheit ist für die Leistungsfähigkeit der Polizei und für das Betriebsklima von größter Bedeutung.

Daher kann es sich hier auch immer nur um einen Prozess handeln, der stetig auf hohem Niveau und ernsthaft vorangetrieben werden muss. Hierfür gibt es klare Dienstanweisungen, es gibt Vorgesetzte mit ihrer wahrzunehmenden Verantwortung, Personalräte und Gewerkschaftsangehörige als Ansprechpartner sowie Soziale Ansprechpartner und Vertrauenspersonen. Es gibt also eine Vielzahl von Möglichkeiten. Man muss nur darauf achten, dass diese Stellen und Personen ihre Arbeit auch gut machen. In der Tat muss man diesen Bereich immer in den Fokus nehmen.

Aber dies sei mir zum Schluss gestattet: Um Positionen zu bezeichnen, muss man mitunter auch klar die Ränder des Möglichen zeichnen. Das bedeutet nicht, dass Mobbing und Korpsgeist ein integraler Bestandteil unserer Polizei sind, sondern Phänomene, die es eben mitunter leider auch gibt.

Unsere Polizei macht hervorragende Arbeit. Sie genießt zu Recht hohes Ansehen. Polizistinnen und Polizisten stehen unter einem hohen psychischen Druck. Sie stehen für unser Rechtssystem und unsere Werte ein. Sie stehen für die Bürger und auch sich ein. Unter einen Generalverdacht gestellt zu werden, kommt unserer Polizei nicht zu.

Den Antrag lehnen wir ab. Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bialas. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Golland.

Gregor Golland (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie die Landesregierung in ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage mit dem Titel „Gewalt gegen Polizeibeamte in Nordrhein-Westfalen“, Drucksache 16/8781, kürzlich mitgeteilt hat, sind Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber Polizeibeamten in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Während im Jahr 2011 rund 6.000 Polizistinnen und Polizisten in NRW Opfer einer Straftat geworden sind, belief sich die Zahl im Jahr 2014 bereits auf 7.900. Das ist ein Zuwachs von gut 30 % binnen vier Jahren.

„Die erhöhte Aggressionsbereitschaft gegenüber unseren Polizisten“

– so die Antwort der Landesregierung wörtlich –

„geht einher mit einem erhöhten Respekt- und Autoritätsverlust gegenüber der Staatsgewalt.“

Wie die Folgen dieser Entwicklung praktisch aussehen, können wir regelmäßig den Nachrichten entnehmen. In diesem Zusammenhang verweise ich nur beispielhaft auf die HoGeSa-Krawalle Ende vergangenen Jahres in Köln, wo 49 Polizisten verletzt wurden, oder auf die Ausschreitungen im Zusammenhang mit der Eröffnung des neuen EZB-Gebäudes im März 2015 in Frankfurt. Dort wurden 150 Polizeibeamtinnen und -beamte zum Teil schwer verletzt, etwa 80 von ihnen mit einem ätzenden Reizstoff, der von der linksautonomen Szene eingesetzt wurde. Außerdem wurden 55 Dienstfahrzeuge beschädigt, sieben weitere brannten aus.

Meine Damen und Herren, warum sage ich das hier? Vor diesem Hintergrund wirkt der vorliegende Antrag der Piratenfraktion seltsam aus der Zeit gefallen. Darin wird die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle angeregt, bei der sich Bürger künftig über polizeiliches Fehlverhalten beschweren könnten. Als vermeintlich leuchtendes Beispiel wird in diesem Zusammenhang die Institution eines Polizeibeauftragten genannt, die SPD und Grüne im vergangenen Jahr in Rheinland-Pfalz eingeführt haben.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: In jedem Beruf finden sich schwarze Schafe. Davon ist natürlich auch die Polizei nicht ausgenommen. Deshalb mag es auch in Einzelfällen zu einem Fehlverhalten ebendieser Beamten gegenüber den Bürgern kommen.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Das sind bedauerliche Einzelfälle!)

Die Situationen, die ich eingangs beschrieben habe, machen jedoch deutlich, dass unser eigentliches Problem nicht die Gewalt durch bzw. von Polizeibeamten ist, sondern die massiv zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte.

Bevor man die Einrichtung einer Beschwerdestelle im Sinne des Antrags fordert, sollte man sich deshalb zunächst einmal die Frage stellen, ob eine solche Institution überhaupt nötig ist. Hier lohnt ein Blick auf die Debatte um die Ernennung des Polizeibeauftragten in Rheinland-Pfalz. Dort hat zum Beispiel der Bund Deutscher Kriminalbeamter verdeutlicht, dass es bislang keinen einzigen Fall gegeben habe, bei dem eine Dienstaufsichtsbeschwerde oder gar eine Strafanzeige gegen einen Polizeibeamten abgewiesen oder nicht ordnungsgemäß und zeitnah bearbeitet worden sei. Insofern schließe ich mich in dieser Sache auch gern dem Vorredner an.

Die Schaffung einer weiteren Ebene mit einem Polizeibeauftragten werde diese Sachaufklärung zeitlich verzögern und die Beweiserhebung, die Beweissicherung dagegen erschweren, so der BDK weiter.

Auch das immer wieder vorgetragene Argument, dass schließlich auch die Bundeswehr in Gestalt des Wehrbeauftragten über eine entsprechende Beschwerdeinstanz verfüge, lässt sich bei genauerem Hinsehen nicht auf den Polizeibereich übertragen.

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE] – Lachen von Frank Herrmann [PIRATEN])

Im Übrigen geht es hier um die Bereiche des Inneren und das, was in der Organisation selber passiert. Denn der Wehrbeauftragte ist zu Zeiten der Wehrpflichtarmee eingesetzt worden, in der es noch keine ausgeprägten Gewerkschaftsstrukturen gab. Bei der Polizei ist das völlig anders: Mit der Deutschen Polizeigewerkschaft, der Gewerkschaft der Polizei und dem bereits erwähnten Bund Deutscher Kriminalbeamter gibt es bundesweit drei Gewerkschaften, die Kritik bearbeiten und auch öffentlich kommunizieren.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Die haben andere Aufgaben!)

Wo vor diesem Hintergrund der Mehrwert einer zusätzlichen Beschwerdestelle liegen soll, erschließt sich mir nicht.

Es geht zum einen natürlich um Beschwerden aus dem Polizeiapparat. Aber es geht auch um die Beschwerden der Bürger.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Ja!)

Diese können ausreichend angebracht werden. Dafür haben wir ein Rechtssystem, das jedem Bürger diese Möglichkeit eröffnet. Da werden Polizeibeamte nicht anders behandelt als Sie, als ich, als andere Bürger in diesem Land.

Gleichwohl wird die CDU-Fraktion natürlich der Überweisungsempfehlung des Ältestenrates zustimmen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Innenausschuss. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herzlichen Dank, Herr Kollege Golland. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Golland, die Debatte über Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

haben wir ja schon heute Mittag geführt. Das ist eine wichtige Debatte, die wir hier immer wieder ansprechen sollten. Nur, hier geht es um ein ganz anderes Thema; jetzt geht es um Missstände und Fehler innerhalb der Polizei. Sie können doch nicht ernsthaft sagen, dass diese nicht vorkommen. Im Gegenteil: Wir müssen gerade diese thematisieren, auch im Interesse der Polizei, finde ich. Wenn Sie das so negieren, finde ich das, ehrlich gesagt, ein bisschen schwierig.

Ich will aber auch noch eine Vorbemerkung zu den Vorfällen beim SEK in Köln machen. Diese Vorfälle erschüttern mich persönlich sehr. Menschenverachtende Aufnahmerituale innerhalb der Polizei sind in keiner Weise hinnehmbar. Dass gerade innerhalb der Polizei, also einer Behörde, die für den Schutz von Grundrechten, für die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit steht und dafür verantwortlich ist, so etwas möglich ist, erschüttert mich umso mehr. Ich frage mich auch, warum andere Polizeibeamte, die davon mitbekommen haben müssen, diese Missstände nicht aufgedeckt, sondern womöglich sogar noch mitgemacht haben.

Möglicherweise liegt das an den Strukturen innerhalb des SEK. Wahrscheinlich gibt es eine hohe Geschlossenheit, die in gefährlichen Situationen auch notwendig ist. Man muss sich aufeinander verlassen. Möglicherweise begünstigt das solche Strukturen und gruppendynamische Prozesse. Aber das ist natürlich keine Entschuldigung.

Genauso wenig wie man sagen kann, dass diese Missstände bei allen SEK vorkämen, kann man sagen, diese Vorwürfe beträfen die gesamte Polizei. Aber es ist eben möglich, dass es zu solchen Missständen und Fehlern kommt, Herr Golland. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir das thematisieren und gegensteuern können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Im Fall des SEK in Köln ist jetzt die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen am Zuge. Das ist auch richtig so. Ich glaube, wir benötigen aber auch eine Debatte darüber, wie solche Strukturen überhaupt möglich werden und welche Ursachen sie haben. Ich hatte gerade schon gesagt, wir müssen klären, warum es Polizeibeamte gibt, die davon erfahren, aber nicht eingreifen oder sogar – schlimmer noch – mitmachen.

Eine Beschwerdestelle, ein Polizeibeauftragter kann aus meiner Sicht durchaus dazu beitragen, eine andere Haltung zu stärken. Ich will es nicht immer nur Fehlerkultur nennen. Es ist eine Frage der Haltung, wie man damit umgeht. Deshalb sind wir Grüne grundsätzlich sehr offen in dieser Debatte über einen Polizeibeauftragten. Aber es ist immer auch eine Frage der Konzeption, eine Frage, wie man es ausgestaltet. Das muss aus meiner Sicht sehr klug überlegt sein, damit es wirksam sein kann.

Ich verstehe Ihren Antrag so, dass diese Stelle auch Ermittlungen gegen Polizeibeamtinnen und -beamte führt. Das wollen wir nicht. Aus meiner Sicht sollte eine solche Stelle Beschwerden, Anliegen und Missstände entgegennehmen. Das sollte auch anonym geschehen können; das haben Sie in Ihrem Antrag nicht aufgeführt. Die Stelle sollte aber eben nicht ermitteln. Das ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sowohl im Fall Herford als auch bei den aktuellen Vorfällen des SEK in Köln.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schatz zulassen?

Verena Schäffer (GRÜNE): Ja.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Dirk Schatz (PIRATEN): Werte Frau Schäffer, vielen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich finde es gut, dass Sie grundsätzlich mit uns in einer Linie stehen. Im Detail haben Sie leichte Abweichungen.

Haben Sie mir gerade zugehört, als ich sagte, der Antrag ist sehr bewusst ganz offen formuliert? Die Grundsätze, die wir aufgestellt haben, sind ganz bewusst mit „sollte“ formuliert. Ich möchte schon, dass am Ende ein Konsens steht, mit dem alle Beteiligten leben können. Damit möchte ich in die Ausschussdebatte gehen. Wenn wir uns dann am Ende einigen könnten, wäre das super. Finden Sie das nicht auch?

Verena Schäffer (GRÜNE): Ich mache gerade nichts anderes, als auf Ihre Argumente einzugehen und eigene Argumente vorzubringen. Ich finde, das ist Teil einer Debatte, die wir führen müssen, und zwar sowohl hier im Plenum als auch später im Ausschuss. Es ist eine Debatte, die ich übrigens hochspannend finde.

Ich will noch einmal bei den Ermittlungen ansetzen und da weitermachen. Ich finde, es ist eine Frage, wie man damit umgeht. Wenn Sie diese Stelle dem Legalitätsprinzip verpflichten wollen, wenn also strafrechtlich relevante Sachverhalte verfolgt werden müssen, werden sich viele nicht mehr an diese Stelle wenden, glaube ich. Das gilt zum Beispiel für Polizeibeamtinnen und -beamte, die durchaus einen Vorfall melden wollen, dies aber nicht unmittelbar tun, sondern mit einem zeitlichen Abstand. Dann müsste eine solche Stelle sofort gegen diese Person wegen Strafvereitelung im Amt ermitteln. Das geschähe eigentlich auch zu Recht. Diese Personen werden sich aber nicht mehr an diese Stelle wenden. Damit führen Sie das zum Teil ad absurdum. Das möchte ich zumindest als einen Punkt in die Debatte geben, den man mit bedenken muss.

In Nordrhein-Westfalen sind wir bisher einen anderen Weg gegangen. Wir haben gesagt, wir bringen ein dezentrales Beschwerdemanagement bei den Kreispolizeibehörden auf den Weg. Der erste Bericht ist im vergangenen Jahr schon erschienen und wird nun regelmäßig jährlich veröffentlicht.

Diese Bearbeitung von Beschwerden und Fragen von Bürgerinnen und Bürgern ist nicht nur als Wert an sich wichtig. Es ist nicht nur wichtig, dass die Anliegen abgearbeitet werden und die Personen, die sich beschweren, eine Antwort von der Polizei bekommen. Ich finde sie auch intern für die Polizei wichtig. Es sollte dazu führen, dass polizeiliche Arbeit weiterentwickelt wird.

Beim vorhandenen Beschwerdemanagement sollten wir schauen, wo wir Verbesserungen erreichen können. Insofern ist es eine unheimlich spannende Debatte. Wir haben momentan leider viele sehr erschütternde Anlässe, um diese Debatte zu führen. Herford ist genannt worden. Köln ist genannt worden. Es gibt aber auch den Fall bei der Bundespolizei in Hannover. Diese Anlässe sind beschämend für die Polizei. Deshalb sollten wir die Debatte dazu ausführlich im Ausschuss führen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorweg eines sagen. Das ist wichtig, und zwar nicht nur, wenn wir über das Thema Polizeibeschwerdestelle sprechen. Ich habe großes Vertrauen in die Arbeit der Polizei. Unsere Beamtinnen und Beamten in Nordrhein-Westfalen leisten jeden Tag einen schwierigen und fordernden Job. Sie machen das ohne Frage hervorragend.

(Beifall von der FDP)

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Streit, Probleme und Verfehlungen auch in den besten Familien vorkommen können. Es ist schon angesprochen worden: In jüngster Vergangenheit sind leider in der Tat über Medienberichte mehrere Einzelfälle von Mobbing bei der Polizei, Querelen in Dienststellen, durch Kollegen gedeckte Rechtsverstöße, Überreaktionen durch Beamte mit teilweise mit fatalen Folgen, Misshandlungs- und Untreuevorwürfe zutage getreten.

Ich will diese Vorfälle gar nicht einzeln bewerten oder kommentieren. Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang aber eine gewisse Ernüchterung ein. Beamte haben innerbehördliche Missstände oder Verfehlungen von Kollegen in einigen Fällen nicht nur nicht gemeldet, obwohl dies – jedenfalls ab einer gewissen Schwelle – geboten war, sondern diese teilweise sogar in einem kollektiven Zusammenwirken gedeckt. Das gibt Grund zur Sorge.

Aber auch der vorliegende Antrag gibt als Lösung dieser Problemlage noch keine fest Antwort, liebe Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion. Sie haben das als offenen Prozess beschrieben.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Richtig!)

Sie bringen die Schaffung einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle als Anlaufstelle für Polizei und auch für Bürger ins Spiel.

Ich finde, das ist noch nicht zu Ende gedacht, es ist aber durchaus diskussionswürdig. Sie erwähnen in dem Antrag auch den seit Juli 2014 in Rheinland-Pfalz tätigen Beauftragten für die Landespolizei. Ähnliches haben wir in Nordrhein-Westfalen bereits durch den Landesrechnungshof, den LDI, den Justizvollzugsbeauftragten. Darüber sollten wir diskutieren.

Ich glaube, wichtig ist: Es muss die Möglichkeit für Polizeibeamte geben, auch unter Wahrung der Anonymität auf interne Missstände und Fehler hinzuweisen, damit gemeldete Vorgänge zu rechtswidrigem polizeilichem Handeln oder sonstigen Missständen in den Behörden unabhängig überprüft werden können. Diese Möglichkeit muss es geben. So können betroffene Polizeibeamte vor gefürchtetem Mobbing oder Nachteilen und Sanktionen jedweder Art dann auch besser geschützt werden.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Antrag wird eine wichtige Problemstellung ausgeklammert. Herr Bialas hat das eben recht treffend schon dargestellt. Problematisch ist, dass in den relevanten Fällen, in denen zugleich Straf-, Bußgeld- oder Disziplinarverfahren eingeleitet werden, der Beauftragte für die Landespolizei in Rheinland-Pfalz ja gar nicht tätig wird. Vielmehr werden laufende Beschwerden und Eingaben in diesen Fällen vorläufig eingestellt. Der Knackpunkt ist, inwieweit die Stelle mit eigenen und umfassenden Ermittlungsbefugnissen ausgestattet sein soll, insbesondere mit Akteneinsichts-, Befragungs- und Inspektionsrecht.

Wie ist die Lage derzeit? Derzeit besteht zwar die Möglichkeit, behauptetes polizeiliches Fehlverhalten im Rahmen einer Fach- oder Dienstaufsichtsbeschwerde oder nach Strafanzeige geltend zu machen, ja. Jedoch wird über diese Beschwerden nur innerhalb der Organisationsstruktur der Polizei selbst entschieden. Auch bei Strafanzeigen wird der Großteil der Ermittlungen in der Regel durch die Polizei selbst geführt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich darf die Ermittlungsbefugnis der Staatsanwaltschaft von Straftaten nicht beeinträchtigt werden. Aber auch hier gibt es leider Defizite, indem oft die Staatsanwaltschaft, selbst wenn ein Sonderdezernat besteht, gegen Polizeibeamte nicht selbst als Herrin des Ermittlungsverfahrens ermittelt und Beweise höchstselbst in Augenschein nimmt, sondern dies oft durch Beamte derselben Polizeibehörde geschieht.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Genau das ist das Problem!)

Umstände dieser Art haben wir zuletzt mehrfach im Innenausschuss debattiert. Insofern glaube ich, dass künftig besser generell unabhängige Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ohne Einschaltung der betroffenen Polizeidienststelle in alle Richtungen gewährleistet sein müssen und dies in den entsprechenden Gesetzesgrundlagen wie im Polizeiorganisationsgesetz auch rechtlich verankert werden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein wichtiges Thema. Es ist diskussionswürdig. Ich glaube, die Diskussion sollten wir im Ausschuss weiter fortsetzen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung von Minister Jäger Herr Minister Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn eines festhalten: Das Vertrauen in unsere Polizistinnen und Polizisten hier in Nordrhein-Westfalen ist hoch. 81 % der Bundesdeutschen vertrauen der Polizei voll und ganz bzw. weit überwiegend. Das zeigen neueste Erkenntnisse einer Studie der GfK. Ich will ergänzen und betonen: Dieses Vertrauen haben sich die Beamtinnen und Beamten auch verdient.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Wir sollten jetzt auch nicht beginnen, dieses grundsätzlich berechtigte Vertrauen, vielleicht auch politisch motiviert, zu erschüttern, womöglich noch einen Generalverdacht gegen unsere Polizei zu hegen oder den Rechtstaat infrage zu stellen. Ich glaube, das hat auch keiner hier in diesem Sinne getan.

Jeden Tag versehen Tausende Beamtinnen und Beamte ihren Dienst rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Dabei ergibt sich bereits aus der Aufgabe, dass die Beamtinnen und Beamten nicht nur zu Kindergeburtstagen gerufen werden, sondern mit Situationen konfrontiert werden, bei denen sie teilweise auch unmittelbaren Zwang anwenden müssen, um drohende Gefahren abzuwenden und/oder Straftaten verfolgen zu können. Hier muss innerhalb von Bruchteilen von Sekunden entschieden werden, und diese Entscheidungen treffen die Beamtinnen und Beamten in der weit überwiegenden Anzahl nach Recht und Gesetz, nach bestem Wissen und Gewissen.

Unsere Polizei leistet ihre harte Arbeit, nicht selten gefährliche Arbeit insgesamt mit bemerkenswert großer Umsicht. Dafür gebührt den Kolleginnen und Kollegen unser aufrichtiger Dank.

Jedoch – und das ist immer so, liebe Kolleginnen und Kollegen –, wenn Menschen handeln, geschehen bei dieser herausfordernden Arbeit auch Fehler. Das ist weder gut noch richtig und daher nicht herunterzureden oder zu beschönigen. Deshalb stellt sich tatsächlich die Frage, wie wir damit umgehen, die Frage, was wir aus Fehlern lernen und welche Instrumente für den Umgang damit notwendig bzw. wirkungsvoll sind. Hier stehen uns bereits heute zahlreiche Instrumente zur Verfügung.

Herausstellen möchte ich hier zunächst das im Grundgesetz verankerte Petitionsrecht. Hiernach hat jedermann das Recht, sich hier bei Ihnen im Landtag über die Polizei zu beschweren, dies insbesondere auch dann, wenn man mit einer Maßnahme oder dem Verhalten von Polizeibediensteten unzufrieden ist.

Unsere Gerichte, insbesondere die Verwaltungsgerichte, gewähren Bürgerinnen und Bürgern Schutz vor unrechtmäßigem staatlichem Handeln. Darüber hinaus verfügt die Polizei in Nordrhein-Westfalen als lernende Organisation auch selbst mit einem qualifizierten Beschwerdemanagement über ein probates Instrument. Dieses Beschwerdemanagement ist durch die regelmäßig vorgesehene Vorlage eines Beschwerdeberichts an den Landtag zudem transparent gestaltet.

Alle Beschwerden über Maßnahmen oder das Verhalten von Polizeibeamtinnen und -beamten sowie über Entscheidungen in dieser Sache werden in einem geregelten Verfahren geprüft und dann auch beschieden. Ergeben sich hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafrechtliches Fehlverhalten, wird dem im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens nach Recht und Gesetz nachgegangen. Soweit erforderlich, werden die polizeilichen Ermittlungen dabei einer anderen Polizeibehörde übertragen,

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Eben nicht!)

um den bloßen Anschein einer Befangenheit bereits im Vorhinein auszuschließen.

Die Untersuchung ist somit durch unabhängige Stellen gewährleistet. Dabei vertraue ich sowohl auf die Unabhängigkeit unserer Staatsanwaltschaften und Gerichte als auch auf das Prinzip unseres Rechtsstaats als solches.

Meine Damen und Herren, das polizeiliche Beschwerdemanagement ist kein statisches System. Es hat sich immer weiterzuentwickeln. Die andauernde Weiterentwicklung ist notwendig, aber auch sehr gewollt. Die Erfahrungen und Lehren aus Fehlern und Vorfällen finden Eingang in die strukturelle Ausgestaltung des Beschwerdemanagements.

Auch in der Ausbildung unserer Polizistinnen und Polizisten wird gewichtiges Augenmerk auf das Leben einer Fehlerkultur gelegt.

Das alles geschieht nicht unter äußerem Druck, sondern es geschieht, weil es gerade im eigenen Interesse der Polizei ist. Das Vertrauen und die Akzeptanz der Bevölkerung ist für die Polizei ein sehr kostbares Gut. Dies gilt es, auch im Interesse der Polizei selbst zu erhalten. Die Instrumente laufen, anhand von Erfahrungen etwas zu verbessern, sofern etwas zu verbessern ist. Das kann gerne im Ausschuss noch weiterführend eingehend erörtert werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache angelangt und kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/8974 an den Innenausschuss – federführend –, an den Rechtsausschuss sowie an den Hauptausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

13       Qualität im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärken – Werbung und Sponsoring schrittweise reduzieren

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/8990

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Vogt das Wort.

Alexander Vogt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Beitragszahlerinnen und -zahler des öffentlich-rechtlichen Rundfunks! Die Themen in der Politik, die wir heute hier diskutieren, sind sehr vielfältig. Zum Teil sind sie sehr komplex und auf den ersten Blick nur für wenige interessant, entpuppen sich dann aber als für alle relevant.

Das Thema, das wir jetzt behandeln, ist ein Thema, das eher so gestrickt ist, dass es jeden interessieren kann und jeder etwas dazu sagen kann, weil jeder von uns schon einmal Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, im TV- oder im Hörfunkbereich, mitbekommen hat, sie akzeptiert hat, sie genutzt oder umgeschaltet hat.

Bevor ich mich aber den Pro- und Contra-Argu-menten von Werbung und den Detailfragen widme, möchte ich Ihnen unsere Beweggründe darstellen, die zu diesem Antrag geführt haben. Wir haben uns im Vorfeld eine wichtige Frage gestellt, die lautet:

Wie sieht der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Zukunft aus? Wenn wir in andere Länder blicken, zeigt sich, dass genau im Zusammenhang mit dieser Zukunftsfrage zugleich auch eine Legitimationsdebatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie zum Beispiel um die BBC in Großbritannien läuft. Auf diese Form der Debatte kann ich hier gern verzichten. Dafür ist unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk zu viel wert.

Publizistische Vielfalt und journalistische Qualität sind ein hohes Gut. Das wird deutlich, wenn wir in andere Länder blicken und dort sehen, in wie vielen Ländern keine Meinungsfreiheit und keine Pressefreiheit herrschen. Unsere Demokratie lebt von gut informierten Bürgerinnen und Bürgern, die von einer vielfältigen Medienlandschaft partizipieren können.

Diese Landschaft verändert sich aber unaufhörlich. Redaktionen schließen. News-Aggregatoren, Facebook, BuzzFeed oder Twitter kommen hinzu. Daher brauchen wir verlässliche Leuchttürme in der Berichterstattung wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit seinem gesetzlich verankerten Programmauftrag. Neben den zahlreichen privaten Angeboten trägt er zur Vielfalt in unserem Land bei.

Die Landesregierung hat anlässlich der Novellierung des WDR-Gesetzes im Februar und März eine Onlinekonsultation durchgeführt und Bürger gefragt, wie sie sich ihren Leuchtturm WDR vorstellen. Es wurden das Angebot, die Struktur, die Transparenz sowie das Thema „Werbung und Sponsoring“ beleuchtet. Über 8.000 Besucher haben mit knapp 1.300 Kommentaren davon Gebrauch gemacht.

Lesen Sie sich einmal – die Antworten stehen immer noch im Netz – die Kommentare – das sind über 180 – zu den Fragen 17, 18 und 19 durch. Die Kommentatoren wünschen sich mehrheitlich weniger Werbung. Durch die bereits geleisteten Rundfunkbeiträge ist die Akzeptanz für Werbung und Sponsoring geringer.

Hierzu ein kurzer Exkurs vom soeben durchgeführten Medienforum. Als Einschätzung zur Akzeptanz von Werbung äußerte sich beispielsweise Mathias Müller von Blumencron von der „FAZ“. Er beschrieb die vielfach von den Usern genutzten Adblocker und die auftretende Problematik bei den Verlagen, Werbung im Onlinebereich zu vermarkten.

Meine Damen und Herren, ohne Frage: Die privaten Medienunternehmen brauchen Werbeeinnahmen und Sponsoring zur Refinanzierung. Dies gilt auch für den Lokalfunk. Dieser ist wichtig für NRW und muss auch weiterhin eine tragfähige finanzielle Grundlage haben. Weniger Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bietet die Chance auf eine größere Unterscheidbarkeit von den privaten Sendern.

Die aktuelle Diskussion um die Verträge mit dem Moderator Gottschalk ist schädlich für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Systems. Argumente, dass das Programm der ARD am Vorabend durch Werbeeinnahmen finanziert werde und daher den Beitragszahler nicht betreffe, sind, mit Verlaub, eine recht wilde Argumentation.

Auch das Argument, die Werbeeinnahmen seien für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Senders zwingend notwendig, ist seit der Umstellung auf die Haushaltsabgabe hinfällig. Aktuelle Schätzungen liegen bei Mehreinnahmen von mindestens 1,5 Milliarden €. Wenn wir uns die Werbepreise und -einnahmen ansehen, zeigt sich, dass Werbung für ARD und ZDF in den letzten Jahren immer weniger in die Kasse gespült hat.

Ja, es ist angesichts dieser Mehreinnahmen richtig und auch in unserem Sinne, dass die Ministerpräsidenten gefordert haben, der Beitrag solle bis 2020 stabil bleiben. Letztlich entscheidet darüber aber staatsunabhängig die KEF.

Die Diskussion um den schrittweisen Werbeverzicht läuft schon länger. Herr Prof. Dr. Kirchhof beispielsweise spricht in seinem Gutachten zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks davon, dass die Werbefinanzierung eine schlechtere Art der Finanzierung von Rundfunk darstelle. Die Ministerpräsidentin hat schon auf dem Medienforum 2011 über die Notwendigkeit der Werbereduzierung gesprochen.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Die SPD und die Grünen haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir für einen schrittweisen Ausstieg aus Werbung und Sponsoring im öffentlich-rechtlichen Programm sind. Dies tun wir mit diesem Antrag im Sinne einer starken Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Systems, einer Unterscheidbarkeit von den privaten Sendern und einem noch hochwertigeren Programm. Das kommt uns allen zugute. Darum werben wir um Ihre Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Gelegenheit, noch ein paar Sätze anzufügen. Herr Kollege Vogt hat das ganz Wesentliche, was in unserem gemeinsamen Antrag steht, schon vorgetragen, aber auch, was zu ihm geführt hat. Auf den Punkt möchte ich gern einen Moment eingehen, weil das die Öffentlichkeit doch schon stark berührt hat. Man hat es auch in vielen Veröffentlichungen lesen können.

Die Tatsache, dass der viel gelobte Herr Gottschalk als Moderator noch Geld verdient hat, obwohl er gar nicht mehr moderierte, und das auch noch aus Taschen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, hat viele wirklich verstört, und zwar zu Recht, weil es im Grunde eine sehr merkwürdige Form ist, Geld zu verdienen, indem man nichts mehr dafür tut. Das kennen die Menschen im Land sonst nicht.

An der Stelle ist für Thomas Gottschalk das aufgegangen, was seine Experten gut mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verhandelt haben. In dem Fall haben sie aber – um es genau zu sagen – mit der mediagroup verhandelt, also mit einer Firma, die ausgegründet wurde, um eben das werbefinanzierte Vorabendprogramm zu organisieren. Das war der Grund, warum wir im Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks, dem ich angehöre, entsandt vom Landtag, die Vertragsverhandlungen überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen konnten, jedenfalls nicht dem Inhalt nach. Wir wussten zwar, dass es einen solchen Vertrag gab, aber wir wussten leider nicht, was in diesem Vertrag stand.

Diese Dinge – das haben wir gerade dort auch besprochen – werden künftig geändert. Der Rundfunkrat wird künftig an diesen Diskussionen teilhaben. Es wird solche Art Geheimniskrämerei nicht mehr geben. Das ist schon einmal ein ganz entscheidender Punkt auch für die binnenplurale Kontrolle, wie wir sie in Nordrhein-Westfalen Gott sei Dank organisiert haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir gönnen den Moderatoren ihr Geld, aber wir sind natürlich dann enttäuscht, wenn solche Verträge zulasten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gemacht werden. Natürlich ist das Geld, das durch Werbung eingenommen wird, auch Geld, das dem Programm zugutekommen soll.

Aus dem Grunde haben wir – das finde ich sehr gut – gemeinsam – SPD und Grüne – gesagt, wir wollen das, was in unserem Koalitionsvertrag steht, noch einmal deutlich in einen Antrag schreiben und die Regierung auffordern, weiter in diesem Sinne aktiv zu sein und tätig zu bleiben, nämlich Werbung und Sponsoring im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk – hier bei uns beim WDR – schrittweise zu reduzieren.

Es geht aber nicht darum, das nur beim WDR zu tun, sondern es geht um eine ganz grundsätzliche Richtungsänderung, die wir vornehmen sollten. Das hat ganz viel mit den aktuellen Entwicklungen zu tun, die sich auf das Internet beziehen.

Es geht um die Marke und die Erkennbarkeit. Es geht um ein Alleinstellungsmerkmal. Werbefreiheit ist ein Alleinstellungsmerkmal. Der Deutschlandfunk macht uns das vor. Der sendet werbefrei, aber eben nur Radio. Wir wollen, dass das insgesamt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk schrittweise eingeführt wird, weil – wir sehen das an der BBC in England – dieses Alleinstellungsmerkmal einfach zu einer größeren Akzeptanz führt. Die Menschen haben es satt – das hat eben schon Kollege Vogt gesagt –, dass sie einerseits Beitrag zahlen und andererseits noch Werbung sehen sollen. Sie unterscheiden sehr stark zwischen den Angeboten und wählen sich das Programm eben auch nach solchen Maßstäben aus.

Dazu gehört eben auch der Qualitätsmaßstab. Deshalb steht auch im Titel „Qualität stärken – Werbung und Sponsoring schrittweise reduzieren“.

Prof. Kirchhof hat bereits in seinem Gutachten ein wesentliches Zeichen gesetzt, worin er deutlich gemacht hat, dass, wenn wir schon ein Belastungsprinzip in Form eines Beitrags für alle Haushalte einführen – das haben wir ja getan –, „dieses Belastungsprinzip folgerichtig dann verwirklicht ist, wenn der Rundfunk auf Werbeeinnahmen und Sponsoring bei Eigenproduktionen (Tauschgerechtigkeit) verzichtet, damit seine Unabhängigkeit von Privatwirtschaft und Markt deutlich hervorhebt.“

Das ist das Ziel des Antrages. Darauf wollen wir hinaus. – Ich bedanke mich, dass Sie zugehört haben, und werbe um breite Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Prof. Dr. Sternberg.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wie kontrovers dieses Thema ist, das wir heute Abend ansprechen, sieht man daran, wie groß die Beteiligung im Saal ist. Richtig kontrovers ist das nicht, was wir jetzt besprechen.

Es wurde schon mehrfach aus dem Gutachten von Paul Kirchhof zitiert. Oliver Keymis hat es gerade noch einmal getan. Paul Kirchhof hat in seinem Gutachten sehr deutlich gemacht, dass der Unterschied von beitragsfinanziertem Rundfunk auf der einen Seite und werbefinanziertem Rundfunk auf der anderen Seite deutlich und kenntlich werden muss. Ordnungspolitisch ist das völlig richtig. Und es ist auch eine Konsequenz aus der neuen Beitragsform.

Bezahlfernsehen – auch öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist Bezahlfernsehen – wird bezahlt über Werbung, Abonnement oder Haushaltsabgabe, wie immer man das nennt. Privater Rundfunk finanziert sich über Werbung. Das ist eine klare Aufgabenverteilung. Diese Aufgabenverteilung sollte auch deutlich sein und deutlich werden im Programm.

Übrigens sind die finanziellen Effekte bei der Fernsehwerbung wesentlich geringer, als man vielfach annimmt. Es geht aber schon darum, dass hier doch ein nennenswerter finanzieller Beitrag sowohl im Radio wie im Fernsehen wegfällt. Deswegen stellen sich Fragen.

Ich habe neulich jemanden gehört, der meinte, die Werbefilme müssten schon deshalb im Fernsehen bleiben, weil das die am teuersten produzierten Filme seien, die eine eigene kulturelle Qualität hätten. Allerdings werden sie etwas oft wiederholt. – Ich glaube, das kann letztlich nicht das Argument sein.

Wir denken, ein schrittweiser Ausstieg ist angemessen. Insbesondere beim Radio ist eine ganze Reihe von Szenarien möglich. Das können Minutenkürzungen sein, das können werbefreie Wellen sein, wie jetzt schon WDR 3. Ein Verzicht auf regionale Konkurrenz zum lokalen Rundfunk wäre jetzt schon möglich und auch sinnvoll. – In der Sache ist das gar nicht so strittig.

In dem Antrag fehlt aber die Frage nach den Auswirkungen auf den Beitrag. Der WDR darf nicht aus seinen Sparanstrengungen entlassen werden. Da winken immer diese ominösen 1,5 Milliarden € im Hintergrund, die durch die Haushaltsabgabe mehr eingenommen worden sind. Aber dass der Intendant des WDR jährlich 110 Millionen € aus seinem Jahresetat von 1,5 Milliarden € einsparen will, das ist richtig und bleibt eine Aufgabe. Das sollte auch durch keinen Wink aus der Politik infrage gestellt werden. Wir sollten den Intendanten bei dieser Aufgabe unbedingt stützen. Diese Einsparung ist notwendig.

Auch die Werbefreiheit soll nicht dazu führen, dass es wieder zu einer Gebührenerhöhung kommt oder die KEF angehalten ist, neue finanzielle Spielräume zu eröffnen.

Ansonsten, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der Antrag relativ dürftig. Er sagt nicht, wie das Ganze funktionieren soll. Er sagt, dass es sinnvoll ist, schrittweise auszusteigen, gibt aber keinen Hinweis, wie das passieren soll. Vielleicht würden wir dann hier auch kontroverser diskutieren. In dieser Allgemeinheit sind wir schnell einer Meinung.

Lassen Sie mich bei dieser Einhelligkeit jedoch eines sagen: Wenn ich gerade von den Sparanstrengungen gesprochen habe, heißt das nicht unbedingt – was man heute leider in der Presse lesen musste –, dass nämlich der WDR tatsächlich auf seiner meines Erachtens instinktlosen Absicht beharren will, die Kunstwerke des WDR zu verkaufen.

Nachdem wir gerade am runden Tisch hören konnten, dass die Werke der Portigon-Sammlung im Land bleiben, ist es eigentlich schon mehr als erstaunlich, dass sich der WDR von den Kunstwerken trennen will und die auch noch in London unter Umgehung der deutschen Mehrwertsteuerregelung versteigern lassen will.

Diese Dinge gehören in den kulturellen Besitz dieses Landes. Sie sind aus Gebührenmitteln bezahlt worden. Wenn die der Meinung sind, die sind zu teuer, um im WDR zu hängen, dann sollten sie als Leihgaben und Dauerleihgaben in Sammlungen gegeben werden. Diese Aktion des WDR wird auf jeden Fall unseren heftigsten Protest finden.

Übrigens: Unter Einspargesichtspunkten bringt das gar nichts. Denn bei einer strukturellen Einsparung von 110 Millionen pro Jahr ist ein einmaliger Einnahmegewinn von 3 Millionen überhaupt nichts.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Keymis zulassen?

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Aber immer gerne.

Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Meine Frage lautet: Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Prof. Sternberg, dass der WDR im Besitz von rund 600 Kunstwerken ist und dass sich die Absicht, die jetzt besteht, auf 50 Kunstwerke bezieht?

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Mir ist das völlig bekannt. Ich weiß auch, dass der WDR diese Kunstwerke nicht etwa nach den Kriterien sortiert, die die angemessenen wären, nämlich nach dem Rang in der Kunstgeschichte des Landes Nordrhein-Westfalen, sondern ausschließlich danach, was teuer ist und was zu verscherbeln ist. Nur die Kunstwerke, die über 5.000 € wert sind, werden bei Sotheby’s angeboten.

Das ist aber nicht die richtige Kategorisierung für Kunstwerke. Wir haben das von Frau Ackermann am runden Tisch in allerschönster Deutlichkeit gehört, wie wichtig auch Kunstwerke sein können, die diese 5.000er-Grenze nicht erreichen, und wie unwichtig Werke sein können, die völlig verrückte Preise erzielen.

Die Ökonomie ist für eine Sammlung des WDR keine Basis. Der WDR ist kein Wirtschaftsbetrieb wie andere. Die Sammlung des WDR, die sinnvoll ist – ich hoffe, dass der WDR auch weiterhin Kunst kauft –, sollte nicht auf diese Weise zur Disposition gestellt werden. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Sternberg. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, klar, Werbung und Sponsoring sollten aus dem öffentlich-rechtlichen Senderbild verschwinden – schrittweise okay, aber Sie beschreiten die Schritte nicht in Ihrem Antrag. Der Antrag erinnert deswegen so ein bisschen an diese Musterpackungen auf Messen. Außen prangen schöne, designte Beschriftungen für hochwertige Produkte, aber der Inhalt ist dann nur Puffreis oder manchmal Styropor, also eigentlich nichts.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Wie die FDP!)

– Ja, ja, nur sind Ihre Anträge so, wie Sie glauben, dass die FDP sei, Herr Bolte.

Werbung und Sponsoring sind natürlich einem öffentlich-rechtlichen System, das mit staatlich garantierten Beiträgen von Bürgern und Wirtschaft finanziert ist, wesensfremd. Vor allem führen sie insbesondere im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu einer Quotenorientierung, die dem Funktionsauftrag, den Öffentlich-Rechtliche haben, eigentlich abträglich ist. Denn für die erfolgreiche Platzierung von Werbung ist natürlich in erster Linie Quantität ausschlaggebend, also die Zuschauerquoten, insbesondere in den sogenannten werberelevanten Gruppen, und eben nicht die Qualität, die öffentlich-rechtliche Programme eigentlich ausmachen sollten und die auch die letztendliche Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Angebots darstellt.

Deshalb wäre es eigentlich so wichtig, auszusteigen, und wenn es nach mir ginge, vor allem mit Blick auf Sponsoring mit sofortiger Wirkung. Dann müssten wir auch nicht mehr darüber diskutieren, ob es von der ARD klug ist, ihre wieder gestartete Tour-de-France-Berichterstattung von einem Unternehmen sponsern zu lassen, das dann zufälligerweise mit einem Radsportteam im Teilnehmerfeld vertreten ist.

Bedauerlich ist allerdings, dass sich SPD und Grüne mit dem vorliegenden Antrag überhaupt gar nicht ernsthaft mit Werbung und Sponsoring beschäftigen. Es geht gar nicht darum. Denn wenn es Ihnen wirklich darum gegangen wäre, dann hätten Sie auch etwas Verbindlicheres in den Antrag geschrieben, vielleicht sogar mit der Andeutung eines Zeitplans. Dann hätten Sie beschrieben, wie die Schritte denn aussehen, vielleicht verknüpft mit dem Gedanken und der Aufforderung – insofern hat Kollege Sternberg schon recht –, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender doch etwas mehr auf ihre Kernaufgaben, auf ihren Auftrag, zu besinnen hätten.

Stattdessen haben wir also heute einen zaghaften Antrag vorliegen. Der Grund liegt allerdings auf der Hand. Sie wollen die Mehreinnahmen in Milliardenhöhe, die ja von Bürgern und Unternehmen bereits zu Unrecht einkassiert worden sind, weiter horten. Bereits als erste Berichte über die Mehreinnahmen, die über dem von der KEF vorgeschlagenen Bedarf von ARD und ZDF lagen, eintrafen, haben Sie ja doch eigentlich immer nach Gründen gesucht, warum diese nicht zurückerstattet werden können. Dabei wäre das ja geboten gewesen. Man hat sich dann mit einer bescheidenen Summe beschränkt. NRW wollte eigentlich gar nichts zurückgeben.

Dafür gab es eben Diskussionen darüber, was man mit den Mehreinnahmen so alles machen könnte, wie eben im Bereich Werbung und Sponsoring. Nur: Passiert ist nichts.

Das liegt vielleicht auch daran, dass es ein bisschen schwierig ist. Die Ministerpräsidenten hatten jetzt in der großen Runde am 18. Juni damit ihr Problem. In der kleinen Runde, in der sie normalerweise die Probleme bei einem gemütlichen Kaminfeuer vom Tisch räumen, wurde dann, glaube ich, jede Idee, die für Werbefreiheit spricht, leicht verfeuert.

Man hat es jetzt auf das Frühjahr 2016 verschoben, natürlich mit dem Hintergedanken: Dann kommt ja der nächste KEF-Bericht. Dann geht es aber schon um die nächste Gebührenperiode und nicht um die Mehreinnahmen, die man in dieser Gebührenperiode hat.

Interessant ist, dass wir so einen ähnlichen Antrag wie heute schon einmal, und zwar mit einem Papier mit der Drucksachennummer 16/4672 vom Dezember 2013, hier im Parlament hatten. Quasi als Selbstaufforderung hieß es damals in dem Papier von Rot-Grün, die schrittweise Einführung der Werbefreiheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei anzustreben. Dieser Beschluss ist anderthalb Jahre her. Wie viele Schritte wurden unternommen? – Null.

Ich fürchte daher, dass das, was im Dezember 2013 vorgelegt wurde, genauso wie das, was Sie heute vorgelegt haben, eine Luftnummer, eine Beruhigungspille ist, und zwar auf dem Rücken der Beitragszahler.

Wenn dieser Beschluss heute eine Mehrheit findet, dann werden wir Sie allerdings an Ihren Taten messen. Der ZDF-Staatsvertrag ist da. Die Novellierung des WDR-Gesetzes steht an. Mal schauen! Wir gehen dann davon aus, dass in die entsprechenden Vertragstexte die Werbe- und Sponsoringfreiheit auch wirklich aufgenommen wird.

Einen letzten Vertrauensvorschuss wollen wir Ihnen so ein bisschen geben. Deshalb werden wir heute zumindest nicht gegen Ihren Antrag stimmen. Aber zustimmen können wir auch nicht. – Danke sehr.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Lamla.

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man bekommt schon so ein bisschen den Eindruck, hier soll etwas lieblos und ohne viel Mühe ein weiteres Häkchen im Koalitionsvertrag gemacht werden. Verstehen Sie mich nicht falsch, der rot-grüne Antrag enthält gute Anliegen. Wir begrüßen es sehr, dass das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag jetzt endlich angegangen werden soll.

Werbung ist einerseits ein Teil unserer von Wirtschaft und Handel geprägten Welt. Andererseits ist Werbung für viele Menschen in der heutigen Zeit auch eine Art Störfaktor. Nicht umsonst erfreuen sich besonders im Onlinebereich die sogenannten Werbeblocker oder Adblocker wachsender Beliebtheit und lösen auch gewisse Probleme aus.

Außerdem ist Werbung Grundlage der Refinanzierung des öffentlich-rechtlichen und des privaten Fernsehens. Werbung ist Broterwerb, manchmal eine Kunstform, in einigen Fällen sogar Kult und wird daher immer wieder im kulturellen Kontext reflektiert.

Obwohl das Ansinnen sehr nobel ist und wir ihm im Prinzip auch zustimmen wollen, fehlen uns Informationen zur finanziellen Seite des Vorhabens. Denn wir leben in einer Zeit, in der der WDR seinen Haushalt mit dem Verkauf seiner Kunstsammlung oder gar mit Entlassung sanieren will. Bevor wir dem Vorhaben zustimmen können, wollen wir mehr wissen. Wie finanziert sich das Ganze, und wie viel wird das kosten?

Der Beschlussteil des Antrags ist tatsächlich äußerst mau und lässt sehr viel Interpretationsspielraum. Erst wenn wir wissen, wo der Haken ist, wo gespart werden soll und wie das Ganze finanziert werden soll, können wir uns sehr wohl vorstellen, mit in das Boot zu kommen und diesem Antrag zuzustimmen. Solange wir das nicht wissen, bleibt uns leider nichts anderes übrig, als uns bei diesem Antrag zu enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Schneider.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in einigen wenigen Bemerkungen viele Argumente, die in der Diskussion schon gefallen sind, unterstreichen. Die Landesregierung ist überzeugt, dass die schrittweise Reduzierung von Werbung und Sponsoring nicht nur zur Profilbildung des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems beitragen wird. Die Reduzierung von Werbung und Sponsoring wird auch ein notwendiger Schritt für deren Akzeptanz bei den Beitragszahlenden sein und so einen sinnvollen Beitrag zur Stärkung des dualen Rundfunksystems leisten können.

Die Reduzierung von Werbung und Sponsoring im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist daher erklärtes Ziel der Landesregierung, das bereits im Koalitionsvertrag aus dem Jahre 2012 verankert ist. Zuletzt noch vor zwei Wochen hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auf dem Medienforum NRW betont, im Länderkreis weiter um Unterstützung für dieses Ziel zu werben. Denn grundsätzliche Maßgaben für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und den Umfang von Werbung in den Programmen sind, wie Sie wissen, ländereinheitlich im Rundfunkstaatsvertrag geregelt. Es bedarf daher eines Konsenses aller Länder.

Eine Einigung stellt sich bisher jedoch schwierig dar. Im Länderkreis besteht zum Teil deutliche Zurückhaltung, den von NRW vorgeschlagenen Weg mitzutragen. NRW setzt sich jedoch weiter in der Rundfunkkommission wie auch in der Ministerpräsidentenkonferenz aktiv für ein gemeinsames Vorgehen ein.

Der Antrag der Fraktionen von SPD und Grünen spiegelt insofern Intention und Handeln der Landesregierung wider. Sie kann deshalb den Inhalt des vorliegenden Antrags unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/8990. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/8990 mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von CDU, FDP und der Fraktion der Piraten angenommen.

(Zuruf: Einstimmig!)

Ich rufe auf:

14       Ländlicher Raum darf bei der Digitalisierung nicht abgehängt werden – Land muss Kommunen beim Breitbandausbau unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8982

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich entgegen dem Ausdruck in der Tagesordnung inzwischen darauf verständigt, die Aussprache nicht heute, sondern nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses durchzuführen.

Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/8982 an den Ausschuss für Kommunalpolitik – federführend –, den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk sowie den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht folgen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

15       Gesetz über die Bestimmung des 31. Oktober 2017 als 500. Jahrestag der Reformation zum Feiertag in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8386

Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/8941

zweite Lesung

Eine Debatte hierzu ist heute nicht vorgesehen.

Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/8941, den Gesetzentwurf Drucksache 16/8386 anzunehmen.

Wir kommen somit zur Abstimmung nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den Gesetzentwurf selbst, also über die Drucksache 16/8386. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/8386 mit Stimmen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen und bei einigen Enthaltungen der Fraktion der Piraten angenommen.

Ich rufe auf:

16       Gesetz zur Beschleunigung der Aufstellung kommunaler Gesamtabschlüsse

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8385

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9067

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/9012

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Hübner das Wort.

(Zuruf von der SPD: Er ist noch nicht da!)

 – Gibt es Probleme damit, wenn jetzt der Kollege von der CDU-Fraktion spricht? Wir wissen ja nicht, wie lange das jetzt dauert.

(Zuruf von der SPD: Nein!)

Herr Kollege Nettelstroth, bitte schön.

Ralf Nettelstroth (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich war deshalb ein bisschen verwundert, weil ich natürlich nicht den Änderungsantrag begründen, sondern dazu Stellung nehmen wollte. Das machen wir aber natürlich gerne.

Zum Gesetz zur Beschleunigung der Aufstellung kommunaler Gesamtabschlüsse haben wir hier in der Tat ein Gesetzesvorhaben vorliegen. Das beinhaltet ja in der Regel eine Discountregelung nach dem Motto: Die Abschlüsse, die wir bisher für 2011 bis 2014 noch nicht bekommen haben, sollen zusammen mit dem Abschluss für 2015 vorgelegt werden.

Angesichts der Tatsache, dass die Gemeinden bisher nur Gesamtabschlüsse in geringem Umfang vorgelegt haben – im Jahr 2010 waren es knapp 54 %, 2011 nur 41 % und 2012 nur 34,7 %; gut ein Fünftel der Gemeinden hat überhaupt keine Abschlüsse gemacht –, müsste man sich eher die Frage stellen: Warum gibt es diese Abschlüsse nicht?

Wenn man nach den Ursachen fragt, stellt man sehr schnell fest, dass es eine Vielzahl von Gründen gibt: hoher Zeitaufwand für die materielle Erstellung der Gesamtabschlüsse, Probleme bei der Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik bzw. NKF. All diese Umstellungsprozesse sind in den Kommunen noch nicht nachvollzogen worden. Deshalb wird sich die Frage stellen, ob mit dieser Gesetzesänderung tatsächlich der gewünschte Erfolg eintreten wird. Da haben wir entsprechende Bedenken.

Da aber die Altregelung noch bestehen bleibt, werden wir diesem Antrag heute nicht unsere Zustimmung geben. Auch werden wir ihn nicht ablehnen. Wir werden uns dazu enthalten.

Ich sehe jetzt den Kollegen Hübner. Zu dem Änderungsantrag, den er gleich begründen wird, werden wir uns ebenfalls enthalten. Er enthält zwei Teile. Er enthält als einen Teil die offizielle Regelung, dass das auf sechs Jahre erweitert werden kann. Dem können wir zustimmen. Damit haben wir kein Problem. Mit dem anderen Teil haben wir natürlich ein Problem; denn eine Bettensteuer ist nicht so unser Ding. Von daher können wir dem nicht zustimmen.

Das hat im Ergebnis zur Folge, dass wir diesem Antrag ebenfalls mit einer Enthaltung begegnen werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Nettelstroth. – Für die SPD hat nun Herr Kollege Hübner das Wort.

(Zuruf von der CDU: Da ist er!)

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wieder da. Das stimmt. Es ging gerade um Finanzarchitekturen, die wir, was die kommunale Frage angeht, ebenfalls ständig zu diskutieren haben.

Ich möchte mich beim Kollegen Nettelstroth ganz herzlich dafür bedanken, dass er, obwohl er eine Kommentierung vorgenommen hat, auch eine Einführung zu unserem Änderungsantrag zum Gesetz zur Beschleunigung der Aufstellung kommunaler Gesamtabschlüsse gegeben hat. Damit haben Sie eigentlich alles gesagt. Ich werte Ihre Enthaltung, die Sie jetzt gerade angekündigt haben, eigentlich als zustimmende Enthaltung.

(Heiterkeit bei der CDU)

Ich finde es ganz toll, dass Sie sich so konstruktiv enthalten. Denn in der Tat handelt es sich um zwei Klarstellungen, welche die kommunalen Spitzenverbände bei uns angeregt haben. Bei dem einen handelt es sich – das haben Sie ausgeführt – um die Klarstellung, dass eine kommunale Wahlperiode auch einmal sechs Jahre dauern kann. Warum sollten wir das immer auf fünf Jahre fixiert halten, wenn es ab und zu einmal vernünftige Sachzusammenhänge gibt, auch eine Erweiterung in Betracht zu ziehen bzw. den Bürgermeistern zu ermöglichen, früher in eine neue Wahlperiode als die zu kommen, die sechs Jahre dauert? Das müssen wir da entsprechend berücksichtigen.

Der zweite Sachverhalt betrifft letztlich – das machen wir damit – die Klarstellung des Steuerschuldners. Auch da haben uns die kommunalen Spitzenverbände gebeten, das entsprechend auf den Weg zu bringen. Von daher werden wir mit Ihrer zustimmenden Enthaltung gerne ein fast einmütiges Votum für den Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Gesamtabschlüsse erreichen.

Diese Beschleunigung bringen wir damit letztlich – das vielleicht als letzten Satz zu dem Thema – auf den Weg. Die Jahresabschlüsse haben wir ja bereits jetzt mit einem erprobten Verfahren beschleunigt. Da ging es nicht darum, irgendwie ungenau zu arbeiten, sondern da wurde immer gesagt: Es muss ein Jahresabschluss bzw. ein Gesamtabschluss vorliegen, der vernünftig erarbeitet worden ist. – Danach führen wir ein relativ erprobtes Verfahren durch. Das machen wir, um zu einer Beschleunigung zu kommen und um Folgendes – Herr Kollege Abruszat, wenn Sie vielleicht zuhören – zu erreichen: Die FDP fragt immer gerne nach der Finanzstatistik. Auch das ist dafür notwendig, um solche Abschlüsse in beschleunigter Art und Weise auf den Weg bringen zu können.

Ansonsten können wir uns hier über die Finanzstatistik hinlänglich austauschen. Die wird nämlich niemals richtig aktuell sein, wenn man nicht etwas Zeit aufholt, die wir mit der Einführung von NKF ein Stück weit verloren haben.

Ich danke für die Aufmerksamkeit und, Herr Präsident, für die Sportlichkeit, den Kollegen von der CDU vor mir reden zu lassen. Und ich danke für das Verständnis, dass ich gerade hier hochgelaufen bin. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. Ich gebe den Dank gerne an den damals amtierenden sitzungsleitenden Präsidenten weiter. – Als nächster Redner spricht für die grüne Fraktion Herr Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sage – um es einmal so zu formulieren –: Glück gehabt! Ansonsten hätte ich in dem Zusammenhang wahrscheinlich etwas über beide Bereiche ausführen wollen bzw. müssen.

Daher: Auf den Änderungsantrag möchte ich nicht eingehen. Dazu hat der Kollege Michael Hübner einiges gesagt. Ich möchte aber gerne auf das eingehen, was der Kollege Nettelstroth hier ausgeführt hat.

Sie wissen, wir haben erhebliche Probleme im Bereich der Haushaltsrechnungen. Es gibt eine ganze Reihe von Gemeinden, die bezogen auf die Frage der Vorlage der Haushaltsrechnungen noch einen erheblichen Nachholbedarf haben. Wir haben schon verschiedene Instrumente angewandt – um es einmal so zu formulieren –, um sicherzustellen, dass das kurzfristig entsprechend abgearbeitet wird.

Noch problematischer ist es bei den Gesamtabschlüssen. Wer mit diesem Begriff nichts anfangen kann: In der Privatwirtschaft sprechen wir von Konzernabschlüssen. Da sieht es noch schwieriger aus. Warum? – Weil das wesentlich arbeitsintensiver ist. Dabei muss man beispielsweise bezogen auf das Thema der Rückstellungen zu gleichen Einschätzungen kommen, die internen Leistungsbeziehungen herausrechnen. Das ist ein erheblicher Arbeitsaufwand. Wer sich einmal anschaut, wie die Beteiligungsstruktur der einzelnen Kommunen aussieht – das bezieht sich insbesondere auf die kreisfreien Städte –, der weiß, dass das mit erheblichen Abstimmungsschwierigkeiten verbunden ist und – daraus ableitend – auch Personalkapazitäten bindet.

Wir ziehen bezogen auf die Haushaltsjahre 2010 bis 2014 einen Schlussstrich. Wir erwarten, dass für das Haushaltsjahr 2015 ein entsprechender Gesamtabschluss vorgestellt und durchgeführt wird, sodass wir dann möglicherweise im Frühjahr 2017 ein relativ gutes Bild haben, beispielsweise zur Gesamtverschuldung des Konzernes Kommune, um daraus auch unsere Schlussfolgerungen ziehen zu können.

Das ist gut so, denn es macht keinen Sinn, sozusagen alten Daten hinterherzulaufen. Es ist auch deshalb gut, weil alles andere im Zusammenhang mit den Personalkapazitäten, die wir in den kommunalen Kämmereien haben, überhaupt nicht umsetzbar wäre. Insofern ist es gut, dass dieser Gesetzentwurf vorliegt, und ich würde mich freuen, wenn aus der zustimmenden Enthaltung, Herr Nettelstroth, eine Zustimmung werden würde. Das ist im Interesse der Kommunen, auch so vorgetragen von den kommunalen Spitzenverbänden. Gerade Sie, der aus der Stadt Bielefeld kommt und in diesem Zusammenhang auch das Konstrukt der kommunalen Beteiligung kennt, weiß, mit welchem Arbeitsaufwand das verbunden ist und welchen Informationsgehalt ein Gesamtabschluss von 2010 noch hat. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Krüger. – An das Rednerpult tritt bereits für die FDP-Fraktion Herr Kollege Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. Mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit möchte ich es kurz machen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die kommunalen Spitzenverbände begrüßen das Vorhaben, über das wir heute sprechen. Auch die Gemeindeprüfungsanstalt unterstützt dieses Vorhaben.

Dennoch, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist festzustellen, dass zahlreiche Kommunen in Nordrhein-Westfalen ihre Rechtspflichten bereits erfüllt haben oder auf dem besten Weg dorthin sind. Sie haben unter Beweis gestellt, dass eine halbwegs termintreue Umsetzung des Gesamtabschlusses möglich ist. Deswegen werden wir heute diesem Gesetzentwurf so nicht zustimmen, sondern uns wohlwollend enthalten.

Abschließend möchte ich noch etwas an den Kollegen Hübner richten. Mein lieber Herr Kollege Hübner, wir haben immer ein so kollegiales Miteinander. Deswegen sei es mir gestattet, Folgendes zu sagen: Der Kollege Hübner ist heute hier zur Debatte genauso pünktlich erschienen wie viele Kommunen bei ihren Gesamtabschlüssen. Ich sage das in Anführungsstrichen.

Insofern ist das ein ganz wichtiger Punkt, den wir hier ansprechen. Wir brauchen termintreue Gesamtabschlüsse, nicht nur für die Finanzstatistik, sondern auch für den gesamten Überblick. Das hat der Kollege Krüger eben zu Recht ausgeführt. Aber das führt uns am Ende zu einer wohlwollenden Enthaltung. – Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und zu Hause! Vieles ist schon gesagt. Vielleicht finde ich trotzdem noch ein paar neue Worte.

Worum geht es? – Es geht darum, es den Kommunen, die es in den letzten drei Jahren nicht geschafft haben, zu erleichtern, einen Gesamtabschluss vorzulegen. Denn durch die Umstellung von Kameralistik auf das sogenannte Neue Kommunale Finanzmanagement, NKF, also ein doppisches System, sind die Kommunen offensichtlich vor eine sehr große Herausforderung gestellt worden. Anders als vermutet, hat sich die Datenlage bezüglich der kommunalen Finanzlage dadurch nicht verbessert. Anscheinend ist das Gegenteil eingetreten: Folgt man den Ausführungen der Gemeindeprüfungsanstalt, ist die Datenlage in diesem Bereich überaus unbefriedigend. Die Aufgabe war wohl doch sehr viel größer, als ursprünglich angenommen.

Hier muss also Abhilfe geschaffen werden. Dies geschieht jedoch nicht durch Hilfestellung – das wäre gut – und dadurch, dass man den Kommunen Fachleute an die Seite stellt. Nein, man schraubt einfach die Ansprüche an die genannten Abschlüsse herunter. Dazu soll der Gesetzentwurf dienen. Wie das dazu führen soll, eine befriedigende Datenlage im Land zu erzeugen, erschließt sich uns nicht. Schließlich entsprechen die dann vorliegenden Gesamtabschlüsse in ihrer Qualität wohl kaum den Daten, die wir alle so dringend von den Kommunen benötigen.

Hinzu kommt, dass die Erarbeitung der Gesamtabschlüsse, wie sie ursprünglich geplant waren, inzwischen Fahrt aufnimmt, wie ein Vertreter der Landesregierung unlängst im Kommunalausschuss gesagt hat.

Aber letztlich sollen die Daten sowieso nicht dem Landtag übergeben werden, wie uns die Vorlage 16/1356 mitteilt. Denn dort steht:

„Eine Veröffentlichung der Berichte der Bezirksregierungen, die ebenso wie die Berichte der Kommunen an die Bezirksregierungen Teil laufender Verwaltungsvorgänge sind, ist nicht vorgesehen.“

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Aha!)

– Ende des Zitats.

Aber die Ansprüche an die Qualität der Haushaltsabschlüsse herunterzuschrauben und gleichzeitig die Berichte dazu nicht öffentlich in den Verwaltungen zu vergraben, halten wir nicht für sinnvoll.

Insofern empfehle ich meiner Fraktion, den Gesetzentwurf abzulehnen. Was den Änderungsantrag angeht, werden wir uns enthalten. Für die Begründung verweise ich auf die sehr treffende Beschreibung, die Herr Nettelstroth vorgebracht hat. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann. – Nun hat für die Landesregierung Herr Kutschaty in Vertretung von Herrn Minister Jäger das Wort.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt hier ein ausgezeichneter Gesetzentwurf vor, weil er die Arbeit der Kommunen nicht nur beschleunigt, sondern vereinfacht. Auch der Änderungsantrag von Rot-Grün ist prima. Deswegen plädiere ich hier kurz und knapp für Zustimmung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Kai Abruszat [FDP]: Das ist mein Innenminister gewesen!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Kutschaty. – Weitere Wortmeldungen gibt es nicht.

Wir kommen zur Abstimmung – erstens – über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/9067. Wer stimmt diesem Antrag zu? – SPD und Grüne. Wer enthält sich? – CDU, FDP und die Piraten. Gibt es Gegenstimmen? – Es gibt keine Gegenstimmen. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/9067 einstimmig angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/8385. Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt in Drucksache 16/9012, den Gesetzentwurf Drucksache 16/8385 unverändert anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den Gesetzentwurf Drucksache 16/8385 in der soeben geänderten Fassung. Wer stimmt dem so zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion der Piraten. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung von CDU und FDP

(Zuruf von der SPD: Wohlwollend!)

gegen die Stimmen der Piraten ist mit Mehrheit von Rot-Grün der Gesetzentwurf in der geänderten Fassung angenommen und in zweiter Lesung verabschiedet.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich für das Protokoll eine Anmerkung zu Tagesordnungspunkt 15 machen. Das war die zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung über die Bestimmung des 31. Oktober 2017 als 500. Jahrestag der Reformation zum Feiertag in Nordrhein-Westfalen in Drucksache 16/8386. Hier hat auch die FDP-Fraktion zugestimmt.

Wir kommen zu:

17       Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den „Westdeutschen Rundfunk Köln“ (WDR-Gesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/8654 – Neudruck

Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 16/9013

zweite Lesung

Es ist keine Debatte vorgesehen.

Wir kommen also direkt zur Abstimmung. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in Drucksache , den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Nun beschließen wir über den Gesetzentwurf selbst, Drucksache – Neudruck. Wer stimmt dem so zu? – Alle fünf Fraktionen. Wer ist dagegen? – Es gibt keine Gegenstimmen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist einstimmig so entschieden und der Gesetzentwurf Drucksache Neudruckangenommen und in zweiter Lesung verabschiedet.

18       Gesetz über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen (Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen-gesetz – FwKatsEG – NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8933

erste Lesung

Herr Minister Kutschaty in Vertretung von Herrn Minister Jäger hat uns mitgeteilt, die Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 2)

Wir kommen also zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache an den Innenausschuss. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig überwiesen.

19       Zweites Gesetz zur Änderung des Meldegesetzes NRW

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/8934 – Neudruck

erste Lesung

Auch hier hat Herr Minister Kutschaty in Vertretung von Herrn Minister Jäger mitgeteilt, die Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 3) Dabei bleibt es, Herr Minister?

(Minister Thomas Kutschaty: Ja!)

– Das ist so, vielen Dank.

Wir kommen direkt zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt auch hier die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache Neudruck – an den Innenausschuss. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig überwiesen.

20       Vereinbarung zur Ausführung des Artikels 11 Abs. 2 des Abkommens über das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt-Finanzierungs-vereinbarung)

Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung
zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/8154

Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/8942

Hierzu ist keine Debatte vorgesehen.

Wir kommen also direkt zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/8942, dem Antrag Drucksache 16/8154 der Landesregierung auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag gemäß Art. 66 Satz 2 der Landesverfassung zu entsprechen. Wir stimmen also ab über die Zustimmung zu dem Abkommen über das Deutsche Institut für Bautechnik. Wer stimmt zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Beides nicht der Fall. Damit ist die in der Drucksache 16/8154 beantragte Zustimmung zu dem Abkommen über das Deutsche Institut für Bautechnik erteilt.

21       Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen und nach § 92 SGB XI

Verordnungsentwurf
der Landesregierung
Vorlage 16/2943
Vorlage 16/2953

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/9014

Es ist keine Debatte vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache , das Einvernehmen zu der Verordnung zur Ausführung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen und nach § 92 SGB XI Vorlage 16/2943 mit Maßgaben zu erteilen. Wir stimmen somit über die Beschlussempfehlung Drucksache ab. Wer stimmt ihr zu? – Wer ist dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Bei einer Enthaltung ist das Einvernehmen zu der Verordnung hergestellt.

22       Noch nicht genehmigte über- und außerplanmäßige Ausgaben des Haushaltsjahres 2013

Antrag
des Finanzministeriums
gemäß Artikel 85 Absatz 2
der Landesverfassung
Vorlage 16/2903

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/9016

Eine Debatte ist nicht vorgesehen.

Wir können also unmittelbar abstimmen. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache , die mit Vorlage 16/2903 beantragte Genehmigung zu erteilen. Stimmen wir also über den Antrag, die Vorlage 16/2903, selbst ab. Wer stimmt ihr zu? – SPD und Grüne. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung von CDU, FDP und Piraten ist die mit der Vorlage beantragte Genehmigung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen erteilt.

23       Wahl von einem Mitglied des Landtags in den Beirat für Wohnraumförderung bei der NRW.BANK

Wahlvorschlag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9017

Hierzu ist keine Debatte vorgesehen.

Deshalb kommen wir unmittelbar zur Abstimmung. Wer stimmt dem Wahlvorschlag Drucksache 16/9017 zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der Wahlvorschlag Drucksache 16/9017 einstimmig angenommen.

24       Nachwahl eines ordentlichen Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses I

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/9070

Hierzu ist keine Debatte vorgesehen.

Kommen wir also zur Abstimmung. Wer stimmt dem Wahlvorschlag Drucksache 16/9070 zu? – SPD, Grüne, CDU, FDP und Piraten. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? – Auch nicht. Damit ist der Wahlvorschlag Drucksache 16/9070 einstimmig angenommen.

25       In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 31
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a.F.)
Drucksache 16/9018 – Neudruck

Die Übersicht 31 enthält 13 Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung bzw. § 79 Abs. 2 der Geschäftsordnung – alte Fassung – an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden, sowie vier Entschließungsanträge und einen Änderungsantrag. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht zu entnehmen.

Ich lasse nun über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen entsprechend der Übersicht 31 abstimmen. Wer stimmt dem zu, wie es festgestellt wurde? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die in Drucksache 16/9018Neudruckenthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse einstimmig bestätigt.

26       Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/33

Mit der Übersicht 16/33 liegen Ihnen Beschlüsse zu Petitionen vor. Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist augenscheinlich nicht der Fall.

Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Auch das ist nicht der Fall. Damit stelle ich


gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass diese Beschlüsse hiermit bestätigt sind.

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, den 25. Juni 2015, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 20:24 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.


Anlage 1

Namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/9011TOP 10 (Volksinitiative gemäß Artikel 67a der Landesverfassung: Kurzbezeichnung „G9-jetzt!“)

 


Lfd.
Nr.


Name des Abgeordneten


Fraktion

Abstimmung


ja


nein

Stimm-
ent-
haltung

1

 Herr Abel

GRÜNE

X

 

 

2

 Herr Abruszat

FDP

X

 

 

3

 Herr Dr. Adelmann

SPD

X

 

 

4

 Herr Alda

FDP

X

 

 

5

 Frau Altenkamp

SPD

X

 

 

6

 Frau Andres

SPD

X

 

 

7

 Frau Asch

GRÜNE

X

 

 

8

 Herr Bas

GRÜNE

X

 

 

9

 Herr Bayer

PIRATEN

 

X

 

10

 Herr Becker, Andreas

SPD

X

 

 

11

 Herr Becker, Horst

GRÜNE

entschuldigt

12

 Frau Beer

GRÜNE

X

 

 

13

 Frau Dr. Beisheim

GRÜNE

X

 

 

14

 Herr Bell

SPD

X

 

 

15

 Frau Benninghaus

SPD

X

 

 

16

 Herr van den Berg

SPD

X

 

 

17

 Herr Dr. Berger

CDU

 

 

X

18

 Herr Berghahn

SPD

X

 

 

19

 Herr Dr. Bergmann

CDU

 

 

X

20

 Herr Beu

GRÜNE

X

 

 

21

 Herr Bialas

SPD

X

 

 

22

 Herr Biesenbach

CDU

entschuldigt

23

 Frau Birkhahn

CDU

 

 

X

24

 Herr Bischoff

SPD

X

 

 

25

 Frau Blask

SPD

X

 

 

26

 Herr Börner

SPD

X

 

 

27

 Herr Börschel

SPD

X

 

 

28

 Freifrau von Boeselager

CDU

 

 

X

29

 Herr Bolte

GRÜNE

X

 

 

30

 Herr Bombis

FDP

X

 

 

31

 Herr Prof. Dr. Bovermann

SPD

X

 

 

32

 Frau Brand

PIRATEN

 

X

 

33

 Frau Brems

GRÜNE

X

 

 

34

 Herr Breuer

SPD

X

 

 

35

 Herr Brockes

FDP

X

 

 

36

 Frau Dr. Bunse

CDU

 

 

X

37

 Herr Burkert

CDU

 

 

X

38

 Herr Busen

FDP

X

 

 

39

 Herr Dahm

SPD

X

 

 

40

 Herr Deppe

CDU

 

 

X

41

 Frau van Dinther

CDU

 

 

X

42

 Frau Dmoch-Schweren

SPD

X

 

 

43

 Frau Doppmeier

CDU

 

 

X

44

 Herr Dr. Droste

CDU

 

 

X

45

 Herr Dudas

SPD

X

 

 

46

 Frau Düker

GRÜNE

X

 

 

47

 Herr Düngel

PIRATEN

entschuldigt

48

 Herr Eiskirch

SPD

abwesend

49

 Herr Ellerbrock

FDP

entschuldigt

50

 Herr Engstfeld

GRÜNE

X

 

 

51

 Frau Fasse

CDU

 

 

X

52

 Herr Fehring

CDU

entschuldigt

53

 Herr Feuß

SPD

X

 

 

54

 Herr Fortmeier

SPD

X

 

 

55

 Frau Freimuth

FDP

X

 

 

56

 Herr Fricke

PIRATEN

 

X

 

57

 Herr Ganzke

SPD

X

 

 

58

 Herr Garbrecht

SPD

X

 

 

59

 Herr Gatter

SPD

abwesend

60

 Frau Gebauer

FDP

X

 

 

61

 Frau Gebhard

SPD

X

 

 

62

 Herr Geyer

SPD

X

 

 

63

 Frau Gödecke

SPD

entschuldigt

64

 Herr Goldmann

GRÜNE

X

 

 

65

 Herr Golland

CDU

 

 

X

66

 Frau Grochowiak-Schmieding

GRÜNE

X

 

 

67

 Herr Große Brömer

SPD

X

 

 

68

 Herr von Grünberg

SPD

X

 

 

69

 Herr Grunendahl

CDU

 

 

X

70

 Frau Güler

CDU

 

 

X

71

 Herr Haardt

CDU

 

 

X

72

 Herr Dr. Hachen

CDU

 

 

X

73

 Frau Hack

SPD

X

 

 

74

 Herr Hafke

FDP

X

 

 

75

 Herr Hahnen

SPD

X

 

 

76

 Frau Hammelrath, Gabriele

SPD

X

 

 

77

 Frau Hammelrath, Helene

SPD

X

 

 

78

 Frau Hanses

GRÜNE

X

 

 

79

 Herr Hausmann

CDU

entschuldigt

80

 Herr Hegemann

CDU

 

 

X

81

 Herr Heinrichs

SPD

X

 

 

82

 Frau Hendricks

SPD

X

 

 

83

 Herr Hendriks

CDU

 

 

X

84

 Herr Herrmann

PIRATEN

 

X

 

85

 Herr Herter

SPD

X

 

 

86

 Herr Hilser

SPD

X

 

 

87

 Herr Höne

FDP

X

 

 

88

 Herr Hovenjürgen

CDU

 

 

X

89

 Frau Howe

SPD

X

 

 

90

 Herr Hübner

SPD

X

 

 

91

 Herr Jäger

SPD

entschuldigt

92

 Herr Jahl

SPD

X

 

 

93

 Frau Jansen

SPD

X

 

 

94

 Herr Jörg

SPD

X

 

 

95

 Herr Jostmeier

CDU

 

 

X

96

 Herr Kämmerling

SPD

X

 

 

97

 Herr Kaiser

CDU

 

 

X

98

 Herr Kamieth

CDU

abwesend

99

 Herr Dr. Kerbein

FDP

X

 

 

100

 Herr Kerkhoff

CDU

 

 

X

101

 Herr Kern, Nicolaus

PIRATEN

 

X

 

102

 Herr Kern, Walter

CDU

 

 

X

103

 Herr Keymis

GRÜNE

X

 

 

104

 Frau Kieninger

SPD

X

 

 

105

 Herr Klocke

GRÜNE

X

 

 

106

 Frau Klöpper

CDU

entschuldigt

107

 Herr Körfges

SPD

X

 

 

108

 Frau Kopp-Herr

SPD

X

 

 

109

 Frau Korte

CDU

 

 

X

110

 Herr Kossiski

SPD

X

 

 

111

 Frau Kraft

SPD

X

 

 

112

 Herr Kramer

SPD

X

 

 

113

 Herr Krick

SPD

X

 

 

114

 Herr Krückel

CDU

 

 

X

115

 Herr Krüger

GRÜNE

X

 

 

116

 Herr Kruse

CDU

 

 

X

117

 Herr Kufen

CDU

entschuldigt

118

 Herr Kuper

CDU

 

 

X

119

 Herr Kutschaty

SPD

X

 

 

120

 Herr Lamla

PIRATEN

 

X

 

121

 Herr Laschet

CDU

 

 

X

122

 Herr Lienenkämper

CDU

 

 

X

123

 Herr Lindner

FDP

X

 

 

124

 Herr Löcker

SPD

X

 

 

125

 Herr Lohn

CDU

 

 

X

126

 Frau Lück

SPD

X

 

 

127

 Frau Lüders

SPD

X

 

 

128

 Herr Lürbke

FDP

X

 

 

129

 Frau Lux

SPD

X

 

 

130

 Frau Maaßen

GRÜNE

X

 

 

131

 Herr Dr. Maelzer

SPD

X

 

 

132

 Herr Markert

GRÜNE

X

 

 

133

 Herr Marquardt

SPD

X

 

 

134

 Herr Marsching

PIRATEN

 

X

 

135

 Herr Meesters

SPD

X

 

 

136

 Frau Middendorf

CDU

 

 

X

137

 Frau Milz

CDU

entschuldigt

138

 Herr Möbius

CDU

 

 

X

139

 Herr Moritz

CDU

 

 

X

140

 Herr Mostofizadeh

GRÜNE

X

 

 

141

 Herr Müller, Hans-Peter

SPD

X

 

 

142

 Herr Müller, Holger

CDU

 

 

X

143

 Frau Müller-Witt

SPD

X

 

 

144

 Herr Münchow

SPD

X

 

 

145

 Herr Münstermann

SPD

X

 

 

146

 Herr Nettekoven

CDU

 

 

X

147

 Herr Nettelstroth

CDU

 

 

X

148

 Herr Neumann

SPD

X

 

 

149

 Herr Nückel

FDP

X

 

 

150

 Herr Olejak

PIRATEN

 

X

 

151

 Herr Dr. Optendrenk

CDU

 

 

X

152

 Herr Ortgies

CDU

 

 

X

153

 Herr Ott

SPD

X

 

 

154

 Herr Dr. Papke

FDP

X

 

 

155

 Herr Dr. Paul, Joachim

PIRATEN

 

X

 

156

 Frau Paul, Josefine

GRÜNE

X

 

 

157

 Frau Philipp

SPD

X

 

 

158

 Frau Pieper

PIRATEN

 

X

 

159

 Herr Post

CDU

 

 

X

160

 Herr Preuß

CDU

 

 

X

161

 Frau Preuß-Buchholz

SPD

X

 

 

162

 Herr Priggen

GRÜNE

X

 

 

163

 Herr Rahe

SPD

X

 

 

164

 Herr Rasche

FDP

X

 

 

165

 Herr Rehbaum

CDU

 

 

X

166

 Herr Römer

SPD

X

 

 

167

 Herr Rohwedder

PIRATEN

 

X

 

168

 Herr Rüße

GRÜNE

X

 

 

169

 Frau Ruhkemper

SPD

X

 

 

170

 Frau Rydlewski

PIRATEN

entschuldigt

171

 Frau Schäfer, Ute

SPD

X

 

 

172

 Frau Schäffer, Verena

GRÜNE

X

 

 

173

 Frau Scharrenbach

CDU

 

 

X

174

 Herr Schatz

PIRATEN

 

X

 

175

 Herr Scheffler

SPD

X

 

 

176

 Herr Schemmer

CDU

 

 

X

177

 Herr Schick

CDU

 

 

X

178

 Herr Schittges

CDU

 

 

X

179

 Herr Schlömer

SPD

X

 

 

180

 Herr Schmalenbach

PIRATEN

entschuldigt

181

 Herr Schmeltzer

SPD

X

 

 

182

 Frau Schmitt-Promny

GRÜNE

X

 

 

183

 Herr Schmitz, Hendrik

CDU

 

 

X

184

 Frau Schmitz, Ingola Stefanie

FDP

X

 

 

185

 Herr Schneider, Guntram

SPD

X

 

 

186

 Herr Schneider, René

SPD

X

 

 

187

 Frau Schneider, Susanne

FDP

X

 

 

188

 Herr Schultheis

SPD

X

 

 

189

 Herr Schulz

PIRATEN

 

X

 

190

 Frau Schulze

SPD

X

 

 

191

 Frau Schulze Föcking

CDU

 

 

X

192

 Herr Schwerd

PIRATEN

entschuldigt

193

 Herr Seel

CDU

 

 

X

194

 Frau Dr. Seidl

GRÜNE

entschuldigt

195

 Herr Sieveke

CDU

entschuldigt

196

 Herr Sommer

PIRATEN

 

X

 

197

 Frau Spanier-Oppermann

SPD

X

 

 

198

 Herr Spiecker

CDU

 

 

X

199

 Herr Dr. Stamp

FDP

X

 

 

200

 Herr Stein

CDU

entschuldigt

201

 Frau Steininger-Bludau

SPD

X

 

 

202

 Frau Steinmann

SPD

X

 

 

203

 Herr Prof. Dr.Dr. Sternberg

CDU

 

 

X

204

 Herr Stotko

SPD

X

 

 

205

 Frau Stotz

SPD

X

 

 

206

 Herr Sundermann

SPD

X

 

 

207

 Herr Tenhumberg

CDU

 

 

X

208

 Herr Thiel

SPD

X

 

 

209

 Frau Thönnissen

CDU

 

 

X

210

 Herr Töns

SPD

X

 

 

211

 Herr Tüttenberg

SPD

entschuldigt

212

 Herr Ünal

GRÜNE

X

 

 

213

 Herr Uhlenberg

CDU

 

 

X

214

 Frau Velte

GRÜNE

X

 

 

215

 Herr Vogt, Alexander

SPD

X

 

 

216

 Frau Vogt, Petra

CDU

 

 

X

217

 Frau Voigt-Küppers

SPD

X

 

 

218

 Frau Voßeler

CDU

 

 

X

219

 Herr Voussem

CDU

 

 

X

220

 Frau Wagener

SPD

X

 

 

221

 Frau Warden

SPD

X

 

 

222

 Frau Watermann-Krass

SPD

X

 

 

223

 Herr Weckmann

SPD

X

 

 

224

 Herr Wedel

FDP

X

 

 

225

 Herr Wegner

PIRATEN

 

X

 

226

 Herr Weiß

SPD

X

 

 

227

 Herr Weske

SPD

X

 

 

228

 Herr Wirtz, Axel

CDU

 

 

X

229

 Herr Wirtz, Josef

CDU

abwesend

230

 Herr Witzel

FDP

X

 

 

231

 Herr Dr. Wolf, Ingo

FDP

abwesend

232

 Herr Wolf, Sven

SPD

X

 

 

233

 Herr Wüst

CDU

 

 

X

234

 Herr Yetim

SPD

X

 

 

235

 Herr Yüksel

SPD

X

 

 

236

 Frau Zentis

GRÜNE

X

 

 

237

 Herr Zimkeit

SPD

X

 

 

 

Ergebnis:

 

141

15

58

 


Anlage 2

Zu TOP 18 – „Gesetz über die Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehren-zeichen (Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichengesetz – FwKatsEG – NRW)“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:  

Dank des Engagements und der außerordentlichen Leistungen der Helferinnen und Helfer bei den Berufsfeuerwehren, den Freiwilligen Feuerwehren und Hilfsorganisationen verfügen wir in Nordrhein-Westfalen über einen leistungsstarken Brand- und Katastrophenschutz.

Dieser wichtige Einsatz der Rettungskräfte soll auch angemessen gewürdigt werden.

Die rechtliche Grundlage dazu bildet das Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Ehrenzeichen-gesetz. Der nun vorliegende Gesetzentwurf stellt eine Weiterentwicklung dar und schafft ein neues, modernes und zukunftsfähiges Regelwerk.

Dabei möchte ich folgende Neuerungen kurz hervorheben:

Erstmalig bekommen Ehrenzeichen ein einheitliches Erscheinungsbild für die Feuerwehren und die im Katastrophenschutz mitwirkenden Hilfsorganisationen. Dies entspricht den aktuellen Einsatzkonzepten, die ein abgestimmtes Handeln aller Hilfskräfte erfordern. Dadurch werden Einsatzleistungen gleichberechtigt anerkannt.

Neu ist auch die Stiftung einer Feuerwehr- und Katastrophenschutz-Einsatzmedaille. Hiermit sollen außergewöhnliche, solidarische Hilfeleistungen aller Einsatzkräfte bei besonderen Einsatzlagen wie Hochwasser, Erdbeben oder Unwetter gewürdigt werden.

Durch die Verlängerung von Altersgrenzen für den aktiven Feuerwehrdienst und die Anerkennung von Zeiten in der Jugendfeuerwehr wird zukünftig vermehrt ein fünfzigjähriges Jubiläum in der Feuerwehr noch im aktiven Dienst erreicht und soll durch ein neues Ehrenzeichen gewürdigt werden.

Die kommunalen Spitzenverbände, der Feuerwehrverband und die Hilfsorganisationen haben die vorgesehenen Anpassungen und Neuerungen sowie die strukturelle Neuausrichtung des Gesetzes begrüßt.

Der wichtigen Anerkennung und Würdigung vor allem des ehrenamtlichen Engagements und der außerordentlichen Leistungen der Rettungskräfte kann damit angemessen und gleichberechtigt Ausdruck verliehen werden.

Wir wollen damit besonders die zentrale Rolle des Ehrenamtes in der Feuerwehr und den Hilfsorganisationen stärken. – Herzlichen Dank.


Anlage 3

Zu TOP 19 – „Zweites Gesetz zur Änderung des Meldegesetzes NRW – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Am 1. November 2015 tritt das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens in Kraft.

Damit hat der Bund das Melderechtsrahmengesetz aus dem Jahre 1980 mit den wesentlichen Inhalten der Landesmeldegesetze in einem Bundesmeldegesetz zusammengeführt.

Der größte Teil der Landesregelungen ist nun im Bundesmeldegesetz enthalten.

Es umfasst unmittelbar geltende Vorschriften für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die mit dem Vollzug des Melderechts befassten Behörden.

NRW verbleibt allerdings ein kleiner Teil Regelungskompetenzen, die den Verwaltungsvollzug betreffen.

Um die praktizierten Verfahren im Meldewesen – die sich bewährt haben – beizubehalten, müssen die Vorschriften des Landes an die neue Rechtslage ab dem 1. November angepasst werden.

Deswegen sind

     die Speicherung und Nutzung von zusätzlichen Daten,

     die Datenübermittlung an öffentliche Stellen,

     die Datenübermittlung an öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften,

     das Verfahren des automatisierten Abrufs durch Behörden,

     das Meldeportal Behörden als zentrale Stelle

zu regeln.

Zusätzlich wird mit dem „Vorausgefüllten Meldeschein“ ein schon bestehendes technisches Verfahren verbindlich festgelegt.

Dadurch werden die Meldebehörden entlastet, weil sie in Sekundenschnelle die Daten des Meldepflichtigen von der Meldebehörde des bisherigen Wohnortes erhalten, die dann unmittelbar mit dem Bürger geprüft und übernommen werden können.

Mit dem Gesetz wird das Meldeportal Behörden als die verpflichtende Datendrehscheibe für Meldeauskünfte öffentlicher Sellen in und außerhalb des Landes NRW etabliert.

Dadurch werden dezentrale Meldedatenbestände verankert und eine zentrale Lösung – etwa ein Landesmelderegister – vermieden.

Neben diesen Vorteilen wird ein datenschutzrechtlich hohes Niveau gewährleistet. Denn die Abrufe werden gerade nicht über das Internet, sondern über sichere Verwaltungsnetze erfolgen. Das ermöglicht eine rechtlich und technisch einwandfreie Datenschutzkontrolle.

Alle Behörden in NRW können mit diesem System landesweit und im weiteren Ausbau auch bundesweit Melderegisterauskünfte automatisiert von anderen Meldebehörden kostenfrei erhalten.

Das Meldeportal entlastet außerdem die Kommunen von der Notwendigkeit, für eine Vielzahl von öffentlichen Stellen einen automatisierten Abruf von Meldedaten ermöglichen zu müssen.

Schriftliche Anfragen von Behörden und öffentlichen Stellen werden auf ein Minimum reduziert.

Außerdem entlastet es alle NRW-Behörden, weil sie die spezielle Technik nicht selbst vorhalten müssen.

Alles in allem bringt das Gesetz viele Vorteile, wie sich auch am Ergebnis der Anhörung der kommunalen Spitzenverbände, Kirchen und des Landesbeauftragten für Datenschutz ablesen lässt. – Herzlichen Dank.