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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/53

16. Wahlperiode

26.03.2014

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53. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 26. März 2014

Mitteilungen der Präsidentin. 5159

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 5159

Nutzung von Laptops und Notebooks während der laufenden Plenarsitzung

1   Kommunen in NRW sind „Verlierer der Großen Koalition“

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5354. 5159

Kai Abruszat (FDP) 5159

Hans-Willi Körfges (SPD) 5161

André Kuper (CDU) 5162

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 5163

Dietmar Schulz (PIRATEN) 5165

Minister Ralf Jäger 5166

Peter Biesenbach (CDU) 5167

Michael Hübner (SPD) 5169

Kai Abruszat (FDP) 5170

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 5171

Dietmar Schulz (PIRATEN) 5172

Zur Geschäftsordnung

Nicolaus Kern (PIRATEN) 5173

Sigrid Beer (GRÜNE) 5173

Ergebnis. 5173

2   Mobilität für alle! Sozialticket flächendeckend und zu fairen Konditionen in Nordrhein-West-falen einführen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN

Drucksache 16/5277
. 5173

Oliver Bayer (PIRATEN) 5173

Sarah Philipp (SPD) 5174

Arne Moritz (CDU) 5175

Rolf Beu (GRÜNE) 5176

Ulrich Alda (FDP) 5177

Minister Michael Groschek. 5178

Ergebnis. 5179

3   Landesregierung muss dringend Bundesfernstraßenplanung vorantreiben, um Bundesmittel abzurufen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5266. 5179

Bernhard Schemmer (CDU) 5179

Reiner Breuer (SPD) 5180

Arndt Klocke (GRÜNE) 5183

Christof Rasche (FDP) 5184

Stefan Fricke (PIRATEN) 5186

Minister Michael Groschek. 5187

Achim Tüttenberg (SPD) 5189

Klaus Voussem (CDU) 5191

Arndt Klocke (GRÜNE) 5191

Oliver Bayer (PIRATEN) 5192

Bernhard Schemmer (CDU) 5193

Minister Michael Groschek. 5194

Ergebnis. 5194

4   Hebammenbetreuung sicherstellen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5229 – Neudruck. 5194

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5406

In Verbindung mit:

Wahlfreiheit für die Geburt gewährleisten – Arbeit der Hebammen sichern

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5285

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5406

Und:

Zukunft der Geburtshilfe, der Vor- und Nachsorge für Mütter sowie ergänzende und unterstützende Angebote für Eltern und Familien durch Hebammen sichern – Wahlfreiheit für werdende Mütter erhalten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5288. 5195

Olaf Wegner (PIRATEN) 5195

Gerda Kieninger (SPD) 5196

Martina Maaßen (GRÜNE) 5197

Susanne Schneider (FDP) 5197

Peter Preuß (CDU) 5198

Ministerin Barbara Steffens. 5199

Olaf Wegner (PIRATEN) 5200

Ergebnis. 5201

5   Die strafrechtliche Verfolgung und Unterdrückung Homosexueller nach 1949 muss aufgearbeitet werden

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5282. 5201

Sven Wolf (SPD) 5201

Josefine Paul (GRÜNE) 5203

Jens Kamieth (CDU) 5205

Dirk Wedel (FDP) 5206

Birgit Rydlewski (PIRATEN) 5207

Ministerin Barbara Steffens. 5208

Regina van Dinther (CDU) 5210

Dagmar Hanses (GRÜNE) 5210

Susanne Schneider (FDP) 5211

Ergebnis. 5212

6   Fragestunde

Drucksache 16/5300. 5212

Mündliche Anfrage 36

des Abgeordneten
Karlheinz Busen (FDP)

Gesetzlich festgelegte Kriterien für die Anerkennung von Tierschutzorganisationen zum Verbandsklagerecht 5212

Minister Johannes Remmel 5212

7   Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – Prüfung von Lohntestverfahren zur Feststellung von Lohnunterschieden zwischen Frauen und Männern im Öffentlichen Dienst –

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5284

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5408. 5215

Ina Scharrenbach (CDU) 5215

Daniela Jansen (SPD) 5216

Josefine Paul (GRÜNE) 5217

Ulrich Alda (FDP) 5218

Dirk Schatz (PIRATEN) 5219

Ministerin Barbara Steffens. 5220

Ergebnis. 5221

8   Schlaganfallpatientinnen und Schlaganfallpatienten sofort und optimal behandeln

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5250. 5221

Peter Preuß (CDU) 5221

Dr. Roland Adelmann (SPD) 5222

Arif Ünal (GRÜNE) 5223

Susanne Schneider (FDP) 5223

Olaf Wegner (PIRATEN) 5224

Ministerin Barbara Steffens. 5225

Dr. Roland Adelmann (SPD) 5226

Ergebnis. 5227

9   Transparenz bei kommunalen Sozialaus-gaben herstellen – Task Force „Kommunale Sozialkosten“ einrichten

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5268. 5227

Ralf Nettelstroth (CDU) 5227

Kai Abruszat (FDP) 5228

Michael Hübner (SPD) 5228

Mario Krüger (GRÜNE) 5229

Torsten Sommer (PIRATEN) 5231

Minister Guntram Schneider 5232

Ralf Nettelstroth (CDU) 5233

Michael Hübner (SPD) 5233

Minister Guntram Schneider 5234

Ergebnis. 5234

10 Videoüberwachung transparent und nachvollziehbar gestalten: Ein öffentliches Register für Videoüberwachungskameras in Nordrhein-Westfalen einführen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5280. 5234

Frank Herrmann (PIRATEN) 5234

Thomas Marquardt (SPD) 5235

Gregor Golland (CDU) 5237

Matthi Bolte (GRÜNE) 5239

Dr. Robert Orth (FDP) 5241

Minister Ralf Jäger 5241

Ergebnis. 5242

11 Gesetz zur Änderung des Kirchensteuerge-setzes und des Kirchenaustrittsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4775

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5371

Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/5087

zweite Lesung. 5242

Ergebnis. 5242

12 Zweites Gesetz zur Modernisierung des Vermessungs- und Katasterwesens (Zweites Katastermodernisierungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4380

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/5246

zweite Lesung. 5243

Ergebnis. 5243

13 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Bereinigung des als Landesrecht fortgeltenden ehemaligen Reichsrechts

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4661

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/5245

zweite Lesung. 5243

Ergebnis. 5243

14 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung einer Zulage für freiwillige, erhöhte wöchentliche Regelarbeitszeit im feuerwehrtechnischen Dienst in Nordrhein-West-falen

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/4575

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/5244

zweite Lesung. 5243

Ergebnis. 5243

15 Gesetz zur Änderung des Landesjagdgesetzes und zur Änderung jagdlicher Vorschriften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/3457

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5357

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksache 16/5296 – Neudruck

zweite Lesung. 5243

Norbert Meesters (SPD) 5244

Rainer Deppe (CDU) 5245

Norwich Rüße (GRÜNE) 5246

Karlheinz Busen (FDP) 5247

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 5247

Minister Johannes Remmel 5248

Karlheinz Busen (FDP) 5248

Ergebnis. 5249

16 Gesetz zur Modernisierung des Verwal-tungsverfahrensgesetzes und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften

Gesetzentwurf
der Landesregierung

Drucksache 16/5230

erste Lesung. 5249

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll

(siehe Anlage)

Ergebnis. 5249

17 Noch nicht genehmigte über- und außerplanmäßige Ausgaben des Haushaltsjahres 2012

Antrag
des Finanzministeriums
gemäß Artikel 85 Absatz 2
der Landesverfassung
Vorlage 16/1695

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/5263. 5249

Ergebnis. 5249

18 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 17
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
Drucksache 16/5299 – Neudruck. 5249

Ergebnis. 5249

19 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/19. 5249

Ergebnis. 5249

Anlage  5251

Zu TOP 16 – „Gesetz zur Modernisierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 5251

Entschuldigt waren:

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans      
(bis 14 Uhr und ab 19 Uhr)

Manfred Krick (SPD)    
(bis 11:45 Uhr)

Josef Neumann (SPD)

Jochen Ott (SPD)        
(ab 14:15 Uhr)

Dirk Schlömer (SPD)

Lisa Steinmann (SPD)

Serap Güler (CDU)

Christian Haardt (CDU)

Thomas Kufen (CDU)   
(ab 12 Uhr)

Claudia Middendorf (CDU)

Horst Becker (GRÜNE)

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE)    
(ab 18 Uhr)

 


Beginn: 10:04 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 53. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sieben Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir wie immer in das Protokoll aufnehmen.

Wir haben die große Freude, auch heute zwei Kollegen zum Geburtstag zu gratulieren: zum einen Herrn Dr. Ingo Wolf aus der Fraktion der FDP, der heute seinen Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch, alles Gute, alle guten Wünsche des Hohen Hauses!

(Allgemeiner Beifall)

Ebenso gratulieren wir Herrn Kollegen Kai Schmalenbach aus der Fraktion der Piraten. Auch Ihnen alles Gute, herzliche Glückwünsche und einen schönen Geburtstag!

(Allgemeiner Beifall)

 Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch einmal das Thema

Nutzung von Laptops und Notebooks während der laufenden Plenarsitzung

ansprechen.

Sie alle wissen, dass ich vor der letzten Plenarsitzungswoche im Februar noch einmal schriftlich auf die geltende Beschlusslage in diesem Haus hingewiesen habe. Danach ist die Nutzung von Laptops und Notebooks nicht zulässig, die Nutzung von Tablet-PCs dagegen schon.

Ich habe auch in der letzten Plenarsitzungswoche als Sitzungsleiterin am Mittwoch noch einmal mündlich darauf hingewiesen, dass die Nutzung von Laptops und Notebooks nach der bestehenden Beschlusslage nicht zulässig und deshalb ein Verstoß gegen die parlamentarische Ordnung hier im Haus ist. Grund für meinen Hinweis war der Umstand, dass auch in der letzten Plenarsitzungswoche erneut einige Kolleginnen und Kollegen die genannten Geräte weiter benutzt haben und auch einer Bitte, dies zu beenden, nicht gefolgt sind.

Das Präsidium hat sich aufgrund dieser Tatsache und in Vorbereitung auf die jetzt laufende Plenarsitzungswoche erneut mit dieser Frage befasst und hält daran fest, dass die Ihnen bekannte Beschlusslage gilt und die Nutzung von mobilen Computern daher nur in dem bestehenden Umfang akzeptabel ist. Damit ist gleichzeitig festgehalten, dass die Nutzung der nicht zugelassenen Geräte einen Verstoß gegen die parlamentarische Ordnung darstellt und rügewürdig ist.

Ich bitte daher noch einmal alle Kolleginnen und Kollegen, diese Beschlusslage zu respektieren und ihre Arbeitsweise entsprechend anzupassen. Sollte dies gleichwohl auch in dieser Plenarsitzungswoche nicht der Fall sein, behält sich die Sitzungsleitung vor, im Einzelfall Rügen aufgrund dieser Verhaltensweise auszusprechen.

Mit diesen Vorbemerkungen und dieser Bitte, die Ihnen nicht unbekannt ist, treten wir nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

1   Kommunen in NRW sind „Verlierer der Großen Koalition“

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5354

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 24. März dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der FDP Herrn Kollegen Abruszat das Wort.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass die von uns beantragte Aktuelle Stunde schon eine Folgewirkung gezeigt hat, das kann man daran ablesen, Herr Kollege Körfges, dass es jetzt einen gemeinsamen Entschließungsantrag von SPD, Grünen und FDP gibt, den wir aus Geschäftsordnungsgründen zwar nicht im Rahmen dieser Aktuellen Stunde, aber im Kommunalausschuss behandeln werden. Insofern war es schon deshalb richtig und gut, diese Aktuelle Stunde zu beantragen, damit das Thema wieder auf der Tagesordnung ist.

(Beifall bei der FDP)

Wir dürfen nicht zulassen, dass die kommunalen Finanzen nicht zum Gegenstand in der politischen Auseinandersetzung werden; vielmehr brauchen wir klare Lösungen.

Meine Damen und Herren, wir haben in der bis 2013 amtierenden Bundesregierung gemeinsam mit der Union bei der Grundsicherung im Alter einiges auf den Weg gebracht. Da wird Rot-Grün gleich wieder sagen, das sei nur passiert, weil sie im Bundesrat so gekämpft haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Fakt ist aber: Das ist zu unserer Regierungszeit auf den Weg gebracht worden. Das ist gut. Wir sollten einmal an das anknüpfen, was wir hier im Landtag 2010 beraten und bei diesem einen Punkt auch einstimmig verabredet haben. Der Beschluss aus Oktober 2010 lautete nämlich: Der Bund muss sich ab 2011 dynamisch zur Hälfte am Aufwand für die Soziallasten beteiligen. – Daran muss sich jetzt auch die neue Bundesregierung messen lassen; das ist völlig klar.

Geschäftsgrundlage für die Politik in Berlin ist ja nichts anderes als der Koalitionsvertrag. Dazu muss man schon ein paar Bemerkungen machen, verehrte Kolleginnen und Kollegen:

Der Koalitionsvertrag hat 185 Seiten. Das ist der längste Koalitionsvertrag, den es in der bundesrepublikanischen Geschichte je gegeben hat. 185 Seiten! Sie haben alles haarklein geregelt. Aber eines haben sie nicht klar verabredet, nämlich die Frage: Wann wirkt denn nun endlich die Entlastung bei der Eingliederungshilfe?

Dass Sie das nicht klar geregelt haben, tritt jetzt offen zutage, Herr Kollege Laschet. Ihr Stellvertreter Steffen Kampeter, stellvertretender Landesvorsitzender, ein sehr geschätzter Kollege aus meiner Heimatregion,

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Finanzstaatssekretär bei Wolfgang Schäuble, sagt – ich zitiere aus der „Neuen Westfälischen“ vom 19. März 2014 –:

„Ich fordere Achim Post“

– SPD-Bundestagsabgeordneter –

„auf, nicht noch einmal wahrheitswidrig zu behaupten, es habe über das im Koalitionsvertrag Vereinbarte weitere Zusagen gegeben.“

Da geht es um nichts anderes als die Frage: Wann beginnen denn die Entlastungswirkungen für die Kommunen? – Das haben wir nun regierungsamtlich, nicht nur durch den Finanzstaatssekretär, sondern auch durch die Frau Bundeskanzlerin, die nämlich gesagt hat: In dieser Wahlperiode passiert da gar nichts in Berlin.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

In dieser Wahlperiode passiert im Hinblick auf die 5 Milliarden, auf den großen Schluck aus der Pulle, gar nichts.

(Zurufe von der SPD: Ah! – Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Die 1 Milliarde kommt in diesem Jahr nicht. Im Jahr 2014 passiert gar nichts. Das ist die Wahrheit!

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, ich habe schon den Eindruck: Es ist nicht richtig angekommen in Berlin, in welcher Situation die NRW-Kommunalfinanzen sind.

(Zurufe von der SPD)

Da sagt der Haushaltspolitiker Norbert Barthle von der CDU/CSU – Zitat –:

„Ich halte diese Forderung“

– der Kommunen –

„nicht für gerechtfertigt. Sie berücksichtigt weder die insgesamt gute finanzielle Lage der Kommunen noch die Festlegungen im Koalitionsvertrag.“

Das ist Auffassung der Haushaltspolitiker bei der Union in Berlin. Das heißt doch im Umkehrschluss, dass wir weiter Druck und Tempo machen müssen, damit es zu diesen wichtigen Entlastungen kommt. Das ist doch das Entscheidende.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Bundesrat!)

Insofern, Herr Kollege Zimkeit, veranlasst mich Ihre Zwischenbemerkung zu der Bemerkung, dass es offensichtlich das schlechte Gewissen ist; denn Ihre Oberbürgermeister im Ruhrgebiet sind doch auf der Zinne.

(Beifall von der FDP)

Die sind doch stinkesauer, dass in Berlin nichts passiert. Machen Sie hier also keine Zwischenrufe, sondern halten Sie sich an der Stelle an die Fakten!

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Meine Damen und Herren, ganz besonders bemerkenswert finde ich, dass auch die Grünen durch ihren Landesvorsitzenden Sven Lehmann vor zwei Tagen erklärt haben – Zitat –:

„Die Bundesregierung erkauft sich ihren schön klingenden Haushalt, indem sie die Städte und Gemeinden weiter am Hungerhaken hängen lässt.“

Das sagt Herr Lehmann, Herr Kollege Mostofizadeh, Ihr Landesvorsitzender. Da kann ich nur sagen: Er hat recht! Er hat recht, wenn er sagt: Die Interessen der NRW-Kommunen müssen in Berlin endlich wahrgenommen werden. – Das ist das Entscheidende.

(Beifall von der FDP – Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wir könnten an dieser Stelle auch über die Schulsozialarbeit reden – oder über die Frage, warum Andrea Nahles das jetzt auslaufen lässt. Das könnten wir auch alles machen. In dieser Aktuellen Stunde wollen wir das aber nicht tun, sondern uns darauf beschränken, die Frage der Sozialkosten in den Blickpunkt zu stellen.

Eines will ich noch sagen, Herr Kollege Laschet: Erstens ist die 1 Milliarde ab 2015 finanziell, was die Bedeutung für Nordrhein-Westfalen angeht, ein Tropfen auf den heißen Stein. Das wissen Sie auch. Zweitens bin ich mal gespannt, wie Sie diese 1 Milliarde am Ende verteilen wollen. Wollen Sie sie im Hinblick auf den Anteil an der Umsatzsteuer oder im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft verteilen? Das macht für Nordrhein-Westfalen einen erheblichen Unterschied aus. Ich bin gespannt, wie die NRW-Abgeordneten im Deutschen Bundestag sich gegenüber den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern durchsetzen werden. Das wird noch eine interessante Angelegenheit werden.

Ich freue mich auf die Debatte heute. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Abruszat, es hätte dieser unsinnigen Aktuellen Stunde aus unserer Sicht nicht bedurft, um die Gemeinsamkeiten im Interesse der Kommunen des Landes Nordrhein-Westfalen zu betonen.

Wir waren im Ausschuss für Kommunalpolitik auf dem richtigen Weg. Wenn das in die gemeinsame Entschließung mündet, ist das im Interesse der Kommunen in Nordrhein-Westfalen gut, richtig und vernünftig. Erlauben Sie mir aber die Bemerkung, dass Sie und Ihre Aktuelle Stunde damit nun wirklich überhaupt nichts zu tun haben.

(Beifall von der SPD und Peter Biesenbach [CDU])

Im Gegenteil: Man hat ja den Eindruck, dass sich die FDP – ich mache mal eine Anleihe bei Keynes – in Sachen Kommunalfreundlichkeit antizyklisch verhält. Immer, wenn Sie in Regierungsverantwortung sind, folgt den Ankündigungen aus der Oppositionszeit – ich erinnere an 2006 und 2007; Sie haben ja vier Jahre in Berlin Gelegenheit gehabt, alle Ihre Ankündigungen auch im Interesse der Kommunen umzusetzen – nada, nichts, null. Es gibt keinen Euro für die Kommunen. Wenn Sie sich dann wieder in der Opposition befinden oder – dann kennt die Kommunalfreundlichkeit gar keine Grenzen mehr – überhaupt nicht mehr in einem Parlament sind, machen Sie sich zum Sachwalter kommunaler Interessen.

Ich finde, das ist antizyklisches Verhalten. Die Bürgerinnen und Bürger, die kommunalfreundlich denken, tun ganz offensichtlich gut daran, bei den Wahlen einen Bogen um Ihre Partei zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

An dieser Stelle darf ich des Weiteren auf die schwierige – Sie haben es selber angesprochen – Feststellung in der Einleitung zur Beantragung dieser Aktuellen Stunde hinweisen. Wer hat den Fiskalpakt bezüglich der Grundsicherung im Alter denn erfunden? Ich kann Ihnen den Vorgang noch einmal ganz klar darstellen. Da reicht ein Blick in die Archive, zum Beispiel in den „Stern“ vom 29. Juli 2012. Ohne den Regierungswechsel in Nordrhein-Westfa-len, ohne eine rot-grüne NRW-Landesregierung hätte es diese Länderposition im Bundesrat nicht gegeben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann hätten Sie, die Sie damals noch in Verantwortung waren, keinen Cent herausgerückt. Insoweit: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin Kraft, vielen Dank, Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen! Wir bewirken etwas, während Sie nur reden.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier sind eben die Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet gelobt worden.

(Kai Abruszat [FDP]: Ja, genau!)

Richtig! Wir stellen uns mit unserer Initiative an die Seite der Kommunen und wollen dafür sorgen, dass die guten Vereinbarungen aus dem Berliner Koalitionsvertrag auch umgesetzt werden, und zwar zeitnah.

Herr Kollege Abruszat, dann irritiert mich allerdings ein wenig, dass Herr Kollege Nückel in einer Pressemitteilung der FDP Ruhr – dass es so etwas gibt, wusste ich gar nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen – zu dieser Aktion der Oberbürgermeister sagt: „Weit gereist und wenig erreicht.“

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: So ist es!)

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben für die Kommunen eine Menge erreicht. Lassen Sie mich das an ein paar Dingen festmachen.

Damals haben hier – Sie haben eben versucht, es ein bisschen in den allgemeinen Einmütigkeitsgedanken einfließen zu lassen, was ich ja in Ordnung finde –, CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und noch eine andere Fraktion, gemeinsam beschlossen: Wir fordern vom Bund die hälftige Beteiligung an den Soziallasten. – Das war eine große und historische Stunde in diesem Landtag. Darauf bin ich sehr stolz.

Richtig ist, dass Sie nachher im Detail diesem Punkt zugestimmt haben. Genauso richtig ist aber, dass die FDP damals so lange mit dem Kopf geschüttelt hat, bis sie ein Haar in der Suppe gefunden hat, sodass sie sich nur enthalten konnte und anders als alle anderen Fraktionen dem Gesamtvorgang nicht hat zustimmen können.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Insoweit hätte es dieser Aktuellen Stunde nicht bedurft; denn wir wissen ja, was zu tun ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Zum Beispiel haben wir die Landesregierung darum zu bitten, dafür zu sorgen, dass die Entlastung im Bereich der Eingliederungshilfe zeitnah umgesetzt wird, und zwar in Höhe von 5 Milliarden. Das steht im Koalitionsvertrag. Ich habe diesem Vertrag nicht nur zugestimmt, sondern auch gesagt: Ich setze mich wegen genau dieses Punktes für die Umsetzung ein. – Da können Sie sich auf uns verlassen. Wir werden dafür sorgen, dass diese 5 Milliarden umgesetzt werden und dass die Kommunen die Entlastung bekommen.

Herr Kollege Abruszat, ein bisschen vermisst habe ich Ausführungen zu dem weiteren Anlass. Ich finde, man muss in diesem Zusammenhang auch berücksichtigen, dass das Bundesleistungsgesetz und die Eingliederungshilfe auch etwas mit Menschen mit Handicaps und ihrer gleichberechtigten Teilhabe zu tun haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch das ist ein wichtiger Aspekt; denn es darf nicht passieren, dass wir die berechtigten kommunalen Interessen womöglich gegen die Interessen dieser Menschen stellen. Insoweit haben wir zwei Ziele miteinander zu verbinden.

Darüber hinaus haben Sie in Ihrer Regierungszeit – das habe ich eben schon mal gesagt – null, nada, nichts geschafft, während wir jetzt für 2015 und 2016 jeweils 1 Milliarde zur Verfügung stellen. Wenn Sie sich die Entschließung, die Sie ja mittragen, genau ansehen, werden Sie merken, dass wir uns an dieser Stelle gut treffen können. KdU ist der richtige Einfall im Interesse von Nordrhein-Westfalen. Genau so muss das Geld nach unserer Meinung verwandt werden. Die Entlastung bei den Kosten der Unterkunft ist gut und vernünftig.

Lassen Sie mich zu einem letzten und aus meiner Sicht – auch wegen der gemeinsamen Kraftanstrengung – überragend wichtigen Punkt kommen, nämlich dem Stärkungspakt. Da gilt im Übrigen das Bibelwort: „Im Himmel ist mehr Freude über einen reuigen Sünder als über 99 Gerechte.“ Sie haben ja in einem Akt der tätigen Reue als FDP seinerzeit mit uns gemeinsam den Stärkungspakt verabschiedet. Dafür vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wenn der Stärkungspakt gelingen soll, müssen wir aber erstens die 5 Milliarden im Jahr 2017 haben.

Zweitens muss es dann auch für die Kommunen möglich sein und für die Kommunalaufsicht erlaubnisfähig sein, dass das in Ansatz gebracht und genehmigt wird.

Deshalb möchten wir uns auch dafür einsetzen und die Landesregierung in dem Bestreben unterstützen, dass durch eine Veranschlagung in der mittelfristigen Finanzplanung genau das passieren kann. Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen brauchen Planungssicherheit. Sie haben uns an ihrer Seite.

Willkommen im Klub, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! Ich freue mich im Interesse unserer Kommunen über die große Einmütigkeit an der Stelle. Ich kann nur sagen: Dann kann das, was wir in Berlin im Interesse der Kommunen verhandelt haben, ja nicht so schlecht gewesen sein. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kuper.

André Kuper (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf mich zunächst einmal den startenden Worten des Kollegen Körfges anschließen: Dieser Aktuellen Stunde hätte es nicht bedurft, um unsere gemeinsame Position an der Stelle zu bestätigen.

Eine Zahl sagt mehr, als die ganzen Vorwürfe, die zunächst von der FDP-Fraktion hier in den Raum gestellt worden sind, nämlich 6,5 Milliarden € Entlastung in NRW für die Kommunen durch den Bund. Das ist eine sehr gute Leistung. Das ist eine Summe, um die allein die nordrhein-westfälischen Kom-munen in den kommenden Jahren – von 2014 bis 2017 – vom Bund entlastet werden. Bei dieser Sum-me kann wohl keiner ernsthaft von den Kommunen als Verlierer der Großen Koalition sprechen.

Mit diesen 6,5 Milliarden € wird eines ganz deutlich: Der Bund kommt seiner Verpflichtung und Verantwortung für die Kommunen nach, und das, obwohl nach dem Grundgesetz die Länder für die kommunale Ausstattung verantwortlich sind. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass der Bund viel zur Verbesserung der Kommunalfinanzen beiträgt.

Wir alle wissen: Das war nicht immer so. In den Zeiten der rot-grünen Bundesregierung wurde 2003 der Grundstein für die heutige besorgniserregende Lage der Kommunen gelegt. Im Zuge der Hartz-IV-Gesetzgebung wurde den Kommunen mal eben die Finanzverantwortung unter anderem für die Grundsicherung aufgebürdet. Das sind heute mehr als 4,7 Milliarden € jedes Jahr. Und das sind die Soziallasten, die heute die Haushalte der Städte und Gemeinden dominieren und sprengen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wie hat die CDU bei diesem Thema abgestimmt?)

Wegen dieser Kosten müssen hier in Nordrhein-Westfalen Kassenkredite aufgenommen werden. Das sind mittlerweile mehr als 25 Milliarden €. Das ist mehr als die Hälfte der bundesweiten Kassenkredite.

Der Bund hat diese rot-grünen Fehler im Jahr 2011 korrigiert und sich schrittweise der Kosten der Grundsicherung angenommen. Das ist und wird die größte Kommunalentlastung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sein. Damit werden die Kommunen von 2012 an bis zum Jahr 2020 um mehr als 50 Milliarden € entlastet. Für NRW bedeutet diese Entlastung in 2014 rund 1,35 Milliarden €. Das ist übrigens dreimal mehr, als das Land selber in den Stärkungspakt Stadtfinanzen real einbringt.

Der Bund leistet diese Hilfe dauerhaft, unbefristet und inklusive aller Steigerungen. Hier habe ich noch nicht einmal die sonstigen kommunalen Entlastungen der Bundesregierung bei der U3-Kinderbetreuung, bei den Kosten der Unterkunft und Heizung oder auch bei den Entflechtungsmitteln, die weiter gezahlt werden, eingebaut.

Zusätzlich hinzu kommt die zugesagte Soforthilfe des Bundes ab dem Jahr 2015 in Höhe von 1 Milliarde € bei der Eingliederungshilfe. Die Bundesregierung hat das gerade mit ihrem Eckwertebeschluss zum Ausdruck gebracht und damit auch Klarheit in die Diskussion.

Diese Entlastung soll zunächst vorübergehend im Wege der Erhöhung des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer vorgenommen werden, ehe die Kommunen letztlich im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes, welches ja 2016 eingebracht werden soll, dauerhaft mit 5 Milliarden € entlastet werden sollen. Für NRW ist das eine wertvolle Entlastung: immerhin 240 Millionen € ab dem nächsten Jahr. Ich denke, das hilft.

Auch wenn es sicherlich von uns allen anders gewünscht wäre: Der Koalitionsvertrag – und das hat auch Herr Abruszat eben bestätigt – enthält entgegen anderslautenden Äußerungen keine Vereinbarung zur zeitlichen Schiene.

Bei den Koalitionsverhandlungen wäre übrigens laut einer Pressemitteilung des KPV-Bundesvorsitzen-den, MdB Liebing, vom 17. März ein Mehr für die Kommunen erreichbar gewesen.

Man kann auch noch an der einen oder anderen Stelle darüber diskutieren, ob die notwendige Entlastung der Kommunen über die Eingliederungshilfe richtig ist.

Für mich ist das eher fraglich, weil die Verteilung bzw. die Kostenträgerschaft in den Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Während die Kommunen in Nordrhein-Westfalen 100 % und damit alles bei der Eingliederungshilfe tragen müssen – nicht umsonst geht es den Kommunen schlecht –, werden in anderen Bundesländern, wie Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Hol-stein, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg, die Kosten ganz oder teilweise von den Ländern getragen. Daher stellt sich die Frage, wie die Entlastung bei den Kommunen ankommen soll.

Fazit ist, meine Damen und Herren: Der Bund ist und bleibt ein verlässlicher Partner der Kommunen. Die Kommunen sind ein Gewinner der Großen Koalition. Das ist an vielen positiven Zahlen deutlich feststellbar.

Auch wir von der CDU-Landtagsfraktion stehen selbstverständlich weiterhin zu dem gemeinsamen Landtagsbeschluss vom 29. Oktober 2010.

Meine Damen und Herren, die gerade angesprochenen Zahlen und Informationen belegen: Die kommunalfreundliche Politik der Bundesregierung wird fortgesetzt. Die regierungstragenden Fraktionen von Rot-Grün hier im Landtag sind allerdings auch gefordert, ihren eigenen Beitrag zu leisten und einen ganzheitlichen Ansatz zu bringen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wie hat denn die CDU abgestimmt?)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon einigermaßen beeindruckt von allen meinen Vorrednern, die heute vorgetragen haben, welche Windungen und Schwingungen zur Beurteilung verschiedener Sachverhalte hier an den Tag gelegt worden sind.

Um es klarzustellen: Ich finde es nicht in Ordnung, dass die schwarz-rote Koalition in Berlin in der Frage des Zeitpunktes der Entlastung Fragen offen lässt.

(Armin Laschet [CDU]: Da ist gar nichts offen!)

– Doch, es ist offen. Herr Barthle, CDU-Obmann im Haushaltsausschuss, sagt: frühestens 2018. Wir können auch gar nicht verstehen, warum die Kommunen sich so aufregen. Denen geht es so gut wie nie zuvor.

Das steht im krassen Widerspruch zu dem, was Herr Kuper hier im Landtagsplenum und im kommunalpolitischen Ausschuss in den letzten Monaten vorgetragen hat. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zweitens. Herr Kollege Körfges, es ist völlig richtig, dass man die Frage der fachlichen Einbindung der Eingliederungshilfe sorgfältig diskutiert. Es ist auch nicht in Ordnung, das alleine auf fiskalische Entlastung abzustellen.

Was aber nicht passieren darf – deswegen ist ja unsere Einigung hier im Landtag auch so wichtig –, ist, dass die fachliche Frage genutzt wird, um den zeitlichen Aspekt so weit nach hinten zu schieben, dass man sich dahinter verstecken kann. Das darf natürlich auch nicht passieren.

Deswegen ist es wichtig, dass die Landesregierung ein klares Signal vom Parlament bekommt. Wir wollen die schnellstmögliche Entlastung. Wir von den Grünen hätten uns das sicherlich sehr schnell vorstellen können. Wir haben daran zu arbeiten. Die Bundesregierung hat schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der diese fachlichen Aspekte ausarbeitet und auch die finanzielle Entlastung vor Ort ankommen lässt. Denn die ist notwendig, um andere sozialpolitisch notwendige Entlastungen auch in den Kommunen wirklich werden zu lassen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wie nonchalant Sie von der Partei, die die Kommunen bis 2010 bekämpft hat – das muss ich schon sagen –,

(Zurufe von der FDP: Oh!)

jetzt zum Retter der Kommunen werden, finde ich schon abenteuerlich.

Um auch mal einen Unverdächtigen zu zitieren, nämlich den Fraktionsvorsitzenden der FDP-Fraktion im Landschaftsverband Westfalen-Lippe: Der sagt nämlich 2012 in Bezug auf das Thema „Eingliederungshilfe“ etwas anderes als Ihr Antrag zur Aktuellen Stunde suggeriert. Sie schreiben nämlich:

„Auf Initiative der früheren schwarz-gelben Koalition übernimmt der    Bund seit Anfang 2014 die vollständigen Kosten für die Grundsicherung im Alter.“

Der Kollege aus Westfalen-Lippe sieht das aber eher so:

Die FDP-Fraktion beim LWL begrüßt die Ankündigung dieses Bundesleistungsgesetzes auch, wenn die Verantwortungsübernahme durch den Bund bedauerlicherweise erst durch die Diskussion um den Fiskalpakt erreicht worden ist.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

So viel zur FDP-Einschätzung zu dieser Frage.

Ich kann auch nur daran erinnern, dass die FDP sich im Bundesrat erst hat treiben lassen müssen, um die Entlastung bei der Grundsicherung im Alter durchsetzen zu können.

(Zuruf von Kai Abruszat [FDP])

– Herr Kollege Abruszat, ein Zitat werde ich Ihnen auch nicht vorenthalten. Das hat nämlich Ihr Vorgänger, Herr Kollege Engel, noch immer auf seiner Homepage stehen. Das ist sehr schön, dass er die nicht gelöscht hat und die immer noch frei zur Verfügung steht. Er sagte im kommunalpolitischen Ausschuss 2010:

„Die betroffenen Kommunen brauchen einen „Masterplan“, den sie zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern entwickeln, um über die Parteigrenzen hinweg den Einstieg in eine nachhaltige Finanzpolitik zu schaffen.“

Soweit kann man noch folgen.

„Geradezu kontraproduktiv von SPD und Grünen ist es, den klammen Kommunen ihre Hilflosigkeit einzureden.“

Einzureden, Herr Kollege! Die sind also gar nicht hilflos, sondern SPD und Grüne reden denen die Hilfslosigkeit noch ein. Das nimmt diesen Städten und Gemeinden den letzten Schwung, um den Mentalitätswechsel zu erreichen.

Jetzt kommt es – halten Sie sich bitte fest –:

„Im kommunalpolitischen Ausschuss wurde deutlich, dass auch Oberhausen aus eigener Kraft einen ausgeglichenen Haushalt erreichen kann.“

Soviel zur Kompetenz und finanzpolitischen Einschätzungsfähigkeit von Herrn Dr. Wolf und Herrn Engel in ihrer aktiven Regierungszeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

(Christian Lindner [FDP]: Das ist schon vier Jahre her!)

– Das ist wichtig.

(Lachen von der FDP)

Herr Lindner, Sie würden das auch heute noch sagen, wenn Sie nicht außerparlamentarische Opposition im Bund und hier parlamentarische Opposition wären. Sobald Sie nicht Regierungsverantwortung haben, sind Sie ganz geschmeidig.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Aber so lange Sie Regierungsverantwortung haben, erzählen Sie einfach unverantwortlichen Kram in die Welt hinein. Das finde ich nicht in Ordnung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wie ist die Aktuelle Stunde hierher gekommen? – Ich habe ja eben fast schon meinen Ohren nicht getraut, als mir auf dem Gang zugerufen wurde, die FDP möchte jetzt dem Antrag, den SPD und Grüne ausgehandelt haben, beitreten. Da habe ich mich gefragt: Warum haben die am Montag diesen Antrag geschrieben, wenn die jetzt diesem Antrag von SPD und Grünen und jetzt eben von SPD, Grünen und FDP zustimmen können?

(Beifall von Armin Laschet [CDU] – Zuruf von Kai Abruszat [FDP])

Damit habe ich intellektuelle Probleme. Aber natürlich habe ich keine Schwierigkeiten damit, die FDP auf einen vernünftigen Antrag der Koalition mit drauf zu nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Herr Kollege Laschet, weil Sie sich gerade so freuen, möchte ich natürlich diese Freude nicht allzu lange währen lassen. Ich finde, dass es nicht in Ordnung ist, dass Herr Dr. Schäuble eine Finanzplanung vorlegt, die die Entlastung für diese Legislaturperiode nicht vorsieht.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Bitte setzen Sie sich auch im Interesse von Nordrhein-Westfalen dafür ein, dass die volle Entlastung noch in dieser Legislaturperiode möglichst früh kommt und dass nicht nur Nordrhein-Westfalen, sondern alle Kommunen von einem vernünftigen Bundesteilhabegesetz profitieren können. Da sind auch Sie als stellvertretender Bundesvorsitzender und als Vorsitzender im größten Bundesland massiv in der Verantwortung.

Wir als Koalition haben uns hier klar positioniert. Wir Grünen sind der Auffassung, dass wir sehr schnell handeln müssen, dass das Versprechen, das Sie und Sie von der FDP in der alten Legislaturperiode noch abgegeben haben, schnellstmöglich umzusetzen ist. Wir brauchen finanzpolitische Verlässlichkeit und kein parteipolitisches Geplänkel, liebe Kollegen von der FDP, sondern Fakten, die den Kommunen und den Menschen, die davon betroffen sind, unmittelbar helfen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und Hans-Willi Körfges [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und zu Hause am Stream! Haben Sie auch die Ausführungen der Vertreter von SPD und CDU hier im Plenum gehört? Sind Sie genauso verwundert, mit welchem Wortreichtum man das eigene Unterlassen an Hilfeleistungen beschreiben und beschwichtigen kann?

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Die Rede war geschrieben, bevor Sie geredet haben!)

– Ich wusste, was Sie sagen würden, Herr Körfges, und muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich möchte es fast als Sternstunde bezeichnen, dass Sie eben – das können Sie im Protokoll nachlesen – im Prinzip den Stärkungspakt infrage gestellt haben.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

– Weil Sie von den Bedingungen gesprochen haben. Das hatten Sie noch vor einiger Zeit im Ausschuss abgestritten.

Im Rahmen der Haushaltsberatungen 2012 hat sich die Piratenfraktion hier im Landtag NRW für eine Erhöhung der Verbundquote um einen mageren Prozentpunkt ausgesprochen. Sie wurde für diese Forderung regelrecht ausgelacht. Auch die Presse ist über uns hergefallen und hat gefragt: Wer soll denn das bezahlen? – Heute stehen wir vor der Situation, dass es an allen Ecken und Enden fehlt. Der Deutsche Städtetag beklagte schon seinerzeit, dass er das immer noch – immer und immer wieder – fordert. Der Landkreistag forderte just in 2012 noch mehr, nämlich eine Erhöhung um 4,5 % auf 28,5 %. Nun gut, das ist Schnee von gestern.

Heute stehen wir hier und diskutieren auf Wunsch der FDP, die sich damals übrigens ebenfalls gegen unseren Vorstoß verwahrt hatte, über die Finanznot der Kommunen in NRW. Wolfgang Schäuble preist seine schwarze Null und zieht damit durch jede Fernsehsendung, die ihn ranlässt, zuletzt am 23. März in „Berlin direkt“. Das waren eine bemerkenswerte Sendung und auch ein bemerkenswertes Interview. Sehr verehrte Damen und Herren, ich muss festhalten, dass auch ich schwarzsehe, aber keine schwarze Null, sondern schwarz für die Kommunen in NRW.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Diskussion um die Einhaltung der Schuldenbremse, die auch Herr Schäuble immer so gerne mitführt, gibt allen Kritikern recht, die diese Ausrichtung bemängelt haben. Die Kommunen sind dabei das schwächste Glied in dieser Konstruktion. Gleichzeitig wurden ihnen nämlich immer mehr Steuerquellen weggenommen und in den Verantwortungsbereich des Bundes verlegt.

Sollte sich also Schwarz-Rot im Bund weiterhin auf Kosten der Kommunen in NRW sanieren wollen, stellt sich ernsthaft die Frage, welche Rolle Sie, Frau Ministerpräsidentin, in der SPD überhaupt noch spielen. Ich erinnere daran, dass Sie, Frau Ministerpräsidentin, nebst Gefolgschaft – im Tross befanden sich zahlreiche Bürgermeister – während der Koalitionsverhandlungen nach Berlin gezogen sind, um das Beste für NRW herauszuholen. Heute zeigt sich, dass das wohl nichts anderes als eine Schwarze-Null-Nummer war; denn, um es ganz klar zu sagen, vom Bundesteilhabegesetz, dessen Umsetzung wir in den nächsten Jahren noch erwarten, und von den Eingliederungshilfen, die heute auch schon festgelegt sind, können wir heute gar nicht reden.

Das Bundesteilhabegesetz wird erst noch verabschiedet. Aber wann? – Irgendwann im Laufe der Legislaturperiode, und es wird sich keine Auswirkung zugunsten der Kommunen zeigen, die sich im Laufe der Legislaturperiode des Bundes bis 2017 genauso wie in der des Landes bis 2017 ergeben wird.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Ja, aber das hat nichts mit den zusätzlich versprochenen Hilfen – von den 5 Milliarden €, von denen hier die Rede ist – zu tun. Schließlich ist ein Koalitionsvertrag im Bund kein Testament, welches erst dann in Kraft tritt bzw. seine Auswirkungen zeigt, wenn die Koalitionslegislatur beendet ist. Stattdessen blutet das Ruhrgebiet aus, und die CDU, aber auch die SPD gucken zu. Meine Damen und Herren, das sollte hier jedem klar sein. Das ist die Realität. Wir Piraten fordern eine sofortige Entlastung aller Kommunen, wie im Koalitionsvertrag beschrieben.

Der GroKo-Vertrag verspricht eine Entlastung der Kommunen bei Deckung der Grundsicherung in Höhe von 5 Milliarden €. Das verspricht der Vertrag aber eben, wie gesagt, lediglich ab 2018. Während der Legislatur im Bund wird bestenfalls lediglich ein Betrag von 3 Milliarden € herauskommen. Ich sagte gerade: „kein Testament“. Die Hilfen sollten während der laufenden Legislaturperiode, nämlich bereits ab 2014, greifen.

Auch wenn sich der Bundesfinanzminister bei „Berlin direkt“ weiterhin dreht und wendet: Die beschriebenen Maßnahmen sind eben sofort notwendig, und da werden Sie wohl mit allem, was Ihnen zur Verfügung steht, Frau Ministerpräsidentin, handeln müssen. Der Bund profiliert sich nämlich hier auf Kosten der Kommunen in NRW. Ich will da ausnahmsweise der Argumentation der FDP gemäß der Beantragung dieser Aktuellen Stunde folgen. Sie, verehrte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen der CDU und auch der SPD, applaudieren diesem Treiben und reden das heute hier im Hause weiterhin schön.

Weder das Land NRW noch der Bund stecken in den Klauen des Stärkungspaktes Stadtfinanzen. Der Fiskalpakt ist die nächste Zwickmühle, in der wiederum das Land NRW und die Kommunen stecken. Mit diesem Koalitionsvertrag auf Bundesebene werden die Kommunen hinten runterfallen. Da nützt es nichts, wenn Herr Schäuble im Bund die schwarze Null für sakrosankt hält. Ich kann Ihnen versichern: Wir Piraten werden im Kommunalwahlkampf den Bürgerinnen und Bürgern klarmachen, dass all die Versprechen, die ihnen gemacht werden, bloße Lippenbekenntnisse, Nullnummern, sind.

(Beifall von den PIRATEN)

Das sind aber eben keine schwarzen Nullen, sondern Nullen, die kraftlos hier ins Hohe Haus gepustet werden. In Wahrheit lässt das Land die Kommunen mit ihren Aufgaben strukturell und individuell im Regen stehen.

Noch einmal: Der Bund saniert sich. Weder das Land NRW noch die Kommunen in NRW können dies. Der Bund will und wird die Schuldenbremse erreichen. Aber um welchen Preis? – Um den Preis der Kommunen. Es wird allgemein verkannt, dass die Kommunen nicht aus diesem Schuldensumpf herauskommen werden – nicht bis 2017 und höchstwahrscheinlich auch nicht bis 2020. Stattdessen wird versucht, den Kommunen Sand in die Augen zu streuen und ihnen zu versichern, dass zum Beispiel so etwas wie der Kommunal-Soli für sie die Rettung bedeutet. Stattdessen wird es bei der Mangelverwaltung – wie in über 60 Kommunen, wie in Nideggen und Altena – bleiben, und der Horror wird größer und nicht kleiner.

Schauen wir in den Haushalt des Bundes für 2014: Nichts davon, was hier versprochen worden ist, steht darin. Wer aber will diese schwarze Null, wenn das Land wie die Kommunen weiterhin mit Schuldenhaushalten aufwartet, wenn weiterhin keine strukturellen Verbesserungen der Landesfinanzen präsentiert werden, wodurch die Menschen entlastet werden, wenn in Wuppertal die Schwebebahn in die Wupper fällt, …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Ja, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.

… wenn in Essen die U-Bahn stillsteht oder wenn – egal wo in NRW – Kitas geschlossen, Schwimmbäder dichtgemacht oder Turnhallen wegen Baufälligkeit stillgelegt werden?

Abgesehen davon müssen wir auch noch berücksichtigen, dass – betrachten wir die Nothaushalte und die Sparkommissare in den Gemeinden Nideggen und Altena; weitere werden dazu kommen – im Prinzip auch noch ein Verfassungsbruch …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dietmar Schulz (PIRATEN): … in Bezug darauf ansteht, dass hier die Selbstverwaltung geopfert wird. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde hat einen ernsten und wichtigen Hintergrund. Ich glaube, dass bei der Debatte heute ein Thema viel zu sehr in den Hintergrund geraten ist. Es ist nämlich die Aufgabe dieses Jahrzehnts, Menschen mit Behinderungen eine Teilhabe in allen gesellschaftspolitischen Bereichen zu gewährleisten.

Bei der politischen Debatte um die Umsetzung der UN-Konvention wird manchmal aus dem Auge verloren, dass dies eine Aufgabe aller staatlichen Ebenen ist – des Bundes, des Landes und der Kommunen. Wir sollten bei allem Streit um Konnexität und Beteiligung des Bundes an den Eingliederungshilfen nicht vergessen, dass es dabei um Teilhabe von Menschen geht, die zurzeit eben nicht in allen gesellschaftspolitischen Bereichen unserer Zeit teilhaben können. Das sollten wir bei der Debatte um Finanzen und dergleichen nicht aus den Augen verlieren.

(Beifall von der SPD)

Ich gebe gerne zu: Als ich gerade auf meinem Platz sitzend erfahren habe, dass die FDP dem Entschließungsantrag der regierungstragenden Fraktionen beitreten will, war ich ein wenig verwundert. Das führt dann dazu, dass Redekonzepte in großen Teilen zu streichen sind. Aber das ist ja gut.

Ich nehme zur Kenntnis, dass die FDP jetzt die Fraktion der Rächer der Enterbten, der Witwen und Waisen und der Kommunen ist.

(Heiterkeit – Zurufe: Oh!)

Ach, hätten Sie diese Haltung doch auch einmal gehabt, als Sie Regierungsverantwortung hatten, meine Damen und Herren von der FDP!

(Beifall von der SPD)

Das wäre viel besser gewesen. Ich erinnere an Befrachtungen für die Kommunen im GFG und all das, was Sie zulasten der Kommunen in Ihrer Regierungsverantwortung veranlasst haben.

Ich möchte gerne einen Punkt streifen, der hier mehrfach zur Sprache gekommen ist und bei dem eine gewisse Legendenbildung stattfindet. Das ist die Entlastung bei der Grundsicherung durch den Bund. Man muss schon die Geschichte zurate ziehen, wenn man ein solches Thema umfassend verstehen will.

(Zurufe von der FDP)

Richtig ist, Herr Abruszat: Seinerzeit hat die Große Koalition eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 % auf 19 % beschlossen

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

und 1 Prozentpunkt davon der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellt. Das heißt, diese 1 Milliarde € oder dieser eine Prozentpunkt wurde nicht – wie üblich bei der Mehrwertsteuer – 47 % zu 53 % geteilt, sondern hat der Bund behalten und alleine der Bundesagentur zur Verfügung gestellt. Tatsache ist auch: Mit der Vereinbarung der Übernahme der Grundsicherung hat der Bund diese 1 Milliarde € bzw. diesen einen Prozentpunkt der Bundesagentur wieder entnommen.

Um es deutlich zu sagen: Ohne Nordrhein-West-falen hätte es keine Entlastung bei der Grundsicherung gegeben. Fakt ist auch: Das ist eine Finanzierung, die zur Hälfte von den Ländern getragen worden ist, meine Damen und Herren von der FDP. Deshalb unterlassen Sie bitte diese Legendenbildung. Wichtig ist: Wir haben das Ganze gemeinsam beschlossen, Bund und Länder, zugunsten der Kommunen.

(Beifall von der SPD)

Ich glaube, zu Recht sagen zu dürfen, dass die Beteiligung des Bundes bei der Eingliederungshilfe richtig ist. Denn ich glaube, dass es immer richtig ist, dass, wenn eine staatliche Ebene die Leistungsgesetze beschließt, sie auch die Dynamik im eigenen Haushalt spüren muss. Deshalb war es gut, dass auf den Druck von Nordrhein-Westfalen diese Entlastung, diese Beteiligung in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, eines ist auch klar: Wir haben es hineinverhandelt, und wir werden darauf achten, dass es auch umgesetzt wird.

(Beifall von der SPD)

Wenn man sich den Internetauftritt des Bundesfinanzministeriums anschaut und dort die Pressemitteilungen der letzten Tage durchstöbert, wird man feststellen, dass der Bundesfinanzminister angekündigt hat, dass 2018 die vollständige Entlastung für die Kommunen in der Größenordnung von 5 Milliarden € wirken soll: 2015, 2016, 2017 jeweils 1 Milliarde €, ab 2018 5 Milliarden €.

Um es deutlich zu sagen: Das ist uns zu spät. Wir werden in den Verhandlungen mit dem Bund sehr konstruktive, sachliche Gespräche führen mit dem Ziel, dass diese Entlastungen früher wirken, damit sie früher bei den nordrhein-westfälischen Kommunen ankommen; denn sie werden benötigt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Biesenbach.

Peter Biesenbach (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung dieser heutigen Aktuellen Stunde erkennen Sie schon daran, dass die Rednerliste bereits zusammengestrichen wird und einige Redner, die noch auf der Liste standen, schon verzichtet haben.

Lieber Herr Abruszat, das sollte der FDP doch wirklich zu denken geben. Sie sollten sich überlegen, ob das denn heute der große Aufschlag ist, den Sie sich vorgenommen und den Sie uns versprochen hatten.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Wir machen das doch nicht von Ihnen abhängig!)

– Sie sollten es nicht von uns abhängig machen. Sie sollten es nur davon abhängig machen, ob sich diese Fragestunde lohnt.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Natürlich lohnt die sich!)

– Sie sagen, natürlich, aber das Tempo, mit dem Sie die Kurve kriegten, ist schon erstaunlich. Am 13. März 2014 ist der Kollege Abruszat noch pressemäßig zu vernehmen, indem er der Bundesregierung offenen Wortbruch vorwirft, was die kommunale Unterstützung angeht.

Heute bleibt davon weiß Gott nicht viel übrig, nicht einmal ein Säuseln. Ich kann gar nicht verstehen, wie schnell man auf diesen Entschließungsantrag springen konnte,

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Weil der gut ist!)

den SPD und Grüne für den kommunalpolitischen Ausschuss angekündigt haben.

(Zuruf von der SPD)

– Ich komme gleich darauf. – Das hätten Sie deutlich billiger haben können, indem Sie gar nicht erst groß versucht hätten, hier etwas zu konstruieren, was es gar nicht gibt.

(Zuruf: Na ja!)

Ich hätte so gerne von Ihnen gehört, Herr Abruszat, wo denn der Wortbruch vorgelegen haben soll – aber keine einzige Quelle, wo etwas versprochen wurde, das nicht gehalten wird! Sie versuchen hier einen Popanz aufzubauen – Herr Mostofizadeh, daran sind auch die Grünen nicht ganz unbeteiligt –, der aber nur aus heißer Luft besteht.

Denn alles das, was zugesagt worden ist, wird auch umgesetzt. Es gibt jemanden, der das belegt und der aus Unionssicht unverdächtig ist. Ich darf den Oberbürgermeister aus Gelsenkirchen zitieren, Herrn Baranowski,

(Zuruf von der SPD: Guter Mann!)

der sich am 9. Dezember 2013, kurze Zeit nach Abschluss des Koalitionsvertrags, in einer Presseerklärung Folgendermaßen vernehmen ließ – ich zitiere –:

„Die Unterstützung für die Kommunen bringt endlich die lange notwendige Entlastung von den Sozialausgaben und hilft, die Investitionskraft der Städte und Gemeinden wieder zu stärken.“

Und ein Stückchen weiter:

„Die Zusage im Koalitionsvertrag, jährlich 1 Mrd. aufzubringen, um den Kommunen schon ab 2015 zu helfen,“

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Haben Sie auch gelesen, was der heute sagt? – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] hält ein DIN  A4-Blatt in die Höhe.)

„werten die Kommunen allerdings als Zeichen des guten Willens.“

Da ist die Zahl, genannt von Frank Baranowski. Wir könnten ihn fragen, ob er es heute vergessen hat. Dafür wiederholt am 3. März 2014 der Duisburger Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir das Kompliment:

Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU enthält seit Langem erstmals wieder einen kommunalfreundlichen bundespolitischen Konsens. Das ist die Wirklichkeit, und das sind die Fakten.

Und wenn Sie dem Kollegen Kuper zugehört haben, dann können Sie nur bestätigen, dass der Bund die Kommunen bereits in der vergangenen Legislaturperiode so stark entlastet hat wie noch nie zuvor. Und dieser Weg wird gemeinsam weitergegangen.

Also frage ich Sie: Wo sind Ihre Ansätze zur Kritik? Und wenn Sie meinen, Herr Kollege Abruszat, die 1 Milliarde € ab 2015 sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, dann will ich gerne festhalten, dass das deutlich mehr ist, als der von Ihnen mitgetragene Stärkungspakt. Wo sind denn die großen Aktionen? Wo sind denn die Aktivitäten? Die hätte ich heute gerne gesehen. Darum kann ich mich der Feststellung, diese Aktuelle Stunde hätten wir weiß Gott nicht gebraucht, nur voll und ganz anschließen.

Herr Hübner, ich möchte noch Folgendes zum Entschließungsantrag sagen. Ich kann dafür deutliche Sympathie unsererseits erklären, weil dort nichts Neues drinsteht. Wir haben das im Oktober 2010 beschlossen. Wir waren dabei, und wir können uns gut vorstellen, auch diesem Antrag im Ausschuss beizutreten, allerdings nur, wenn Sie die Lobhudelei für den Stärkungspakt herausnehmen,

(Marc Herter [SPD]: Ach!)

denn der ist nun wirklich kein Grund zum Jubeln. Was haben Sie denn da gemacht? – Sie haben die Befrachtung herausgenommen. Okay, aber das war auch schon 2010.

(Lachen von Hans-Willi Körfges [SPD])

Das Einheitslastenausgleichsgesetz wurde auch nicht freiwillig gemacht. Dafür hat der Verfassungsgerichtshof gesorgt. Was haben Sie gemacht? –

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Sie haben, Herr Körfges, den Kommunal-Soli sowie die GFG-Befrachtung eingebracht und den Anteil der Kommunen, die mit Ihnen deswegen erneut zum Verfassungsgerichtshof gehen. Und Sie lassen 116 Kommunen im Nothaushalt und in der Haushaltssicherung völlig alleine. Das ist Ihr Stärkungspakt.

Wenn Sie allerdings sagen: „Wir sind bereit, diesen aus dem Entschließungsantrag herauszunehmen, weil er mit Berlin nichts zu tun hat“, dann können wir uns durchaus vorstellen, diesen Antrag ebenfalls mitzutragen, denn die Berliner Richtung ist die richtige.

Bevor Sie, Herr Kollege Körfges, jedoch zu viel Weihrauch für die SPD verbrauchen, sollten Sie sich vielleicht noch einmal die Presseerklärung des Bürgermeisters von Altena durchlesen, die er kürzlich herausgegeben hat.

(Serdar Yüksel [SPD]: Der kann nicht sparen!)

Darin sagt er ganz deutlich:

„Es soll an einer kleinen Stadt gezeigt werden, wie hart die Landesregierung eingreift, um der Finanzwelt vorzuspielen, dass das System der Kommunalfinanzierung in NRW noch funktioniert.“

(Serdar Yüksel [SPD]: Der Bürgermeister kann nicht sparen! Null!)

Das sind die Attacken. Weiterhin sagt er:

„Jetzt wird den Menschen in Altena vom Innenminister in die Tasche gelangt und der Standort gefährdet, um das ungerechte und unzureichende Landesfinanzierungssystem nicht infrage zu stellen.“

Daran sollten Sie arbeiten, nicht an nebulösen Situationen in Berlin, die ohnehin funktionieren.

(Beifall von der CDU)

Hier gibt es Handlungsbedarf, in Nordrhein-West-falen. Wir bieten Ihnen an, das gemeinsam zu machen. Aber die Einkehr, dass daran etwas zu ändern ist, bräuchten wir Ihrerseits.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe und bevor die Sitzungsleitung in wenigen Minuten auf den ersten Vizepräsidenten übergeht, liebe Kolleginnen und Kollegen, werde ich jetzt Rügen aussprechen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich noch einmal an den Beschluss zur Nutzung von Laptops und Notebooks im Plenarsaal erinnert. Ich habe die anwesenden Kolleginnen und Kollegen gebeten und damit an sie appelliert, diesem Beschluss nachzukommen.

Diejenigen, denen ich jetzt gleich eine Rüge erteilen werde, waren zu diesem Zeitpunkt im Raum, sodass ich davon ausgehen muss, dass die fortgesetzte Nutzung von Notebooks und Laptops und damit der Verstoß gegen den Beschluss, der hier gilt, kein Versehen und kein Irrtum sein können. Deshalb spreche ich jetzt Rügen aus gegen die Kollegen Schmalenbach, Marsching, Sommer und Wegner.

Jetzt hat Herr Kollege Hübner für die SPD-Fraktion das Wort.

Michael Hübner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haarscharf an der Sache vorbeiargumentiert, Herr Kollege Biesenbach! Das möchte ich zunächst einmal in Bezug auf Altena anführen.

Herr Kollege Biesenbach, Sie wissen – und das steht weder in den Verlautbarungen Ihrer Fraktion noch der anderen Fraktionen oder in der Pressemitteilung des Bürgermeisters von Altena –, dass wir eine Neuberechnung durchgeführt haben. Diese hat zu einem Dialog des Stärkungspaktes auch mit Ihrer Fraktion geführt und die Fragestellung aufgeworfen: Inwieweit sind die Mittel richtig verteilt, und inwieweit bestehen strukturelle Lücken?

Wenn Sie sich das im Konkreten anschauen, werden Sie feststellen, dass die Stadt Altena mit unserem Stärkungspaktänderungsgesetz über 200.000 € mehr zur Verfügung gestellt bekommen hat, als zunächst errechnet worden ist. Auch das war ein deutliches Signal gegenüber der Stadt Altena, nämlich dass wir deren Bemühungen sehr wohl anerkennen und auf dem Weg sind, diese massiv zu unterstützen, das auch in Zukunft zu tun.

Darüber hinaus ist es in der Tat richtig, dass das in anderen Städten nicht zu großem Jubel geführt hat. Der Bürgermeister von Altena hat in seiner Presseerklärung – Sie merken, dass ich sie sehr wohl zur Kenntnis genommen habe – auf die Stadt Oberhausen hingewiesen und gesagt, die Stadt Oberhausen wolle eine Ausnahme in Anspruch nehmen, die der Stadt Altena nicht zustehe.

Ich möchte hier im Plenum einmal sagen, warum das so ist. Die Stadt Oberhausen erhält seit der Neuberechnung wesentlich weniger Mittel. Das erklärt gleichwohl, dass sie den Haushalt zu einem späteren Zeitpunkt ausgleichen kann. Die Stadt Altena hingegen erhält im Verhältnis sehr viel mehr Mittel zum Haushaltsausgleich, will diesen jedoch nicht einhalten.

(Beifall von der SPD)

Was der Bürgermeister dort erklärt, ist nicht in Ordnung. Und das werde ich ihm bei Gelegenheit in einem persönlichen Gespräch auch sagen.

In welcher Hinsicht Sie und auch Ihr Kollege Kuper ebenfalls haarscharf an der Sache vorbeigeschrammt sind, möchte ich ebenfalls noch einmal erwähnen. Sie haben gerade noch einmal deutlich dargelegt, dass Sie die Bundesregierung für absolut kommunalfreundlich halten. Dafür haben Sie noch einmal die 6,5 Milliarden € angeführt, die sich übrigens ab dem Jahr 2014 in der Summierung bei der Grundsicherung im Alter als Entlastung für das Land Nordrhein-Westfalen ergeben.

Es ist bereits mehrfach gesagt worden, dass das wenig damit zu tun hat, dass es eine schwarz-gelbe Bundesregierung gegeben hat, die sonderlich kommunalfreundlich war.

Es war im Übrigen das Gesetz zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen, über das wir uns unterhalten.

Dort hat die Minderheits-Landesregierung aus Nordrhein-Westfalen bei den Fiskalpaktgesprächen eingefordert, dass es eine Kompensation für die Zustimmung beim Hartz-IV-Kompromiss geben muss.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es war die Landesregierung aus diesem Land, die das eingefordert hat. Die Gespräche verliefen über mehrere Monate. Es gibt mehrere Stellungnahmen der Bundesregierung, wonach der Kompromiss, der von Nordrhein-Westfalen zur Entlastung vorgeschlagen worden ist, mehrfach durch die Bundesregierung abgelehnt wurde, mehrfach – das können Sie in den entsprechenden Bundesratsprotokollen zu dem Thema nachlesen –, bis es eine Zustimmung gegeben hat.

Was sagt uns das? Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat das nicht freiwillig zur Verfügung gestellt, sondern weil sie das Interesse hatte, bei dem Thema Hartz IV, bundesverfassungsgerichtlich auf den Weg gebracht, weiterzukommen. Sie hat das nicht freiwillig zur Verfügung gestellt. Ich bin auch nicht mehr bereit, mir anzuhören, dass das in irgendeiner Art und Weise anders gewesen sein soll, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

(Zuruf von Kai Abruszat [FDP])

Im Übrigen gab es hinsichtlich des Gesetzes zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen – ich bin sehr dankbar, dass wir das hier noch einmal zu Protokoll geben können – eine Kompensation, nämlich die entsprechende Absenkung der Zuweisung an die Bundesagentur, und zwar in der gleichen Größenordnung. Daraus auch noch einmal abzuleiten, dass die ehemalige schwarz-gelbe Bundesregierung eine kommunalfreundliche Bundesregierung war, ist schlicht Unsinn. Dabei bleiben wir.

Zum Thema „Kommunalfreundlichkeit dieser Landesregierung“ versuchen Sie seit 2010, jeden Aspekt infrage zu stellen. Ich will noch einmal auf Ihre Hilfe, die Sie Kompass I und Kompass II genannt haben, eingehen. Gerade haben Sie es niedlich abgetan: Wir haben eine Entfrachtung vorgenommen. – Das war eine Befrachtung zur Konsolidierung des Landeshaushaltes, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie wollten mit Kompass I und II diese Befrachtung im Prinzip stehenlassen, um die Gelder anderen Städten zu geben.

Damit hätten Sie eines gemacht: Sie hätten den Keil in die kommunale Familie richtig hineingetrieben. Da hilft auch keine Kritik an der Solidarumlage oder am sonstigen System: Sie haben den kommunalen Keil zwischen 2005 und 2010 hineingetrieben, indem Sie dreieinhalb Milliarden € entzogen haben. Sie hätten das auch weiterhin getan.

Gott sei Dank haben wir mit der Minderheitsregierung 2010 die Verantwortung für die Kommunen übernommen. Die Entlastung Jahr für Jahr von rund 1 Milliarde € für unsere 396 Städte und Gemeinden kann sich durchaus sehen lassen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Peter Biesenbach, Politik beginnt bekanntlich mit der Wahrnehmung der Realitäten. Und die Realität ist die, lieber Peter Biesenbach, dass die Kommunalfinanzen in Nordrhein-Westfalen anders als in anderen Bundesländern derart besorgniserregend und alarmierend sind, dass man sich nicht hier hinstellen und sagen kann: Das ist alles gar nicht so schlimm. – Da kann man hier nicht bagatellisieren.

Fakt ist, lieber Peter Biesenbach – das hat die heutige Debatte gezeigt, und deswegen war die Wortmeldung von dem Kollegen Biesenbach auch bezeichnend –: In Berlin gibt es 2014 null Euro für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Und in Berlin gibt es den großen Schluck aus der Pulle, die 5 Milliarden €, in dieser Bundestagswahlperiode offensichtlich nicht – Sie haben das eben auch dargestellt –, sondern erst ab 2018.

Das ist das Ergebnis der Debatte. Das ist auch deshalb das Ergebnis der Debatte, weil das Bundeskabinett die mittelfristige Finanzplanung beschlossen hat, die genau das aussagt, was der Kollege Biesenbach hier gesagt hat. Diese mittelfristige Finanzplanung haben auch die SPD-Bundesminister mit beschlossen. Genau deswegen machen wir hier die Aktuelle Stunde, Herr Kollege Biesenbach: Es ist zu spät, erst 2018 die Einigungshilfe anzupacken. Das ist zu spät!

(Beifall von der FDP)

Die Kommunen werden unter die Wasserlinie gedrückt, wenn wir nicht frühzeitiger damit anfangen. Deswegen ist die Unruhe in den Städten und Gemeinden und auch bei den Landschaftsverbänden, die die Einigungshilfe tragen, ganz besonders groß. Das ist doch der entscheidende Punkt. Deswegen kann ich nur sagen: Wenn diese Debatte heute dazu geführt hat, dass wir gemeinsam Anstrengungen unternehmen, dass die Entlastungseffekte eher greifen, dann hat sich diese Aktuelle Stunde an sich schon gelohnt.

Lieber Kollege Michael Hübner, wenn hier immer versucht wird, Geschichten zu erzählen und den Historiker zu mimen, dann will ich ganz ehrlich sagen: Wir können gerne einmal darüber sprechen, wer eigentlich Hartz IV eingeführt hat und wer die Kommunen damals bei der Einführung der Grundsicherung im Alter nicht entlastet hat.

(Beifall von der FDP)

Darüber können wir gerne reden. Lassen Sie endlich diese Dinge sein! Wir müssen die entsprechenden Dinge nach vorne diskutieren – nicht nach hinten. Wenn Sie Geschlossenheit in diesem Hause wollen, dann

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

diskutieren Sie nach vorne. Von mir aus verkaufen Sie die Entlastung der Grundsicherung im Alter als späten Erfolg von SPD – und von mir aus auch Grünen – im Bundesrat, weil Sie auch 2003 dieses Gesetz eingeführt haben, das die Kommunen belastet hat. Okay, elf Jahre später bekommen die Kommunen jetzt Geld. Das ist alles okay. Aber lassen Sie uns bei dieser Debatte bitte noch vorne schauen!

Fakt ist: Ich bin gespannt, wie Sie sich in Berlin durchsetzen werden. Sie haben heute versucht, das große Wort zu reden nach dem Motto, Sie seien Anwalt der kommunalen Familie.

(Michael Hübner [SPD]: Sind wir auch!)

Der Innenminister hat ebenfalls interessante Zitate heute zu erkennen gegeben, die wir Ihnen in den nächsten Wochen und Monaten immer wieder wunderbar vorhalten können, weil wir jetzt genau darauf achten werden, wie ernst Sie es in Berlin mit der kommunalen Entlastung meinen. Darauf werden wir jetzt genau achten.

Ich kann Ihnen sagen: Das ist genau das, was Ihnen am Ende des Tages, insbesondere im Ruhrgebiet, schwerfällt einzugestehen. Sie haben einen Mitgliederentscheid mit Ihren Mitgliedern gemacht, um diesen Koalitionsvertrag abzusegnen. Ein wesentlicher Baustein der Debatte dieses Mitgliederentscheides war: Die neue Bundesregierung gibt Geld für die kommunalen Kassen in Nordrhein-Westfalen. So! Heute haben wir hier verbrieft gehört: Der große Schluck aus der Pulle kommt in dieser Wahlperiode bis 2017, solange CDU und SPD regieren, nicht. Das ist Fakt. Das haben wir heute hier gehört.

Lassen Sie uns also jetzt gemeinsam auf der Basis dieses Entschließungsantrages beginnen, diese Bewegung zu erzeugen und auch die kommunale Familie bei diesem Thema mitzunehmen. Die Kommunen werden es uns danken, denn sie brauchen am Ende

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Ja, ja, ja!)

diese Entlastung. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP regt sich immer auf, wenn wir auf Dinge, die aus ihrer Sicht schon Ewigkeiten zurückliegen, hinweisen. Mir geht es nur darum, klarzustellen, wie die Fakten sind.

Was haben Sie, als Sie mit der schwarz-gelben Koalition gestartet sind, als Erstes getan? Sie haben – auch das können Sie wahrscheinlich nicht mehr hören – das Wachstumsbeschleunigungsgesetz gemacht. Das hat die Kommunen in Nordrhein-Westfalen auf einen Schlag 400 Millionen € gekostet. Sie haben dann Steuersenkungen zulasten der Länder und Kommunen gemacht, die die Kommunen weitere 600 Millionen € gekostet haben. Als Sie in Nordrhein-Westfalen regiert haben, haben Sie die GFG-Befrachtung vorgenommen und gesagt, das sei ein notwendiger Beitrag zur Konsolidierung der Kommunalfinanzen.

Das müssen Sie sich vorhalten lassen. Wer aktiv handelt, muss sich seine Handlungen vorhalten lassen. Vom Gerede kann sich niemand etwas kaufen, Herr Kollege Abruszat.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

– Herr Kollege Lindner, ich möchte eine Zahl hervorheben: 2010 haben Sie ein GFG mit einem Volumen von 7,5 Milliarden € vorgelegt. Das GFG von 2014 hat ein Volumen von 9,4 Milliarden €. Und da fehlen noch 600 Millionen € für den Stärkungspakt, die unmittelbar als kommunale Hilfe hinzukommen. Das sind zweieinhalb Milliarden € mehr. Das sind 30 % Aufwuchs, Herr Kollege Abruszat. Das sind die Hausaufgaben, die die rot-grüne Landesregierung gemacht hat; damit unterscheiden wir uns von Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Lindner [FDP]: Dann hat das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ja funktioniert! Dann war es sehr erfolgreich!)

Ich sage Ihnen, was die Grünen von der FDP unterscheidet: Herr Dr. Wolf hat auf der Homepage am 19.04.2010 als Resümee seiner Regierungsarbeit Folgendes ausgeführt:

„Die FDP hat sich in der vergangenen Legislaturperiode nachdrücklich für eine solide Gemeindefinanzierung eingesetzt … Auch im Vergleich zu anderen Bundesländern ist die finanzielle Situation der NRW-Kommunen positiv zu bewerten.“

Das ist Ihr Resümee über ihre Arbeit. Es ist einfach schändlich, wenn Sie so tun, als wenn Sie nichts mehr damit zu tun hätten, Herr Kollege.

(Beifall von Norbert Römer [SPD])

An dieser Stelle will noch etwas sagen, denn der Kollege Biesenbach – so ist er – geht nach dem Motto vor: Was stört mich mein Geschwätz von gestern oder von vorhin? – Auch Herr Kuper hat in seiner Rede deutlich gemacht, dass die Kommunen zur Konsolidierung beitragen müssen. Das war der Schlusssatz, den Herr Kuper ins Fazit geschrieben hat. Das gehört zur Wahrheit dazu.

Ja, wir verlangen in Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Stärkungspaktes erhebliche Eigenanstrengungen der Kommunen. Dies führt aber im Gegensatz zu Ihrer Regierungszeit dazu, dass diese Kommunen einen ausgeglichenen Haushalt und genehmigungsfähige Haushaltssanierungskonzepte vorlegen können. Zu Ihrer Regierungszeit hat die Stadt Essen zum Beispiel 280 Millionen € statt 260 Millionen € Miese gemacht. Das ist der Unterschied. Es gibt eine substanzielle inhaltliche Verbesserung bei der Kommunalsanierung. Das unterscheidet uns fundamental von Ihnen.

Ich möchte Ihnen auch ins Stammbuch schreiben, dass es sehr wohl eine Unsicherheit auch und gerade in der CDU-Familie gibt. Norbert Barthle, der Haushaltsausschussobmann der CDU im Bundestag, führt aus, er sehe überhaupt nicht ein, warum jetzt die Konsolidierung greifen müsse. Der CDU-Abgeordnete Lammert sagt ganz eindeutig – das könnte ich auch zitieren –, dass eine Entlastung frühestens 2018 greifen könne, da erst dann ein Gesetz vorliege.

Dagegen wendet sich Rot-Grün ganz entschieden. Das hat auch der Innenminister eben dankenswerterweise klargemacht. Wir wollen keine Spielchen machen. Uns ist klar, dass ein Gesetz Zeit braucht. Aber die Bundesregierung braucht keine Zeit, um Entlastungen an die Kommunen durchzureichen, die sie versprochen hat. Das können wir auch auf anderem Wege gestalten. Das macht unser Koalitionsantrag deutlich.

Ich will mir einige letzte Bemerkungen erlauben, denn, Herr Kollege Kuper, Sie haben eben Hartz IV in die Debatte eingeführt. Die Hartz-IV-Gesetzge-bung im Bundestag bedurfte der Zustimmung des Bundesrats – nicht einer allgemeinen Diskussion. Die CDU hat doch Druck gemacht und die Bedingungen verschärft.

(Michael Hübner [SPD]: So ist es!)

Sie sind maßgeblich daran beteiligt, dass Geschichten, die ich persönlich für falsch halte – Hartz IV würde ich allerdings nicht insgesamt wie das Kind mit dem Bade ausschütten –, von der CDU mit hineinverhandelt wurden. Sie können jetzt nicht so tun, als hätten Sie nichts damit zu tun. Dass Sie sich hierhin stellen und das behaupten, obwohl es der Zustimmung des Bundesrates bedurfte, ist schon ein besonders starkes Stück. Deswegen sind Sie an dieser Stelle unglaubwürdig.

(Christian Lindner [FDP]: Dann machen die Grünen wohl keine Fehler! Die Grünen sind eine fehlerlose Partei!)

– Herr Kollege Lindner, bitte?

(Christian Lindner [FDP]: Eine fehlerlose Partei!)

– Wir sind nicht fehlerlos; wir haben auch nicht behauptet, fehlerlos zu sein. Sie behaupten, Sie hätten mit der Politik in Nordrhein-Westfalen nichts zu tun, weil Sie nicht regieren. Die schwarz-gelbe Regierung hat hier erhebliche Folgen hinterlassen, Herr Kollege Lindner.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Diese Folgen haben wir deutlich gemacht. Wir unterscheiden uns ganz massiv von dem. Wir machen eine gute Politik; Sie machen heiße Luft im Landtag.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal! Auch hier ist im Prinzip wieder von allen alles gesagt worden – vielleicht noch nicht von jedem. Ich stelle nur fest – deswegen bin ich ans Rednerpult zurückgekommen –: Mit keinem Wort ist einer der Redner, die mir folgten, auf das eingegangen, was ich gesagt habe.

(Lachen und Zurufe von SPD, CDU und FDP)

– Passen Sie genau auf! Lachen Sie gerne; Ihnen wird das Lachen vergehen. – Auch die Zwischenrufe blieben aus. Wenn Sie das im Protokoll nachlesen, werden Sie erkennen, was ich während der Rede beobachtet habe: Einige haben sehr bedrückt auf die Tische geschaut.

(Gordan Dudas [SPD]: Ah!)

Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der CDU, werden gut beraten sein, Ihre Freunde in Berlin anzuhalten, das zu tun, was von Anfang an angekündigt worden ist. Tun Sie das nicht, vergehen Sie sich – da brauchen Sie keine Luftblasen in den Raum zu pusten – letztlich an den Finanzen der Kommunen. Reden Sie hier nicht davon, dass Sie die Anwälte der Kommunen seien, handeln Sie!

Das Problem ist: Auch der Entschließungsantrag, so gemeinsam er sein mag, wird daran nichts ändern. Denn der Koalitionsvertrag der Großen Koalition ist das Thema dieser Aktuellen Stunde. An dem werden Sie hier aus NRW eben nichts ändern.

Herr Schäuble in Berlin, die CDU in Berlin und im Prinzip auch die CDU auf der Oppositionsbank hier lachen sich ins Fäustchen,

(Widerspruch von André Kuper [CDU])

wobei Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, der das Thema mit den Kommunen so wichtig zu sein scheint, schon seit etwa einer halben Stunde mit Abwesenheit glänzt. Auch die stellvertretende Ministerpräsidentin hat offensichtlich überhaupt keine Veranlassung, dieser Debatte und ihrem Abschluss beizuwohnen. – So wichtig ist der SPD und den Grünen das Schicksal der Kommunen in Nordrhein-Westfalen!

Stattdessen müssen wir heute zur Kenntnis nehmen, dass Klapprechner, die nicht mehr und nicht weniger sind als Tablets mit Tastatur, in diesem Plenum wichtiger zu sein scheinen als die Finanzschicksale der Kommunen in Nordrhein-Westfalen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Schluss der Aktuellen Stunde.

(Nicolaus Kern [PIRATEN] meldet sich zu Wort.)

– Bitte schön, Herr Kollege, zur Geschäftsordnung.

Zur Geschäftsordnung

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe einen Antrag zur Geschäftsordnung auf Sitzungsunterbrechung, weil wir einen Vorfall erlebt haben, dass Kollegen einerseits für ihr Verhalten gerügt werden, während andererseits Verhalten nicht gerügt wird. Es wurde gesagt, es handele sich um einen Beschluss, an den sich alle zu halten hätten.

Ich möchte darauf hinweisen, dass es in dieser Legislaturperiode, seit wir Piraten Mitglied im Parlament sind, keinen Beschluss gab, wie hier mit Laptops umzugehen ist. Außerdem laufen gerade Verhandlungen im Parlament, um einen solchen Beschluss herbeizuführen. Insofern halten wir es für äußerst unglücklich, jetzt in dieser Art und Weise vorzugehen, und verwahren uns dagegen. Wir beantragen eine Sitzungsunterbrechung, um eine außerordentliche Ältestenratssitzung zu diesem Thema abzuhalten. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von der SPD: Kindergarten!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke, Herr Kollege. Zur Gegenrede hat sich Frau Kollegin Beer von der Fraktion der Grünen gemeldet.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Prinzip gilt: Wenn Regelungen unter den Fraktionen vereinbart sind, gelten die, auch über eine Legislatur hinweg, wenn sie nicht geändert werden. Das ist in der Runde der Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und im Ältestenrat mehrfach thematisiert worden. Die Piraten wissen sehr wohl um alle Regelungen im Haus.

Ich kann Sie nur bitten, sich daran zu halten. Eine Sitzungsunterbrechung ist nicht notwendig. Wir haben Gremien, in denen die Änderungsanträge besprochen werden. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Im Moment sehe ich keine weiteren Wortmeldungen. Es hat zum Thema „Geschäftsordnung“ Wort und Widerwort gegeben. Auch ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir in der letzten Ältestenratssitzung auf diesen Punkt eingegangen sind, möchte aber nicht weiter zur Sache sprechen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Piraten auf Sitzungsunterbrechung und Einberufung des Ältestenrats: Wer dem seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag der Fraktion der Piraten abgelehnt.

Wir kommen zu:

2   Mobilität für alle! Sozialticket flächendeckend und zu fairen Konditionen in Nordrhein-West-falen einführen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5277

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Piraten dem Kollegen Bayer das Wort.

(Unruhe)

– Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für den Kollegen Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht erinnern Sie sich noch an den 15. März 2012. Einen Tag vorher gab es übrigens auch eine Sitzungsunterbrechung. An diesem Tag stand das Sozialticket zum letzten Mal als Thema auf der Tagesordnung eines Plenartags. Dieser Plenarsitzungstag hat nicht wie geplant stattgefunden, denn vorher gab es diesen Tag mit der Sitzungsunterbrechung, und der Landtag wurde aufgelöst. Die Debatte zum Sozialticket fand nicht statt. Auch der erste Antrag zum Sozialticket vom April 2011 wurde vor der Auflösung des Landtags nicht mehr beschlossen.

Wir im Landtag NRW unterstützen zwar seit 2011 den Runderlass des Ministeriums zum Sozialticket mit einem Budget im Haushalt, aber inhaltlich haben wir nichts beschlossen. Daher sollten wir die Debatte um das Sozialticket ganz dringend aus dem unwürdigen Zustand befreien, bei dem die Menschen in NRW völlig ausgeblendet werden. Für die einen ist dieses schlecht konstruierte Sozialticket nur ein Alibi für die Teilhabe an der gesellschaftlichen Mobilität – leider in der Praxis völlig unzulänglich –, und für die anderen ist es immer ein willkommener Haushaltsposten, den man alljährlich zur Finanzierung von allem Möglichen streichen könnte.

Das Wichtige am Sozialticket sind aber nicht die 30 Millionen €, sondern es ist das Konzept. Dieses Konzept stimmt nicht. Die Richtlinie ist noch bis Ende 2015 in Kraft. Doch bereits jetzt besteht Handlungsbedarf. Nach drei Jahren liegen uns genug Erkenntnisse aus dem Praxistest vor. Es wird Zeit, mit deutlichen Korrekturen am Konzept auf die Erfahrungen zu reagieren und ein echtes Sozialticket einzuführen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn es kein Pilotprojekt mehr ist, dann gibt es auch keinen Grund mehr, einigen Menschen im Land aufgrund ihres Wohnortes das Sozialticket vorzuenthalten. Es muss flächendeckend eingeführt werden, ohne dass die Kommunen in NRW – siehe Aktuelle Stunde – die Verlierer sind, wie sie es derzeit bei der gesamten ÖPNV-Finanzierung sind.

Das Ziel des Sozialtickets sollte sich nicht ändern. Ziel des Sozialtickets ist es nämlich, wenig begüterten Menschen die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs zu ermöglichen. Wir – Sie, ich und die da oben – haben die Aufgabe, allen Menschen in NRW eine umfassende Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Dazu gehört eine entsprechende Mobilität.

Wie wichtig Mobilität ist und wie wichtig der ÖPNV ist, haben wir heute gemerkt. Einige sind immer noch nicht angekommen oder sind bei ihren Laptops, weil sie sie nicht hier reinbringen dürfen; das kann natürlich auch sein.

(Beifall von den PIRATEN)

Das aktuelle Sozialticket erfüllt dieses Ziel leider nicht. Dazu müssten Angebot und Preis in einem Verhältnis stehen, das zu den finanziellen Möglichkeiten der Zielgruppe passt. Diese kann sich derzeit das Sozialticket überhaupt nicht leisten, zum Beispiel die 30 € pro Monat plus die Tickets, die aus der eigenen Stadt auch einmal herausführen.

Der Preis muss angemessen sein und innerhalb des Mobilitätsbudgets des SGB-II-Regelsatzes liegen. Das rechnet sich; denn es geht nicht einfach um soziale Gerechtigkeit. Es geht um das faire Angebot an alle, am Leben der Gemeinschaft teilhaben zu können. Davon profitieren das Land, der Haushalt, die Gesellschaft, und das auch deshalb, weil wir mit dem Sozialticket mehr Fahrgäste vor allem in die Fahrzeuge mit weniger guter Auslastung holen. Auch Fahrgäste mit wenig Geld tragen dazu bei, dass ÖPNV-System zu tragen und insgesamt attraktiver zu machen. Es profitieren also auch die Vollzahler im Nahverkehr, die Verkehrsbetriebe, die Umwelt, die Klimaschutzziele hier in NRW – das zumindest, wenn wir das Sozialticket als Sofortmaßnahme begreifen, die den Weg für zukünftige Mobilitätskonzepte offenhält. So sehe ich das.

Denn solange wir noch mit Verkehrskonzepten der Vergangenheit hantieren – siehe den nächsten Tagesordnungspunkt – und die Verkehrswende nicht geschafft ist, müssen wir zumindest Bug-Fixing betreiben.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir müssen ein Sozialticket anbieten, das seinen Zielen gerecht wird. Lassen Sie uns also die Debatte schnell wieder aufnehmen und schnell die „Knäcken“ reparieren, also fix die Bugs fixen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Fraktion der SPD spricht Frau Kollegin Philipp.

Sarah Philipp (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Teilhabe an Mobilität zu gewährleisten, zu ermöglichen – das ist auch für die SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen ein wichtiges verkehrspolitisches Ziel. Herr Kollege Bayer, Sie haben darauf hingewiesen, dass in diesem Hause Einigkeit darüber besteht, dass Teilhabe an der Mobilität zugleich Voraussetzung für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist; denn nur, wer von A nach B kommen kann, der kann auch an dem Leben in seiner Stadt tatsächlich teilnehmen. Dazu müssen nicht nur die erforderlichen Verkehrsinfrastrukturen bereitgestellt werden, sondern wir müssen auch bezahlbare und attraktive Mobilitätsangebote zur Verfügung stellen. So weit unser Konsens.

Es scheint aber aus unserer Sicht Verständnisschwierigkeiten zu geben, was bei der Ausgestaltung des Sozialtickets in Nordrhein-Westfalen genau zu beachten ist. Wir hatten uns 2010 im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, ein Sozialticket einzuführen. Das wurde 2011 umgesetzt, zunächst mit 15 Millionen € und mittlerweile mit insgesamt 30 Millionen € pro Jahr.

Ein zentraler Punkt dabei ist: Es handelt sich bei den zur Verfügung gestellten Mitteln um eine sogenannte Anreizfinanzierung zur Einführung von Sozialtickets für die Verkehrsunternehmen und die Verkehrsverbünde des Landes. Eine vollständige Kompensation der entstehenden Aufwendungen bei den Verkehrsunternehmen war nie vorgesehen und wird auch in Zukunft nicht vorgesehen sein. Letztlich handelt es sich also um eine Maßnahme zur Förderung des ÖPNV.

Es handelt sich explizit nicht – das ist an der Stelle wichtig – um eine sozialpolitische Maßnahme. Rein ordnungspolitisch gehört deswegen aus unserer Sicht Ihre Forderung, die ich ohne Zweifel nachvollziehen kann – da sind wir uns auf jeden Fall einig – nach Berlin, nämlich in den Bereich der Ausgestaltung der Regelsätze für das Sozialgesetzbuch.

Insofern würde es sich eigentlich erübrigen, an der Stelle weiter auf den Antrag einzugehen, weil Sie von falschen Voraussetzungen ausgehen. Aber dennoch einige Anmerkungen zum Antrag:

Der Berechtigtenkreis, den Sie ja auch kritisieren, für Sozialtickets ist bereits sehr groß und kann von den Verkehrsunternehmen und den Kommunen sogar noch um Geringverdiener oder Wohngeldempfänger erweitert werden. Das ist heute bereits möglich und wird von vielen Kommunen in einigen Bereichen des Landes auch heute schon so durchgeführt.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Diese Entscheidung obliegt auch den Verkehrsunternehmen als selbstständig wirtschaftende Unternehmen. Wenn Sie den Berechtigtenkreis ausweiten wollen, dann müssen Sie heute auch sagen, wer das bezahlen und wie das finanziert werden soll.

(Beifall von der SPD)

Erst mit den entsprechenden Initiativen auf dieser Ebene könnte dann ein flächendeckendes Angebot hergestellt werden. Die Frage der Finanzierung bleibt aber bei diesem Antrag zum Sozialticket genauso wie auch zum fahrscheinlosen ÖPNV aus Ihrer Sicht heute leider wieder offen.

Also noch einmal: Die konkrete Einführung und Umsetzung des Sozialtickets liegt in der Zuständigkeit der Verkehrsunternehmen und -ver­bünde. Das macht insofern Sinn – das ist ganz wichtig –, als vor Ort das Wissen und das Können liegt, um ein Tarifangebot vor Ort auch vernünftig auszugestalten. In meiner Heimatstadt Duisburg ist dieses Sozialticket vor einigen Jahren eingeführt worden. Da wurde die Unterstützung des Landes außerordentlich begrüßt und eben auch zur Voraussetzung gemacht, um das Ticket überhaupt vor Ort einführen zu können. Dabei wird eines immer unverzichtbarer: eine solide Kalkulation und damit letztendlich die Klarheit über die Finanzierung durch das einzelne Verkehrsunternehmen und den Verkehrsverbund vor Ort.

Vor dem Hintergrund der finanziellen Situation des Landes und den Vorgaben der uns allen bekannten sogenannten Schuldenbremse ist eine Ausweitung des Haushaltsansatzes von derzeit 30 Millionen € pro Jahr einfach nicht realistisch. Es handelt sich um eine freiwillige Leistung des Landes, das heißt um originäre Mittel aus dem Landeshaushalt. Wenn im Rahmen dieser Anreizfinanzierung eine Ausweitung des Berechtigtenkreises erfolgen würde, hätte das zur Folge, dass die Anreizfinanzierung pro potenziellem Nutzer deutlich geringer werden würde. Zuletzt hieße dies auch, dass die Einführung bzw. Aufrechterhaltung von Sozialtickets für die Verkehrsunternehmen letztendlich unwirtschaftlich werden könnte und der Vorschlag in der Konsequenz das Gegenteil von dem bewirken würde, was Sie eigentlich fordern.

Wir würden natürlich gerne die Anhebung der Mobilitätspauschale im SGB-II-Regelsatz unterstützen, um damit noch mehr Menschen zu erreichen, wenn es um Teilhabe an Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen geht. Dort gehört Ihre Forderung auch hin, dort macht sie Sinn, weil es sich eben um eine sozialpolitische Forderung handelt.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir können somit Ihren Antrag deswegen in den einzelnen Punkten nicht unterstützen, freuen uns aber natürlich auf die Diskussion im Ausschuss. Wir sind uns auch darüber einig, dass man dieses Sozialticket nach einer gewissen Zeit einmal evaluieren sollte, um zu schauen, wo offene Punkte sind. Deswegen stimmen wir der Überweisung zu. – Recht herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Philipp. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Moritz.

Arne Moritz (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein deutscher Verlag bringt mit viel Erfolg eine Taschenbuchreihe mit dem Titel „Unnützes Wissen“ heraus. Gäbe es ein Buch mit dem Titel „Unnütze Anträge“, dann würde man diesen Piratenantrag sicher darin finden.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Das ist super!)

Schon das Sozialticket der rot-grünen Landesregierung ist unnötig, und daher ist ein Antrag, mit dem auf vier Seiten vorgeschlagen wird, dieses zu verbessern, doppelt unnötig.

(Beifall von Lutz Lienenkämper [CDU])

Auf die kleinteiligen Verbesserungsvorschläge im Antrag gehe ich deshalb gar nicht erst ein – meine Redezeit würde dafür auch gar nicht ausreichen –, sondern ich möchte Ihnen gerne darstellen, warum wir von der CDU-Fraktion das Sozialticket insgesamt ablehnen.

Einer von vielen Gründen ist, dass das Sozialticket aus sozialpolitischen Gründen zweifelhaft ist; denn ein Großteil der Transferempfänger wird durch das Sozialticket zusätzlich begünstigt. Sie werden denjenigen Menschen gegenüber bevorzugt, deren Einkommen aus Arbeit kaum höher ist. Aus finanzpolitischer Sicht ist das Sozialticket unnötig, weil es der Haushaltskonsolidierung entgegensteht.

(Beifall von der CDU)

Darüber hinaus ist es verkehrspolitisch unverantwortlich, weil wir zusätzliche investive und keine zusätzlichen konsumtiven Ausgaben brauchen.

Die rot-grüne Landesregierung hat allein in den ersten drei Jahren über 10 Milliarden € neue Schulden gemacht. Die Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen profitiert allerdings überhaupt nicht davon: weder der Straßenbau noch der ÖPNV. Es gilt aber insbesondere, die Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen zu verbessern.

Um dies zu verdeutlichen, verweise ich auf den Bericht der ÖPNV-Zukunftskommission NRW. Diese Kommission wurde übrigens von der rot-grünen Landesregierung selbst eingesetzt. Sie hat verdeutlicht, wo Gelder im ÖPNV-Bereich hinfließen müssen und dass wir zusätzliche Mittel für den Erhalt der Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen benötigen. Alleine für den Erhalt der Infrastruktur der U- und Straßenbahnsysteme in NRW belaufen sich diese gemäß der Kommission auf 1,1 Milliarden € bis 2016 und weitere 2 Milliarden € bis 2025, insgesamt also auf 3,1 Milliarden €. Das ist die Summe, die durch das Sozialticket in etwa zehn Jahren verschlungen wird.

Die Landesregierung sollte sich endlich darum kümmern, dass mehr Geld in den ÖPNV fließt und es weniger sinnlose Ausgaben gibt.

Die Ausgaben für das Sozialticket einzusparen, ist dabei aber nur eine Möglichkeit. Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Benachteiligung von Nordrhein-Westfalen bei der Verteilung von Regionalisierungsmitteln zu beseitigen. Auch das ist im Übrigen eine Forderung der ÖPNV-Zukunftskommission NRW.

NRW erhält vom Bund tatsächlich zu wenig Regionalisierungsmittel für den ÖPNV. Ich kann das einmal deutlich machen: In Nordrhein-Westfalen wohnen etwa 21,2 % der Menschen in Deutschland. Daher stehen dem Land Nordrhein-Westfalen gemäß dem bekannten Königsteiner Schlüssel eigentlich auch 21,2 % der Regionalisierungsmittel zu. Nordrhein-Westfalen erhält aber nur 15,8 % der Bundeszuschüsse. Dieser Verteilungsschlüssel für die S- und Regionalbahnen des Bundes an die Länder ist 1993 festgelegt worden, und auch wenn vonseiten der SPD hier öfter ein gewisses Vergessen eintritt: Es war die SPD-Landesregierung unter Johannes Rau, die diesem Schlüssel damals zugestimmt hat.

Wenn mehr Mittel nach Nordrhein-Westfalen fließen würden, dann könnte sich die Landesregierung endlich auch dem ÖPNV im ländlichen Raum annehmen. Gerade der ländliche Raum ist nämlich auf gute Verkehrsanbindungen dringend angewiesen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

– Jetzt sehen wir einmal, wer im ländlichen Raum wohnt. – Die Menschen im ländlichen Raum haben ein Anrecht auf einen flächendeckenden

(Ilka von Boeselager [CDU]: Bei diesem Wort kommt bestimmt wieder ein ver.di-Streik!)

und bedarfsdeckenden ÖPNV zu bezahlbaren Preisen; denn wir dürfen auch nicht vergessen: 60 % der Menschen in Nordrhein-Westfalen leben außerhalb der Ballungszentren.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Es gibt beim ÖPNV in Nordrhein-Westfalen noch sehr viel zu tun. Änderungen beim Sozialticket gehören aber nicht dazu.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Moritz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Beu.

Rolf Beu (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den vierseitigen Antrag der Piratenfraktion liest und versucht, das Wesentliche zusammenzufassen, dann kommt man zu folgenden vier Punkten:

Erstens. Das derzeitige Sozialticket ist oft zu teuer.

Zweitens. Viele Bezugsberechtigte werden nicht erreicht.

Drittens. Viele Menschen sind nicht bezugsberechtigt.

Viertens. Es soll ein einheitliches landesweites Ticket eingeführt werden.

Ich glaube, diese vier Punkte sind im Ergebnis tatsächlich falsch, und sie widersprechen auch der Systematik des aktuellen ÖPNV-Gesetzes NRW.

Das NRW-System sieht eine Aufgabenträgerschaft der Kommunen, organisiert in Zweckverbänden, vor, welche durch das Land bezuschusst werden. Ein Landessozialticket wäre mit dieser Gesetzgebung nicht konform.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Sie müsste geändert werden, was ja möglich ist. Solange wir aber die grundsätzliche Linie verfolgen, dass die Kommunen bzw. die Regionen vor Ort über ihr ÖPNV-Angebot zu entscheiden und die entsprechenden Regeln zu setzen haben, wird man ein landesweites Gesetz – ein landesweites Ticket würde ein solches voraussetzen – unter Umständen gar nicht wünschen wollen.

Man sollte deshalb Abstand davon nehmen, die Aufgaben der Zweckverbände und der kommunalen Familie zu begrenzen. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund der Forderung der Piraten, den Kreis der Anspruchsberechtigten deutlich zu erweitern; denn diese Möglichkeit haben die Aufgabenträger bereits heute.

Im Allgemeinen ist die Frage nach der Attraktivität des Sozialtickets eine Frage, welche sich die Kommunen zu stellen haben. Das Land stellt die Mittel zur Verfügung. Ob sie etwas machen und was, ist dann Sache der kommunalen Familie.

Ergänzend dazu muss man wissen, dass sowohl der VRR als auch der VRS bereits heute auch für Wohngeldempfänger und Geringverdiener, also über die in den Richtlinien genannten Gruppen hinaus, eine Sozialticketberechtigung anerkennen; und es gibt Kommunen, die den Kreis der Anspruchsberechtigten auch noch darüber hinaus vergrößert haben. Diese Möglichkeit ist in den Richtlinien ausdrücklich vorgesehen und führt zu einer beträchtlichen Erweiterung des Berechtigtenkreises.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Ott zulassen?

Rolf Beu (GRÜNE): Ja, gerne.

Jochen Ott (SPD): Vielen Dank. – Herr Kollege Beu, vielleicht könnten Sie dem Kollegen Moritz vor dem Hintergrund des gerade Gesagten, dass es nämlich Kommunen gibt, die den Anspruchskreis beträchtlich erweitert haben, zum Beispiel Bonn und Köln, wo auch die Geringverdiener mit einem Sozialticket unterstützt werden, noch einmal erklären, warum ein Sozialticket an der Stelle überhaupt sinnvoll ist, weil er ja grundsätzlich sagt, dass das überhaupt nicht nötig sei, weil die Menschen das auch so finanzieren können. Aus irgendeinem Grund müssen beispielsweise Bonn und Köln eine solche Regelung ja eingeführt haben.

Rolf Beu (GRÜNE): Es scheint wohl tatsächlich so zu sein, dass es im Land unterschiedliche Wertungen gibt. Wir haben eben bei dem CDU-Redebeitrag gehört, dass es ein Thema in der Fläche ist. Aber es ist natürlich nicht nur ein Thema für die Fläche, sondern in allen Kommunen. Es zeigt sich, dass gerade da, wo es noch zusätzliche Leistungen der Kommunen gibt – Herr Kollege Ott hat gerade zwei Kommunen benannt –, die Nachfrage höher ist und dass natürlich die Leute, die dieses Ticket nutzen, es nutzen können und nutzen wollen, im Prinzip auch damit zufrieden sind, dass es angeboten wird.

Am Ende aller Tage – das vermisse ich in dem Piratenantrag insgesamt – lautet die Frage natürlich: Wer ist eigentlich zuständig? Es fehlt der Hinweis darauf, dass der Bund dafür zuständig ist, die Mobilitätskosten über ausreichende Regelsätze abzubilden. Bereits mit dem heutigen Zuschuss zum Sozialticket finanziert das Land eigentlich eine Aufgabe des Bundes. Das muss nun wirklich gesagt werden: Wir stellen den Kommunen Gelder zur Verfügung; eigentlich ist es aber eine Bundesaufgabe.

Trotzdem wollen wir – die Kollegin der SPD-Fraktion hat bereits darauf hingewiesen – natürlich auch evaluieren, das heißt, die Erfahrungen mit dem jetzigen Sozialticket tatsächlich würdigen, wobei natürlich auch klar ist, dass ein landesweit flächendeckendes Sozialticket eigentlich erst zum 1. Januar 2013 eingeführt wurde. Wir sind jetzt am Anfang des Jahres 2014. Alle Erfahrungen zeigen, dass man mindestens zwei Jahre abwarten muss, um über die erforderlichen Erfahrungswerte zu verfügen. Dem werden wir uns natürlich stellen und sind dann auch gespannt auf die entsprechenden Vorlagen, die wir seitens des Ministeriums bekommen werden.

Wie gesagt, das Sozialticket ist ein richtiges Angebot. Wir stehen zu diesem Angebot. Anscheinend ist das zumindest bei der Fraktion der CDU nicht der Fall. Wir werden es nach wie vor im Rahmen des Haushalts weiter zur Verfügung stellen.

Politik – dies an die Adresse der Piraten – ist auch eine Kunst des Machbaren. Das heißt, alles zu fordern, ohne zu wissen, womit es finanziert werden kann, geht ebenso wenig, wie es im Übrigen eigentlich eine ureigene Aufgabe des Bundes im Rahmen der Festlegung der Regelsätze ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Beu. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Alda.

Ulrich Alda (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen insbesondere der Fraktion der Piraten! Ich will hier zum Antrag „Mobilität für alle“ Stellung nehmen. Ich darf feststellen, dass es sich wohl mehr oder weniger um Antragsrecycling handelt. Dies ist in der vorherigen Wahlperiode schon behandelt worden. Damals war ich noch nicht Mitglied des Landtags, aber wir haben uns im Rat meiner Heimatstadt reichlich damit beschäftigt; darauf werde ich gleich eingehen. Und man merkt eindeutig, dass Sie wohl doch den einen oder anderen Referenten von den Linken übernommen haben.

(Widerspruch von den PIRATEN)

– Vielleicht haben die auch das mit den Laptops gesagt.

Ich stimme Ihnen zu, dass Mobilität eine Grundvoraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist. Aber das ist wohl auch schon der größte gemeinsame Nenner, den wir in Bezug auf das Sozialticket haben.

Denn wir müssen neben dem menschlichen Handeln auch das politische Handeln berücksichtigen. Beides ist nicht immer unter einen Hut zu bringen, und zwar vor allem dann, wenn es um die Finanzen geht; denn ein solches Ticket nimmt hohe Fördersummen in Anspruch. Es wurde gerade von meinen Vorrednern und Vorrednerinnen genannt: Das Volumen beläuft sich auf 30 Millionen €. Das muss auch erst einmal sozial erarbeitet werden, nämlich von anderen.

Denken Sie nicht nur an die von Ihnen im Antrag genannten Personen, sondern auch an die Marginalverdiener – ich sage es einmal so, um von dem Wort „Geringverdiener“ wegzukommen –, die also gerade über der Grenze liegen und trotzdem keinen Anspruch haben, auch nicht in dem bestehenden System,

(Beifall von der FDP)

die in einem Arbeitsverhältnis stehen, aber netto nur wenig mehr Einkommen generieren als diejenigen, die einen Anspruch auf ein Sozialticket haben. Diese Menschen haben keinen Anspruch auf ein Sozialticket und können sich somit auch keine bedingungslose Mobilität leisten. Soziale Gerechtigkeit sieht für uns da wohl eher anders aus.

Im Gegenteil: Unseres Erachtens vergrößert das Sozialticket sogar die Ungleichbehandlung. Somit entwickelt sich das sogenannte Sozialticket dann auch ganz schnell zum Unsozialticket.

Gerne würde die FDP-Fraktion für diese Sache stimmen, mit Ihnen gehen, auch im Ausschuss da mitgehen. Aber wer verteilt nicht gerne Geschenke? Wir haben auch bald wieder Weihnachten, würde Beckenbauer sagen. Oder sind es Kommunalwahlen? Ich weiß nicht, was jetzt wieder ansteht; aber ich vermute, damit wollen Sie punkten.

(Zuruf von den PIRATEN: Genau!)

Aber wir können kein Geld verschenken, das wir an anderer Stelle dringend benötigen.

Ich sprach gerade schon davon, dass wir dieses Thema in meiner Heimatstadt im Rat behandelt haben, als das Sozialticket damals kam und sich übrigens auch viele Sozialdemokraten bei uns im Rat – zumindest diejenigen, die Ahnung von Wirtschaft haben – dagegen ausgesprochen haben. Die Landesförderung kam trotzdem.

Dazu ein paar „Heimat“zahlen: 32.400 Personen zählten zu dem Kreis der Anspruchsberechtigten, von denen exakt 6,7 % – das sind ungefähr 2.000 Leute – das Sozialticket in Anspruch genommen haben. Es wurden also viel Geld, nämlich 357.000 €, und sehr viel Bürokratie für eine Sache aufgewandt, deren Umsätze im Regelangebot erheblich zurückgegangen sind.

Genau hierin, Kollege Oliver Bayer – da oben sitzt er ja noch –, liegt Ihr Hauptirrtum: Es ist in vielen Gemeinden nicht in dem erhofften Umfang angenommen worden, zumindest in unserer nicht; in Köln mag das anders sein. Es hat lediglich eine Umverteilung stattgefunden. Die zusätzliche Nutzung von Bussen und Bahnen – wenn schon, dann hatten wir uns wenigstens eine solche zusätzliche Nutzung erhofft –, hat leider nicht stattgefunden.

(Jochen Ott [SPD]: Bei uns ist das eingetreten, aber massiv!)

Zum Abschluss kann man zu dem Antrag eigentlich nur sagen: Ihre Ungenauigkeit, die Wohlgefälligkeit, die Nichtannahme seitens der Betroffenen – zumindest in den Bereichen, für die ich zuständig bin –, die weitere Benachteiligung der Marginalverdiener, sprich der Mittelschicht, zusätzlich zu all den Belastungen, die jetzt aus Berlin kommen, sowie die Einführung einer massiven Bürokratie lassen uns eigentlich mental eher gegen diese Sache sein. Trotzdem freuen wir uns auf die Diskussion im Ausschuss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Was Marginalverdiener sind, darüber müssen wir uns unterhalten!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Auch ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass das Land originär nicht zuständig ist. Aber das Land fühlt sich sozialpolitisch verantwortlich.

(Beifall von der SPD)

Deshalb tragen wir diese soziale Verantwortung, weil Mobilität ein soziales Grundrecht ist, und dieses soziale Grundrecht soll in unserem wunderschönen Nordrhein-Westfalen für möglichst viele Menschen greifbar, erlebbar, erfahrbar sein.

Wir haben inzwischen einen Grad der Versorgung der Anspruchsberechtigten von 85 %; anspruchsberechtigt sind 1,8 Millionen Menschen.

Die Mittelabfrage hat sich wie folgt entwickelt: im ersten Jahr 14,6 Millionen €, im zweiten Jahr 22,5 Millionen € und im dritten Jahr 27,8 Millionen €. Das zeigt: Die Nachfrage steigt. Offensichtlich ist das ein gutes, passgenaues Angebot. Eine flächendeckende Ausweitung, wie sie von den Piraten beschrieben wird, geht allerdings an der eigentlichen Zielsetzung vorbei. Wie bei aller Solidarhilfe muss man darauf achten, dass eine ausgewogene Balance zwischen Verantwortung und Zuständigkeit gegeben ist. Es ist und bleibt richtig: Originär hat der Bund die Verantwortung für die Grundsicherungsausstattung

(Beifall von der SPD)

und nicht die Länder. Deshalb sollten wir gerade in Zeiten der Großen Koalition unseren Kolleginnen und Kollegen, Ihren Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, keine Kompetenzen streitig machen und das Thema nach wie vor nach Berlin tragen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Wir sind am Schluss der Aussprache. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5277 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr – federführend – sowie den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.

Wir kommen zu:

3   Landesregierung muss dringend Bundesfernstraßenplanung vorantreiben, um Bundesmittel abzurufen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5266

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Kollegen Schemmer das Wort.

(Christof Rasche [FDP]: Dann mal los!)

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht immer freut man sich, wenn man recht behält. Heute ist so ein Tag. Ich erinnere daran, dass ich hier in diesem Hohen Hause am 16. November 2011 etwas vorausgesagt habe, was nunmehr eingetreten ist. Der Anlass, über den wir heute reden, ist wirklich kein Grund zur Freude. Durch die verfehlte rot-grüne Verkehrspolitik ist wertvolle Zeit verstrichen, und diese verfehlte Verkehrspolitik hat im Jahre 2013 dazu geführt, dass über 40 Millionen € verloren gegangen sind.

Der römische Dichter Plautus hat einmal gesagt: Es ist zu spät, Brunnen zu bohren, wenn der Durst brennt. – Auf unser Thema übertragen, heißt das: Es ist zu spät, Straßen zu planen, wenn der Bund Mittel bereitstellt. Das Gleiche hatte ich hier am 16.11.2011 bereits gesagt. Ihrem Vorgänger, Herr Minister Groschek, Herrn Voigtsberger, hatte ich an diesem Tage prophezeit – nachzulesen im Protokoll –:

„Ihr jetziges planloses Vorgehen würde dazu führen, dass das Geld in Nordrhein-Westfalen nicht verbaut wird.“

Herr Groschek, Ihr Vorgänger Voigtsberger war ein netter Mensch, aber von Verkehrspolitik ziemlich unbeleckt. Er hat es einfach nicht einsehen wollen, dass wir Straßen auf Vorrat planen müssen. Der Verhinderungspolitiker Horst Becker trieb seinerzeit als eigentlicher Schattenminister in Ihrem Hause sein Unwesen. Er sagte wörtlich: Das Land wird keine Planung für die Schublade produzieren. Die Planungskosten müssen schließlich vom Land bezahlt werden – So kurz die Sicht der Dinge.

Letztes Jahr ist dann der Fall eingetreten, dass die Pläne aus der Schublade gebraucht worden wären. Es waren Bundesmittel da, aber keine fertigen Planungen.

Die schwarz-gelbe Landesregierung hat in den Jahren 2005 bis 2010 Planungsaufträge für rund 30 Millionen € jährlich herausgegeben. Die hatte Minister Voigtsberger gestoppt – korrekt: die hatte Staatssekretär Becker gestoppt. Aber gut, beides gehörte ja zusammen. Aufträge wurden zurückgezogen; im Jahre 2011 nur noch 18 Millionen.

Noch eine Anmerkung zu der Vorlage, die sie uns, Herr Minister, in der letzten Ausschusssitzung gegeben haben – ich lese einen Satz vor –: Das jährliche Vergabevolumen für Planungsaufträge durch den Landesbetrieb Straßenbau ist aus den im DV-System vorhandenen Finanzdaten nicht ableitbar.

Im Ergebnis heißt dieser Satz – so hätten Sie ihn auch schreiben sollen –: Die Landesregierung kennt das eigene Vergabevolumen ihrer Planungsaufträge nicht. – Daran hat sich offensichtlich seit der Becker/Voigtsberger-Zeit nichts geändert.

Nun zitiere ich Kollege Rasche aus der Plenardebatte vom 16. November 2011. Er hatte einige andere Fehler aufgezeigt.

„Sie schaffen zu wenig Planungsreserven, also baureife Projekte. Herr Klocke hat recht, bis 2013/2014 werden sie noch ausreichen, um die Mittel des Bundes zu verbauen. Das liegt aber an der Arbeit der Regierung von CDU und FDP.“

In der Sache, Herr Rasche, hatten Sie recht. Ihre Prognose, dass das Ganze bis 2013/2014 reichen würde, war allerdings falsch, wie wir jetzt gesehen haben.

(Christof Rasche [FDP]: Das war noch die Zeit, wo bei der FDP nicht alle Prognosen passten! – Lachen von Jochen Ott [SPD] und Minister Michael Groschek)

– Gut. – Nun haben Sie im Jahr 2013 über 40 Millionen an den Bund zurückgegeben – wegen fehlender Planungsreife. Sie haben zwar versprochen, Kurskorrekturen vorzunehmen, aber eigentlich müssten Sie sagen: Die rot-grüne Verkehrspolitik aus dieser Zeit ist grandios gescheitert.

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Quatsch!)

Lassen Sie uns doch im Schnellverfahren einen kleinen Faktencheck machen!

(Jochen Ott [SPD]: Faktencheck auf Münsterländer Art!)

Bis 2005 wurden mehrere Hundert Millionen an den Bund zurückgegeben. Ab 2006 gab es erstmalig dank CDU und FDP Mittel des Bundes für Nordrhein-Westfalen zusätzlich.

Die Bundesmittel für den Bundesfernstraßenbau in Nordrhein-Westfalen insgesamt sind hochgefahren worden, und zwar in 2004: 658 Millionen €, in 2008: 844 Millionen €, in 2009: 950 Millionen €. Wir haben Rekordsummen verbaut. Sie dagegen haben das nicht getan.

Noch einmal zu den Planfeststellungsbeschlüssen: Die damalige rot-grüne Landesregierung hat im Jahre 2004 die gigantische Menge von einem einzigen Planfeststellungsbeschluss fertiggekriegt. Im Jahre 2005 waren es bereits sechs; im Jahre 2006 waren es bereits elf; im Jahre 2007 waren es bereits 14. Im Übrigen war 2007 das Jahr, in dem das Land die geringsten Finanzmittel für den Landesbetrieb hatte, aber gleichzeitig die meisten Planfeststellungsbeschlüsse fertiggekriegt hat.

(Minister Michael Groschek: Das ist doch klar!)

Herr Groschek, Sie sollten einmal darüber nachdenken, wie Sie die Relation zwischen Kosten und fertigen Planfeststellungsbeschlüssen passend bekommen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich glaube, dass wir weiterkommen müssen und dass das ständige Lamentieren Richtung Berlin völlig falsch ist.

Eine Ihrer Presseerklärungen will ich Ihnen dann doch noch vorhalten:

Um allein die Brücken für die Bundesfernstraßen in Nordrhein-Westfalen instand zu halten und zu erneuern, benötigen wir 4,5 Milliarden €. Ich setze mich dafür ein, dass der Bund die hierfür erforderlichen Haushaltsmittel zuverlässig und kontinuierlich in entsprechender Höhe bereitstellt.

Die Mittel hatten Sie ja. Sie hatten nur keine fertige Planung für die Brücken. Das ist doch das eigentliche Problem.

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Das ist doch Quatsch! Das ist doch Blödsinn!)

Oder Groschek, 3. Juli 2013, „Rheinische Post“: Bund benachteiligt NRW beim Autobahnbau.

Wir wissen: Das ist alles nicht so. Die Wirklichkeit ist eine andere. Wir brauchen eine Planungsreserve von mindestens 1 Milliarde €. Nordrhein-Westfalen ist weit davon entfernt.

Herr Minister Groschek, Ihnen als Oberhausener sage ich: In der Verkehrspolitik brauchen wir weniger Rot-Weiß Oberhausen und mehr Bayern München,

(Jochen Ott [SPD]: Oh! – Minister Michael Groschek: BVB!)

zumindest aber Schalke 04 oder Borussia Dortmund.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Rot-Weiß Oberhausen ist da schlicht zu wenig. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: Das ist ja peinlich!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schemmer. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Breuer.

Reiner Breuer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Schemmer, Sie haben es ja wirklich wieder geschafft – herzlichen Glückwunsch dafür –, den Saal nahezu leer zu reden.

(Heiterkeit von Jochen Ott [SPD])

Ich will Ihnen einmal zugutehalten, dass das auch an Ihrem Antrag liegen könnte; denn er besteht aus einer Ansammlung von Selbstbeweihräucherungen Ihrer kurzen Amtszeit. Einerseits enthält er platte Schuldzuweisungen an die rot-grüne Landesregierung. Andererseits hat er, was die Verkehrspolitik und neue Vorschlägen dazu betrifft, wirklich wenig Substanz. Letzten Endes wollen Sie damit hier im Plenum Straßenwahlkampf im wahrsten Sinne des Wortes führen, also Wahlkampf mit Straßen.

Uns gibt das jedenfalls die Gelegenheit – wir nehmen sie auch gerne wahr –, hier einiges von dem, was Sie gesagt haben, geradezurücken, aber auch vieles, was in dem Antrag geschrieben wurde, einmal richtig darzustellen.

Fast beruhigend ist, zunächst einmal festzustellen: Sie sehen die Ausgangslage halbwegs so wie wir auch. Wir sind uns einig, dass eine funktionierende und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur in der Tat eine wesentliche Grundlage für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen, aber auch für unseren Wohlstand ist. Insbesondere das Straßenverkehrsnetz sichert Mobilität von Menschen und Gütern im verkehrsreichsten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen.

Mobilität ist aber auch mehr als Straße. Mobilität geht darüber hinaus. Es ist typisch, dass sich bei Ihnen wieder kein Wort zu anderen Verkehrsmitteln findet – zum ÖPNV kein Wort, zum Wasserstraßennetz kein Wort. Sie denken ein Stück weit eindimensional. Nun gut; das ist Ihr Problem und nicht unseres.

Wir wissen aber auch, dass der Erhalt und Ausbau des Straßenverkehrsnetzes eine substanzielle und wesentliche Aufgabe ist – der stellen wir uns – und vor allen Dingen die Herausforderungen hier in den letzten Jahren sehr viel größer geworden sind. Wir wissen um die zunehmenden Güterverkehre, die unsere ohnehin schon stark in die Jahre gekommenen Straßen so belasten, dass unsere Brücken bröseln. Wir haben einen erheblichen Instandsetzungs- und Sanierungsbedarf, den Experten auf über 7 Milliarden € pro Jahr beziffert haben.

Um die Herausforderungen zu bewältigen, kommt es also entscheidend darauf an, dass man die erforderlichen Finanzmittel bereitstellt – aber nicht nur Geld bereitstellt, sondern auch klar sagt: Wir wollen Erhalt vor Neubau, und wir wollen eine klare Priorisierung der Maßnahmen.

(Beifall von der SPD)

In Nordrhein-Westfalen, also dort, wo wir selbst Verantwortung tragen, ist dies gelungen. Wir haben ganz klar zugunsten des Erhalts umgeschichtet. Über 90 Millionen € stehen für den Landesstraßenerhalt zur Verfügung. Wir haben eine klare Priorisierung vorgenommen. Das ist unangenehm. Trotzdem haben wir das getan. Wir wollen nämlich Planungskapazitäten bündeln und nicht unnötig binden. Das ist der Unterschied.

(Beifall von der SPD)

Im Gegensatz zu Ihnen machen wir uns keinen schlanken Fuß. Wir sagen den Bürgerinnen und Bürgern sehr klar, was in den nächsten Jahren geht und was eben nicht geht.

Im Gegensatz zur CDU in Nordrhein-Westfalen scheinen CDU, CSU und SPD im Bund weiter zu sein. Die NRW-Philosophie „Erhalt geht vor Neubau“ ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Außerdem ist ein nationales Prioritätenkonzept verabredet. Dieses Konzept wird kommen.

Nichtsdestotrotz muss man ganz klar sagen – das habe ich beim letzten Plenum auch schon getan –: Die bis 2017 vorgesehenen Mittel von 5 Milliarden € sind hilfreich für die Infrastrukturfinanzierung, aber keineswegs ausreichend.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen muss man hier auch feststellen: Die Vorschläge zur Lkw-Maut, die uns gestern von Herrn Verkehrsminister Dobrindt erreicht haben, sind völlig unzureichend. Es genügt nicht, ein paar Kilometer mehr Bundesstraßen in die Lkw-Maut einzubeziehen. Wir brauchen vielmehr eine vollständige Ausdehnung auf alle Bundesstraßen, auf alle Landesstraßen und auf alle kommunalen Straßen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nur so können wir gewährleisten, dass nicht weitere Ausweichverkehre produziert werden und dass dann in der Tat auch genügend Mittel in den Bundeshaushalt fließen.

Meine Damen und Herren, unabhängig davon, wie viele Mittel der Bund letzten Endes in der Zukunft für den Erhalt und bedarfsgerechten Ausbau bereitstellen wird, geht es in Nordrhein-Westfalen darum, diese Mittel zielgerichtet, effizient, aber auch möglichst vollständig abzurufen und einzusetzen.

Sie tun so, als sei das hier in Nordrhein-Westfalen nicht der Fall und als seien wir quasi zu blöd dazu, das Geld einzusetzen. Das ist ja die Melodie, die Sie in Ihrem Straßenwahlkampf singen wollen. Das ist aber nicht redlich; denn das Gegenteil ist der Fall. Das wissen Sie auch.

Sie wissen, dass die Mittel, die der Bund Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt hat, seit 2000 deutlich angestiegen sind – von 614 Millionen € im Jahr 2000 auf 895 Millionen € im Jahr 2013. Zusammen mit den mindestens 130 Millionen € für den kommunalen Straßenbau und den Mitteln, die wir in Nordrhein-Westfalen für den Erhalt und Neubau von Landesstraßen investieren, sind es deutlich über 1 Milliarde €, die im letzten Jahr in die Straßen in Nordrhein-Westfalen verbaut wurden und auch weiterhin in Nordrhein-Westfalen verbaut werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Von Stillstand kann also keine Rede sein – allenfalls mal von zähflüssigem Verkehr in Baustellen, die aber notwendig sind, damit die Mittel hier auch verbaut werden können.

Meine Damen und Herren, die wesentliche Voraussetzung dafür, dass wir genügend Bundesmittel abrufen, ist die Sicherstellung eines handlungsfähigen und leistungsfähigen Landesbetriebes. Wir brauchen einen Landesbetrieb, der die erforderlichen Planungen für vorrangige Erhaltungsmaßnahmen und den bedarfsgerechten Neu- bzw. Umbau zügig vorantreibt und zur Baureife führt.

Unser Landesbetrieb Straßenbau NRW mit seinen über 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat hier eine anspruchsvolle Aufgabe. Er ist dieser Aufgabe aus unserer Sicht grundsätzlich gewachsen.

Allerdings muss man auch feststellen, dass der Betrieb wohl an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gekommen ist, da nicht alle Mittel zu 100 % abgerufen werden konnten. Auch uns ärgert das. Es ist kein Geheiminis, dass im letzten Jahr Mittel zurückgegeben werden mussten und dass offenbar keine Planungsreserve in ausreichendem Umfang vorhanden war.

Die Ursachen hierfür sind aber vielfältig; das wissen Sie auch. Eine wesentliche Ursache ist – ich will CDU und FDP nicht ersparen, sie deutlich zu benennen –, dass Sie in Ihren wenigen Regierungsjahren, in fünf Jahren, über 700 Stellen beim Landesbetrieb Straßenbau NRW abgebaut haben. 771 Stellen, um es ganz genau zu sagen.

(Jochen Ott [SPD]: Hört, hört!)

Ein Fünftel mehr Personal als üblich haben Sie beim Landesbetrieb Straßenbau bis 2010 abgebaut – auch Planungsingenieure, die heute fehlen. Das muss man ganz klar sagen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das sind Fakten, die Sie gerne ausblenden

Das gilt auch für das Faktum, dass wir ab 2010 umgesteuert haben. Wir haben die Personaleinsparungen auf ein vertretbares Maß zurückgeführt. Wir haben nach dem System „Geld statt Stellen“ auf den Stellenabbau verzichtet. Herr Groschek hat es in diesem Jahr erreicht, 20 zusätzliche Planungsingenieurstellen zu schaffen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Und, meine Damen und Herren, wir haben die Planungsleistungen auch für externe Vergaben auf 34 Millionen aufgestockt.

Sie sehen, wenn Sie sich die Mittelausstattung für den Landesbetrieb Straßenbau mit fast 400 Millionen € insgesamt vor Augen führen, dass substanziell Landesmittel hineinfließen und dass damit auch etwas passiert.

(Beifall von der SPD)

Wir werden diesen Kurs fortsetzen und intensivieren, damit wir noch mehr baureife Projekte erhalten.

Kurzfristig wollen wir Planungsengpässe beseitigen bzw. sie erst gar nicht entstehen lassen. Sie haben den Bericht des Ministers hierzu erhalten, wonach die DEGES – die Planungsgesellschaft des Bundes und einiger Länder – als vorübergehende Hilfsmaßnahme in Anspruch genommen werden soll, damit wir Planungen gezielt vorantreiben können. Wir betonen, dass wir hier keine Privatisierung von Planungsleistungen vornehmen, sondern eine Überbrückung eines Engpasses. Dabei soll es auch bleiben.

Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, dass wir auf diesem Weg den Umfang für sinnvolle Planungen von Neubauten voranbringen können. Wir dürfen uns aber nicht verplanen. Das heißt, wir müssen die Kapazitäten in Projekte hineinsetzen, die auf absehbare Zeit auch eine Chance auf Realisierung haben.

Es wird Ihnen und uns nicht erspart bleiben, dass wir weiter priorisieren und die vorhandenen Planungskapazitäten dorthin lenken, wo sie sinnvoll eingesetzt werden können. Das werden wir beim Bundesverkehrswegeplan machen. Das werden wir bei der Frage des nationalen Prioritätenkonzeptes machen. Wir werden uns noch mal genauer ansehen müssen, wie wir die mit über 20 Milliarden € angemeldeten Vorhaben konkret umsetzen und weiter planen können.

Es kommt also gar nicht infrage, dass wir Ihrer Forderung nachkommen, unsere Priorisierung aus dem Jahr 2011 zurückzunehmen. Nein, das werden wir nicht machen. Sie wollen sich hier mal wieder aus der Verantwortung stehlen. Das ist verkehrspolitische Fahnenflucht, was Sie hier begehen!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es wäre doch besser, wenn Sie sich noch mal mit unseren oder Ihren Freunden der Großen Koalition in Berlin zusammensetzen und sich fragen würden: Wie können wir Planungsprozesse verbessern? Wie können wir dazu beitragen, dass der Sanierungsstau abgebaut wird?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krückel zulassen?

Reiner Breuer (SPD): Nein, die lasse ich jetzt nicht zu. Sie können ja gleich in der Replik etwas dazu sagen. Herr Voussem hat ja noch das Wort und andere auch. Ich möchte jetzt fortfahren.

Ich komme zu den zentralen Forderungen, die Sie an den Bund adressieren müssten:

Erstens müssen wir die Kostenbeteiligung des Bundes an den Planungen verändern.

(Beifall von der SPD)

Es kann nicht sein, dass 3 % der Kosten im Nachhinein erstattet werden, die Planungskosten aber real bei 12 bis 15 % liegen. Das muss geändert wer-den.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Zweitens müssen wir dafür Sorge tragen, dass wir die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur überjährig und auch verkehrsträgerübergreifend organisieren. Es kann doch nicht sein, dass wir Mittel nach Bayern oder sonst wohin zurückgeben müssen, weil die zugrundeliegenden Planungen zwar zur Baureife gebracht sind, aber beklagt werden, obwohl wir auch andere, baureife Projekte haben, zum Beispiel Schienenbauprojekte. Das kann nicht sein. Es muss verkehrsträgerübergreifend und überjährig gearbeitet werden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Und wir müssen die Forderungen aus der Bodewig-Kommission konsequent umsetzen. Ich gehe davon aus, dass der Minister bei der Verkehrsministerkonferenz auch so vorsprechen wird.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir können der Überweisung des Antrages der CDU gerne zustimmen. Wir hoffen, dann in eine Diskussion zu kommen, in der wir auch einmal zu gemeinsamen Positionierungen und Formulierungen in Richtung Bund gelangen. Damit wäre uns allen vielleicht mehr geholfen als mit Ihrem Antrag. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Breuer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Klocke.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen von der CDU-Fraktion! Ich vermute, wenn wir in der Opposition wären, hätten wir das hier auch zum Thema gemacht – aber sicherlich anders. Wenn man das macht, wie Sie das machen, dann muss man natürlich wissen, wie weit man sich aus dem Fenster lehnen kann.

Sie schreiben in Ihrem Antrag, wir sollen bejubeln, dass die Große Koalition 1,25 Milliarden zusätzlich für den Bereich Straßen zur Verfügung stellt. Sie müssen dann aber dazusagen – ich werde es jedenfalls dazusagen –, dass es eine mehrjährige Kommission unter Vorsitz Ihres ehemaligen CDU-Verkehrsministers Daehre aus Sachsen-Anhalt gab, die errechnet hat, dass wir eine Unterfinanzierung von 7,2 Milliarden pro Jahr allein bei der Sanierung der Verkehrswege haben.

Jetzt hat die Große Koalition zugesagt – dazu kann man sagen: das ist ein Schritt, aber es ist ein ganz kleiner Schritt –, 1,25 Milliarden pro Jahr zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Was heißt das denn? In dieser Legislaturperiode fehlen uns 22 Milliarden alleine für Sanierungen, die errechnet worden sind, die seriös hinterlegt worden sind, die der Bund aber nicht ausgibt und die uns fehlen. Wenn man das durchrechnet, dann sieht man, dass Nordrhein-Westfalen pro Jahr gut 1 Milliarde € für die Sanierung seiner Verkehrswege fehlt. Da sollen wir – aus Sicht der CDU – jubeln? Das ist doch ein wirklich sehr, sehr peinlicher Antrag!

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Nun zu dem, was Sie sagen, Herr Schemmer, liebe CDU, zu den Gründen für die Rückgabe. Dazu hat der Kollege Breuer eben etwas gesagt. Es gab ja auch einen schriftlichen Bericht des Ministers, was im letzten Jahr passiert ist, dass diese 40 Millionen € zurückgegeben werden mussten.

Damit wir uns an der Stelle nicht falsch verstehen: Wir finden das politisch schlecht, auch von grüner Seite. Sie unterstellen uns möglicherweise, die Grünen freuten sich, wenn Gelder für den Straßenausbau nicht ausgegeben werden. Aber auch wir finden das politisch kritikwürdig. Das hat es in der Zeit auch nicht gegeben, als ein Grüner Staatssekretär im Verkehrsministerium war.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie zitieren hier ja immer den Schattenminister Horst Becker herbei. Wenn es nach Ihrer Logik gehen würde, müsste der Becker Hunderte von Millionen pro Jahr zurückgegeben haben, als er da gewirkt hat.

Dass die Gelder zurückgegeben worden sind, liegt einfach daran: Einerseits konnten Projekte aufgrund von Klagen nicht weitergeführt werden. Andererseits fehlten uns Planungskapazitäten bei Straßen.NRW.

Sie wollen, dass wir die Straßenpriorisierung für 2011 rückgängig machen. Darin haben wir für die nächsten Jahre Projekte im Wert von 4,46 Milliarden € priorisiert. Mit den 240 Millionen €, die im letzten Jahr als Bedarfsplanmittel vom Bund gekommen sind, haben wir mindestens für 15 Jahre ausreichend Planungsreserven hier in diesem Land.

Dass Sie uns jetzt wieder damit kommen, dass es noch zusätzliche Planungsreserven geben soll, das ist doch genau der gleiche Wahnsinn, wie es ihn in den schwarz-gelben Jahren gegeben hat und weswegen wir, als wir die Regierung übernommen haben, erst einmal ein Defizit von über 50 Millionen € bei Straßen.NRW zurückdrehen mussten. Sie wollen, dass wir in eine völlig falsche Richtung gehen.

Sie reden auch immer von Neubau. Das ist bemerkenswert. Die CDU in Nordrhein-Westfalen redet immer von Neubau. Das ist auch im Bund anders. Das ist auch in anderen Bundesländern anders. Längst ist doch bundesweit klar: Die große Aufgabe im Bereich der Verkehrswege in den nächsten Jahren ist: Sanierung, Sanierung, Sanierung – und nicht noch zusätzliche Neubaumittel.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen ist Ihr Antrag einfach ärgerlich. Ich finde ihn auch ausgesprochen unseriös, auch wenn wir ihn im Ausschuss demnächst weiter beraten werden. Sie haben da in Berlin die Hausaufgaben nicht gemacht. Unter diesem Antrag steht Armin Laschet sozusagen als Antragsteller, der ja nun gleichzeitig stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender ist.

Sie müssen doch jetzt endlich mal vorlegen: Wie wollen Sie die Einnahmen im Verkehrsbereich steigern? Dazu gibt es aus Nordrhein-Westfalen einen klaren Vorschlag. Wir haben gesagt: Wir wollen eine Mautausweitung ab 3,5 t auf allen überörtlichen Straßen. – Dobrindt sagt, das ist mit ihm nicht zu machen, maximal auf ein paar mehr Bundesstraßen. – So wird er Anfang der Woche zitiert: Auf vierspurigen Bundesstraßen würde er das ausweiten wollen.

Aber was ist die Folge? Heute steht in der „FAZ“ – einer Zeitung, die den Grünen ja bekanntlich nicht ganz so nahe steht –: Einbruch der Mauteinnahmen in Deutschland, weniger Maut für Lkw. – Sie können also mit großer Wahrscheinlichkeit das, was Sie im Koalitionsvertrag versprochen haben, diese 1,25 Milliarden zusätzlich, gar nicht einhalten. Wo wollen Sie denn das Geld hernehmen, das wir dringend für die Sanierungsmaßnahmen brauchen? Ich hätte mir gewünscht, dass Sie in Ihrem Antrag dazu ein paar Sätze sagen, wenn es denn nicht die Ausweitung der Lkw-Maut sein soll.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir sollten und müssen an dieser Stelle feststellen: Wir haben ausreichend Planungsreserven. Wir müssen bei Straßen.NRW sicherlich nachsteuern. Es braucht in manchen Bereichen mehr Ingenieure. Das gilt insbesondere für den Bereich Brückensanierung. Da haben wir zu wenige Ingenieure, die dieses wichtige Thema angehen können. Die Analysen sind aber alle gemacht. Wir wissen, dass wir über 300 sanierungs­bedürftige Autobahnbrücken in Nordrhein-Westfalen haben.

Für den Fall, dass Gelder möglicherweise wieder nicht genutzt werden können, sind wir jetzt als Land der DEGES beigetreten. Das heißt, wir können jetzt als Land Maßnahmen an externe Planungsbüros geben, damit hier keine Mittel verfallen.

Sollte das trotzdem noch mal der Fall sein, dann ist genau das richtig, was der Kollege Reiner Breuer eben gesagt hat, dann gilt: Wir müssen durchsetzen Überjährigkeit und verkehrsträgerübergreifende Nutzung von Mitteln.

Diese 40 Millionen € hätte man gut beim RRX nutzen können, bei den Maßnahmen, die hier dringend anstehen, beim Ausbau der Betuwe-Linie. Wir haben so viele Aufgaben im Bereich Schiene zu erledigen, dass man diese 40 Millionen da gut hätte reinstecken können.

Aber auch das ist Aufgabe der Bundesregierung, die Richtlinien entsprechend zu ändern: Überjährigkeit der Maßnahmen und verkehrsträgerübergreifend.

Ich bin sicher, wenn wir dieses Maßnahmenpaket miteinander schnüren, also wenn wir Straßen.NRW besser ausstatten, Planer einstellen und eine Überjährigkeit vereinbaren, dann werden die Mittel in den nächsten Jahren auch entsprechend genutzt werden, damit wir vernünftige Wege in Nordrhein-Westfalen haben, damit wir die Sanierungsmaßnahmen entsprechend vorantreiben und damit die notwendige Verkehrsinfrastruktur in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verbessert wird.

Wir werden auf jeden Fall nicht das machen, was Sie in Ihren Regierungsjahren gemacht haben: Straßen planen, Bauschilder aufstellen an Straßen, die nie gebaut werden, und die am Ende wieder einsammeln müssen und ein entsprechendes Defizit einfahren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nordrhein-Westfalen ist auf einem guten Weg. Ihres Antrages hätte es dafür nicht bedurft. Wir werden den trotzdem im Ausschuss diskutieren. Aber machen Sie erst mal in Berlin Ihre Hausaufgaben. Dann können wir das hier im Landtag wieder diskutieren. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Klocke. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Rasche.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir brauchen in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland eine bedarfsgerecht ausgebaute Verkehrsinfrastruktur; denn das ist Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung. – Ich glaube, das ist die Kernbotschaft, wenn wir die Notwendigkeit von vernünftiger Verkehrspolitik beschreiben wollen.

Was bedarfsgerecht ist, wird auf der Basis von belastbaren Prognosen sorgfältig ermittelt und in den Bedarfsplänen des Bundes und des Landes gesetzlich festgelegt, meine Damen und Herren. Das ist ein vernünftiges Verfahren, damit man hinterher eine Basis hat, auf der man die Notwendigkeiten zum Beispiel von Finanzmitteln belegen kann, und eine Grundlage hat, auf der man hier gemeinsam argumentieren und miteinander diskutieren kann und sich nicht ständig streiten muss.

Meine Damen und Herren, wir hatten einen Bundesverkehrswegeplan 2003 als Gesetz beschlossen. Das, was dieser Bundesverkehrswegeplan 2003 für das Zieljahr 2015 an Verkehrsmassen prognostiziert hat, haben wir schon 2010 erreicht. Es ist also nicht so, als wenn die Prognosen immer ausufern und voraussagen: Da kommt viel, viel mehr Verkehr, und wir brauchen eigentlich gar nicht so viel auszubauen. – Das Gegenteil ist der Fall gewesen, auch bei dem jetzt noch gültigen Bundesverkehrswegeplan. Das, was dieser an Verkehren für 2015 vorausgesagt hat, wurde bereits 2010 erreicht.

Das heißt, wir müssen, da die Prognosen für die nächsten Jahre, gerade was den Güterverkehr betrifft, auch bei der SPD unbestritten sind, kontinuierlich bedarfsgerecht ausbauen, verkehrsträgerübergreifend – Herr Breuer, da bin ich bei Ihnen, selbstverständlich –, alle Verkehrsträger, aber natürlich auch die Straße.

Das ist die Grundlage für die heutige Diskussion, für die Verkehrspolitik in Nordrhein-Westfalen.

Ich möchte jetzt kurz sieben Stichpunkte aufgreifen.

Horst Becker wurde von den Kollegen Schemmer und Klocke genannt. Ich weiß nicht, ob es unbedingt notwendig ist, ihn hier in der Debatte ständig zu benennen, aber man lernt ja manchmal auch von Negativbeispielen.

Herr Klocke sagt – er suggeriert es zumindest –, Horst Becker hätte dafür gesorgt, dass zu seiner Zeit enorm ausgebaut worden sei. Das stimmt. Wir wissen auch, warum: aufgrund der Vorarbeit der Koalition zuvor.

Die Arbeit von Horst Becker war aber doch langfristig angelegt. Er hat keine Blockadepolitik für ein, zwei Jahre betrieben. Seine langfristige Politik und das, was er wollte, das ernten wir heute.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir blasen nämlich 41,8 Millionen von Nordrhein-Westfalen aus in andere Bundesländer, weil wir – Zitat Mike Groschek – „eine Politik der leeren Schublade“ betrieben haben. Genau das darf Nordrhein-Westfalen nie wieder passieren: dass zweistellige Millionenbeträge, die Nordrhein-Westfalen zustehen, in andere Bundesländer wandern.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist eine Aufgabe dieses Hauses – und natürlich eine des Ministeriums. Wenn wir uns bei diesem Ziel einig wären – abgesehen von den Grünen –, wären wir schon einen wesentlichen Schritt weiter.

Zweites Stichwort: Planungspriorisierung. Man kann priorisieren, wenn man argumentiert: Wir haben zu wenig Geld. – Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Auch weiß ich nicht, ob die Botschaft nach Berlin richtig ist, dass man sagt: „Wir wollen weniger bauen“, wenn die anderen Länder mehr melden. – Daraus macht ein bayerischer Verkehrsminister im Bundesverkehrsministerium doch: Offensichtlich braucht Nordrhein-Westfalen weniger Geld. Die anderen melden viel mehr. Offensichtlich brauchen die viel mehr Geld. Ich nehme diese Steilvorlage aus Nordrhein-Westfalen an. Dann kriegt ihr halt noch weniger. – Wir wissen doch, wie die in Berlin ticken.

Was aber gar nicht geht, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ist, dass man diese Priorisierungsliste willkürlich aufstellt, dass man auch nach mehrfacher Nachfrage im Verkehrsausschuss und hier im Hohen Hause keine einzige Begründung liefert, warum ein Projekt gestrichen wird und ein anderes nicht. Das haben die Menschen, die vor Ort wohnen, nicht verdient. Sie haben eine ehrliche Antwort verdient auf die Frage, warum ein Projekt gestrichen wird – und nicht diese willkürliche Verkehrspolitik.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Nächstes Stichwort: Planfeststellungsbeschlüsse. Das ist doch der eigentliche Grund, der zu einer „Politik der leeren Schublade“ führt. Wir hatten diese Blockadepolitik damals – zwischen 1995 und 2005 – unter Bärbel Höhn. Da wurden kaum Planfeststellungsbeschlüsse gefasst, im Jahre 2004 ein einziger. Dann gab es einen Politikwechsel auch im Sinne der SPD: 2005 sechs Planfeststellungsbeschlüsse, 2006 elf Planfeststellungsbeschlüsse, 2007 14 Planfeststellungsbeschlüsse. Diese Entwicklung sehen wir dann doch umgekehrt 2012 und 2013; da gab es nur noch jeweils zwei Planfeststellungsbeschlüsse.

Es muss die zentrale Aufgabe eines Ministers sein – unabhängig jeglicher Koalition –, dafür zu sorgen, dass genügend Planfeststellungsbeschlüsse gefasst werden, damit das Geld, das Nordrhein-Westfalen zusteht, auch verbaut werden kann, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Da besteht in diesem Ministerium noch Luft nach oben. Der Minister hat reagiert und schafft 20 neue Stellen. Außerdem machen wir jetzt bei DEGES mit. Ob diese beiden Punkte ausreichen, dass wir auch 2014, im nächsten Jahr und im Jahr darauf sämtliche Mittel, die uns zustehen, ausgeben können: Warten wir ab, meine Damen und Herren! Auf jeden Fall haben wir – das steht fest – zu spät gehandelt; denn dieses Fiasko hätte nicht passieren dürfen.

Ich sage jetzt noch kurz etwas zum Bundesverkehrswegeplan. 47 Maß­nahmen, die die Regionalräte mit den Stimmen von SPD, CDU und FDP vorgeschlagen haben, wurden nicht zur Bewertung nach Berlin weitergemeldet.

Man kann von Priorisierung reden. Aber auch da, meine Damen und Herren, ist Willkür unangemessen. Auch da muss ich den Bürgerinnen und Bürgern sagen, warum ich auf der Grundlage der Beschlüsse von SPD, CDU und FDP in den Regionalräten das eine Projekt nach Berlin weitermelde und andere nicht. Die Begründung fehlt auch hier. Das ist keine Transparenz, keine ehrliche Verkehrspolitik, sondern das sind Koalitionskompromisse zwischen den beiden Partnern in diesem Hohen Haus.

Nächstes Stichwort, meine Damen und Herren: Bodewig-Kommission. Der Antrag der CDU in Gänze schildert die verfehlte und willkürliche Verkehrspolitik in Nordrhein-Westfalen. Der Antrag ist gut – der eine Absatz in der Beschlussfassung zur Bodewig-Kommission aber natürlich nicht. Es kann auch niemand ernsthaft erwarten, dass die FDP-Fraktion dem zustimmt.

Täglich werden bundesweit 13 Millionen € in den Schornstein geblasen – genau diesen Wert haben wir an Substanzverlust in der Infrastruktur. Täglich 13 Millionen €! Das muss man sich einmal vorstellen. Das Geld ist weg! Außerdem muss man dringend sanieren.

Die Bodewig-Kommission mit Ministern aus vier Fraktionen – die Grünen und die FDP und natürlich auch die Union und die SPD waren dabei – hat gesagt: Wir brauchen 7 Milliarden mehr. Aber die Große Koalition gibt jetzt tatsächlich pro Jahr anstatt 7 Milliarden € 1,25 Milliarden €.

Das macht übrigens über vier Jahre 5 Milliarden € aus. Im Bundeswahlprogramm der CDU stand genau dieser Wert: Wir fordern 5 Milliarden mehr. – Mehr nicht. Im Wahlprogramm der SPD stand immerhin: Wir fordern pro Jahr 2 Milliarden mehr aus Haushaltsmitteln. Aber wieso einigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner? Es ist schon bemerkenswert, dass der ausgerechnet von der CDU kommt.

Auf jeden Fall ist das viel zu wenig Geld. Wenn Herr Breuer sagt: „Wir müssen die Ziele der Bodewig-Kommission weiterhin verfolgen“ – auch darauf haben wir schon in einem Antrag hingewiesen, den wir auch noch im Verkehrsausschuss beraten werden –, sind wir dabei. Das müssen wir auch ernsthaft tun.

(Beifall von der FDP und Jochen Ott [SPD])

Was mir aber noch viel mehr Sorge bereitet, ist das Verhältnis zwischen CDU und SPD bei der Verkehrspolitik in diesem Hohen Haus mit Blick auf Berlin. In diesem Wettbewerb um begrenzte Mittel für alle Verkehrsträger unterliegt Nordrhein-Westfalen seit Jahren, seit Jahrzehnten anderen Bundesländern: Küstenländern, Bayern, Baden-Württemberg.

Ein wesentlicher Grund für dieses Fiasko ist das Auseinandergehen der beiden großen Volksparteien SPD und CDU bei sehr großen Verkehrsprojekten für Nordrhein-Westfalen. Da wird keine gemeinsame Strategie entwickelt, da wird kein gemeinsames Ziel verfolgt.

Alle Beteiligten – auch alle Fachleute – in Nordrhein-Westfalen haben gehofft, dass dieses Gegeneinander bei Verkehrsprojekten durch die Große Koalition beendet wird. Aber auch hier haben wir bisher null Miteinander erlebt.

Auch durch die heutigen Debattenbeiträge der Kollegen Schemmer und Breuer wird beschrieben: Selbst bei Großprojekten gibt es dieses Miteinander immer noch nicht. Es sollte ein wesentliches Ziel sein, dieses Miteinander – vielleicht auch mit den Grünen, der FDP und den Piraten – im Verkehrsausschuss zu erreichen. Deshalb freue ich mich auf die Diskussion. Wir stimmen der Überweisung natürlich zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Nun spricht für die Fraktion der Piraten Herr Kollege Fricke.

Stefan Fricke (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger am Stream! Der hier vorliegende Antrag der Kollegen von der CDU ist ein leuchtendes Beispiel politischer Heuchelei und Wählerveräppelung.

(Zuruf: Genau!)

Denn genau die CDU, die hier lauthals die derzeitige Landesregierung an den Pranger zu stellen versucht, ist zusammen mit der FDP diejenige, die die Grundlagen zu diesem Übel gelegt hat, das sie heute wortgewaltig bejammert.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Das Übel ist dasselbe wie vor knapp zehn Jahren: die Haushaltsmisere unseres Bundeslandes, die in allen öffentlichen Bereichen zu einem drastischen Personalabbau geführt hat.

Interessanterweise ist dieser Abbau im Bereich „Bauen und Verkehr“ in den Jahren der schwarz-gelben Regierung deutlich drastischer durchgeführt worden als in der nachfolgenden Zeit der rot-grünen Koalition.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Keine Klagen bitte – dies ist keine unbelegte Behauptung. Hier sind die konkreten Zahlen: In den Jahren der CDU-FDP-Koalition, also von 2006 bis 2010, wurden bei Straßen.NRW genau 619 Planstellen gestrichen bzw. nach dem Freiwerden nicht mehr neu besetzt. Das sind nicht ganz 124 Stellen pro Jahr. In den Jahren 2010 bis 2013 wurden genau 102 Stellen gestrichen bzw. nicht neu besetzt; das sind 34 Stellen pro Jahr.

(Zuruf von den PIRATEN: Hört, hört!)

Erst in diesem Jahr gibt es wieder eine Zunahme der Besetzung um 38 Stellen. Minister Groschek scheint also Wort zu halten.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Natürlich sind das nicht alles Ingenieure, Planer oder andere Fachleute, die entscheidend oder gar verantwortlich bei der Behebung der Verkehrsmisere mitarbeiten können. Auch fehlende Straßenbauarbeiter sind einer von vielen Gründen für das Dilemma im Bereich Straßenverkehr.

Vom öffentlichen Personennahverkehr wollen wir da gar nicht erst reden. Der existiert für die verehrten Kollegen der CDU ja anscheinend sowieso nicht. Ich will Sie auch gar nicht mit unseren Konzepten zum ÖPNV langweilen. Die sollten Sie längst kennen, zumindest setze ich das jetzt und hier mal ganz optimistisch voraus und spare mir daher eine erneute Auflistung, um direkt zum motorisierten Individualverkehr zurückzukehren.

Ziel einer Verkehrsplanung kann und darf nicht das Primat des MIV sein. Darüber darf es keine Diskussionen geben. Eine sinnvolle Verkehrsplanung darf auch keinesfalls vorhandene Strukturen derart vernachlässigen, dass sie unbenutzbar werden und den Verkehr behindern, anstatt dafür zu sorgen, dass er reibungslos funktioniert.

Und genau das ist der Knackpunkt. Vielleicht sollten sich meine verehrten Kollegen mal ernsthaft Gedanken darüber machen, wie man das drohende Desaster tatsächlich verhindern kann, anstatt so bewundernswerte Ideen wie Pontonbrücken über unsere Flüsse vorzuschlagen, so wie es die Kollegin Milz in ihrer Kleinen Anfrage 2027 letztens tat. Irgendwie müssten dann doch alle Fracht- und Passagierschiffe über diese Pontons drübergehievt oder drum herumgeleitet werden. Keine Ahnung, wie die CDU sich das vorgestellt hat!

Die Lösung dieses Geniestreichs erfordert mit Sicherheit derart enorme Planungskapazitäten, dass das Ganze wahrscheinlich nicht einmal auf dem freien Markt einzukaufen ist.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Schön wäre es, wenn sich die verehrten Kollegen aller Fraktionen mal konstruktive Gedanken darüber machen könnten, wie der von ihnen so schwungvoll verursachte Fachkräftemangel bei Straßen.NRW langfristig zu beseitigen ist. Wir erinnern uns: In NRW haben wir einen Bedarf an ca. 65.000 Ingenieuren bei einem Angebot von etwa 25.000. Ohne in das geliebte Spiel der Klientelbedienung – heute auch gerne mit der verniedlichenden Bezeichnung als „Markt vor Staat“ kaschiert – zurückzufallen: Ein Schelm, wer „Bildungspolitik“ dabei denkt.

Wäre da nicht der Punkt 2, dem wir bis auf die Forderung nach Outsourcing zustimmen können, wäre das Ganze eine gewaltige Steuerverschwendung. So aber wird der Antrag wohl in den zuständigen Ausschuss verwiesen und dann zu den Akten gelegt, was sicherlich die beste Lösung sein wird. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Wir kommen zum nächsten Redner, und das ist für die Landesregierung der zuständige Minister, Herr Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ja, die Mittelrückgabe ist ärgerlich. Hätten wir jetzt schon die Überjährigkeit gehabt, die Alexander Dobrindt – egal ob als Verkehrsminister oder als Minister für Mobilität und Modernität – jetzt umsetzen will, hätten wir gescheit haushalten können. Wenn wir dann auch noch die verkehrsträgerübergreifende Mittelvergabe hätten, könnten wir sinnvoll dort Prioritäten setzen, wo es für das Land nottut.

Ich komme zunächst noch mal zu dem Antrag.

Ich glaube, Herr Schemmer, der Antrag entspricht nicht dem Niveau, mit dem wir normalerweise gemeinsam die Ausschusssitzungen bestreiten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn dieser Antrag ist triefendes Eigenlob. Das Problem ist nur: Es gibt keine schwarz-gelbe Heldensaga in der nordrhein-westfälischen Verkehrspolitik.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es gibt sie nicht! Wir sind die Guten! Wir!

(Heiterkeit von der SPD)

Bei Ihnen gibt es immer wiederkehrend so etwas, was ich jetzt mal – flapsig formuliert – „Pappkameraderie“ nennen möchte.

(Zuruf von der FDP)

Warum? Weil Sie bei jedem Wahlkampf die armen, kleinen Jungunionisten mit Pappschildern „Rot-Grün verhindert die Ortsumfahrung XYZ“ auf die Felder schicken.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Das Ende vom Lied ist: Die kriegen alle einen Schnupfen, fehlen in der Schule, Bildungsnotstand droht – auch schlecht!

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Ich habe Ihnen im Ausschuss schon gesagt: Im Grunde könnte man – flapsig – formulieren: „Rot-Grün schafft, Schwarz-Gelb rafft“. Warum?

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Weil Sie darauf hingewiesen haben, wie das mit den Planfeststellungs­beschlüssen ist. In Ihrer Regierungszeit wurden 51 Maßnahmen real baureif. Wir wissen aber alle miteinander, dass in der Regel drei bis vier Jahre ins Land gehen, bis ein neuer Planfeststellungsbeschluss baureif wird. Also können diese 51 Maßnahmen überhaupt nicht in dieser Zeit auf den Weg gebracht worden sein, sondern sie sind zu einem früheren Zeitpunkt auf den Weg gebracht worden.

Deshalb noch einmal: Die schwarz-gelbe Verkehrspolitik eignet sich nicht als Heldensaga, sondern es gibt eine wesentlich breitere Verteilung von Lob und Tadel.

Kommen wir jetzt noch einmal zu dem chronologischen Abbau des Problems, das sich heute darstellt. 2006 ist durch die Landesregierung ein pauschaler Stellenabbau quer durch die Landesverwaltung in Höhe von 1,5 % pro Jahr verfügt worden, mit Ausnahme des Landesbetriebes Straßen.NRW. Der damals verantwortliche Verkehrsminister hat gesagt: Pustekuchen 1,5 %! Ich schaffe mehr und gehe rauf auf einen Stellenabbau in Höhe von 1,8 %. Summa summarum sind das 771 Stellen, die Sie abgebaut haben, und damit leider Gottes überproportional verkehrsplanende Ingenieure, die wir heute dringend bräuchten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bin auf eine interessante „NRZ“-Ausgabe vom 20. November 2006 gestoßen. Die Überschrift – sie könnte auch von heute stammen – lautet: „Aufstand der Pendler“. Dort wird über die unzumutbaren Zustände in der RE 6, die im Ruhrgebiet sowie in Düsseldorf und Köln verkehrt, berichtet. Damals galt bereits das Prinzip: Ölsardine in Bimmelzug.

Ihre Antwort darauf lautet nicht etwa: „Wir kümmern uns um den Rhein-Ruhr-Express und setzen den auf die Schiene“, sondern – ich zitiere aus dem CDU-Landtagswahlprogramm –:

„Ein langfristiges verkehrspolitisches Ziel ist eine schnelle Magnetschwebebahnverbindung zwischen Randstad Holland und dem Rhein-Ruhr-Ballungsraum […].“

Nicht RRX, sondern das Weiterträumen des ausgeträumten Transrapid! Was will ich damit sagen? – Ich will damit sagen, dass wir in dieser Diskussion alle miteinander ein Stück weit katholischer werden sollten und das „Mea culpa“, das „Mea maxima culpa“ zwischendurch vielleicht gemeinsam anstimmen sollten.

(Beifall von der SPD)

Denn ich glaube nicht daran, dass die Personifizierung und Dämonisierung von Staatssekretären weiterhilft, weder im Guten, noch im Schlechten, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten.

(Beifall von der SPD)

Soweit zu 2006. Kommen wir jetzt zu dem rot-grünen Teufelswerk. 2010 ist der Strafabbau beim Personal gestoppt worden. Damals wurde gesagt: Nur noch ein Personalabbau in Höhe von 1,5 %, nicht mehr 1,8 %. Also 20 % weniger!

(Zuruf: Oh!)

– Ja, immerhin. – 2011 wurde die Priorisierung durchgesetzt, und zwar mit viel Tamtam, weil dabei natürlich vielen auf die Füße getreten wurde, die noch immer glaubten, ihre Ortsumfahrung würde irgendwann einmal real gebaut werden.

2013 ging es weiter. In diesem Jahr haben wir den Personalabbau komplett gestoppt und vor allen Dingen mit der Ministerpräsidentin und dem damaligen Bundesverkehrsminister erreicht, dass die beste Antistaumaßnahme, die dieses Land jemals gesehen hat, vertraglich fixiert wurde, nämlich die Vereinbarung zwischen Bahn, Bund und Land Nordrhein-Westfalen, den Regionalexpress Rhein-Ruhr real als Express für Pendler auf die Schiene zu setzen. Das ist ein Gold wertes Anti-Stau-Programm, das 2013 umgesetzt wurde, genau wie Betuwe.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann kommen wir zu 2014: Rekordetat bei den Vergaben. Herr Schemmer, Sie werden keine Jahreszahl finden, in der der Vergabeetat bzw. die Mittel für die Vergabe an Planungsingenieure so groß war wie im Haushaltsansatz 2014. Und zusätzlich wurden real neue Stellen geschaffen. Darüber hinaus sind wir jetzt endlich Mitglied der DEGES.

(Bernhard Schemmer [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Wir handeln somit sehr praktisch und verbindlich und ergehen uns nicht in leeren Versprechungen, die in Wirklichkeit noch nicht einmal bis zum nächsten Wahltermin tragen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schemmer?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Selbstverständlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Schemmer, Sie haben das Wort.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, Sie sprachen gerade davon, dass Sie im Jahr 2014 die höchste Summe für Planungsaufträge aus Ihrem Haus herausgegeben haben, die es jemals gegeben hat. Wie hoch war denn die Herausgabe von Planungsaufträgen im Jahr 2011?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Schemmer, die Zahlen liegen Ihnen vor.

(Bernhard Schemmer [CDU]: Nein!)

Jedenfalls ist die Summe, die wir jetzt im Etat haben, mindestens doppelt so groß, aber auch deutlich größer als in allen anderen Vorjahren. Wir verfügen über eine Summe von 34 Millionen €, die in diesem Jahr an die planenden Ingenieurbüros vergeben werden können und mit der der Planerengpass überwunden werden kann. Soweit zur Beantwortung Ihrer Frage. Jetzt kann die Uhr wieder angeschaltet werden.

Zum Erhalt von Neubau: Der Bund hat recht damit, wenn er sagt: Endlich sind im Koalitionsvertrag zwei Drittel für Erhaltmaßnahmen und ein Drittel für den Neubau vorgesehen, wobei 80 % von diesen Neubaumitteln nicht für Klimbim in der Vielfalt unseres Landes bestimmt sind, sondern nur für national bedeutsame Projekte. 20 % stehen für all das zur Verfügung, was regional oder lokal bedeutsam erscheint.

Was heißt das? – Das heißt, dass wir im Grunde erleben, wie der Bundesverkehrswegeplan in großen Teilen seiner Anlage zu einem verkehrspolitischen Märchenbuch wird. Warum? – Weil wir eine neue Priorisierungskategorie einführen, die „vorrangiger Bedarf Plus“ heißt. Und man kann schwer vermuten, dass diejenigen Projekte, die in dem neuen Bundesverkehrswegeplan von Herrn Dobrindt nicht das Prädikat „vorrangiger Bedarf Plus“ bekommen, in der Bauausführung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagt werden.

Das heißt auf Deutsch gesagt: Wir sollten uns bei der vor uns liegenden Priorisierung gemeinsam darauf verständigen, von vielen Projekten Abschied zu nehmen, die in den Regionen dieses Landes allen Ernstes noch als reale Neubaumaßnahme vor Augen stehen. Warum sollen wir die Menschen mit Behauptungen frustrieren, von denen wir selbst wissen, dass deren Wahrheitsgehalt gegen null tendiert?

(Beifall von der SPD)

Deshalb sage ich: Priorisierung tut not, und wir laden Sie jedenfalls herzlich ein, eine gemeinsame Kärrnerarbeit zu leisten.

Insgesamt sind aus dem ablaufenden Bundesverkehrswegeplan noch knapp 90 Milliarden € nicht verbaut. Das heißt, es gibt ein Delta vom Bundesverkehrswegeplan 2003 in Höhe von 89 Milliarden €. Herr Rasche hat bereits darauf hingewiesen. In NRW wurden rund 4,5 Milliarden € aus dem vermeintlich vordringlichen Bedarf überhaupt noch gar nicht angepackt.

Deshalb sage ich noch einmal: Es macht doch keinen Sinn, wenn zu den 278 Projekten mit einem Volumen von über 21 Milliarden €, die wir schon jetzt zur Bewertung nach Berlin gegeben haben, zusätzliche Projekte hinzukommen. Deshalb fehlt mir auch die Plausibilitätserklärung für die acht Projekte, die wir jetzt nachgereicht haben.

Ich kann mir meinen Reim darauf machen, aber verkehrsfunktional ist die Begründung mit Sicherheit nicht, die Dobrindt dazu veranlasst hat, uns zu zwingen, aus den 21,5 Milliarden € 22,5 Milliarden € zu machen. Das riecht nach Nonsens, wenn ich auch nie öffentlich behaupten würde, dass das so wäre.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Mauterweiterung: Ich glaube, dass das, was im Moment in Berlin verabredet wird, der Einstieg ist, der dringend notwendig ist. Wir erleben jetzt eine Vorbelastung der zugesagten 5 Milliarden €, die schon gespenstisch ist. Wir wissen, 1,5 Milliarden € können wir gleich streichen, weil dieses Geld dem Abarbeiten der Spatentischorgie von Herrn Ramsauer dient. Er hat knapp 150 Baumaßnahmen im Bundestagswahlkampf begonnen, 50 davon in Bayern. Und dieser Spaß muss mit 1,5 Milliarden € jetzt abgearbeitet werden. Sei es drum!

Es bleiben also 3,5 Milliarden €. Von diesen 3,5 Milliarden € muss man mindestens 2,1 Milliarden € abziehen, die durch nicht vereinnahmte Mauteinnahmen fehlen. Denn das, was gestern offenbar wurde, führt dazu, dass wir rund 2 Milliarden € weniger einnehmen, als prognostisch in der Kasse waren. Das heißt, summa summarum bleibt unterm Strich ein kümmerlicher Restbetrag, wenn nicht durch zusätzliche Mauteinnahmen und durch zusätzliche Steuereinnahmen diese Lücke geschlossen wird.

Man kann es auch anders formulieren: Das jetzige Mautpaket ist im Grunde nur das Stopfen von Schlaglöchern, aber nicht die Grundsanierung des Verkehrssystems.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb brauchen wir eine andere Finanzierungsperspektive. Deshalb ist das, was in dem Vertrag der Großen Koalition beschrieben ist, nur ein Einstiegsszenario, aber weiß Gott noch kein nachhaltiges Finanzierungsprojekt und kein Finanzierungsentwurf, den wir dringend bräuchten.

Abschließende Bemerkung für jetzt: Lieber Kollege Schemmer, ich streite mit Ihnen herzlich gerne. Ich nehme auch jede sportliche Herausforderung an. Deshalb haben Sie recht: Wir spielen keineswegs in einer Liga. Rot-Weiß Oberhausen steht da, und Sportfreunde Klein Reken stehen da. Von daher, auch sportlich: Toi, toi, toi, ahoi!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Für die SPD-Fraktion erteile ich als nächstem Redner Herrn Kollegen Tüttenberg das Wort.

Achim Tüttenberg (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einer Einladung an den Kollegen Voussem beginnen, der nach mir spricht und die heutige Debatte als einmalige Gelegenheit nutzen könnte, nämlich all die stichhaltigen Argumente des Kollegen Breuer, des Kollegen Klocke, des Kollegen Fricke, des Ministers – wenn er möchte, auch meine – in seine Ausführungen einzubeziehen, um die etwas abgegriffen wirkende Gebetsmühle des Kollegen Schemmer wirklich in der Mottenkiste verschwinden zu lassen,

(Beifall von der SPD)

der über einen Zustand lamentiert, den Sie selbst politisch mit herbeigeführt haben.

Im Grunde richtet sich Ihr Antrag auch gar nicht gegen die Landesregierung, sondern im Prinzip richtet er sich gegen den Landesbetrieb und seine Beschäftigten. Wissen Sie eigentlich, was Sie denen nicht nur durch den Turbostellenabbau, sondern auch durch die ebenso unsinnigen wie mutwilligen Umstrukturierungen innerhalb des Landesbetriebes während Ihrer Regierungszeit zugemutet haben?

Es ist bedauerlich, dass der Kollege Lienenkämper, der auch als Autor unter dem Antrag steht, kurz vor Beginn dieser Debatte den Raum verlassen hat.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Wir wissen, warum!)

Er ist ja in sehr interessante Fußstapfen getreten, nämlich in die Fußstapfen des Verkehrsministers Wittke ebenso wie in die des Parlamentarischen Geschäftsführers Biesenbach. Diese beiden haben, wo auch immer, ausgeklüngelt – ich will das als Beispiel erwähnen –, dass die Niederlassung des Landesbetriebs im Projektschwerpunkt Rheinscheine, in Bonn, dort, wo das Bevölkerungswachstum am größten ist, wo der Verkehrszuwachs am größten ist – eine Fülle von Projekten stehen dort zur Planung an –, geschlossen wurde und der Sitz ins oberbergische Gummersbach verlegt worden ist.

Wissen Sie eigentlich, was Sie damit ausgelöst haben? – Frust und Flucht. Das war nämlich eine Maßnahme, insbesondere der CDU, aber mit billigender Begleitung der FDP, zur Vertreibung hochkarätiger, kompetenter, ortskundiger, eingearbeiteter Ingenieure. Die sind im großen Stil abgewandert, weil sie solchen Strukturunsinn nicht auf ihre Knochen zugunsten einer Umsetzung von CDU-Politklüngel durchgehen lassen wollten.

(Beifall von der SPD)

In Verbindung mit dem vom Kollegen Breuer detailliert dargestellten und vom Minister mit Zahlen unterlegten überdurchschnittlichen Arbeitsplatzabbau beim Landesbetrieb haben Sie damals den Exodus an Planungskapazität politisch in Gang gesetzt, über den Sie jetzt Krokodilstränen vergießen. Insofern bitte ich Sie, dass Sie uns eine erneute Version des Versuches, den Schwarzen Peter zum roten Minister herüberzuschieben, gleich ersparen, Herr Kollege Voussem. Denn der Schwarze Peter sitzt in der Tat immer noch in Ihrer Fraktionsspitze. Das ist nämlich der Schwarze Peter Biesenbach aus Gummersbach,

(Beifall von der SPD)

der mit Ihrer Hilfe die Ingenieure vertrieben hat, die die Planungen machen könnten, die Sie heute vermissen.

Der Minister hat bereits darauf hingewiesen, dass das Abfeiern von Planfeststellungsbeschlüssen nur die eine Seite ist bei langen Planungsvorläufen von Straßen, die Ihnen bekannt sein müsste. Es ist so, dass es in Ihrer Regierungszeit nur deshalb viele Planungsabschlüsse gab, weil vorher viel vorbereitet war. Nach Ihrer Regierungszeit gab es wenige Planungsabschlüsse, weil sich in Ihrer Regierungszeit diejenigen, die Planungen hätten machen können, mit Umstrukturierungen, mit Stellenabbau, mit dem Aufblasen von Bedarfsplänen und öffentlichkeitswirksamen Spatenstichen beschäftigt haben.

Dazu habe ich jetzt auch noch ein Beispiel, denn das Abfassen von Planfeststellungsbeschlüssen alleine nützt ja auch nichts. Der Nutzen tritt mit dem Bau und mit der Fertigstellung von Projekten ein. Kollege Lienenkämper hätte sich sicherlich gerne daran erinnert, als wir beide – Kollegin von Boeselager, die jetzt leider auch nicht mehr da ist, wird sich auch erinnern – vor der letzten Kommunalwahl 2009 in der Stadt Bornheim am Rhein einen ersten Spatenstich vollzogen haben. In der Rede hat Herr Lienenkämper, damals als Verkehrsminister, ebenfalls die vielen Planungsabschlüsse und Spatenstiche gepriesen.

Wissen Sie, was danach passiert ist? Sie ahnen es: Stillstand. Weder 2009 noch 2010, dem letzten Jahr Ihrer Regierungszeit, ist etwas passiert. Wissen Sie, wann die Finanzmittel zur Verfügung gestellt worden sind? – Im ersten rot-grünen Haushalt 2011 mit den Akteuren, die Sie eben, Herr Schemmer, hier namentlich erwähnt haben. Und in diesem Jahr wird diese Maßnahme fertiggestellt.

Sie sehen, es gibt einen grundlegenden Unterschied, der im ganzen Land gilt, zwischen schwarz-gelber Bausymbolik und rot-grüner Baupolitik. Sie haben mit Ihrer wie ein Heißluftballon aufgeblasenen Bedarfsplanung allen alles versprochen. Eingehalten haben Sie nur wenig. Wir versprechen nicht jedem alles, sondern weniges, aber Machbares, damit wir es auch einhalten können. So gewinnt man übrigens auch zwei Landtagswahlen hintereinander, wie Sie wissen. Wenn Sie nicht ein drittes Desaster erleben wollen, dann lade ich Sie erneut ein, zur Realpolitik zurückzukehren.

Üblicherweise freut man sich ja auf die Beratung im Fachausschuss. Das tue ich nur dann, wenn Sie auf dem Weg dorthin entweder Ihren Antrag zurückziehen oder ihn zumindest einer Grundrevision unterziehen.

(Peter Preuß [CDU]: Oh, oh, oh!)

Deswegen werden wir dem eine Chance geben und bis dahin der Überweisung zustimmen – mit der Aussicht, dass bei Ihnen Einkehr und vielleicht auch Umkehr eintritt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Donnerlittchen!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Tüttenberg. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Voussem.

Klaus Voussem (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freunde einer guten Verkehrspolitik in Nordrhein-Westfalen! Herr Kollege Tüttenberg, ich nehme Ihre Einladung herzlich gern an. Ich bringe nicht nur Weisheit und Einsicht mit, sondern habe für Sie nachgelesen, was Konfuzius sagt:

(Zurufe von der SPD: Ah!)

„Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht ihn zum zweiten Mal.“

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Das ist Ihnen, sehr geehrter Herr Minister Groschek, bei aller Dampfplauderei passiert; das ist ganz klar. Bisher haben Sie die Fehler Ihres Vorgängers nicht korrigiert. Aber das muss nicht so bleiben. Die Hoffnung gebe ich an dieser Stelle nicht auf.

Ich komme insoweit auf unseren Antrag zurück. Die nordrhein-westfälische Landesregierung kann künftig alle Bundesmittel abrufen. Denn die Mittel sind in der vergangenen Wahlperiode vom Bund geflossen. Das werden sie auch in der jetzigen Wahlperiode tun.

Ich darf an dieser Stelle noch einmal erinnern: Der Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung war in der vergangenen Wahlperiode der größte Investitionshaushalt unter allen Haushalten. Diesen guten Kurs in der Verkehrspolitik wird auch die CDU/CSU-geführte Bundesregierung in der neuen Koalition fortsetzen. In den kommenden Jahren wird es zusätzliche Bundesmittel in Höhe von 5 Milliarden € für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur geben – immerhin 1,25 Milliarden € pro Jahr.

Die Große Koalition in Berlin bekennt sich damit klar zu einer leistungsfähigen Infrastruktur in Deutschland. Sämtliche in einem Haushaltsjahr nicht verbauten Verkehrsinvestitionsmittel stehen überjährig und damit zeitlich unbegrenzt zur Verfügung. Die Mittel werden von der Bundesregierung aufgestockt und sind zudem flexibler abrufbar.

Die Bundesregierung, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat damit ihre Hausaufgaben gemacht und bewahrt gleichzeitig die rot-grüne Landesregierung vor einem erneuten wirtschaftlichen Totalschaden, der schon einmal im Jahre 2013 der Fall war. Ich erinnere nochmals an die verlorenen 42 Millionen €.

(Beifall von der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Autobahnen insbesondere in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet sind unstreitig sanierungsbedürftig. In den neuen Bundesländern gibt es dagegen Autobahnen in bestem Zustand, aber diese sind deutlich weniger befahren. Daher ist längst ein Ausgleich fällig.

(Beifall von Minister Michael Groschek)

Deswegen ist es sinnvoll, die Mittel für die Infrastruktur künftig nicht mehr nach Bundesländerproporz, sondern nach Bedarf zu verteilen. Hierbei hat der Bund entsprechend reagiert. In der Koalitionsvereinbarung ist festgehalten, dass 80 % der Mittel für Neu- und Ausbau künftig nach einem nationalen Prioritätenkonzept vergeben werden. Herr Kollege Breuer, Sie haben es bereits angesprochen. Dazu gehören unter anderem der Ausbau hochbelasteter Hauptachsen, zum Beispiel im Ruhrgebiet, und die Schließung wichtiger, überregional bedeutsamer Netzlücken wie die A1 bei Blankenheim.

Es ist eine große Chance für Nordrhein-Westfalen, in den kommenden Jahren mehr Bundesmittel als bisher zu bekommen. Das ist die Chance für Nordrhein-Westfalen. Diese gilt es zu nutzen. Nun ist die nordrhein-westfälische Landesregierung am Zuge. Das geht aber nur, wenn die nordrhein-westfälische Landesregierung massiv Planfeststellungen vorantreibt – auch durch externe Vergaben.

Bleibt die Landesregierung bei der planlosen Vorgehensweise wie bisher, so werden die Bundesmittel überall verbaut, nur nicht in NRW. Der Planungsstopp 2011 war ein schwerwiegender Fehler.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Planungsstopp?)

Diesen nicht rückgängig zu machen, war der zweite. Herr Minister Groschek, bitte machen Sie keinen dritten Fehler. – Schönen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Voussem. – Für die grüne Fraktion meldet sich noch einmal Herr Klocke zu Wort.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Ich habe eine Minute Redezeit übrig. Ich will meine Ausführungen in drei Punkten zusammenfassen und mit einer Vorbemerkung starten.

Lieber Herr Kollege Voussem, es gab keinen Planungsstopp – auch wenn Sie das immer wieder versuchen –, sondern wir haben 2011 Projekte für 4,46 Milliarden € priorisiert. Sie werden entsprechend umgesetzt. Das ist absolut ausreichend.

(Beifall von Reiner Breuer [SPD])

Jetzt zu den drei Punkten. Ich habe erstens einen Vorschlag und ein Angebot an die CDU. Anstatt hier mit solchen Anträgen kurz vor der Kommunalwahl zu zündeln, lassen Sie uns zu dem Konsens zurückkehren, zusammen in Berlin für Nordrhein-Westfalen Druck zu machen, damit wir die entsprechenden Bundesmittel für Sanierung bekommen.

Hierbei entgehen uns in den nächsten vier Jahren 5 Milliarden €. Das habe nicht nur ich, sondern das hat auch Christof Rasche eben nachgerechnet. Opposition und Regierung sind sozusagen in diesem Fall einer Meinung. Wir brauchen dringend mehr Geld für Sanierung, damit wir die Straßen vernünftig erhalten. Das ist ein wichtiges wirtschaftspolitisches Thema. Da dürfen Sie von der CDU nicht versagen.

Zweitens. Sie haben uns eben gesagt, in Berlin werde ein guter Kurs bestritten. – Nein, man wünscht sich fast Herrn Ramsauer zurück. Wir hoffen, dass Herr Dobrindt endlich einmal in die Puschen kommt und uns vorstellt, wie der Sanierungsplan in den nächsten Jahren verfolgt werden und wie es bei der Lkw-Maut weitergehen soll. Die Daehre-Kommisison und die Bodewig-Kommission haben klare Antworten gegeben. Wir wollen jetzt die Antworten von Herrn Dobrindt haben.

Drittens. Ich halte fest: Wir von der SPD und den Grünen wollen nicht, dass Bundesmittel zurückgegeben werden müssen. Wir wollen alle Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir sie behalten können. Dafür muss Straßen.NRW flottgemacht werden. Dafür sind wir der DEGES beigetreten.

Damit sollte das wichtige Ziel, das Sie angeblich mit Ihrem Antrag verfolgen, dass keine Bundesmittel mehr zurückgehen, erreicht werden. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Klocke. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Danke. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen sowie Freunde der guten Verkehrspolitik! Ich danke Herrn Breuer, dass er bemerkt und deutlich gemacht hat, dass Mobilität mehr als die Straße umfasst.

Im CDU-Antrag wird leider unabänderlich ein Wachsen des Verkehrs an die Zukunft NRWs geknüpft. Herr Klocke hat dies bereits implizit durch den Artikel aus der „FAZ“ in Zweifel ziehen können. Die CDU sieht das Wachstum Nordrhein-West-falens und der Straßen allein bei den Bundesfernstraßen – so wie immer. Es gibt immer mehr neue Straßen, die verfallen, weil sie nicht unterhalten werden können – für Milliarden Euro und für Leute mit Autos.

Das ist nicht bedarfsgerecht, Herr Rasche. Bei der CDU werden Schiene und Schifffahrt ausgeblendet. Sie haben zwar „auch die Straßen“ gesagt, aber, glaube ich, gemeint haben Sie: Weiter so! – Das heißt: Schiene machen wir …

(Christof Rasche [FDP]: Ich habe gesagt: Alle Verkehrsträger!)

– Alle Verkehrsträger, aber meistens – schaut man in die Vergangenheit – heißt das: Schiene machen wir, aber im nächsten Jahrzehnt.

Laut CDU sollen die Kosten für den ÖPNV unsinnige Konsumkosten sein. Aber wenn die Menschen vom ÖPNV auf das eigene Auto umsteigen und Straßen verstopfen – vielleicht so wie heute –, dann ist Mobilität plötzlich kein Konsum mehr, sondern dann sind es Investitionsmittel, die wir brauchen.

Die gleiche bürokratische Logik zieht sich durch den Antrag, der von verfehlter Politik redet. Verfehlt ist allerdings, verfehlte Politik zu belohnen, nämlich statt eine Planung mit Zeithorizont eine Halde zu erstellen, die eben alles andere als bedarfsgerecht ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Sie von der CDU wollen doch sonst immer Sparsamkeit fördern. Jetzt geht es nur ums Abgreifen, um Optimierung der Töpfe, nicht um Optimierung des Verkehrs oder der Mobilität der Menschen. Wir können doch den Konstruktionsfehler des Wunschkataloges Bundesverkehrswegeplan nicht als Lösung darstellen und noch mehr dort hineinwerfen. Das bringt außerdem nichts. Das ist alles, aber keine Planung. Eine Halde von 1 Milliarde € zu erstellen, ist auch keine Planung, weil niemand weiß, was irgendwann einmal aus dieser Halde herauskommt. Ich zitiere Minister Groschek: Das macht doch keinen Sinn!

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Oliver Bayer (PIRATEN): Ja, gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett. Auf dem Platz von Herrn Krückel sitzt Herr Rehbaum. – Bitte schön, Herr Rehbaum.

Henning Rehbaum (CDU): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! Herr Bayer, ich wollte nachfragen: Sie und Ihr Kollege haben mehrfach dargestellt, dass wir von der CDU uns nur für den Straßenbau interessierten. Konjunktiv!

Haben Sie wahrgenommen, dass wir uns mehrfach gegen die Kürzung der Mittel für die ÖPNV-Infrastruktur eingesetzt haben? Dort sind 30 Millionen € für Stadtbahnen gekürzt worden. Dagegen haben wir interveniert, sind aber nicht erhört worden. Rot-Grün – ich glaube, Sie waren auch dabei – hat nicht mitgespielt.

Darüber hinaus setzen wir uns intensiv für die sofortige Aufnahme der Planungsphasen 3 und 4 für den zweigleisigen Ausbau Münster–Lünen ein. Auch dort werden wir nicht erhört.

Ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass wir diese Forderungen stellen?

(Beifall von der CDU)

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Rehbaum. – Mir ist bekannt, dass vor allem Sie persönlich das hin und wieder unterstützen.

Sie haben eben, glaube ich, gar nicht Münster–Lünen erwähnt, einen Antrag von Ihnen, den wir auch unterstützt haben.

Es bleibt allerdings bei einigen Worten. Wenn Sie an der Regierung sind, handeln Sie anders, und wenn Sie große, übergreifende Verkehrsvorschläge machen, kommt dort immer nur „Straße“ vor. Das ist auch das, was dieser Antrag widerspiegelt. In diesem Antrag sehe ich von anderen Verkehrsmitteln eigentlich sehr, sehr wenig.

Natürlich hätten wir Bedarf an den 40 Millionen € gehabt. Das ist unbestritten. Es liegt aber nicht an einer fehlenden Halde, dass Projekte realisiert werden oder nicht – das weiß niemand –, sondern – Herr Fricke und andere Vorredner haben es bereits erwähnt – das Problem liegt natürlich im Stellenabbau bei Straßen.NRW. 771 Stellen, hat Herr Breuer gesagt.

„Verkehrsübergreifend“ ist ein wichtiges Stichwort gewesen. Um noch einmal kurz darauf zu sprechen zu kommen: Hier wie auch bei den Fonds, die die Große Koalition plant, gilt, dass sie verkehrsübergreifend sein sollen. Es wurde eben auch schon gesagt: 1,25 Milliarden € pro Jahr sind natürlich weit von dem entfernt, was wir eigentlich brauchen.

Zum Schluss: Herr Rehbaum, es ist nicht nur bei Ihnen so, dass die Worte manchmal weit weg vom Handeln sind. Im CDU-Antrag steht:

„Seit Regierungsübernahme durch Rot-Grün aber hat sich die Verkehrspolitik in unserem Bundesland grundlegend geändert.“

Leider muss ich sagen: Nein! – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die CDU-Fraktion hat nun noch einmal Herr Kollege Schemmer das Wort.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben einen Antrag zum Straßenbau gestellt und müssen deshalb nicht gleichzeitig über andere Verkehrsträger reden, auch nicht über Schule und Kultur, sondern wir reden über den Straßenbau. Zur Frage, wie wir Verkehrsträger ansonsten sehen, noch einmal folgender Hinweis: Betuwe haben wir vorangebracht, nachdem bis 2005 nichts stattgefunden hatte. Das ist immer noch nicht schnell genug. Ich hoffe, dass das endlich fertig wird.

Münster–Lünen ist ein klassisches Beispiel. Bei diesem Antrag haben wir nicht gleichzeitig über die Straße diskutiert.

Wir sollten uns mit den Fakten beschäftigen, den nicht ausgegebenen 40 Millionen €. In den Jahren 2006 bis 2010 hat die schwarz-gelbe Landesregierung über den Verfügungsrahmen hinaus 143 Millionen € nach Nordrhein-Westfalen geholt. Punkt! Im Jahr 2013 haben Sie 40,3 Millionen € versemmelt.

Ich nehme einmal andere Länder: Bayern hat im gleichen Zuge 140 Millionen € zusätzlich hereingeholt. Niedersachsen hat im gleichen Zeitraum 80 Millionen € hereingeholt. Hessen hat – alles war immer zusätzlich, über den Verfügungsrahmen hinaus – 47 Millionen € hereingeholt. Kurzum: Die Länder, die fertige Planungen haben, können zusätzlich finanzieren.

(Beifall von der CDU)

Mir ist nicht eine Straße bekannt, die planfestgestellt worden war, aber nicht gebaut worden ist. Ein solches Beispiel kenne ich noch nicht. Bei Bundesstraßen? – Wir können ja mal sehen.

(Der Abgeordnete hält ein Blatt Papier hoch.)

– Nur einmal zur Info, damit jeder einmal ein Bild davon bekommt: planfestgestellte Straßen in Bayern und Hessen und ganz unten planfestgestellte Straßen in Nordrhein-Westfalen. Das ist die Planfeststellungsarmut, das, was Rot-Grün in sehr wenigen Jahren – nämlich noch nicht einmal vier Jahren – zusammengestrichen hat.

Letzte Anmerkung. Sie sprechen von „Überjährigkeit“ und „verkehrsträgerübergreifend“. Sehen Sie doch erst einmal zu, dass Sie Ihre Hausaufgaben im jeweiligen Bereich machen. Dann muss das auch nicht hin und her.

Dann habe ich mir die lange Leier über „Erhalt vor Neubauten“ angehört. Sie haben offensichtlich das Interview, das Ihre Ministerpräsidentin gestern in Osnabrück gegeben hat, gar nicht gelesen. Ministerpräsidentin Kraft, weit weg von jeder Verkehrspolitik, erzählt jeden Blödsinn seit 2010: Abbau von Personal beim Landesbetrieb, Ende der Vergabe – alles wird mitgetragen. Und dann geht sie hin und sagt: NRW drängt auf Ausbau von Autobahnen, sechs Spuren für die A3, acht Spuren für die A2. – Das sind die Forderungen Ihrer Ministerpräsidentin.

(Beifall von der CDU)

Und die Grünen sitzen da. Ich lach mich tot: Hier wird die ganze Zeit etwas anderes verkündet. – Das ist das, was Sie tatsächlich fordern, nämlich sechsspurig/achtspurig.

Übrigens: Die Ministerpräsidentin hat auch gefehlt, als im Investitionsrahmenplan bereits 125 Millionen € für ÖPP-Modelle zur Verfügung standen. Diese Landesregierung ist nicht aus dem Quark gekommen: nicht unter Voigtsberger, nicht unter Groschek. Erzählen Sie dann hier nicht so ein dummes Zeug! – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Schemmer. Mit Ihren Worten haben Sie den Landesminister herausgefordert. – Herr Groschek, Sie haben das Wort.

(Christof Rasche [FDP]: Hoffentlich überzieht er jetzt!)

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Mein lieber Kollege Schemmer! – Nein, „Kollege“ ja nicht, ich bin ja kein Abgeordneter.

(Bernhard Schemmer [CDU]: Das kann ja noch werden!)

– Ja, wer weiß? Genau! Es gibt viele Menschen, die mich wertschätzen und gerne im Landtag sehen würden, nicht nur auf der Regierungsbank. Aber das ist ein anderes Thema.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU: Oh!)

Also, langer Rede kurzer Sinn: Ich glaube, unsere Ministerpräsidentin wurde zitiert, lieber Kollege Schemmer, anlässlich eines Industrietreffens in Osnabrück, ein sehr kompetenter Kreis, in dem über Infrastruktur und andere Probleme geredet wurde. Ich denke, der Nachweis der Leistungsfähigkeit unseres Landes ist unter anderem durch zwei herausragende Infrastrukturprojekte gekennzeichnet: erstens über die tolle Investition, die UPS mit 150 Millionen € in den Zukunftsstandort Airport KölnBonn leistet; zweitens die neue „Seidenstraße“, die nicht von Peking nach München geht, auch nicht von Peking nach Berlin, auch nicht von Peking nach Klein Reken, sondern von Peking nach Duisburg. Das ist ein Zeichen überlegter und überlegener nordrhein-westfälischer Infrastrukturpolitik.

Deshalb möchte ich Sie wirklich noch einmal herzlich dazu einladen: Mit den MdBs, die auch nicht immer eine ganz einfache Sorte politischer Mäuse sind, bin ich in einem sehr intensiven Gespräch, um eine NRW.BANK hinzubekommen. Wir sind im Gespräch mit den Haushaltspolitikern, die für Verkehr zuständig sind. Wir sind im Gespräch mit denjenigen, die unterhalb der ministeriellen Ebene die Weichen für Verkehrsprojekte stellen. Wir wissen, wie sich Norddeutschland inzwischen Milliarden organisiert. Da wollen wir nicht länger nachstehen. Das ist richtig.

Deshalb finde ich, dass Herr Rasche hier eine vernünftige, kluge Anregung ins Plenum eingebracht hat, nämlich eine Nordrhein-Westfalen-Koalition zu schmieden. Es wäre doch etwas Schönes, wenn wir das zumindest für den verkehrsträgerübergreifenden Infrastrukturausbau hinbekämen; denn wir sollten doch aus Fehlern lernen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Straße alleine reicht nicht, Schiene alleine reicht nicht, Wasserstraße alleine reicht nicht, Luftverkehr alleine reicht nicht – nur gemeinsam können wir dieses Land und seine Menschen noch mobiler machen. Und Mobilität sollten wir gerade in einer älter werdenden Gesellschaft und einem alternden Plenum ernster nehmen als in der Vergangenheit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, wären im Übrigen aber auch nicht möglich, da alle Fraktionen ihre Redezeit ausgeschöpft bzw. überzogen haben. Wir sind somit am Ende der Aussprache angelangt.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5266 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Erheben sich Gegenstimmen? – Oder Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir treten ein in die Beratung des Tagesordnungspunkts

4   Hebammenbetreuung sicherstellen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5229 – Neudruck

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5406

In Verbindung mit:

Wahlfreiheit für die Geburt gewährleisten – Arbeit der Hebammen sichern

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5285

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5406

Und:

Zukunft der Geburtshilfe, der Vor- und Nachsorge für Mütter sowie ergänzende und unterstützende Angebote für Eltern und Familien durch Hebammen sichern – Wahlfreiheit für werdende Mütter erhalten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5288

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Piratenfraktion Herrn Abgeordneten Wegner das Wort.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Endlich beschäftigt sich der Landtag mit der beruflichen Situation der Hebammen. Nach uns sind auch noch SPD und Grüne sowie die FDP und heute auch noch die CDU aufgewacht. „Hebamme“ – ein Beruf von Frauen, ausgeübt für Frauen. Ich möchte hier gar nicht so tun, als wüsste ich am besten, wie Frauen ihre Kinder zur Welt bringen sollen. Genau aus diesem Grund bin ich dafür, dass Frauen den Weg frei wählen können, den sie für ihre Schwangerschaft und für die Geburt ihrer Kinder am besten geeignet halten.

Der Europäische Gerichtshof kommt im Jahre 2010 zu dem Ergebnis, dass die Wahl einer Schwangeren, sich für eine Hausgeburt zu entscheiden, nicht beschränkt werden darf. Die aktuelle Lage von freiberuflichen Hebammen wird bald dazu führen, dass dieses Wahlrecht von Frauen deutlich eingeschränkt wird, ja praktisch aufgehoben wird, wenn nicht bald etwas geschieht.

Die Berufshaftpflichtversicherung für Hebammen ist in den letzten Jahren derart teuer geworden, dass die finanzielle Belastung für viele Hebammen praktisch nicht mehr tragbar ist.

Laut dem Deutschen Hebammenverband wird sich die Nürnberger Versicherung zum 1. Juli 2015 aus dem bisher bestehenden Versicherungskonsortium zurückziehen. Der Anstieg der Versicherungsbeiträge für Hebammen wird nicht durch eine ansteigende Zahl von Schadensfällen bedingt, sondern aufgrund des medizinischen Fortschritts werden die großen Schadensfälle für die Versicherungen immer teurer.

Unhaltbar an dieser Situation ist für mich vor allem, dass selbst die Sozialversicherungsträger Hebammen und deren Versicherer zunehmend mit immer höheren Summen erfolgreich in Regress nehmen. Die Schadensersatzleistungen für Pflegekosten steigen stetig an. Schadensersatzforderungen zum finanziellen Ausgleich für Schwerstgeschädigte kommen die Versicherungen immer teurer zu stehen.

Wenn die freiberuflichen Hebammen keine Geburtshilfe mehr anbieten, werden die Frauen wohl zunehmend auf andere Möglichkeiten zurückgreifen müssen. Dabei kommt selbst der Europäische Gerichtshof in seinem bereits angesprochenen Urteil zu dem Schluss, dass die geburtshilflichen Ergebnisse bei Hausgeburten nicht schlechter sind als in klinischen Einrichtungen.

Wir Piraten forderten die Landesregierung vor zwei Wochen in unserem Antrag auf, sich der Bundesratsinitiative aus Schleswig-Holstein anzuschließen, und freuen uns natürlich, dass sich die Landesregierung bereits einsichtig gezeigt hat und der Bundesratsinitiative mittlerweile freiwillig beigetreten ist.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Aber doch nicht wegen Ihnen!)

Wir begrüßen es, dass auf Bundesebene die Beteiligung der Krankenkassen zur Erreichung einer gerechten Lohnsituation und auch die Möglichkeit eines Haftungsfonds geprüft werden sollen. Die Situation der Hebammen und die Wahlfreiheit für Schwangere müssen abgesichert werden.

Insofern kommt der Antrag von SPD und Grünen entsprechend selbstbewusst daher. Der eingerichtete Runde Tisch Geburtshilfe wird auch noch schnell in den Himmel gelobt. Es ist ja nicht so, als wäre es nicht schon ein wenig zu spät für einen solchen Runden Tisch. Aber gut, dass wir auch einmal darüber geredet haben werden.

(Ministerin Barbara Steffens: Was soll das denn jetzt?)

„Wir“? Na ja, die Landesregierung veranstaltet Runde Tische ja auch gerne, ohne kritische Stimmen einzuladen.

(Ministerin Barbara Steffens: Keine Ahnung!)

Nicht, dass nachher noch jemand die Arbeit nachvollziehen und überprüfen kann!

Die FDP macht in ihrem Antrag sehr gut auf den vollen Umfang des Problems aufmerksam und bietet interessante Lösungsansätze.

Steigende Haftpflichtversicherungsbeiträge betreffen letztendlich nicht nur freiberufliche Hebammen, sondern auch immer mehr fest angestellte Hebammen. Auch kleinere Krankenhäuser mit Geburtshilfestationen sind betroffen. Setzen wir uns alle für eine nachhaltige und möglichst zeitnahe Lösung ein! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Kieninger das Wort.

Gerda Kieninger (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Situation spitzt sich zu. Bis heute hat sich die Anzahl der Hebammen in einigen Regionen Nordrhein-Westfalens bereits halbiert. Einer der letzten drei verbliebenen Haftpflichtversicherer für Hebammen hat angekündigt, die bestehenden Verträge 2015 auslaufen zu lassen. Das bedeutet praktisch ein Berufsverbot für Hebammen. Das können wir alle nicht wollen.

Wir brauchen Lösungen. Daher lade ich Sie alle ein, ein gemeinsames Ziel anzugehen. Dieses gemeinsame Ziel kann doch nur sein, dass wir die Bundesregierung gemeinsam auffordern, schnellstmöglich zu handeln und die Bundesratsinitiative umzusetzen. Denn ich weiß aus den Diskussionen, die wir in den Ausschüssen schon geführt haben: Wir wollen eigentlich ein und dasselbe Ziel erreichen.

Der Entschließungsantrag des Bundesrates wird in unserem Antrag noch einmal deutlich aufgeführt. Heute fordern wir unsere Landesregierung auf, noch weiter Druck aufzubauen, damit die Beschlüsse des Bundesrates von der Bundesregierung zeitnah umgesetzt werden.

Hier geht es um Prüfungsaufträge in Bezug auf alle Haftungsmodelle. Ich sage es extra noch einmal: alle Haftungsmodelle. Das ist ganz wichtig.

Minister Gröhe hat am 20. März 2014 in der Bundestagsdebatte erklärt, dass der Abschlussbericht der interministeriellen Arbeitsgruppe für April erwartet wird und auf dieser Basis dann konkrete Lösungen erarbeitet werden sollen. Dies wollen wir mit unserem Antrag deutlich unterstützen und damit auch zu einer Beschleunigung des Verfahrens beitragen; denn es drängt.

Mit dem Antrag, den die Piraten gestellt haben, wollen sie eigentlich dasselbe wie wir mit unserem Antrag. Sie haben ihren Antrag eher gestellt und wussten noch nichts von dem Beitritt Nordrhein-Westfalens zur Bundesratsinitiative. Deswegen fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu!

Auch die FDP, Frau Schneider, will mit ihrem Antrag ja in diese Richtung gehen. Ich kann gut verstehen, dass Sie eine Überweisung beantragt haben – der werden wir auch zustimmen –; denn es geht dabei noch einmal um Landesinitiativen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Von daher würde es mich freuen, wenn wir hier eine große Gemeinsamkeit für einen Antrag finden könnten.

Zurück zum Thema, das uns allen am Herzen liegt: Hebammen. Zuerst einmal geht es nicht nur um eine kleine Randgruppe von freiberuflichen Hebammen, wie man häufig hört, sondern um die gesamte Geburtshilfe in Deutschland – auch die klinische –, also um 100 % der Geburten. Die häufig zitierte Haftpflichtproblematik bezieht sich auch auf die in Krankenhäusern tätigen Hebammen. Zahlreiche Hebammen sind nicht aufgrund mangelnder Einsatzmöglichkeiten gezwungen, ihren Beruf aufzugeben, sondern aufgrund exorbitant hoher Versicherungsbeiträge. Das ist paradox.

Wir wollen dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Wir haben einen reellen Bedarf: Ohne unser Einschreiten werden einige Tausend Hebammen arbeitslos werden. Das können wir nicht zulassen. Hebammen sind ein wichtiger Baustein während und nach der Schwangerschaft. Ihre Vor- und Nachsorge ist einer der Eckpfeiler innerhalb der sich rasant verändernden Lebenssituation werdender Eltern. Es steht ohne Zweifel fest: Die werdenden Eltern werden durch Hebammen entlastet.

Die Hebammenhilfe ist im Sozialgesetzbuch V in § 24d rechtlich verankert. Hierbei wird klar geregelt, dass die gesetzlich Versicherte während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung sowie auf Hebammenhilfe einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge hat. Ebenso gibt es einen Anspruch darauf, den Ort einer Geburt frei wählen zu können. Ausdrücklich sind hier Hebammenpraxen sowie Hausgeburten wörtlich im Sozialgesetzbuch aufgeführt. Geltendes Recht würde verletzt, wenn die Hebammenhilfe wegbräche. Die Bundesregierung ist dafür verantwortlich, diesen gesetzlich verankerten Ansprüchen gerecht zu werden.

Fakt ist, dass sich die Versicherungsprämien, die die Hebammen entrichten müssen, in den letzten Jahren mehr als verdoppelt haben. Die Hebammen haben deutlich gemacht, dass durch die Steigerung der Vergütungen der Krankenkassen, damit die Hebammen in der Lage sind, die höheren Versicherungsbeiträge zu zahlen, zwar erst einmal die Situation gerettet erscheint, aber dass dies nichts weiter bedeutet, als dass Hebammen schon seit Jahren und somit auch weiterhin keinen Anstieg ihrer Entlohnung haben.

Wir brauchen daher eine schnelle und eine langfristige Lösung. Darum bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Stimmen Sie unserem Antrag zu! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Maaßen das Wort.

Martina Maaßen (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier über das Überleben des Berufsstandes der Hebammen und Geburtshelfer, und wir reden hier über die Wahlfreiheit der werdenden Mütter und Eltern beim existenziellsten Ereignis ihres Lebens, nämlich bei der Geburt ihres Kindes.

Die Haftpflichtversicherungsprämien für Hebammen – wir haben es eben schon gehört – haben sich in den letzten zehn Jahren vervielfacht. Seit 2003 stiegen die Beiträge, die vor allem freiberufliche Hebammen für ihre Haftpflichtversicherung zahlen müssen, von 500 auf 5.000 € jährlich. Zudem wollen in diesem Jahr und perspektivisch im nächsten Jahr auch noch die letzten verbleibenden Versicherungsanbieter abspringen.

Ebenso muss man in diesem Zusammenhang die Vergütungsfrage stellen. Die Hebammen konnten ihre hohen Versicherungsprämien nicht zuletzt auch deshalb nicht zahlen, weil sie schlecht vergütet werden. 280 € für eine Geburtsbegleitung, die oft Stunden dauern kann, ist wahrlich nicht viel.

Aber es geht uns nicht nur um den Beruf der Hebammen; es geht auch um die Wahlfreiheit der Eltern. Sie ist ein hohes Gut. Zu den Alternativen gehören die Hausgeburt, die Geburt im Geburtshaus und die Geburt in der Klinik. Von daher ist es etwas zu billig, wenn Frau Scharrenbach von der CDU im Ausschuss behauptet, Herr Gröhe beschäftige sich schon sehr lange mit dem Thema. Richtig ist, dass es das Problem schon lange gibt, und richtig ist, dass lange nichts passiert ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

In der letzten Legislaturperiode hätten CDU und FDP schon längst tätig werden können. Sie haben das Problem ausgesessen. Rot-Grün nun im Ausschuss Effekthascherei vorzuwerfen ist zutiefst unredlich. Die existenzgefährdende Situation der Hebammen und der drohende Verlust der Wahlfreiheit der entbindenden Frauen sind absolut keine Themen für parteipolitisches Gezänk. Hier ist parteiübergreifende Solidarität angesagt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schon jetzt steigen immer mehr Hebammen aus der Geburtshilfe aus; immer mehr Geburtshäuser schließen. Meine Damen und Herren, die derzeitigen Rahmenbedingungen für freiberufliche Hebammen kommen einem Berufsverbot gleich. Wir brauchen jetzt schnell eine Lösung.

Zum einen muss kurzfristig gehandelt werden. Die Krankenkassen und die Berufshaftpflichtversicherungen müssen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen und den Beruf der Hebammen kurzfristig finanziell absichern. Die gesetzlichen Krankenkassen müssen mit den Hebammenverbänden in Vergütungsverhandlungen eintreten. Freiberufliche Hebammen müssen in der Lage sein, von ihren Honoraren die Haftpflichtprämien zu bezahlen. Die privaten Versicherungsunternehmen müssen auch weiterhin Haftpflichtversicherungen anbieten, und hierbei muss letztendlich unser Bundesgesundheitsminister seinen Einfluss geltend machen und auf die Akteure einwirken.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Zum anderen brauchen wir aber auch mittelfristige Lösungen. Wir können nicht nur im System Lösungen verändern. Im Kern gibt es hierzu zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist ein Haftungsfonds: Die Versicherungsunternehmen kommen nur noch bis zu einer festgelegten Obergrenze für Schäden auf; darüber hinaus übernimmt dann der Haftungsfonds die Kosten. Die zweite Möglichkeit ist eine Regressbeschränkung: Man begrenzt die Summen, die sich die Sozialleistungsträger im Schadensfall von den Versicherungsunternehmen zurückholen können.

Beide Modelle sind nicht perfekt; das wissen wir. Aber wir brauchen Zeit, um eine grundlegende Reform umzusetzen. Wir als Grüne sagen, dass wir eine Berufshaftpflicht für alle Gesundheitsberufe brauchen. Die Prinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung könnten hierfür ein Vorbild sein.

Lassen Sie mich zum Schluss einen Dank an die Hebammen aussprechen, die unermüdlich auf ihre Situation hinweisen und bisher doch in großer Menge durchhalten. Ihr Berufsstand, meine Damen und Herren, ist für unsere Gesellschaft unersetzlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Den Antrag der Piraten lehnen wir ab, denn er hat sich erledigt. Den Antrag der CDU lehnen wir ab, weil er nicht zukunftsweisend ist, sondern eher Veränderungen nur im System befürwortet. Im Weiteren wäre es, liebe FDP, gut gewesen, Sie hätten Ihren Antrag ebenfalls zur direkten Abstimmung gestellt; damit deutlich wird: Es ist ein klares und eindeutiges Signal nötig. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Man kann es nie richtig machen!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion erteile ich nunmehr Frau Kollegin Schneider das Wort.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine beiden Großmütter sind schon lange verstorben. Eine der beiden hieß Rosa und war von Beruf Hebamme. Diese Oma pflegte ihre morgendliche Zeitungslektüre wie viele Menschen mit den Todesanzeigen zu beginnen. Wenn sie einen Verstorbenen entdeckte, der im schönen Alter von beispielsweise 95 Jahren verstorben war, kommentierte sie das stets mit den Worten: Daran war ich bestimmt nicht schuld.

Als Kind fand ich diesen Satz immer unglaublich komisch. Wenn ich aber heute sehe, dass Hebammen für eventuelle Fehler 30 Jahre haften sollen, vergeht mir das Lachen. Ein Schüler ist mit seinem Abitur nicht zufrieden. Ist dies im Extremfall auch auf einen Zwischenfall bei der Geburt zurückzuführen und die Hebamme die Verursacherin?

Von diesen 30 Jahren müssen wir weg. Es muss doch in unserer hochentwickelten Gesellschaft möglich sein, zum Beispiel nach der U8, also nach dem vierten Geburtstag eines Kindes, festzustellen, dass eventuelle Erkrankungen nicht mehr auf einen Geburtsfehler zurückzuführen sind. Allein durch diese Maßnahme ließen sich die Haftpflichtprämien reduzieren und würde die Bereitschaft der Versicherer gesteigert, diese Berufsgruppe weiter zu versichern.

Sicher, dadurch würde eine Ausnahme im Verjährungsrecht geschaffen werden. Aber wenn es brennt, erfordert das spezielle Maßnahmen. Bei einem Ölbrand zu Hause in Ihrer Küche versuchen Sie es auch nicht zuerst mit dem Wasserschlauch, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wir alle brauchen diese Berufsgruppe, brauchen Hebammen, nicht nur bei Hausgeburten und in Geburtshäusern, sondern auch in Kliniken bei Spontangeburten und beim Kaiserschnitt. Hebammen begleiten manche Frauen vom ersten Tag der Schwangerschaft an, diagnostizieren diese und betreuen die werdenden Mütter bis zur Geburt. Danach kommt die Hebamme nach Hause zur frischgebackenen Familie und unterstützt hier. In dieser ganzen Zeit hilft sie mit Rat und Tat, oft rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.

All dies ist durch die hohen Haftpflichtprämien und Tatsache, dass nur noch wenige Unternehmen bereit sind, dieses Risiko zu versichern, in Gefahr. Kleinere Krankenhäuser schließen aus Rentabilitätsgründen ihre geburtshilflichen Abteilungen, was vor allem im ländlichen Raum zu langen Anreisewegen zur Entbindungsklinik führt.

Die FDP-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen wünscht sich, dass dieser freie Beruf erhalten bleibt.

(Beifall von der FDP)

Wir wollen, dass Frauen weiterhin die Möglichkeit haben, den Ort und die Art der Geburt selbst zu wählen: ob Hausgeburt, Geburtshaus oder Hightech-Klinik. Diese Wahlfreiheit der Frauen, der Mütter, muss erhalten bleiben. Deshalb haben wir den vorliegenden Antrag gestellt, den wir auch in den Ausschüssen beraten wollen. Er soll nicht mal eben hier abgestimmt werden wie die beiden anderen Anträge.

Frau Ministerin Steffens, bei diesem Thema hätte ich mir auch von Ihnen etwas mehr Engagement gewünscht. Ein Runder Tisch mit allen Fraktionen wäre im Vorfeld sinnvoll gewesen: nicht nur Anträge und Reden im Plenum, sondern konstruktive Gesprächsrunden und das Sammeln von Ideen. Es wäre großartig gewesen, wenn der Landtag Nordrhein-Westfalen bei diesem wichtigen Thema eine Vorreiterrolle gespielt und ein Signal gesetzt hätte.

(Beifall von der FDP)

Interessant wäre allein schon, wie viele Hebammen es in Nordrhein-Westfalen überhaupt gibt. Aber diese Zahlen konnten Sie auch nicht ermitteln.

(Zuruf von Ministerin Barbara Steffens)

Auch der Bundesgesundheitsminister sollte mal vorankommen. Ich habe das Gefühl, der verzettelt sich: heute ein bisschen Demenz, morgen ein bisschen Hebammen. Mit ein bisschen Geld kommen wir bei den Hebammen bestimmt nicht weiter.

(Beifall von der FDP)

Wenn es gelänge, Haftungsobergrenzen festzulegen, wären bestimmt auch mehrere Versicherer bereit, künftig vernünftige Konditionen anzubieten. Schäden, die über dieser Grenze liegen, sollten dann aus einem öffentlichen Fonds bedient werden.

Finanzminister Schäuble hat unlängst angekündigt, den Krankenkassen mehrere Milliarden an Zuschüssen zu streichen, um Schuldenlöcher zu stopfen: in diesem Jahr 3,5 Milliarden € und 2015 noch einmal 2,5 Milliarden € – eine unglaublich hohe Summe, die im Gesundheitswesen dringend benötigt würde. Und der Bundesgesundheitsminister greift nicht ein.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wenn Herr Gröhe nur einen Bruchteil dieses Geldes für einen öffentlichen Fonds verwendete, bräuchten wir über das Thema „Haftpflichtversicherungen für Hebammen“ nie mehr zu sprechen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Preuß das Wort.

Peter Preuß (CDU): Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Präsident! Vieles ist schon gesagt worden. In seltener Einmütigkeit ist das Anliegen formuliert worden. Dem kann man sich auch ohne Weiteres anschließen. Deshalb will ich vorweg sagen, dass wir uns bei dem Antrag der Piraten und bei dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und SPD enthalten werden. Wir werden der Überweisung des Antrags der FDP-Fraktion zustimmen, weil die Diskussion im Ausschuss Gelegenheit bietet, über einzelne Lösungsvorschläge etwas genauer nachzudenken und zu sprechen.

Meine Damen und Herren, die Hebammen leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur medizinischen Versorgung von schwangeren Frauen und von Familien. Das ist der von der Politik formulierte Versorgungsauftrag, der auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zum Ausdruck kommt. Die werdenden Mütter sollen die Wahlfreiheit haben, ob sie die Hilfe einer freiberuflich tätigen Hebamme, einer Beleghebamme oder einer angestellten Hebamme in Anspruch nehmen wollen.

Zu Recht ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass diese Wahlfreiheit in der Tat akut bedroht ist. Wie jeder andere medizinische Beruf ist auch die Tätigkeit der Hebamme mit Risiken behaftet. Deshalb haben Hebammen wie ein Arzt oder andere Berufsträger – auch Krankenhäuser haben im Übrigen ein Problem mit Versicherungsprämien – nach unserer Auffassung einen Anspruch darauf, dass diese Risiken durch Versicherungsschutz abgedeckt werden. Denn dieser Anspruch korrespondiert mit der selbstverständlichen Pflicht, den Beruf mit einem entsprechenden Versicherungsschutz letztlich auch im Interesse der von Behandlungsfehlern möglicherweise Betroffenen ausüben zu können.

Die Problematik der Versicherungsprämien ist angesprochen worden. Ich möchte auch noch einmal unterstreichen, dass es nicht um die Schadenshäufigkeit geht, sondern, wie wir wissen, um die kalkulierten Schadenshöhen, die sich wiederum aus der längeren Lebenserwartung eines Menschen, einer sich verändernden Rechtsprechung über die Zuerkennung von Ansprüchen und den Regressen der Sozialversicherungsträger ergeben.

Dass sich die verbleibende Haftpflichtversicherungsgesellschaft im Sommer aus dem Konsortium verabschieden will, ist hier hinreichend erörtert worden. Das will ich jetzt nicht wiederholen. Wenn es keine Lösung gibt, ist in der Tat zu befürchten, dass hier bald gar keine Versicherung mehr zur Verfügung steht.

Eine Lösung des Problems ist daher dringend erforderlich. Die Hebammen bedürfen unserer starken Unterstützung, damit sie ihren Beruf wirtschaftlich auskömmlich und mit der erforderlichen Qualität ausüben können.

Nun stehen verschiedene Vorschläge im Raum. Das Problem ist, dass man sich nicht auf eine bestimmte Lösung konzentrieren sollte. Auch eine Fondslösung führt ja nicht dazu, dass die Versicherungsprämien sinken. Außerdem muss man sich klarmachen, dass jede Verlagerung von Haftungsrisiken auf den Staat bzw. auf einen Fonds auch zu Begehrlichkeiten anderer Berufsgruppen führt, die ebenfalls Haftungsrisiken ausgesetzt sind.

Es bedarf also einer sorgfältigen Abwägung, welche Lösung tatsächlich sachgerecht ist; denn wir greifen natürlich – darauf hat Frau Maaßen gerade hingewiesen – in ein System der Haftpflichtversicherung ein. Eine Lösung darf nicht darauf hinauslaufen, dass sich Versicherungsgesellschaften ihrer Verantwortung entziehen können und letztlich der Staat die Haftung übernehmen muss – ganz abgesehen davon, dass die Lösung auch einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten muss.

Wir setzen uns für eine Lösung ein, die die berechtigten Interessen aller Seiten berücksichtigen muss – nicht zuletzt die Interessen der von Behandlungsfehlern Betroffenen. Deshalb ist es schwierig, von einer Haftungsbegrenzung zu sprechen. Natürlich geht es auch um die Interessen der Hebammen, die berechtigt sind. Es geht aber genauso auch um die Interessen aller an der Abdeckung der Haftungsrisiken durch ein solidarisches Versicherungssystem Beteiligten. Gemeint sind hier insbesondere die anderen Berufsgruppen.

Die CDU-Fraktion begrüßt die Bemühungen der interministeriellen Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministers für Gesundheit, eine nachhaltige Lösung herbeizuführen. Unser Fraktionsarbeitskreis ist vor zwei Wochen in Berlin gewesen und hat mit Herrn Minister Gröhe über die Situation der Hebammen gesprochen. Der Minister hat zugesagt, dass es kurzfristig eine Lösung geben wird. Das ist aus unserer Sicht der richtige Weg. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Steffens das Wort.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich über Ihren Redebeitrag wirklich ein Stück weit entsetzt bin, Frau Schneider.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben hier am Redepult die Vergangenheit aus-geblendet. Ich würde aber gerne Ihre Erinnerung hochholen. Es ist noch nicht lange her, dass es zwei Bundesgesundheitsminister mit Ihrem Parteibuch gab. Der erste Bundesgesundheitsminister, den ich wegen des Problems der Hebammen angeschrieben habe, hieß Herr Rösler. Der zweite Bundesgesundheitsminister, den ich wegen dieses Problems angeschrieben habe, hieß Herr Bahr. Hätten diese beiden Bundesgesundheitsminister ihren Job ernst genommen und die Hebammen ernst genommen, müssten wir heute nicht hier über dieses Problem reden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von der FDP)

Den runden Tisch auf Bundesebene, um zu versuchen, Lösungen zu finden, gab es schon bei Herrn Bahr, zumindest in der Initiative. Gebracht und genützt hat es aber nichts. Es gab keine wirklich nachhaltigen Lösungen. Deswegen ist es schön …

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

– Was haben Sie? Möchten Sie eine Zwischenfrage stellen? Das können Sie gerne machen. Ich kann Ihnen die Schriftwechsel mit Herrn Bahr und Herrn Rösler auch einmal zur Verfügung stellen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Gerne!)

Das wäre also alles lösbar gewesen. Dann stünden wir heute nicht hier.

Heute verkünden Sie hier, Ihnen seien die Hebammen so wichtig. Ich nehme Ihnen zwar ab, dass sie Ihnen wichtig sind. Sie hätten das Problem aber lösen können. Wenigstens hätten Sie sagen können, dass Ihre gemeinsame Bundesregierung und Ihre FDP-Gesundheitsminister diese Lösung nicht geschaffen haben, weil ihnen die freie Wirtschaft, sprich: die Versicherungsunternehmen, wichtig war und sie den Markt nicht regeln wollten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Für uns, die Landesregierung, ist also klar, dass die Situation der Hebammen ernst ist. Uns ist das Problem schon lange bekannt.

Herr Wegner, wir haben uns nicht deshalb der Bundesratsinitiative angeschlossen, weil die Piraten einen Antrag geschrieben haben. Wir haben in den letzten Jahren schon verschiedene Initiativen auf den Weg gebracht. Bei dieser Bundesratsinitiative haben wir gemeinsam mit den anderen Ländern darum gerungen, was denn nun der richtige Weg ist, den wir dem Bund in diesem Prozess noch mit an die Hand geben.

Wie Sie bei einigen Vorrednerinnen und Vorrednern schon gehört haben, gibt es nämlich ganz unterschiedliche Ansätze. Sich in einer Bundesratsinitiative auf nur einen Weg festzulegen, ist schwer; denn die Lösung muss im Diskurs in der übergreifenden Arbeitsgruppe auf Bundesebene gefunden werden.

Klar ist: Die Situation für die Hebammen ist problematisch – und nicht nur für die Hebammen, sondern auch für Krankenhäuser mit Geburtshilfestationen, gerade für kleine Krankenhäuser im ländlichen Raum. Das hat nichts damit zu tun, dass die Zahl der Schadensfälle gestiegen wäre, sondern liegt einfach daran, dass die Summen pro Schadensfall größer geworden sind, weil gerade durch ein besseres Therapieangebot die Lebenserwartung der einzelnen Kinder höher ist.

Deswegen wäre es auch fatal, die Leistungen für die Betroffenen zu kappen. Das Ganze ist eine Gratwanderung. Auf der einen Seite müssen wir einen Weg für die Hebammen finden. Auf der anderen Seite müssen wir auch die Betroffenen ernst nehmen und die Schadensfälle weiterhin adäquat finanzieren.

Deswegen gibt es auch den Lösungsvorschlag, einen Haftungsfonds einzurichten, damit bis zu einer bestimmten Summe die Versicherungen die Haftung übernehmen und darüber hinaus der Staat auf Bundesebene das Haftungsrisiko eingeht.

Wir hoffen, dass wir in der interministeriellen Arbeitsgruppe endlich zügig zu Lösungen kommen; denn – auch das ist heute in der Diskussion klar geworden – wenn wir nicht schnell eine Lösung finden, werden sich vielleicht manche jungen Menschen, die die Ausbildung zur Hebamme beginnen wollen, anders entscheiden. Außerdem werden sich möglicherweise Hebammen aus ihrem Beruf oder zumindest aus dem Bereich der Geburtsbegleitung zurückziehen.

In der Diskussion befinden sich im Moment nicht nur der Vorschlag eines Staatsfonds und Vorschläge zur Einbeziehung der Beleghebammen in eine Betriebshaftpflichtversicherung der Krankenhäuser; es gibt auch Diskussionen über eine Senkung der Versicherungssteuer und einen Regressverzicht der Sozialversicherungsträger. Damit liegt eine Vielzahl von unterschiedlichen Lösungsansätzen vor, die vielleicht auch miteinander verbunden werden müssen.

Deswegen wäre es fatal, hier zu sagen: Das ist der einzig gangbare Weg. Wichtig ist, dass auf Bundesebene dieser Diskurs geführt wird und zwischen den unterschiedlichen Ansätzen ein adäquater Lösungs-weg gefunden wird.

In dem Antrag der Koalitionsfraktionen steht, dass wir uns als Landesregierung weiterhin auf Bundesebene für eine schnelle Lösung einsetzen sollen. – Das werden wir selbstverständlich tun. Ich bin zuversichtlich, dass mit dem entsprechenden Druck aller Fraktionen, die an der Bundeskoalition beteiligt sind – also auch dem Druck der CDU aus Nordrhein-Westfalen –, diese Frage auf Bundesebene von Herrn Gröhe hoffentlich schnell gelöst wird. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die Piratenfraktion hat Herr Kollege Wegner noch einmal – für einen bis zu 31 Sekunden dauernden Beitrag – um das Wort gebeten, das er jetzt hat.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Maaßen, Sie haben vorhin gesagt, unser Antrag hätte sich überholt. – Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir im Laufe der Woche einen Neudruck eingereicht haben, der sich nicht überholt hat. Darin wurde die Formulierung „Wir fordern die Landesregierung auf“ ausgetauscht durch die Formulierung „Wir begrüßen, dass die Landesregierung … getan hat“.

Wenn jetzt die regierungstragenden Fraktionen diesem Antrag nicht zustimmen oder sich zumindest enthalten, finde ich das sehr komisch. Ich glaube, ich habe hier in diesem Landtag noch keinen Antrag gelesen, der so eindeutig mit einem Satz die Regierung lobt. Wir stehen auch dahinter und wir finden es gut. Wenn diesem Antrag von Ihnen nicht zugestimmt wird, kann es doch nur daran liegen, dass oben darüber „Piraten“ steht und sonst niemand.

(Beifall von den PIRATEN)

Eines kann ich Ihnen aber versprechen: Diese Kleinkinderspiele werden wir nicht mitmachen, sondern werden Ihrem Antrag natürlich trotzdem zustimmen, weil wir uns den Inhalt ansehen und nicht die Namen, die oben darüber stehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Somit sind wir am Ende der Aussprache angelangt und wir kommen zur Abstimmung über insgesamt vier vorliegende Anträge.

Erstens lasse sich abstimmen über den Antrag Drucksache 16/5229 – Neudruck. Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Somit kommen wir zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/5229 – Neudruck. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Das ist die Piratenfraktion. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich der Stimmen? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Damit ist der Antrag Drucksache 16/5229 – Neudruck – mit der festgestellten Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/5285. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben ebenfalls direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/5285. Wer ist für den Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Wer stimmt gegen den Antrag? – Niemand. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Damit ist der Antrag Drucksache 16/5285 angenommen.

Wir stimmen drittens ab über den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/5406. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das ist die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich der Stimmen? – Das sind die Fraktionen von FDP und Piraten. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/5406 abgelehnt.

Ich lasse letztens abstimmen über den Antrag Drucksache 16/5288 der FDP-Fraktion. Hier empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung dieses Antrages an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung folgen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 4.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

5   Die strafrechtliche Verfolgung und Unterdrückung Homosexueller nach 1949 muss aufgearbeitet werden

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5282

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Wolf das Wort, der auch schon parat steht. Bitte, Herr Kollege.

Sven Wolf (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 20 Jahren wurde endlich ein Schlussstrich unter eine jahrzehntelange Verfolgung homosexueller Menschen in unserem Land gezogen. § 175 Strafgesetzbuch wurde abgeschafft, ein Paragraf, in dessen Namen Rechtsprechung erfolgte, die zu Verhaftungen, Gefängnis, öffentlicher Brandmarkung und Verlust von Arbeitsplätzen führte. Die Abschaffung konnte aber die leidvollen Schicksale der Betroffenen nicht ungeschehen machen.

Darum ist es ein sehr wichtiges Zeichen, wenn sich der nordrhein-westfälische Landtag diesem unrühmlichen Kapitel unserer Rechtsgeschichte in der heutigen Debatte widmet. Es gilt, eine Wiederholung dieses Unrechts in Gegenwart und Zukunft auszuschließen. Es gilt, sich zu entschuldigen für das, was im Namen des Volkes als Recht gesprochen wurde, obwohl es die Würde des Menschen missachtet.

(Beifall von der SPD)

Das ist auch meine persönliche Motivation, an die Opfer zu erinnern und den noch Lebenden unter ihnen endlich Recht zuteil werden zu lassen. Dazu gehört auch die vollständige Aufarbeitung dessen, was geschah.

Bereits im September 2012 haben wir durch einen einstimmigen Beschluss hier im Plenum die Landesregierung aufgefordert, die Initiative der Bundesländer Berlin und Hamburg zu unterstützen, die sich für eine Aufhebung der Verurteilungen nach 1945 einsetzt. Der Bundesrat hat daher im Oktober 2012 folgende Aufforderung an die Bundesregierung beschlossen:

Die formelle Aufhebung der einschlägigen Strafurteile sowie eine daraus resultierende Entschädigung sind ernsthaft zu prüfen.

Dennoch ist es wichtig, mit dem heutigen Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen Schritt weiter zu gehen. Wir wollen nunmehr eine umfassende bundesweite Aufarbeitung dieser Schicksale, nicht nur in strafrechtlicher Hinsicht, sondern auch mit Blick auf die vielen anderen Diskriminierungen, die LSBTTI-Personen erleiden mussten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn es vielen von Ihnen bekannt ist, aber ich glaube, das Thema bedarf noch mal eines kurzen historischen Rückblicks.

Von 1872 bis 1994 wurden homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt. Unzählige Ermittlungsverfahren sind in Deutschland und auch in Nordrhein-Westfalen aufgrund dieser deutschlandweit geltenden Tatbestände eingeleitet worden.

Besonders haben mich die Schicksale der Männer erschüttert, die Konzentrationslager überlebten, Entschädigungen beantragten und sich anschließend wieder Ermittlungsverfahren ausgesetzt sahen. Denn die verschärften Strafnormen der Nazi-Zeit aus dem Jahr 1937 galten auch in der Bundesrepublik zunächst unverändert weiter.

Meine Kollegin Josefine Paul hat in der Debatte im Jahr 2012 einige weitere erschütternde Schicksale geschildert.

Als Jurist bin ich besonders angewidert von der perfiden Stringenz, die sich in den Anfangsjahren des Bundesverfassungsgerichts gezeigt hat. Noch 1957 bestätigten die damaligen Hüter des Grundgesetzes die Strafnormen gegen Schwule als im Einklang mit unserem Grundgesetz. Ich darf zitieren: „Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz.“

Es folgten lange Ausführungen von sogenannten Sachverständigen über den Sexualtrieb von Männern, von Frauen, ob hetero- oder homosexuell, die heute, glaube ich, nicht mehr aktuell sind.

Das Verfassungsgericht spannte einen Bogen über die abendländlich-christliche Kultur und begründete damit die Ablehnung von Homosexualität und die Rechtfertigung, solche Handlungen unter Strafe zu stellen.

Das, was aber in dem Urteil fehlte, waren rechtshistorische Betrachtungen, dass man seit der napoleonischen Zeit, seit dem Code civil, einvernehmliche Sexualhandlungen eben nicht unter Strafe stellte.

Erst die Einführung eines reichseinheitlichen Strafrechts in Deutschland 1872 führte wieder dazu, dass Homosexualität in allen Ländern, unter anderem dann auch wieder in Bayern, strafbar wurde.

Es fehlte der Hinweis, dass sich bereits vor der Einführung des Strafgesetzbuchs und besonders danach eine Bewegung gründete, die sich ausdrücklich gegen den § 175 in unserem Strafgesetzbuch wandte.

Einer ihrer führenden Köpfe war der Begründer des Wissenschaftlich-humanitären Komitees, Magnus Hirschfeld. Hirschfeld war es auch, der eine Petition in den Reichstag einbrachte. Hieraus entstand eine Debatte, die sich im Jahr 1898 im Reichstag abspielte und, ich meine, sehr lesenswert ist.

Kein Geringerer als der damalige sozialdemokratische Parteivorsitzende August Bebel unterstützte als Mitunterzeichner diese Petition und forderte gemeinsam mit vielen seiner Kollegen damals schon die Aufhebung des § 175. Er beklagte, mit dieser Norm sei willkürlicher Verfolgung Tür und Tor geöffnet. Er führte aus, dass anstelle von Verfahren die Sittenpolizei Listen führte, um Einzelpersonen später unter Druck zu setzen. Sodann erläuterte er, was zu sehr viel Aufregung im Reichstag führte, dass bei einer konsequenten Anwendung des § 175 Tausende Personen allein in Berlin und Preußen betroffen wären und die Justiz vermutlich zwei neue Gefängnisse bauen müsste. Im Kern kritisierte er also, dass die strafrechtliche Verfolgung höchst willkürlich war und die Bestimmungen daher aufzuheben seien.

Genau diesen Aspekt greift unser Antrag auf. Wir fordern die Landesregierung auf, sich für eine bundesweite Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung einzusetzen. Denn es liegt auf der Hand, dass es bei der Verfolgung sehr große regionale Unterschiede nicht nur in unserem Bundesland, sondern in der gesamten Bundesrepublik gab.

Es gab auch sehr große Unterschiede bezüglich der betroffenen Schichten. Im Kern verkam der § 175 zu einem Instrument, mit dem eine sehr willkürliche Verfolgung legitimiert wurde.

Aber nicht nur die strafrechtliche Verfolgung soll und muss aufgearbeitet werden. Es gab darüber hinaus auch zahlreiche Entscheidungen, die zu arbeitsrechtlichen und beamtenrechtlichen Konsequenzen führten. Beispiele gibt es leider viele. Häufig genügten Gerüchte, um Karrieren und Existenzen zu zerstören.

1966 traf es Franz Grobben. Er war als CDU-Mitglied 1958 zum Regierungspräsidenten in Köln berufen worden. Er war an einem Treffpunkt für Schwule, einer sogenannten Klappe, aufgegriffen worden, erkennungsdienstlich behandelt und anschließend aus gesundheitlichen Gründen aus dem Dienst entfernt worden.

1984 führte die Kießling-Affäre dazu, dass ein angesehener General der Bundeswehr aus dem Amt entfernt wurde, nur weil Gerüchte aufkamen, er sei homosexuell. Sie können das nachlesen. Viele werden sich erinnern. Es gab eine ganz große Debatte in der Öffentlichkeit, die dann dazu führte, dass er rehabilitiert wurde.

Ein Jahr später sorgte der Fall des Bundesanwalts beim Bundesgerichtshof, Manfred Bruns, für Schlagzeilen. Die „BILD“-Zeitung schrieb über sein Outing. Am Tag danach wurde er von Journalisten gefragt, ob er sich denn jetzt verfolgt fühle. Bruns antwortete – ich darf zitieren –: Wenn man alle Schwulen entlassen würde, müssten auch Minister und andere Mitarbeiter bei der Bundesanwaltschaft entlassen werden.

Darauf folgte eine Anzeige wegen Verleumdung. In seiner Erinnerung schildert er sehr eindringlich, dass sein damaliger Chef, Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, nicht damit umgehen konnte, wie er sagt, und jahrelang nicht mehr mit ihm sprach.

Ein vom damaligen Bundesinnenminister Hans Engelhard eingeleitetes Disziplinarverfahren wurde dann nach weiteren Presseberichten wieder eingestellt. Bruns schildert in seinen Erinnerungen, ein Coming-out in den 50er-Jahren wäre der bürgerliche Tod gewesen.

Bruns aber ist das Beispiel eines Menschen, der sich nicht hat einschüchtern lassen, sondern der sich dann erst recht mit rechtspolitischen Fragen der Homosexualität sowie auch mit juristischen Fragen bei HIV und Aids beschäftigt hat. Noch heute ist er einer der renommierten Juristen, die sich im LSVD für die Rechte von LSBTTI einsetzen.

Das ist mit Blick auf unseren Antrag eine weitere Forderung an die Landesregierung. Es ist ein Beispiel dafür, dass auch die LSBTTI-Emanzi-pationsbewegung aufgearbeitet und betrachtet werden muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, einige von Ihnen werden sicherlich die Frage stellen: Ist das alles denn heute noch notwendig? Meine Antwort: Ja, das ist es, auch wenn sich vieles geändert hat.

In den 50er- und 60er-Jahren wäre es wahrscheinlich undenkbar gewesen, dass sich ein Berliner Bürgermeister hingestellt und diesen berühmten Satz „Ich bin schwul, und das ist gut so“ gesagt hätte. In den 50er-Jahren wäre es wahrscheinlich auch unvorstellbar gewesen, dass sich ein Außenminister – ich unterstelle jetzt einfach, dass Guido Westerwelle nicht der erste schwule Außenminister war – mit seinem Lebensgefährten und zum Beispiel Kanzler Adenauer in der Öffentlichkeit zeigte.

Es gibt noch ein weiteres schönes Beispiel, das ich gefunden habe. Ich will aus der „Welt“ zitieren, die von einem Ereignis im Juli letzten Jahres berichtet. Sie schreibt – ich darf zitieren –:

Wer hätte das gedacht. Auf seine alten Tage hat Altkanzler Helmut Kohl noch einmal seinen Segen gegeben – auf einer Schwulenhochzeit. „Ich habe es sehr gern getan, bekannte der 83-Jährige danach.“

Es ging nämlich um die Hochzeit seines ehemaligen Rechtsanwalts, der seinen Lebenspartner geheiratet hat.

Und die Justiz? Wie hat sich die deutsche Justiz gewandelt? Heute ist – ich will es einmal so formulieren – das Bundesverfassungsgericht beinahe so etwas wie ein Vorkämpfer für die Rechte von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Solche Urteile, wie ich sie am Anfang zitiert habe, sind, glaube ich, in Karlsruhe heute nicht mehr zu erwarten.

Toleranz und Respekt vor anderen Lebensformen brauchen aber lange, bis sie in der Gesellschaft verankert und auch sehr tief verwurzelt sind.

Bereits in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts gab es einen sehr modernen und aufgeklärten Umgang mit Homosexualität, der dann aber leider wenige Jahre später wieder in menschenverachtende Verfolgung zurückfiel. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass sich Verfolgung von Homosexualität weder in strafrechtlicher noch in gesellschaftlicher Hinsicht wiederholt – nicht nur weil Toleranz gegenüber LSBTTI gerade modern ist. Das kann gelingen, wenn wir auch in diesem Punkt unsere Geschichte nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in der ganzen Bundesrepublik gemeinsam aufarbeiten und wachhalten.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, wo es noch genügend Zeitzeugen gibt, die darüber berichten können, wo es noch genügend Betroffene gibt, denen wir die Hand zur Entschuldigung reichen können. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem vorliegenden Antrag.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wolf.- Für die zweite antragstellende Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, erteile ich Frau Kollegin Paul das Wort.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor fast auf den Tag genau 20 Jahren hat der Bundestag den § 175 Strafgesetzbuch aufgehoben. Am 10. März 1994 beschloss der Bundestag, die strafrechtliche Sondervorschrift gegen Homosexualität aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Seitdem steht dort nur noch: „§ 175 (gestrichen)“. 45 Jahre hatte die Bundesrepublik gebraucht, um das Menschenrecht Homosexueller anzuerkennen und ihre staatliche Verfolgung endgültig zu beenden – wenngleich dies bis heute keine völlige Gleichstellung bedeutet.

Die Argumente, mit denen auch in der Zeit nach 1945 und fortdauernd in der Bundesrepublik für den Erhalt des § 175 gestritten wurde, muten aus heutiger Zeit seltsam vertraut an. Anfang der 1960er-Jahre warnte die Bundesregierung vor einer Entkriminalisierung der Homosexualität mit folgenden Argumenten: Die werbende Tätigkeit homosexueller Gruppen im öffentlichen Leben würde wesentlich erleichtert. Und weiter: Dies würde jüngere Menschen in den Bann dieser Bewegung ziehen. – Das Regime Putin bedient sich einer ganz ähnlichen Rhetorik, um seine Gesetzgebung gegen sogenannte homosexuelle Propaganda zu rechtfertigen. Ähnlich wie im heutigen Russland wurde die Arbeit von Menschenrechtsgruppen der Lesben- und Schwulenbewegung schwer bis unmöglich gemacht.

Der § 175 strahlte weit über das Strafrecht hinaus und hatte auch negative Auswirkungen auf die gesellschaftliche Stellung Homosexueller. Zuweilen wurden mit Verweis auf § 175 auch Informationsstände oder Veranstaltungen homosexueller Emanzipationsgruppen untersagt. Dabei stellte § 175 eigentlich nur sexuelle Handlungen unter Strafe. Doch unter dem Deckmäntelchen des Jugendschutzes entschied das Oberverwaltungsgericht Münster noch 1976, dass auch Informationsstände untersagt werden könnten, da Jugendliche vor einer Kontaktaufnahme mit Homosexuellen jedenfalls auf öffentlicher Straße und dadurch möglicher Verführung zu schützen seien.

Durch diesen Paragrafen wurden nicht nur Menschen zu Unrecht strafrechtlich verfolgt – eine ganze Bevölkerungsgruppe wurde geächtet und staatlich drangsaliert. Razzien, sogenannte rosa Listen und die permanente Angst, gesellschaftlich geächtet und seiner bürgerlichen Existenz beraubt zu werden, prägten den Alltag vieler Homosexueller in der Bundesrepublik.

Allein die bundesdeutsche Justiz verurteilte bis 1969 etwa 50.000 Männer wegen gleichgeschlechtlicher sogenannter Unzucht. Viele weitere Männer gerieten in Ermittlungsverfahren. Die Bundesrepublik setzte damit eine unrühmliche historische Tradition deutscher Rechtsgeschichte fort. Seit 1871 stellte das Reichsstrafgesetzbuch männliche Homosexualität unter Strafe. Die Nazis verschärfen § 175 im Jahre 1935 noch. Unglaublicherweise blieb diese verschärfte Variante auch in der Bundesrepublik bis 1969 in unveränderter Form in Kraft – und das, obwohl der menschenverachtende Kern der nationalsozialistischen Verfolgung offenkundig war und bis heute erschüttert.

50.000 schwule Männer wurden verurteilt, Tausende wurden in Konzentrationslager gesperrt. Nur eine Minderheit von ihnen überlebte den Terror der Lager.

Nach zähen Verhandlungen sind die Unrechtsurteile der Nazizeit endlich im Jahre 2002 aufgehoben worden. Für viele Opfer kam diese Rehabilitierung allerdings zu spät.

Und auch diejenigen, die in der Bundesrepublik verfolgt und verurteilt wurden, weil sie als Mann einen Mann liebten oder begehrten, warten noch immer darauf, vollständig rehabilitiert zu werden. Auf ihrem Leben liegt auch 20 Jahre nach der endgültigen Streichung des § 175 StGB ein Schatten. Für viele ist leider auch das bereits zu spät.

Die Stärke eines demokratischen Rechtsstaates liegt aber doch darin, dass er Fehler der Vergangenheit in Gesetzgebung und Rechtsprechung anerkennt und korrigiert. Die Opfer seiner Irrtümer haben einen Anspruch darauf, dass ihnen jetzt endlich Recht widerfährt.

Es ist unsere moralische und politische Verpflichtung, den Menschen Wiedergutmachung zu leisten, die menschenrechtswidrig verfolgt, eingesperrt und um ihr Lebensglück gebracht wurden. Die Urteile, die bis 1969 gegen schwule Männer ergangen sind, müssen endlich aufgehoben werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der § 175 StGB stellte nur männliche Homosexualität unter Strafe. Sexualität unter Frauen blieb straffrei. Doch in den gesellschaftlichen Verhältnissen der 1950er- und 1960er-Jahre waren auch sie gesellschaftlich tabuisiert und geächtet. Das Gesellschaftsbild der frühen Bundesrepublik sah für Frauen die Rolle als Ehefrau und Mutter vor. Die heterosexuelle Kernfamilie wurde zum Anker der bundesdeutschen Gesellschaft erhoben.

Auch die Begründung des Bundesverfassungsgerichts, warum die Straffreiheit lesbischer Liebe eben gerade nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, gewährt tiefe Einblicke in die Gesellschafts- und Sexualvorstellungen der Adenauer-Jahre:

„Anders als der Mann wird die Frau unwillkürlich schon durch ihren Körper daran erinnert, dass das Sexualleben mit Lasten verbunden ist. … So gelingt der lesbisch veranlagten Frau das Durchhalten sexueller Abstinenz leichter, während der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen.“

So weit das Verfassungsgericht. – Mit dieser verquasten Sexualmoral wurde Frauen eine eigenständige Sexualität abgesprochen, erst recht eine eigenständige lesbische Sexualität.

Deutschland hat angesichts seiner Geschichte eine besondere Verantwortung im Kampf um die Anerkennung der Menschenrechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle. Dazu gehört auch, sich seiner eigenen Geschichte zu stellen und Unrecht aufzuarbeiten. Das Wissen um die Verfolgung und die Emanzipation von LSBTTI ist dabei insbesondere angesichts der Debatten um die rechtliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder um den Bildungsplan in Baden-Württemberg nicht nur Vergangenheitsbewältigung, sondern ein zentraler Beitrag zur politischen und historischen Bildung.

Auch heute noch ist Homophobie ein alltägliches Phänomen in der Mitte unserer Gesellschaft. Homophobie ist aber keine legitime politische Meinung, sondern sie ist ein Ausweis von Menschenfeindlichkeit.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Dem wollen wir auch durch die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels bundesdeutscher Geschichte entgegentreten und damit einen kleinen Beitrag zur Wiedergutmachung erlittenen Unrechts, aber auch zur Mahnung, dass auch in einer Demokratie Minderheitenschutz erkämpft und jeden Tag verteidigt werden muss, leisten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Kamieth.

Jens Kamieth (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein besonderer Tag. Mit großer Freude haben wir zur Kenntnis genommen, dass die rot-grüne Koalition mit dem vorliegenden Antrag das erste Mal in dieser Legislaturperiode einen Antrag im Bereich der Rechtspolitik stellt. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie Ihre Arbeitsverweigerung in diesem Hause damit endlich beenden und die inhaltlich-politische Arbeit in Nordrhein-Westfalen nicht mehr der Opposition und der Ministerialbürokratie überlassen würden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Lachen von den GRÜNEN)

Erstaunlich ist aus meiner Sicht dennoch, welches Thema Sie sich für die Aufnahme Ihrer politischen Tätigkeit ausgesucht haben. In dem vorliegenden Antrag richten die regierungstragenden Fraktionen ihr Augenmerk auf die Situation der Homosexuellen, genauer gesagt auf die Tatsache, dass Homosexuelle in Deutschland noch 1994 strafrechtlich verfolgt worden sind.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich handelt es sich hierbei um ein wichtiges Thema. Natürlich verdienen die zu Unrecht Verurteilten Rehabilitation. Und natürlich gibt es auf Bundesebene zahlreiche Organisationen und Institutionen, die sich dieses Themas angenommen haben.

Aber in dieser Frage besteht in diesem Hohen Haus überhaupt kein Dissens. Sie müssen sich daher ernsthaft die Frage stellen, was der vorliegende Antrag hier und heute bezwecken soll. Im Ergebnis haben Sie einen reinen Show-Antrag vorgelegt,

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

der in der Substanz nichts Neues enthält.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Meine Güte!)

Wenn Ihnen das Thema wirklich am Herzen läge, würden Sie über den Antrag zudem nicht hier und heute direkt abstimmen lassen, sondern hätten Sie eine Überweisung in die Fachausschüsse beantragt.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das hätte viel zu lange gedauert!)

Doch dazu hat Ihnen im Eifer des Gefechtes bei diesem Thema offensichtlich der Mut gefehlt.

(Beifall von der CDU – Zurufe von den GRÜNEN)

Ausdrücklich begrüßt die CDU-Fraktion die Aufhebung des § 175 StGB im Jahre 1994. Bis zu 3.800 Verurteilungen jährlich gab es nach dieser Vorschrift auch noch nach 1949, von 1950 bis 1969 mehr als 50.000 Urteile.

Das sind aus heutiger Sicht und nach heutigem Verständnis von Menschenrechten Urteile, die nicht nachvollziehbar sind. Natürlich sind wir heute sehr viel weiter; aber Urteile stellen immer auch einen Spiegel der jeweiligen Gesellschaft dar.

Ab 1965 zeichnete sich in der Gesellschaft ein Wertewandel ab, der sich auch statistisch in sinkenden Zahlen von Verurteilungen niederschlug. 1969 wurde in der Großen Koalition der § 175 StGB erstmals grundlegend reformiert und insbesondere das Totalverbot aufgehoben. 1973 erfolgte die nächste umfassende Reform und 1994 endlich die Streichung des § 175 StGB.

Um in der Folge auch die außerhalb des Rechts stattfindende Diskriminierung von homosexuellen und transidenten Menschen abzubauen, gründete die schwarz-gelbe Bundesregierung im Jahr 2011 die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Mit Bildungsangeboten und gezielter Forschung will die Stiftung in Deutschland homosexuelles Leben ergründen und erklären und in der Öffentlichkeit für mehr Achtung und Interesse werben.

Das Verhindern von Ausgrenzung und Gewalt gegenüber Lesben, Schwulen und transidenten Menschen sowie das an den Homosexuellen verübte Unrecht wird durch diese Bundesstiftung erforscht, was wiederum die Möglichkeit eröffnet, den wissenschaftlichen Diskurs sowie die politische Bildungsarbeit nachhaltig zu beeinflussen.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Kamieth, entschuldigen Sie bitte. Der Kollege Klocke würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie die zulassen?

Jens Kamieth (CDU): Ja, gerne.

Vizepräsident Daniel Düngel: Dann machen wir das so. Herr Kollege Klocke, bitte schön.

Arndt Klocke (GRÜNE): Danke, Herr Präsident und Herr Kollege Kamieth. – Herr Kollege Kamieth, wie bewerten Sie die Aussage des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, der kürzlich gesagt hat, dass die Abschaffung des § 175 StGB die wichtigste strafrechtliche Entscheidung in seiner Amtszeit war? Sehen Sie das auch so?

Und – zweitens – wäre es dann nicht angebracht, dass die CDU-Fraktion, wenn sie diese Aussage denn teilt, auch dem vorliegenden Antrag von Rot-Grün zustimmt?

Jens Kamieth (CDU): Wenn ich es richtig sehe, waren das zwei Fragen, die ich der Reihe nach beantworten möchte. Sie haben sich vielleicht auf die Zwischenfrage konzentriert und dabei nicht mitbekommen, dass ich gesagt habe, dass der Paragraf endlich abgeschafft worden ist. Ich glaube, deutlicher kann man das nicht formulieren.

Was unser Abstimmverhalten zu dem Antrag betrifft, bitte ich Sie, einfach weiter zuzuhören. Dann werden Sie die Antwort auf Ihre Frage bekommen.

Ich hatte gesagt, dass es die Bundesstiftung gibt. Eine ähnliche Stiftung gibt es auch in Nordrhein-Westfalen, nämlich die ARCUS-Stiftung. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Aufarbeitung, Verfolgung, Diskriminierung und Tabuisierung von homosexuellen, intersexuellen und bisexuellen Frauen und Männern in Nordrhein-Westfalen zur Zeit der frühen Bundesrepublik auf den Weg zu bringen. Die ARCUS-Stiftung wurde im Jahr 2008 mit Unterstützung der schwarz-gelben Landesregierung gegründet.

Wir sehen die zur Aufarbeitung des erfolgten Unrechts nötigen Aufgaben bei der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und allen anderen auf diesem Gebiet tätigen Stiftungen, wie zum Beispiel der Hirschfeld-Eddy-Stiftung oder der genannten ARCUS-Stiftung, in guten Händen. Diese Stiftungen leisten hervorragende Arbeit. Das ist den roten und grünen Vertretern hier im Hohen Hause bei der Erstellung des Antrages möglicherweise entgangen; denn Sie fordern pauschal weitere Forschungs- und Aufklärungsarbeiten auf diesem Gebiet. Wir sollten vielmehr die gute Arbeit, die dort tatsächlich geleistet wird, schätzen und achten.

Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, in der Beurteilung der Gleichwertigkeit von Homo- und Heterosexualität besteht in diesem Hause – ich wiederhole mich da gerne – ein absoluter Konsens. Es gibt gar keinen Anlass, diesen wirklich breiten Konsens durch diesen Antrag noch einmal manifestartig zu bekräftigen. Wir werden uns daher bei dem vorliegenden Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen enthalten.

Abschließend möchte ich noch Folgendes sagen: Ich hege die Hoffnung, dass sich die Urteile, die von der Rechtsprechung heute gesprochen werden, in 50 Jahren nicht genauso menschenrechtswidrig darstellen werden. Ich sehe es wirklich als einen Appell an, die Menschenrechte zu wahren und zu achten. Dennoch: Einen Blick 50 Jahre in die Zukunft kann heute keiner werfen. – Ich komme zum Schluss und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Kamieth. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Herbst 2012 hat sich der Landtag mit breiter Mehrheit dafür ausgesprochen, sich für eine Rehabilitierung der nach 1949 verurteilten Homosexuellen einzusetzen. Bereits damals habe ich hier im Hohen Haus gesagt, dass mit der Rehabilitierung ein unrühmliches Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte abgeschlossen würde.

Bis zum Jahr 1994, als die liberale Bundesjustizministerin Leutheusser- Schnarrenberger die letzte Diskriminierung von Homosexuellen im Strafrecht beseitigen konnte, war es eine lange Entwicklung. Der Weg von der Constitutio Criminalis Carolina aus dem Jahr 1532, die sogenannte „widernatürliche Unzucht“ mit dem Feuertod bestrafte, über das Preußische Allgemeine Landrecht, das Zuchthaus und Verbannung vorsah, das Reichsstrafgesetzbuch von 1935, das – außer in minderschweren Fällen – noch eine Gefängnisstrafe forderte, bis zur ersten großen Reform im Jahr 1969 und der Entkriminalisierung 1994 war in der Tat lang.

Dabei ist aus heutiger Sicht nicht nur erschreckend, dass Homosexualität bis 1935 in einem Atemzug mit der Schändung von Tieren genannt wurde, sondern auch, dass Konrad Adenauer noch 1962 befürchtete – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – „die Entartung des Volkes und der Verfall seiner sittlichen Kräfte“ wären die Folge einer Legalisierung.

Statistiken sprechen von ca. 50.000 Menschen, die aufgrund der §§ 175 und 175a StGB verurteilt wurden. Für die fast ausschließlich betroffenen Männer bedeutete dies ein Klima der Angst und Einschüchterung, der gesellschaftlichen Ächtung und oft auch die Zerstörung ihrer Existenz.

Bereits im Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 1980 haben wir gefordert, den sogenannten Schwulenparagrafen endgültig zu streichen, um Homosexuelle rechtlich und gesellschaftlich gleichzustellen. Der Deutsche Bundestag hat sich aber erst in seiner 14. Wahlperiode formell bei den betroffenen Bürgern entschuldigt – ich zitiere –, „die durch die drohende Strafverfolgung in ihrer Menschenwürde, in ihren Entfaltungsmöglichkeiten und in ihrer Lebensqualität empfindlich beeinträchtigt wurden“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur wir haben in der Debatte zur Bundesratsinitiative im Herbst 2012 Bedenken geäußert, ob man die Urteile, die nachkonstitutionell ergangen sind, aus rechtsstaatlicher Sicht aufheben könne. Auch der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat sich im Mai des letzten Jahres mit diesem Gesichtspunkt beschäftigt. Denn mit der Rechtskraft des Urteils ist ein Verfahren abgeschlossen. Aber – und dieses Aber ist wichtig – das Recht bedarf einer regelmäßigen Fortentwicklung. Und wir dürfen die Diskriminierung, die § 175 StGB auch nach 1969 innewohnte, nicht verleugnen.

(Beifall von der FDP)

Sie widerspricht und widersprach auch schon damals der Europäischen Menschenrechtskonvention, wie der EGMR 1981 erstmals in einem vergleichbaren Fall festgestellt hat, und unseren Verfassungsgrundsätzen. Der frühere Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Manfred Bruns, äußerte in der Anhörung, es gehe um die – ich zitiere – „Korrektur eines kollektiven Versagens“ der Justiz.

Der Staat hat über viele Jahre in die Intimsphäre der Bürger eingegriffen, und zwar nicht, weil sonst jemand zu Schaden gekommen wäre, sondern weil das Sittengesetz Maßstab war. Diese Jahrzehnte gehören zur deutschen Rechtsgeschichte. Es ist daher gut und richtig, diese Zeit aufzuarbeiten. Diskriminierende Gesetze und aus heutiger Sicht fragwürdige Sittenlehren müssen Gegenstand des justiz- und sozialhistorischen Diskurses sein.

Der Deutsche Bundestag hat unter der schwarz-gelben Bundesregierung endgültig den Weg für die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld freigemacht und mit Bundesmitteln in Höhe von 10 Millionen € eine gute finanzielle Erstausstattung gewährleistet.

Unter dem Kuratoriumsvorsitz von Sabine Leut-heusser-Schnarrenberger gehört auch diese Aufarbeitung zu ihren vordringlichen Aufgaben. Wenn weitere Akteure hinzutreten, können wir das nur begrüßen.

Der § 175 StGB wirft ein Licht nicht nur auf das Verständnis der Worte „Toleranz“ und „Antidiskriminierung“ in rechtspolitischer Hinsicht, sondern auch auf die Gesellschaft der frühen Bundesrepublik. Daher begrüßen wir den heutigen Antrag ausdrücklich. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Rydlewski für die Piratenfraktion.

Birgit Rydlewski (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Wie die Kolleginnen und Kollegen schon sagten, befassen wir uns mit der Strafverfolgung Homosexueller nicht zum ersten Mal in dieser Legislatur. Schon am 13. September 2012 haben wir hier im Plenum über dieses Thema gesprochen. Und schon damals habe ich gesagt, dass wir mit der Beschäftigung mit dieser Problematik noch lange nicht am Ende sind und sich an vielen Stellen zeigt, dass ein Ende der Kriminalisierung nicht zwangsläufig auch ein Ende von Diskriminierung bedeutet.

Auch jetzt, knappe anderthalb Jahre später muss ich feststellen, dass Fortschritt oft nur sehr mühsam zu erreichen ist. Wir können und werden dem jetzt vorliegenden Antrag natürlich zustimmen, der ein Zeichen setzt gegen das Unrecht, das in der Vergangenheit erfolgt ist. Eine Aufarbeitung der Strafverfolgung ist notwendig, sinnvoll und auch für kommende Generationen zur Dokumentation ratsam. Im Grunde sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich der Staat aus dem Intimleben seiner Bürgerinnen und Bürger heraushält.

Es kommt nicht so oft vor, dass ich einer Meinung bin mit den Kollegen der FDP. Aber gerade deshalb möchte ich an dieser Stelle mit Ihrer Erlaubnis den Kollegen Dirk Wedel zitieren, der in der Plenardebatte am 13. September 2012 sehr treffend gesagt hat:

„In § 175 Strafgesetzbuch wurden viel zu lange Vorurteile und Vorbehalte untermauert und befördert. Der Staat hat mit diesem Paragrafen in die Intimsphäre der Bürger eingegriffen.“

Da hatte der Kollege völlig recht.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich möchte aber noch einen Schritt weitergehen. Es ist ja nicht immer nur der Staat, durch den eine Diskriminierung von Menschen mit einer von der Mehrheit abweichenden Sexualität erfolgt. Eine staatliche Diskriminierung hat bei der Strafgesetzgebung – zum Beispiel dem abgeschafften § 175 – naturgemäß meist sehr gravierende Folgen für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger.

Oft aber – und oftmals mit ebenso schrecklichen Folgen – findet die Diskriminierung Andersdenkender, Anderslebender nicht unbedingt durch den Staat statt, sondern durch die Gesellschaft selbst, durch Menschen, die sich und ihre Wert- und Moralvorstellungen für normal halten und alles, was davon abweicht, verdammen und verurteilen.

Ich befürchte, dass wir in dieser Hinsicht leider noch lange nicht dort sind, wo wir eigentlich hinmöchten. Solange es mitten in dieser Gesellschaft Menschen gibt, die sich als besorgte Eltern tarnen, aber in Wirklichkeit nur fundamentalistische und homophobe Propaganda verteilen, solange es über hunderttausend Menschen gibt, die nicht verstehen können oder wollen, dass sexuelle Vielfalt bundesdeutsche Realität ist und daher auch ihren absolut berechtigten Platz in Lehrplänen hat, solange im Internet und auf der Straße menschenverachtende Ansichten und Kommentare über Homosexuelle alltäglich sind und solange man beim Outing eines Fußballers freudig jubeln muss, statt zu fragen: „Na und? Wo ist denn jetzt hier die Meldung?“, so lange sind wir noch sehr weit entfernt von einer Gesellschaft, die Menschen mit anderer Sexualität wirklich in ihrer Mitte aufgenommen hat.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Wirkliche Normalität, wirkliche Akzeptanz sieht anders aus.

Umso wichtiger ist es, solches Unrecht, wenn man es denn als solches erkannt hat, auch deutlich zu benennen und die Opfer dieses Unrechts zu rehabilitieren – auch wenn dies manchmal ziemlich spät geschieht. Aus diesem Grund stimmen wir dem Antrag selbstverständlich zu. Insbesondere die im Antrag getroffene Feststellung – ich zitiere –:

„Darüber hinaus ist es unsere Pflicht, uns weiterhin gesamtgesellschaftlich dafür einzusetzen, dass alle Lebensformen gleichberechtigt nebeneinander anerkannt werden.“

ist mehr als die Bewältigung einer sehr unrühmlichen Vergangenheit. Sie ist die Verpflichtung, auch zukünftig achtsamer mit Menschen umzugehen, die nicht in allen Belangen einer Norm entsprechen.

So sperrig der Begriff „LSBTTIQ“ erscheinen mag, so prägnant beschreibt er mit ebendieser Sperrigkeit auch, dass es eine Vielfalt von sexuellen Identitäten und Lebensmodellen gibt, die alle ihre Berechtigung haben und in die sich niemand einzumischen hat.

Deshalb würden wir uns freuen, wenn dieser Leitgedanke, nämlich Andersdenkenden und -lebenden ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen ohne Diskriminierung zu ermöglichen, auch bei anderen Themen, die in diesem Haus behandelt werden, Berücksichtigung fände.

Am Ende möchte ich Goethe bemühen:

„Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein. Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“

Wir wollen echte Akzeptanz. Wir wollen echte Gleichstellung in allen Lebensbereichen. Diese Akzeptanz kann durch Bildung erreicht oder zumindest verbessert werden. Die mit diesem Antrag angestrebte wissenschaftliche Aufarbeitung und Dokumentation wird hierzu sicherlich einen guten Teil beitragen. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN, Serdar Yüksel [SPD] und Josefine Paul [GRÜNE])

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Rydlewski. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung begrüßt den vorgelegten Antrag. Ich glaube, dass es viele Gründe gibt, warum es wichtig ist und warum es gut ist, dass wir in Nordrhein-Westfalen gerade zu diesem Zeitpunkt über dieses Thema diskutieren.

Es geht um die Rehabilitierung derjenigen, die im Zuge des § 175 Strafgesetzbuch Unrecht erlitten haben. Und es geht darum, dass das geschieht, was längst überfällig ist, nämlich dass die gesellschaftliche Aufarbeitung von Verfolgung und Stigmatisierung wirklich in voller Breite, auch laut in dieser Gesellschaft stattfindet: durch Erforschung, durch Dokumentation, vor allen Dingen aber auch dadurch, dass darüber gesprochen wird.

Wir brauchen eine solche Erinnerungskultur auch im Bereich der LSBTTI, und zwar nicht nur bezüglich derjenigen, die in der Vergangenheit von der willkürlichen Verfolgung betroffen waren, sondern auch für unseren gesellschaftlichen Umgang und unsere gesellschaftlichen Veränderungen in Zukunft.

Wir wollen eine vielfältige Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen. Vielfalt macht eine Gesellschaft nicht nur bunt, sondern auch stark. Die individuelle sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität sind weder durch Politik noch durch Gesellschaft zu hinterfragen, sondern sind zu akzeptieren und zu respektieren.

Wir haben in unserer Gesellschaft zwar viele Menschen, die liberal, tolerant und offen gegenüber allen unterschiedlichen Lebensentwürfen sind; aber leider sind wir noch lange nicht da, dass das, was für viele selbstverständlich ist, auch die gesellschaftliche Realität darstellt.

Wir erleben gerade in den letzten Monaten eine öffentliche Debatte, in der eine steigende Aggressivität und eine stärker rückwärtsgewandte Positionierung bezüglich Menschen mit LSBTTI-Lebens-entwürfen entstehen. Diskriminierende, ausgrenzende Botschaften von einzelnen Vertretern oder Vertreterinnen sind in manchen Talkshows mittlerweile an der Tagesordnung.

Wir haben erlebt, wie die Diskussionen und Aktionen in Baden-Württemberg aufgebaut und aufgebauscht worden sind. Dort wurden Lebensformen, über die in der Schule und an anderen Stellen in Normalität berichtet und diskutiert werden soll, mit Sexualpraktiken verwechselt. Wir haben erlebt, dass Menschen öffentlich aufgetreten sind und meinten, Schule würde Menschen zu Homo- oder Heterosexualität erziehen, formen oder gestalten. Wir haben Eltern erlebt, die vor laufenden Kameras erzählen, sie seien glücklich, dass ihre Kinder nicht homosexuell sind.

All das führt zu Stigmatisierung, zu Diskriminierung, zu Mobbing und zu einer weiteren gesellschaftlichen Ausgrenzung.

Deswegen ist es umso wichtiger, über die Vergangenheit zu reden und die Zukunft mit im Blick zu haben, nicht nur über die Erfahrungen, die gemacht worden sind, zu reden, sondern auch die Konsequenzen zu ziehen und die Menschen zu rehabilitieren. Wir dürfen nicht nachlassen, mit Information und Aufklärung um Toleranz und Vielfalt zu werben. Gleichzeitig müssen wir klar und deutlich machen, dass weder Diskriminierung in der Zukunft noch das Unrecht in der Vergangenheit von uns akzeptiert, geduldet oder toleriert wird.

Das Kapitel der Vergangenheit ist uns in Nordrhein-Westfalen auch im Rahmen des „Aktionsplans für Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – gegen Homo- und Transphobie“ ein wichtiges Thema.

Die Landesregierung hat mit dem Bundesrat schon im Oktober 2012 eine Entschließung für Maßnahmen zur Rehabilitation und Unterstützung der nach 1945 Verurteilten gefasst.

Die Jahreszahl ist entgegen dem, was im Antrag steht, ein Signal, was in Zukunft von Nordrhein-Westfalen nach draußen gehen sollte. Klar ist: Der Antrag bezieht sich auf 1949; aber das Gesetz, das vorgelegen hat, gilt seit 1945. Es wurde von den Alliierten nicht aufgehoben; es wurde von der neuen Bundesrepublik beibehalten. Daher müssen wir trotz allem weiterhin über die Rehabilitierung ab 1945 reden. Das Bundesverfassungsgericht hat die §§ 175 und 175a Strafgesetzbuch 1957 sogar noch für grundrechtskonform gehalten und die Stigmatisierung damit noch mal unterstrichen.

Für uns ist klar, dass diese Rehabilitierung stattfinden muss. Bis 1969 – nur bis zu der damaligen großen Strafrechtsreform liegen Zahlen vor – sind ca. 100.000 Ermittlungsverfahren und 50.000 Verurteilungen gemäß § 175 StGB durchgeführt worden. Wir müssen all den betroffenen Menschen endlich ihre Würde zurückgeben. Dies muss mit der Erforschung und der Aufarbeitung geschehen. Die Bundesländer müssen die notwendigen Datenbasen beibringen und an diesen Prozessen beteiligt werden.

Warum ist für uns in Nordrhein-Westfalen jetzt der richtige Zeitpunkt, die Diskussion darüber zu führen? Herr Kamieth, Sie fragten ja eben, warum man das jetzt tun solle, und meinten, der Antrag sei eigentlich nicht notwendig.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr die Hirschfeld-Tage. Ich bin sehr froh darüber; und ich möchte mich bei all jenen ganz herzlich bedanken, die sehr viel Engagement, Zeit und Kraft in den Prozess eingebracht haben. Denn das, was hier in Nordrhein-Westfalen an den Hirschfeld-Tagen vom 4. April bis zum 18. Mai mit über 90 Veranstaltungen in 16 Städten stattfinden wird, ist großartig. Mit vielen Aktionen und Veranstaltungen werden die Menschen über alles aufgeklärt, was in der Vergangenheit passiert ist. Darüber hinaus wird diskutiert, thematisiert und das Thema damit ins Bewusstsein und in die Erinnerung der Menschen geholt.

Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist Prävention für die Zukunft. Das ist wichtig. Und es ist gut, dass das in Nordrhein-Westfalen geschieht.

Ich möchte mich auch ganz herzlich bei den beiden Botschaftern Bettina Böttinger und Klaus Nierhoff bedanken, die mit ihrem Namen und mit ihrem Gesicht genau für die Botschaft stehen, die wir in Nordrhein-Westfalen senden wollen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Michele Marsching [PIRATEN])

Wichtig ist, dass wir das jetzt machen, dass wir jetzt an vielen Stellen diese Aufarbeitung beginnen. Denn viele der Menschen, denen dieses massive Unrecht geschehen ist, gehören mittlerweile zur älteren Generation. Sie sind durch die Verfolgung zum Teil hochgradig traumatisiert. Es ist ihre letzte Chance, dass wir mit ihnen gemeinsam die Vergangenheit aufarbeiten.

Wir wollen weiterhin ein aktives Eintreten aller Akteure und Akteurinnen in Nordrhein-Westfalen, der Landesregierung, aber auch des Parlaments gegen Homo- und Transphobie. Wir wollen diesen Diskurs in der Gesellschaft führen.

All das ist auch Ziel der Hirschfeld-Tage. Ich hoffe, dass sich die Abgeordneten des Landtags an den vielfältigen Veranstaltungen der Hirschfeld-Tage beteiligen werden, um klarzumachen, dass sich Nordrhein-Westfalen im Landtag damit auseinandersetzt, dass wir an jeder Stelle im Land, in jeder Kommune inhaltlich dahinterstehen und dass wir diese Aufarbeitung nicht nur in Sonntagsreden wollen, sondern auch in unserem politischen Handeln. Ich würde mich freuen, wenn ich viele von Ihnen an all den Stellen in Nordrhein-Westfalen sehen würde.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Michele Marsching [PIRATEN])

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin Steffens. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin van Dinther.

Regina van Dinther (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie schon im Jahr 2012 möchte ich auch jetzt klarstellen, dass das Leid, das Homosexuelle in der frühen Bundesrepublik durch den Strafrechtsparagrafen 175 erlitten haben, unsäglich war und bis heute nachwirkt. Die Betroffenen warten zu Recht auf eine Aufarbeitung und Rehabilitation. Darauf müssen wir alle hinarbeiten.

Heute können wir es nicht mehr verstehen, wie sich die junge Bundesrepublik auf der einen Seite die beste und weltweit anerkannte Verfassung gab, es aber dennoch nicht möglich war, das Kernstück des Grundgesetzes, nämlich die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und übrigens auch die Gleichberechtigung der Frau, durchzusetzen. Obwohl im Grundgesetz festgeschrieben, wurden diese Grundrechte nicht durch die weitere Gesetzgebung garantiert.

Bis heute war es leider auch aus Rechtsgründen nicht möglich, die Verurteilten zu rehabilitieren und die Urteile als das zu beschreiben, was sie gefühlsmäßig sind, nämlich Unrecht. Das ist belastend und unbefriedigend.

Umso wichtiger ist es, dass der Umgang mit Homosexualität heute dem Grundgesetz entspricht und sich auch die breite Mehrheit der Menschen im Land offen gegen die Diskriminierung Homosexueller ausspricht. Damit sind aber weder die Vergangenheit noch die Nachwirkungen, die bis in unsere heutige Zeit hineinreichen, aus der Welt. Es ist gut, dass es gerade in den letzten Jahren eine intensivere Diskussion gab, aus der sich durchaus ermutigende Zeichen der Veränderung ergeben.

Wir alle wissen, dass sich insbesondere ältere Menschen mit dieser Diskussion durchaus schwer taten und tun. Aber, meine Damen und Herren, aus Respekt vor den Betroffenen und zur Rehabilitation der ehemals Verurteilten müssen wir klare Worte finden und Mehrheiten für eine diskriminierungsfreie Gesetzgebung in Deutschland.

Ich begrüße ausdrücklich die klare Haltung unseres Bundesverfassungsgerichts, sehe aber auch eine längst überfällige Bewegung – zum Beispiel in dieser Woche die Stellungnahme des Bischofs von Essen, der für die Katholische Kirche klar ausgedrückt hat,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

dass die Diskriminierung Homosexueller und ihrer Kinder entgegenzutreten sei. Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass wir es besser als früher schaffen, über das Thema „Sexualität“ insgesamt zu sprechen.

Meine Damen und Herren, schon seit den 70er-Jahren leben wir eigentlich in einer sexualisierten Welt. Dennoch wird auch im Privaten beispielsweise die Aufklärung vieler Kinder von den Eltern immer noch den Peergroups überlassen, statt es selbst zu tun. Oft trauen sich auch heute noch viele Erwachsene nicht, Sexualität als das zu beschreiben, was sie ist: absolut wichtig im Leben jedes Menschen, absolut beglückend, wenn sie sich in der Liebe zu einem anderen Menschen entfalten kann. Dieses Glück soll jede und jeder erleben können, auch wenn die sexuelle Orientierung anders ist als bei der Mehrheit der Menschen.

„Gottes bunte Schöpfung“ nenne ich diese Vielfalt, in der wir alle zur Welt gekommen sind. Aber jede und jeder ist mit der Einzigartigkeit und dem Recht auf Entfaltung und der Garantie auf ein würdevolles Leben zur Welt gekommen.

Meine Damen und Herren, aus diesen Erkenntnissen heraus bin ich und mit mir viele andere in meiner Partei unterwegs, für diese Ziele politisch einzutreten. Wir werden – genau wie viele andere – Ende April eine Veranstaltung im Rahmen der Hirschfeldtage veranstalten. Mit Rita Süssmuth werden wir uns in der CDU-Zentrale treffen. Wir werden wie jedes Jahr an den CSDs teilnehmen. Und wir werden auch weiter mit der aktiven Interessenvertretung der Lesben und Schwulen in der Union viele dieser Dinge in der Partei begleiten.

Meine Damen und Herren, vermutlich wäre es ein leichtes gewesen, hier und heute einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zu diesem Thema zu erarbeiten. Leider aber habe ich das Gefühl, dass insbesondere die Grünen in diesem Haus dieses Themenfeld gerne für sich alleine reservieren wollen. Nichteinladung der CDU und der LSU zu einem Empfang in der letzten Woche oder auch die direkte Abstimmung dieses Antrags und Nichtüberweisung an den Ausschuss sind klare unhöfliche politische Zeichen. Die CDU wird sich daher enthalten, aber nur beim Antrag, nicht bei der Arbeit gegen die Diskriminierung Homosexueller.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin van Dinther. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht jetzt Frau Kollegin Hanses.

Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch im Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland wurde über Jahrzehnte Recht angewandt, das wir nicht erst seit heute als zutiefst ungerecht empfinden. Viele der Vorrednerinnen und Vorredner sind sogar so weit gegangen, von „Unrecht“ zu sprechen. Ich danke den Kollegen Wolf und Wedel für den historischen Abriss, weil der zur Aufarbeitung nötig ist.

Wir können das festhalten, was der Kollege Wedel schon gesagt hat: Seit 1981 hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrfach bestätigt, dass die Bestrafung erwachsener Menschen, die einvernehmlich homosexuelle Handlungen vollzogen haben, als Menschenrechtsverletzung eingestuft wurde. Damit ist gerichtlich bestätigt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden deutschen Staaten und auch noch nach der Wiedervereinigung die Menschenrechte von schwulen und bisexuellen Männern massiv verletzt wurden.

Herr Kollege Kamieth, uns allen sollte bewusst sein, dass hier jeder Tag zählt. Es handelt sich oft um hochbetagte Männer, die dringend jedes Signal brauchen können, um rehabilitiert und mit ihrem Unrecht, das sie erlebt haben, fertig zu werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn diese heute lebensälteren Männer haben jahrzehntelang gelitten.

Dafür schäme ich mich heute. Wir hoffen, dass wir mit diesem Beschluss ein klein wenig dazu beitragen können, dass diese Männer mit dem Rechtsstaat wieder Frieden machen können; denn die Aufarbeitung dieses Teils unserer Rechtsgeschichte sollte uns Verpflichtung gegenüber den Opfern sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Die Redezeit, Frau Kollegin Hanses.

Dagmar Hanses (GRÜNE): Für uns ist es auch Verpflichtung, aber auch mit Blick in die Zukunft darf eine Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung nicht weiter durch den Rechtsstaat geschehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Hanses. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Aufarbeitung des dunklen Kapitels der Verfolgung und Unterdrückung Homosexueller innerhalb Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg ist ein wichtiger und unverzichtbarer Schritt. Daher ist es aus meiner Sicht vollkommen richtig, dass sich Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland den gestarteten Initiativen aus Bayern und Rheinland-Pfalz anschließt. Auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts zur Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Menschen unter Federführung des rheinland-pfälzischen Familienministeriums bin ich schon sehr gespannt.

Gestatten Sie mir zu diesem ernsten, sensiblen Thema noch drei Aspekte:

Erstens. Durch eine geschichtliche Auseinandersetzung wird unsere heutige Gesellschaft mit dem Wandel von klassischen Rollenbildern und der sexuellen Vielfalt konfrontiert. Die offene Auseinandersetzung trägt dazu bei, dass sich unsere unterschiedlichsten Gesellschaftsmitglieder akzeptieren und tolerieren. Damit wird unsere Gesellschaft gefestigt und weiterentwickelt.

Leider ist der zu gehende Weg immer noch steinig. Es reicht nicht, wenn Prominente beim Coming-out wie Helden gefeiert werden; sensible Aufklärungsangebote sind hier erforderlich.

Daher wird sich die FDP-Landtagsfraktion anlässlich der Hirschfeld-Tage 2014 im Rahmen eines Werkstattgesprächs am 8. April mit einem Teilaspekt der Diskriminierung beschäftigen. Unter dem Titel „Keine Ahnung von Schwulen und Lesben – Wie schafft man Akzeptanz in der Schule?“ wollen wir herausfinden, wie beispielsweise nach wie vor 90 % der deutschen Schüler nach dem Coming-out gemäß einer Studie der EU-Grundrechteagentur von ihren Mitschülern schikaniert und gemobbt werden.

Zweitens. Mit der geschichtlichen Aufarbeitung kann Deutschland gegenüber anderen Ländern Vorbild werden. Mit dem vorliegenden Antrag können wir ein positives Zeichen in der weltweiten homosexuellen Szene setzen.

Es ist unfassbar, dass es in mehr als 70 Staaten Gesetze gegen homosexuelle Handlungen gibt. In einigen Staaten droht sogar die Todesstrafe. Erschreckend sind vor allem die Berichte von Gesetzesverschärfungen, beispielsweise in Uganda, wo eine lebenslange Haftstrafe für wiederholte homosexuelle Handlungen eingeführt wurde. Bedenklich sind auch die Entwicklungen in Russland mit dem Ende Juni von Präsident Putin unterzeichneten Gesetz gegen Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen. Im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen war es richtig, hierüber kritisch zu diskutieren.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, meine Fraktion hat sich ebenfalls intensiv mit dem Thema beschäftigt und eine Resolution für mehr Respekt und Toleranz gegen Diskriminierung im Sport beschlossen.

Damit bin ich schon bei meinem dritten und letzten Punkt angelangt und möchte abschließend noch einmal betonen, dass hier die Politik gefordert ist, gegen jegliche Form von Diskriminierung vorzugehen. Da es sich hier um einen sinnvollen und wichtigen Antrag handelt, stimmt die FDP-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen gerne zu. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP, der SPD und der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind am Schluss der Aussprache und stimmen ab.

Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen damit direkt über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/5282 ab. Ich darf Sie fragen, wer für diesen Antrag stimmen möchte. – Das sind die Piratenfraktion, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP-Fraktion. Wer ist gegen diesen Antrag? – Da sehe ich niemanden. Wer enthält sich? – Die CDU-Fraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 16/5282 wie gerade gesehen angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

6   Fragestunde

Drucksache 16/5300

Ich rufe zunächst die

Mündliche Anfrage 36

des Herrn Karlheinz Busen von der FDP aus der Fragestunde vom 19. Februar 2014 auf.

Gesetzlich festgelegte Kriterien für die Anerkennung von Tierschutzorganisationen zum Verbandsklagerecht

Das nordrhein-westfälische Verbraucherschutzministerium hat am 22. Januar 2014 die ersten sieben Tierschutzvereine auf seiner Internetseite (www.umwelt.nrw.de) veröffentlicht, die eine staatliche Anerkennung nach dem neuen Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzorganisationen erhalten haben. Nach Aussage des Ministers sollen gesetzlich festgelegte Kriterien für die Anerkennung von Tierschutzorganisationen zum Verbandsklagerecht sicherstellen, dass nur seriöse Organisationen anerkannt wurden und werden.

Unter den zugelassenen sieben Organisationen befinden sich jedoch auch Organisationen wie der „Europäischer Tier- und Naturschutz e. V“. Dieser Organisation wurden 2010 in Rheinland-Pfalz mit einer sofort vollziehbaren Verbotsverfügung Spendensammlungen und öffentliche Aufrufe zu Geldspenden untersagt. Als Grund dafür führte die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Rheinland-Pfalz an, dass der Verein trotz mehrfacher Aufforderungen seinen gesetzlichen Auskunftspflichten im sammlungsrechtlichen Verfahren nicht nachgekommen sei, sodass eine satzungsgemäße Verwendung der Spendengelder nicht sichergestellt wäre.

Auch die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelt laut einem Bericht des „Spiegel“ seit 2010 gegen Verantwortliche des Vereins Europäischer Tier- und Naturschutz (ETN) wegen Betrugs und Untreue. Wichtige Repräsentanten des Vereins sollen mutmaßlich bereits bei einem Vorgängerverein, dem Europäischen Tierhilfswerk, und dem diesem nahestehenden Deutschen Tierhilfswerk in den neunziger Jahren 25 Millionen Euro entgegen dem Vereinszweck verausgabt haben.

Der „Europäischer Tier- und Naturschutz e.V.“ taucht auch auf einer Liste der Stiftung Warentest auf, die in ihrem Heft Test 12/2013 die Transparenz und Wirtschaftlichkeit von Tierschutzorganisationen getestet hat. Hier warnt die Stiftung Warentest vor Spenden an den Europäischen Tier- und Naturschutzbund, da dieser keinerlei Auskünfte zur Verwendung der Gelder oder Einzelheiten der Organisationsstruktur habe geben wollen.

Wie verträgt sich dies mit der im Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine unter § 3 Abs. 1 Nr. 4 für die Anerkennung geforderten Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung?

Ich bitte zunächst Herrn Minister Remmel um Beantwortung der Frage. Herr Minister, bitte schön.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach Inkrafttreten des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine hat das Verbraucherministerium am 22. Januar 2014 die ersten sieben anerkannten Tierschutzvereine auf seiner Internetseite veröffentlicht. Die Anerkennung und Veröffentlichung der Tierschutzvereine erfolgte nach gründlicher Prüfung der gesetzlich festgeschriebenen Anerkennungsvoraussetzungen. Alle sieben Vereine erfüllen nach den meinem Haus vorliegenden Informationen die in § 3 aufgeführten sechs Voraussetzungen.

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Gibt es Nachfragen? – Herr Kollege Busen.

Karlheinz Busen (FDP): Herr Minister, Sie haben die sieben Vereine als seriöse Tierschutzvereine beschrieben. Es sind Tierschutzvereine dabei, die den völligen Verzicht auf tierische Produkte auch im Bekleidungsbereich wie zum Beispiel Leder fordern. Machen Sie sich diese Position zu eigen?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Nein.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Höne hat sich eingeloggt. Herr Kollege Höne, bitte schön.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Remmel, der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband hat vor einigen Wochen erklärt, dass auch der Gründer des Tierschutzbüros, Herr Jan Pfeiffer, bekanntlich einräume, aus dem Verkauf von Bildern an Fernsehstationen sein Einkommen zu beziehen. Diese Bilder entstünden beim Einbruch in Ställe.

Welche Gefahren sehen Sie zum Beispiel vor dem Hintergrund der Sorge um die Ausbreitung der afrikanischen Schweinepest, wenn hier unbefugt in geschlossene Ställe eingedrungen wird? Waren solche Informationen, solche Hintergründe auch im Rahmen des Anerkennungsverfahrens für die Landesregierung von Bedeutung?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Diese Informationen waren nicht von Bedeutung, weil sie nicht Teil der gesetzlichen Prüfung sind. Im Übrigen billigt die Landesregierung dieses Vorgehen nicht.

Ich möchte an dieser Stelle aber anmerken, dass in einem östlichen Bundesland gerichtliche Entscheidungen getroffen worden sind, mit denen ein solches Vorgehen als letzte Möglichkeit, Unrecht zu verhindern bzw. auf Unrecht aufmerksam zu machen, gerichtlich gebilligt worden ist. Ich teile diese Position nicht. An dieser Stelle hat man aber festgestellt, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hätte.

Ich mache darauf aufmerksam, dass in Nordrhein-Westfalen durch das Verbandsklagerecht eine andere Möglichkeit gegeben und insofern eine gerichtliche Entscheidung wie die in dem östlichen Bundesland aus meiner Sicht hier jetzt nicht mehr möglich ist. Insofern haben wir hier durch das Verbandsklagerecht Abhilfe geschaffen.

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister. – Eine weitere Rück- bzw. Nachfrage hat der Kollege Witzel. Bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Remmel, ich habe eine Nachfrage zum DZI-Spendensiegel. Das DZI-Spendensiegel genießt, wie Ihnen bekannt ist, sowohl in der Bevölkerung als auch natürlich bei vielen Behörden ein besonderes Ansehen. Es ist in der Praxis gerade auch bei Zuwendungsentscheidungen sehr wichtig, sich in besonderem Maße auf dieses Spendensiegel stützen zu können.

Sie, Herr Minister Remmel, haben am 22. Januar 2014 erklärt, dass bei Ihrem Vorhaben sichergestellt ist, dass – so haben Sie es formuliert – nur seriöse Organisationen anerkannt werden. Ich möchte Sie deshalb fragen: Inwieweit verfügen auch die nach dem Verbandsklagegesetz anerkannten Vereine über dieses DZI-Spendensiegel? Ist das in der Breite vollständig gewährleistet?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Es ist völlig klar: Intransparentes Gebaren von Vereinen – insbesondere solchen, die Spendengelder einwerben – ist ausgesprochen scharf zu kritisieren, und das tue ich auch mit Nachdruck.

Alleine aus intransparentem Gebaren in Finanzangelegenheiten eines Vereines lässt sich aber nicht mit hinreichender Sicherheit schließen, dass ein Verein keine Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung im Bereich des Tierschutzes bietet. Das ist eine rechtliche Einschätzung. Eine Versagung der Anerkennung nach dem Gesetz alleine aus diesem Grund wäre deshalb rechtlich angreifbar.

Das ist der Hintergrund dieser Zusammenhänge.

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Rückfrage kommt vom Kollegen Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, Tierschutzvereine – das haben Sie ja selber gerade ausgeführt – können gegen die unrechtmäßige Versagung einer Anerkennung nach dem Verbandsklagegesetz vor dem Verwaltungsgericht klagen. Gegen eine eventuell unrechtmäßige Anerkennung eines Vereins sieht das Gesetz dagegen keine Klagemöglichkeiten für Betroffene vor.

Inwieweit ist nach Ihrer Ansicht überhaupt Rechtsschutz für Betroffene vor rechtswidrig anerkannten Vereinen gewährleistet?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Rechtsschutz ist insofern gewährleistet, als das nach dem Verbandsklagerecht nur solche Tatbestände einklagbar sind, die in anderen Rechtsnormen normiert sind. Die Gerichte haben zu entscheiden, ob Klagen, bei denen es um Tatbestände außerhalb der bestehenden Rechtsnormen geht, überhaupt angenommen werden. Ich gehe einmal davon aus, dass die Gerichte solche Klagen zurückweisen und das insofern gar nicht zur Anwendung kommt.

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank. – Eine weitere Rückfrage kommt jetzt vom Kollegen Alda.

Ulrich Alda (FDP): Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, mehrere der von der Landesregierung akkreditierten und damit auch von Ihnen für seriös erklärten Tierschutzvereine fordern Haltungsverbote für Hunde und Katzen in Privathaushalten, da dort keine artgerechte Haltung möglich ist.

Was sagen Sie vor dem Hintergrund des leider relativ erfolglosen Kampfes des Innenministers gegen Einbruchserien in unserem Land zu den organisierten Einbruchserien in Ställe, und machen Sie sich in diesem Zusammenhang die Forderung nach dem Haltungsverbot zu eigen?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Nein.

(Ulrich Alda [FDP]: Okay!)

Vizepräsident Daniel Düngel: Die nächste Rückfrage kommt von Herrn Kollegen Witzel. Das ist seine zweite und damit letzte Rückfrage.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank noch einmal, Herr Präsident. – Bekanntlich sind aufseiten der Landesregierung im Zusammenhang mit diesem Anerkennungsverfahren wichtige Abwägungsentscheidungen zu treffen, Herr Minister Remmel. Deshalb habe ich die Bitte, dass Sie dem Parlament hier darlegen, wie das kriteriengeleitet abläuft, welche Ausschlusstatbestände Sie dort sehen und welche Gesichtspunkte wichtig sind.

Gerade auch mit Blick auf die einzelnen Aspekte, die wir gerade schon gestreift haben – zum Beispiel das Qualitätssiegel und anderes –, habe ich folgende Frage an Sie: Welches sind für Sie die bei Ihrer Prüfung relevanten Gesichtspunkte im Anerkennungsverfahren, wenn Sie die Entscheidung zu treffen haben, welche Organisationen als seriös akkreditiert werden und die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Die insgesamt sechs Kriterien sind in § 3 des entsprechenden Gesetzes aufgeführt. Sie werden abgeprüft, und sobald die Vereine diese Kriterien erfüllen, erfolgt nach dem Gesetz die Anerkennung. Das haben die Behörden zu prüfen und erfolgt ohne politische Einflussnahme, also ausschließlich nach Recht und Gesetz.

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Die nächste Frage kommt vom Kollegen Höne. Das ist auch seine zweite und letzte Frage.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Remmel, in der WDR-Lokalzeit vom 3. November 2011 wurde über einen von ETN e. V. durchgeführten Transport von neun Ponys und Fohlen berichtet. Die Tiere wurden auf einem Pferdemarkt im österreichischen Maishofen erworben und dann in einem 15-Stunden-Transport zum Sitz des Vereins in NRW gebracht. Hierbei wurde gegen tierschutzrechtliche Vorschriften verstoßen. Der ETN räumt ein, sich ordnungswidrig verhalten zu haben, da die vorgeschriebene Traces-Meldung nicht erfolgt war.

Inwiefern ist ein solcher Gesichtspunkt im Rahmen des Anerkennungsverfahrens für die Landesregierung wichtig gewesen? Was hatte das für eine Bedeutung?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Es sind alle Informationen geprüft worden, die zu diesem Zeitpunkt vorlagen – auch die Frage, ob in irgendeiner Weise strafrechtliche Dinge anhängig sind. Hier sind wir nach Prüfung zu einem negativen Ergebnis gekommen. Zum Zeitpunkt der Anerkennung waren solche Fragen nicht anhängig.

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank. – Eine weitere Nachfrage kommt vom Kollegen Wedel. Auch hier ist es die zweite und letzte Frage.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, werden Mitwirkungs- und/oder Klagerechte durch rechtswidrig anerkannte Vereine ausgeübt, so führt dies unabhängig von der tierschutzrechtlichen Erforderlichkeit zu Verzögerungen und letztlich zu Mehrkosten. Inwieweit bestehen insofern Amtshaftungsrisiken für das Land?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich habe das Letzte nicht verstanden. Können Sie es wiederholen?

Dirk Wedel (FDP): Inwieweit bestehen insoweit Amtshaftungsrisiken für das Land?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Die sehe ich nicht.

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank. – Eine weitere Nachfrage kommt vom Kollegen Busen. – Herr Busen, bitte schön.

Karlheinz Busen (FDP): Herr Minister, Sie haben ja gerade gesagt, Sie hätten gesetzlich festgelegt, dass die Kriterien sicherstellten, dass nur seriöse Organisationen anerkannt werden, die jahrelang Erfahrung im Tierschutz nachweisen und so verantwortungsvoll mit ihren neuen Möglichkeiten umgehen können. Halten Sie die von Ihnen ausgewählten Tierschutzvereine trotz der hier gerade erörterten Verstöße gegen geltendes Recht und trotz der ominösen Geschäftspraktiken für seriös?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Die Kriterien zur Prüfung zur Feststellung der Anerkennung nach dem Verbandsklagerecht, also der Möglichkeit, Verbandsklagen durchführen zu können, hat das Parlament festgelegt. Die Landesregierung, mein Haus, hat diese Kriterien geprüft. Insofern treffen die Kriterien auf die Vereine zu, und insofern waren sie rechtlich anzuerkennen.

Welche Forderungen die Vereine ansonsten vertreten oder wo und in welcher Weise sie aufgefallen sind, kann nicht Gegenstand einer Prüfung nach den gesetzlichen Maßgaben sein, die das Parlament festgelegt hat.

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Mir liegen jetzt keine weiteren Nachfragen oder Wortmeldungen mehr vor. Damit ist die Mündliche Anfrage 36 erledigt.

Weitere Mündliche Anfragen liegen hier auch nicht vor. Damit haben wir auch die Fragestunde erledigt. – Herzlichen Dank.

Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt

7   Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – Prüfung von Lohntestverfahren zur Feststellung von Lohnunterschieden zwischen Frauen und Männern im Öffentlichen Dienst –

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5284

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5408

Ich eröffne die Aussprache. Für die mitantragstellende Fraktion der SPD spricht nun Frau Kollegin Jansen.

(Zuruf von der SPD: Sie ist nicht da!)

– Sie ist nicht da. – Bitte schön, Frau Kollegin Beer.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Dies liegt begründet im schnellen Ende der Fragestunde. Sie ist auf dem Weg.)

Dann haben wir noch ein bisschen Geduld. Frau Kollegin Paul ist auch noch nicht da; sonst hätte ich die zweite mitantragstellende Fraktion vorgezogen.

Frau Scharrenbach wäre dann die nächste Kollegin, und sie ist anwesend. Ich gehe von Ihrem Einverständnis aus, dass dann Frau Kollegin Scharrenbach die Debatte eröffnen darf.

(Beifall von der CDU)

– Dann bitte sehr.

Ina Scharrenbach (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt voranzutreiben, ist ein wichtiges Ziel der Politik, des Bundes und auch des Landtages von Nordrhein-Westfalen. Die Erwerbstätigkeit von Frauen nimmt zwar seit Jahren kontinuierlich zu; aber die tatsächliche Gleichstellung der Frauen in der Arbeitswelt ist noch nicht erreicht.

Faktische Gleichstellung und Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt kann jedoch nicht allein durch die Politik bewirkt werden, sondern ist Aufgabe aller verantwortlichen gesellschaftlichen Akteure sowie jedes Einzelnen und jeder Einzelnen. Dabei ist es unstrittig, dass Handlungsbedarf besteht.

Die unbereinigte Lohnlücke zwischen Frauen und Männern beträgt 22 %. Dabei sind die Gründe für die Entgeltungleichheit vielschichtig: das Berufswahlverhalten, die den Tarifverträgen zugrunde liegende Bewertung typischer Frauenberufe, häufigere und längere familienbedingte Erwerbsunterbrechungen von Frauen, Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die hohe Teilzeitquote sowie ein nach wie vor geringerer Anteil von Frauen in Führungspositionen.

Bei vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit verdienen Frauen ca. 8 % weniger als Männer. Während der Verdienstabstand beim Berufseinstieg mit 2 % noch relativ gering ist, nimmt er mit den Jahren zu. In der Gruppe der 35- bis 44-Jährigen erreicht er sogar 24 %. Diese Daten zeigen, dass eine der zentralen Maßnahmen zur Beseitigung der Entgeltungleichheit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist.

Die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen nehmen den Equal Pay Day aus der vergangenen Woche zum Anlass, um dieses wichtige Thema heute im Zusammenhang mit dem öffentlichen Dienst zu thematisieren. Dass Sie Ihren Antrag zur direkten Abstimmung stellen, lasse ich Ihnen anheimgestellt.

Allerdings können wir Ihnen nicht durchgehen lassen, dass dieser Antrag erneut Unkonkretheiten beinhaltet, wo eigentlich konkrete Beschlüsse erforderlich wären. Daher haben wir unseren Entschließungsantrag der CDU mit den Worten „Worte statt Taten“ überschrieben; denn Worte sagen Sie viele, auch in Ihrem Antrag, während wir Taten eher weniger sehen.

Sie wollen beispielsweise beschließen, dass die Landesregierung gebeten wird – ich wiederhole: gebeten wird – zu prüfen, ob eines der beiden Analyseverfahren in Bezug auf Lohnvergleiche geeignet ist, geschlechtsspezifische Unterschiede im öffentlichen Dienst aufzudecken. Bei den beiden Analyseverfahren handelt es sich zum einen um den eg-check der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung; zum anderen steht das von der Bundesregierung entwickelte Lohntestverfahren Logib-D zur Verfügung.

Deshalb schlagen wir Ihnen konkret vor, das letztgenannte Verfahren Logib-D auf den öffentlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen anzuwenden, um festzustellen, wo es geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Entlohnung gibt. Deshalb ist Logib-D hier wesentlich einschlägiger als das von Ihnen benannte eg-check-Verfahren, das letztendlich nur auf einer Symptomanalyse beruht.

Deshalb wollen wir hier keine Prüfung, sondern wir wollen ein Machen, und das schlagen wir Ihnen mit unserem Entschließungsantrag konkret vor. Dafür könnten Sie beispielsweise auch das noch nicht vorliegende Gutachten über den Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Landesregierung und den Unternehmen, auf die das Land Einfluss hat, nutzen, um es entsprechend zu erweitern und diese geschlechterspezifischen Unterschiede aufzudecken.

Lassen Sie mich noch auf den öffentlichen Dienst zurückkommen. Bemerkenswert ist, dass gerade die Regierungsfraktionen auf eine mögliche Entgeltungleichheit im öffentlichen Dienst abstellen; denn in Bezug auf Nordrhein-Westfalen fand genau vor einem Jahr am Equal Pay Day auf Antrag der CDU eine Aktuelle Stunde zu der Frage „Plant die Regierung einen Wortbruch bei der Beamtenbesoldung?“ statt.

Inzwischen wissen wir, dass die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen sich dazu entschieden haben, insbesondere gegenüber den Beamtinnen des Landes und der Kommunen ab A11 wortbrüchig zu werden und sie einseitig von der allgemeinen Einkommensentwicklung abzukoppeln.

Wenn Sie im Antrag auf das Verbot der Lohndiskriminierung im Grundgesetz und in den Einzelgesetzen hinweisen, sollte auch der verfassungsrechtliche Grundsatz auf angemessene Alimentation erwähnt werden, und das schlagen wir Ihnen auch konkret vor. Sie tun das in Ihrem Antrag nicht.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Lassen Sie mich noch auf die dritte Forderung, die wir in unserem Entschließungsantrag erhoben haben, eingehen, dass sich die Landesregierung dem „audit berufundfamilie“ unterwirft. Das haben Sie in der Zwischenzeit getan. Ein Suchfehler im Internet hat dazu geführt, dass wir diese Forderung aufgerufen haben. Aber wir müssen uns darüber unterhalten, ob die Maßnahmen, die für die einzelnen Ministerien aus diesem Audit aufgerufen worden sind, in der Zwischenzeit umgesetzt wurden. Deshalb werden wir das wohl im Frauenausschuss noch einmal zum Thema machen.

Abschließend: Wir werden uns bei Ihrem Antrag enthalten, um ein deutliches Signal mit auf den Weg zu geben. Denn so weit sind wir nicht auseinander. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Scharrenbach. – Jetzt können wir in der regulären Redeliste fortfahren, und Frau Kollegin Jansen hat für die SPD-Fraktion das Wort.

Daniela Jansen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung für meine Verspätung. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Wissenshunger der Opposition so schnell zufriedenzustellen ist. Insofern hatte ich gedacht, wir arbeiten die Tagesordnung nicht so schnell ab. Ich bitte um Entschuldigung.

Zur Sache: Seit 2007 beteiligt Deutschland sich am Equal Pay Day, eigentlich erstaunlich, weil dieser bereits 1988 zum ersten Mal stattgefunden hat. In Deutschland verdienen Frauen im Durchschnitt rund ein Fünftel weniger als ihre männlichen Kollegen, während es im europäischen Durchschnitt nur 16,4 % sind. Selbst wenn man unterschiedliche berufsbiografische oder persönliche Merkmale herausrechnet, kommt man auf eine Lohnlücke von 8 %. Auch diese bereinigte Lohnlücke ist immer noch zu groß, meine Damen und Herren.

Zur Abstimmung steht nun ein Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Prüfung von Lohntestverfahren zur Feststellung von Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen im öffentlichen Dienst. Ein schwieriger Titel, einfach zu erklären: Im öffentlichen Dienst betrug der Verdienstunterschied im Jahre 2012 ca. 9 %. Eigentlich sind Tarifwerk und Besoldung im öffentlichen Dienst transparent und frei von Geschlechterdiskriminierung, aber der Aspekt „Wertung von Arbeit“ führt zu unterschiedlichen Einstufungsergebnissen.

So können arbeitsspezifische Merkmale wie Verantwortung, soziale Kompetenz oder körperliche Anstrengung im Besoldungsrecht unterschiedlich zugeordnet und eingestuft werden. Eigentlich ist auch das kein Problem, das zu Lohnunterschieden führen müsste, aber traditionell eher Frauen zugeschriebenen Berufen kommt eine geringere Bewertung im Tarif- und Besoldungsrecht zu. Das Hauptproblem sind hier die unangemessenen Arbeitsbewertungen. Ein weiteres Problem: Je höher die Besoldungsgruppe, desto geringer ist der Frauenanteil.

Das Verbot der Diskriminierung ist bereits durch umfangreiche Gesetzgebung festgelegt, zum Beispiel im Grundgesetz, in der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie oder auch im Landesgleichstellungsgesetz. Um den Diskriminierungsverdacht auszuräumen oder durch Aufklärung gar nicht erst entstehen zu lassen, bedarf es eines Instruments, was bislang nicht in der Gesetzgebung verankert war. Denn mittelbare Entgeltdiskriminierung ist schwer erkennbar, oft in Bestimmungen von Tarifverträgen, betrieblichen Vereinbarungen oder Gesetzen verborgen. Diese unterscheiden zwar nicht zwischen Männern und Frauen oder geschlechtsspezifischen Merkmalen, wirken jedoch unterschiedlich auf Männer und Frauen.

Da kommen wir an den Punkt, dass Politik handeln muss. Wir als Landesregierung werden auch handeln, meine Damen und Herren. Die Entgeltgleichheit ist zwar rechtlich geboten, die Einhaltung wird aber unzureichend kontrolliert.

Für eine Kontrolle der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen beim Arbeitsentgelt stehen zwei Instrumente zur Verfügung: Der eg-check untersucht wichtige Vergütungsbestandteile wie Grundgehalt, Leistungsvergütung oder Erschwerniszuschläge einzeln auf mögliche Diskriminierung, zeigt die Ursachen der Ungleichbehandlung und ihr finanzielles Ausmaß. Dies kann zu einer Überprüfung der Arbeitsbewertung führen. Logib-D geht der Frage nach, ob bei gleichen personellen Voraussetzungen gleiches Entgelt gezahlt wird.

Wir wollen deshalb heute beschließen, dass der öffentliche Dienst in der Frage Entgeltgleichheit weiter mit gutem Beispiel vorangehen soll. Deshalb bitten wir die Landesregierung zu prüfen, ob eines der beiden Verfahren zur Erreichung dieses Ziels geeignet ist. Die Entgeltpraxis einer Behörde soll modellhaft überprüft werden. Im Anschluss daran sollen Lösungsansätze zur Vermeidung von Ungleichbehandlung aufgezeigt werden. Und – das ist uns sehr wichtig – Ergebnisse sollen bei der geplanten Änderung des Landesgleichstellungsgesetzes berücksichtigt werden.

Damit wir nicht nur innerhalb des öffentlichen Dienstes in dieser Frage weiterkommen, bitten wir die Landesregierung außerdem, gemeinsam mit den Tarifpartnern weitere Initiativen zur Aufhebung der Entgeltungleichheit zu entwickeln.

Deshalb ganz deutlich, Frau Scharrenbach und liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU: Der Entschließungsantrag der CDU führt uns in der Debatte und auch in der Umsetzung nicht weiter, sondern ist nur ein missglückter Versuch, noch einmal zum Thema „Beamtenbesoldung“ zurückzukommen und das aufzugreifen. Das machen wir nicht mit, und deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.

Meine Damen und Herren, dies ist meine erste Legislaturperiode im Landtag, und ich hoffe sehr, dass wir am Ende der Legislatur im Jahr 2017 den Equal Pay Day schon im Januar oder Februar begehen werden.

(Beifall von der SPD)

Sie kennen vielleicht das chinesische Sprichwort: Frauen stützen die Hälfte des Himmels. – Wir werden nicht darauf warten, dass man uns den Himmel zu Füßen legt. Wir holen uns das, was uns zusteht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Jansen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn Sie bei der Umsetzung von Gleichstellungspolitik genauso fix gewesen wären wie bei der Fragestunde, wäre das für die Frauen in diesem Land sicherlich eine sehr gute Nachricht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der März ist in diesem Jahr quasi ein frauenpolitischer Kampfmonat, angefangen mit dem 8. März, dem Internationalen Frauentag. Am vergangenen Samstag ging es mit dem Equal Pay Day weiter, um den sich auch dieser Antrag dreht. Und letzten Montag haben wir eine große Veranstaltung zum Girls‘Day gehabt. Mit dem Girls‘Day werden wir uns auch morgen noch inhaltlich beschäftigen – selbstverständlich auch mit dem Boys‘Day.

Es ist schön, dass dieser frauenpolitische Kampfmonat auch in den parlamentarischen Debatten dieses Hauses seinen Niederschlag findet. Es ist auch schön, dass die CDU mit einem eigenen Beitrag in die Debatte einsteigt, obwohl ich gleich zu Anfang betonen möchte, dass Ihre Lobhudelei auf all die großartigen Dinge, die in Berlin durch Ihre Bundesregierung in Gang gesetzt werden, wie ich finde, ein bisschen zu kurz gesprungen ist. – Aber darauf werden wir noch kommen.

Warum begehen wir im Jahr 2014 eigentlich immer noch den Equal Pay Day? Das lässt sich relativ plakativ damit deutlich machen, dass die aktuelle Lohnlücke zwischen Frauen und Männern immer noch bei 22 % liegt. Wir als Grüne sagen schon seit vielen Jahren, dass Frauen 100 % verdienen. Aber mit dem auch von der CDU vorgeschlagenen Verfahren werden wir wahrscheinlich noch 100 Jahre auf 100 % warten müssen.

Lassen Sie mich an einigen Beispielen verdeutlichen, wie unterschiedlich das auch von Berufsgruppe zu Berufsgruppe ist. Zahntechnikerinnen und Zahntechniker haben eine Lohnlücke von 27 %, Bankkauffrauen und Bankkaufmänner von 19 %. Auch zwischen Juristinnen und Juristen gibt es immer noch eine Lohnlücke von zumindest 2 %.

Der von uns vorgelegte Antrag beschäftigt sich nun aus gutem Grund mit der Entgeltdiskriminierung im öffentlichen Dienst; denn der öffentliche Dienst hat aus unserer Sicht eine Vorbildfunktion. Auch wenn es hier in Sachen Entgeltgleichheit schon ein bisschen besser aussieht, ist das doch immer noch nicht zufriedenstellend. Während die allgemeine Lohnungleichheit bei 22 % liegt, beträgt sie im öffentlichen Dienst immerhin noch 9 %. Da bedarf es Verbesserungen.

Unseres Erachtens bedarf es zuerst einmal einer gründlichen Analyse. Dazu haben wir zwei Verfahren zur Prüfung vorgeschlagen, liebe CDU-Fraktion: zum einen das eg-check-Verfahren und zum anderen das auch von Ihnen erwähnte Logib-D-Verfahren. Ich stimme Ihnen völlig zu, dass das Logib-D-Verfahren, das Sie in Ihrem Entschließungsantrag breit dargestellt haben, einen Beitrag dazu leisten kann; denn bevor man etwas anständig beheben kann, muss man es erst einmal vernünftig analysiert haben – zum Beispiel unter der Fragestellung, welche diskriminierenden Aspekte und strukturellen Hemmnisse es auch im öffentlichen Dienst gibt, obwohl wir ein vermeintlich geschlechtsneutrales Tarifrecht haben.

Hier ist schon angesprochen worden, dass es dort auch um die unterschiedliche Bewertung von sogenannten Frauenberufen und Männerberufen geht. Die unterschiedliche Bezahlung lässt bereits erkennen und erahnen, dass hier gerade um diese Zuschreibung geht. Dass das aber keine objektiven Kriterien sind, können wir schon allein daran feststellen, dass das Bildungsniveau von Frauen und Mädchen heute sehr hoch ist. Sie sind qualifiziert. Sie haben sogar die besseren Berufsabschlüsse.

Wenn man sich die Lebensverlaufsperspektive von Frauen ansieht, ergibt sich allerdings Erstaunliches. Am Anfang sieht es vielleicht noch ganz gut aus. Für Berufseinsteigerinnen ist die Lohnlücke noch relativ gering. Bis zum Renteneintritt wird aus dem Gender Pay Gap aber das sogenannte Gender Pension Gap von bis zu 57 %. Der Unterschied der Rentenansprüche von Frauen und Männern beträgt tatsächlich bis zu 57 %. Das macht etwas ganz Trauriges deutlich: In diesem Land ist Altersarmut weiblich.

Daran haben Ihre Bundesgesetze leider auch nichts geändert. Sie haben sich jetzt auf die Schulter geklopft und gesagt, was Sie schon alles gemacht hätten. Viel mehr als warme Worte sind dabei aber nicht herausgekommen. Denn woran liegt es denn, dass Frauen im Lebensverlauf so viel schlechtere Chancen haben und so viel schlechtere Altersanwartschaften erwerben? Es liegt doch unter anderem daran, dass Sie mit dem Betreuungsgeld und dem Ehegattensplitting Frauen dazu animieren, aus dem Berufsleben auszusteigen.

(Ina Scharrenbach [CDU]: Quatsch!)

Sie animieren Frauen dazu, aus dem Berufsleben auszusteigen und die Perspektive auf eine eigene Existenzsicherung dranzugeben. Gleichzeitig – das ist das Perfide daran – haben Sie mit dem neuen Unterhaltsrecht den Frauen auch noch aufgedrückt, dass sie bei einem Scheitern der Ehe innerhalb von einem Jahr selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen müssen. Das ist paradox.

Darum ist es auch scheinheilig, wenn Sie sich hierhin stellen und sagen: Wir machen in Berlin ganz viel Tolles für die Entgeltgleichheit der Frauen. – Das ist schlicht und ergreifend nicht richtig.

(Beifall von Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE])

Wenn Sie tatsächlich etwas für die Entgeltgleichheit tun wollen, dann machen Sie ein vernünftiges Entgeltgleichheitsgesetz, in dem es Transparenzregeln gibt, sodass Frauen auch wirklich erfahren, dass sie weniger verdienen, damit sie sich ernsthaft dagegen zur Wehr setzen können. Das ist das, was wir brauchen. Da können Sie in Berlin mit anpacken, wenn Sie wirklich etwas für die Frauen in diesem Land tun wollen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Alda.

Ulrich Alda (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich vorab entschuldigen. Dass ich jetzt so sachlich rede, wirkt vielleicht ein bisschen differenziert. Dann sei es aber so.

(Heiterkeit und Beifall von der FDP)

Am letzten Freitag, dem 21. März, war der Equal Pay Day. Das ist symbolisch der Tag – es ist auch schon mehrmals gesagt worden –, bis zu dem Frauen über den Jahreswechsel hinaus arbeiten müssen, um rechnerisch auf das Durchschnittsgehalt eines Mannes zu kommen. Im EU-Vergleich verdienen Frauen 16,2 % weniger, in unserem Land 22 %. Das kann nicht so bleiben.

Grundsätzlich ist es von Übel, dass Frauen gegenüber Männern, egal auf welchem Gebiet, benachteiligt werden. Wer kann sich hier im Hause noch an unsägliche Begriffe wie Leichtlohngruppen, Frauenlohngruppen etc. erinnern? Frauen- und Männerentlohnung gab es einmal. Es ist gut, dass solche Zeiten – auch in der freien Wirtschaft, um das einmal zu betonen – vorbei sind; ich hoffe, für alle Zeiten.

(Beifall von der FDP)

Nun haben wir heute, im Jahr 2014, eine seit 2008 statistisch zementierte Differenz von 22 %. Wie kann man darangehen, diese Differenz aufzulösen? Hier beginnt im Prinzip die Schnittstelle zu Ihrem Antrag. Mit Freude denke ich daran zurück, dass ausgerechnet der öffentliche Dienst, den Sie ja hier in die Mangel nehmen wollen, Vorreiter in der Gleichstellung von Mann und Frau bei der Bezahlung war. Zeigen Sie mir bitte einmal die Stelle in den Tarifen des öffentlichen Dienstes, an der trotzdem danach differenziert wird. Ich sage es Ihnen gleich: Diese Stelle gibt es nicht.

Ich stimme Ihnen aber darin zu, dass im öffentlichen Dienst Berufe, die eher von Frauen gewählt werden, tendenziell schlechter bezahlt werden. Ich sehe das auch in meinem privaten Umfeld. Dort wird von den Frauen überwiegend in Erziehungs- bzw. Lehrberufen gearbeitet. Die Erzieherinnen werden aber nicht adäquat bezahlt. Jetzt stelle ich einfach einmal die Frage, die bei uns schon lange diskutiert wird: Wird man da als Frau oder als Erzieherin diskriminiert? Ich sage Ihnen ganz klar: als Erzieherin. Denn die Grundschullehrerinnen betreuen im Prinzip zumindest an einer riesigen Schnittstelle die gleiche Klientel, werden aber erheblich besser bezahlt, was übrigens nicht nur an der Beamtenbesoldung liegt. Ganz nebenbei: Erzieher und Lehrer trifft genau das gleiche Problem.

Wie können wir diese komplexe Fragestellung lösen? Ich meine, dass das immer noch eine Frage der Tarifpartner ist. Sie wissen, was wo in den Tarifen los ist. Dass das Problem aufgegriffen wird, ist völlig richtig. Da haben wir auch Übereinstimmung. Wir wollen es aber den Tarifparteien überlassen.

Bleiben wir beim Beispiel der Erzieherinnen: Sie müssen zur Ausbildung sogar quasi noch Geld mitbringen, werden, wenn sie wollen, ständig weitergebildet und verharren trotzdem im Gehaltsloch. Da tut sich nichts.

Aus meiner eigenen Berufserfahrung im Tarif- und Personalwesen kann ich Ihnen sagen, dass es kaum ein komplexeres Thema gibt als Tarifgestaltung und die anschließende Bewertung und Umsetzung vor Ort. Wenn das gelungen ist – darin stimme ich Ihnen zu –, blickt keiner meiner nach hinten, ob es das Richtige ist. Ich hoffe, ich konnte Ihnen das an diesem Beispiel darstellen.

Lassen Sie mich auf die Gemeinsamkeiten zu sprechen kommen. Die Differenz von 22 % in der Entlohnung muss angegangen werden, die Bewertung von Mini-Jobs – Achtung, nicht die Mini-Jobs selbst, sondern deren Bewertung – ebenfalls. Die Bewertung von Tätigkeiten in typischen Frauenberufen allgemein muss anders angegangen werden. Die Förderung von Aus- und Weiterbildung muss endlich unter Gendergesichtspunkten angegangen werden. Da sehen wir unsere Gemeinsamkeiten.

Aber, meine Damen und Herren von Rot-Grün, eine teure Untersuchung ausgerechnet des öffentlichen Dienstes außerhalb der Tarifparteien lehnen wir ab, zumal ich Ihnen sage: Sie können noch 5.000 Variablen einspielen – ich habe mir einmal angesehen, was in Ihrem Antrag steht –, um das Paradies von Rot-Grün, nämlich die endgültige Gerechtigkeit zu erreichen, aber Sie werden es nicht schaffen.

Aufgrund der Tatsache, dass wir eine ganze Menge Schnittstellen gemeinsam haben, werden wir uns bei diesem Antrag nur enthalten. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schatz.

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauer hier im Saal! Der Equal Pay Day wurde bereits mehrfach erwähnt. Darauf brauche ich nicht explizit einzugehen. Dass es hier in Deutschland immer noch einen Lohnunterschied von 22 % zwischen Frauen und Männern gibt, wurde auch schon erwähnt.

Noch nicht erwähnt wurde, dass Deutschland damit immer noch zu den Schlusslichtern in Europa zählt. 22 % ist eine verdammt große Zahl. Die Frage ist, woran es liegt, dass Frauen hier so viel weniger Lohn als Männer erhalten. Männer und Frauen sollten doch eigentlich gleichberechtigt sein, und zwar in allen Belangen, auch beim Lohn. Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier, wie häufig, weit auseinander – und das eben nicht nur beim Lohn.

In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Wiedereinstieg von Frauen in den Beruf, beispielsweise nach Familienzeiten, oftmals ein wahrer Spießrutenlauf ist. Auch der Überhang bei Familienzeiten von Frauen darf in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben.

Über die herrschenden Probleme sind wird uns weitgehend einig. Man möchte meinen, dass gerade im öffentlichen Dienst so etwas eigentlich nicht existieren sollte, da gerade im öffentlichen Dienst alles – ich möchte fast sagen: haarklein – tariflich geregelt ist. Wo sollte es da eigentlich großartige Lohnunterschiede geben?

Aber leider ist es so. Es gibt diese Unterschiede. Nicht nur, dass die Frage der Eingruppierung, nach welchem Tarif man bei der Einstellung bezahlt wird, häufig eine reine Verhandlungssache ist – erschwerend kommt hinzu, dass es viele sogenannte Frauenberufe gibt, Berufe, in denen das weibliche Geschlecht dominiert, die einfach schlechter bezahlt werden. Typischerweise sind das, wie schon erwähnt wurde, Pflegeberufe oder – ganz klassisch – die Erzieherinnen. Da darf man sich schon fragen, warum diese Berufe, obwohl sie sowohl mental als auch körperlich vielen anderen Berufen in nichts nachstehen, schlechter bezahlt werden und weniger wertgeschätzt werden.

Der vorliegende Antrag von SPD und Grünen soll uns nun den Weg aus der Dunkelheit leuchten. Auch wenn die Landesregierung bestimmt, sage ich einmal, ohne den Beschluss des Landtages so vorgehen könnte, wie sie es jetzt tun soll, ist es okay. Es sei Ihnen gegönnt. Es spricht nichts dagegen, so vorzugehen. Daher können Sie sicherlich mit einer Zustimmung von uns rechnen.

Allerdings ist der Weg noch lange nicht zu Ende. Unsere Maßgabe muss sein, ein effektives, an praktischen Bedürfnissen orientiertes und leicht zugängliches Instrument für das Vorgehen gegen Entgeltdiskriminierung bereitzustellen. Entgeltsysteme müssen durchschaubar und überprüfbar werden.

Es ist Fakt, dass trotz umfangreicher gesetzlicher Vorgaben der Staat eine echte Gleichbehandlung per Gesetz nur schwer erzwingen kann. Wie Sie selbst feststellen – sonst hätten Sie den Antrag nicht gestellt –, ist es sogar im öffentlichen Dienst nicht möglich. Daher glaube ich, dass langfristig nur eine gesamtgesellschaftliche Bewältigung der Aufgabe zum Erfolg führt. Damit meine ich, dass die von uns hier heute geforderte Gleichbehandlung einen umfassenden Bewusstseinswandel in Politik und Gesellschaft benötigt. Wir brauchen eine familienfreundliche Arbeitswelt und eine Neubewertung von Arbeit.

Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die roten Taschen, die am Freitag an diesem Equal Pay Day herumgetragen wurden und die ein klares Symbol für die klammen Kassen der Frauen sind, nicht vergessen werden. Durch die Arbeit in Mini-Jobs und Teilzeit-Jobs sind Frauen massiv von Armut und insbesondere – Frau Paul hat es erwähnt – von Altersarmut bedroht. Ich hoffe deshalb, dass der vorliegende Antrag nicht nur ein reiner Antrag bleibt, sondern wirklich an die Wurzel des Übels herangegangen wird.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Frauen so viel Lohn erhalten, wie sie tatsächlich verdienen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon einiges dazu gesagt worden. Vor fünf Tagen war der diesjährige Equal Pay Day. Ich finde es immer wieder hervorragend, dass dieser Equal Pay Day mittlerweile wirklich den Blick ganz deutlich auf die ganz großen Ungerechtigkeiten bezüglich der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen lenkt.

Wir haben es eben gehört. Die Lohnlücke – der Gender Pay Gap – in Deutschland liegt bei 22 %. Die Lücke ist größer als im Durchschnitt der EU, wo wir bei 16 % liegen. Wir haben nach wie vor eine Menge vor uns, um dieses zu beseitigen.

Der Gender Pay Gap 2014 in Nordrhein-Westfalen war im Vergleich zu 2013 um 1 % gesunken. Aber auch das ist ein langsames Sich-nach-vorn-Bewegen. Natürlich gibt es Bundesländer, die noch mehr Nachholbedarf haben. Aber ich finde, wenn man nach wie vor diesen großen Unterschied hat, muss man einfach nach vorne kommen.

Der Gender Pay Gap ist Ausdruck für alle Ungleichheiten von Männern und Frauen im Beruf. Er ist eine Größe, an der wir das messen können. Leider wird immer wieder versucht, anhand der Art, wie es berechnet wird, das Ganze ein bisschen zu nivellieren. Es wird gesagt, das sei nur die Berufswahl, die Branche, es sei nur Teilzeit, nur Berufsunterbrechung; es liege daran, dass wenige Frauen in Führungspositionen sind. Aber all das ist es natürlich nicht, sondern es ist eine Ungleichbehandlung von Frauen, die deutlich spürbar ist. Jedes der herbeigezogenen Scheinargumente ist nur eines, was letztlich nicht klarmacht, wie deutlich geringer die Aufstiegschancen von Frauen sind und wie klar und deutlich die Benachteiligung von Frauen an allen Stellen im Berufsleben ist.

Der große Rückstand, der Lohnabstand ist sogar bereinigt nicht erklärbar. Das ist die sogenannte bereinigte Lohnlücke. Alle die Faktoren, die auch von Ihnen eben wieder genannt worden sind, sind da abgezogen. Auch diese bereinigte Lohnlücke ist aber, wie gesagt, für Frauen deutlich spürbar.

Von daher gibt es eine Reihe von Aktionen, die auch in diesem Jahr wieder stattgefunden haben. Es ist gut, dass überall darauf hingewiesen wird.

Der Antrag, der jetzt vorliegt, geht auf die Entgeltungleichheit im öffentlichen Dienst ein, die mittlerweile für 2012 in Höhe von 9 % berechnet worden ist. Damit liegt sie deutlich unter dem Verdienstabstand, den wir in der Privatwirtschaft haben. Allerdings muss man sagen, dass dies noch keine bereinigte Zahl ist. Bereinigte Zahlen liegen noch nicht vor. Also wird wahrscheinlich die Zahl im öffentlichen Dienst noch weit unter den 9 % liegen. Aber auch wenn die Zahl geringer ist, ist das kein Grund, das hinzunehmen.

Bereits in den Untersuchungen auch der Bundesregierung zu Verdienstungleichheiten von Frauen und Männern im öffentlichen Bereich und in der Privatwirtschaft ist das deutlich festgestellt worden.

Die Ursache dafür, dass im öffentlichen Dienst der Abstand geringer ist und dass es da besser aussieht, ist mit Sicherheit im Wesentlichen, dass wir im öffentlichen Dienst eine stärkere Tarifbindung und damit verbunden eine stärkere Komprimierung der Verdienststrukturen haben. Das Zweite ist, dass das Entgeltsystem im öffentlichen Dienst transparenter ist und dass Frauen im öffentlichen Dienst eher auch qualifiziertere Tätigkeiten ausüben, was wir in der Privatwirtschaft in der Menge und in der Breite so nicht haben.

Hinzu kommt, dass der öffentliche Dienst natürlich in seiner Eigenschaft als staatlicher Arbeitgeber eine Vorbildfunktion hat. Das sehen wir auch in all den Bereichen, in denen man die Verantwortung hat, dass man über das Gleichstellungsgesetz und über andere Maßnahmen immer wieder versucht hat, die Gleichstellung in einem anderen Maße herbeizuführen.

Die Landesregierung verfolgt in dieser Legislaturperiode mehrere gesetzgeberische Ansätze, um den öffentlichen Dienst in seiner Vorbildfunktion zu stärken. Dazu gehört die Verknüpfung der Dienstrechtsreform mit dem Landesgleichstellungsgesetz, aber auch das Gutachten, das vom Ministerium beim ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Papier, in Auftrag gegeben wurde.

All diese Maßnahmen, eine Fülle von Maßnahmen, werden zusammen dazu beitragen, dass die benachteiligenden Faktoren verringert werden. Das wird sich dann natürlich auch auf die Entgelte auswirken.

Zu den konkreten Vorschlägen der unterschiedlichen Instrumente werden wir im Nachgang dieser Beratung hier die Möglichkeiten haben, sie intensiv zu prüfen. Denn beide Instrumente haben Vor- und Nachteile. Gerade beim Instrument eg-check ist fraglich, ob es überhaupt auf den öffentlichen Dienst übertragbar ist.

Von daher werden wir auf der Ebene der Landesregierung mit den für die unterschiedlichen Bereiche zuständigen Ressorts, dem Finanzministerium und dem Arbeitsministerium, gemeinsam gucken müssen, ob wir mit externer Expertise vielleicht zu einem Ergebnis kommen können, welches ein geeignetes Verfahren für den öffentlichen Dienst sein kann. Ob eines der beiden vorgeschlagenen Instrumente geeignet ist oder ob wir andere Wege gehen werden – wir werden dieses auf jeden Fall im Sinne einer noch stärkeren Gleichberechtigung auch im öffentlichen Dienst prüfen.

In diesem Sinne hoffe ich, dass wir auch mit der Diskussion in Nordrhein-Westfalen im Sinne des Equal Pay Day eine stärkere öffentliche Debatte haben.

Ein Hinweis noch an die CDU-Fraktion, weil in dem Antrag fälschlicherweise gesagt worden ist, dass keines der Ministerien auditiert wäre: Natürlich gibt es auch in Nordrhein-Westfalen nicht nur das MGEPA, sondern auch andere Ministerien, die bereits das „audit berufundfamilie“ haben. Aber ob das ein geeignetes Instrument zur Gleichstellung ist, daran mache ich viele Fragezeichen. Auch da gibt es andere und weitergehende Wege.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Ich will Sie gleichwohl darauf hinweisen, dass die Ministerin ihre Redezeit um eine Minute und 15 Sekunden überzogen hat. Wenn es jetzt den Wunsch nach einem weiteren Redebeitrag aus den Fraktionen gibt, würden wir den erfüllen. – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Der Antrag trägt die Drucksachennummer 16/5284. Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer daher dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Eine Stimme aus der CDU. Wer möchte sich enthalten? – Die FDP- und die CDU-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Mit dem so festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/5284 angenommen.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung, nämlich über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/5408. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die CDU-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die SPD. Wer enthält sich? – Die FDP und die Piraten. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/5408 abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 7.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

8   Schlaganfallpatientinnen und Schlaganfallpatienten sofort und optimal behandeln

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5250

Ich eröffne die Aussprache und erteile gerne Herrn Kollegen Preuß für die antragstellende Fraktion der CDU das Wort.

Peter Preuß (CDU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Antrag der CDU-Fraktion geht es um die bestmögliche Versorgung von Schlaganfallpatienten und solchen mit Hirnschädigungen, zum Beispiel Schädel-Hirn-Trauma. Es ist unbestritten, dass diese Patienten nach dem Ereignis schnellstmöglich medizinische Hilfe benötigen. Deshalb gibt es in den Krankenhäusern Stroke Units, die vor allem die Akutversorgung dieser Patienten sicherstellen.

In Fachkreisen ist es aber ebenso unbestritten und wird für notwendig erachtet, dass neben der Akutversorgung sofort mit Rehamaßnahmen begonnen werden muss.

Die frühe Behandlungs- und Rehabilitationsphase – die sogenannte Phase B – schafft die Grundlage dafür, dass betroffene Patientinnen und Patienten schnell und wirksam – vor allem ohne Zeitverzögerung – wieder ins normale Leben zurückkehren können. Eile ist in solchen Fällen geboten. Ein zu später Beginn von Rehamaßnahmen birgt das enorme Risiko, dass irreparable Hirnschädigungen bleiben. Deshalb ist es geboten, mit Frühmaßnahmen schon während der Akutversorgung zu beginnen. Dazu bedarf es aber einer entsprechenden Konzeption.

Die Gesundheitsministerin weist formal zutreffend darauf hin, dass Frührehamaßnahmen der sogenannten Phase B eine Krankenhausleistung sind, die auch von den Krankenkassen im Rahmen der DRGs finanziert wird. Das reicht uns aber nicht. Zum einen ist ein Verwaltungsaufwand erforderlich, weil derartige Maßnahmen bei den Kassen beantragt werden müssen. Zum anderen sind Krankenhäuser häufig nicht in der Lage, die notwendigen Maßnahmen mit der gebotenen Spezialisierung zu erbringen. Verzögerungen bei der schnellen Rehabilitation sind die Folge – und die Patienten die Leidtragenden.

Die Medien haben häufig darüber berichtet, dass es in NRW zu wenige Rehabetten gibt und das Bundesland NRW gewissermaßen wieder einmal das Schlusslicht bei der optimalen Versorgung von Schlaganfall- und anderen Patienten ist. Nach dem Gutachten des IGES-Instituts aus dem Jahre 2012 fehlen ca. 1.300 Frührehabetten in NRW. Das bevölkerungsreichste Bundesland weist die niedrigste Versorgungsquote und die niedrigste Bettendichte – bezogen auf Betten je 100.000 Einwohner – auf. Auch wird immer wieder darüber berichtet, dass betroffene Patientinnen und Patienten in andere Bundesländer ausweichen, um eine optimale Versorgung bzw. Reha zu erhalten.

Damit wollen wir uns nicht zufriedengeben. Wir wollen nicht, dass die Ministerin in dieser Frage abtaucht, kein Versorgungsproblem sieht und sich der Verantwortung entzieht. Wir erwarten, dass sich die Ministerin der Problematik lösungsorientiert annimmt und eine klare Position zugunsten der betroffenen Patientinnen und Patienten mit dem Ziel einnimmt, die optimale Versorgung sicherzustellen.

Unser Antrag zielt deshalb auf eine konzeptionelle Erarbeitung dieser speziellen Versorgung ab. Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Ich würde jetzt gerne für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Dr. Adelmann das Wort erteilen. – Da kommt er gerade. Wir suchten ihn nämlich und sahen ihn nicht; aber da eilt er herbei. Damit hat er dann jetzt auch das Wort.

Dr. Roland Adelmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin, danke schön. – Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verbesserung der Versorgung der Menschen in Nordrhein-Westfalen bei einem Schlaganfall oder bei Kopf- oder Schädelverletzungen ist eine wichtige Aufgabe. Da stimme ich Ihnen zu, Herr Preuss.

Bei mir wird mit dem vorliegenden Antrag der Eindruck erweckt, dass damit eine vergangene Diskussion aufgewärmt wird. Ich gehe aber davon aus oder hoffe sehr, dass dem Antrag auch die Absicht zugrunde lag, wirklich etwas für die Menschen zu tun. Ansonsten drängt sich nämlich der Verdacht auf, dass hier der einseitige Bezug auf ein von speziellen Interessengruppen bezahltes Gutachten – mit einem entsprechenden Ergebnis – einer differenzierten Betrachtung der wahren Situation im Lande abträglich war.

In NRW werden häufig Abrechnungsvarianten benutzt, welche die Erkennbarkeit – ob es sich um ein Frührehabilitationsbett handelt oder nicht – erschweren. Eine Unterversorgung in dem Ausmaß, wie Sie es hier bedrohlich an die Wand malen, besteht in Nordrhein-Westfalen definitiv nicht. Aus der Sicht eines ehemaligen Praktikers ist eine Versorgung von Schwerstkranken in NRW gegeben – und dies auf einem hervorragenden Niveau. Unsere Krankenhäuser leisten auf diesem Gebiet erstklassige Arbeit.

Um die Versorgung aller Schädelverletzten bzw. Schlaganfallpatienten dennoch zu verbessern und zu optimieren, freut sich die SPD-Fraktion auf eine entsprechende fachliche Debatte im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Der Antrag stellt für uns somit einen willkommenen Anlass dar, noch einmal über Qualitätsrichtlinien und Bedarfsanalysen zu reden. Wir stimmen der Überweisung daher zu. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Adelmann. – Bevor ich Herrn Kollegen Ünal für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort erteile und damit das Redepult freigebe, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen gerne darauf hinweisen, dass sich die Fraktionen zwischenzeitlich darauf verständigt haben, die Tagesordnungspunkte 11 bis 14 ohne Debatte laufen zu lassen. Ich sage das nur, damit die nachfolgenden Rednerinnen und Redner wissen, wie der Zeitplan aussieht, und die Fraktionsgeschäftsstellen entsprechend handeln können. Vielen Dank. – Herr Kollege Ünal.

Arif Ünal (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im CDU-Antrag wird sehr richtig beschrieben, dass medizinischer Fortschritt und Rehabilitation für immer mehr Menschen nach Schlaganfällen oder bei schweren Kopf- oder Hirnverletzungen ein Überleben und eine Wiedergewinnung der Alltagskompetenzen ermöglichen. Richtig ist auch: Die Behandlung ist umso erfolgreicher, je früher sie erfolgt. Das ist also ein aktuelles und wichtiges Thema, welches alle betreffen kann.

Richtig ist aber auch: Frühe Rehabilitationsmaßnahmen gehören ganz allgemein zur Krankenhausbehandlung und damit zum Versorgungsauftrag jedes Plankrankenhauses.

Insbesondere in der Geriatrie werden Patientinnen und Patienten behandelt, die ein höheres Lebensalters sowie eine altersspezifische Multimorbidität aufweisen. Wegen entsprechender demografischer Entwicklungen wurden deshalb in den vergangenen Jahren die geriatrischen Versorgungsstrukturen in NRW kontinuierlich den medizinischen Bedürfnissen angepasst und ausgebaut. Zu den Personenkreisen, die hier behandelt werden, gehören auch die älteren Schlaganfallpatientinnen und -patienten. Diese werden seit mehr als 40 Jahren regelhaft in den geriatrischen Abteilungen der Krankenhäuser behandelt.

Seitens der Landesregierung wurden daher ein bedarfsgerechter weiterer Ausbau sowie eine konzeptionelle Weiterentwicklung der entsprechenden Versorgungsstrukturen beschlossen und in die aktuelle Krankenhausplanung 2015 übernommen.

Ich möchte der Diskussion im Fachausschuss nicht vorgreifen, aber ich möchte gerne auf ein paar Punkte Ihres Antrags eingehen.

Das IGES-Gutachten, worauf sich der CDU-Antrag bezieht, blendet die Krankenhausbehandlung der geriatrischen Patienten völlig aus. In dem Gutachten wird der Eindruck erweckt, alle Patientinnen und Patienten benötigten nach einem Schlaganfall eine Frührehabilitation wie in der Phase B.

Diese benötigen aber nur Patientinnen und Patienten, die schwerste Hirnschädigungen davongetragen haben, einer Intensivbehandlung bedürfen, sich in einem kritischen Allgemeinzustand befinden oder Symptome eines Wachkomas zeigen.

In dem IGES-Gutachten wird zwar die Geriatrie als eine Versorgungsoption für Schlaganfallpatienten angesprochen, aber eine Einbindung oder Abstimmung mit den ebenfalls im Bereich der Schlaganfallversorgung tätigen Geriatrien ist dabei nach Aussage der Fachverbände der Geriatrie allerdings nicht erfolgt. Gerade bei der Versorgung von älteren Menschen geht es jedoch auch um die Einbeziehung weiterer Krankheitssymptome.

Der möglicherweise eingeschränkte Blick auf die Versorgungssituation erklärt auch, dass das besagte IGES-Gutachten nur einen Teil der Behandlung mit einbezieht, nämlich den Diagnoseschlüssel 8-552.

Die geriatrischen Komplexbehandlungen beispielsweise, die ebenfalls eine neurologische Störung behandeln, werden bei diesem Gutachten völlig ausgeblendet. Deshalb wird es richtig sein, in der weiteren Fachdebatte im Ausschuss die Gesamtversorgung in den Blick zu nehmen; denn wir sind uns sicher einig, dass die Versorgung nach einem Schlaganfall ein wichtiges Thema darstellt und dort, wo Defizite in der Versorgung bestehen, diese behoben werden müssen. Hierzu muss aber die Versorgungslage insgesamt mit einbezogen werden.

Wir werden der Überweisung in den Fachausschuss selbstverständlich zustimmen. Ich freue mich auf die Fachdebatte im Ausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Rund 57.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen erleiden jährlich einen Schlaganfall. Die akutmedizinische Versorgung in NRW ist gut. Nordrhein-Westfalen ist auch in Bezug auf Schlaganfallspezialstationen, die sogenannten Stroke Units, gut aufgestellt. Immer mehr Patienten überleben heutzutage glücklicherweise Schlaganfälle oder Kopf- und Hirnverletzungen.

Entscheidend für die langfristige Genesung – das fasst der vorliegende Antrag gut zusammen – ist nach erfolgreicher Akutbehandlung aber auch die Rehabilitation. Rund 8 % der Patienten, so wird geschätzt, benötigen eine sogenannte Frührehabilitation der Phase B. Nach Meinung vieler Experten könnten so schwere bleibende Behinderungen deutlich gelindert werden.

Die FDP-Landtagsfraktion ist gewiss: Eine erfolgreiche Rehabilitation ist ein unschätzbarer Gewinn für den erkrankten Patienten. Darüber hinaus profitiert aber auch unsere Gesellschaft, wenn Folgekosten, etwa für eine dauerhafte Pflege, vermieden werden können.

Entsprechendes Frührehabilitationspersonal und entsprechende Sachkosten müssen durch die Kostenträger, die Krankenkassen, finanziert werden. Das geschieht in NRW bedauerlicherweise so selten wie in keinem anderen Bundesland. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls ein vorhin schon zitiertes Gutachten des IGES-Instituts.

Die FDP sieht daher dringenden Handlungsbedarf. Trotz gesetzlichen Auftrags wird die Erbringung der neurologischen Frührehabilitation in Akutkliniken meistens verweigert, und in Rehabilitationskliniken werden Leistungen der Phase B von den Kassen meistens nur nach den deutlich geringeren Sätzen für die Rehaphase C vergütet.

Entsprechende Vereinbarungen werden entweder abgelehnt, oder die Krankenkassen bestreiten bei den jeweiligen Patienten die Voraussetzungen. Auf den Mehrkosten bleiben am Ende die Kliniken sitzen.

Die Deutsche Schlaganfall-Hilfe berichtet daher von skurril anmutenden Situationen. Sie schildert das Beispiel einer Rehabilitationsklinik im südlichen Westfalen, die eine Frührehabilitation anbietet. Für Patienten mit Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen erhalte die Klinik von den Krankenkassen dafür in der Regel lediglich Vergütungen nach der Phase C. Für Patienten, die aus dem benachbarten Hessen kommen, zahlen dieselben Kassen jedoch meist den deutlich höheren Satz der Phase B – bei gleichen Leistungen.

Wir alle wissen, dass aufgrund des demografischen Wandels sowie verschiedener Risikofaktoren für einen Schlaganfall wie Rauchen, Bewegungsmangel oder Diabetes der Rehabilitationsbedarf in NRW steigen wird. Der Trendreport des Instituts für Arbeit und Technik prognostiziert allein für die Schlaganfallhäufigkeit bis 2025 eine auf Nordrhein-Westfalen bezogene Steigerung in bestimmten Versorgungsgebieten von über 35 %.

Frau Ministerin Steffens, sollen diese Patienten alle zu dauerhaften Pflegefällen werden? Oder ist es Zeit, aktiv zu werden und entsprechende Weichenstellungen vorzunehmen?

Die Frage, was vor diesem Hintergrund getan werden muss, wurde schon im letzten Jahr beantwortet. Bei der Anhörung zum Krankenhausrahmenplan 2015 hat Herr Dr. Loos vom IGES-Institut auf die Frage zur Unterversorgung in der Neurorehabilitation geantwortet: Man kann hier nämlich die Mittel der Krankenhausplanung anwenden und entsprechende Kapazitäten ausweisen.

Auch die ZNS Hannelore Kohl Stiftung hat 2013 auf die Minderversorgung für Menschen mit schweren Hirnschädigungen in Nordrhein-Westfalen hingewiesen. Allein für den Personenkreis der Menschen mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma würde nach einer Versorgungsstudie der Stiftung ein Bedarf von 20 Betten pro 1 Million Einwohner für die Frührehabilitation bestehen. Darüber hinaus gibt es einen weitaus höheren Bedarf für andere neurologische Krankheitsbilder. Dieser ist derzeit nicht abgedeckt.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, die zügige Versorgung von Patientinnen und Patienten mit einer neurologischen Frührehabilitation in der Phase B nach einem Schlaganfall oder einem Schädel-Hirn-Trauma ist eine wichtige Aufgabe. Hier ist die Landesregierung in der Pflicht, die Versorgung zu verbessern.

Es zeigen sich ein erneutes Mal die Fehlplanungen des Krankenhausrahmenplans 2015. Hier muss angesetzt und nachgebessert werden. Ich freue mich daher auf die Beratungen im Ausschuss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Stream und auf der Tribüne! Wir Piraten setzen uns dafür ein, dass jeder Mensch die medizinische Behandlung erhält, die er aufgrund seines Gesundheitszustands benötigt. Leider ist das in Nordrhein-Westfalen in manchen Bereichen der medizinischen Versorgung nicht immer der Fall.

Egal, mit wem man spricht, ob mit Fachleuten aus dem IGES Institut, dem Institut für Arbeit und Technik, Vertretern der Landesarbeitsgemeinschaft Neurorehabilitation NRW oder Patientenvertretern – alle kommen zu dem gleichen Ergebnis: Die Versorgung von Patienten der Frühreha im Bereich der Phase B ist in Nordrhein-Westfalen nicht ausreichend, man kann auch sagen mangelhaft. Insbesondere bestehen sehr große Probleme beim Übergang von der Akutversorgung zur Rehabilitation.

Meine Vorredner haben das zum Teil bereits sehr detailliert erläutert und anhand von Zahlen verdeutlicht. Ich möchte versuchen, vom Abstrakten Abstand zu nehmen und konkret erläutern, worum es eigentlich geht. Welches sind die Gründe für die Nichtversorgung? Was hat das Ministerium dagegen unternommen? Und wer leidet darunter?

Die Gründe für die Nichtversorgung sind folgende:

Erstens. Die Krankenkassen versuchen alles, um diese äußerst teure Behandlungsart, wenn möglich, zu umgehen.

Zweitens. Die Krankenhäuser setzen sich bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen nicht durch und können die Behandlung deswegen nicht anbieten oder bleiben auf den Kosten sitzen.

Drittens. Das Ministerium könnte für Klarheit sorgen und genaue Bedarfe, die dann zu bezahlen wären, festlegen, tut dies jedoch nicht.

Den letzten Punkt möchte ich noch etwas weiter ausführen. Ja, der Ausschuss wurde aufgrund von intensiver Berichterstattung vor gut einem Jahr über das Problem informiert. Das Ministerium hat Teile des Problems angesprochen und angekündigt, dass es nach dessen Analyse den Ausschuss weiter informieren wird.

Seitdem sind 15 Monate vergangen. Was ist passiert? – Nichts. Frau Steffens, Sie haben nichts getan. Zumindest haben Sie uns nicht informiert. Was ist denn aus den Gesprächen mit dem MDK geworden? Es hilft auch nicht, wenn Sie sagen, dass Sie ein super Geriatriekonzept vorgelegt hätten, mit dem auch der Bedarf an Frühreha der Phase B abgedeckt sei. Denn an dieser Stelle sind wir bei der Frage: Wer leidet darunter?

Es ist richtig, dass es Einrichtungen der Akutversorgung und der Rehaversorgung gibt und dass die Finanzierungen unterschiedlich sind. Wenn Sie aber sagen, es sei damit getan, geriatrische Frühreha im Gegensatz zur neurologisch-neurochirurgischen Frühreha auszuweisen, dann leiden die Patienten darunter. Es kann sein, dass bei der geriatrischen Frühreha ein Neurologe vorgehaltern werden muss. Es kann aber auch sein, dass ein Kardiologe vorgehalten werden muss. Den Unterschied zwischen Neurologie und Kardiologie muss ich Ihnen hoffentlich nicht erklären.

Es ist nicht immer von Nachteil, Entscheidungen auch einmal aus dem Bauch heraus zu treffen. Aber bei medizinischen, hochkomplexen Eingriffen würde ich doch die leidorientierte Behandlungsart bevorzugen.

Meine Damen und Herren, welches sind jetzt die Folgen dieser unbefriedigenden Situation? – Wie ich bereits ausgeführt habe, ist die Hauptursache für das Problem die Finanzierung bzw. die Durchsetzungskraft der Krankenkassen. Es ist nachvollziehbar, dass die Krankenkassen die Behandlung nicht bezahlen möchten. Denn im Ernstfall, sprich: wenn der Patient pflegebedürftig wird, übernimmt die Pflegekasse. Die Krankenkassen entlasten die Pflegekassen eben nicht freiwillig. Dafür muss es einen Rahmen bzw. einen ausgewiesenen Bedarf geben.

Daher ist das Anliegen des vorliegenden Antrags richtig. Wir unterstützen auch die Forderung nach einer Fachplanung für den Bereich „Frühreha Phase B“, damit alle Patienten die Behandlung erhalten, die sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes benötigen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Preuß, ich tauche natürlich nicht ab, weder bei diesem Thema noch bei anderen Themen.

Ich fände es, glaube ich, ganz sinnvoll, wenn man das, was es an Expertise im Land gibt, nutzt. Sie hätten beispielweise einen ehemaligen Kollegen von Ihnen, der hier im Landtag saß, nämlich Herrn Dr. Brinkmeier, der mittlerweile bei der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe arbeitet, in den Antrag schauen lassen und ihm sagen können, dass Sie sich damit beschäftigen. Dann hätte vielleicht der eine oder andere Aspekt in Ihrem Antrag, der wirklich Angst schürt und überhaupt nicht den Realitäten entspricht, gar nicht erst den Weg in den Antrag gefunden.

Sie wissen, dass mir die Versorgung der Menschen in Nordrhein-Westfalen sehr am Herzen liegt und dass wir dementsprechend nicht nur in dem Bereich, sondern auch in allen anderen Themenbereichen versuchen, optimale Versorgungsstrukturen zu schaffen. Es nützt aber nichts, Angst zu schüren und falsche Zahlen immer zu wiederholen. Wenn einem dieses Thema wirklich am Herzen liegt, müsste man mit der Intensität in das Thema hineingehen, wie wir es im Ausschuss versucht haben, Ihnen an die Hand zu geben. Darüber hinaus bedarf es einer realistischen Betrachtung dessen, wo wir stehen.

Es nützt auch nicht, Frau Schneider, wenn Sie 2014 danach fragen, wie sich der Krankenhausplan 2015 auswirkt, der sich noch gar nicht in der Umsetzung befindet. Er heißt Krankenhausplan 2015, weil er jetzt erst in den regionalen Aushandlungsprozessen ist und ab 2015 wirken soll. Aber auch das haben wir bereits erklärt.

Trotzdem möchte ich noch etwas Grundlegendes zu dem Thema sagen, nämlich dass neurologische Erkrankungen und insbesondere Schlaganfälle zu den dritthäufigsten Todesursachen in Deutschland gehören. Deshalb handelt es sich um ein ganz wichtiges Versorgungsthema. Wir wissen, dass ein Schlaganfall jeden treffen kann und dass er oft zu Pflegebedürftigkeit und einer lebenslangen Behinderung führt. Deswegen ist es wichtig, dass man sofort eine optimale Versorgung im Krankenhaus bekommt. Und zu dieser optimalen Akutversorgung gehört es gerade, dass ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt die Frührehabilitation greift.

Aus diesem Grund ist die Forderung, die auch wieder im Antrag steht, nämlich die frührehabilitative Versorgung in Rehaeinrichtungen in den Blick zu nehmen, eigentlich der falsche Weg. Denn wenn die Rehabilitation erst in Rehaeinrichtungen anfängt, dann ist schon viel zu viel Zeit verstrichen.

Die Phaseneinteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, die von Phase A bis Phase F reicht, ist in der politischen Auseinandersetzung ein Stück weit irreführend, weil sie weder für die Planung noch für die Abrechnung der Leistungen relevant ist. Sie ist eine Phaseneinteilung der Fachgesellschaft.

Die Frührehabilitation im Sinne des SGB V, über die wir primär reden, ist die Akutversorgung. Die ist eindeutig geregelt, nämlich in § 39 Abs. 1 SGB V.

Der Krankenhausplan NRW 2015 beschreibt die relevanten Aspekte. Deswegen verstehe ich Sie, Herr Wegner, gar nicht, denn im Krankenhausplan gibt es ein Extrakapitel Frührehabilitation. Das hat überhaupt nichts mit Geriatrie zu tun. Da bringen Sie etwas durcheinander. Das ist ein eigenes Kapitel.

Die Phase B – auch das ist irreleitend – ist in zwei Teile unterteilt, in B I – die Phase, in der gleichzeitig intensivmedizinische Versorgung notwendig ist; das geht in einer Rehaeinrichtung natürlich nicht – und die Phase B II, die als Rehabilitation angesehen wird.

Sie beziehen sich in Ihrem Antrag – Sie versuchen, damit das Defizit zu begründen – auf das IGES- Gutachten – der Kollege ist eben schon darauf eingegangen –, das sich nur auf ein Merkmal stützt und damit unvollständig ist. Das ist übrigens etwas, was auch von allen Expertinnen und Experten bestätigt wird. Diese Zahl ist keine, aus der Sie das Defizit ableiten können. Das ist keine Grundlage für weitere Analysen und Bedarfsprüfungen.

Das, was in der Tat in Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit ein massives Problem war, war das Verfahren bezüglich der Abrechnungen der Krankenkassen. Das ist heute auch nicht mehr so. Die Krankenkassen haben sich in der Vergangenheit wesentlich auf Phase C in der Finanzierung gestützt. Wir sind mit den Kassen seit Langem im Gespräch darüber und sind auch weiterhin mit den Kassen bei jedem Beispiel, das uns genannt wird, im Dialog.

Die Bereitschaft der Kassen, frührehabilitative Behandlungen mit Krankenhäusern bedarfsgerecht zu vereinbaren und zu erhöhen, ist dabei sehr hoch. Das ist in vielen Fällen auch so geschehen.

Wenn Sie hier über den Skandal und das schlechte Versorgungsverhältnis reden: In der Zeit, seit der wir die Diskussion hier führen, gab es zehn Einzelfälle, denen wir nachgehen mussten – und das mit Blick auf die Anzahl von Versorgungsfällen in diesem Bereich insgesamt. Wir gehen jedem einzelnen Beispiel nach, aber mit dieser Zahl kann man nicht die Unterversorgung in Nordrhein-Westfalen herbeireden.

Letzter Punkt – für diejenigen, die den Krankenhausplan nicht gelesen haben, weil er so umfassend ist –: Rehakliniken können unter drei Bedingungen in den Krankenhausplan aufgenommen werden. Diese drei Bedingungen sind für die Versorgung der Menschen notwendig.

Erstens. Es muss der Bedarf bestehen.

Zweitens. Sie müssen leistungsfähig sein.

Drittens. Es müssen feste Kooperationen mit Krankenhäusern, mit neurologischen Abteilungen in der Region vereinbart sein.

Diese drei Faktoren sind Grundvoraussetzung. Ohne die hätten wir keine adäquate sichere Versorgung für die Menschen. Das bedeutet dann auch, Versorgungsstrukturen ohne Brüche, ohne Schnittstellen, sondern aus einem Guss zu haben. Das ist das, was Menschen in dieser Frühphase brauchen.

Von daher werden wir das Thema weiter begleiten, weiter behandeln. Aber ein Versorgungsdefizit in dem Maße, so wie Sie es bisher beschreiben, ist in Nordrhein-Westfalen nicht vorhanden. Deswegen brauchen sich die Menschen auch nicht die Sorgen zu machen, die Sie versuchen herbeizureden. – Danke.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Ministerin hat die Redezeit um 50 Sekunden überzogen. – Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion Herr Kollege Dr. Adelmann. Lieber Kollege, lassen Sie sich gleich nicht irritieren. Durch einen technischen Fehler wird eine falsche Redezeit angezeigt. Sie haben regulär noch drei Minuten plus die 50 Sekunden der Ministerin, wenn Sie die benötigen.

Dr. Roland Adelmann (SPD): Danke, Frau Präsidentin! Die Zeit brauche ich nicht.

Wenn Sie der Ministerin zugehört hätten, dann wären viele Ihrer Aussagen, die Sie vorher getätigt haben, nicht getätigt worden.

Frau Schneider, Sie haben angeführt, dass es in den Bundesländern einen Wechsel gibt. Das führt – wenn ich es einmal so beschreiben darf – durchaus zu einem Im- und Export von Patienten. Die Abrechnung erfolgt hier im Land aber definitiv auch durch andere Ziffern, ohne dass eine qualitative Gefährdung der Patienten vorliegt.

Herr Wegner, meinen Sie etwa, dass die Ärzte in den Stroke Units – diese haben Sie ansatzweise und vorsichtig als gut bezeichnet –, die hervorragende Arbeit leisten, die eine hervorragende Erstversorgung machen, es riskieren, dass ihre Patienten, die sie hervorragend erstversorgt haben, dann in minderwertige Anschlussheilbehandlung gehen? – Das ist doch Quatsch.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das andere ist: Wenn wir davon ausgehen, dass wir eine leitlinienorientierte Therapie machen, die am Anfang von den Gesellschaften festgelegt ist, und dass wir danach eine gleichbleibende Qualität brauchen, dann brauchen wir halt die drei Faktoren, die Frau Ministerin Steffens angesprochen hat.

Wir brauchen eben die Sicherheit, dass die Leute einen Bedarf haben, dass die Leute adäquat versorgt werden und dass eine Kooperation besteht.

Daran hapert es ziemlich häufig, auch bei den Häusern, die im IGES-Gutachten genannt werden. Da müssen feste Kooperationen mit allen Disziplinen bestehen. Dann ist eine hervorragende adäquate Versorgung gesichert, wobei die Krankenkassen sicherlich nicht daran interessiert sind, in erster Linie nur die Kosten zu sparen – dazu kenne ich zu viele aus diesem Bereich –, sondern die dafür sorgen, dass ihre Patienten gut versorgt werden, weil Sie wissen, dass die Folgekosten noch viel höher sind, wenn man die Therapie anfangs nicht gut macht. Sie sind nicht daran interessiert, eine minderwertige Qualität zu unterstützen, so.

Eines zum Schluss, Frau Schneider. Ich frage mich ernsthaft, wie ein Krankenhausbedarfsplan des Jahres 2015 Auswirkungen auf die Zahlen von 2012 und 2013 gehabt haben soll. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/5250 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Dort soll die abschließende Abstimmung in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt gegen die Überweisung? – Niemand. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann haben wir einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

9   Transparenz bei kommunalen Sozialaus-gaben herstellen – Task Force „Kommunale Sozialkosten“ einrichten

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5268

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion der CDU hat Herr Kollege Nettelstroth das Wort.

Ralf Nettelstroth (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir uns die Faktenlage in Nordrhein-Westfalen ansehen, was die Kommunalfinanzen anbelangt, dann stellen wir fest, dass wir mit 25 Milliarden € 50 % der bundesweiten Kassenkredite ausmachen und dass wir ein Finanzierungssaldo haben, welches in den letzten Jahren auf 1 Milliarde € noch zugenommen hat, während der Bundestrend eigentlich genau gegensätzlich ist. Dort sind Überschüsse von über 1 Milliarde € erwirtschaftet worden.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Dabei fällt natürlich auf, dass insbesondere der Sozialausgabenblock der größte bei den Kommunen ist. Die Sozialausgaben in Nordrhein-Westfalen haben mit 82 % den höchsten Kommunalisierungsgrad. Zum Vergleich: Der Durchschnitt der Flächenländer liegt bei 74 %.

Genau da setzt das FiFo-Gutachten an, das von der Industrie- und Handelskammer in Auftrag gegeben wurde und die Ausgabensituation bei den Sozial- und bei den Verwaltungskosten betrachtet.

Meine Damen und Herren, ich werde nicht damit anfangen, die Zahlenkolonnen wiederzugeben, die Sie auch in der Vorlage finden und über die wir auch schon diskutiert haben, sondern ich werfe die Frage auf, wie wir in Nordrhein-Westfalen mit dieser Fragestellung umgehen.

Ich möchte an etwas anknüpfen, das heute Morgen Eingang in die Beratung zum ersten Tagesordnungspunkt dieses Plenartags gefunden hat, nämlich an die Frage: Wie können wir eigentlich mehr Gelder beim Bund generieren, wenn wir uns vom Bund ständig vorhalten lassen müssen, dass es den Kommunen insgesamt doch relativ gut geht, nur denen in Nordrhein-Westfalen nicht? Wir sind gefordert, Transparenz herzustellen und die Frage aufzuwerfen: Woran kann das liegen?

Dazu gibt das FiFo-Gutachten Hinweise. Das liegt sicherlich unter anderem an Standards und an der Frage, wie man bestimmte Abläufe organisiert. Aber – und ich glaube, da sind wir alle gefordert – diese Dinge müssen aufbereitet werden, diese Dinge müssen klargestellt werden. Hier brauchen wir auch selber Transparenz – auch in der politischen Diskussion mit anderen. Wir müssen uns nicht verstecken. Wenn wir bestimmte hohe Standards haben, dann kann man sie rechtfertigen und sie im Vergleich zu den anderen Bundesländern darstellen.

Ich meine, daher tun wir gut daran, diese Aufgabe zu definieren, die Taskforce, die wir fordern, einzurichten und sich mit diesen Fragestellungen zu befassen.

Denn, meine Damen und Herren, fest steht: Wir haben in den letzten Jahren entsprechenden Aufwuchs. Wir haben uns heute Morgen über die Eingliederungshilfe unterhalten: Schon in den nächsten Jahren wird die Eingliederungshilfe in Nordrhein-Westfalen um dreistellige Millionenbeträge anwachsen, weil mehr Leute hinzukommen, weil sich die Standards verändern.

Diesem Anwachsen, Herr Hübner, können wir uns gerne stellen.

(Zustimmung von Michael Hübner [SPD])

Aber dann muss man darüber sprechen, wie man dort unterwegs ist und wie man gedenkt, dort weiter unterwegs sein zu wollen.

Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, fordere ich Sie auf – wenn wir das im Ausschuss diskutieren –, dieser Taskforce zuzustimmen, damit wir gemeinsam daran arbeiten können, diese Transparenz herzustellen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Nettelstroth. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das vorliegende Gutachten ist geeignet für eine gute Diskussion. Ich halte nichts davon, dass wir uns selbst Denkverbote erteilen – von anderen Verweigerungshaltungen ganz zu schweigen. Wir müssen diese wissenschaftliche Expertise proaktiv ernst nehmen.

Wir müssen das vor allen Dingen auch deshalb tun, meine sehr geehrten Damen und Herren, weil wir im Land Nordrhein-Westfalen davon ausgehen, dass unsere Forderungen gegenüber Berlin im Hinblick auf die Eingliederungshilfe für Behinderte richtig sind, berechtigt sind – gerade für Nordrhein-Westfalen.

Wenn ich diese Auffassung habe, muss ich mich auch mit der Erbringung der Leistung und der Umsetzung dieses Gesetzes vor Ort beschäftigen. Ich glaube, dass diese Diskussion nicht nur nötig, sondern auch überfällig ist.

Ich bin nicht in der Situation, jetzt sagen zu können, ob und inwieweit dieses Gutachten in allen Facetten treffsicher ist.

(Zurufe von Michael Hübner [SPD] und Hans-Willi Körfges [SPD])

– Ich weiß, dass die Landschaftsverbände, Herr Kollege Körfges und Herr Kollege Hübner, geantwortet haben und durchaus berechtigte Kritik an diesem Gutachten haben erkennen lassen.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Das ist eine richtige Haltung! – Zuruf von Minister Guntram Schneider)

Es mag Sie nicht verwundern, dass mir das zugeleitet worden ist; wir haben ja in den beiden Landschaftsversammlungen sehr ordentliche Fraktionen, die mit uns im Dialog stehen – wie bei Ihnen auch.

Ich will Ihnen sagen: Auch die Landschaftsverbände tun gut daran, den Tenor des gemeinsamen Antrags von CDU und FDP ernst zu nehmen;

(Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE]: Das tun sie!)

denn wir brauchen einen klaren, objektivierten Blick auf die Faktenlage im Hinblick auf die Erbringung dieser Leistung nach dem Sozialgesetzbuch.

(Beifall von der FDP)

Deswegen freue ich mich, im Fachausschuss intensiv darüber zu diskutieren und nach Möglichkeit Experten und Sachverständigen zu bemühen – über die bisherigen Gutachter hinaus. Wir freuen uns auf diese offene Debatte ohne Denkverbote. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Hübner.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Diese Debatte hat eigentlich heute Morgen mit der Aktuellen Stunde begonnen, Herr Kollege Nettelstroth. Sie haben gerade eine Frage aufgeworfen, die mich ad hoc Folgendes hat aufschreiben lassen – ich will nicht als Chefhistoriker der SPD-Fraktion in die Geschichte eingehen, wie Sie, Herr Kollege Abruszat heute Morgen herübergerufen haben, nichtsdestotrotz –:

(Heiterkeit von Kai Abruszat [FDP])

Sie haben vorhin vom „höchsten Kommunalisierungsgrad“ gesprochen.

Ich will nicht verhehlen, dass wir uns damals sehr darüber gefreut haben – seinerzeit hatte ich nur kommunalpolitische Verantwortung in meiner Heimatstadt –, dass wir zusätzliche Aufgaben bekommen haben, nämlich die Sozialverwaltung und die Umweltverwaltung.

Ich will Ihnen auch sagen, wie Sie damals argumentiert haben. Sie haben gesagt: Grundsätzlich könnten Kommunen das effizienter organisieren. Deshalb sei es sinnvoll, einen Effizienzgewinn auch für die Kommunen darzustellen. Dann käme der Konnexitätsausgleich nicht in der Schärfe zum Tragen.

Wenn das Ihr Werben für die Subsidiarität im Land Nordrhein-Westfalen war – wir haben, wie Sie wissen, in Nordrhein-Westfalen trotz größter Bevölkerungsdichte „nur“ 396 Städte und Gemeinden, während es im Land Niedersachsen bei nicht einmal halb so hoher Bevölkerungsdichte 1.007 Städte und Gemeinden gibt –, dann muss ich sagen: Gerne, das nehmen wir so hin.

In der Tat ist es immer ein großes Problem, wenn Sie kommunal selbstverwaltete Aufgaben unter Ländern vergleichen. Das macht in einer gewissen Art und Weise auch dieser Größenvergleich deutlich.

Wir haben im Übrigen – um zum Thema zu kommen – aus Sicht der SPD-Fraktion nichts dagegen, das noch mal zu debattieren. Das haben wir übrigens auch schon im letzten kommunalpolitischen Ausschuss getan, als wir mit der Diskussion begonnen haben. Zu dem Zeitpunkt lagen uns auch die vom Kollegen Abruszat angesprochenen Stellungnahmen vom Landschaftsverband Rheinland und vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe vor. In der Tat wird man sich damit auseinandersetzen müssen.

Das ifo hat nach Intervention der beauftragenden IHKs ja auch noch mal Stellung dazu genommen. Mit einer Bemerkung in der Stellungnahme bin ich allerdings nicht einverstanden: dass man die Landschaftsverbände sozusagen als Stakeholder bezeichnet und ihnen eine Interessensleitung unterstellt, die nicht ganz sachgerecht ist.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Richtig ist auch: Nicht nur die Landschaftsverbände debattieren über das Thema, sondern auch die Kreise und kreisfreien Städte, die zudem sehr genau darauf achten, dass die Pflicht zur Ausgabendisziplin bei den Landschafts­verbänden eingehalten wird. Wie Sie sich erinnern werden, haben wir das Umlagengenehmigungsgesetz auch vor diesem Hintergrund in die Gesetzgebung implementiert. Das wird von allen Betroffenen nunmehr auch sehr begrüßt. Es war gut, dieses Instrument auf den Weg zu bringen, weil man sich immer vergegenwärtigen muss, welche Kostenentwicklungen wir haben.

Eine Kostenentwicklung, die Sie gerade ganz am Rande angesprochen haben, will ich nicht außen vorlassen. Es ergibt natürlich auch eine Kostenentwicklung, weil wir in zunehmender Art und Weise eine positive Bevölkerungsentwicklung haben: Menschen mit Behinderungen werden heute viel älter als früher. Dadurch entsteht ein ganz anderer Kostendruck auf die Landschaftsverbände, die das in Nordrhein-Westfalen tragen.

Deshalb bleibt auch unsere Forderung richtig, dass es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Und die ist bitte aus allgemeinen Steuermitteln zu bezahlen und nicht zulasten der Kommunen im Land Nordrhein-Westfalen über deren Einnahmen in der Grundsteuer oder Gewerbesteuer.

Ich glaube, wenn wir eine solche Formulierung vereinbaren könnten, wäre viel gewonnen. Dann würden wir auch das aufgreifen, was wir heute Morgen diskutiert haben.

Eine letzte Bemerkung – mir bleibt nicht mehr viel Redezeit –: Ich bin ein bisschen verärgert über die Zahl, die zumindest von Ihrer politischen Seite, Herr Nettelstroth, auf den Weg gebracht worden ist, nämlich dass man 1,1 Milliarden einsparen könnte, wenn man eine höhere Disziplin an den Tag legen würde.

Gestatten Sie mir die Bemerkung: Das erschrickt mich insofern ein wenig, weil diese 1,1 Milliarden € auch in einem anderen Zusammenhang eine Rolle spielen, nämlich bei der Diskussion um die Entlastungswirkung bei der Eingliederungshilfe. Die 5 Milliarden € entsprechen genau den 1,1 Milliarden €. Wenn Sie das als Hintertür gebrauchen wollen, um sich in der Bundesregierung von diesem Thema zu verabschieden, dann haben Sie uns nicht auf der Habenseite, dann werden wir das nicht konstruktiv diskutieren, sondern eher destruktiv. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Herr Abruszat, Herr Nettelstroth, ich will anknüpfen an das, was Kollege Hübner gerade ausgeführt hat. Wir haben diese Angelegenheit ja schon im letzten Kommunalausschuss andiskutiert. Und wir werden Ihren Antrag, wie vom Ältestenrat empfohlen, in den zuständigen Fachausschuss überweisen.

Sie nehmen das Gutachten und machen die Rechnung auf, dass es in der Leistungserfüllung – beispielsweise bei den Kosten der Unterkunft und den Eingliederungshilfen – offensichtlich erhebliche Mehrkosten gibt. 1,1 Milliarden € im Bereich der Eingliederungshilfen und 230 Millionen € im Bereich Kosten der Unterkunft sind genannt worden. Sie sagen: Das kann doch nicht sein. Das muss man sich näher ansehen. Insofern sollte man in diesem Zusammenhang eine Taskforce einrichten.

Die Frage lautet, ob diese Schlussfolgerung richtig ist, ob dieses Gutachten, das von der IHK in Auftrag gegeben worden ist, als Grundlage herangezogen werden kann, um zu einer solchen Einschätzung zu kommen?

Ich empfehle Ihnen, nicht nur die Kurzfassung, sondern auch die Langfassung zu lesen. Wenn Sie sich die Langfassung im Detail ansehen, werden Sie feststellen, dass der Gutachter selbst an vielen Punkten deutlich macht, dass es in der Frage, wie man diesen Sachstand zu beurteilen hat, Unsicherheiten gibt, er aber in der Schlussfolgerung der Kurzfassung zu ganz anderen, zugespitzten Aussagen kommt, die sich aus der Langfassung zumindest nicht erklären lassen. – Man kann auch den Eindruck haben: Dieses Gutachten wurde von zwei verschiedenen Leuten geschrieben.

Wenn ich mir in diesem Zusammenhang ansehe, wie das Ganze vonseiten des Innenministeriums, vonseiten des Sozialministeriums und vonseiten der Landschaftsverbände beurteilt worden ist, stelle ich fest: Methodisch völlig falsch! Man kann nicht aus der Bewertung von statistischen Ämtern des Bundes bzw. der Länder und der Statistik der Bundesagentur für Arbeit eine solche Beurteilung ableiten. Man muss in diesem Zusammenhang auch die unterschiedlichen sozio-ökonomischen Faktoren wie die wirtschaftliche, soziale, demografische und siedlungsstrukturelle Entwicklung einbeziehen. Die sind hier völlig ausgeklammert worden.

Überhaupt nicht nachvollziehbar ist, dass bestehende Untersuchungen, von denen wir eine ganze Reihe haben – den Kennzeichenvergleich der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, das Gutachten der Uni Siegen aus 2008 oder auch die vergleichende Analyse zur Eingliederungshilfe in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württem-berg und Bayern aus 2012; ich könnte das noch ellenlang fortsetzen, will das aber gar nicht machen –, dass diese allgemein zugänglichen Unterlagen nicht einbezogen werden, geschweige denn, dass mit den Betroffenen in diesem Zusammenhang mal diskutiert wird bzw. gefragt wird: Wie seht ihr das? Kommt ihr zu ähnlichen Schlussfolgerungen?

Ich mache das an den Kosten der Unterkunft fest. Ich weiß nicht, ob Sie das Gutachten von unserem geschätzten Herrn Junkernheinrich und anderen kennen, der sich 2012 die Struktur der Kosten der Unterkunft des Landes Brandenburg angesehen hat und diese mit der in den anderen neuen Bundesländern verglichen hat. Der stellt fest, dass es bei den Kosten pro Einwohner Unterschiede zwischen den fünf Bundesländern von bis zu 50 % gibt. Bei den Fallzahlen der Bedarfsgemeinschaften innerhalb des Landes Brandenburgs gibt es teilweise Differenzen in einer Größenordnung von 40 bis 45 %.

Er geht dann darauf näher ein und schaut sich an, warum das so ist: Die Kommunen haben überhaupt keinen Gestaltungsspielraum. Zu unterstellen, dass sie durch gutes oder schlechtes Management der Leistungen zu einer entsprechenden Kostensituation beitragen, ist also völlig daneben. Anders formuliert: Diesen Spielraum haben sie nicht. Der ist im Wesentlichen durch diverse Regelungen in starkem Maße eingegrenzt.

Er macht diese Unterschiede fest einerseits am unterschiedlichen Mietpreisniveau und andererseits an der unterschiedlichen Personenanzahl innerhalb der Bedarfsgemeinschaften selbst. Dadurch erklären sich etwa 97 % der unterschiedlichen Kosten.

Ich hätte mich gefreut, wenn bei einem entsprechenden Aufschlag der IHK zu Köln das, was an Kenntnissen vorhanden ist, in die Diskussion eingebracht und einer entsprechenden Bewertung unterzogen worden wäre. Die Herangehensweise, die hier gewählt worden ist, ist nicht richtig, hilft uns nicht weiter. Wenn auf dieser Grundlage eine Taskforce eingerichtet werden soll, glaube ich, dass wir Ergebnisse erzielen, die mit der Realität nicht allzu viel zu tun haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Krüger, ich möchte Sie bitten, einen Moment am Rednerpult zu bleiben. Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Abruszat gemeldet.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Krüger, ich habe mich deshalb zu einer Kurzintervention gemeldet, weil ich zu Beginn Ihrer Ausführungen den Eindruck hatte, Sie wollten sich mit diesem Gutachten eigentlich gar nicht so richtig inhaltlich beschäftigen. Vielleicht tue ich Ihnen aber Unrecht.

Sie haben ausgeführt – das hat der Kollege Hübner vorhin auch getan –, die 1,1 Milliarden € seien in etwa das, was wir zu erwarten hätten, wenn wir denn die 5 Milliarden – verteilt nach dem Schlüssel – für Nordrhein-Westfalen zugewiesen bekommen würden. Wenn hier 1,1 Milliarde € Reserven seien, dann sei das nicht gerade hilfreich im Hinblick auf eine Debatte in Berlin.

Ich sagen Ihnen: Gerade deshalb müssen wir uns damit aber befassen. Das ist ganz wichtig. Denn das ist natürlich Argumentationsstoff für den Bund, der möglicherweise kein Interesse daran hat, möglichst schnell Gelder in Nordrhein-Westfalen zu platzieren.

Insofern meine dringende Bitte, die Bitte meiner Fraktion: Wir müssen ohne Denkverbote mit dieser Diskussion umgehen. Und das schließt – ich bin gespannt auf den Beitrag von Minister Schneider – auch eine Debatte über Standards ein. Am Ende werden wir auch über solche Dinge sprechen müssen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Werter Kollege, wir stimmen durchaus überein in der Einschätzung: Es macht keinen Sinn, nur nach oben zu schauen mit der Maßgabe, wir brauchen mehr Geld, damit wir die Leistungen auch erfüllen können, sondern wir müssen auch parallel schauen,

(Kai Abruszat [FDP]: Genau!)

inwieweit die Leistungen ökonomisch erbracht werden. Ohne Zweifel! Die Frage ist nur: Auf welcher Grundlage schauen wir?

(Zustimmung von Hans-Willi Körfges [SPD])

Da will ich Ihre Einschätzung korrigieren. Ich habe mir sehr wohl das Gutachten angesehen, parallel dazu auch die Expertisen, die in diesem Zusammenhang ebenfalls erstellt worden sind.

Die Schlussfolgerung, die Sie gezogen haben

(Kai Abruszat [FDP]: Ich habe noch keine gezogen!)

– offensichtlich; denn Sie sehen ja die Notwendigkeit, das in diesem Zusammenhang eine Taskforce notwendig ist –, die kann ich, wie gesagt, nicht nachvollziehen.

Ich würde mich freuen, wenn wir in diesem Zusammenhang eine belastbare Grundlage hätten. Selbstverständlich macht es Sinn, sich in diesem Zusammenhang anzuschauen, mit welchen Standards wir operieren und wo es in diesem Zusammenhang möglicherweise noch Handlungsbedarf gibt.

(Kai Abruszat [FDP]: Genau!)

Ich erinnere daran – das wissen Sie auch –: Wir haben bereits vergleichende Untersuchungen, zum Beispiel durch das Gemeindeprüfungsamt im Bereich der Jugendhilfe. Danach weiß ich, wo insbesondere innerhalb NRWs entsprechende Kennzahlen ermittelt worden sind. Das kann man sich alles heranholen.

Ich weiß sehr wohl, dass sowohl die Gebietskörperschaften als auch die Landschaftsverbände in diesem Zusammenhang ständig versuchen, ihre Prozesse zu optimieren. Aber Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen – und da sehe ich großen Handlungsbedarf –, dass man bezogen auf die vorgelagerten Versicherungssysteme – ob das die Krankenkassen, die Rentenversicherung, die Jobcenter oder die Arbeitsagenturen sind – oftmals den Eindruck hat, dass die ihre Aufgaben, für die sie eigentlich zuständig sind, nicht erfüllen bzw. sie weiter nach oben schieben mit der Folge, dass man eine Fallexplosion hat, die mit entsprechenden Kosten bei den Landschaftsverbänden aufschlägt. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürger auf der Tribüne und am Livestream. Vorab möchte ich sagen, dass eine bundesweite, einheitliche und umfassende Studie zu den Sozialkosten in Deutschland durchaus sinnvoll sein kann. Keine Frage! Wichtig wäre es aber, dass wir die Zahlen, die wir mit dem Vergleich erheben, in allen Bundesländern zeitgleich mit den gleichen Kriterien erheben. Das wäre schon sinnvoll. Und: Sollten wir das machen, dann bitte offen und transparent, sodass das für jeden nachvollziehbar ist.

Herr Nettelstroth, Sie zucken mit den Schultern. Die Studie, die uns jetzt vom Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut vorliegt, beruft sich teilweise auf Zahlen, die eben nicht öffentlich zugänglich sind. Das ist ein Fehler an der Studie. Das dürfen wir, wenn wir einen großen Aufschlag wollen, nicht noch mal machen.

Selbstverständlich muss man dabei auch die Rahmenbedingungen der verschiedenen Bundesländer beachten. Das passiert in der aktuellen Studie auch nicht so richtig gut. Da könnte man jetzt schon fast unterstellen, dass das eine politische Stoßrichtung sein soll.

Beispielsweise werden Thüringen und NRW verglichen, und dann sagt man: Wir haben da einen Abstand bei den Kosten für Unterkunft und Heizung von 50 %. – Das kann ich mir gut vorstellen. Thüringen hat 2 Millionen Einwohner und ist hauptsächlich ländlich geprägt. NRW ist geprägt von Ballungsräumen mit über 150.000 Einwohnern und hat insgesamt 17,5 Millionen Einwohner. Dass wir hier zu unterschiedlichen Zahlen kommen, ist irgendwo sogar klar. Von daher finde ich diesen Ansatz sehr schlecht gewählt.

Dann wird Rheinland-Pfalz mit NRW verglichen und man sieht dabei ebenfalls nicht, dass es in Rheinland-Pfalz gerade mal ein Städtchen mit mehr als 150.000 Einwohnern gibt, während wir in NRW 22 davon haben.

Die meisten Bezieher von Sozialleistungen leben in NRW in den Ballungsräumen. Die angesprochenen Bedarfsgemeinschaften sind in NRW zudem im Schnitt mit mehr Personen, also größer bestückt als in fast allen anderen Bundesländern. Im Schnitt liegt NRW da bei 1,9.

Das kann man alles bei der Bundesagentur für Arbeit abfragen, das ist bei diesem Gutachten aber nicht geschehen. Dass man sich bei diesen Eckpunkten hinterher wundert, dass NRW höhere Sozialkosten hat, auch in den Kommunen, das ist schon sehr befremdlich. Das steht dem Gutachter nun wirklich nicht gut zu Gesicht.

Von daher halte ich es auch nicht für sinnvoll, dass die IHK dieser Taskforce beitritt, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern. Ich halte diese Taskforce für NRW allein sowieso nicht für sinnvoll. Das müssten alle Bundesländer tun. Dementsprechend müsste das dann auch die Bundesebene koordinieren.

Die IHK sollte bei ihren ursprünglichen Aufgaben bleiben.

(Zustimmung von Hans-Willi Körfges [SPD])

Die in dem Gutachten geschaffene Verbindung, dass man an die Sozialkosten heranmüsse, damit man dann die Gewerbesteuer senken könne, ist ein absolutes Unding. Die Gewerbesteuer ist ein absolut kommunales Thema, und über die Sozialkosten wird auf Bundesebene entschieden. Das darf man nicht miteinander verbinden.

(Beifall von den PIRATEN)

Diese Steuerungsmöglichkeit hat die Kommune an der Stelle einfach gar nicht.

Von daher zu sagen, da ließen sich Schätze von 1,1 Milliarden € heben: Das wird sich bei genauerer Betrachtung als absolute Nullnummer herausstellen. Das werden wir an der Stelle nicht schaffen können.

Der Bund muss hier seiner Pflicht nachkommen. Diese Dinge werden auf Bundesebene entschieden, also muss der Bund diese Dinge auch zügig bezahlen; das ist ganz klar.

Eine Entlastung wurde angekündigt. Heute Morgen haben wir gehört, dass die jetzt wohl auf einen späteren Zeitpunkt der Wahlperiode des Bundes verschoben wurde. Ich hoffe, sie erfolgt nicht allzu spät; ich hoffe, dass das keine testamentarische Geschichte wird, wie Kollege Schulz das schon andeutete. Das muss einfach nachgeholt werden.

Mit diesem Geld, das den Kommunen hier fehlt, spart der Bund seit Jahren seinen Haushalt gesund. Indem er die Kommunen bluten lässt – und das seit Jahren –, schafft der Bundesfinanzminister die schwarze Null. Das ist ein Unding! Es ist übrigens egal, welche Farbe in Berlin gerade die Strippen zieht: Die Kommunen sind an dieser Stelle immer die Verlierer.

Von daher bin ich sehr gespannt, was Sie uns im Ausschuss dazu noch erzählen möchten. Wir sehen die Verbindung zwischen der Gewerbesteuer der Kommunen und den Sozialkosten, über die auf der Bundesebene entschieden wird, absolut kritisch und als absolutes Unding an. Sie werden uns im Ausschuss aber sicherlich sagen können, wie Sie das verbinden wollen und was das eine mit dem anderen zu tun haben soll. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Schneider.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie schon einige Male festgestellt, beruht der Antrag von CDU und FDP auf einem Papier des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität zu Köln, dem sogenannten FiFo.

(Marc Herter [SPD]: Das stimmt!)

Alle, die sich mit dieser Materie beschäftigen, wissen um die politische Ausrichtung dieses Institutes. Dafür steht schon der Name Prof. Eekhoff, der diese Einrichtung viele Jahre geleitet hat.

Dieses sogenannte Gutachten hebt allein auf einen sehr vordergründigen Kosten- und Zahlenvergleich ab. Zudem ist es – auch darauf ist schon hingewiesen worden – nach Einschätzung fast aller Fachleute handwerklich schlecht gemacht. Die unterschiedlichen sozioökonomischen Strukturen in den einzelnen Bundesländern bleiben schlichtweg unberücksichtigt. Man kann aber nur vergleichen, was vergleichbar ist. So wenig Sie die idyllische Gemeinde Heek im westlichen Münsterland mit Gelsenkirchen vergleichen könne, so wissenschaftlich unangemessen ist das, was in diesem Papier geschrieben steht.

(Kai Abruszat [FDP]: Aber Heek und Gelsenkirchen haben die gleichen Hebesätze!)

– Na ja, aber die Sozialstruktur in Heek ist völlig anders. Der Vergleich ist mir eingefallen, weil ich weiß, dass der Bürgermeister von Heek fast jedes arme Kind in seinem Sprengel persönlich kennt – das sind nicht so viele. Jetzt müssten Sie nur noch sagen, dass der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen ein schlechter Oberbürgermeister ist, weil er nicht alle kennt.

(Karlheinz Busen [FDP]: Das kann er doch gar nicht!)

– Ja, natürlich nicht! Genau darum geht es ja.

Bei der Kostenanalyse sind Dinge wie Tarifbindung und Personalaufwand ebenfalls kaum oder gar nicht berücksichtigt worden.

Im Ergebnis wird der Versuch unternommen, uns zu vermitteln, dass Wirtschaftlichkeitsfragen in Bezug auf die Sozialausgaben in den Kommunen bisher nicht bearbeitet worden wären. Dies ist schlechtweg falsch. Es gibt bereits weitergehende und präzisere Datengrundlagen. Auch darauf ist schon hingewiesen worden.

Ich erinnere an den Bericht der Fachkommission zur Förderung des selbstständigen Wohnens behinderter Menschen aus dem Jahre 2012, ich erinnere an den Kennzahlenvergleich der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und an viele andere Unterlagen. All dies ist in dem in Rede stehenden Papier unberücksichtigt geblieben.

Nun versuchen Sie, CDU und FDP, mit diesem vermeintlich wissenschaftlichen Papier – kommen wir zur Sache! – im Vorfeld der Kommunalwahlen öffentlich Eindruck zu schinden. Demnach kann ich mich der Schlussfolgerung der Landschaftsverbände in ihrer Stellungnahme nur voll anschließen. Sie formulieren: Dem FiFo-Gutachten zu den kommunalen Sozialkosten kann in der politischen Diskussion kein Gewicht beigemessen werden. – Damit ist eigentlich alles gesagt.

Entlarvend ist, dass es in dem CDU-FDP-Antrag an keiner Stelle um die Menschen und die Sicherung der Qualität der Leistungen für diese Menschen geht. Der Gipfel ist die Forderung, eine Taskforce „Kommunale Sozialkosten“ einzurichten. Sie ist überflüssig wie ein Kropf. Im Übrigen wird hier auch Misstrauen gegenüber der kommunalen Selbstverwaltung deutlich.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wo kommen wir denn hin, wenn bei jeder Frage der Ruf nach einer Taskforce laut wird? Wir haben doch gestandene Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die gerade in NRW genau wissen, wie sie mit dem knappen Geld umzugehen haben. Ich denke, das muss auch mal angemerkt werden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Hier wird ein bürokratisches Monster konstruiert, das unnötig Personal, Zeit und auch Geld bindet.

Fazit: Wirtschaftlichkeit ist für die Sozialpolitik wichtig.

(Karlheinz Busen [FDP]: Ja, logisch!)

Der Einsatz und die Hilfen für bedürftige Menschen sind aber nicht zum Nulltarif zu bekommen.

Ich sage Ihnen: Für mich ist in der kommenden Diskussion sehr wichtig, dass wir keine künstlichen Fronten zwischen Finanz- und Kommunalpolitikern einerseits und Sozialpolitikern andererseits aufbauen. Die Verhinderung dieser künstlichen Fronten ist sehr wichtig. Wir müssen gemeinsam etwas Konstruktives auf den Weg bringen, und dabei darf es keine Tabus geben. Ich kenne überhaupt keinen Politikansatz, der Tabus kennt. All dies muss auch in diesem Zusammenhang mit bedacht werden.

Lange Rede, kurzer Sinn: Hier geht es um Effekthascherei, nicht aber um eine konstruktive Herangehensweise. Das sogenannte Gutachten zusammen mit Ihrem Antrag ist eigentlich politisch peinlich, und ich kann wenig damit anfangen. ? Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich weise darauf hin, dass die Landesregierung ihre Redezeit um eine Minute und 26 Sekunden überzogen hat. Dieses Zeitkontingent steht den anderen Fraktionen zusätzlich jeweils zur Verfügung. Gibt es Wortmeldungen? – Bitte schön, Herr Kollege Nettelstroth.

Ralf Nettelstroth (CDU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schneider, ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich den Eindruck hatte, dass Sie hier bewusst Missverständnisse produzieren; denn ich habe ganz bewusst heute keine Zahlen zum FiFo genannt, obwohl sich alle Redner hier sehr intensiv damit auseinandergesetzt haben. Dieses FiFo-Gutachten sollte eigentlich den Aufschlag für eine intensive Diskussion geben.

(Beifall von der CDU)

Es hatte nicht den Anspruch, hier eine abschließende Expertise zu den sozialen Fragen in Nordrhein-Westfalen zu sein.

Ich frage mich allen Ernstes: Warum haben Sie denn eine solche Angst davor, die Standards einmal zu beschreiben, wenn Sie so selbstsicher sind und behaupten, diese Standards seien gut? Warum lassen Sie sie uns dann nicht beschreiben? Wenn man einen Standort verorten will, dann gehört dazu, dass man sich auch im Vergleich zu anderen Ländern einschätzen kann.

Wenn Sie die Frage stellen, warum wir das hier diskutieren, so kann ich sie Ihnen, da ich ja nun auch Kommunalpolitiker bin, schnell beantworten: Die Kommunalpolitiker vor Ort können in dieser Frage gar nichts bewegen. Das wissen Sie auch. 95 % der Kosten liegen fest. Wir haben dann noch ein bisschen freie Verfügungsmasse; über sie diskutieren wir dann im Rahmen der Streichungen. Festgelegt werden die Standards einerseits beim Bund – sie gelten aber dann für alle Bundesländer –; andererseits kommt die Ausgestaltung durch die Länder hinzu. Deshalb muss der Antrag hier gestellt werden, damit man sich hier der Frage zuwenden kann, wie diese Mittel aussehen.

Man kann durchaus selbstbewusst sein, Herr Schneider, wenn man sagt: Wir haben bestimmte Standards, die vielleicht in anderen Ländern anders sind, weil wir sie für richtig halten. – Aber dann kann man sie auch darstellen, und man sollte hier den Mut aufbringen, einer solchen Taskforce beizutreten und sich da entsprechend einzubringen. Damit hätten wir wirklich die Möglichkeit, all die Prämissen anzuwenden, all die Diskussionen über Vergleichbarkeit zu führen und vielleicht endlich einmal Standards zu finden, die zu vergleichbaren Parametern führen, damit wir uns anschließend auch im Vergleich zu anderen Ländern einschätzen können und damit wir selbstbewusst vielleicht auch mit dem Bund über Gelder diskutieren können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat sich der Kollege Hübner gemeldet. – Bitte schön.

Michael Hübner (SPD): Herr Kollege Nettelstroth, ich glaube, darum ging es Minister Schneider nicht. So, wie ich ihn verstanden habe, hat er davor gewarnt, dass es mit der Taskforce um eine dauerhafte Aufgabe geht.

Wenn Sie meine Einlassung zu dem Thema richtig verstanden haben, wissen Sie, dass es mir eigentlich um Folgendes ging: Natürlich setzen wir uns damit auseinander. Wir setzen uns aber auch mit anderen Datengrundlagen auseinander. Selbstverständlich können wir im kommunalpolitischen Ausschuss – Sie wissen aber um die Vielfältigkeit der Sachverständigenanhörungen – meinetwegen ein Expertengespräch vereinbaren. Ein solches Gespräch, in dessen Rahmen man sich dem noch einmal gegenüberstellt, können wir vielleicht morgen im Obleutegespräch schon einmal vorab vereinbaren und terminieren. Aber das wird in der Tendenz – ich gucke dabei den Vorsitzenden an – eher in der zweiten Jahreshälfte stattfinden.

Eines ist mir dabei noch wichtig: Sie müssen auch die Klarheit, wie sie vom Kollegen Abruszat gefragt wurde, zu den 1,1 Milliarden haben. Diese Klarheit wünsche ich mir von der CDU-Fraktion dann auch in Ihrer Aussage, nicht aber so etwas Lapidares wie das gerade von Ihnen Vorgetragene: Ich habe extra keine Zahlen genannt. Das ist nicht in Ordnung. Dazu müssen Sie sich bekennen oder eben nicht bekennen. – Danke schön.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die Landesregierung hat noch einmal Herr Minister Schneider das Wort.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich scheue überhaupt keine Diskussion über Standards. Zu dieser Diskussion brauche ich jedoch keine Taskforce. Wir haben parlamentarische Gremien, wir haben den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales und den Kommunalausschuss, wir haben den Hauptausschuss. Wir haben genügend Möglichkeiten und Ansatzpunkte, dieses sehr wichtige Thema zu diskutieren.

Zur Führung dieser Diskussion brauche ich auch kein FiFo-Gutachten. Es gibt genügend Grundlagen für eine solche Debatte. Insofern haben Sie nicht den Punkt getroffen, der eigentlich getroffen werden muss. Sie wollten in irgendeiner Weise Aufmerksamkeit erhaschen. Dieser Schuss ist nach hinten gegangen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat nun ihre Redezeit um zwei Minuten und 25 Sekunden überschritten. Gibt es noch weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Ende des Tagesordnungspunktes 9, und wir kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/5268 an den Ausschuss für Kommunalpolitik federführend, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Wer dem seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig beschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

10       Videoüberwachung transparent und nachvollziehbar gestalten: Ein öffentliches Register für Videoüberwachungskameras in Nordrhein-Westfalen einführen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5280

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Piraten Herrn Kollegen Herrmann das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Livestream! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem Antrag fordern wir eine Meldepflicht für Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen. Wir fordern diese Meldepflicht mit öffentlich einsehbarem Register aus drei guten Gründen.

Erstens. Wir haben derzeit keinerlei Übersicht darüber, wo wie viele Kameras mit welchen technischen Möglichkeiten aufgestellt sind. Wir wissen, dass mindestens 2.750 Kameras durch nordrhein-westfälische Landesbehörden betrieben werden. Das ist allerdings nur die Spitze eines immens großen Eisbergs.

Sie, liebe Landesregierung, nehmen sich fälschlicherweise aus der Pflicht, die Kommunen zu ihren zahlreichen installierten Kameras zu befragen. Sie hätten das im Rahmen der Großen Anfrage, die wir gestellt haben, machen können und sollen. So müssen wir annehmen, dass Sie sich des Themas gar nicht annehmen und die Zahlen gar nicht wissen wollen.

Wir wissen, in Bayern gibt es mindestens 17.000 staatlich betriebene Kameras. Allein der Bund betreibt zusätzlich 17.500 Überwachungssysteme. In Nordrhein-Westfalen werden es mindestens so viele sein.

Werte Landesregierung und Unterstützer der Überwacher, die Bürger wollen Transparenz darüber, inwieweit sie überwacht werden. Eine freie Gesellschaft sollte sich diese Transparenz leisten; sonst wird sie Vertrauen verlieren. Zeigen Sie uns, dass Videoüberwachung sinnvoll ist! Wir lassen uns gerne überzeugen, wenn Ihre Argumente valide und stichhaltig sind. Aber Sie verwehren sich jedweder wissenschaftlichen Einschätzung, noch geben Sie uns die Zahlen, inwieweit die Kommunen in ihren Verwaltungsgebäuden, in ihren Schulen Videoüberwachung betreiben.

Zweitens. Kameras sind oft fehlerhaft oder gänzlich rechtswidrig montiert. Hier brauchen wir die Möglichkeit, diese Kameras leichter zu melden. Kontaktdaten der verantwortlichen Stelle müssen leicht zu erhalten sein. Eine Meldepflicht würde auch ein wichtiges Signal an die Betreiber senden: Ihr könnt Videoüberwachungsanlagen nur installieren, wenn ihr euch an die Regeln haltet. – Eine Meldepflicht sorgt hier für zusätzlichen Druck.

Wenn Sie mir jetzt sagen wollen, Herr Minister, dass die öffentliche Hand natürlich die gesetzlichen Vorschriften beachtet, sage ich Ihnen: Nein, das stimmt so nicht. Ausgerechnet vor dem Justizministerium hier in Düsseldorf überwachen zwei landeseigene Kameras den öffentlichen Raum in einer Fußgängerzone ohne jedwede Hinweisschilder. Das ist klar rechtswidrig.

Die bestehenden Datenschutzregeln wurden doch nicht grundlos verfasst. Privatsphäre und Datenschutz sind kein lästiges Übel. Diese Werte dürfen nicht als Hindernis verstanden werden. Es handelt sich um Grundrechte, die zu schützen sind.

Drittens. Der technologische Wandel wird die Videoüberwachung grundlegend verändern. Softwaregestützte Videoüberwachung, die durch die Verknüpfung mit diversen Datenbanken sofort erkennen kann, wer ich bin, ist heute technisch möglich. Videoüberwachung, die anhand meiner Gestik, meines Gesichtsausdrucks, meiner Kleidung meine nächsten Schritte und Handlungen vorhersehen soll, wird für den großflächigen Einsatz erforscht.

Der Laie kann nicht erkennen, welche Art der Videoüberwachung ihn gerade im Visier hat. Er kann nicht erkennen, wo und wie seine Bilder verarbeitet werden. Solcherlei Technologien fördern Angst und Konformismus in der Gesellschaft. Unter ständiger Überwachung ist die Freiheit des Menschen verloren. Dieser Entwicklung muss Einhalt geboten werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Die bereits existierende Videoüberwachung mithilfe solcher Praktiken muss zumindest offengelegt werden. Gerade wegen dieser Entwicklungen müssen wir einen schon lange notwendigen Diskurs über das Ausmaß der Überwachung führen. Wir müssen über Videoüberwachung sprechen.

Unser Antrag lädt Sie dazu ein, über Videoüberwachung und ihre Auswirkungen auf unsere Gesellschaft ernsthaft zu diskutieren. Nehmen Sie sich die Zeit und schauen Sie sich auf den Straßen um! Überlegen Sie sich „Wie soll unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen?“! Kann es sich eine freie Gesellschaft leisten, solcherart Überwachungstechnologie derart zahlreich in und an Gebäuden, Bussen und Bahnen oder Geschäften zu dulden? Es gibt gute Gründe für diese Diskussion und für eine Meldepflicht für Videoüberwachungssysteme.

Lassen Sie mich bitte zum Schluss noch anmerken, es ist uns sehr wohl bewusst, dass wir auf Landesebene nur Regeln für die Landes- und die Kommunalverwaltung aufstellen können. Aber wir sollten mit gutem Beispiel vorangehen, das Thema „Videoüberwachung“ auf die Tagesordnung setzen und ein transparentes Register über den Einsatz von Videoüberwachung der öffentlichen Hand in Nordrhein-Westfalen schaffen.

Sie, liebe Kollegen von der SPD, können das fertige Projekt gerne mit nach Berlin nehmen und das dringend notwendige Register der Videoüberwachung der Privatwirtschaft im Bundestag beschließen.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Marquardt.

Thomas Marquardt (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Videoüberwachung ist ein sensibles Thema. In der Regel werden Personen aufgenommen, die sich treu nach Recht und Gesetz verhalten und nie etwas anderes im Sinn hatten. Für den seltenen Fall, dass Personen von dieser Regel abweichen, gibt es vereinzelt Videoüberwachung von öffentlichen und privaten Plätzen und Einrichtungen.

Bei jeder Art von Überwachung muss grundsätzlich der Schutz der Privat- und Intimsphäre der betroffenen Personen absoluten Vorrang haben. Die SPD-Landtagsfraktion steht grundsätzlich für eine gewissenhafte Einhaltung der bestehenden datenschutzrechtlichen Vorschriften und Regelungen. Datenschutz hat eine überragende Bedeutung.

Gleichzeitig bekennen wir uns aber auch zur Videoüberwachung als notwendiges und effektives Mittel im Rechtsstaat. Sie dient der Prävention und Aufklärung von Straftaten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Piratenfraktion fordert im vorliegenden Antrag die Einführung eines öffentlichen Registers für Videoüberwachungskameras in Nordrhein-Westfalen, also quasi eine Überwachung von Überwachung.

(Zuruf von den PIRATEN: So ist es!)

Wir sehen die Einführung eines solchen Registers jedoch mit einiger Skepsis, und zwar aus folgenden Gründen:

Sowohl die öffentliche Hand als auch private Betreiber müssten einen enormen bürokratischen und finanziellen Aufwand betreiben,

(Zurufe von den PIRATEN: Och!)

um die entsprechenden Informationen bereitzustellen und zu überprüfen.

(Zuruf von den PIRATEN: In Bayern kein Problem!)

Es würde ein bürokratisches Monster geschaffen. Der Mehrwert eines solchen Überwachungsregisters ist ohnehin nicht ersichtlich. Schon heute begrenzen strenge bundes- und landesgesetzliche Vorschriften die Videoüberwachung.

(Zuruf von den PIRATEN: Dann kann ja gar nichts schiefgehen!)

Neben dem Prinzip der generellen Datensparsamkeit sind erstens eine regelmäßige Überprüfung der Zweckbindung der Maßnahme, zweitens eine Überprüfung der Erforderlichkeit sowie drittens eine Interessenabwägung zwischen den berechtigten Interessen der Betreiber und schutzwürdigen Interessen der Betroffenen vorgesehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion, bei der Datenschutzaufsicht des Landes geht es meines Erachtens nicht darum, sämtliche Datenverarbeitungssysteme im Land zu überwachen. Es geht vielmehr darum, die Aufsicht im Einzelfall stichprobenartig oder anlassbezogen, nicht aber flächendeckend auszuüben. Hinweise auf möglichen Missbrauch können dem Landesdatenschutzbeauftragten und den zuständigen Ermittlungsbehörden jederzeit gemeldet werden.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kern zulassen?

Thomas Marquardt (SPD): Nein. Ich möchte erst zu Ende sprechen. – Gleichzeitig setzen wir auch auf die behördlichen und betrieblichen Datenschutzbeauftragten, die für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen vor Ort zuständig sind. Datenschutz muss in erster Linie dort vor Ort sichergestellt werden, wo die Daten auch gesammelt werden.

Darüber hinaus sieht Ihr Antrag vor, dass eine Überprüfung der Videoüberwachung durch die, wie Sie es nennen, interessierte und aktive Zivilgesellschaft erfolgen soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das geht zu weit. Ihr Transparenzgedanke ist zwar löblich, verkennt an dieser Stelle aber die Notwendigkeit von demokratischer Legitimation der überwachenden Stellen. Bei Kontrolle der Videoüberwachung geht es nicht alleine darum, diese nur infrage zu stellen. Ein verantwortlicher Datenschutz setzt sich auch mit den Motiven der datenverarbeitenden Stelle auseinander und berät, wie die Videoüberwachung gesetzeskonform ausgestaltet werden kann. Dies alles kann nur von einer demokratisch legitimierten Institution wie dem Landesdatenschutzbeauftragten gewährleistet werden und nicht von einer interessierten und aktiven Zivilgesellschaft, wie Sie es nennen.

Unsere Vorbehalte habe ich Ihnen genannt. Wir stimmen dennoch der Überweisung in den zuständigen Ausschuss zu. Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Marquardt, für die Fraktion der Piraten hat sich der Abgeordnete Kern zu einer Kurzintervention gemeldet. – Herr Kollege Kern, Sie haben das Wort.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Marquardt, Sie sprachen davon, dass die Videoüberwachungssysteme ja von den Behörden bzw. vom Landesdatenschutzbeauftragten überprüft werden können. Ich frage Sie aber: Wie soll er dieser Aufgabe nachkommen, wenn überhaupt kein Überblick darüber besteht, welche Überwachungskameras im ganzen Land im Einsatz sind?

Thomas Marquardt (SPD): Flächendeckend überwachen kann der Landesdatenschutzbeauftragte sicherlich nicht. Das hatte ich ja gesagt. Er kann aber stichprobenartig überprüfen und im Einzelfall, wenn es ihm zugetragen wird, Überprüfungen anordnen. Warum muss er denn flächendeckend im gesamten Land diese Datenschutzaufsicht generell übernehmen? Das ist überhaupt nicht machbar.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Warum muss flächendeckend überwacht werden? Das ist die Frage! – Gegenruf von Minister Ralf Jäger: Wer überwacht denn flächendeckend?)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Kern, ich gehe davon aus, dass die Frage beantwortet ist.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Nein! Aber ich kann ja nicht noch einmal nachfragen!)

– Sie haben Ihre Frage gestellt. Der Kollege Marquardt hat die Antwort gegeben. – Bitte schön.

Thomas Marquardt (SPD): Ja. Ich habe meine Rede auch beendet. – Schönen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Marquardt. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Golland das Wort.

Gregor Golland (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag der Piratenfraktion soll in Nordrhein-Westfalen eine gesetzliche Meldepflicht für Kameras und Kameraattrappen eingeführt werden, die von öffentlichen, also staatlichen, Stellen betrieben werden. Die auf diese Weise gemeldeten Kameras sollen dann in ein öffentliches Register eingetragen werden, das über das Internet einsehbar sein soll. In einem weiteren Schritt soll per Bundesratsinitiative die Erfassung privater Kameras erfolgen.

(Beifall von Daniel Schwerd [PIRATEN])

Wie schon bei zahlreichen anderen Anträgen, die die Piratenfraktion in dieser Wahlperiode eingebracht hat, stellt sich auch hier die grundlegende Frage: Was, bitte schön, soll das Ganze? Dass Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, angesichts der gewaltigen Probleme, die unser Bundesland zu bewältigen hat, nichts Besseres einfällt, als die Schaffung eines Kameraregisters zu fordern,

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Uns fallen auch noch andere Sachen ein!)

zeigt wieder einmal, wie weit Sie von der Realität und den Problemen der Menschen in diesem Land entfernt sind.

(Beifall von der CDU – Zurufe von den PIRATEN: Nicht weiter als Sie! – Letztes Jahrhundert!)

Erstaunlich ist aus meiner Sicht einmal mehr, welches tiefe Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen aus dem vorliegenden Antrag der Piratenfraktion spricht.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Daniel Schwerd [PIRATEN]: Checks and Balances!)

Anders kann ich es mir jedenfalls nicht erklären, dass sich die von Ihnen geforderte Meldepflicht und das damit verbundene Register auf alle Kameras, die von öffentlichen Stellen betrieben werden, beziehen.

Im Gegensatz zu öffentlich betriebenen Kameras, die der Sicherheit unseres Staates und seiner Einrichtungen dienen, gibt es zudem noch eine viel größere Anzahl privater Videoüberwachungsstellen.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das hat niemand bestritten!)

In jeder Bankfiliale, in jeder Tankstelle und in vielen Einkaufszentren werden aus gutem Grund ebenfalls Überwachungskameras betrieben. Darüber hinaus sichern immer mehr Bürgerinnen und Bürger ihr Haus oder ihre Wohnung damit zum Schutz vor Vandalismus, Einbruch und Gewalt.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es liegt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulz vor.

Gregor Golland (CDU): Später. – Das tun sie auch aus gutem Grund. Ich erinnere daran, dass uns in der jüngsten Kriminalitätsstatistik wiederholt die Ohnmacht unseres Innenministers zum Beispiel gegenüber professionellen Einbrecherbanden drastisch belegt worden ist.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Würden sie jetzt die Zwischenfrage zulassen?

Gregor Golland (CDU): Bitte am Ende. – Sicherheit und Schutz sind elementare Grundrechte der Menschen. Niemand installiert Kameras aus Spaß oder weil er gerne viel Geld für seine Sicherheit ausgibt. Leider sind sie aber inzwischen eine häufig notwendig gewordene Schutzmaßnahme für Menschen und Eigentum.

Selbstverständlich verhindert Videoüberwachung nicht jede Straftat.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Aha!)

Sie schreckt aber vor Taten ab, vermeidet diese und hilft vor allem bei der Aufklärung derselben.

(Beifall von der CDU – Torsten Sommer [PIRATEN]: Das Gegenteil ist bewiesen!)

Meine Damen und Herren, ich denke hier beispielsweise nur an die Ermittlungen beim gescheiterten terroristischen Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof. Es war ein Glück, dass die Kameras einer McDonald’s-Filiale wichtige Aufnahmen eines Täters gemacht haben.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Die Bahnhofskameras haben nicht aufgezeichnet!)

Im Übrigen geht es auch darum, den Menschen ein subjektiv besseres Sicherheitsgefühl zu geben, welches ihnen die Teilhabe am öffentlichen Leben erleichtert. Gerade ältere Mitbürger trauen sich kaum noch, in den Abendstunden in deutschen Großstädten mit Bussen und Bahnen zu fahren.

(Zurufe von den PIRATEN)

Fragen Sie einmal die Menschen. Ich bin mir sicher, dass wir …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Golland, es gibt den Wunsch des Kollegen Schwerd nach einer Zwischenfrage.

Gregor Golland (CDU): Kann ich das bitte am Ende machen?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Gregor Golland (CDU): Fragen Sie einmal die Menschen. Ich bin mir sicher, dass die große Mehrheit die dortige Videoüberwachung ausdrücklich begrüßt. Wir brauchen in Nordrhein-Westfalen mehr Sicherheit und nicht weniger.

(Zurufe von den PIRATEN)

Dank rot-grüner Versäumnisse steht NRW eh schon lange am unteren Ende bei der Kriminalitätsbekämpfung. Ihr Antrag ist teuer, bürokratisch und gegen die Interessen der Menschen gerichtet.

(Beifall von der CDU)

Es geht Ihnen einmal wieder nicht um Transparenz und Datenschutz, sondern nur darum, fortgesetzt das Misstrauen gegenüber unserem Rechtstaat und der öffentlichen Verwaltung in Deutschland zu schüren.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dabei werden wir als CDU-Fraktion sicherlich nicht mitmachen. Den vorliegenden Antrag wird meine Fraktion deshalb im Ergebnis ablehnen. Der vorherigen Überweisungsempfehlung an den Innenausschuss stimmen wir selbstverständlich zu. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es liegen nun zwei Fragen und eine Kurzintervention vor.

Zunächst die Frage von Herrn Abgeordneten Schulz. Bitte schön.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Golland, Sie hatten eben ausgeführt, dass aus unserem Antrag eine Art Misstrauen gegenüber dem Staat insofern herauszulesen sei, als wir den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen wollten, eine Übersicht darüber zu gewinnen, wo sie überall überwacht werden.

Würden Sie es, Herr Kollege Golland, als Misstrauen des Staates und der öffentlichen Hand gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes ansehen, dass sie im Bereich der öffentlichen Gebäude überwacht werden?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Golland.

Gregor Golland (CDU): Ich kenne nicht Ihr Staatsverständnis. Mein Staatsverständnis – ich denke, das entspricht der Mehrheit in diesem Hohen Hause – ist, dass der Staat seine Bürgerinnen und Bürger schützen möchte und muss.

(Zurufe von den PIRATEN)

Sie haben mich gefragt, und Sie erhalten eine Antwort. Also hören Sie bitte zu.

(Zuruf von den PIRATEN: Ja! Ja!)

Das tut er unter anderem mit der Nutzung von Videotechnologie. Das macht er nicht, weil er gerade zu viel Geld im Haushalt hat – der Innenminister kann da bestimmt zustimmen –, sondern das macht er aus gutem Grunde. Denn es sind schützenswerte Einrichtungen, die überwacht werden, und dadurch können Straftaten verhindert und aufgeklärt werden, so, wie ich es eben ausgeführt habe.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Golland. Nun gibt es eine Zwischenfrage des Kollegen Schwerd.

Gregor Golland (CDU): Ja.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herzlichen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Golland. – Sie haben sehr viel darüber gesprochen, ob Kameras gut oder weniger gut sind. Müssen Sie mir aber nicht zustimmen, dass das für den Umstand, dass man diese Kameras in ein Register einträgt, überhaupt keine Rolle spielt?

Gregor Golland (CDU): Ich habe doch gesagt, dass ein solches Register einen großen bürokratischen Aufwand verursachen würde.

(Daniel Schwerd [PIRATEN]: Das kann ich bestreiten!)

Es wäre teuer und am Ende überflüssig. Ich frage mich: Was wollen Sie damit erreichen? Die Notwendigkeit der Videoüberwachung an diesen Stellen wird doch nicht infrage gestellt.

(Daniel Schwerd [PIRATEN]: Nein, das wird es auch nicht!)

Es ist schlichtweg nicht zielführend.

(Daniel Schwerd [PIRATEN]: Hat keinen Zweck!)

Keine weiteren Fragen? Danke schön, meine Damen und Herren.

(Zuruf: Eine Kurzintervention!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, ich bitte Sie, noch einen Moment am Rednerpult zu bleiben. Es geht um eine Kurzintervention vom Kollegen Herrmann.

Gregor Golland (CDU): Ja, bitte, natürlich.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Golland, ich habe in meinem Antrag diverse Gründe aufgeführt, warum ein Register eine gute Sache wäre. Denn zu wissen, was da ist, ist grundsätzlich nicht schlecht. Wir werden auch im Ausschuss interessante Gespräche darüber führen. Ich bin gern bereit, Ihnen noch weitere Argumente auf den Weg zu geben. Zum Beispiel unterstützt ein solches Register sicherlich auch die Arbeit des Landesdatenschutzbeauftragten, um einen Überblick zu geben, wo er tätig sein kann und wie er seine Stichproben organisieren kann.

Dass keine Kamera Verbrechen bisher verhindert hat, kann man erwähnen. Das sollte auch bekannt sein.

(Minister Ralf Jäger: Die These ist gewagt!)

Wenn Sie in Ihrem Bereich Studien haben, die das Gegenteil belegen, bin ich sehr daran interessiert und bitte Sie, sie mir zu überlassen.

Es gibt einen Punkt, den Sie an unserem Antrag bemängelt haben, nämlich dass wir Kameras von Privaten nicht erfassen wollen. Sie sagten, dass es viel mehr seien. Ich habe am Schluss meiner Rede erwähnt, dass wir das natürlich sehr gern machen würden, weil die meiste Videoüberwachung im Moment tatsächlich im privatwirtschaftlichen Bereich passiert. Leider ist es unserer Auffassung nach nicht möglich, mit Landesgesetzen eine Regelung herbeizuführen, privatwirtschaftlich eingesetzte Überwachungstechnologie in ein Register zu überführen. Wenn Sie einen Tipp hätten, dass das doch geht, wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Golland.

Gregor Golland (CDU): Erstens habe ich schon erwähnt, dass Sie auch Kameras von Privaten erfassen wollen. Das habe ich direkt am Anfang gesagt.

Zweitens halte ich das für einen starken Eingriff in die Privatsphäre und in die Entscheidungsfreiheit von Privatleuten und Unternehmen und lehne das schon deshalb rundweg ab.

Drittens. Der Innenminister hat Ihnen gerade zugerufen, dass Kameras keine Straftaten verhinderten, sei eine gewagte These. Ja, lieber Ralf Jäger, da bin ich einmal einer Meinung. Genauso ist es.

Natürlich verhindern Kameras Straftaten. Aber wie wollen Sie das bitte messen? Sie können es doch wohl nachvollziehen, dass es in Bussen und Bahnen zu weniger Gewalt kommt – wenn auch immer noch zu viel –, weil Kameras dort hängen.

(Beifall von der CDU)

Selbst wenn sie es nicht immer verhindern können, das Entdeckungs- und Aufklärungsrisiko für den Täter ist viel höher und dadurch die Möglichkeit der Strafverfolgungsbehörden, dieses Verhalten zu ahnden.

Ich verweise noch einmal auf das Beispiel am Bonner Hauptbahnhof. Ich halte es für extrem wichtig, diese modernen Einsatzmittel zu nutzen, um Straftaten aufzuklären. Wir wollen doch nicht unbescholtene Bürger beobachten. Vielmehr setzen die öffentliche Behörden Kameras gezielt da ein, wo sie notwendig sind. Das wird vorher geprüft. Das kostet schließlich Geld.

Deswegen appelliere ich noch einmal an Sie: Überprüfen Sie Ihr Staatsverständnis, also Ihr Verhältnis zu unserem Staat, zu unserem Land, und überlegen, welche Position Sie zur inneren Sicherheit in Zukunft einnehmen. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU – Zuruf von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Golland. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man nach Herrn Golland sprechen darf, ist das ja immer ein Vergnügen. Vor allem muss man sich im Vorfeld nicht unbedingt eine Rede zurechtlegen. Denn es reicht eigentlich, wenn man genau das Gegenteil von dem sagt, was er gesagt hat. Dann ist man eigentlich immer schon auf einer ganz guten Seite.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir hören von Ihnen ja immer die Statements nach dem Motto: Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. – Diese Haltung, Kollege Golland, ist nicht nur inhaltlich grundfalsch, sondern sie ist auch gefährlich, weil sie zum Teil an Grundfesten unseres Rechtsstaates rührt.

(Zuruf: So ein Quatsch!)

Wenn Sie hier erzählen, wenn man Bürgerrechte einfordert, dann sei das Misstrauen gegen den Staat, sage ich Ihnen: Kollege, das Grundrecht auf Sicherheit, das Sie hier immer herbeizitieren, gibt es so nicht. Das steht so nicht im Grundgesetz.

(Zuruf von den PIRATEN: Supergrundrecht!)

Aber dafür stehen im Grundgesetz jede Menge Freiheitsrechte. Vielleicht setzen Sie sich ja damit auch mal auseinander.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Es ist natürlich völlig legitim – da bin ich dem Kollegen Marquardt sehr dankbar –, sich kritisch mit Videoüberwachung auseinanderzusetzen. Videoüberwachung ist ein Grundrechtseingriff. Das haben wir auch in den zurückliegenden Debatten zu diesem Thema festgestellt.

Gerade in der Debatte über die Antwort auf die Große Anfrage 7 hat meine Kollegin Verena Schäffer das so klargestellt und vor allem den Blick gelenkt auf das wirklich brennende Problem der Videoüberwachung durch Private. Da geht es auch um keine Neuigkeit. Es ist auch keine Neuigkeit, dass der technische Fortschritt da neue Möglichkeiten eröffnet, was auch nicht immer im Sinne der Freiheit ist, weil viele Entwicklungen weitere Freiheitseinschränkungen mit sich bringen. Auch darüber haben wir gesprochen.

Videoüberwachung muss den Verhältnismäßigkeitsgeboten entsprechen. Sie muss dem Grundsatz der Datensparsamkeit genügen. Informationelle Selbstbestimmung heißt, dass Überwachung nicht dazu führen darf, dass jemand sein Verhalten ändert, weil er fürchten muss, dass dieses Verhalten als nicht normgerecht aufgefasst wird und ihm deswegen Nachteile drohen.

Das war jetzt eine längere Vorbemerkung, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber ich fand sie angesichts meines Vorredners durchaus notwendig.

Zum Antrag der Piratenfraktion: Sie fordern die Einführung eines öffentlichen Registers über Videoüberwachung. Das wurde beispielsweise in Bremen vor einigen Jahren auch beschlossen und ist kürzlich an den Start gegangen.

Ich finde, man sollte sich durchaus die Erfahrungen, die dort gemacht wurden, anschauen. Man muss aber dann auch die Fragen stellen: Welchen Beitrag zur Sicherung der Freiheitsrechte hat das Register geleistet? Wie oft wurde auf das Register zugegriffen? Gibt es Rückmeldungen von den Bürgerinnen und Bürgern darüber, wie das angenommen wird? Welchen Aufwand bringt das für öffentliche Stellen? Auch das ist hier thematisiert worden. Mit welchem Aufwand müssen sie rechnen, wenn sie die Daten zuliefern müssen? Das sind Fragen, die man im Ausschuss aus meiner Sicht durchaus kritisch und kontrovers diskutieren kann.

Aber wir müssen festhalten: Sie haben bereits eine Wasserstandsmeldung darüber, wie es um die Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen steht.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Das wissen Sie aus der Antwort auf die Große Anfrage, die ich gerade zitiert habe. Auch wenn Ihnen das Ergebnis nicht gefallen hat, haben wir da doch einen Grundstock an Daten. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, soll dieser Datensatz jetzt fortgeschrieben werden unter anderen Modi Operandi. Das müssen wir aus meiner Sicht aber klären. Ich habe es so wahrgenommen, dass es über Ihren Antrag durchaus unterschiedliche Verständnisse gibt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schulz?

Matthi Bolte (GRÜNE): Ja, klar.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank, Herr Kollege Bolte, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie hatten gerade gesagt, dass man bezogen auf Bremen einmal prüfen müsse anhand einer Zugriffszahl auf dieses Register, ob und inwieweit das dem Grundrecht auf Freiheit, dem Menschenrecht auf Freiheit in irgendeiner Form vorteilhaft zugute kommt. Würden Sie, Herr Kollege Bolte, Freiheitsrechte als messbare Größe ansehen?

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Kollege Schulz, vielen Dank für diese Frage. Sie fragen mich, ob man Freiheit messen kann. Das ist natürlich Quatsch, diese Frage so zu stellen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich gehe, ehrlich gesagt, davon aus, dass Sie mich intellektuell verstanden haben. Denn so schätze ich Sie zumindest ein für diese Basisoperation, dass Sie dazu in der Lage sind. Ich habe gesagt: Es gibt ein solches Register, wie Sie das vorschlagen, in Bremen. Wenn Sie so einen Vorschlag machen, kann man sich zumindest die Erfahrungen angucken, die damit in Bremen gemacht wurden.

Ich finde, das ist durchaus legitim, das so zu sagen. Das ist auch keine Abqualifizierung irgendwelcher Freiheitsrechte. Ich habe auch nicht irgendwelche seltsamen Formeln aufmachen wollen oder Ähnliches. Ich bin mir ziemlich sicher, Sie haben mich da verstanden und wollten jetzt in dieser Debatte noch ein bisschen rumtrollen. Das können Sie meinetwegen gerne machen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Aber da muss ich doch sagen: Ich glaube, Sie haben durchaus verstanden, was ich da wollte.

Letzte Bemerkung zu Ihrem Antrag: Was ich tatsächlich schwierig finde, sind Ihre Vorstellungen zum LDI. Auch das ist an einigen Stellen in der Debatte durchgekommen. Sie versuchen, eine Behörde, die ihrem Aufbau, ihrer Struktur und ihrem Auftrag nach derzeit ex post prüft, auf ex ante zu drehen. Da, muss ich zugeben, habe ich gewisse Bauchschmerzen, auch weil der LDI ja selber in den Debatten, die wir in der jüngeren Vergangenheit hatten, bei denen wir ihn auch im Innenschuss gehört haben, immer wieder vor einer solchen Entwicklung gewarnt hat und auch immer gesagt hat, dass das eigentlich zu seinem Verständnis seiner Aufgabe nicht passt. Insofern habe ich da gewisse Bauchschmerzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe jetzt einige Fragen aufgemacht, die wir im Ausschussverfahren diskutieren können. In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im Innenausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Daniela Jansen [SPD] sowie Hans-Willi Körfges [SPD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Orth das Wort.

Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Zuhören habe ich die ganze Zeit überlegt: Was ist das hier? Ist das jetzt eine Videoüberwachungs-Grund-satzdebatte? Ist das ein Zwiegespräch? Oder ist es nicht vielmehr das, was ich meine, was es ist, nämlich eine aufgeblähte Debatte um einen Antrag herum, der in der Substanz eigentlich nur abzulehnen ist, meine Damen und Herren?

(Beifall von der FDP)

Wir Liberale sind gegen flächendeckende Videoüberwachung, das ist doch gar nicht die Frage. Auch wollen wir, dass dem Staat auf die Finger geschaut wird. Herr Kollege Golland, natürlich misstrauen wir auch dem Staat. Erst einmal misstrauen wir jedem. Wir wollen Kontrolle haben. Insofern muss man, glaube ich, auch versuchen, dass der Staat möglichst wenig von den Bürgerinnen und Bürgern aufnimmt. Alles andere wäre blauäugig.

Als wir hier von 2005 bis 2010 mit einem liberalen Innenminister regiert haben, haben wir – diesen Grundsatz können Sie vielleicht auch einmal wieder hervorkramen – jedenfalls immer davon gesprochen, dass wir eine Balance zwischen Sicherheit und Freiheit wollen. Das heißt aber nicht, dass wir nunmehr wieder Untertanen werden wollen, meine Damen und Herren.

(Zurufe von den PIRATEN: Hört, hört!)

Wenn aber die Piraten in diesem Antrag hier ein Register fordern, dann muss man sich doch fragen: Wieso will eine Partei, die sich Datenschutz auf die Fahnen schreibt, nun auch noch ein solches Register?

(Beifall von der FDP)

Sie können schon heute erfahren, wo sich jede öffentlich aufgehängte Kamera befindet. Geht es Sie aber wirklich etwas an, wenn ein Privatmann eine Kamera installiert? Ich meine: nein. Privat ist privat, und dafür hat sich der Staat überhaupt nicht zu interessieren.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Aber nicht im öffentlichen Raum!)

Wenn Sie des Nachbars Katze filmen wollen, wenn sie Ihnen den Goldfisch aus dem Teich holt, ist das doch Ihre Privatsache. Das geht doch niemanden in dieser Welt etwas an.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollege Schwerd?

Dr. Robert Orth (FDP): Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, weil nämlich die Zwischenfragen der Kollegen der Piraten heute mehr Erzählwettbewerbe sind, und auf diese habe ich heute wirklich keine Lust.

(Beifall von der FDP)

Wir wollen effektiv kontrollieren, gar keine Frage. Deswegen wollen wir aber auch von Vornherein die Voraussetzungen begrenzen, Videokameras im öffentlichen Raum aufzuhängen. Die eigentliche Frage, mit der man sich auseinandersetzen muss, ist doch: Ist eine Kamera legal oder nicht? Bringt es etwas, oder bringt es nichts? Dazu muss ich sagen: Auf der Bolkerstraße in Düsseldorf hängt seit einiger Zeit eine Kamera vom Polizeipräsidenten. Es werden entlang der Straße immer mehr Kameras. Nun heißt es schon: Wir müssen auch in die Seitenstraßen schauen.

Das sind die Debatten, über die es lohnt, zu streiten; aber bitte nicht noch ein Register mehr. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Dr. Orth. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Videokameras sind kein Allheilmittel für mehr Sicherheit. Ich denke, meine Damen und Herren, darin sollten wir uns einig sein.

(Beifall von den PIRATEN)

– Klatschen Sie nicht zu früh. – Sie sind auch nicht per se eine Einschränkung von Freiheitsrechten. Ich meine, wenn wir diesen Antrag in den Ausschüssen beraten, sollten wir uns vor einem solchen Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Das tut dem Thema nicht gut.

Der Antrag der Piraten, Herr Herrmann, hat ein Manko. Zwar haben mir meine Mitarbeiter diesen Antrag umweltfreundlich auf zwei Seiten ausgedruckt. Inhaltlich bleibt er trotzdem einseitig. Das hat damit zu tun, meine Damen und Herren, dass Sie eben nicht die notwendige Differenzierung, die notwendige Abwägung unterschiedlicher Grundrechte vornehmen, sondern nur eines nach vorne stellen. Deshalb machen Sie es sich aus meiner Sicht zu einfach.

Sie verschweigen im Wesentlichen, aus welcher Motivation heraus, aus welchen Gründen heraus überhaupt Kameras installiert werden. Es geht nämlich in erster Linie nicht darum, diese Kameras zum Privatvergnügen, aus Voyeurismus oder als Beschäftigungstherapie aufzustellen. Ihr Antrag geht da sehr in Richtung eines Generalverdachtes. Im Wesentlichen werden diese Kameras aufgestellt, um mehr Sicherheit zu erzeugen, in einzelnen Fällen Straftaten zu verhindern, aber eben auch als Beweismittel, um hinterher Straftaten aufklären zu können.

Das können im Übrigen Kameras alleine überhaupt nicht. Deshalb bin ich froh, dass wir das Instrumentarium der Beobachtung des öffentlichen Raumes durch die nordrhein-westfälische Polizei auf zwei Standorte beschränkt haben. Diese zwei Standorte kennzeichnet ein wesentliches Kriterium: Es findet nämlich keine Videoaufzeichnung nur mal so statt, sondern hinter der Kamera sitzen Polizeibeamte, und Einsatzkräfte sind vor Ort und können bei der Begehung von Straftaten unmittelbar eingreifen.

Herr Golland, ein schönes Beispiel dafür, dass eine solche Kamera keinerlei Straftaten verhindert: Mitten in der Düsseldorfer Altstadt – für jeden sichtbar – gibt es eine Kamera, und trotzdem gehen die Düsseldorfer oder Nicht-Düsseldorfer – die Touristen aus dem Umland –, vom Altbier beseelt, hin und hauen sich unterhalb dieser Kamera die Köpfe ein. Es ist ein schönes Beispiel dafür, dass Videokameras in der Tat Straftaten nicht unbedingt verhindern, dass aber Einsatzkräfte, wenn man sie vor Ort hat, mit den Mitteln der Videoaufzeichnung direkt zugeführt werden und Schlimmeres verhindern können.

Ich kann diesem Antrag einen positiven Aspekt abgewinnen: dass er nämlich nicht zur direkten Abstimmung gestellt ist. Das gibt uns die Chance, in den Ausschüssen eine breite Diskussion durchzuführen, genau diese Abwägung von Grundrechten miteinander zu diskutieren. Dabei sollten wir uns einige Fragen stellen und sie möglicherweise auch beantworten. Dabei geht es um die Frage der Zuständigkeit und um rechtliche Fragen. Natürlich geht es auch um die Frage des Aufwandes für die Einrichtung und die Pflege eines solchen Registers. Und wir sollten versuchen, die zentrale Frage zu beantworten: Nutzt ein solches Register tatsächlich den nordrhein-westfälischen Bürgerinnen und Bürgern?

Von daher freue ich mich auf eine hoffentlich differenziertere Debatte als hier. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Minister Jäger. – Damit sind wir am Ende der Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5280 an den Innenausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Rechtsausschuss. Die abschließende Beratung und die Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Es ist einstimmig so überwiesen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

11       Gesetz zur Änderung des Kirchensteuer­ge-setzes und des Kirchenaustrittsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4775

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5371

Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/5087

zweite Lesung

Die Fraktionen haben sich inzwischen darauf verständigt, heute keine Debatte durchzuführen.

Wir kommen somit zur Abstimmung erstens über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Grünen. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – SPD und Grüne sowie die Fraktion der Piraten.

(Zuruf von der CDU: Wir stimmen zu!)

– Die CDU auch. Pardon! Wer stimmt dagegen? –

(Zuruf von der CDU)

– Hat er auch zugestimmt?

(Zuruf von der CDU: Ja!)

Gibt es Enthaltungen? – Dann bin ich wunderbar erfreut darüber. Ich habe keine Enthaltung gesehen. Dann ist das einstimmig so beschlossen, und Änderungsantrag Drucksache 16/5371 ist angenommen.

Zweitens stimmen wir nun ab über den Gesetzentwurf Drucksache 16/4775. Der Hauptausschuss empfiehlt in der Drucksache 16/5087, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Darüber stimmen wir jetzt ab – unter Berücksichtigung der zuvor beschlossenen Änderungen. Wer stimmt dem so zu? – SPD, Grüne, CDU, FDP und die Piraten sowie der fraktionslose Kollege Stein. Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Ist nicht der Fall. Damit ist auch dies einstimmig beschlossen, der Gesetzentwurf Drucksache 16/4775 mit den zuvor beschlossenen Änderungen angenommen und in zweiter Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

12       Zweites Gesetz zur Modernisierung des Vermessungs- und Katasterwesens (Zweites Katastermodernisierungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4380

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/5246

zweite Lesung

Auch hier haben sich die Fraktionen zwischenzeitlich darauf verständigt, heute nicht zu debattieren.

Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 16/5246, den Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wer stimmt dem so zu? – SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Piratenfraktion, des Abgeordneten Stein, der CDU und der FDP ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/5246 angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/4380 in zweiter Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

13       Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Bereinigung des als Landesrecht fortgeltenden ehemaligen Reichsrechts

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4661

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/5245

zweite Lesung

Hier haben sich die Fraktionen wiederum verständigt, heute nicht zu debattieren.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt mit der Drucksache 16/5245, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer stimmt dem so zu? – SPD-Fraktion und die Grünen, die CDU-Fraktion sowie Herr Stein. Wer stimmt dagegen? – Die FDP-Fraktion. Und wer enthält sich? – Die Piratenfraktion. All das ist zusammengefasst ein eindeutiges Ergebnis. Die Beschlussempfehlung Drucksache 16/5245 ist angenommen. Der Gesetzentwurf Drucksache 16/4661 ist in zweiter Lesung verabschiedet.

Wir kommen zu:

14       Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung einer Zulage für freiwillige, erhöhte wöchentliche Regelarbeitszeit im feuerwehrtechnischen Dienst in Nordrhein-West-falen

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/4575

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/5244

zweite Lesung

Alle Fraktionen haben sich darauf verständigt, heute nicht zu debattieren.

Kommen wir zur Abstimmung. Hier empfiehlt der Innenausschuss in Drucksache 16/5244, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer stimmt dem zu? – SPD und Grüne, CDU, FDP und Piratenfraktion sowie Herr Stein. Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen im Hohen Hause? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist diese Beschlussempfehlung Drucksache 16/5244 einstimmig angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/4575 in zweiter Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

15       Gesetz zur Änderung des Landesjagdgesetzes und zur Änderung jagdlicher Vorschriften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/3457

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5357

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksache 16/5296 – Neudruck

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Herrn Meesters für die SPD-Fraktion. Sie haben das Wort, Herr Kollege.

Norbert Meesters (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Die heute vorliegende sogenannte kleine Novelle des Landesjagdgesetzes ist wichtig und notwendig, damit die verfassungsmäßige Verwendung der Landesjagdabgabe auch zukünftig gewährleistet ist.

Einige Jagdscheininhaber hatten ja die Verfassungsmäßigkeit der bisherigen Regelung bezweifelt und daher verwaltungsgerichtliche Klage eingereicht. Im Rahmen eines Erörterungstermins gab der 9. Senat des Oberverwaltungsgerichtes für NRW im August 2012 den rechtlichen Hinweis, dass es die derzeitigen Regelungen der nordrhein-westfälischen Jagdabgabe im Hinblick auf Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes an Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion für verfassungsmäßig bedenklich halte.

Diesen Hinweis haben wir und hat die Landesregierung aufgenommen. Wir begegnen ihm nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und dem Änderungsantrag. Auch der Landesjagdverband war in die Erarbeitung eingebunden und steht nach eigener Aussage grundsätzlich hinter dieser Novelle.

Welche Konsequenzen hat das nun für uns? Mit der Gesetzesänderung entfällt die Finanzierung der Oberen Jagdbehörde aus Mitteln der Jagdabgabe, da hoheitliche Aufgaben aus dem Landeshaushalt finanziert werden müssen. Damit erfolgt dann auch gleichzeitig eine Verlagerung der Aufgaben auf die Untere und die Oberste Jagdbehörde.

Die Finanzierung der Forschungsstelle aus der Jagdabgabe erfolgt nur noch für Aufgaben, die sich aus der Finanzierungsverantwortung der Jagdabgabepflichtigen eindeutig zuordnen lassen. Daraus folgt auch, dass die Obere Jagdbehörde entfällt. Die bisherigen hoheitlichen Aufgaben der Oberen Jagdbehörde werden auf das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz – LANUV – übertragen.

Außerdem wird die Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung dem Landesamt zugeordnet. Und weil dies die Mitarbeiter stark interessiert: Sie verbleibt am jetzigen Standort. Es wechselt die Plakette an der Tür und natürlich der Vorgesetzte.

Der neben dem Gesetzentwurf vorgelegte Änderungsantrag der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen im Umweltausschuss hat wichtige Aspekte aufgenommen, die im Laufe der Anhörung deutlich wurden. Den in der Anhörung von Sachverständigen vorgebrachten Bedenken wurde Rechnung getragen. Im Mittelpunkt steht dabei insbesondere die Gruppennützigkeit der Abgabe.

Im Zuge der Beratungen wurde klar: Nur durch eine eindeutige Definition und Einschränkung der Mittelverwendung lässt sich die notwendige Verfassungskonformität erreichen. Daraus ergibt sich mit der Änderung gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf eine Präzisierung des Bereichs „Bildung“, der durch den Begriff „Weiterbildung“ ersetzt wird.

Im Zuge der Anhörung wurde deutlich, dass die Öffentlichkeitsarbeit für das Jagdwesen aus Steuermitteln finanziert werden sollte. Diesem wichtigen Hinweis tragen wir Rechnung, indem die unter § 57 Abs. 3 Nr. 4 genannten Maßnahmen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit im Änderungsantrag gestrichen werden.

Dafür wird die Wildbretvermarktung als gruppennützige Tätigkeit näher bestimmt, weil sie sich auf eine Kernkompetenz der Jäger bezieht und sich somit eine spezifische Sachnähe der Abgabepflichtigen ergibt. Was mich in diesem Zusammenhang freut, ist, dass sich der Präsident des Landesjagdverbandes, Herr Müller-Schallenberg, in seiner Rede am gestrigen parlamentarischen Jägerabend dahin gehend äußerte, er hätte den Änderungsantrag zur Wildbretvermarktung äußerst positiv zur Kenntnis genommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Gesetzentwurf wird der Zielsetzung gerecht, eine gruppennützige und damit verfassungsrechtlich unbedenkliche Gesetzesregelung vorzulegen.

Erlauben Sie mir angesichts des andauernden Dialogprozesses bei der Erarbeitung der großen Novelle des Landesjagdgesetzes noch einen Hinweis: Mit der jetzt vorliegenden Novelle soll die Befristung des geltenden Jagdgesetzes bis Mitte 2015 verlängert werden. Dies ist zugleich ein Signal an den Landesjagdverband, dass sich die Landesregierung beim anstehenden und durchaus noch umstrittenen ökologischen Landesjagdgesetz Zeit für eine seriöse Beratung nimmt, um dann hoffentlich zu einem Ergebnis zu kommen, mit dem alle gut leben können.

Ich möchte festhalten, dass der Gesetzentwurf zur Änderung des Landesjagdgesetzes die richtigen Weichen stellt, um eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Jagdabgabe zu gewährleisten. Der Änderungsantrag nimmt die relevanten Hinweise aus der Anhörung auf. Deshalb findet die Beschlussempfehlung des Ausschusses selbstverständlich unsere Zustimmung. – Ich danke denen, die zugehört haben, für ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Meesters. Sie haben in Ihrer Rede von einem andauernden Dialogprozess gesprochen. Dieser findet hier im Raum ebenfalls statt.

(Heiterkeit)

Ich würde mich freuen, wenn dies etwas leiser möglich wäre. Dann kann man dem Redner besser zuhören. Wir alle hier oben hatten das Gefühl, dass es während des ersten Redebeitrags sehr laut war. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Deppe. Er hat es hoffentlich etwas leiser. Bitte schön.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen haben Sie viel Unruhe in die Jägerschaft gebracht.

(Zurufe: Oh!)

Aber ebenso verunsichert wie die Jäger sind die Landwirte und Waldbauern, die Fischer, die Menschen, die fürchten, ihr Hund könne sich mit der Fuchsräude anstecken, und die Gartenbesitzer, die fassungslos in ihren Gärten stehen, wenn die Wildschweine wieder einmal alles auf links gedreht haben. Alle diese Menschen sind verunsichert, weil Sie vor der Wahl im Mai nicht sagen, was sie im Jagdrecht wirklich im Schilde führen.

(Beifall von der CDU)

Jeder weiß, dass etwas kommt. Keiner weiß genau, was passieren wird, aber jeder weiß, dass es nicht besser, sondern schlechter werden wird – nur wie schlecht, das ist noch offen.

Die heute zu verabschiedende kleine Jagdrechtsnovelle gibt einen Vorgeschmack auf das, was Sie wirklich beabsichtigen. Hier geht es zunächst einmal um die Jagdabgabe. Die CDU will, dass die Regelung auf Dauer angelegt und vor allem verfassungskonform ist, meine Damen und Herren.

Im Vordergrund muss dabei stehen: Erstens. Die Aufgabe und die damit verbundene Ausgabe müssen speziell der Gruppe der Abgabepflichtigen zuzuordnen sein. Zweitens. Es muss eine Finanzierungsverantwortung seitens dieser Gruppe bestehen. Drittens. Eine gruppennützige Verwendung der Gelder muss gesichert sein.

Das ist der Tenor der berühmten CMA-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es führt aus, dass der Nutzen für die Abgabepflichtigen evident sein muss. Und das erreichen Sie mit diesem Gesetz nicht.

(Beifall von der SPD)

Wir haben die verfassungsrechtlichen Bedenken in unseren Gesetzesvorschlag berücksichtigt. Wenn Sie das auch getan hätten, dann hätten Sie eine präzisere Beschreibung des Aufgabenkatalogs formuliert. Darüber hinaus hätten Sie der durch das Gesetz legitimierten Landesvereinigung der Jäger ein Mitentscheidungsrecht bei den Aktivitäten der Forschungsstelle zugebilligt. Schließlich hätten Sie dafür gesorgt, dass die Mittel der Jagdabgabe vom Landeshaushalt sauber getrennt verwaltet werden. Dies ist zwingend erforderlich. Das wissen Sie, aber Sie tun es nicht.

(Norbert Meesters [SPD]: Falsch!)

Sie wollen sich nämlich den Zugriff auf die 3 Millionen € sichern, die jedes Jahr von den 80.000 Jagdscheininhabern unseres Landes aufgebracht werden.

(Norbert Meesters [SPD]: Auch falsch!)

Jägergeld in Remmel-Hand – das beabsichtigen Sie mit dieser Gesetzesänderung.

(Beifall von der CDU)

Dazu passt auch, wie Sie die Forschungsstelle zum LANUV verschieben wollen. Wir wollen, dass diese mittlerweile sehr gut anerkannte Forschungsstelle weiterhin als Dienststelle unter dem Dach des Landesbetriebs Wald und Holz NRW erhalten bleibt. Das wollen auch die Beschäftigten, Herr Meesters.

Die Stellungnahme des Bundes Deutscher Forstleute und somit der zuständigen Gewerkschaft war dermaßen eindeutig, wie sie es eindeutiger nicht hätte sein können. Aber das interessiert Sie nicht. Was ist bloß aus der SPD geworden?

(Zurufe: Oh!)

Sie haben einmal etwas darauf gegeben, wenn die Gewerkschaften etwas gesagt haben. Aber wenn die Grünen die Marschrichtung vorgeben, dann folgt die SPD ganz artig. Arbeitnehmerinteressen und SPD – das war einmal.

(Beifall von der SPD)

Sie werden mit dieser Gesetzesänderung die Jagdabgabe nicht rechtssicher machen. Sie provozieren geradezu weitere Klagen. Und ich behaupte, Sie nehmen zumindest billigend in Kauf, dass die Jagdabgabe eines Tages komplett von den Gerichten gekippt wird. Ich behaupte sogar – und damit gehe ich noch einen Schritt weiter –, dass Ihnen das sogar recht wäre.

Sie wissen, dass das Jagdwesen ohne die Abgabe in Nordrhein-Westfalen geschwächt würde, dass ohne die Jagdabgabe eine ausreichend große Zahl von Schießständen nicht auf den neuesten technischen Stand gebracht werden kann. Sie wissen außerdem, dass die Versuchsreviere ohne die Jagdabgabe nicht zu unterhalten sind. Am Ende würde die Jagd geschwächt – und das ist offenbar das, was Sie beabsichtigen. Das passt zu der Linie, die die Landesregierung seit 2010 verfolgt.

Wir, meine Damen und Herren, bekennen uns zu einem funktionsfähigen Jagdwesen in Nordrhein-Westfalen. Dazu gehört als ein Mosaikstein auch eine funktionierende Jagdabgabe.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Deppe, der Trachtenjanker hat Ihrer Rede auch nicht wirklich weitergeholfen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Zu Beginn möchte ich, Herr Deppe, zwei Dinge feststellen. Es zeigt sich schon an dieser kleinen Stelle, dass das, was Sie uns seit zweieinhalb Jahren vorpredigen und vorbeten, nämlich das ewige Mantra vom bewährten deutschen Jagdrecht, nicht stimmt und dass wir recht haben, dass nämlich jedes Gesetz hin und wieder zu überprüfen und zu modernisieren ist.

(Unruhe von der CDU und der FDP)

Es gibt immer wieder die Notwendigkeit, auf gesellschaftlichen Wandel, auf rechtliche Veränderungen einzugehen. Das haben wir an der Stelle mit der Gruppennützigkeit getan. An anderer Stelle werden wir es mit der großen Novelle machen, in der es unter anderem um Tierschutz geht.

Diesen großen Überarbeitungsbedarf, den Sie von der CDU und von der FDP immer wieder leugnen, gibt es einfach. Ich glaube, feststellen zu können, dass Sie da sogar dem Landesjagdverband eindeutig hinterher hinken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was man heute auch feststellen muss, Herr Deppe: Wenn wir keine Jagd mehr wollten, dann würden wir an dieser Stelle etwas ganz anderes tun. Wir aber haben die Jagdabgabe neu ausgestaltet. Und wir machen sie auch verfassungsfest. Wir haben das genau deshalb gemacht, weil wir auch in Zukunft eine Jagd in Nordrhein-Westfalen haben wollen. Wir wollen sie aber nachhaltig und ökologischer haben. Deshalb wird es weitere Änderungen geben.

Wir haben die verfassungsrechtlichen Bedenken aufgegriffen. Mit den Änderungen sind wir auf die Anregungen aus der Anhörung eingegangen. Wir haben sie völlig ausreichend verarbeitet. Ich bin mir sicher, dass das auch in Zukunft Bestand haben wird.

Wir stellen auch – da bin ich ganz anderer Meinung als die Opposition –das Mitspracherecht der Jägerschaft ausreichend dar. Sie kann mitreden, was mit den Mitteln zukünftig gemacht wird, wie sie verwendet werden.

Der Vorschlag der CDU – oder soll ich besser sagen: der Vorschlag des Landesjagdverbandes, denn von dort stammte er –, diese Gelder direkt dem Landesjagdverband zur Verfügung zu stellen, ist aus unserer Sicht absolut indiskutabel. Wenn der Landesjagdverband Geld hätte haben wollen, dann hätte er vielleicht selbst für die Abschaffung der Jagdabgabe plädieren sollen. Dann muss man sich selbst darum bemühen, die Mittel einzuwerben. Da muss man höhere Mitgliedsbeiträge einnehmen. Dann kann man über eigene Mittel verfügen.

Aber der Weg, dass der Staat die Jagdabgabe eintreibt und sie an den Jagdverband weiterleitet, ist aus unserer Sicht überhaupt nicht machbar, ist vor allem auch deshalb nicht machbar, weil gar nicht alle Jäger im Landesjagdverband organisiert sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das geht überhaupt nicht.

Wir hätten dann Abgabepflichtige mit der Pflicht zu zahlen, die aber keinerlei – auch kein indirektes – Mitspracherecht hätten, was mit den Geldern passiert. Deshalb ist der jetzt geplante Weg über den Jagdbeirat aus unserer Sicht deutlich besser. Dadurch wird Mitsprache garantiert. Es wird vor allem eine klare Transparenz über die Verwendung der Mittel ermöglicht.

Herr Meesters hat es angesprochen: Auch die Straffung der Jagdverwaltung wird jetzt vollzogen, weil die Mittel der Jagdabgabe nicht mehr zur Mitfinanzierung der Oberen Jagdbehörde verwendet werden dürfen. Wir halten es allerdings auch für einen Schritt, der die Jagdverwaltung insgesamt verbessern wird.

Wir verlängern das Jagdrecht noch einmal um ein halbes Jahr. Das ist unserer Meinung nach ein völlig ausreichender Zeitraum, um den Prozess abzuschließen. Wir haben einen langen Dialogprozess hinter uns. Ich glaube, dass wir allen Beteiligten hinreichend Gelegenheit gegeben haben, sich einzubringen. Von daher macht es auch Sinn, dass wir das Jagdrecht wirklich auf die Zielgerade bringen und nicht noch einmal auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben, wie Sie von der CDU es gewollt haben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Deppe?

Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett von Ihnen. – Bitte schön, Herr Deppe.

Rainer Deppe (CDU): Herr Kollege Rüße, Sie haben eben bei der Verwendung der Jagdabgabe darauf hingewiesen, dass Sie vorgesehen hätten, dass der Jagdbeirat mit einbezogen wird und über die Verwendung der Jagdabgabe entscheidet. Haben wir dann zu erwarten, dass Sie gleich noch einen Änderungsantrag einbringen? Denn im Gesetzentwurf, den Sie hier vorlegen, steht davon natürlich kein Wort.

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Das wird man untergesetzlich regeln. Das wissen Sie auch. Der Jagdbeirat wird entsprechend beteiligt.

Aus unserer Sicht ist dieser hier vorgelegte Gesetzentwurf ein erster kleiner Baustein, das Jagdrecht in Nordrhein-Westfalen zu modernisieren und zu einem Jagdrecht zu kommen, das gesamtgesellschaftlich akzeptiert ist und nicht nur von einer einzelnen Gruppe, von den Jägern, vielleicht auch von ein paar anderen Gruppen. Was wir brauchen, ist, dass die gesamte Gesellschaft das Jagdrecht akzeptiert, damit die Jagd in Nordrhein-Westfalen eine Zukunft hat. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rüße. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Busen.

Karlheinz Busen (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer der Kernpunkte dieser Novelle – das ist schon deutlich geworden – ist die Neugestaltung der Jagdabgabe. Die Jagdabgabe ist wichtig und ihr Nutzen für die Jägerschaft im Kern unstrittig.

Umso erschreckender finde ich, wie leichtfertig Rot-Grün hier mit dieser Abgabe umgeht. Wir hatten eine Anhörung zur Novelle, bei der die Experten klar und deutlich gemacht haben, dass eine Sonderabgabe sehr sorgfältig begründet werden muss und eindeutig der Nutzen für die Abgabe und für die zahlende Gruppe im Vordergrund stehen muss.

Alle Experten hatten Zweifel an der Tauglichkeit und Verfassungsmäßigkeit der aktuellen Fassung zur Jagdabgabe in dieser Novelle. Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat die bislang gültige Fassung zweimal moniert. Und alles, was Ihnen einfällt, um die Abgabe verfassungsgemäß zu gestalten, ist das Schlagwort Wildbrettvermarktung.

Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Herr Minister. Glauben Sie, dass das Oberverwaltungsgericht durch diesen Zusatz beim nächsten Mal gnädiger wird? Sie laufen sehenden Auges in die Falle.

Ein so wichtiges Instrument wie die Jagdabgabe, mit der Natur und Tierschutz gefördert werden, mit der wichtige Leistungen für die Jägerschaft finanziert werden, diese Abgabe können Sie hier doch nicht so leichtfüßig auf tönerne Füße stellen. Bereits die ersten Musterklagen gegen die Abgabe werden die Fehler in Ihrem Gesetz offenbaren.

Herr Minister, Sie sagen immer gern: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. – Aber in diesem Fall muss ich leider sagen: Es war weder gründlich noch schnell.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es wäre wirklich schade, wenn die Jägerschaft durch diese Ignoranz am Ende auf die Mittel der Jagdabgabe verzichten müsste, weil sie erneut für unzulässig erklärt würde.

Deshalb unterstützen wir auch den Antrag der CDU. Diese Änderungen sind dringend notwendig, um die Jagdabgabe sicher zu erhalten. – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Busen. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer draußen im Stream und hier im Saal! Die Piratenfraktion wird im Plenum wie auch schon im zuständigen Ausschuss der vorliegenden kleinen Jagdrechtsnovelle zustimmen.

Die in der Anhörung vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der Gruppennützigkeit der Verwendung von erhobenen Gebühren und Abgaben sehe ich mit der vorgeschlagenen Änderung in § 57 Abs. 3 zunächst einmal ausgeräumt – unter dem Vorbehalt, dass ich kein Jurist oder sogar Verfassungsexperte bin.

Aber immerhin besteht Handlungsbedarf – auch wegen des entsprechenden rechtlichen Hinweises des Oberverwaltungsgerichts aus dem Sommer 2012, der hier schon erwähnt wurde. Deshalb ist es richtig, damit nicht bis zum neuen Jagdgesetz zu warten.

Mit der Änderung der dreistufigen Struktur der Jagdbehörden in eine zweistufige verbinden wir auch die Hoffnung auf Kosteneinsparung bei verbesserter Effizienz. Wir teilen da nicht die im Ausschuss und die hier im Plenum vorgetragenen Bedenken der CDU. Insbesondere handelt es sich in unseren Augen nicht um eine Abstrafungsmaßnahme gegen die Forschungsstelle, wie es im Ausschuss formuliert wurde.

Ein Kompetenzverlust ist ebenfalls nicht zu erwarten. Denn die durch die Strukturreform nötigen Versetzungen führen nicht dazu, dass die Kompetenz der Mitarbeiter verloren geht. Sie sitzen nur in einer anderen Dienststelle mit einem anderen Namen. Ihre Kompetenzen, die unbestritten sind, nehmen sie mit.

Der Laufzeitverlängerung des alten Jagdgesetzes um ein halbes Jahr stimmen wir ebenfalls zu, weil dadurch Zeit für einen besseren großen Wurf beim neuen ökologischen Landesjagdgesetz gewonnen wird. Besonders ergibt sich dadurch die Chance einer intensiveren Beteiligung aller Interessierten: der Jagdverbände, der Naturschutzorganisationen und der Tierschützer. Diese Partizipation ist uns wichtig. Deshalb: Zustimmung auch zu diesem Punkt. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rohwedder. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte es mir jetzt einfach machen, weil in der Debatte hier und im Ausschuss schon alles gesagt wurde. Das ist ein gutes Gesetz. Es gab eine gute Beratung und gute Änderungsanträge. Insofern kann die Landesregierung eigentlich nur Zustimmung empfehlen.

Anlass zur Diskussion gibt, dass ein Gesetz, das sich eher mit formal notwendigen Änderungen beschäftigt, so aufgeladen wird, um daraus eine polemische Zuspitzung zu machen. Deshalb muss man den einen oder anderen Vorwurf, der in dieser Debatte gemacht worden ist, geraderücken und richtigstellen.

Zum einen ist die Gesetzesänderung notwendig geworden, weil Gerichte entschieden haben, dass die Abgabe so, wie sie organisiert und verwendet wird, nämlich auch zur Finanzierung der öffentlichen Hand und der Verwaltung, nicht rechtens ist. Das wussten Sie auch schon während Ihrer Regierungszeit. Es ist auch nachweisbar, dass es schon in der Legislaturperiode 2005 bis 2010 Veränderungsvorschläge gegeben hat. Sie hatten nur nicht die politische Kraft, diese Vorschläge entsprechend umzusetzen. Das passiert jetzt formal mit diesem Gesetz.

(Beifall von Norwich Rüße [GRÜNE])

Zum Zweiten war und ist damit verbunden, dass sich, wenn man die Verwaltung nicht mehr daraus finanziert, automatisch die Frage einer zweistufigen Jagdverwaltung stellt. Das heißt, dass die mittlere Behörde, die derzeit beim Landesbetrieb Wald und Holz angesiedelt ist, aufgeteilt werden muss.

Daraus folgt die Frage: Was passiert mit den jagdlichen Organisationen, die noch beim Landesbetrieb verbleiben, und insbesondere mit der Forschungsstelle? Auch für sie muss es eine gute organisatorische Anbindung geben. Wir kehren zurück zu der Organisation, die bis 2006 bestanden hat und mehr als 13 Jahre lang nicht schlecht gelaufen ist.

Im Übrigen ist sie fachlich auch zu rechtfertigen: Über 60 % der Arbeit der Forschungsstelle beschäftigt sich mit dem Offenland. Insofern ergeben sich gute Synergien mit den Naturschutzbehörden und den naturschutzfachlichen Fragestellungen, die beim LANUV organisiert sind. Das sind rein fachliche Organisationsfragen, die mit den Fragen, die Sie hier diskutiert haben, überhaupt nichts zu tun haben.

Auch mit der Abgabe will ich mich an dieser Stelle beschäftigen. Wir ändern überhaupt nichts an der Praxis, die auch die Vorgängerregierung ausgeübt hat und wie sie in vielen anderen Bundesländern – ich glaube: in fast allen Bundesländern – praktiziert wird. Die Abgabe ist gruppennützig zu verwenden. Das wird von der öffentlichen Hand organisiert.

Wir bringen zusätzliche Transparenz hinein, indem zukünftig auch der Landesjagdbeirat mit den wichtigen Förderentscheidungen befasst wird und hierzu seine Anregungen und Vorschläge machen kann. Das ist eine zusätzliche Stufe von Transparenz. Ich weiß nicht, was daran schlecht sein soll.

Ich darf abschließend daran erinnern, dass die Grundzüge des Gesetzes, also alles Wesentliche, das heute zur Abstimmung steht, vom Landesjagdbeirat am 5. Februar 2013 einstimmig verabschiedet worden ist. Insofern steht hier keine politische Streitfrage zur Abstimmung, sondern eine verwaltungsmäßig notwendige Umsetzung, die sich aus Gerichtsurteilen ergibt.

Ich bitte deshalb um Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Herr Busen hat sich noch einmal gemeldet. Sie haben noch 2:31 Minuten Redezeit. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Karlheinz Busen (FDP): Danke, Herr Präsident! Ich will noch einmal ganz kurz auf den Minister eingehen. Sie sprechen von einer aufgeladenen und polemischen Diskussion. Natürlich ist die Diskussion aufgeladen. Es geht um viel Geld.

Wenn das Verwaltungsgericht das Gesetz noch einmal kippt und 3 Millionen € flöten gehen, die wirklich für den Tierschutz und den Naturschutz eingesetzt werden sollen, stehen wir ohne die Jagdabgabe da. Darum ist es doch verständlich, dass die Diskussion aufgeladen ist. Die Leute machen sich Sorgen.

Die 80.000 Jäger denken natürlich darüber nach, wo das Geld bleibt. Das möchte ich hier noch einmal ganz klar betonen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Busen. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Damit kommen zur Abstimmung, und zwar – erstens – über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU, Drucksache 16/5357. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – CDU und FDP sowie der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer stimmt dagegen? SPD und Grüne sowie die Fraktion der Piraten. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag mit breiter Mehrheit im Hohen Hause abgelehnt.

Wir kommen – zweitens – zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/3457. Der zuständige Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen.

Wer stimmt dem zu? – SPD, Grüne, die Fraktion der Piraten. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und Herr Stein. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Die Mehrheit war ausreichend. Die Beschlussempfehlung Drucksache 16/5296 – Neudruck – ist angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/3457 in zweiter Lesung verabschiedet.

Wir kommen zu:

16       Gesetz zur Modernisierung des Verwal-tungsverfahrensgesetzes und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5230

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs hätte ich dem zuständigen Minister das Wort erteilt. Er selbst aber möchte die Rede zu Protokoll geben (siehe Anlage).

(Beifall und Zurufe: Oh!)

– Da sie gut sein soll – wie er mir sagte –, empfehle ich sie zur Lektüre.

(Heiterkeit)

Eine weitere Aussprache ist nicht vorgesehen.

Damit können wir abstimmen: Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/5230 an den Innenausschuss – federführend – sowie aufgrund einer weiteren Vereinbarung zwischen den Fraktionen auch an den Rechtsausschuss. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? Enthaltungen? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Wir kommen zu:

17       Noch nicht genehmigte über- und außerplanmäßige Ausgaben des Haushaltsjahres 2012

Antrag
des Finanzministeriums
gemäß Artikel 85 Absatz 2
der Landesverfassung
Vorlage 16/1695

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/5263

Zu diesem Tagesordnungspunkt ist keine Debatte vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt, die beantragte Genehmigung zu erteilen. Wer stimmt dem zu? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Bei Enthaltung der FDP-Fraktion, zweier Mitglieder der Piratenfraktion und des Abgeordneten Stein ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/5263 angenommen und die Genehmigung erteilt.

Wir kommen zu:

18       In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 17
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
Drucksache 16/5299 – Neudruck

Die Übersicht enthält sieben Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 c bzw. § 79 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden, sowie zwei Entschließungsanträge und fünf Änderungsanträge. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den Ausschüssen entsprechend der Übersicht 17. Wer stimmt zu, dass dieses Ergebnis richtig dargelegt ist? – Gibt es Gegenstimmen? Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist das einstimmig so bestätigt.

Wir kommen zu:

19       Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/19

Wird zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort gewünscht? – Das ist augenscheinlich nicht der Fall. Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Das sehen wir von hier oben aus auch nicht. Wenn das nicht der Fall ist, stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass diese Beschlüsse zu Petitionen - Übersicht 16/19 -bestätigt sind.

Damit, meine Damen und Herren, sind wir – entgegen dem, was vorher geplant war – heute wesentlich früher fertig. Ich hoffe, Sie können mit der verbliebenen Zeit alle etwas Wichtiges und Gutes anfangen, berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, den 27. März 2014, 10 Uhr, und wünsche allen einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 17:50 Uhr

 

Anlage

Zu TOP 16 – „Gesetz zur Modernisierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Mit diesem Gesetz übertragen wir aktuelle Änderungen im VwVfG des Bundes inhaltsgleich in unser VwVfG NRW.

Das betrifft zum einen die neuen bundesrechtlichen Regelungen zur Vereinheitlichung des Planfeststellungsrechts.

Bestimmte verallgemeinerungsfähige und verfahrensbeschleunigende Regelungen zum Planfeststellungrecht, die bislang in Fachgesetzen geregelt waren, sind damit künftig sowohl im VwVfG des Bundes als auch im VwVfG NRW normiert.

Die inhaltsgleichen Regelungen im Bundes- und Landesrecht dienen einer einheitlichen Rechtsanwendung und einer einheitlichen Auslegung der Vorschriften durch die Gerichte.

Diese verwaltungsverfahrensrechtliche Kodifikation ermöglicht auch eine Konzentration von landesrechtlichen Regelungen im Straßen- und Wegegesetz NRW.

Bisherige Regelungen zur Beschleunigung von straßenrechtlichen Zulassungsverfahren können durch Verweis auf die allgemeinen Planfeststellungsregelungen im VwVfG NRW ersetzt werden.

Zudem führen wir eine neue Vorschrift über die „frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ ein. Auch diese Änderung überträgt eine aktuelle Neuregelung im VwVfG des Bundes in das VwVfG NRW.

Sie verpflichtet die zuständigen Behörden, beim Vorhabenträger auf eine Öffentlichkeitsbeteiligung bereits vor Eröffnung des eigentlichen Genehmigungs- oder Planfeststellungsverfahrens hinzuwirken.

Ziel dieser neuen Regelung ist, die Planung von Vorhaben zu optimieren, Transparenz zu schaffen und damit die Akzeptanz von Genehmigungs- und Planfeststellungsentscheidungen zu fördern.

Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung soll auch wesentlich dazu beitragen, dass Großvorhaben insgesamt schneller verwirklicht werden können und zugleich die Bürgerbeteiligung gestärkt wird.

Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf eine simultane Übertragung weiterer aktueller Änderungen im VwVfG des Bundes in das VwVfG NRW vor.

So wird durch eine neue Regelung die öffentliche Bekanntmachung auf einen zeitgemäßen Stand gebracht. Ferner wird die behördliche Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung aus gesetzessystematischen Gründen künftig im VwVfG NRW ausdrücklich geregelt.

Weitere Modernisierungen resultieren aus Änderungen im VwVfG des Bundes infolge des im Sommer beschlossenen E-Government-Geset-zes des Bundes.

Durch die Übertragung in das Landesrecht werden die neu geschaffenen, rechtlichen Möglichkeiten zur Ersetzung der Schriftform durch andere technische Verfahren als die qualifizierte elektronische Signatur auch für die Verwaltung in Nordrhein-Westfalen nutzbar gemacht.