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Landtag                                                                                                              24.01.2013
Nordrhein-Westf

len                                                                        1533                                             Plenarprotokoll 16/21 Plenarprotokoll 16/21 Plenarprotokoll 16/21

1   Berlin/Bonn-Gesetz respektieren – Bewährte Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin dauerhaft erhalten

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1957. 1548

Dr. Gerhard Papke (FDP) 1548

Renate Hendricks (SPD) 1549

Horst Becker (GRÜNE) 1550

Ilka von Boeselager (CDU) 1551

Dietmar Schulz (PIRATEN) 1552

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 1553

Ergebnis. 1555

2   Hochschulautonomie zukunftsgerecht weiterentwickeln – Demokratische Strukturen stärken, Verantwortung des Landes wahrnehmen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1898

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1962. 1555

Karl Schultheis (SPD) 1555

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 1556

Dr. Stefan Berger (CDU) 1557

Marcel Hafke (FDP) 1558

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 1559

Ministerin Svenja Schulze. 1560

Ergebnis. 1562

3   Eltern nicht im Regen stehen lassen: U3-Rechtsanspruch erfüllen, Informationen über Ausbaustände transparent darlegen und Fachkräftemangel entgegenwirken

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1903 – Neudruck. 1562

Bernhard Tenhumberg (CDU) 1562

Marcel Hafke (FDP) 1563

Daniel Düngel (PIRATEN) 1564

Dennis Maelzer (SPD) 1565

Andrea Asch (GRÜNE) 1567

Ministerin Ute Schäfer 1569

Daniel Düngel (PIRATEN) 1570

Marcel Hafke (FDP) 1570

Ministerin Ute Schäfer 1570

Ergebnis. 1571

4   NRW für einen identitätsgerechten Umgang mit Migranten – Abschaffung der Optionspflicht

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1899. 1571

Simone Brand (PIRATEN) 1571

Bernhard von Grünberg (SPD) 1572

Andrea Milz (CDU) 1573

Jutta Velte (GRÜNE) 1574

Dr. Joachim Stamp (FDP) 1575

Minister Ralf Jäger 1576

Simone Brand (PIRATEN) 1577

Ergebnis. 1577

5   Endlich Schlussstrich unter die Nationalparkpläne Teutoburger Wald-Eggegebirge und Senne ziehen – Spaltung der Region und Verschwendung von Steuermitteln sofort beenden!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1904. 1577

Marc Lürbke (FDP) 1577

Manfred Krick (SPD) 1578

Volker Jung (CDU) 1580

Sigrid Beer (GRÜNE) 1581

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 1582

Minister Johannes Remmel 1584

Volker Jung (CDU) 1586

Sigrid Beer (GRÜNE) 1586

Minister Johannes Remmel 1587

Ergebnis. 1587

6   Kommunalsport initiieren – „Vom Verwalten zum Gestalten auf kommunaler Verwaltungsebene“

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1256

Beschlussempfehlung und Bericht
des Sportausschusses
Drucksache 16/1876. 1587

Rainer Bischoff (SPD) 1587

Wilhelm Hausmann (CDU) 1588

Josefine Paul (GRÜNE) 1589

Marc Lürbke (FDP) 1589

Lukas Lamla (PIRATEN) 1590

Ministerin Ute Schäfer 1591

Ergebnis. 1592

7   Eckpunkte für eine Reform des Länderfinanzausgleichs und der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1911. 1592

Volker Jung (CDU) 1592

Eva Lux (SPD) 1593

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 1594

Ralf Witzel (FDP) 1595

Robert Stein (PIRATEN) 1596

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 1596

Ergebnis. 1598

8   Sonderprüfungsbericht des Landesrechnungshofes Nordrhein-Westfalen: Landesregierung muss die erforderlichen Konsequenzen ziehen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1913. 1598

Sarah Philipp (SPD) 1598

Mario Krüger (GRÜNE) 1599

Peter Preuß (CDU) 1600

Dr. Joachim Stamp (FDP) 1600

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 1600

Minister Michael Groschek. 1601

Ergebnis. 1602

9   Bergbau braucht Akzeptanz – Anforderungen an eine Akzeptanzoffensive für den Bergbau in Nordrhein-Westfalen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1908. 1602

Josef Wirtz (CDU) 1602

Frank Sundermann (SPD) 1603

Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE) 1604

Dietmar Brockes (FDP) 1605

Kai Schmalenbach (PIRATEN) 1606

Minister Garrelt Duin. 1607

Ergebnis. 1608

10 Landesregierung muss endlich Gesetz zur Regelung des großflächigen Einzelhandels vorlegen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1910. 1608

Dr. Günther Bergmann (CDU) 1608

Thomas Eiskirch (SPD) 1609

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 1609

Holger Ellerbrock (FDP) 1610

Oliver Bayer (PIRATEN) 1611

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 1612

Ergebnis. 1614

Nächste Sitzung. 1614

Entschuldigt waren:

Andreas Kossiski (SPD)

Stefan Zimkeit (SPD)

Hendrik Schmitz (CDU)

Rolf Seel (CDU)

Norwich Rüße (GRÜNE)


Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie ganz herzlich zu unserer heutigen, 21. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt wie immer ganz besonders unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

(Präsidentin Carina Gödecke begibt sich vom Präsidentinnenplatz an das Redepult.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir vor Eintritt in die Tagesordnung einige Worte zu wichtigen und zentralen Gedenktagen, die sich in Kürze jähren, die ich aber schon heute für uns alle in Erinnerung rufen möchte:

Ich meine den 30. Januar 1933 und den 27. Januar 1945.

Mit dem 30. Januar 1933 begann vor nunmehr 80 Jahren das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte: die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Das Bild der Deutschen in der Welt ist seitdem verändert, und die Schatten der Vergangenheit sind bis heute gegenwärtig.

Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann eine Terrorherrschaft, die in der Geschichte einzigartig ist. Am Anfang glaubte die Machtelite noch, die Nazis bändigen zu können. Das aber war eine fatale Fehleinschätzung. Es war der Auftakt zum Holocaust.

Sebastian Haffner hat die Machtergreifung 1939 im englischen Exil so beschrieben:

„Einen Augenblick spürte ich fast körperlich den Blut- und Schmutzgeruch um diesen Mann Hitler, und ich empfand … die zugleich bedrohliche … Annäherung eines mörderischen Tiers – eine … scharfkrallige Pfote in meinem Gesicht.“

Bereits in den ersten Wochen und Monaten wurden nahezu alle Grundrechte eingeschränkt oder ganz abgeschafft, zahlreiche Abgeordnete des Reichstages und der Landtage festgenommen und ermordet.

Es kam zu einer Flucht führender Kulturschaffender und Wissenschaftler aus Deutschland.

Die ersten Konzentrationslager wurden eingerichtet, und die Nazis organisierten die ersten Übergriffe gegen Juden.

Zu viele Menschen sahen weg statt hin. Wenige, zu wenige versuchten, Einhalt zu gebieten. Und die, die es taten, bezahlten dafür oftmals mit ihrem Leben.

Dem Boykott jüdischer Geschäfte wenige Wochen nach der Machtergreifung folgten 1938 die Pogrome und schließlich die systematische Verfolgung und Ermordung von 6 Millionen Menschen jüdischen Glaubens.

Und zwölf Jahre später: Als am 27. Januar 1945 sowjetische Soldaten das Vernichtungslager Auschwitz erreichten, fanden sie nur noch wenige Überlebende, doch zig Millionen Kleidungsstücke und persönliche Gegenstände als Spuren der Opfer. Zehntausende waren kurz zuvor von der SS aus dem Lager auf den Marsch in den Tod getrieben worden. Aber auch das Leiden der Menschen in den Lagern war noch nicht beendet. Viele starben an Entkräftung. Und die, die überlebten, waren traumatisiert, voller Trauer um ihre Lieben, ohne Heimat.

„Wir hatten das Gefühl,“

– so beschrieb es die ehemalige Präsidentin des Europaparlaments, Simone Veil, als Überlebende von Auschwitz –

„jede Menschlichkeit und jeden Lebensmut verloren zu haben. Wir waren allein, und dies umso mehr, als keiner wissen und hören wollte, was wir erlebt haben.“

„Auschwitz ist ein Wendepunkt, eine Zäsur, eine Mutation von ungeheurer Dimension.“

Das stellte Elie Wiesel anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz fest und ergänzte:

„Seit Auschwitz ist alles Menschliche nicht mehr so, wie es einst war. Seit Auschwitz ist nichts mehr so, wie es einmal war.“

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, gedenken wir am kommenden Sonntag – am Internationalen Tag des Gedenkens – der Opfer des Holocaust.

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Zeit der Aufarbeitung und Auseinandersetzung, auch die Zeit der Scham und der Anerkennung einer Schuld, aus der Verantwortung wächst. Da die Zeitzeugen immer weniger werden, die uns mit ihren Erzählungen das Geschehene weitergeben können, wird das 21. Jahrhundert die Zeit des Bewahrens und Erinnerns werden:

Wir dürfen nicht vergessen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich ein Mantel des erneuten Verschweigens über uns legt. Wir haben eine Vergangenheit, und das Wissen darum muss gegenwärtig bleiben.

Deshalb brauchen wir gerade für die Zukunft eine würdige, eine zeitgemäße Kultur der Erinnerung an unsere deutsche Geschichte, die untrennbar mit dem Holocaust verbunden ist; denn jede Erinnerung ist zugleich eine Mahnung, eine Mahnung für den kompromisslosen Eintritt für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und für ein lautstarkes Nein zu jeder Form von Antisemitismus, Willkür und Diskriminierung.

Wir gedenken der Opfer. Wir halten die Erinnerung wach. Wir stellen uns unserer Vergangenheit, weil wir eine Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft tragen. – Ich danke Ihnen.

(Allgemeiner Beifall – Präsidentin Carina Gödecke begibt sich an ihren Präsidentinnenplatz zurück.)

Jetzt steigen wir in unsere Tagesordnung ein; auch das gehört zum heutigen Tag.

Für die heutige Sitzung haben sich fünf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir wie immer in das Protokoll aufnehmen.

Wir haben die freudige Pflicht und gute Tradition, die Geburtstagskinder zu beglückwünschen. Es sind gleich drei: zwei Kolleginnen und ein Kollege. Ihren Geburtstag feiert heute die Kollegin Manuela Grochowiak-Schmieding von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Herzlichen Glückwunsch, Frau Kollegin!

(Allgemeiner Beifall)

Dann gehen wir noch einmal in die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Frau Ministerin Barbara Steffens feiert heute ebenfalls ihren Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, Frau Ministerin!

(Allgemeiner Beifall)

Aus der Fraktion der SPD kommt – ohne die Daten zu nennen – das Küken in diesem Glückwunschreigen: Herr Kollege Wolfgang Jörg, der einen runden Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch!

(Allgemeiner Beifall)

Nach diesen guten Glückwünschen an unsere Geburtstagskinder treten wir endgültig in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Berlin/Bonn-Gesetz respektieren – Bewährte Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin dauerhaft erhalten

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1957

Ich eröffne die Beratung und erteile für die Fraktion der FDP Herrn Kollegen Dr. Papke das Wort.

Dr. Gerhard Papke (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben den vielen streitigen Themen, mit denen sich unser Landtag Nordrhein-Westfalen naturgemäß überwiegend befasst, gibt es auch immer wieder Themen, bei denen wir gut daran tun, die Gemeinsamkeit herauszuarbeiten. Zu den Themen, bei denen es uns in den zurückliegenden Wahlperioden immer wieder gelungen ist, die Gemeinsamkeit zu wahren und nach außen wirksam werden zu lassen, gehört das Thema „Bonn/Berlin“.

Ich erinnere daran: Als wir zum letzten Mal darüber debattiert haben – im September 2011 –, ging es darum, dem Bundesverteidigungsminister bei einer Initiative mit dem Ziel, das Bundesverteidigungsministerium möglichst vollständig von Bonn nach Berlin zu verlagern, geschlossen in den Arm zu fallen. Frau Ministerin Schwall-Düren, da haben wir über die Gemeinsamkeit hinaus, die wir im Plenum deutlich gemacht haben, auch vor Ort mit den Abgeordnetenkollegen und im Gespräch mit den Entscheidungsträgern in der Region vieles bewirken können.

Deshalb bin ich sehr froh, dass es auch heute wieder gelungen ist – aufbauend auf der Antragsinitiative der FDP –, einen gemeinsamen Entschließungsantrag vorzulegen, den wir hoffentlich am Ende der Beratung einstimmig beschließen werden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es geht nämlich darum, einen neuen und leider brandgefährlichen Angriff auf die faire Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin abzuwehren. Dieser Angriff kommt ausgerechnet von keinem anderen als vom Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, der ein früherer Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen ist. Frau Ministerpräsidentin, bei allem Respekt – Frau Ministerin Schwall-Düren ist als Rednerin angemeldet –, es ist das Gebot der Stunde, dass Sie persönlich als Ministerpräsidentin zu dieser Frage Stellung beziehen. Es ist nötig, dass Parlament und Regierung mit der heutigen Debatte ein klares Signal geben, dass wir die Verunsicherung, die durch die Steinbrück-Äußerungen entstanden ist, zurückweisen und an unserer bisherigen klaren Verteidigung der Berlin/Bonn-Vereinbarung festhalten, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Da ist auch die Ministerpräsidentin in besonderem Maße gefordert. Ich füge hinzu: Wir wissen, es gibt in allen demokratischen Parteien diese Debatten. In jeder Partei gibt es Kräfte, die immer wieder meinen, das Thema neuerlich aufwärmen zu müssen. Da sind wir alle gefordert, durch sachliche Hinweise – wir haben exzellente Argumente – dazu beizutragen, dass diese Diskussion seriös geführt wird.

Zu den guten Argumenten gehört, dass die Zahl der gefährdeten Arbeitsplätze in der Region bei über 30.000 liegt. Zu den guten Argumenten gehört, dass der Region Bonn/Rhein-Sieg ein Kaufkraftverlust von jährlich 400 Millionen € drohen würde. Zu den guten Argumenten gehört, dass sich tausende Familien in der Region auf diese Vereinbarungen von 1991 und 1994 verlassen und jetzt nicht wie Schachfiguren auf dem Brett von der Politik hin- und hergeschoben werden dürfen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es geht um die Verlässlichkeit demokratischer Politik. Jeder weiß: Der Beschluss des Deutschen Bundestages im Juni 1991, Parlament und Teile der Regierung nach Berlin zu verlagern, wäre gar nicht ohne die dem zugrunde liegende Vereinbarung zustande gekommen, dass Teile der Bundesregierung in Bonn verbleiben. Es hätte sonst keine Mehrheit für diesen Umzugsbeschluss nach Berlin gegeben – ein Beschluss auf der Grundlage der Vereinbarung, dass es bei einer dauerhaften fairen Arbeitsteilung bleibt. Und das ist im Berlin/Bonn-Gesetz von 1994 konkretisiert worden.

Meine Damen und Herren, wir kommen ja auch nicht auf die Idee, den Solidarpakt Ost infrage zu stellen, obwohl es aus der Sache heraus das eine oder andere sehr gute Argument dafür geben würde. „Pacta sunt servanda“ – das gilt auch für die Berlin/Bonn-Vereinbarung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

In der Kürze der Zeit will ich noch auf einen generellen Punkt hinweisen. Es geht hier mitnichten um irgendeinen kleinlichen Standortegoismus. Es geht in Wahrheit auch um eine Grundfrage der demokratischen Architektur der Bundesrepublik Deutschland. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben nicht ohne Grund in Art. 20 des Grundgesetzes das Bundesstaatsprinzip verankert und mit der sogenannten Ewigkeitsgarantie geschützt. Sie hatten nämlich ganz persönlich die Erfahrung machen müssen, dass Politik in Deutschland mit zunehmendem Zentralismus nicht besser, sondern am Ende immer schrecklicher geworden ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Deshalb geht es hierbei um eine Grundfrage unseres Staatsaufbaus. Wir wollen keinen neuen Zentralismus in Deutschland. Wir wollen nicht, dass immer mehr Behörden, staatliche Organe und Institutionen klammheimlich nach Berlin verschoben werden. Das sage ich in aller Deutlichkeit, weil Herr Steinbrück in diesem bemerkenswerten Interview mit dem „Tagesspiegel“ ausgeführt hat: Der Platz der politischen Entscheider ist Berlin.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

– Frau Präsidentin. – Wir weisen diese Aussage zurück. Die Bundesrepublik Deutschland wird nicht nur von Berlin aus regiert.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir wollen nicht, dass Deutschland nur von Berlin aus regiert wird. Das ist eine Grundfrage des Föderalismus. Und wir als wichtigstes deutsches Bundesland sind gefordert, als Gralshüter des Föderalismus diese Grundarchitektur der föderalen Bundesrepublik Deutschland zu verteidigen. Auch darum geht es, meine Damen und Herren.

Ich freue mich auf die weitere Debatte. Wir brauchen ein klares, eindeutiges Signal von Parlament und Regierung in dieser Frage. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Papke. – Als nächste Rednerin spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Hendricks. Alle folgenden Rednerinnen und Redner können versichert sein, dass die Präsidentin die gleiche Großmut hinsichtlich der Redezeit walten lässt.

Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir uns heute, fast 20 Jahre nach der Verabschiedung des Berlin/Bonn-Gesetzes erneut im Landtag von Nordrhein-Westfalen mit dem Gesetz beschäftigen, nachdem wir es im September 2011 getan haben, hat natürlich etwas damit zu tun, dass die Frage der Erhaltung des Berlin/Bonn-Gesetzes durch konkretes politisches Handeln auch der bestehenden Bundesregierung ausgehöhlt wird.

(Widerspruch von der CDU)

Das Gesetz sieht eine gerechte Aufteilung der Arbeitsplätze zwischen Bonn und Berlin vor.

Herr Dr. Papke, Sie haben gerade gefordert, dass sich die Ministerpräsidentin klar positioniert. Das hat sie getan. Durch die Verlagerung von ministeriellen Arbeitsplätzen, zuletzt durch den Verteidigungsminister, sind wir in der Situation, dass mittlerweile 55 % der Beschäftigten in Berlin und 45 % in Bonn tätig sind.

In einem Rechtsgutachten, das die Stadt Bonn, der Kreis Ahrweiler und der Rhein-Sieg-Kreis in Auftrag gegeben haben, wird das noch einmal sehr deutlich dargestellt. Das Berlin/Bonn-Gesetz beinhaltet einen ausformulierten Konsens. Die Entscheidung für Berlin sollte keine Entscheidung gegen Bonn sein. Bonn sollte vielmehr für den Wegfall des Hauptstadtstatus Kompensation erhalten. Und der Bundestag wollte damals auch dem föderalen Prinzip begegnen.

Das Berlin/Bonn-Gesetz schafft die Grundlagen für eine faire Arbeitsteilung, die wir bis heute bekräftigen, und ich hoffe, dass der Landtag sie heute einstimmig bekräftigen wird. Dies beinhaltet einen Ausgleich für den Wegfall des Hauptstadtstatus der Stadt Bonn, der sich in dem Verbleib der Ministerien und der Förderung der Bundesstadt als Standort für Wissenschaft, Entwicklungspolitik sowie internationale Einrichtungen widerspiegelt.

In dem an zweiter Stelle genannten Bereich konnte die Stadt Bonn seit dem Wegzug große Fortschritte machen. Durch die Ansiedlung zahlreicher internationaler Organisationen und insbesondere der Vereinten Nationen hat sich Bonn erfolgreich als internationaler Standort profilieren können.

Aber diese Entwicklungsmaßnahmen sind lediglich der zweite Bestandteil des Gesetzes. Von elementarer Bedeutung ist nach wie vor der Kernbestand des Gesetzes, der Verbleib der Regierungsfunktion in der Bundesstadt. Dies beinhaltet nach wie vor auch den Erstsitz von Ministerien, die mehrheitliche Aufteilung der ministeriellen Arbeitsplätze zugunsten von Bonn. Sechs Ministerien haben nach dem Berlin/Bonn-Gesetz ihren ersten Sitz in Bonn.

Dieser Konsens erodiert, wenn mehr als 2.000 Ministeriumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter mehr als gesetzlich festgelegt in Berlin arbeiten. Gleichwohl ist genau dieser Konsens Bestandteil des Gesetzes.

Wenn wir uns hier und heute zum Berlin/Bonn-Gesetz bekennen, dann bekennen wir uns auch zu dem Erhalt des Ministeriumsstandorts Bonn und zum Verbleib der ministeriellen Arbeitsplätze in Bonn. Herr Papke, ich denke, da sind wir uns einig. Dies ist die praktische Anwendung dessen, was gemäß des Gesetzes der dauerhaften Arbeitsteilung entspricht.

Die Arbeitsteilung hat sich bewährt. Die Aufteilung in zwei Ministeriumsstandorte hat dem Regieren nicht geschadet, sondern sogar genutzt. Die Aufteilung in die Regierungsstandorte ist kein Nachteil, sondern entspricht dem föderalen System.

Meine Damen und Herren, ein Umzug würde ein Vielfaches mehr kosten als die Arbeitsteilung, die wir zurzeit haben. Denn die Kosten für die Arbeitsteilung werden zurzeit mit 10 bis 15 Millionen € jährlich geschätzt.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Gestern waren es 9 Millionen €!)

– Gestern waren es 9 Millionen €. Ich habe gerade die Zahl „10 bis 15 Millionen €“ bekommen. Aber der Umzug würde Milliarden Euro kosten, und es rechnet sich überhaupt nicht. Gleichwohl würden wir dem föderativen System auf diese Art und Weise einen Tort antun.

Meine Damen und Herren, für den Steuerzahler ist die Berlin/Bonn-Regelung die preiswertere Lösung. Sie ist für die Demokratie die bessere Lösung. Ich hoffe daher sehr, dass wir heute hier gemeinsam diesen interfraktionellen Antrag beschließen können und damit deutlich machen, dass Nordrhein-Westfalen zu dem Gesetz, zum Standort Bonn steht. Wir wollen auf diese Art und Weise weiterhin gemeinsam und möglicherweise auch mit einem neuen Austarieren verhindern, dass Bonn eine Aushöhlung von Arbeitsplätzen erfährt und damit ein Schaden für Nordrhein-Westfalen entsteht. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Becker.

Horst Becker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Geschichte des Berlin/Bonn-Gesetzes und des Ausgleichs verfolgt, der kann, wenn man zu den Anfängen zurückschaut, sich daran erinnern, dass das Thema „Glaubwürdigkeit“ im Zusammenhang mit dem Umzug der Regierung und dem Wechsel der Hauptstadt eine große Rolle gespielt hat. Im Protokoll über diese Debattenbeiträge von damals findet man das Wort „Glaubwürdigkeit“ fast zweihundert Mal.

Glaubwürdigkeit hat aber auch etwas damit zu tun, dass Verträge eingehalten werden und sie, wenn man sie verändern will, immer nur mit den Vertragspartnern verändert werden können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Genau an dieser Stelle stimmt aber alles, was man damals gesagt hat, heute nicht mehr.

Es ist längst so, dass mit den Vertragspartnern über eventuelle Veränderungen nicht gesprochen, sondern der Vertrag kontinuierlich gebrochen wird. Der Vertrag wird seit Anfang der 90er-Jahre unter anderem deswegen gebrochen, weil damals gesagt worden ist: Mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze in den Ministerien soll in Bonn verbleiben. Anfang der 90er-Jahre waren über 11.000 Arbeitsplätze in Bonn und etwas über 6.000 Arbeitsplätze in Berlin. Heute sind über 10.000 Arbeitsplätze in Berlin und etwas über 8.000 Arbeitsplätze in Bonn.

Und die Tendenz steigt. Sie steigt beim Verteidigungsministerium; deswegen haben wir hier vor einem Jahr eine Debatte geführt. Die Tendenz steigt aber auch im Wissenschaftsministerium. Das ist deswegen besonders ärgerlich, weil im Rahmen des Ausgleichsvertrags in Bonn Hunderte von Millionen Euro in Gebäude investiert worden sind, um den Wissenschaftsstandort Bonn im Rahmen des Ausgleichsvertrags zu halten. Trotzdem – wer durch Berlin geht, kann das in diesen Tagen gut beobachten – wird in Berlin ein Ministerium für 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebaut, obwohl in Berlin nur 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wissenschaftsministeriums sein sollen.

Ich habe es schon einmal gesagt. Es ist eine Frage der Scheinwirtschaftlichkeit, die künstlich aufgebaut wird. Denn in den Kostenmieten werden als Vermietungsmieten weit über 30 € pro Quadratmeter berechnet, um in einigen Jahren festzustellen, dass man diese Erlöse nicht erzielt und man eine Wirtschaftlichkeit herstellen kann, wenn der Rest des Ministeriums nach Berlin umzieht.

Auf diese Art und Weise und nicht nur an dieser Stelle – der Bundestag macht an vielen Stellen Ähnliches – wird seit Jahren getrickst und der Vertrag gebrochen.

Meine Damen und Herren, es ist nicht allein ein Problem, wenn ein Vortragsreisender etwas sagt, was gegen das Gesetz verstößt, sondern es ist ein Problem des täglichen Regierungshandelns quer durch die Regierung der letzten zehn Jahre.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: Wenn es uns mit den guten Argumenten, die heute teilweise schon genannt worden sind, nicht gelingt, die öffentliche Debatte zunehmend für uns einzunehmen und auch mit Verbänden in den Streit zu gehen, zum Beispiel mit dem Bund der Steuerzahler, der ernsthaft erklärt hat, aus Effizienzgründen müsse es einen Gesamtumzug nach Berlin geben, werden wir 5 Milliarden € Kosten für den Umzug statt nur – ich sage bewusst „nur“; es ist ärgerlich genug – 20 Millionen € haben, wie es der Teilungsbericht des Bundestags festgestellt hat.

Wer noch nicht einmal den Bund der Steuerzahler dazu bewegen kann, angesichts dieser vom Bundesrechnungshof dargelegten Argumente davon abzurücken, nach Berlin umzuziehen, der darf sich nicht wundern, dass es in Berlin immer mehr gang und gäbe wird, sich über diesen Vertrag hinwegzusetzen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen mein Appell an alle: Es nützt nichts, an der einen Stelle über Herrn Steinbrück, an der anderen Stelle über Herrn de Maizière, an der nächsten über Frau Schavan oder über Herrn Trittin oder über wen auch immer zu schimpfen, wir müssen uns darüber verständigen, dass wir insgesamt als Parlament – übrigens: egal, wer nach der Bundestagswahl regiert – einen Einfluss darauf haben, dass das, was ich zu Anfang gesagt habe, nämlich Glaubwürdigkeit, Einhalten von Verträgen, für Nordrhein-Westfalen und auch für die Region Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis/Ahrweiler gilt.

Wenn uns das über die Fraktionsgrenzen und über die Parteigrenzen hinweg nicht gelingt, dann werden wir uns hier noch oft treffen und noch oft das Schicksal bejammern, ohne etwas zu verändern.

Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns zusammen daran arbeiten, und vergessen wir nicht, auch nach der Bundestagswahl – wer immer die Regierung bildet – dabei zusammenzuarbeiten. Das jedenfalls wäre mein Wunsch am heutigen Tage. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der CDU spricht Frau Kollegin von Boeselager.

Ilka von Boeselager (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Becker, Jammern hilft nicht, aber gemeinsam noch einmal unser Votum zu bekräftigen, ist in dieser Situation allemal sehr gut.

Als direkt gewählte Abgeordnete vertrete ich im Parlament nicht nur den Rhein-Sieg-Kreis, sondern jetzt auch die Bundesstadt Bonn. Der Bonn/Berlin-Beschluss, den wir heute Gott sei Dank noch einmal gemeinsam unterstreichen, hat aber keineswegs nur aus Sicht dieser Region eine feste Berechtigung. Die Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn, Kolleginnen und Kollegen, hat sich insgesamt bewährt, und sie funktioniert.

Weder gibt es unter dem Aspekt der Effizienz einen Grund, jetzt wieder diese Diskussion über eine Neuausrichtung des Berlin/Bonn-Gesetzes zu führen, noch unter dem Gesichtspunkt der Kosten. Im Gegenteil: Mit den Möglichkeiten moderner Technologie konnten die Teilungskosten im Laufe der Jahre erheblich reduziert werden, und zwar bis auf jetzt deutlich unter 10 Millionen €. Demgegenüber – Sie haben es eben noch einmal erwähnt, Herr Becker – stehen Milliardenbeträge, die für einen Komplettumzug nötig wären. Mit einer Milliarde können Sie 20 Jahre lange jede Woche eine Million ausgeben, nur um einmal eine Dimension herzustellen.

Für Bonn und das Umland ist es besonders kontraproduktiv, dass diese Debatte ausgerechnet jetzt wieder angestoßen wurde. Die bisherigen und künftigen Entwicklungen der Region basieren wesentlich auf dem Bonn/Berlin-Beschluss und auf dem Berlin/Bonn-Gesetz, auf der Bestandskraft und Vertrauenswürdigkeit der getroffenen Entscheidungen. Die Menschen, die hier leben und arbeiten, müssen sich auf die politischen und gesetzgeberischen Zusagen doch endlich einmal verlassen können.

Der Bund ist im Einzugsgebiet der Bundesstadt weithin der größte Arbeitgeber. Ein Komplettumzug könnte nach Schätzungen rund 30.000 Arbeitsplätze betreffen – Sie, Herr Papke, haben es eben auch so gesehen. In der Folge würden viele weitere Menschen die Region verlassen, laut Prognosen um die 25.000. Wichtige Strukturen, die in der Region auch mit Hilfe von Bundesmitteln aufgebaut worden sind, würden erheblich an Wert verlieren. Große Multiplikatoren stünden vor der Frage, ob ihre Standortentscheidung im Falle eines Komplettumzugs überhaupt noch robust ist: fast 300 Verbände, die rund 150 nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen oder auch die Stäbe der UN-Sekretariate, die in Bonn angesiedelt sind.

Auf der anderen Seite würde im Falle eine Komplettumzugs die Balance unserer bundesstaatlichen Ordnung wieder erheblich verändert. Seit der Wiedervereinigung unterstützen die Bonn/Berlin-Entscheidungen eine, wie ich finde, gute Statik zwischen einer stark wachsenden Hauptstadt Berlin mit über 3,5 Millionen Bürgerinnen und Bürgern und handlungsfähigen, selbstbewussten Bundesländern und auch im Ost-West-Gefüge der Europäischen Union. Bei einem Komplettumzug würden sich diese Gewichte natürlich auch erheblich verschieben.

Es stellt sich deshalb ordnungspolitisch die Frage, welche Interessen an einem weiteren Ausbau Berlins zur Megahauptstadt gegeben sind. Was würde das für unser föderales System überhaupt bedeuten? Und was wären die Konsequenzen für wirtschaftliche Entscheidungsprozesse, für den Standort, für alle Unternehmungen und kulturellen Initiativen?

Am Ende seiner „Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ betont Golo Mann, dass der Föderalismus zu dem Besten und Fruchtbarsten gehört, was die geschichtliche Entwicklung in Deutschland hervorgebracht habe, und zwar sowohl im Blick auf den Nationalstaat als auch im europäischen Kontext. Golo Mann betont dabei mit einer Hervorhebung, dass unser Gemeinwesen mit wirklich gutem Sinn Republik, Bundesrepublik, genannt werde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Bonn/Berlin-Frage haben sich bisher immer alle großen demokratischen Parteien im Landtag zu einem Konsens gefunden. Ich freue mich, dass dieser vorliegende Antrag heute auch wieder von allen bekräftigt wird. Ich bin auch der Frau Ministerpräsidentin sehr verbunden, dass sie sich so klar geäußert hat; dass war ja zu dem jetzigen Zeitpunkt keine Selbstverständlichkeit.

Ich hoffe, dass wir alle gemeinsam bei dieser Entscheidung bleiben; denn sonst hätten wir uns und auch viele Bundestagsabgeordnete sich damals nicht zu dieser Entscheidung durchringen können.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Hause und zu Hause am Stream! Alle Jahre wieder ist Karneval und auch die Debatte über den Bestreben, das Berlin/Bonn-Gesetz aufzuheben, was eine Komplettverlagerung von Regierungsinstitutionen nach Berlin bedeuten würde.

Karneval? Herr Dr. Papke, Sie haben das als Angriff bezeichnet. Ich sage einfach einmal: Es ist das Stöckchen, das der aktuelle SPD-Kanzlerkandidat hinwirft, und wir alle springen drüber. Jedes Jahr ist es jemand anderes, und es wird weiterhin so bleiben. Ich denke, das wird in den nächsten Jahren und möglicherweise auch Jahrzehnten immer wieder auf der Tagesordnung stehen; denn steter Tropfen höhlt den Stein.

Das ist aus Sicht von Berlin und Umgebung sicherlich auch verständlich, zumal Milliardeninvestitionen damit verbunden sind. Aber wie wir sehen, ist man in Berlin nicht einmal in der Lage, einen Flughafen zu bauen. Also sollten wir doch vielleicht den Status quo einfach erhalten. Ich bin ebenso wie die Piratenfraktion froh, dass die Region Bonn und Rhein-Sieg in dieser Form die Unterstützung dieses Parlaments erhält.

Dass Zehntausende neuer und sicherer Arbeitsplätze anderswo verloren gehen, wird gern ausgeblendet. Dass die Thematik der Gefährdung von Arbeitsplätzen in Nordrhein-Westfalen überhaupt auf der Tagesordnung steht – diese sind mit den Ministerien verbunden –, haben wir dem SPD-Kanzlerkandidaten zu verdanken, zumindest aber die Diskussion darüber. Das kann nicht unerwähnt bleiben.

Auch andere Standortengagements innerhalb Nordrhein-Westfalens, Frau Ministerpräsidentin, verdienen natürlich die Aufmerksamkeit. Das betrifft selbstverständlich andere, größere Unternehmungen.

(Reiner Priggen [GRÜNE] meldet sich zu Wort.)

– Der Kollege Priggen hat eine Zwischenfrage.

Präsidentin Carina Gödecke: Ich gehe davon aus, Herr Kollege Schulz, dass Sie sie damit zulassen möchten.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Ja.

Präsidentin Carina Gödecke: Wunderbar.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Kollege Schulz, ganz herzlichen Dank. – Ich habe eher eine Bitte. Sie haben die Art, leise zu sprechen. Ich weiß nicht, ob das durch die Akustik kommt, aber Sie sind kaum zu verstehen. Deshalb bitte ich Sie, auch wenn Sie sich von den Mikros abwenden, ein bisschen lauter zu uns zu sprechen, damit man folgen kann. – Herzlichen Dank.

(Beifall)

Dietmar Schulz (PIRATEN): Das mache ich sehr gerne, Herr Priggen. – Die Landtagsverwaltung geht in diesen Tagen durch den Saal, prüft überall und stellt selbst fest, dass die Akustik – mit Verlaub – eine Katastrophe ist. Das muss man einfach mal sagen.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und Christian Lindner [FDP])

Insbesondere in den vorderen Reihen soll sie ganz schlecht sein. Hinten ist sie super, das kann ich bestätigen.

(Heiterkeit)

Nicht nur das Land Berlin hat legitime Interessen. – Ich hoffe, es geht so, Herr Priggen.

(Zustimmung von Reiner Priggen [GRÜNE] und Lutz Lienenkämper [CDU])

Frau Präsidentin, ich habe noch drei Minuten Redezeit.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schulz, Sie haben die Zeit, die Sie jetzt brauchen.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Danke sehr. – Nicht nur das Land Berlin hat legitime Interessen, sondern legitime Interessen haben auch andere Städte und Regionen in unserem Land – ich erwähnte das gerade – wie Bonn, Rhein-Sieg und Umland.

Es wird gern mit Kosten argumentiert. Ich habe Verständnis für dieses Thema. Zu Kosten sage ich später noch kurz etwas. Wer aber die Kosten in den Mittelpunkt der Argumentation stellt, sollte bedenken, dass Kosten bei der Entscheidung für Berlin nicht nur keine Rolle gespielt haben, sondern sie durften aus politischen Gründen überhaupt keine Rolle spielen. Damals hieß es, es gehe um die Glaubwürdigkeit der Politik. Sie müsse verlässlich und berechenbar sein. Diese Argumentation greife ich gern auf. Was damals für Berlin galt, muss heute auch für Bonn gelten.

(Beifall von den PIRATEN und Ilka von Boe­selager [CDU])

Auch an dieser Stelle kann ich es mir nicht verkneifen, liebe SPD: Ihr Kanzlerkandidat hat bereits hier in NRW eine relativ schwache Leistung abgeliefert und kann weiterhin nicht als verlässlich angesehen werden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das mag man aus den Bestrebungen von Herrn Steinbrück entnehmen, dieses doch fast als ehern zu bezeichnende Gesetz zu stürzen.

Wir dürfen hierbei die Geschichte nicht vergessen. Das Berlin/Bonn-Gesetz war ein Kompromiss. Das darf hier nicht unter den Tisch fallen. Das war 1991 und 1994. Es gibt einen untrennbaren politischen Sachzusammenhang zwischen der Entscheidung des Deutschen Bundestages, mit dem Parlament und einem Teil der Bundesregierung einschließlich der politischen Führung aller Ministerien nach Berlin zu ziehen.

Das Berlin/Bonn-Gesetz ist die politische Geschäftsgrundlage für diese Umzugsentscheidung. Damals hieß es: Sicherstellung einer dauerhaften und fairen Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn. Wer das zur Kenntnis nimmt, muss zu der Erkenntnis gelangen, dass man diese gesetzgeberische Grundsatzentscheidung nicht nach wenigen Jahren wieder aufheben kann – schon gar nicht aus Wahlkampfgründen.

Das wäre nämlich nicht dauerhaft, sondern das Gegenteil davon. Ob Ihr Kanzlerkandidat das Adjektiv „dauerhaft“ verdient hat, ist fraglich. Aber die Stadt Bonn hat es auf jeden Fall verdient. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Die Debatten im Landtag zum Thema „Bonn/Berlin“ waren bislang sachorientiert und von der gemeinsamen Überzeugung getragen, dass Landtag und Landesregierung über Parteigrenzen hinweg einmütig zum Berlin/Bonn-Gesetz stehen. Das war gut für Bonn und die dort lebenden Menschen. Ich würde mir wünschen, dass das so bleibt.

Es ist gut 15 Monate her – Herr Papke, Sie haben das gesagt –, dass die Fraktionen des Landtags und die Landesregierung diese Überzeugung in einer Landtagsdebatte übereinstimmend bekräftigt haben. Damals ging es um die Pläne zur Neuorganisation des Bundesverteidigungsministeriums, die Bundesminister de Maizière von seinem Vorgänger zu Guttenberg übernommen und zielstrebig vorangebracht hat.

Die Pläne des Bundesverteidigungsministers zielten auf eine massive Verkleinerung der Bonner Dienststelle und die weitreichende Verlagerung von Dienstposten und wichtigen politischen Funktionen von der Hardthöhe nach Berlin. Trotz einiger Abstriche hat der Bundesverteidigungsminister die Reform in weiten Teilen durchgesetzt.

Bundeskanzlerin Merkel, Bundesaußenminister Westerwelle und der damalige Bundesumweltminister Röttgen haben sich zwar zum Berlin/Bonn-Gesetz bekannt, im Ergebnis haben sie den Kabinettskollegen de Maizière aber nicht gestoppt und ihm keine Steine in den Weg gelegt.

Die heutige Debatte, meine Damen und Herren, ist von der FDP mit Blick auf Interviewäußerungen des SPD-Kanzlerkandidaten zum Berlin/Bonn-Gesetz beantragt worden. Wenn der Vorsitzende der FDP-Fraktion vor der Presse formuliert, dass mit der Debatte auch Sozialdemokraten und Grünen Gelegenheit gegeben werden solle, sich von Herrn Steinbrück zu distanzieren, dann, Herr Kollege Lindner, ist das im Vergleich mit den bisherigen sachorientierten Debatten im Landtag zum Thema „Bonn/Berlin“ ein neuer Akzent, der politisch durchsichtig und für die Region Bonn nicht wirklich hilfreich ist.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Lachen von Christian Lindner [FDP])

Das Berlin/Bonn-Gesetz, sehr verehrte Damen und Herren, taugt, wie die jüngst erst von Bundespolitikern von CDU und FDP betriebene Neuorganisation des Bundesverteidigungsministeriums zeigt, nicht zur parteipolitischen Profilierung. Oder, wenn Sie es anders ausgedrückt haben wollen: Peer Steinbrück hat Überlegungen angestellt, die schwarz-gelbe Bundesregierung handelt dagegen, und zwar gegen das Berlin/Bonn-Gesetz. Die Menschen in Bonn und in der Region wissen das.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn zur Wahrheit beim Thema Bonn/Berlin gehört, dass die gesetzlich fixierte Arbeitsteilung zwischen beiden Städten von der Bundesregierung, im Bundestag und in anderen Ländern – übrigens über Parteigrenzen hinweg – zusehends stärker infrage gestellt wird. Frau Hendricks hat schon darauf aufmerksam gemacht.

Das Berlin/Bonn-Gesetz wird von der Bundesregierung seit langem in einem schleichenden Prozess ausgehöhlt. Der jährliche Teilungskostenbericht der Bundesregierung ist ein klarer Beleg dafür, denn die Mehrzahl der Beschäftigten der Bundesministerien arbeitet bereits seit 2008 entgegen der Vorgabe des Berlin/Bonn-Gesetzes in Berlin und das mit kontinuierlich steigender Tendenz.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche: Herr Kollege Papke würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Bitte schön, Herr Papke.

Dr. Gerhard Papke (FDP): Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich teile Ihre Auffassung, dass wir diese Debatte ohne parteipolitische Schärfe führen sollten. Aber nach Ihren Äußerungen zu dem Steinbrück-Interview gestatten Sie mir doch die Frage: Würden Sie eine solche Stellungnahme des Kanzlerkandidaten der SPD, des früheren Ministerpräsidenten, tatsächlich für völlig belanglos halten für die Wahrnehmung der dauerhaften fairen Arbeitsteilung? Ist das aus Ihrer Sicht wirklich irrelevant, irgendeine Äußerung, die zu vernachlässigen ist?

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Eine Äußerung eines Kanzlerkandidaten ist nie irrelevant, Herr Papke.

(Beifall von der SPD)

Wir sollten diese Überlegungen von Herrn Steinbrück so verstehen, dass wir in der Tat den Dialog über die zukünftige Sicherung des internationalen Wissenschaftsstandortes Bonn führen und miteinander darüber sprechen sollten, denn – damit komme ich zurück zu meinen Ausführungen – wir erleben die Tendenz der klammheimlichen Aushöhlung des Gesetzes. Wir können dahinter nur die Absicht des Bundes sehen, die Berlinpräsenz leitungs- und politiknaher Bereiche der Ministerien mit erstem Bonner Dienstsitz zu stärken. Damit wird eine Entpolitisierung Bonns vorbereitet. Auf diese Weise werden Fakten geschaffen, die mit Buchstaben und Geist des Berlin/Bonn-Gesetzes nicht vereinbar sind.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das ist der Grund, weshalb es auch für die Zukunft wichtig bleibt, dass der Landtag Nordrhein-Westfalen über Parteigrenzen hinweg weiter geschlossen zum Berlin/Bonn-Gesetz steht. Das Land insgesamt – das haben Sie alle auch dargelegt –, nicht nur die Region, hat ein massives Interesse daran, dass der Strukturwandel in Bonn nicht gefährdet wird. Ich begrüße es deshalb sehr, dass sich alle im Landtag vertretenen Fraktionen in diesem Sinne auf einen gemeinsamen Antrag verständigt haben.

Meine Damen und Herren, auch für die Landesregierung gilt weiterhin: Wir stehen zum Berlin/Bonn-Gesetz. Warum sollte es auch anders sein? Für die Zukunft – davon bin ich überzeugt – werden wir aber in noch stärkerem Maße als bisher über wirksame Strategien gegen den Rutschbahneffekt und zur Sicherung der Bonner Interessen nachzudenken haben. Wir werden uns dieser Aufgabe in enger Abstimmung mit den politisch Verantwortlichen vor Ort stellen.

Die Landesregierung – so viel kann ich Ihnen versichern – ist und bleibt ein verlässlicher Partner, wenn es darum geht, die Zukunftsperspektiven der Region Bonn auf der Grundlage des Berlin/Bonn-Gesetzes zu sichern und fortzuentwickeln. Die heutigen Debattenbeiträge haben mir gezeigt, dass wir den Landtag dabei weiter geschlossen an unserer Seite wissen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor, sodass ich die Beratung zu dem Tagesordnungspunkt schließe.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt, die wir jetzt sofort auch über den Inhalt des gemeinsamen Antrages mit dem Titel „Berlin/Bonn-Gesetz respektieren – bewährte Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin dauerhaft erhalten“ Drucksache 16/1957 durchführen. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Piraten. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist ebenfalls nicht der Fall. Damit ist der Antrag einstimmig angenommen. Ich bedanke mich ganz herzlich für die Beratung und die Abstimmung.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt:

2   Hochschulautonomie zukunftsgerecht weiterentwickeln – Demokratische Strukturen stärken, Verantwortung des Landes wahrnehmen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1898

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1962

Ich eröffne die Beratung und erteile für eine der antragstellenden Fraktionen Herrn Kollegen Schultheis das Wort.

Karl Schultheis (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Thema „Hochschulautonomie zukunftsgerecht weiterentwickeln – Demokratische Strukturen stärken, Verantwortung des Landes wahrnehmen“ formuliert die Erwartungen und Prinzipien der beiden Fraktionen, die wir mit der Novellierung des NRW-Hochschulgesetzes verbinden, mit dem Hochschulzukunftsgesetz, wie es mittlerweile Eingang in viele Köpfe gefunden hat.

Die zentrale Herausforderung dieser Gesetzesnovelle wird sein, auf der einen Seite Autonomie und auf der anderen Seite Verantwortung in ein angemessenes Verhältnis zu setzen, denn hier gibt es doch erhebliche Defizite.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass die Hochschulgesetzgebung in Nordrhein-Westfalen in verschiedenen Schritten die Autonomie unserer Hochschulen erweitert hat, beginnend mit dem Jahr 2000 durch die von SPD und Grünen getragene Landesregierung. Einen weiteren Schritt gab es 2004. Diese vorsichtige Vorgehensweise, zum einen die Globalhaushalte zu ermöglichen und zum anderen wichtige Entscheidungen wie zum Beispiel die Berufung von Professorinnen und Professoren in die Hochschulen zu verlagern, zeigt, dass es notwendig ist und war, diesen Prozess der erweiterten Autonomie schrittweise fortzuführen. Diesen Weg wollen wir gemeinsam weiter gehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dabei ist das Thema „Verantwortung“ keine Einbahnstraße. Es geht nicht nur um die Verantwortung des Landes als Gewährsträger der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gegenüber den Hochschulen, sondern auch um die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschulen gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen. In diesem Spannungsfeld muss sich die Novelle bewegen, und unser Antrag dient dazu, unsere Sichtweise hier noch einmal deutlich zu machen.

Meine Damen und Herren, einer der Bestandteile, die im Rahmen dieses Novellierungsprozesses wichtig sind, ist das Thema „Finanzen“; das sage ich auch als Teil des Haushaltsgesetzgebers. Wir müssen erreichen, dass es ein effektives Finanzcontrolling gibt, damit die Steuerzahlerin und der Steuerzahler auch wissen, wofür wir gerade in diesem wichtigen Bereich die Finanzmittel einsetzen.

Wir brauchen darüber hinaus eine strategische Planung für den gesamten Hochschulbereich, weil wir wissen, dass es erforderlich ist, die Kapazitäten in den einzelnen Fächern für die Studierenden bereitzuhalten. Wir müssen wissen, für welche inhaltlichen Schwerpunkte in der Forschung öffentliche Mittel eingesetzt werden sollen, und wir müssen natürlich auch wissen, dass alle Fächer – ich erinnere an die Diskussion über Kleine Fächer – an unseren Hochschulen auch studiert werden können.

Das sind Punkte, die nicht nur den Landtag, sondern auch andere wichtige Gremien im Wissenschaftsbereich beschäftigen. So befasst sich der Wissenschaftsrat zurzeit mit der Frage, wie die Hochschulfinanzierung der Zukunft aussehen soll. Bei diesem Thema ist gemäß den Eckpunkten eine Experimentierklausel vorgesehen.

Auch das Thema „Hochschulplanung“ bzw. „Strategische Planung“ ist kein Thema, das wichtige Organisationen von der Hand weisen. Beispielsweise das CHE, das Centrum für Hochschulentwicklung, das sehr stark an der Formulierung des sogenannten Hochschulfreiheitsgesetzes beteiligt war, denkt mittlerweile darüber nach, wie eine strategische Planung der Zukunft aussehen muss.

Ein weiterer wichtiger Punkt neben den Rahmenbedingungen zwischen Land und Hochschulen ist die Umsetzung der Autonomie in den Hochschulen. Dazu gehören die demokratischen Strukturen, das heißt die Beteiligung aller im Hochschulbereich Studierenden, Lehrenden und Arbeitenden an den Entscheidungsprozessen, sofern sie nicht durch höchstrichterliche Rechtsprechung ausgenommen sind.

Darüber hinaus geht es ganz wesentlich um die Prinzipien der guten Arbeit. Die Beschäftigungsbedingungen haben sich auf der Grundlage des jetzt gültigen Gesetzes erheblich verschlechtert, was die Beschäftigungsverhältnisse sowohl der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter in unseren Hochschulen angeht. Auch hier besteht erheblicher Regelungsbedarf.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Karl Schultheis (SPD): Meine Damen und Herren, wir begrüßen daher den Dialogprozess, den Frau Ministerin Schulze angestoßen hat. In dieser Breite haben wir die Hochschulen hinsichtlich der Gesetzgebung der Hochschulen bisher noch nicht beteiligt. Das ist ein Novum, und ich glaube, dass wir gute Ergebnisse erzielen werden.

Was die Anträge angeht, so gibt es mit dem Entschließungsantrag der Piraten in vielen Bereichen eine große Schnittmenge.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Karl Schultheis (SPD): Es ist natürlich auch eine Menge Prosa, aber das ist den Anträgen geschuldet, die wir hier im Landtag beraten.

Ich jedenfalls wünsche mir eine gute Beratung unseres Antrages im Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung. Wir stimmen der Überweisung der beiden Anträge zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Dr. Seidl.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum brauchen wir ein neues Hochschulgesetz? – Wir brauchen ein neues Hochschulgesetz, weil wir an unseren Hochschulen die Weichen hin zu neuen und zeitgemäßen Formen der Beteiligung und Partizipation stellen wollen. Wir wissen, dass das nicht so einfach ist. Denn Demokratie und Partizipation lassen sich natürlich nicht von oben verordnen. Dazu gehören flache Hierarchien. Dazu gehört aber auch eine Kultur der gegenseitigen Akzeptanz und Anerkennung.

Eines ist aber klar: Das sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz der schwarz-gelben Vorgängerregierung hat die Mitsprache der akademischen Selbstverwaltungsgremien bei entscheidenden Hochschulangelegenheiten massiv eingeschränkt. Stattdessen wurden wichtige Handlungsfelder des Senates und des Ministeriums auf externe Hochschulratsmitglieder verlagert, die unter Umständen eine Hochschule noch nie zuvor von innen gesehen haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hochschule funktioniert aus unserer Sicht nur als demokratische Gemeinschaft, in der vor allem die Freiheit von Wissenschaft und Forschung den Vorrang hat. In diesem Sinne wollen wir das Hochschulgesetz neu gestalten. Wir wollen den Senat in seinen Kompetenzen wieder stärken und künftig allen vier Statusgruppen auch gleiches Stimmrecht geben. Und wir wollen entsprechend die Aufgaben des Hochschulrates stärker auf Aufsicht und Beratung konzentrieren.

Es kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir an unseren Hochschulen, die Reformmotor für gesellschaftliche Entwicklungen sein wollen, überkommene hierarchische Strukturen fortschreiben, anstatt sie für moderne Formen der Demokratie zu öffnen.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Lächerlich!)

– Ja, und da kann ich Ihnen, Herr Berger, nur einen Blick in die benachbarten Niederlande empfehlen. Sie wohnen doch in der Nähe.

In allen Gremien der Hochschulen in den Niederlanden haben Studierende einen Stimmenanteil von 50 %, mit dem formal gültige und bindende Beschlüsse getroffen werden können. „Das ist für uns so eine Normalität“, sagte kürzlich der Präsident der Hochschule von Maastricht im Gespräch, „dass ich erst einmal nachschauen muss, wo genau das gesetzlich verankert ist“. – Ich habe nachgeguckt, Herr Berger, und es steht in der Tat im Hochschulgesetz der Niederlande. Die sind ein ganzes Stück weiter, was das Thema „Demokratie“ angeht.

Wir haben auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen dringenden Nachholbedarf in Sachen Frauenförderung. Der Frauenanteil insbesondere bei den besser dotierten Professuren ist immer noch viel zu gering.

Deswegen wollen wir mit dem von der DFG, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in die Diskussion gebrachten Kaskadenmodell eine flexible Frauenquote auf der Ebene der Fachbereiche im Gesetz festschreiben, um den weiblichen Anteil in der Wissenschaft endlich angemessen zu erhöhen.

Dann fragt man sich: Wohin ist eigentlich die CDU-Fraktion in dieser Frage unterwegs? – Mit Blick auf Ihre Sparvorschläge, Herr Laumann, bei der Geschlechterforschung und der Gleichstellung offensichtlich geradewegs in die frauenpolitische Steinzeit.

Es ist mir nach wie vor unerklärlich, wie man sich in einem Land, das so viele Hochschulen besitzt, so aus der gesamtstaatlichen Verantwortung zurückziehen konnte, wie es in der Regierungszeit Rüttgers/Pinkwart der Fall war.

Deshalb wollen wir ein weiteres Defizit der Hochschulsteuerung beheben. Das Parlament soll zur strategischen Gesamtplanung für die bundesweit dichteste Hochschullandschaft wieder mehr Verantwortung übernehmen und regelmäßig über einen Landeshochschulentwicklungsplan entscheiden.

Wir beschließen hier zwar als Haushaltsgesetzgeber Jahr für Jahr über etliche Milliardenbeträge, aber wir halten nicht die Fäden in der Hand, wenn es um die strategisch wichtigen Fragen der Wissenschafts- und Forschungspolitik, wenn es um eine ausgewogene Planung von Studiengängen und Studienplätzen und auch um die gesellschaftliche Aufgabenstellung der Hochschulen geht.

Zum Antrag der Piraten: Ihr Antrag signalisiert über weite Strecken – so habe ich ihn zumindest verstanden – vom Grundsatz her Zustimmung für unsere Gesetzesinitiative.

Allerdings können wir uns nicht Ihrer Forderung anschließen, im zukünftigen Gesetz generell auf die Hochschulräte komplett zu verzichten, weil uns die Anbindung an gesellschaftliche Akteure, die ihren Sachverstand aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur einbringen sollen, wichtig ist.

Ebenso steht für uns nicht zur Debatte, das Hochschulpersonal wieder in den Landesdienst zu überführen. Darüber haben wir lange diskutiert – auch mit den Personalräten. Das kommt für uns nicht infrage. Wir bleiben dabei, dass die Hochschulen über ihr Personal selbst entscheiden. Deshalb werden wir Ihrem Antrag an dieser Stelle nicht folgen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten den Weg einer breiten Einbeziehung der Beteiligten bei der Erarbeitung des Hochschulzukunftsgesetzes für richtig und wichtig, und wir laden auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dazu ein, sich konstruktiv zu beteiligen, damit wir uns am Ende gemeinsam über ein qualitativ überzeugendes Ergebnis freuen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Seidl. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Berger.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ende letzten Jahres hat Frau Schulze Eckpunkte vorgelegt – Eckpunkte zu einem Gesetz, welches von der Idee durchdrungen ist, dass die Düsseldorfer Bürokratie besser weiß als die Hochschulen selbst, was für die Hochschulen vor Ort gut ist. Seitdem geht damit einher, dass SPD, Grüne und neuerdings auch die Piraten das bewährte Hochschulfreiheitsgesetz kritisieren und mit falschen Behauptungen diffamieren.

Mit den vorliegenden Anträgen von Rot-Grün und den Piraten soll nichts anderes als ein Hochschulentmündigungsgesetz legitimiert werden. Es ist die pure Not, die Rot-Grün zu diesem Antrag treibt. Denn seit der Ankündigung dieser Eckpunkte gibt es wirklich niemanden – außer einigen Gewerkschaftsvertretern und Personalvertretungen –, der einen Abbau der Hochschulfreiheit in Nordrhein-Westfalen will. Im Gegenteil, Unmut über die Ministerin, Widerstand gegen die Hochschulentmündigung durchziehen Hochschulleitungen und Professorenschaft. An der Spitze teilt die Landesrektorenkonferenz der Universitäten mit, dass in der Frage „Hochschulfreiheit abbauen“ die Hypothesen und Prämissen von Frau Schulze von den nordrhein-westfälischen Universitäten nicht geteilt werden.

Das habe ich in den letzten Jahren selten erlebt, dass sich die Landesrektorenkonferenz der Universitäten so klar gegen eine Ministerin, gegen Sie, Frau Schulze, ausspricht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Rot-Grün will die Universitäten unter anderem deshalb an die Kette legen, weil es angeblich einen Blindflug bei der Mittelverwendung durch die Universitäten gebe und das Parlament – das hat Frau Seidl eben noch mal ausgeführt – keinen Einfluss auf die Mittelverwendung habe.

Das Argument – das bestätigt auch die Landesrektorenkonferenz – ist zum einen vorgeschoben. Denn es existieren keinerlei Belege dafür, dass die Hochschulen ihrer Pflicht zu einer transparenten Wirtschaftsführung nicht nachkommen würden. Sie brauchen im Übrigen nur die Erläuterungsbände des nordrhein-westfälischen Haushalts zu lesen, um zu wissen, was an den Hochschulen wofür ausgegeben wird.

(Beifall von der FDP)

Zum Zweiten, Frau Schulze, ist dieses Argument dummdreist. Denn die Universitäten wissen doch viel besser als die Abgeordneten im nordrhein-westfälischen Landtag, wofür ihre Mittel im Einzelnen verwendet werden sollen. Frau Schulze, Herr Schultheis, Frau Seidl und Herr Paul, Sie sind nicht schlauer als die Professoren vor Ort.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Jetzt wollen Sie einen angeblichen Dialogprozess fortführen. Die Wahrheit ist doch, dass Sie nach zweieinhalb Jahren keinen ernst zu nehmenden Verbündeten für Ihren Gesetzentwurf gefunden haben. Schlimmer noch, Sie verlängern jetzt Ihren angeblichen Dialog in der Hoffnung, Unterstützer für Ihr Hochschulentmündigungsgesetz zu finden.

Sie beklagen in Ihrem Antrag, dass zu wenig Demokratie und Autonomie in der Hochschulfreiheit stattfinden würde. Aber auch das ist wieder nur ein vorgeschobenes Argument, mit dem Sie versuchen, ein weiteres Alibi für das Diktat von Frau Schulze im Wissenschaftsbereich zu schaffen.

(Zuruf von der SPD: Frau Ministerin Schulze!)

Frau Schulze will doch jene Fächer an den Universitäten einrichten, die Sie selbst als politisch geeignet betrachtet. Sie wollen bestimmen – das ist der zentrale Vorwurf, den wir gegen Sie erheben, auch gegen Sie als Abgeordnete, wenn Sie sich nicht anders äußern –, was an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen ein politisch opportunes Fach ist. Dagegen werden wir Widerstand leisten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Weil Sie ein Mittel dazu braucht, will Frau Schulze die Universitäten an die finanziell kurze Leine legen. Zur Steuerung des Wissenschaftsstandortes Nordrhein-Westfalen wollen Sie ein Druckmittel aufbauen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bell von der SPD-Fraktion?

Dr. Stefan Berger (CDU): Ja, bitte.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Bell.

Dietmar Bell (SPD): Herr Dr. Berger, ist Ihnen bekannt, dass die Ministerinnen im nordrhein-westfälischen Landtag üblicherweise mit „Frau Ministerin“ angesprochen werden?

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Sie haben schon in der letzten Plenarsitzung einen Hinweis des Präsidiums erhalten. Das ist eine Lümmelei.

(Zuruf von der FDP: Meine Güte!)

Dr. Stefan Berger (CDU): Ja, Herr Abgeordneter, mir ist so einiges bekannt. – Ich will in meiner Rede weiter fortfahren, da ich nicht mehr viel Zeit habe.

Wer Ihre Anträge ernsthaft liest – damit komme ich zum Ende; wir haben noch weitere Gelegenheiten, uns mit dem Abbau der Hochschulfreiheit zu befassen, für die Sie überhaupt keinen Verbündeten in NRW haben –,

(Beifall von der CDU)

der sieht, dass mit perfiden Argumentationen, mit falschen, dreisten Behauptungen ein System errichtet werden soll, in dem die Politik sagen will, wo es langzugehen hat. Das will niemand in Nordrhein-Westfalen außer einigen rot-grünen Wissenschaftsdiktatoren.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Professoren und Wissenschaft brauchen Freiheit, Zeit, ihre Dinge zu entwickeln, und keine Vorschriften von irgendwelchen Politikern, egal welcher Couleur. Daher werden wir weiter Widerstand gegen das geplante Hochschulentmündigungsgesetz leisten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag, den wir heute behandeln, weil SPD und Grüne ihre Hochschulpolitik und ihre Wissenschaftsministerin abfeiern wollen, ist ein trauriges Beispiel dafür, wie wenig man die liberale Idee verstehen kann.

Vom Autonomiegedanken und vom Verantwortungsgedanken ist die Rede. Das klingt erst einmal gut. Der anständig Liberale weiß, was damit gemeint sein sollte: die Verbindung von Freiheit und Verantwortung. Auf die Idee, daraus mehr staatliche Steuerung abzuleiten, können allerdings nur wenige liberal gepolte Geister kommen. Diese sozialdemokratische Logik verschließt sich mir völlig. Durchgesteuerte Hochschulen haben nichts mit Verantwortung und erst recht nichts mit Freiheit zu tun.

(Beifall von der FDP)

Frau Ministerin Schulze, mit Ihren Ideen fallen Sie sogar noch hinter Ihre Vorgängerin im Amt der Wissenschaftsministerin, Hannelore Kraft, zurück. In einer Zeit, in der wir Fortschritte brauchen, machen Sie nur Rückschritte.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Machen Sie sich nichts vor: Die Fachwelt ist sich einig, sie lehnt das Ganze entschieden ab.

Da nutzt auch Ihr verzweifelter Versuch nichts, vermeintliche Kronzeugen heranzuziehen, zum Beispiel Frau Prof. Dr. Wintermantel. Wenn Sie sich ihre Stellungnahmen zum Hochschulfreiheitsgesetz ansehen, wie ich es getan habe, dann werden Sie feststellen: Es gibt kein Ja zur strategischen Steuerung, kein Ja zu neuen Steuerungsinstrumenten, zu der Bindung an die ministerielle Interpretation von Rahmenvorgaben, zur kompletten Umstrukturierung der Entscheidungsgremien. Dazu gibt es überhaupt keine Zustimmung. Lesen Sie die Papiere einmal von Anfang an, Frau Ministerin. Dann werden Sie folgendes Zitat finden – ich trage mit Erlaubnis des Präsidenten vor –:

Das Hochschulfreiheitsgesetz ist ein „großer Schritt in die von uns gewünschte Autonomie“ ...

„Das Ganze wird durch Ziel? und Leistungsvereinbarungen gesteuert und in einen Diskurs mit dem Parlament und dem Ministerium eingebunden. Das ist alles geradezu mustergültig.“

Laut Prof. Wintermantel ist die derzeitige Autonomie also mustergültig. Dem stimmen auch die Landesrektorenkonferenzen und der Hochschulverband zu. Das wissen Sie, und trotzdem wollen Sie die Freiheit beerdigen.

Wenn man sich Ihre Wortwahl anschaut – so viel Steuerung steht in keiner Fahranleitung –, dann ist völlig klar: Es geht Ihnen nicht um eine punktuelle Verbesserung oder Weiterentwicklung des Hochschulfreiheitsgesetzes, es geht schlichtweg um Ihren Steuerungskult. Einfach gesagt: Es geht um Kontrolle.

(Beifall von der FDP)

Ihre Kontrolle ist aber schädlich für die Hochschulen. Im Ergebnis kann man nur festhalten: Sie können nicht Haushalt, Sie können nicht Wirtschaft, Sie können nicht Bildung und erst recht nicht Hochschulpolitik.

(Beifall von der FDP – Dietmar Bell [SPD]: Oh!)

– Ja, Herr Bell, so sieht die Lage leider aus. Sie wissen um die breite Ablehnung Ihres Vorhabens. Deshalb müssen Sie mit allen möglichen Mitteln Zustimmung im Parlament suggerieren. Da sind Sie sich anscheinend für nichts zu schade. Ihre Pseudoumfrage „hochschule-gestalten.nrw“ ist offenbar von den gleichen schlechten Umfrageexperten geschrieben worden, die die FDP vor Wahlen bei 2 % taxiert hatten.

(Heiterkeit von Kai Abruszat [FDP])

Wenn das Ihr offener Dialogprozess sein soll, Frau Ministerin, kann man das nur als Hohn empfinden. Mitmachen kann jeder, egal ob Studierender, Hochschullehrer, Gewerkschaftsboss, Landtagsabgeordneter. Wie repräsentativ das sein wird, brauche ich wohl nicht zu erklären.

Besonders tragisch – jeder, der sich das angesehen hat, weiß das – sind Ihre Fragestellungen. Im Ergebnis kann das nur ein schlechter Scherz sein. Ich nenne ein Beispiel: Bei der ersten Frage sollen die Teilnehmer angeben, was ihnen am wichtigsten ist. Folgende Anliegen werden ihnen vorgegeben: a) Diversity-Management, b) Beschäftigungsbedingungen, c) Mitbestimmung, d) Frauenanteil in den Gremien, e) Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Fachhochschulen und f) mehr Steuerungsmöglichkeiten für die Landesregierung. – Da möchte man doch die Gegenfrage stellen, wie weit man sich eigentlich von der Lebenswirklichkeit der Studierenden entfernen kann.

(Beifall von der FDP)

Glauben Sie wirklich, dass sich die jungen Menschen, die eine gute Ausbildung an den Hochschulen bekommen wollen, vor allem für mehr Steuerungsmöglichkeiten der Landesregierung interessieren. Im Ergebnis ist das völlig lächerlich. Ihre Art der Fragestellung, bei der es nur vorbestimmte Antworten und gelenkte Aussagen gibt und von einer Möglichkeit des Mitgestaltens gesprochen wird, ist eine Farce.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, in vielen Ihrer Büros gibt es mit Sicherheit einen Schrank oder eine Schublade, in denen Dinge verstauben. Das ist der richtige Platz, wo Sie Ihr rückwärtsgewandtes Hochschulzukunftsgesetz vielleicht hinlegen sollten. Da kann es dann verstauben. Ich hoffe, dass das zum Denken anregt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Abgeordneter Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Das war gerade eine beeindruckende Vorstellung. Beim Lesen von Anträgen sollte man immer darauf achten, welche Brille man aufhat; manchmal verzerrt sie vielleicht die Wirklichkeit, Herr Hafke und Herr Berger.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Der hier vorliegende Antrag von Rot-Grün – ich sage das einmal so lax – ist nach unserer Auffassung in sich ein wenig schwammig formuliert, sodass nicht ganz klar wird, worauf die Regierungskoalition überhaupt hinaus will.

Nach unserem Dafürhalten fehlt ein neuer Ansatz in der Hochschulpolitik in Nordrhein-Westfalen. In Ihrem Antrag dominiert hingegen ein Ansatz des Im-Prinzip-weiter-So.

Wenn Sie beispielsweise schreiben, dass die von der Rüttgers/Pinkwart-Regierung neu eingeführten Hochschulräte die offene Flanke des Rückzugs der staatlichen Verantwortung nicht schließen konnten, dann ist es doch ganz eindeutig, dass diese Art des Gremiums sich nicht bewährt hat und daher abgeschafft werden kann. Man kann sie doch in Beiräte umwandeln. Das war doch immer unser Reden.

Frau Seidl, an Ihre Adresse: Wir wollen die Rückführung in den Landesdienst prüfen lassen. Das steht in unserem Antrag. Wir wollen uns nicht direkt dafür aussprechen, sondern das Ganze aus Sorge bezogen auf das akademische Prekariat, das sich herausgebildet hat, prüfen.

Was in den letzten Jahren geschehen ist, hat nichts mit Hochschulautonomie zu tun. Hier muss klargestellt werden – da sind sich wohl alle Fraktionen einig –, dass eine Hochschulautonomie installiert werden muss, in gewissem Sinn erhalten werden muss. Die Frage ist nicht das Ob, sondern das Wie. Und was geschehen ist, ist eine Multiplikation eines veralteten Managementkonzepts nach Gutsherrenart mit der Anzahl unserer Hochschulen. Aus einer großen Verwaltungspyramide wurden durch Herrn Pinkwart klack, klack, klack 37 kleine Pyramiden gemacht. Strukturell ist damit erst einmal gar nichts gewonnen. Unsinn mal 37 ist immer noch Unsinn.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir wünschen uns von Ihnen und von der Landesregierung, Frau Ministerin Schulze, etwas mehr aktiven Gestaltungswillen. Denn die entscheidenden Fragen lauten doch – ich will jetzt gar nicht auf die sozialen Implikationen eingehen –: Wie kann sich Wissenschaft am besten entfalten? Was sind die Bedingungen für ein Maximum an Innovationen?

Ich sage vorweg, dass besonders der inter- und transdisziplinäre Kooperationsgedanke das richtige Salz in der Suppe ist und das weit mehr als das Wettbewerbselement. Dafür gibt es nämlich einige wenige, dafür aber umso beeindruckendere Beispiele aus der jüngeren Geschichte, die wir uns gemeinsam mal ansehen sollten. Mit der Wissenschaft ist das nämlich so eine Sache. Wenn man vorne Geld reinschiebt, kommt hinten selten bis gar nicht das raus, was man sich ursprünglich gewünscht hatte. Aber es kommt immer was raus, wenn man es richtig gemacht hat.

Ich möchte hier an das von 1958 bis 1974 in den USA existente Biological Computer Laboratory an der Universität von Urbana in Illinois erinnern, das von der Air Force und von der Navy finanziert wurde vor dem Hintergrund des damals erfolgten Sputnik-Schocks. Was da 1974 herausgekommen ist, waren 11.000 Seiten Papier, Theorien, Konzepte, Parallelrechnerarchitekturen, Gedanken zur Hirnforschung, der Konstruktivismus, der bei uns in Deutschland in der Pädagogik eine Rolle spielt, Ansätze zur Neuroinformatik, Innovationen zuhauf, nur leider nichts waffentechnisch Verwertbares, was mir persönlich als ein doch weitergehender Beweis für die Intelligenz der Geschichte dient.

Das Ding hat weltweite Wellen geschlagen, unter anderem auch in die Bielefelder Schule zu Niklas Luhmann und seiner Systemtheorie und zu den Rechtswissenschaften von Gunther Teubner.

So ganz nebenbei hat man dort auch versucht, mit der Trennung von Geistes-, Natur- und Ingenieurwissenschaften radikal Schluss zu machen im Sinne einer trans- und interdisziplinären Kooperation.

Innovationen werden auch durch den rot-grünen Vorschlag für ein Hochschulzukunftsgesetz nicht gefördert, da Sie am System der unternehmerischen Hochschule und an der Mängelverwaltung nicht rütteln wollen.

Deshalb haben auch wir in unserem Entschließungsantrag die Anregung zu einer unabhängigen inter- und transdisziplinären Expertenkommission aufgestellt, die das aktuelle Hochschulfreiheitsgesetz evaluieren soll, so wie es in diesem Gesetz selbst drin steht und wie es mal sein sollte.

Der vielgepriesene offene, mit allen und nicht nur mit den Hochschulrektoren und ?räten zu führende Dialogprozess ist dann dabei der wichtigste Mosaikstein.

Schauen wir uns mal die Strukturen an, die nachweislich in der Vergangenheit richtig viele Innovationen produziert haben, und versuchen, die im Sinne eines skalierbaren Managements auf unsere Universitäten abzubilden. Einen Sputnik-Schock brauchen wir nicht mehr. Der heißt bei uns heute Klimawandel und globale Krisen. Wir sollten unsere Hochschulen so gut wie möglich aufstellen.

Wir freuen uns auf eine konstruktive Diskussion mit Ihnen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bildung, das ist eine öffentliche Aufgabe. Sie wird auch zu größten Teilen aus Steuermitteln finanziert. Die Ziele der Bildungspolitik, die werden gesellschaftlich diskutiert. Sie werden übrigens vom Parlament auch festgelegt. Es kann schon deshalb keine bedingungslose Autonomie geben. Hochschulen als selbstverwaltete öffentlich-rechtlich handelnde Einrichtungen agieren eben nicht völlig losgelöst von den anderen Akteuren hier im Land. Sie sind Bestandteil eines Verantwortungsgefüges.

Deshalb brauchen sie eine Balance zwischen Eigenverantwortung und Aufgabenerfüllung. Um diese Balance geht es im Kern beim Hochschulzukunftsgesetz. Diese Balance wollen wir nämlich wiederherstellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Hochschulautonomie kann übrigens nur gelingen, wenn sie kontinuierlich an die konkreten Herausforderungen auch angepasst wird. Gelungene Hochschulautonomie, wie das funktioniert, das kann man sich ansehen. Das haben viele sozialdemokratische Ministerinnen und Minister vorgemacht. Johannes Rau, Anke Brunn, Hannelore Kraft haben da Wichtiges auf den Weg gebracht. 2000 haben wir mit dem Hochschulgesetz die Globalhaushalte eingeführt und die Selbststeuerung der Hochschulen gestärkt. 2004 haben wir die Berufungsverfahren an die Hochschulen gegeben und die Verantwortung für die Gestaltung von Lehre und Studium an die Hochschulen übergeben.

Was haben Sie gemacht, CDU und FDP? Sie haben das sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz auf den Weg gebracht. Damit haben Sie im Kern die Hochschulen alleine gelassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mit dem Autonomieverständnis von CDU und FDP fand im Kern eine Selbstauflösung der Hochschulpolitik statt. Hochschulen sind aber fester Bestandteil unseres demokratischen Gemeinwesens. Sie haben wichtige Aufgaben für die Zukunft. Diese Aufgaben kann man nicht einfach privatisieren. Autonomie und gegenseitige Verantwortung müssen zusammen gedacht und zusammen umgesetzt werden.

Da gibt es übrigens, Herr Berger, sehr interessante Verbündete. Einer der interessantesten, finde ich, ist der Landtag Nordrhein-Westfalen. Der Landesrechnungshof hat nämlich in seinem Jahresbericht 2011 auf die mögliche Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen durch Stiftungsprofessuren hingewiesen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Berger zulassen?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Nein, ich will das jetzt einmal im Zusammenhang ausführen.

Der Ausschuss für Haushaltskontrolle hat einstimmig beschlossen – einstimmig; mit den Stimmen von CDU und FDP –, dass wir Berufungsverfahren transparenter gestalten sollen. Das macht man am besten, indem man Eckpunkte festsetzt und Rahmenvorgaben gewährleistet. Also können Sie von CDU und FDP doch gar nicht dagegen sein, dass wir das Hochschulzukunftsgesetz jetzt auf den Weg bringen und damit auch diese Möglichkeiten schaffen, zu denen Sie uns ausdrücklich aufgefordert haben. Ich bin auch ganz froh über den Verbündeten, den wir hier gefunden haben.

Mit dem Hochschulzukunftsgesetz schließen wir eine offene Flanke im geltenden Gesetz. Wir stärken die Hochschulen. Wir sorgen auch dafür, dass wir der Gewährleistungsverantwortung, die wir als Land für die Hochschulen haben, wirklich nachkommen können.

Deshalb unterstützen wir den hier vorliegenden Antrag. Hochschulautonomie und Verantwortung gehören zusammen. Das macht dieser Antrag sehr deutlich.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, würden Sie nun die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Berger zulassen?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Ja, gerne.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Dr. Berger.

Dr. Stefan Berger (CDU): Frau Schulze,

(Zurufe von der SPD – Gegenrufe von der FDP)

die Landesrektorenkonferenz der Universitäten in NRW hat Ihnen eine Stellungnahme geschickt, in der sie schreibt, dass Ihre Prämissen und Thesen zum Hochschulzukunftsgesetz nicht geteilt werden. Die Landesrektorenkonferenz der Universitäten ist eine der zentralen Vertretungen. Wie bewerten Sie dieses Schreiben, in dem Sie und Ihre Prämissen und Hypothesen negativ gesehen werden?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, wir können uns im Ältestenrat gerne noch einmal über die Frage der Anrede unterhalten. Bei einer solchen Zwischenfrage würde ich Ihnen aber auch den Rat geben, die Frau Ministerin mit „Frau Ministerin“ anzureden.

(Beifall von der SPD – Marcel Hafke [FDP]: Dann möchte ich von der Landesregierung demnächst auch als „Herr Abgeordneter“ angesprochen werden, Herr Präsident! Diese Diskussion hatten wir doch schon einmal!)

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Berger – von mir aus auch Herr Abgeordneter Dr. Berger –, ich weiß, dass das für Sie schwer zu verstehen ist;

(Beifall von den GRÜNEN)

aber wir erarbeiten diesen Gesetzentwurf in einem offenen Dialogverfahren. Wir haben sehr viele Gespräche zu den Veränderungsnotwendigkeiten geführt. Unter anderem machen wir auch diesen sehr interessanten Online-Dialog.

Ja, das ist keine repräsentative Befragung. Wie repräsentativ solche Befragungen sind, kann man sich im Zusammenhang mit den letzten Landtagswahlen in Niedersachsen angucken. Nein, es ist nicht repräsentativ. Es ist ein Beteiligungsinstrument.

Dieses Instrument wird auch sehr gut angenommen. Heute kann man nicht nur vor Ort in eine Hochschule gehen und mit 200 Studierenden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern reden, sondern auch online eine Beteiligung ermöglichen. Ich finde, dass man diese neuen Instrumente auch nutzen muss. Bisher haben schon über 13.000 Leute die Internetseite www.hochschule-gestalten.nrw.de besucht. Es gibt neben 4.300 ausgefüllten Umfragen auch über 500 Kommentare, also nicht nur Antworten auf festgelegte Fragen, sondern auch dezidierte Kommentare zum Hochschulzukunftsgesetz.

Ich bin davon überzeugt, dass das ein guter Weg ist, um ein solches Gesetz wirklich breit zu diskutieren – mit den Hochschulen, mit den Studierendenvertretungen, mit den Beschäftigten an den Hochschulen, mit allen denen, die zu diesem Gesetz etwas beitragen wollen und wichtige Anregungen haben.

Sie haben das früher anders gemacht. Das Hochschulfreiheitsgesetz wurde hier innerhalb kürzester Zeit durch das Parlament gebracht. Das ist Ihre Regierungszeit gewesen. Unter anderem dafür sind Sie auch abgewählt worden. So wollen wir nicht vorgehen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Schluss der Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung des Antrags Drucksache 16/1898 einschließlich des Entschließungsantrags der Fraktion der Piraten Drucksache 16/1962 an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung – federführend – sowie an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig beschlossen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt

3   Eltern nicht im Regen stehen lassen: U3-Rechtsanspruch erfüllen, Informationen über Ausbaustände transparent darlegen und Fachkräftemangel entgegenwirken

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1903 – Neudruck

Ich eröffne die Beratung und erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Tenhumberg das Wort.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um den Rechtsanspruch für U3-Kinder zum 1. August 2013 zu erfüllen, müssen zügig noch viele Tausend Kindergartenplätze geschaffen werden – wobei seit Langem feststeht, dass die vor Jahren definierte Bedarfsquote von 32 % für die Verwirklichung des Rechtsanspruchs für Eltern bei Weitem nicht ausreicht.

Durch das Versagen dieser Landesregierung werden entgegen allen Beteuerungen und Versprechungen unzählige Kinder und Familien in Nordrhein-Westfalen zurückgelassen.

(Beifall von der CDU)

Ihr Wahlkampfspruch „Wir werden kein Kind zurücklassen“ bewirkt bei den betroffenen Eltern und Trägern nur noch Gelächter und ungläubiges Kopfschütteln. Sie lassen nicht nur ein Kind, sondern Tausende von Kindern zurück.

(Beifall von der CDU)

Im letzten Jahr hat Rot-Grün den Eltern und Kommunen zum Kindergartenjahr 2012/2013 96.000 U3-Plätze im Kita-Bereich versprochen. In Wirklichkeit hat diese rot-grüne Regierung nur 85.890 solcher Plätze geschaffen. Das ist eine Planzielverfehlung von 10.110 Plätzen.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Meine Damen und Herren, trotz dieser leidvollen Erfahrungen und der Unfähigkeit, das Versagen einzugestehen, versprechen Sie von Rot und Grün wider besseres Wissen zum 1. August dieses Jahres 144.000 U3-Betreuungsplätze, davon 106.200 im Kita-Bereich. Nach dem bisherigen Desaster glaubt Ihnen das keiner mehr.

Meine Damen und Herren, es ist vollkommen schleierhaft, wie die zuständige Ministerin die landesweit fehlenden Betreuungsplätze schaffen will. Die Ausbaudynamik ist erlahmt. Erschwerend kommt hinzu, dass die avisierte Bedarfsdeckung von 32 % in vielen Teilen des Landes viel zu gering ist. Diese Landesregierung verpennt die Entwicklung!

(Beifall von der CDU)

Es ist schon eine Dreistigkeit, wenn die Ministerpräsidentin zum Jahresauftakt bezüglich des U3-Ausbaus dann auch noch behauptet: Wir sind schon nah dran. – Wie kann so etwas behauptet werden, obwohl die Fachministerin trotz intensiver Nachfragen bis heute nicht in der Lage ist, uns mitzuteilen, wie viele Mittel im letzten Jahr für den U3-Ausbau verausgabt wurden und wie viele Plätze aktuell vorhanden sind?

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Diese Landesregierung stochert im Dunkeln! Kein Flächenland in Deutschland ist derzeit so weit davon entfernt, die versprochenen Vorgaben zu erfüllen, wie Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU)

Nicht nur Schönreden, sondern Handeln ist gefragt, meine Damen und Herren.

Seit Langem ist bekannt, dass wir für eine gute Qualität im Kindergarten gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher brauchen. Auch hier Fehlanzeige bei dieser Regierung! Für eine gute Betreuung brauchen wir in Nordrhein-Westfalen mindestens 7.000 neue Erzieherinnen und Erzieher, und wir brauchen 2.000 neue Tagesmütter und Tagesväter. Auch hier absolutes Schweigen dieser Regierung!

(Beifall von der CDU)

Diese Regierung tut nicht genug, um den Fachkräftemangel zu beheben und die Betreuungsqualität zu gewährleisten.

Diese Regierung baut sich ihre eigene Fantasiewelt, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat. Denn ansonsten könnte die Ministerpräsidentin auf der Pressekonferenz zum Jahresauftakt nicht sagen, dass bei der Qualität der Betreuung keine Abstriche gemacht werden. Diese Aussage, liebe Kolleginnen und Kollegen, treibt Zornesröte in die Gesichter der Erzieherinnen und Erzieher sowie der verantwortlichen Träger,

(Beifall von der CDU)

weil das vor Ort bereits heute mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Richtig!)

Das, was diese Regierung macht, ist eine Mogelpackung ersten Grades.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Schon jetzt finden massive Qualitätsverschlechterungen statt: größere Gruppen, Abstriche bei den Bauvorschriften, zu wenig Fachpersonal und gleichzeitig verstärkter Einsatz von Hilfskräften.

(Widerspruch von den GRÜNEN)

Container als Übergangskitas sind nicht die richtige Maßnahme für eine gute Bildung und Erziehung von Kindern.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Wir sind entsetzt über dieses Vorgehen, über diese Standardabsenkung bei der U3-Betreuung durch diese rot-grüne Landesregierung, Frau Asch, wofür auch Sie verantwortlich sind. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige soll anscheinend unter massivem Verzicht auf Qualitätsstandards umgesetzt werden. Das Wohl des Kindes wird dabei nicht einmal erwähnt und bleibt völlig auf der Strecke. Das nennen wir unverantwortliche Politik!

(Beifall von der CDU)

Eine Zustimmung zu dem Antrag, wie von der gesamten Opposition gefordert, würde alle Beteiligten im Bereich der Kinderbetreuung freuen. Stimmen Sie uns also zu, und tun sie viel Gutes für die Kinder in diesem Lande! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, Marcel Hafke [FDP] und Daniel Düngel [PIRATEN])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema „U3-Ausbau“ ist in der letzten Woche ja noch einmal sehr prominent geworden, allerdings mit zwei völlig unterschiedlichen Betrachtungsweisen. Die kommunalen Spitzenverbände haben noch einmal ihre dringende Sorge deutlich gemacht und bereiten sich auf eine Klagewelle vor. Die Ministerpräsidentin – jetzt leider nicht hier – gibt eine Alles-ist-gut-Pressekonferenz und spricht von Zuversicht. Da fragt man sich natürlich, was der Realität etwas näher kommt.

Man konnte erst einen guten Eindruck haben. Es wehte ein sogenannter Chefsachenmoment durch die Luft: Frau Kraft begibt sich von den präsidialen Sphären und der Berliner Bühne in die Untiefen der Landespolitik und macht das U3-Thema zur Chefsache. Aber dieser Eindruck währte nicht lange, mal abgesehen davon, dass die Zuversicht der Ministerpräsidentin auf wackeligen Füßen steht.

Sie haben letztlich auch nur das unbedeutende Minimalziel benannt. Sie sagen: „Wir schaffen den Rechtsanspruch“, aber Sie meinen damit das 32-%-Angebot.

(Beifall von der FDP, der CDU und Daniel Düngel [PIRATEN])

Ich habe es bereits Frau Ministerin Schäfer gesagt und sage es – protokollarisch – auch noch mal der Ministerpräsidentin: Verabschieden Sie sich von den 32 %! Es geht um die tatsächliche Nachfrage. Und die wird viel höher liegen.

(Beifall von der FDP)

Selbst wenn landesweit 32 % erreicht werden: Solange nicht jede Familie, die das möchte, einen Platz bekommt, so lange ist der Rechtsanspruch nicht erfüllt. So einfach ist das.

(Beifall von der FDP, der CDU, Daniel Düngel [PIRATEN] und Michele Marsching [PIRATEN])

An Frau Kraft: Wenn Sie das nächste Mal „Chefsache“ suggerieren, dann beschränken Sie sich doch auf Ihre wichtigen Aufgaben wie die Verteidigung Ihres strauchelnden Kanzleraspiranten Peer „Fettnäpfchen“ Steinbrück.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ach so! Das ist die Aufgabe der Ministerpräsidentin?)

– Darum sollte sie sich vielleicht eher kümmern, denn zum „Thema U3“ hat sie ja anscheinend nichts mehr außer Zuversicht zu verbreiten.

(Beifall von der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es sind noch etwa sechs Monate, bis der Rechtsanspruch gilt. Trotzdem herrscht noch immer keine Klarheit, ob das geschafft werden kann – oder auch nicht. Die Landesregierung weigert sich geradezu, den Stand offenzulegen.

Deshalb fordern wir alle, die Opposition geschlossen, dass Sie endlich Ihren Informationspflichten nachkommen.

(Beifall von der CDU)

Die Kinder sind doch schon alle auf der Welt. Die Anträge der Jugendämter liegen vor. Die Ausbauzahlen müssten Ihnen aktualisiert vorliegen. Dann muss es doch möglich sein, einen Plan aufzustellen und genau zu schauen, wo nachgesteuert werden muss.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das KiBiz ist das Gegenteil von Steuern!)

Frau Altenkamp, wir erwarten – ich glaube, das gehört zu einer ehemaligen Koalition der Einladung dazu – eine regelmäßige Berichterstattung. Legen Sie uns alle zwei Monate im Ausschuss einen Bericht vor, wie die Lage im Land aussieht. Ich glaube, das ist das, was man mindestens erwarten kann. Das sind die Informationspflichten, denen die Landesregierung nachkommen muss.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Wir erwarten auch, dass Sie noch einmal das Thema „Fachkräftemangel“ angehen. Generell, Frau Ministerin Schäfer, erwarten wir, dass Sie – erstens – den Kommunen helfen, jetzt beim Schlussspurt noch viele Plätze zu schaffen. Zweitens – das muss nun auch auf die Agenda –: Helfen Sie den Kommunen auch für den Fall, dass die Zuversicht der Ministerpräsidentin nicht ausreicht! Was machen Sie, wenn nicht ausreichend Plätze geschaffen werden können? Was machen Sie, wenn nicht ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stehen?

(Andrea Asch [GRÜNE]: Machen Sie doch mal einen Vorschlag! Nichts kommt da!)

Frau Asch, was machen Sie, wenn die Eltern klagen? Was machen Sie? Sie haben als grüne Fraktion noch nicht eine Antwort dazu gegeben. Machen Sie endlich was! Wir erwarten Antworten von Ihnen.

(Beifall von der CDU)

Frau Asch, es ist ja etwas kurios, dass der Städtetag Rechtsgutachten vorlegt, aber die Landesregierung hinsichtlich ihrer eigenen Rechtsauffassung schweigt.

(Beifall von der FDP)

Es sind noch so viele Fragen offen, dass man als Opposition schon erwarten kann, endlich einmal Antworten zu bekommen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Jetzt muss endlich klar sein: Zuversichtsmentalität wird nicht reichen! In den letzten Monaten muss mit Vollgas gearbeitet werden. Das Parlament muss informiert werden. Ich erwarte, dass die Landesregierung die Probleme in den nächsten Wochen offenlegt, und bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Abgeordnete Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren, wir reden wieder einmal über das Thema „U3“. Das Fachliche können wir herauslassen. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten schon sehr viel darüber diskutiert, wie wichtig der U3-Rechtsanspruch ist, und sind uns darüber hier im Hause über alle Fraktionen hinweg absolut einig.

Was interessiert die Menschen vor Ort? Was interessiert uns? – Wir wollen wissen und Klarheit darüber haben, ob der U3-Rechtsanspruch tatsächlich erfüllt werden kann. Das interessiert nicht nur uns als Piratenfraktion, sondern das interessiert die Opposition insgesamt. Frau Ministerin Schäfer, ich gehe davon aus, dass Sie das genauso interessiert.

Insofern kann ich mich Herrn Hafke und Herrn Tenhumberg natürlich nur anschließen. Wir waren schon sehr überrascht, als die Ministerpräsidentin letzte Woche auf der Landespressekonferenz ganz deutlich und klar gesagt hat: Wir schaffen den U3-Rechtsanspruch.

Natürlich gehe ich davon aus, dass wir an der Stelle über die 32 % reden. Herr Hafke hat es gerade auch schon treffend und richtig formuliert: Ich könnte Unmengen an Zitaten verschiedener Jugendamtsleiter bringen, auch von Stephan Articus, dem Geschäftsführer des Deutschen Städtetages: Wir wissen ganz klar und eindeutig, dass 32 % gerade in den größeren Städten nicht reichen werden. Dort ist von 50 % und teilweise sogar 60 % die Rede, die die tatsächlichen Bedarfe und Zahlen beschreiben.

Genau das, was der Antrag erreichen will, hat uns als Piratenfraktion dazu gebracht, ihm sehr gerne beizutreten. Ich bin dankbar dafür, dass wir das noch hinbekommen haben. Wir wollen Transparenz schaffen, Frau Ministerin Schäfer. Wir erwarten ganz klar, dass Sie uns ganz aktuell über die Zahlen informieren. Frau Ministerin, wenn Sie die Zahlen nicht kennen, dann sagen Sie das bitte. Sagen Sie, dass Sie die Zahlen erst zu einem späteren Zeitpunkt kennen. Das wäre okay. Sagen Sie aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht: Wir schaffen den U3-Rechtsanspruch!

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Ein bisschen wundere ich mich schon. Der erste Presseartikel, den ich zu dem Thema gefunden habe, ist vom März/April letzten Jahres. Ganz sicher gibt der nicht den aktuellen Stand wieder. Wahrscheinlich liegen die Zahlen etwas niedriger. Aber halten wir uns nach wie vor vor Augen: 27.000 Plätze beziehen sich tatsächlich nur auf die geforderten 32 %!

Es werden Klagen von Eltern kommen. Das steht fest. Das wird ganz sicher so passieren. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie Mittel entsprechend zur Verfügung stellt und die Kommunen nicht alleine lässt. Wir als Piratenfraktion haben in dem Zusammenhang bereits einen Haushaltsänderungsantrag eingereicht, über den ein Topf zur Verfügung gestellt werden soll, damit den Eltern und den Kommunen zur Seite gestanden werden kann und die Probleme angepackt werden können.

Frau Ministerin, bitte informieren Sie den Landtag transparent über den aktuellen Ausbaustand! Genau das sagt der Antrag aus. Frau Asch und liebe Kollegen von der SPD, diesem Antrag kann man in der Tat zustimmen. Der Antrag verlangt von der Landesregierung Transparenz. Das ist das, was wir hier im Landtag haben wollen, was der Anspruch aller Abgeordneten – egal welcher Fraktion sie tatsächlich angehören – ist. Stimmen Sie diesem Antrag zu! Der Antrag ist gut. Wir sind an der Stelle auf dem richtigen Weg.

Lassen Sie uns über konkrete Zahlen sprechen. Wenn der U3-Rechtsanspruch eben nicht hundertprozentig erfüllt werden kann,

(Britta Altenkamp [SPD]: Kann er nicht!)

dann sagen Sie uns das. Wenn Sie uns gute Zahlen zu präsentieren haben, dann nennen Sie uns diese guten Zahlen, und Sie werden von der Opposition sicherlich auch Lob bekommen. Lassen Sie uns ansonsten an der Stelle gemeinsam weitermachen, und stimmen Sie dem Antrag zu. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Maelzer.

Dennis Maelzer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 1. August tritt der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige in Kraft. Im März werden die Jugendämter die verlässlichen Zahlen für das anstehende Kindergartenjahr melden. Heute befassen wir uns mit einem Antrag der Opposition zu diesem Thema.

Die Piraten sind diesem dünnen Papier von CDU und FDP als dritter Antragsteller beigesprungen. Inhaltliche Veränderungen sind mir allerdings nicht aufgefallen. Offensichtlich genügt es, wenn in einem Antrag von „Transparenz“ die Rede ist, damit sich die Piraten damit identifizieren können.

(Lachen von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das ist mir aber deutlich zu wenig an Substanz, um stärker auf Sie einzugehen.

Ich möchte mich in meinem Beitrag lieber mit meinen Vorrednern von CDU und FDP beschäftigen: Herr Tenhumberg, Herr Hafke, das war abenteuerlich. Sie haben Ihre Reden zum Teil mit gespielter Empörung und zum Teil sehr staatstragend vorgetragen. Aber während ich Ihnen zuhörte, kam mir die ganze Zeit lang nur ein Satz in den Sinn, der lautet: Hier ruft der Brandstifter nach der Feuerwehr.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lebhafter Widerspruch von der CDU und der FDP)

In Ihrem Antrag steht zwar, der Rechtsanspruch sei in einem parteiübergreifenden Konsens gefordert worden. In Wirklichkeit aber war der U3-Ausbau für CDU und FDP niemals eine Herzensangelegenheit.

(Lachen von der CDU und der FDP)

Das belegt die Einführung des Betreuungsgeldes durch Schwarz-Gelb, einer Prämie, damit Eltern ihre Kinder eben nicht in die Kita schicken.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hafke zulassen?

Dennis Maelzer (SPD): Wenn er mir sein Herz ausschütten möchte.

(Heiterkeit von der SPD)

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Abgeordneter Maelzer. – Ich habe eine Frage zum Zeitraum 2005 bis 2010, als FDP und CDU regiert haben. Können Sie bestätigen, dass die Landesregierung in diesem Zeitraum ausgehend von 10.000 U3-Plätzen fast 90.000 U3-Plätze geschaffen hat?

Dennis Maelzer (SPD): Ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar, weil dieser Zusammenhang von Schwarz-Gelb immer wieder angeführt wird:

Erstens. Die Zahlen, von denen Sie ausgehen, sind viel zu niedrig angesetzt.

Zweitens. Woher haben Sie das Geld für die Plätze genommen, die geschaffen worden sind? Das haben Sie der Bundesregierung zu verdanken, die auf Druck der SPD den Rechtsanspruch eingeführt hat. Aber Sie selber haben keinen Cent dazu beigetragen.

Jetzt komme ich zu den vier Unterschieden zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün, die ich heute gerne aufzeigen wollte:

Der erste Unterschied war die unzureichende Finanzierung. Ich habe es eben erwähnt: Kein Euro frisches Landesgeld ist von CDU und FDP in den U3-Ausbau geflossen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, würden Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kern zulassen?

Dennis Maelzer (SPD): Bitte, Walter.

Walter Kern (CDU): Danke schön, Dennis. – Ich möchte noch einmal auf Folgendes hinweisen und auch eine Antwort darauf haben: Die Finanzierung über den Bund, bei der alle Bundesländer zunächst das Bundesgeld verwendet haben, hat doch dazu geführt, dass kein Geld im Haushalt war und erst später nachgeschossen wurde. Das ist marktübliche Praxis. Können Sie dieses Verfahren bestätigen?

Dennis Maelzer (SPD): Das kann ich in der Form nicht bestätigen. Andere Bundesländer sind zum Teil anders vorgegangen. Auch wir wären erheblich weiter, wenn Sie die Bundesmittel mit einem eigenen Landesprogramm flankiert hätten. Dann wären wir jetzt erheblich weiter.

(Beifall von der SPD)

Aber das, was Sie versäumt haben, holt Rot-Grün jetzt nach. Erstes Beispiel: 400 Millionen € an Landesmitteln haben wir den Jugendämtern bereits für die U3-Ausbau zur Verfügung gestellt. In diesem Jahr kommen weitere 40 Millionen € hinzu. Null Euro zu Ihrer Zeit, 440 Millionen € unter Rot-Grün – das ist der Unterschied zu CDU und FDP.

(Beifall von der SPD)

Dass Sie die Mittel zu Ihrer Zeit auch nach dem Windhundprinzip verteilt haben und es zu einem massiven Ungleichgewicht in den Kommunen gekommen ist, will ich an dieser Stelle gar nicht weiter ausführen. Ich will aber daran erinnern, dass die CDU noch 2011 die Haushaltsmittel für den U3-Ausbau streichen wollte, genau nach dem Prinzip „Brandstifter, der nach der Feuerwehr ruft“.

(Beifall von der SPD)

Das zweite Beispiel ist in seiner Tragweite sogar noch gravierender. Sie haben es versäumt, mit den Kommunen die notwendigen Konnexitätsverhandlungen über die Betriebskosten zu führen. Sie haben die Kommunen allein gelassen, und auch das hat die Ausbaudynamik gebremst. Auch hier musste die jetzige Landesregierung handeln und die Gespräche mit den Kommunen führen. Das Ergebnis: Der Landesanteil an der Finanzierung steigt von 35 auf 55 %. Das sind 1,4 Milliarden € bis 2018. Null Euro für Konnexität bei Ihnen, 1,4 Milliarden € unter Rot-grün – das ist der Unterschied.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Drittes Beispiel: Sie haben mit dem KiBiz ein Spargesetz verabschiedet, auch zulasten der Qualität in der U3-Betreuung. Wir haben bereits mit der ersten Stufe der KiBiz-Revision die Betreuungsrelation in den U3-Gruppen und damit die Qualität in der U3-Betreuung gezielt verbessert.

Viertes Beispiel: Ihr Spargesetz KiBiz hat dazu geführt, dass in zahlreichen Einrichtungen überhaupt keine Berufspraktikantinnen und ?praktikanten mehr beschäftigt wurden. Das sind aber die dringend benötigten Fachkräfte von morgen. Auch hier haben wir gehandelt: Wir haben ein Programm für Jahres­praktikantinnen und Jahrespraktikanten aufgelegt und darüber 2.000 Nachwuchskräfte gefördert. Was folgt daraus?

(Marcel Hafke [FDP]: Keine Antwort auf unsere Fragen!)

Sie haben mit Ihrer Politik die Eltern im Regen stehen lassen – übrigens dieselben Eltern, denen Sie jetzt für die Kinder im letzten Kita-Jahr wieder Beiträge abknöpfen wollen. Im Wahlkampf hatten Sie übrigens noch etwas ganz anderes versprochen.

In Ihren Wortbeiträgen habe ich zu all dem kein einziges Wort gehört.

(Marcel Hafke [FDP]: Keine Antwort auf unsere Fragen!)

Für Selbstkritik war auf den anderthalb Seiten Ihres Antrags wahrscheinlich kein Platz. Aber Selbstkritik hätte Ihnen da gut zu Gesicht gestanden.

Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb haben SPD und Grüne beim U3-Ausbau eine Aufholjagd gestartet: mehr Landesgeld für Investitionen und Betriebskosten, eine bessere Betreuungsrelation in den U3-Gruppen und zusätzliche Stellen, um den Nachwuchs bei den Fachkräften zu sichern. Dafür steht diese Regierung, und auf diesem Weg werden wir weitergehen mit dem Ziel, dass jede Familie, die eine Betreuung benötigt, auch ein Betreuungsangebot erhält. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Maelzer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Asch.

Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Bund, Länder, Kommunen, Träger und natürlich nicht zuletzt die Einrichtungen stellt der Rechtsanspruch, der im August 2013 erfüllt sein muss, vor große Herausforderungen. Ich denke, darüber besteht Einigkeit in diesem Haus.

Aber CDU und FDP stellen hier Schauanträge, statt diesen durchaus schwierigen Prozess konstruktiv zu begleiten. Sie nutzen die große Aufmerksamkeit, die durch die Medien auf diesem Thema liegt, gnadenlos aus, um daraus politisches Kapital zu schlagen.

(Zuruf von der FDP)

In einer Situation, in der wir alle, auch die Opposition, an einem Strang ziehen sollten, um die Kommunen bei der Bewältigung dieser anspruchsvollen Herausforderung zu unterstützen, jagen Sie der schnellen Schlagzeile hinterher. Das ist unverantwortlich, auch für eine Opposition.

(Marcel Hafke [FDP]: Das ist immer noch keine Antwort auf unsere Fragen!)

Ich bin etwas enttäuscht, dass die Piratenfraktion, die sich bei diesem Thema bis jetzt immer sehr konstruktiv gezeigt hat, bei diesem sehr dünnen Antrag – da hätte man genauso gut eine Kleine Anfrage stellen können – beigesprungen ist. In diesem Antrag finden sich nämlich keine einzige konkrete Vorstellung und keine Idee vonseiten der Opposition, wie diese Herkulesaufgabe bewältigt werden könnte. Da kneifen Sie; dazu haben Sie nichts beizutragen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Im Gegenteil: Das, was Sie hier fordern, vergrößert den bürokratischen Aufwand auf allen Ebenen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist genau das Gegenteil von dem, was wir im Moment brauchen. Es kann doch nicht darum gehen, jetzt irgendwelche Excel-Listen zu fertigen, sondern es muss darum gehen, dass alle Energie in den Bau von Plätzen vor Ort geleitet wird. Das ist das Thema.

(Beifall von den GRÜNEN)

Frau Schröder hatte übrigens auch einmal diese Schnapsidee eines permanenten Berichtswesens. Alle Bundesländer, im Übrigen auch die CDU-geführten, haben das damals abgelehnt. Jetzt kommen Sie mit diesem dünnen Antrag.

(Zuruf von der FDP: Weil sie nicht wissen, wo sie stehen!)

Herr Hafke, dann wollen Sie Zahlen zu den Fachkräften. Kümmern Sie sich doch lieber darum – das sage ich vor allem in Richtung CDU-Fraktion –, dass die CDU-Arbeitsministerin in Berlin ihre Hausaufgaben macht und dass sie die Barrikaden bei der Umschulung der Fachkräfte abbaut. Den Fachschulen erlegt sie nämlich eine staatliche Zertifizierung auf. Das kostet 50.000 € im Monat. Das sind die bürokratischen Hürden, die abgebaut werden müssen. Das muss aber in Berlin passieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die rot-grüne Landesregierung und wir als Fraktionen sind bereits initiativ geworden, um den Bedarf an Fachkräften zu decken. Wir haben die Ausbildungskapazitäten deutlich erhöht. Wir eröffnen zudem die Möglichkeit einer praxisintegrierten Ausbildung, damit wir wirklich mehr Erzieherinnen und Erzieher in die Einrichtungen bekommen.

Wenn Sie hier Schauanträge stellen – das sage ich an CDU und FDP gerichtet –, kann ich Ihnen eines nicht ersparen: Es war unter der Verantwortung von Schwarz-Gelb, dass wir bundesweit auf den letzten Platz der Tabelle gerutscht sind. Es war die Verantwortung der schwarz-gelben Landesregierung, die von den Kommunen verklagt wurde, weil die U3-Bundesgelder nicht an die Kommunen weitergeleitet wurden. Es war die Verantwortung der schwarz-gelben Landesregierung, die die Bundesmittel nach Haushaltslage gedeckelt und damit die Kommunen bei ihren Ausbauanstrengungen behindert hat. Das ist die Realität.

Hinzu kommt, dass Sie selbst, als Sie hier schon auf den Oppositionsbänken gesessen haben, gefordert haben, dass im Haushalt 2011 die Investitionsmittel für die Kommunen, die wir – Rot-Grün – eingestellt haben, wieder gestrichen werden. Dann stellen Sie sich hierhin und rufen: „Haltet den Dieb“? Das ist völlig absurd.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Asch, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stamp von der FDP-Fraktion zulassen?

Andrea Asch (GRÜNE): Sofort, Herr Präsident! – CDU und FDP benehmen sich wie Müllnomaden, die aus einer Wohnung ausziehen, sie völlig vermüllt hinterlassen, hinterher kommen und sagen: Oh, hier ist es aber unordentlich. – Das genau ist Ihre Haltung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Asch, darf ich nun die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stamp zulassen?

Andrea Asch (GRÜNE): Jetzt, bitte schön, Herr Stamp.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Verehrte Kollegin Asch, herzlichen Dank. – Meine Frage – es war gerade ein Missverständnis mit dem Präsidium – bezieht sich auch auf einen etwas früheren Abschnitt Ihres Beitrags eben.

Sie haben gesagt, von unserer Seite seien keine Vorschläge gekommen. Teilen Sie nicht die Einschätzung, dass es sehr sinnvoll wäre, wie vom Kollegen Hafke angeregt, wenn wir eine regelmäßige Berichterstattung über die konkreten Zahlen, die konkreten Entwicklungen hätten, um ein entsprechendes Monitoring und Controlling in diesem Bereich gewährleisten zu können? – Danke schön.

Andrea Asch (GRÜNE): Lieber Kollege Stamp, wir befinden uns wenige Monate vor Wirksamkeit des Rechtsanspruches. In dieser Zeit geht es nicht mehr darum,

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Wir fordern das schon seit Monaten!)

auch den Trägern mehr an Bürokratie abzuverlangen. Es sind ja auch die Träger und die Kommunen, die die Zahlen liefern müssen. Hier gilt der alte Satz: Das Schwein wird nicht davon fett, dass man es öfter wiegt, sondern das Schwein wird davon fett, dass man ihm Futter gibt. Und das machen wir als Rot-Grün. Wir bezahlen die Plätze. Wir leisten die Investitionsmittel.

(Beifall von den GRÜNEN – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das Schwein ist das letzte Mal gewogen worden, als es noch ein Ferkel war!)

– Melden Sie sich noch einmal! Wir können nicht in einen Dialog gehen.

Bei aller Substanzlosigkeit hat dieser Antrag noch eine nette Petitesse: Plagiate sind ja zunehmend bei CDU und FDP ein Thema.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Aha!)

Machen Sie nicht solche Peinlichkeiten! Sie haben den Titel eines Antrages von mir aus dem Jahre 2009 übernommen: „Eltern nicht im Regen stehen lassen“. Das war ein grüner Antrag aus dem Jahre 2009. Sie schaffen es nicht einmal, eigene Überschriften für Anträge zu formulieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann lautet die interessante Frage: Was kommt eigentlich aus Berlin an Unterstützung? Es ist klar: Frau Bundesministerin Schröder hat die letzten drei Jahre nichts, aber auch gar nichts für die Beschleunigung des U3-Ausbaus getan. Sie hat keinen Krippengipfel gemacht, um die neue Bedarfslage abzubilden und mit den Kommunen zu eruieren. Sie ist nicht in der Lage, die Bundesmittel an den gestiegenen Bedarf anzupassen – auch da Fehlanzeige!

Erst die rot-grünen Bundesländer waren es – wir erinnern uns –, die praktisch die Bundesregierung in den Fiskalpaktverhandlungen gezwungen haben, weitere 580 Millionen € für den U3-Ausbau zur Verfügung zu stellen. Sonst kommt von der Bundesregierung nichts an Unterstützung – im Gegenteil. Das unsinnige Betreuungsgeld wird eingeführt. Es wäre viel besser, die 1,5 Milliarden €, die dafür verpulvert werden, in den U3-Ausbau zu stecken. Das wäre wirklich eine Hilfe.

Die rot-grüne Landesregierung und die Fraktionen von SPD und Grünen bringen den U3-Ausbau voran. Wir beseitigen die Blockaden: 400 Millionen € mehr Investitionskosten, 1,4 Milliarden € an laufenden Betriebskosten.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Andrea Asch (GRÜNE): Ich komme zum Ende. – Das ist konkrete Unterstützung beim Aufbau der Krippenplätze.

Ich möchte mich nun bei all denen bedanken, die an dem Projekt mit Elan, mit Energie und mit großem Arbeitseinsatz mitwirken. Das sind sehr viele im Lande. Aber eines ist sicher: Die Fraktionen von CDU und FDP gehören nicht dazu. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schäfer.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann nachvollziehen, wir alle schauen sehr gespannt auf den 1. August 2013. Ich kann für die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen sagen, dass wir allergrößte Anstrengungen in den letzten drei Jahren unternommen haben und unternehmen, um die Kommunen und die Träger von Kindertageseinrichtungen dabei zu unterstützen, dass es uns gemeinsam gelingt, in Nordrhein-Westfalen den Rechtsanspruch auch gut umsetzen zu können.

Ich habe auch Verständnis dafür, dass die Opposition ein solches Datum nutzt, um immer wieder aus der Opposition heraus das Thema zu begleiten. Was ich aber nicht nachvollziehen kann, ist, in welcher Art und Weise Sie versuchen, hier Ängste zu schüren, und was Sie hier für ein Szenario entwickeln. Das entspricht in der Tat nicht dem, was ich in der Fläche des Landes an Anstrengungen von allen Seiten, die mit diesem Thema befasst sind, erlebe, um den Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu helfen.

Ich möchte noch ein wenig Licht ins Dunkel bringen bei der einen oder anderen Sache, die von den antragstellenden Fraktionen diskutiert worden ist. Als Erstes etwas zu den 32 % – das sage ich an die Adresse der Piraten –: Das ist kein Wert, den die Landesregierung willkürlich gesetzt hat. Das ist auch kein Wert – das möchte ich noch einmal ganz deutlich machen –, den jede einzelne Kommune erreichen muss, sondern es ist ein Wert, der von einem Institut aufgrund einer Befragung ermittelt worden ist, wie man das üblicherweise macht. Dieser Wert ist noch einmal auf 33,9 % in einer zweiten aktuelleren Befragung erhöht worden.

Wir brauchen hier nicht in jeder Kommune 32 % – das wissen wir –, aber wir brauchen in einzelnen Kommunen, vor allen Dingen in den großen Städten, deutlich mehr als 32 %. Auch das ist keine neue Erkenntnis. Das haben wir schon lange gewusst. Auch daran arbeiten wir.

Uns aber in unserer Regierungszeit mangelnde Transparenz vorzuwerfen, finde ich schon bemerkenswert. Alle Fraktionen waren zu zwei Krippengipfeln eingeladen, bei denen wir alle Zahlen ordentlich auf den Tisch gelegt haben, mit ihnen die Probleme durchgegangen sind, um zu überlegen, wie wir gemeinsam weitere Unterstützung für die Kommunen und für die Träger von Kitas bewirken können. Alle Zahlen liegen Ihnen vor.

Die Zahlen, die Sie in dem Antrag jetzt verlangen, werden ungefähr in zwei Monaten wieder ermittelt auf dem Tisch liegen. Das sind die zwei Monate, die Sie fordern. Dann können wir die Zahlen auch präsentieren. Um deutlich zu machen, dass wir ein wenig Optimismus dabei verbreiten können, dass wir diesem Ziel, das wir uns selbst gesteckt haben, näherkommen, möchte ich Ihnen eine Zahl nennen, die deutlich machen kann, wie viel Dynamik zurzeit in der Fläche des Landes festzustellen ist. Seit März des letzten Jahres, als uns noch 27.000 Plätze fehlten – das hat sich jetzt mit Sicherheit verändert –, wurden an Landes- und Bundesmitteln ca. 260 Millionen € bewilligt.

Wenn man sich überlegt, dass in der Investition von uns ein Platz mit 10.000 € gerechnet werden kann, dann kann man schon einmal eine Kopfrechnung vornehmen. Ob diese Rechnung unterm Strich genauso aufgehen wird, das kann ich nicht prognostizieren, weil ich natürlich nicht jede Woche auf den Baustellen des Landes nachfragen lasse, wie viele Projekte gerade abgeschlossen sind. Ich bin ebenso wie Frau Asch der Meinung, dass wir im Grunde genommen dafür sorgen müssen, dass die Rahmenbedingungen seitens des Landes gut gestellt sind – das sind sie – und dass wir die Träger und Kommunen bei allem unterstützen, um tatsächlich entsprechende Plätze bauen zu können.

(Beifall von Norbert Römer [SPD] und den GRÜNEN)

Diese Landesregierung muss sich an keiner Stelle in ihrem Bemühen verstecken, die Kommunen, die Träger und damit die Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen. Ich kann an dieser Stelle mit Blick auf Berlin nur sagen: Denken Sie einmal über das unsinnige Betreuungsgeld nach. Das Geld hätten wir gerne für den Ausbau weiterer Plätze in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte auf einen Punkt des angeblich so guten Antrags eingehen, bei dem ich ein bisschen geschmunzelt habe, und zwar auf eine konkrete Forderung. Sie sagen, der Fachkräftemangel wäre ein weiteres Problem. Wir haben als Ergebnis des zweiten Krippengipfels eine Stellenbörse eingerichtet. Jetzt fordern Sie, dass die Landesregierung darlegt, wie viele Fachkräfte ein Stellengesuch über die Stellenbörse aufgegeben haben. Ich empfehle Ihnen, den Piraten in besonderer Weise, einmal das Internet zu bemühen. Machen Sie die Seite „www.kitastellen.nrw.de“ auf. Dort sehen Sie genau, wie viele Fachkräfte ein Stellengesuch und wie viele Einrichtungen ein Stellenangebot dort eingestellt haben. Wir haben in dem einen Monat 10.200 Zugriffe gehabt – das kann man ja ermitteln –, ein paar Zugriffe davon waren von mir, weil ich gelegentlich dort hineinschaue. Man kann jeden Tag genau ablesen, wie dieses Portal genutzt wird, und ich kann Ihnen sagen: Gesuche und Angebote halten sich absolut die Waage.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Ich bitte Sie alle ganz herzlich: Rüsten Sie in der emotionalen Debatte ab. Von den kommunalen Spitzenverbänden hat niemand von einer Klagewelle gesprochen, sondern sie sagen alle: Wir gehen davon aus, dass es vereinzelt Klagen geben kann. – Das habe ich auch niemals bestritten. Aber ich weiß, wie viel Kreativität, Eifer und Arbeit inzwischen alle in den Kommunen, die letztlich den Rechtsanspruch erfüllen müssen, eingesetzt haben. Ich möchte mich von hier aus bei allen denen bedanken, die hier aktiv mitarbeiten. Wir stehen nach wie vor an ihrer Seite. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer. – Ich habe noch zwei Wortmeldungen, und zwar von Herrn Kollegen Düngel von der Piratenfraktion und von Herrn Kollegen Hafke von der FDP-Fraktion.

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ein, zwei Sachen zur Klarstellung: Frau Ministerin Schäfer, ja, es sind viele Anstrengungen unternommen worden. Ich glaube auch, dass ganz viele Menschen äußerst fleißig daran arbeiten, dieses Ziel zu erreichen. Jeder von uns weiß, wie schwer die Voraussetzungen sind. Das steht völlig außer Frage.

Für uns – da möchte ich mich speziell an den Kollegen Maelzer und an Frau Asch wenden – ist hier natürlich der Punkt der Transparenz wichtig. Wir wollen, dass uns die Landesregierung genau über den aktuellen Stand der Dinge aufklärt.

Frau Ministerin Schäfer hat gerade gesagt: Die Anzahl der Stellengesuche kann man online sehen. – Wie viele tatsächlich vermittelt wurden, das kann ich an der Stelle nicht nachvollziehen. Ansonsten lasse ich mir das gerne erklären.

Herr Maelzer hatte uns vorgeworfen, wir träten einem Antrag bei, wenn allein das Wort „Transparenz“ vorkomme. Das ist ganz sicher nicht so. Wir wollen das an der Stelle inhaltlich unterstützen.

Ansonsten kam von Ihrer Seite inhaltlich nicht ganz so viel. Ich habe nur Vorwürfe gehört, Schwarz-Gelb habe dies, Rot-Grün habe das getan.

(Beifall von den PIRATEN)

Das ist an der Stelle alles Blabla und interessiert niemanden. Inhaltlich kam da gar nichts. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Düngel. – Für die FDP-Fraktion – 46 Sekunden haben Sie noch – spricht nun Herr Hafke. Bitte schön.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich hier mit einer Sache aufräumen möchte. Wir stellen einen solchen Antrag doch nicht, weil uns langweilig ist.

(Zurufe von der SPD: Oh! – Zuruf: Doch!)

Es geht um die Sorgen und Ängste der Menschen in unserem Land, der Eltern und der Familien.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Die Eltern, die Familien erwarten von dieser Landesregierung, dass sie ihre Verantwortung wahrnimmt und den Menschen sagt, ob sie den Rechtsanspruch erfüllen kann,

(Dennis Maelzer [SPD]: Heuchler!)

ob sie ein gutes Bildungsangebot in den Kindergarteneinrichtungen bekommen. Darauf haben Sie heute keine Antwort geliefert. Das ist abenteuerlich. Ich möchte das noch einmal unterstreichen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Frau Asch, Sie hätten den Menschen heute sagen können, wie Ihr Konzept aussieht, den Rechtsanspruch zu erfüllen, wie Ihr Controlling aussieht, wie die Zuversicht, die die Ministerpräsidentin letzte Woche geäußert hat, aussieht.

(Zuruf von den PIRATEN)

Wie realisieren Sie diese Zuversicht, Frau Ministerpräsidentin, in tatsächliche U3-Plätze? Keine Antwort, große Tiraden, nur Rückspiegel, keine Perspektive in die Zukunft! Das werfe ich Ihnen vor. Ich erwarte ein vernünftiges Controlling, damit die Ministerin nachsteuern kann. Selbst das haben Sie in den letzten Wochen und Monaten nicht hinbekommen.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

– Das ist das Abenteuerliche, Frau Altenkamp.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hafke. Mit Applaus sind Sie mit der Zeit ungefähr hingekommen. – Die Ministerin hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Ministerin Schäfer.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Hafke, Ihr Wortbeitrag hat mich doch noch einmal ans Rednerpult geholt. Denn Sie haben gesagt, wir würden nicht sagen, was wir konkret zur Unterstützung tun.

Ich möchte Sie noch auf eines hinweisen: Die Landesregierung kann die Rahmenbedingungen schaffen, indem sie finanzielle Mittel bereitstellt, um Träger und Kommunen in die Lage zu versetzen, zu bauen. Aber Bauen müssen die Kommunen und die Träger selbst.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen mehr; es gibt auch keine weitere Redezeit mehr. Wir sind am Ende der Beratung und kommen zur Abstimmung.

Die drei antragstellenden Fraktionen CDU, FDP und Piraten haben direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt dem Antrag zu? – Was zu erwarten war: Piraten, CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Auch das war zu erwarten: SPD und Grüne. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/1903 – Neudruck – mit der Stimmenmehrheit von Rot und Grün abgelehnt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

4   NRW für einen identitätsgerechten Umgang mit Migranten – Abschaffung der Optionspflicht

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1899

Ich eröffne die Beratung. Als Erste spricht für die Fraktion der Piraten Frau Brand. Sie haben das Wort.

(Unruhe)

– Kolleginnen und Kollegen, ich darf wieder einmal darum bitten, dass Sie leiser sind, dass Sie den Saal leise verlassen und Gespräche im Raum leise oder am besten gar nicht führen, damit die Rednerin Gehör findet. – Frau Brand, Sie haben das Mikrofon. Bitte schön.

Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Am 16. November letzten Jahres forderten Minister Jäger und Minister Schneider in einer gemeinsamen Pressemitteilung die Abschaffung der Optionspflicht.

Ein weiteres von unzähligen Beispielen hierzu stammt vom 14. Januar, und zwar vom Sachverständigenrat. Hier äußerte sich die Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Frau Prof. Christine Langenfeld, wie folgt – ich zitiere –:

„Ein Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft gegen den Willen der Betroffenen ist ein integrationspolitisch verheerendes Signal an junge Menschen, die sich grundsätzlich für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden haben …. Statt ihre Zugehörigkeit zu stärken, schlagen wir diesen jungen Deutschen mit Doppelpass die Tür vor der Nase zu.“

Moment, da war ja was!

(Die Rednerin knüllt ihr Papier zusammen und wirft es weg.)

Ich muss ja hier niemanden überzeugen. Fast alle Fraktionen sind ja für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. So hat man sich zumindest geäußert.

Ich erinnere mich an den 1. Dezember letzten Jahres. Da waren Abgeordnete aller Fraktionen in Paderborn. Am Schluss hatte jeder noch ein Abschlussstatement zu geben. Jeder Einzelne einer jeden Fraktion – und für die SPD war es Minister Schneider, der dort sprechen durfte – sagte: Wir möchten die doppelte Staatsbürgerschaft, wir möchten die Abschaffung der Optionspflicht. – Das sagten alle vor dem gesamten Integrationsrat. Nur Frau Güler hatte es nicht ganz so leicht. Sie sagte zwar auch, sie möchte das gerne, sie könne aber bis jetzt ihre Fraktion noch nicht überzeugen; sie arbeite aber daran. – Okay.

Nur sollten auf Worte bitte auch Taten folgen. Wir haben im November den Antrag zur Bundesratsinitiative vorbereitet und wollten den anderen Fraktionen die Chance geben, mitzugehen, einen gemeinsamen Antrag zu stellen, etwas Wunderschönes. Dementsprechend haben wir Ende November allen Fraktionen diesen Antrag zur Verfügung gestellt und haben ihn nicht im Dezember eingereicht, sondern wirklich bis jetzt, Ende Januar, gewartet, um den Antrag ins Plenum zu bringen.

Niemand von Ihnen hat sich angeschlossen. Die Begründungen, die ich dazu gehört habe, waren mannigfaltig, aber ihnen war eines gemein: Es ging nur um politisches Kalkül. Die einen sagten: Nein, wir warten mal bis nach der Bundestagswahl und ziehen das dann auf Bundesebene ganz groß auf. – Die anderen sagten: Nein, wir warten mal bis kurz vor der Bundestagswahl; das kommt richtig gut, kurz vor der Bundestagswahl so etwas zu machen. – Wiederum andere sagten: Ach, nur die Abschaffung der Optionspflicht ist nicht genug. Wir ziehen das größer auf und machen noch eine Einbürgerungsoffensive obendrauf. – Und, und, und.

Wenn Sie sich die Umfragen und die Ergebnisse der Niedersachsen-Wahl ansehen, könnten wir Piraten sagen, dass uns politisches Kalkül auch ganz gut anstehen würde. Wir könnten ja jetzt taktieren und sagen: Wir warten einmal mit dem Antrag bis kurz vor der Bundestagswahl, und dann punkten wir richtig schön.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das glaubt ihr auch nur!)

Aber, meine Damen und Herren, sobald Menschen und ihr Schicksal im Spiel sind, liegt uns politisches Kalkül fern. Das kann man nicht machen. Man spielt damit nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch jetzt habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Sie sich uns anschließen. Dementsprechend haben wir uns bewusst dafür entschieden, darüber heute nicht abstimmen zu lassen, sondern den Antrag an die Ausschüsse zu überweisen. Wenn Sie sagen, er muss erweitert werden, Sie möchten noch etwas draufpacken, dann haben Sie in den nächsten Wochen die Gelegenheit, das zu tun und dann vielleicht doch mit uns gemeinsam über diesen Antrag abzustimmen.

(Beifall von den PIRATEN)

Bezüglich des Zeitpunktes haben wir, finde ich, ein verdammt gutes Timing. Denn seit letzten Sonntag haben sich die Mehrheiten im Bundesrat verändert. Rot-Grün hat dort jetzt das Sagen. Das heißt: Was im Herbst 2011 noch abgeschmettert wurde, kann im Bundesrat jetzt endlich verabschiedet werden. Meine Damen und Herren, setzten Sie mit uns ein Zeichen und schließen Sie sich an,

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

diese Optionspflicht endlich abzuschaffen! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr von Grünberg.

Bernhard von Grünberg (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Anliegen der Piraten ist berechtigt. Das steht auch so in unserem Koalitionsvertrag. Deswegen gibt es da gar kein Vertun.

Ich möchte den Hintergrund noch einmal darlegen. Es war die rot-grüne Bundesregierung, die im Jahre 2002 das Staatsbürgerrecht neu regeln wollte. Wir wollten eine doppelte Staatsangehörigkeit. Dann gab es die unsägliche Kampagne von Herrn Koch gegen die doppelte Staatsangehörigkeit, und dann musste der – in Anführungszeichen – faule Kompromiss mit der Optionspflicht gefunden werden.

Jetzt haben wir die Situation, dass die jungen Leute optieren müssen. Obwohl sie Deutsche sind, sind sie jetzt gezwungen, sich zu entscheiden: Will ich Deutscher bleiben, oder will ich die Staatsangehörigkeit meiner Eltern oder meiner familiären Wurzeln annehmen? – Das ist für diese jungen Leute natürlich ganz schwierig.

Wir haben jetzt seit 2008 diese Optionsmöglichkeit. Bis zum Jahr 2017 betrifft das pro Jahr ungefähr 7.000 Jugendliche, aber ab 2018 sind es bis zu 40.000 Jugendliche in Deutschland, die optieren müssen.

Ich sage es noch einmal: Es kann nicht angehen, dass wir diese Jugendlichen in die Situation bringen, dass sie sich praktisch als Deutsche gegen die eigenen Wurzeln, gegen die Staatsangehörigkeit der Eltern wehren müssen und dadurch in einen Konflikt geraten. Es mag sein, dass sich viele Jugendliche aus diesen Rücksichtnahmen gegen die  deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden und dann in einer misslichen rechtlosen Situation sind. Das kann nicht richtig sein.

Minister Schneider und Innenminister Jäger haben eine Kampagne gestartet, jeden Jugendlichen anzuschreiben. Ich möchte die Piraten daran erinnern, dass es im November 2011 eine Bundesratsinitiative gab, der wir uns angeschlossen haben. Da haben wir leider die Abstimmung verloren.

Sie haben recht: Jetzt gibt es die Situation, dass wir eine erneute Bundesratsinitiative machen, nachdem Herr McAllister nun die Mehrheit verloren hat. Herr McAllister hat im Übrigen auch zwei Staatsangehörigkeiten, nämlich die britische und die deutsche. Warum soll das, was bei einem Ministerpräsidenten möglich ist, eigentlich bei einem türkischen Jugendlichen nicht möglich sein?

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Deswegen sage ich: Wir müssen dringend eine Veränderung hinbekommen. Wir haben jetzt die Situation, dass es hier 6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund über 20 Jahren gibt. 75 % von ihnen leben länger als acht Jahre hier,

(Theo Kruse [CDU]: Acht Wochen!)

hätten also theoretisch die Möglichkeit, Deutsche zu werden, aber sie werden es nicht. Die Zahl der Einbürgerungen ist stark zurückgegangen. Deswegen müssen wir uns fragen: Woran liegt das eigentlich? Deswegen sind wir der Auffassung: Eine weitere Diskussion über die Staatsbürgerschaft insgesamt muss stattfinden.

Wir brauchen diese doppelte Staatsangehörigkeit. Die Hürde für die Einbürgerung ist relativ hoch. Warum müssen es unbedingt acht Jahre sein? Warum müssen hohe Einbürgerungskosten gezahlt werden? Warum ist es dringend notwendig, zum Beispiel die Frage der Freiheit von Transferleistungsbezug zu prüfen? Wie soll es zum Beispiel eine Großfamilie, bei der Mann und Frau arbeiten gehen und es fünf Kinder gibt, schaffen, unabhängig von Transferleistungen zu sein? Viele deutsche Familien, erst recht mit unteren Einkommen, schaffen das auch nicht.  

Es gibt eine Fülle von Fragen, die eigentlich geregelt werden müssen. Die CDU hat einen Antrag gestellt „Martin und Metin werden hier gebraucht. Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften verhindern – Anreize zum Hierbleiben oder zur Rückkehr schaffen.“ Die Kollegen haben die Frage angesprochen: Was tun wir eigentlich dagegen, dass so viele junge Akademiker wieder in die Türkei zurückgehen und nicht hierbleiben, obwohl sie hier ausgebildet wurden? Im Übrigen werden Studienzeiten auch nicht auf die acht Jahre angerechnet. Auch das ist ein Problem. Was tun wir da?

Deswegen hoffe ich, dass wir diese Diskussion noch einmal sachlich führen können – auch übergreifend mit der CDU –, sodass wir gemeinsam versuchen, einen Antrag zu formulieren. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Herr Laschet sagt immer wieder zu Recht: Wir müssen diese Themen aus der Bundestagswahl heraushalten, da sie zu einer Spaltung der Gesellschaft führen könnten. Wir müssen vernünftige Lösungen haben. – Ich glaube, es ist die Zeit der Vernunft, diese Dinge zu lösen. Wir sind gut beraten, dies wirklich zu tun.

Im Übrigen möchte ich am Schluss noch Folgendes sagen: Federführend – da haben sich die Innenpolitiker etwas aufgeregt – ist natürlich der Innenausschuss. Der Integrationsausschuss ist in diesen Fragen beratend. Das sollte man korrekterweise sagen, damit wir zusammenkommen und nicht aus dieser formalen Situation ein Problem machen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und Arif Ünal [GRÜNE])

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr von Grünberg. – Nun hat das Wort für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Milz.

Andrea Milz (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gleich – mit Ihrer Erlaubnis – mit einem Zitat beginnen:

„Politisch interessierte Jugendliche sind sich der Verantwortung bewusst, die mit einer Wahl verbunden ist.“

Mit diesem Satz begründen die Piraten in NRW die Forderung, das Wahlalter für Jugendliche bei Landtagswahlen auf 16 Jahre zu senken.

(Beifall von den PIRATEN – Heiterkeit von der CDU)

Jugendliche sollen also mit 16 Jahren wählen können? Aber nur, wenn es sich dabei um Landtagswahlen handelt! Das ist wahrscheinlich in Ihren Augen dann nicht so wichtig. Denn: Wenn es um ihre ganz persönliche eigene Zukunft geht, meinen Sie, mit 18 sei eine Wahl nicht zumutbar. – Das ist schon unglaublich.

(Simone Brand [PIRATEN]: Es ist ein bisschen komplizierter mit dem Optieren! – Weiterer Zuruf von den PIRATEN: Häh?)

Mir scheint, dass wir hier bei jeder Debatte über den jungen Menschen so debattieren, wie es gerade passend erscheint.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Eine Berufswahl zu treffen, ist durchaus in Ordnung, wenn man das mit 15 oder 16 Jahren tun muss.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Kennen Sie den Unterschied zwischen „können“ und „müssen“?)

Wer von Ihnen möchte darüber streiten, ob sich Jugendliche nicht schon mit 16 Jahren klar darüber sein können, welchen Beruf sie einmal ergreifen möchten? Den Führerschein machen heute auch schon viele Jugendliche mit 16. Ist das in Ihren Augen auch unverantwortlich?

(Zuruf von den PIRATEN: Häh?)

Und ist es eine Zumutung, mit 18 Jahren eine volle Geschäftsfähigkeit zu erhalten und sogar schon heiraten zu dürfen?

(Beifall von der CDU)

Warum bevormunden Sie dabei die Leute nicht auch und sagen: Um Gottes Willen, macht die Fehler nicht so früh? – Da scheint das kein Problem zu sein. Selbst einen Eid kann man mit 18 Jahren schwören.

Ich finde, das kann man sich nicht immer so passend machen, wie man es braucht.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mostofizadeh?

Andrea Milz (CDU): Im Moment nicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine.

Andrea Milz (CDU): Wenn Sie in Ihrem Antrag fordern, die Optionspflicht nach § 29 Staatsangehörigkeitsgesetz ersatzlos zu streichen, wollen Sie also den Fortschritt im deutschen Staatsangehörigkeitsgesetz, der mit dem Optionsmodell erreicht worden ist, zurücknehmen?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Krauses Zeug! – Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Integration darf keine Augenwischerei sein. Die Abschaffung des Optionsrechts wäre ein Rückschritt.

(Beifall von der CDU – Zuruf von den PIRATEN: Buh!)

Zwei Forschungsprojekte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge haben im Juni 2012 erste Evaluationsergebnisse zum Optionsverfahren und zum Einbürgerungsrecht vorgelegt. Sie wird erstaunen zu hören, dass der Aussage – ich zitiere –, „… es sei ein Vorteil, sich seine Staatsangehörigkeit selbst aussuchen zu dürfen“, 87 % der Befragten zustimmen.

(Zurufe von der CDU: Hört, hört! – Serdar Yüksel [SPD]: Sie müssen mit den Betroffenen reden!)

Der Aussage, dass dies Teil des Erwachsenwerdens sei, stimmen 57 % zu. Na so was, wer hätte das gedacht? Sie wahrscheinlich nicht.

Bei der Entscheidung der Optionspflichtigen zeigt sich eine eindeutige Tendenz für die deutsche Staatsangehörigkeit. Weniger als 2 % wollen sich für die ausländische Staatsangehörigkeit entscheiden. Und auch 83 % der Eltern raten ihren Kindern zur deutschen Staatsangehörigkeit. Der Antragsteller fordert eine respektvolle Integrationspolitik. Für mich sind diese Zahlen ein Beweis, dass Integration gelingt.

(Beifall von der CDU)

Warum entscheiden sich so viele junge Menschen für diesen Weg? Auch danach wurde in den Studien gefragt. Die Antworten sind sehr pragmatisch und zeugen von hohem Verantwortungsbewusstsein. Genannt werden der Lebensmittelpunkt in Deutschland, die Wertschätzung der EU-Rechte, zum Beispiel beim Reisen, die Qualität der Ausbildung und des Rechtsstaates in Deutschland, die wirtschaftliche Leistungskraft, der Lebensstandard und die besseren beruflichen Perspektiven.

Natürlich gab es auch Kritik. Das will ich nicht verschweigen. Ich habe die Studien gelesen. Die Punkte, die dort kritisch beleuchtet wurden, sind auch nachvollziehbar. So offenbarten sich auch Wissenslücken über das Verfahren und die Mitwirkungspflichten. 5,6 % haben auch gesagt, das Verfahren sei für sie schwierig in ihrer beruflichen und persönlichen Lebenssituation.

Dazu hat aber die Bundesregierung schon gehandelt. Es gibt eine Broschüre zum Optionsmodell und zum Verfahren. Staatsministerin Maria Böhmer hat gerade vor wenigen Tagen – am 10. Januar dieses Jahres – darauf hingewiesen. Darin wird leicht verständlich erklärt, was geht, wie man das macht und wie man zu einer Entscheidung kommt. Darin werden Fragen beantwortet.

Des Weiteren hat Maria Böhmer betont, wie wichtig es ist, Menschen zu akzeptieren und willkommen zu heißen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Paul?

Andrea Milz (CDU): Ich bin gleich fertig.

Vizepräsident Oliver Keymis: Sie gestatten also keine Zwischenfrage.

Andrea Milz (CDU): Keine Zwischenfrage.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sich Menschen akzeptiert und willkommen fühlen, sollten wir ihnen nicht zu verstehen geben, dass wir sie für zu blöd halten, über ihre eigene Zukunft zu entscheiden.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Kollegin Milz. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Velte.

Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ein bisschen erschüttert ob Ihrer Rede, Frau Milz.

(Beifall von den PIRATEN)

Wie kann man diese rückwärtsgewandte Einschränkung von Rechten und Möglichkeiten jetzt auch noch feiern? Herr von Grünberg hat die damalige Debatte von vor 13 Jahren noch einmal referiert. Damals hat man gesagt, dass funktioniere nicht, weil die Schwarzen nun einmal dagegen sind, dass man eine doppelte Staatsangehörigkeit zulässt.

Natürlich kann man sagen, dann ist diese Einräumung der Option ein Fortschritt. Aber das ist doch weiß Gott rückwärtsgewandt. Mehrstaatigkeit findet doch in Ihren Überlegungen überhaupt nicht statt.

Damit gehen Sie ganz weit hinter die gesellschaftliche Realität zurück. Wir haben ein Zwei-Klassen-Staatsbürgerschaftsrecht. Die eine Klasse sind die EU-Bürger, die die doppelte Staatsangehörigkeit haben dürfen und die zum Beispiel McAllister heißen. Die zweite Klasse sind die anderen, bei denen wir das nicht so genau wissen. Deren Rechte schränken wir einmal ein.

Die Einschränkung von Mehrstaatigkeit gibt es international eigentlich gar nicht. Diese kennen kaum Staaten. In Deutschland soll aber diese rückwärtsgewandte Politik nach Ihrer Auffassung weitergeführt werden. Das ist mit uns sicher nicht zu machen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Güler?

Jutta Velte (GRÜNE): Wenn sie das unbedingt möchte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Davon gehen wir aus, weil sie den Wunsch auf eine Zwischenfrage hier angemeldet hat. – Bitte schön, Frau Kollegin.

Serap Güler (CDU): Frau Velte, ich will noch einmal auf den Punkt zurückkommen, dass Sie und Herr von Grünberg gerade die Verantwortung für die Debatte aus dem Jahre 1999 vollkommen der CDU zuschieben. Ich möchte wissen, ob Ihnen das Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages vom 19. März von 1999 bekannt ist? Fürs Protokoll: Das ist 14/28, Seite 2281 ff. Darin hält die SPD grundsätzlich an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit fest. Ist Ihnen das bekannt?

Jutta Velte (GRÜNE): Liebe Frau Güler, ich kann mich dunkel daran erinnern. Ich habe aber schon eingangs erwähnt, dass diese Debatte 13 Jahre zurückliegt. Wir haben es damals nicht geschafft, ein modernes und zeitgemäßes Staatsangehörigkeitsrecht durchzusetzen. Das ist so. Wir sollten uns heute gerade aus dem Einwanderungsland NRW heraus dafür entscheiden, ein solches einzurichten. Wir sollten uns dafür stark machen, dass die Bürgerinnen und Bürger, die hier leben – das ist der wichtigste Punkt –, die Mehrstaatigkeit haben können. Dafür sollten wir uns einsetzen.

Sie können doch nicht im Ernst über eine Willkommenskultur in unserem Ausschuss sprechen und 5 Millionen Menschen die Einbürgerung verweigern. Das geht doch überhaupt nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

54 % der Eingebürgerten – das hatte ich schon einmal erwähnt – sind Doppelpassbesitzer. Die anderen kommen einfach nicht zum Zuge. Ich denke, man sollte sich damit wirklich intensiv beschäftigen.

Ich möchte jetzt gern noch Folgendes sagen: Natürlich haben wir den Antrag der Piraten im November zur Kenntnis genommen. Wir haben nur gesagt, dass er viel zu wenig vorsieht. Herr von Grünberg hat ausgeführt, was im Koalitionsvertrag steht. Wir haben gesagt, wir wollen Mehrstaatigkeit, wir wollen eine Herabsetzung der Anspruchseinbürgerung. Herr von Grünberg hat das alles aufgelistet. Wir wollten sehr viel mehr erreichen. Wir haben Zeit – dafür haben wir plädiert –, denn wir brauchen ja eine Bundesratsmehrheit, und wir brauchen auch eine Mehrheit für die doppelte Staatsangehörigkeit und für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Bundestag.

Frau Brand, wir haben nämlich 2011 schon einmal eine Abstimmung über eine Bundesratsinitiative in dieser Angelegenheit verloren. Wenn es um Menschen geht, dann sollten wir doch alles tun, dass wir nicht noch einmal eine solche Abstimmung verlieren, und zusehen, dass wir nach vorne gehen. Dazu müssen wir natürlich ein Signal aus Nordrhein-Westfalen senden. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Wir müssen es aber so machen, dass es auch auf Bundesebene durchsetzbar ist. Zweimal ein solches Anliegen nicht durchsetzen zu können, hielte ich für ein fatales Signal an die ausländischen Gemeinden.

Ich möchte ganz kurz noch etwas dazu sagen, dass es natürlich wichtig ist, über das Staatsangehörigkeitsrecht zu sprechen. Es ist essenziell, aber das umfasst nicht die gesamte Integrationspolitik, die wir von Nordrhein-Westfalen aus machen müssen. Wir sollten uns darauf besinnen. Es ist eine ganz wichtige Angelegenheit. Frau Brand, sehen Sie mich nicht so groß an. Das ist wirklich entscheidend.

Wir sollten uns aber zusätzlich mit anderen Aspekten der Integrationspolitik befassen. Ich hoffe, dass wir das nach wie vor gemeinsam tun. Das Angebot steht. Ich habe aber nach den Einlassungen von Frau Milz den Eindruck, dass das in Nordrhein-Westfalen immer schwerer wird und dass Traditionen, die heißen, wir versuchen, gemeinsam im Sinne der Einwohnerinnen und Einwohner in Nordrhein-Westfalen zu handeln, nicht mehr halten. Dazu gehören diejenigen mit dem ausländischen Pass auf jeden Fall. Insofern würde ich mir wünschen, dass Sie als nordrhein-westfälische CDU ein bisschen mehr Offenheit und vor allem ein bisschen mehr Selbstsicherheit an den Tag legen würden, um hier einen eigenen Weg zu finden und auf die Kolleginnen und Kollegen im Bund einzuwirken. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Kollegin Velte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es ist eine wichtige Debatte, die die Kollegin Brand hier angestoßen hat. Ich sage auch ganz ehrlich: Herzlichen Dank für die Initiative.

Sie haben gerade sehr emotional geschildert, dass Sie enttäuscht sind, dass sich die anderen Parteien Ihrem Antrag nicht angeschlossen hätten. Sie haben unterschiedliche Begründungen genannt. Ich bekenne mich hier klipp und klar dazu, dass wir gesagt haben, dass wir das Thema nicht vor, sondern nach der Bundestagswahl debattieren wollen. Denn es ist gerade in Wahlkampfzeiten eine sehr schwierig zu führende Debatte. Außerdem haben wir als FDP immer gesagt, dass wir dieses Thema nicht an die Stammtische und in den Straßenwahlkampf bringen wollen; schlechte Erfahrungen haben wir damals mit Roland Koch gemacht. Vielmehr möchten wir sachlich über dieses Thema sprechen, wenn die Emotionen im Wahlkampf nicht sowieso schon hochgekocht sind. – So viel zu unserer Position, warum wir gesagt haben, dass wir es nicht zu dieser Zeit diskutieren wollen.

Wir sind im Übrigen auch der Meinung, dass es nicht allein um die Optionspflicht gehen kann. Es geht auch um Fragen der generellen Reform der Staatsbürgerschaft. Es geht uns auch um die Frage der erleichterten Einbürgerung. Denn wir wissen aus den vielen Gesprächen mit Migrantinnen und Migranten, dass es ein großes Unverständnis gibt, wenn einerseits ein Fußballnationalspieler innerhalb kürzester Zeit eingebürgert werden kann, wie das beispielsweise bei Paulo Rink oder Sean Dundee der Fall gewesen ist. Diese haben später zwar nicht viel zum Erfolg der Nationalmannschaft beigetragen, wurden aber sehr schnell eingebürgert.

(Heiterkeit)

Andererseits sind für gut integrierte Zuwanderer Fristen vorgesehen, die für alle Zuwanderer gleich gelten. Insofern ist das eine problematische Situation und ein Punkt, der das Zugehörigkeitsgefühl zu dieser Gesellschaft nicht unbedingt stärkt. Deswegen brauchen wir aus unserer Sicht eine umfassende Reform des Komplexes „Einbürgerung und Staatsangehörigkeit“.

Herr von Grünberg, Sie haben vorhin gesagt, das alles sei nur ein fauler Kompromiss gewesen. Ich glaube, es war gut, dass wir damals den Einstieg mit der Optionspflicht gewagt haben. Es war ein Kompromiss, und im Übrigen war es sogar ein historischer Kompromiss; denn wir haben uns das erste Mal ein Stück weit vom Abstammungsrecht entfernt. Es war damals die CDU, die gesagt hat, dass sie davon nicht abrücken wollte, und es gab Rot-Grün, die gesagt haben, dass sie die doppelte Staatsbürgerschaft wollten. Wir als FDP haben damals eine sehr konstruktive Rolle gespielt, indem wir Brücken gebaut und mit der doppelten Staatsangehörigkeit für Kinder und Jugendliche einen ersten Schritt gemacht haben.

Das gehört aber nach einer gewissen Zeit noch einmal neu debattiert und diskutiert, und dafür bietet die Zeit nach der Bundestagswahl den richtigen Rahmen.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Dort werden wir vieles in etwas entspannterer Atmosphäre diskutieren können. Ich wünsche mir Expertenhearings zu dem Thema und einen insgesamt niveauvollen Diskurs. Das würde diesem Thema meines Erachtens gerecht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP, der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Dr. Stamp. – Nun spricht für die Landesregierung der zuständige Minister, nämlich Herr Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Güler, wenn Sie gerne in alten Parlamentsprotokollen stöbern, über ein Jahrzehnt zurückgehen und zitieren, wer denn wann für was war, dann rate ich Ihnen, noch ein Stück weiter zurückzugehen. Dann werden Sie eine Quelle finden, die besagt, dass die CDU auch einmal gegen den Beitritt zur UN gewesen ist – und gegen die OSZE sowieso. Ich glaube, solche Beiträge, wer denn wann einmal etwas gesagt hat, helfen in einer solchen Debatte nicht weiter.

(Beifall von den PIRATEN)

Zu Beginn möchte ich für die Landesregierung eines klarstellen: Eine auf Zeit begrenzte deutsche Staatsangehörigkeit darf es nicht weiter geben. Vielmehr muss es eine klare rechtliche Grundlage in Deutschland geben, und zwar ohne Wenn und Aber, meine Damen und Herren.

Die jetzigen Regelungen zur Staatsangehörigkeit sind integrationspolitisch völlig kontraproduktiv.

(Beifall von den PIRATEN)

Sie bringen junge Menschen in die Gewissensnot, sich für eine Staatsangehörigkeit entscheiden zu müssen. Außerdem sind die Regelungen löchrig. Über ein Drittel der Menschen mit Migrationshintergrund hat bereits die doppelte Staatsbürgerschaft. Diese Regelungen sind in ihrer jetzigen Fassung zutiefst ungerecht.

Es wird einsam um Sie, meine Damen und Herren von der CDU. Das mögen Sie an dieser Diskussion erkennen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Insofern habe ich die herzliche Bitte: Überdenken Sie Ihre Position.

Frau Milz, es wird auch einsam um Sie, wenn Sie nur Teile einer Studie des BAMF zitieren und die wesentliche Frage weglassen. Die wesentliche Frage an die betroffenen Menschen lautete, wie sie diese Optionspflicht, sich entscheiden zu müssen, bewerten. 92 % der Menschen haben diese Regelung kritisch bewertet. Diesen entscheidenden Teil haben Sie beim Zitieren aus der Studie weggelassen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der FDP und den PIRATEN)

Was macht die Bundesregierung jetzt mit dieser Studie ihrer eigenen nachgeordneten Behörde? – Da gibt es eine bekannte Reaktion: gar nichts. Daher gilt es jetzt, zu versuchen, diese Optionspflicht über die Länder – das haben wir getan – abzuschaffen, Frau Brand. Wir sind inhaltlich auf einer Linie; Sie können es auch im Koalitionsvertrag nachlesen. Am politischen Willen unsererseits hat es bisher nie gelegen, dass diese Optionspflicht in Deutschland noch existiert.

Bereits im November 2011 gab es einen Vorstoß der Fraktionen von SPD und Grünen im Deutschen Bundestag. Jetzt raten Sie einmal, wer gegen diese Anträge gestimmt hat. Es gab im selben Monat eine von Nordrhein-Westfalen unterstützte Initiative im Bundesrat, die bedauerlicherweise gescheitert ist.

Wir werden diesen Weg weiter gehen. Wir werden allerdings ein solches Verfahren, das eine ganze Reihe von Vorgremien beschäftigt und eine relativ Dauer hat, in der jetzt noch verbleibenden Legislaturperiode dieses Deutschen Bundestages und den wenigen Sitzungen des Bundesrats, die noch bis zur Bundestagswahl stattfinden, nicht neu einspeisen können.

Deshalb ist es wichtig, dass nach dem vermutlich 22. September dieses Jahres im Deutschen Bundestag eine andere Mehrheit existiert, die auch für diese Frage für mehr frischen Wind in der deutschen Politik sorgen kann. Wir aus Nordrhein-Westfalen nehmen Integration ernst, und wir sind stolz darauf, dass es in diesem Land kulturelle Vielfalt gibt. Deshalb muss die Optionspflicht weg. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister Jäger. – Für die Piratenfraktion hat sich noch einmal Frau Brand zu Wort gemeldet.

Simone Brand (PIRATEN): Danke. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Milz, ich finde es unsäglich arm, dass Sie das freie Wahlrecht mit dem Zwang vergleichen, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden und damit für eine kulturelle Identität. Tut mir leid.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Brand.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt, den Antrag Drucksache 16/1899 an den Integrationsausschuss – federführend –, den Hauptausschuss und den Innenausschuss zu überweisen. Abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung einstimmig beschlossen.

Ich rufe auf:

5    Endlich Schlussstrich unter die Nationalparkpläne Teutoburger Wald-Eggegebirge und Senne ziehen – Spaltung der Region und Verschwendung von Steuermitteln sofort beenden!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1904

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Lürbke das Wort.

Marc Lürbke (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Nationalparküberlegungen in OWL sind nicht neu. Ein kurzer Blick in die Historie: 1991 hatte der Landtag nach kontroversen Beratungen einen wohlwollenden Beschluss zu einem Antrag der Grünen gefasst. Darin ging es um den perspektivischen Schutz der Senne als Nationalpark nach Abzug der britischen Rheinarmee. Im Jahr 2005 wurde dieser Beschluss vom Landtag wieder aufgegriffen. Der Kreis Lippe wurde initiativ. Es hat sich aber sehr schnell gezeigt, dass die Kommunen und auch die britische Armee die Ausweisung eines Nationalparks Senne kategorisch ablehnen.

Lebhaft wurde die Diskussion infolge des Koalitionsvertrags von SPD und Grünen aus 2010, der die Errichtung eines Nationalparks Senne-Egge/Teuto­burger Wald vorsah. Seitdem lassen Sie, Herr Umweltminister Remmel, keinen Stein auf dem anderen, um die Ausweisung der Nationalparke zunächst im Teutoburger Wald voranzutreiben. Die Folgen dieser Politik sind heute deutlich zu sehen. Aufgrund der kontroversen Diskussion ist die Region tief zerstritten.

Auch der SPD wurde das anscheinend zu viel. Während im aktuellen Koalitionsvertrag die Senne – Zitat – „unter Federführung des Landes vorangebracht“ werden soll, ist in Bezug auf den Nationalpark Teutoburger Wald nur davon die Rede, die regionale Initiative zu begleiten.

Das Problem daran ist nur, dass Sie, Herr Remmel, offenbar gar nicht daran denken, diese veränderten Leitlinien zu beachten. Sie haben es bis heute noch nicht einmal geschafft, auf die 35.000 übermittelten Protestunterschriften der Bürgerbewegung Teutoburger Wald eine Antwort zu geben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So begleitet man die Region nicht.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir sind uns doch alle einig, dass diese bedeutsamen historischen Kulturlandschaften mit ihren Schutzgebieten erhalten werden müssen. Dass einerseits die Senne für den Naturschutz so bedeutsam ist, Frau Beer, ist bekanntermaßen vor allem der militärischen Nutzung zu verdanken. Diese benötigen wir auch in Zukunft. Das Bundesverteidigungsministerium hat bereits Bedarf für die Zeit nach dem Abzug der Briten angemeldet. Zwischen Land und Bund wurde vereinbart, dass die militärische Nutzung Vorrang hat. Das muss auch eingehalten werden.

Auch der Teutoburger Wald andererseits hat seine heutige Kulisse erst durch von Menschen gemachte Aufforstung erhalten. Er wird bereits überwiegend naturnah bewirtschaftet und beinhaltet sieben FFH-Gebiete.

Natürlich stellt man sich die Frage, ob ein besserer Schutz die Einrichtung der Nationalparke erfordert. Aber über das Für und Wider ist in der Region schon viel diskutiert worden. Dabei hat sich gezeigt, dass vor Ort die Nationalparke nicht gewollt sind. Überzeugende naturschutzfachliche Konzepte für eine nationalparkwürdige Flächenkulisse, die auch umsetzbar ist, gibt es nicht. Die Diskussionen müssen nun endlich ein Ende finden. Eine Region, die über lange Zeit den Eindruck erweckt, sie wisse nicht was und wohin sie will, nimmt zwangsläufig Schaden.

Wir haben das immer wieder nachgefragt. Die Landesregierung – Sie, Herr Remmel – muss endlich aufhören, noch mehr Steuergelder zu verbrennen, um Wunschvorstellungen nachzurennen. Die letzte Anfrage haben Sie beantwortet und teilweise Zahlen genannt. Allein der Landesanteil für die bisherigen Planungen beläuft sich auf bis zu 1,6 Millionen €. 862.000 € betreffen die Liquiditätshilfe an den Landesverband Lippe.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Aber allein die Vorbereitung des letztlich geplatzten Flächentauschs hat über 260.000 € gekostet. Hinzu kommen noch weitere Kosten aufseiten der Kommunen.

Liebe Frau Beer, Ihr Fraktionschef Priggen hat am Montag im „Westfalenblatt“ erzählt, dass das Nationalparkbüro in Bad Lippspringe geschlossen werden solle. – Entschuldigung, es solle aufrechterhalten werden – natürlich!

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Herr Priggen erzählt uns, man müsste dort langfristig planen und die Senne als eine Art Brückenkopf touristisch erschließen. – Ich wiederhole das gerne. Ob und wann die Senne jemals als Nationalpark infrage kommen wird, ist vollkommen ungewiss. Es kann doch nicht im Interesse des Landes sein, jährlich um die 170.000 € zur Finanzierung Ihres Wolkenkuckucksheims auszugeben, meine Damen und Herren von den Grünen. Das kann nicht sein.

Herr Priggen trieb es sogar noch auf die Spitze und bezeichnete unser Vorhaben, die inzwischen obsolet gewordenen Nationalparkpläne aufzugeben, als frevelhaft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen, was frevelhaft ist. Die Menschen in der Region einem ungewollten Prestigeprojekt unterzuordnen und bis zu seiner Verwirklichung am Sankt-Nimmerleins-Tag weiterhin Steuergelder zu verschwenden, das ist frevelhaft, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Unser Land hat über 130 Milliarden € Schulden. Ziehen Sie zum Wohle der Region und des Landes endlich die Reißleine und setzen Sie einen Schlussstrich unter die Nationalparkplanung in OWL! – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Lürbke. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Krick.

Manfred Krick (SPD): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Herr Lürbke, so ganz haben wir nicht verstanden, weshalb sich die FDP jetzt von dem bisher gemeinsam gegangenen Weg hin zu einem Nationalpark in Ostwestfalen-Lippe verabschieden will. Sie haben sich sehr aufgeregt; trotzdem ist es nicht klarer geworden.

Ich möchte zu Anfang zwei Sachen festhalten:

Erstens. Bei dem Nationalpark Senne und bei dem Nationalpark Teutoburger Wald handelt es sich um zwei voneinander unabhängige Projekte. Es gab eine Initiative aus der Region, den Nationalpark Teutoburger Wald mit der Idee des Nationalparks Senne zu verbinden. Dieses Projekt ist durch die Entscheidung des Landesverbandes Lippe vom November letzten Jahres nicht mehr aktuell. Wir bedauern das, akzeptieren aber die Entscheidung, obwohl sie sehr knapp – mit einer Stimme mehr – getroffen worden ist. Nach wie vor aktuell ist aber das Projekt des Nationalparks in der Senne.

Zweitens – das muss auch einmal festgehalten werden –: Für das Projekt „Nationalpark Senne“ gibt es eine sehr große Unterstützung der Bevölkerung in der gesamten Region.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Beides wissen Sie, Herr Lürbke, und negieren es bewusst. Warum machen Sie das? Erklären lässt es sich nur damit, dass die FDP beabsichtigt, einem grundsätzlichen Ausstieg aus dem Naturschutz das Wort zu reden. Diese Vermutung kann ich mit Daten belegen; wir müssen uns nur einmal Ihr Abstimmungsverhalten ansehen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ausverkauf der Senne!)

Den Landtagsbeschluss vom 3. Mai 1991, den Sie jetzt aufheben wollen, haben Sie damals noch vehement unterstützt.

(Marc Lürbke [FDP]: Wir sind klüger geworden!)

– Das kann jeder, ja. Bei dem Beschluss vom 14. April 2005 haben Sie sich wenigstens enthalten, sodass ein einstimmiges Ergebnis zustande gekommen ist. In Ihrem Wahlprogramm 2012 schreiben Sie aber schon – Zitat mit Erlaubnis des Präsidiums –: „Die Einrichtung weiterer Nationalparks wollen wir ermöglichen, wenn die betroffene Region dies ausdrücklich wünscht.“ Die Betonung liegt anscheinend auf „ausdrücklich“.

Jetzt gehen Sie noch einen Schritt weiter. Obwohl es in der Region eine breite Mehrheit für einen Nationalpark Senne gibt, fordern Sie den Ausstieg aus der Nationalparkplanung. Was ist das anderes als der generelle Ausstieg der FDP aus dem Naturschutz?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Marc Lürbke [FDP]: Wo ist denn da der Zusammenhang? Was für ein Quatsch!)

Sie wollen die vermeintliche Chance, die sich nach Ihrer Meinung jetzt ergibt, nutzen, um aus der Idee des Nationalparks auszusteigen. Wollen Sie als FDP auch den Naturschutz dem freien Spiel der Marktkräfte unterwerfen? Das ist mit der SPD und mit der großen Zahl der Menschen in unserem Land nicht zu machen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sieveke?

Manfred Krick (SPD): Ja, bitte. Gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett. – Bitte schön, Herr Kollege.

Daniel Sieveke (CDU): Herr Kollege, erst einmal vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben eben ausgeführt, dass die breite Mehrheit in der Region für einen Nationalpark Senne/Teutoburger Wald ist. Auf welche Grundlage beziehen Sie diese Aussage bei mehr als 30.000 Unterschriften aus der Region gegen eine Nationalparkplanung in der Senne?

Manfred Krick (SPD): Die 35.000 Unterschriften richteten sich im Wesentlichen gegen den Nationalpark im Teutoburger Wald. Ich habe gerade gesagt: Wir müssen die beiden Dinge getrennt betrachten. – Das negieren Sie, das wollen Sie nicht. Es gibt sehr wohl Untersuchungen und Befragungen, die eine Mehrheit von mehr als 75 % aus der Region heraus feststellen.

(Daniel Sieveke [CDU]: Das stimmt nicht!)

Im Bereich der Städte Paderborn und Bielefeld sowie der drei Kreise Gütersloh, Lippe und Paderborn gibt es schon eine breite Mehrheit für diese Sache. Lassen Sie uns das ruhig überprüfen.

(Zuruf von der FDP: Überhaupt nicht!)

Für die negative Verknüpfung der beiden Gebiete, die Sie verfolgen, um die Planung für einen Nationalpark in der Senne kaputt zu machen, gibt es keinen sachlichen Hintergrund. An der Schutzwürdigkeit der Senne hat sich nichts geändert. Die Senne ist mit den vielen dort vorhandenen geschützten, seltenen und auch gefährdeten Arten aus dem Bereich der Fauna und Flora ein nationales, wenn nicht sogar ein europäisches Naturschutzgebiet.

(Daniel Sieveke [CDU]: Wegen des Militärs!)

– Wegen des Militärs, das ist durchaus korrekt. Die mehr als 120-jährige Nutzung und die damit einhergehenden Einschränkungen haben bewirkt, dass der Zustand dort heute noch nahezu naturnah ist. Den wollen wir schützen, und das lohnt sich auch. Es gibt da nahezu 1.000 gefährdete Arten entsprechend der Roten Liste. Umso wichtiger ist es, all dies zu schützen.

Was für ein fatales Signal wäre es, wenn wir uns in dieser Situation von dem Gedanken eines Nationalparks in der Senne verabschieden würden? Welches Signal an den Bund und auch an die britischen Streitkräfte wäre das?

(Daniel Sieveke [CDU]: Das richtige!)

Es kann doch nur so gedeutet werden, dass wir von der Schutzwürdigkeit der Senne und auch von einer Einschränkung und Reduzierung der militärischen Nutzung Abstand nehmen. Das ist weder unser Ziel noch das der Menschen in der Region.

Noch etwas zur militärischen Nutzung, weil das angesprochen wurde: Niemand – das ist richtig – kann sagen, wann die militärische Nutzung enden wird. Im Endeffekt können wir wahrscheinlich noch nicht einmal sagen, ob die militärische Nutzung in Gänze enden wird.

(Daniel Sieveke [CDU]: Richtig!)

Aber das fordern wir auch nicht, weil wir der Überzeugung sind, dass eine Gleichzeitigkeit zwischen militärischer Nutzung und Ausweisung als Nationalpark möglich ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Die ist ausgeschlossen!)

– Die ist nicht ausgeschlossen. Sie wird dann umso besser funktionieren, wenn es uns gelingt, noch weitere, anschließende Gebiete in dem Bereich mit der Senne zusammenzuschließen. Dafür gibt es hervorragende Chancen, gerade was die südöstlich anschließenden großen Waldgebiete der nördlichen Egge angeht. Dabei haben wir sogar den großen Vorteil, dass es sich um landeseigene Liegenschaften handelt. Wir müssen also keine aufwendigen Tauschverhandlungen führen.

Wir halten das Projekt eines Nationalparks Senne weiterhin für sinnvoll. Ich hoffe, dass das auch von den anderen Fraktionen hier im Haus so gesehen wird. Vielleicht kommt auch die FDP noch zur Vernunft. Wir werden der Überweisung zustimmen, Ihren Antrag aber letztlich ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Krick. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Kollege Jung.

Volker Jung (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Krick, ich glaube, Sie haben das Signal aus der Region noch nicht verstanden. Beim Blick in den Koalitionsvertrag müssten Sie, liebe Mitglieder der Landesregierung und die Kollegen von Rot und Grün, doch eigentlich Kopfschmerzen kriegen. Dort heißt es: „Wir werden die Einrichtung des Nationalparks Senne-Egge/Teutoburger Wald… vorantreiben“. Weiter heißt es:

„Das Land will zudem mit seinen Möglichkeiten zur Errichtung eines Nationalparks Teutoburger Wald beitragen und die regionale Initiative begleiten.“

Herr Minister Remmel, Ihr Projekt Nationalpark OWL ist krachend gescheitert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die regionale Initiative gibt es mit dem negativen Schlichterspruch sowie den ablehnenden Beschlüssen vom Kreistag in Lippe sowie der Lippischen Landesverbandsversammlung nicht mehr. Ich sage Ihnen: Das ist gut so.

Was bleibt? Das ist tonnenweise zerschlagenes Porzellan. In einer beispiellosen Protestwelle haben mehr als 35.000 Bürgerinnen und Bürger eine Petition gegen die Nationalparkplanung vor ihrer Haustür unterschrieben. Zwölf Kommunen und vier Kreise stemmen sich gegen Ihre Pläne, Herr Remmel. Was haben Sie eigentlich für ein Demokratieverständnis?

(Beifall von der CDU)

Sie respektieren diesen politischen und gesellschaftlichen Willen nicht und planen munter weiter.

Auch hier, Herr Krick, sprechen Sie von einer breiten Mehrheit, die dafür ist. Sie führen dann sicherlich die TNS Emnid-Umfrage an und sagen, die Menschen wollen den Nationalpark. Dann sagen Sie den Menschen aber bitte auch, dass von den 1.045 befragten Personen nur 168 überhaupt aus OWL kamen und davon nur ein Bruchteil aus den betroffenen Städten und Gemeinden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Erst jetzt, sieben Monate nach Einreichen der 35.000 Unterschriften, sehen Sie sich durch meine Kleine Anfrage genötigt, den Initiatoren der Unterschriftenaktion zu antworten. Wenn Sie begründen, hier zunächst den Schlichterspruch zu benötigen, bleibt das sicherlich Ihr Geheimnis, warum.

Seitdem sind auch schon wieder drei Monate vergangen. Wenn Sie dann in Ihrer Antwort noch sagen, Sie nähmen diese Einwendungen sehr ernst, kann ich nur sagen: Die Ostwestfalen und Lipper fühlen sich nicht ernst, sondern auf den Arm genommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Außerdem ist es den Menschen vor Ort völlig unverständlich, wie das Land auch weiterhin am Informationsbüro Nationalpark OWL, das uns jährlich 160.000 € kostet, festhalten kann. Auch die Gesamtsumme von jährlich rund 10 Millionen € für die laufenden Kosten eines geplanten Nationalparks sowie die Einnahmeausfälle durch den Wegfall im Bereich Forst und Jagd sind für sie kein Argument.

Herr Minister Remmel, Sie haben Ihre Wurzeln in meiner Heimat in Herbram. Wann waren Sie das letzte Mal bei uns? Ich sage Ihnen jetzt: Die Bürgerinnen vor Ort, ihnen nahe stehende Menschen, sind richtig sauer. Schluss jetzt mit der Nationalparkplanung! Das Steuerverschwendungsbüro muss sofort geschlossen werden und das dafür eingesetzte Personal wieder mit den eigentlichen wirtschaftlichen und touristischen Aufgaben betraut werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wie sieht es aus? Spielt die Einhaltung der naturschutzfachlichen Kriterien für Sie überhaupt eine Rolle? Die Senne allein kann die nationalen und internationalen Kriterien, 75 % Prozessschutz, jedenfalls nicht erfüllen. Das hat der Nationalparkdachverband EUROPARC wiederholt eindeutig dargelegt, übrigens auch die LÖBF in Ihrem Gutachten.

Nach dem neuen LANUV-Gutachten können maximal 55 % Prozessschutz erreicht werden. Aber ich sage Ihnen: Es werden nicht einmal 50 %. Denn ein Privateigentümer stellt seinen Wald nicht zur Verfügung. Am runden Tisch ist auch gesagt worden, dass Zonen am Rande nicht unter Prozessschutz gestellt werden dürfen. Außerdem gibt es massiven Widerstand der Bevölkerung gegen die im LANUV-Gutachten vorgesehene Aufgabe von Offenland zur Schaffung von zusätzlichen neuen Prozessschutzflächen.

Außerdem sagt uns die Biologische Station Senne, dass durch die aktuelle Art der Senne-Nutzung rund 200 auf der roten Liste stehende Arten geschützt werden.

(Beifall von der CDU – Walter Kern [CDU]: Hört, hört!)

Diese würden aber mit Einführung des Nationalparks vernichtet werden, so die Experten.

(Beifall von der CDU)

Als Fußballer sage ich Ihnen: Auch für den Fußball gelten internationale Regeln, und zwar egal, wo auf der Welt gespielt wird. Sie aber spielen Pippi Lang­strumpf und machen sich die Welt, wie sie Ihnen gefällt.

Die einzigartige Senne-Landschaft ist erst durch jahrzehntelange Bewirtschaftung der Menschen und insbesondere durch das Militär entstanden. Aus Militärkreisen wissen wir, dass die Senne noch Jahrzehnte als Übungsgelände erhalten bleiben soll. Ich finde, hier haben wir auch eine Solidaritätspflicht gegenüber den Soldaten, die sich optimal auf Auslandseinsätze vorbereiten müssen.

(Beifall von der CDU)

Dazu benötigen sie die Senne in der vorliegenden Form, meine Damen und Herren.

Übrigens lehnen führende Naturschutzfachleute von EUROPARC und vom Bundesamt für Naturschutz eine Parallelnutzung Nationalpark/Militär ab.

Ich komme zum Schluss. Die Forderung, einen Masterplan für die weitere militärische Nutzung der Senne durch die Bundeswehr zu entwickeln, ist richtig. Denkbar ist auch, das benachbarte Modell Naturpark Teutoburger Wald als Vorbild zu nutzen, ihn zu stärken und bei der Realisierung des Masterplans zu unterstützen.

Der vorliegende Antrag jedenfalls weist aus unserer Sicht in die richtige Richtung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Jung. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beifall der jungen Wilden aus der CDU spiegelt nicht das wider, was wir in der Region dauernd erleben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber dazu will ich gleich noch einmal kommen.

(Zurufe von der CDU)

– Sie können gleich Zwischenfragen stellen. Das ist dann zielführender.

Ich möchte gerne gleich mit einem Zitat beginnen:

„Es wäre im Übrigen ein sträflicher Leichtsinn – das sage ich ganz deutlich –, dieses Gebiet nicht zum Nationalpark zu erklären. Deshalb gebe ich auch an dieser Stelle der Hoffnung Ausdruck, daß die Bundesregierung sich ebenfalls den Forderungen dieses Landtags anschließen wird; denn die vielen seltenen Pflanzen, die sich in der Vergangenheit dort angesiedelt haben, sind in der Tat schützens- und erhaltenswert. Dies setzt aber voraus, daß die Senne nach der militärischen Nutzung zum Nationalpark erklärt wird.“

Es geht weiter:

„Ich will Ihnen nur sagen: Soviel ich bisher gehört habe, haben sich die meisten Bürger für den Nationalpark Senne ausgesprochen. … Lassen Sie mich deshalb abschließend sagen, daß damit die Natur und die Menschen – insbesondere die Menschen in der betroffenen Region – einen deutlichen Sieg davontragen.“

Das sind die Ausführungen des FDP-Abgeordneten Kuhl am 3. Mai 1991 gewesen.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Ich finde, dem ist inhaltlich nichts hinzuzufügen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben damals einen einstimmigen Beschluss gefasst. Sie sollten sich – vor allen Dingen der Parteistratege Herr Lindner – eines fragen. An diesem Antrag, den Sie heute vorgelegt haben, kann man ja sehen, dass wir den Substanzverlust der FDP in allen Feldern haben.

(Christian Lindner [FDP]: Ich war damals zwölf Jahre alt!)

– Heute tragen Sie Mitverantwortung für die FDP. Deshalb müssen Sie jetzt ganz besonders aufpassen.

(Zuruf von der CDU: Sie auch!)

Den Substanzverlust der FDP können wir hier exemplarisch nachvollziehen. Bei der Niedersachsenwahl war das ja abzulesen, und es wurde in allen Wahlanalysen dargelegt: Kompetenzwerte gleich null.

(Beifall von den GRÜNEN)

Jörg Schönenborn nennt die FDP im WDR ein „hohles Gerippe“ ohne Inhalte. Genauso inhaltsleer ist dieser Antrag, der und heute hier vorliegt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Senne soll zum Ausverkauf freigegeben werden. Sie betreiben den Ausverkauf unserer Heimat und des unwiederbringlichen Kleinods Senne.

(Volker Jung [CDU]: So ein Blödsinn!)

Alle Ihre Reden vom Naturschutz sind inhaltsleer.

Ein solcher Ausverkauf wird Ihnen aber nicht gelingen. Der Nationalpark sichert das Naturerbe unserer Heimat. Er ist das Zukunftsprojekt für unsere Region.

Diese Werte teilen in der Tat die Menschen in der Region. Das hat nicht nur die repräsentative – die repräsentative! – Umfrage von Emnid belegt. Das belegen auch weiterhin die Zahlen von 2009. Sie haben sich nämlich überhaupt nicht verändert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was die 35.000 Unterschriften angeht, die von der Zahl her gerade einmal 10 % der Menschen im Kreis Lippe entsprechen, muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, wie sie zustande gekommen sind. Da ist Menschen erzählt worden: Wenn die Oma im Nationalpark in den Wald geht, fällt ihr der Baum auf den Kopf. Man muss damit rechnen, dass demnächst die Wildkatzen die Hühner meucheln. Es muss befürchtet werden, dass man nirgendwo im Nationalpark mehr spazieren gehen kann. – So sind Unterschriften eingeworben worden. Das waren Lügenmärchen über einen Nationalpark.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen gibt es heute Leute, die sich schämen, dass sie dort unterschrieben haben, und am liebsten ihre Unterschrift wieder zurückholen wollen.

(Volker Jung [CDU]: Sie sollten sich eher für Ihre Rede schämen!)

Ich kann den Menschen in NRW versprechen: Der Nationalpark ist und bleibt auf der politischen Agenda, weil er das Zukunftsprojekt ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu dieser Zukunft gehört auch das Informationsbüro Nationalpark Ostwestfalen-Lippe; denn es leistet Informationsarbeit und Umweltbildung für die Menschen in der Region.

2017 – darüber haben wir uns hoffentlich gemeinsam gefreut – wird dort die Landesgartenschau mit dem Thema „Wald“ stattfinden. Im Umfeld des Nationalparkbüros können Sie schon jetzt fast 700 ha Naturwaldzelle erleben. Das wird dort erlebbar gemacht. Dies ist die Aufgabe des Büros vor Ort. Das gehört auch zu den Zukunftsinvestitionen für diese Region.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kollegen und Kolleginnen aus der Region, im Kreis Höxter wohnt jemand, der Sie gerne einladen würde. Ich bin sicher, dass er dann intensiv mit Ihnen sprechen würde. Es ist Klaus Töpfer. Dort sollten Sie einmal einen Workshop belegen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Zum Schluss würde ich gerne noch einmal zitieren, und zwar Klaus Töpfer:

„Wir müssen zusehen, dass wir etwas Positives als Chance nutzen. Dass wir unsere Heimat, Egge und Senne, als fantastisches großartiges Geschenk an uns sehen. Und dass wir dieses Geschenk gut weitergeben an die uns Folgenden, weil es auch Grundlage des Lebens kommender Generationen ist. Wenn wir uns mehr mit den möglichen Chancen beschäftigen und welche Verantwortung und Verpflichtung wir haben, so etwas zu erhalten, dann kommt der eine oder andere vielleicht doch zu einer anderen, sehr viel positiveren Wertung eines Nationalparks.“

Das sind die Werte. Das ist die grüne Programmatik.

(Volker Jung [CDU]: Grüne Programmatik!)

Das ist die Programmatik dieser Koalition von Rot und Grün. Darauf können die Menschen sich verlassen. Rot und Grün machen werteorientierte Politik in diesem Land.

Wir stimmen natürlich mit Ihnen der Überweisung in den Ausschuss zu. Dieser Antrag hat aber keine Chance, Herr Lürbke.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Rohwedder das Wort.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Die Piraten sind grundsätzlich für die Einrichtung von Nationalparks, wo das naturschutzfachlich sinnvoll ist und in der Bevölkerung ausreichende Akzeptanz findet. Ein Konsens, wie ihn die FDP bei ihrem Antrag gerne haben möchte, also eine Einstimmigkeit, wird in solchen Fragen aber nicht möglich sein. In einer Demokratie entscheiden Mehrheiten.

Eine Umfrage in Nordrhein-Westfalen ergab landesweit eine Mehrheit für den geplanten Nationalpark. Teilt man diese Umfrage in die einzelnen Gebiete Nordrhein-Westfalens auf, existiert diese Mehrheit auch in jedem einzelnen Teilgebiet für sich, gerade auch in dem betroffenen Gebiet.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Obwohl diese Planungen seit 1991 laufen, gibt es jetzt Probleme. Diese Probleme werden in erster Linie durch parteipolitische und parteitaktische Obstruktionspolitik ohne sachlichen Hintergrund verursacht. Die im Antrag behauptete tiefe Zerstrittenheit in der Region wird durch die geforderte Beendigung der Pläne nicht geheilt. Wenn Sie eine Mehrheit ignorieren und dann die Planungen einstellen, dann ist das kein Konsens.

(Volker Jung [CDU]: Sie waren doch noch gar nicht in der Region! Wovon sprechen Sie eigentlich?)

– Woher wollen Sie wissen, wo ich schon gewesen bin?

Die regionalen Piraten im Bezirk haben einen Lösungsvorschlag entwickelt und ein Positionspapier vorgelegt, aus dem ich jetzt einmal zitieren möchte.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Herr Abgeordneter. Bevor Sie zitieren, würde ich Sie gerne fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordnetenkollegen Lürbke zulassen.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Ja, gern.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte, Herr Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Vielen Dank, Herr Rohwedder, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, dass Mehrheiten entscheiden. Wie können Sie dann erklären, dass vor Ort in der Region zwölf Kommunen und mittlerweile drei Kreise, also gewählte Mehrheiten, ablehnende Beschlüsse gegen einen Nationalpark gefasst haben?

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Das kann ich Ihnen erklären: Das ist Parteipolitik.

(Walter Kern [CDU]: Ach!)

Da haben bestimmte Parteien in diesen Versammlungen die Mehrheit. Dann wird entsprechend Obstruktionspolitik betrieben, wie ich das vorhin schon angesprochen habe.

(Volker Jung [CDU]: Pfui!)

Ich komme jetzt einmal zum Zitat:

„Es ist geplant, in der Region Ostwestfalen-Lippe im Teutoburger Wald und der angrenzenden Egge einen Nationalpark einzurichten. Das Gebiet beinhaltet dabei auch mehrere Naturschutzgebiete wie beispielsweise die Externsteine. Nach dem Ende der militärischen Nutzung des angrenzenden Truppenübungsplatzes Senne könnte der Nationalpark noch um das Gebiet der Senne erweitert werden.

Die geplante Kulisse hat derzeit den Status eines Naturparks, in Teilen auch eines Naturschutzgebietes. Ein Nationalpark, als höchste naturschutzfachliche Kategorie, hat zum Ziel, die außergewöhnliche Landschaft mit ihrem auffälligen Landschaftsbild dauerhaft zu schützen. Dieser Schutz ist allerdings kein Ausschluss der Nutzung. Tourismus findet weiterhin statt und profitiert meist von der Marke Nationalpark. Eine weitere wirtschaftliche Nutzung beispielsweise durch die Holzwirtschaft ist in einem Nationalpark hingegen nicht vorgesehen.

Die Piraten in OWL fordern die Einrichtung eines Ruhezonen-Naturparks, der die verschiedenen Interessen berücksichtigt. Aufgrund der umfassenden Veränderungen, die durch die Einrichtung eines Nationalparks zu erwarten wären, sollte die Entscheidung für oder gegen einen Nationalpark oder Ruhezonen-Naturpark nicht durch die regierenden Parteien alleine entschieden werden. Stattdessen fordern die Piraten in OWL die Durchführung eines Volksentscheides auf Bezirks- oder Landesebene, …“

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Herr Abgeordneter. Es gibt einen weiteren Bedarf, Ihnen eine Frage zu stellen.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Ich möchte kurz das Zitat zu Ende bringen.

„… um eine von der Gesellschaft getragene Lösung zu finden.“

Ein derartiger Kompromiss, durch eine Volksabstimmung legitimiert, schafft eine demokratische Entscheidung. Ich bin sicher, dass sie dort für den Nationalpark ausgehen wird.

Der Antrag der FDP dagegen löst überhaupt nichts. Das ist Obstruktionspolitik und kindische Fundamentalopposition

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

in Umwelt- und Naturschutzfragen, wie Sie sie auch sonst im Lande praktizieren.

Mein Rat an Sie ist: Ziehen Sie diesen Antrag zurück! Wir werden der Überweisung natürlich zustimmen, ihn aber in der weiteren Beratung in den Ausschüssen ablehnen. Der geht einfach gar nicht. – Danke.

Und jetzt bitte noch die Zwischenfrage.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Jung, bitte.

Volker Jung (CDU): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben eben gesagt, dass es schön ist, dass die Externsteine im Nationalpark sein werden. Wissen Sie, dass die Externsteine ausgeschlossen sind, dass der Park drum herumgebaut werden soll?

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielleicht habe ich etwas zu schnell geredet. Die Externsteine sind Naturschutzgebiet, habe ich gesagt.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. Damit ist die Frage beantwortet. – Ich erteile für die Landesregierung Herrn Minister Remmel das Wort.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal – das wird Sie überraschen, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion –: Ich bin Ihnen durchaus dankbar, dass Sie mit Ihrem Antrag dieses Thema wieder dahin geholt haben, wo es hingehört, nämlich in den Landtag von Nordrhein-Westfalen, auf die Ebene des Landes. Denn nach dem Bundesnaturschutzgesetz ist die Landesregierung, sind die Landesbehörden für die Umsetzung und Ausweisung von Großschutzgebieten zuständig. Ich finde das auch richtig so,

(Beifall von den GRÜNEN)

weil es sich hierbei um eine nationale Aufgabe zum Schutz unseres Naturerbes handelt. Es kann nicht sein, dass letztlich in einzelnen Regionen Entscheidungen getroffen werden, wenn es um das große Ganze geht. Deshalb bin ich dankbar, dass die Debatte hier geführt wird.

Deshalb bitte ich Sie auch, nicht mehr irgendwelche Scheingefechte über Nationalparkbüros oder Abstimmungen oder Umfragen zu führen, sondern die eigentliche Frage zu beantworten, wie wir das umsetzen, was uns europäisch und national an Strategien aufgegeben worden ist.

Es ist ja nicht die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, es ist ja nicht der Landtag von Nordrhein-Westfalen, die bzw. der die Nationale Biodiversitätsstrategie auf den Weg gebracht hat. Es ist Ihre Bundesregierung, die das beschlossen hat. Deshalb bitte ich Sie, mir darzulegen, wie Sie es erreichen wollen, 5 % vor allem unserer Waldflächen der natürlichen Sukzession zu überlassen und entsprechend zu schützen. Ich bitte um Darstellung, wie Ihre Konzeption ist, um die nationale Strategie in Nordrhein-Westfalen tatsächlich umzusetzen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da waren wir – so hatte ich jedenfalls das Gefühl – in der letzten Legislatur schon mal ein wenig weiter. Ihr seinerzeitiger Ministerpräsident, Ministerpräsident Rüttgers, hat gesagt: Wir brauchen in Nordrhein-Westfalen einen zweiten Nationalpark, auch zur Umsetzung der Biodiversitätsstrategie. – Das war erklärter Wille auch Ihrer damaligen Landesregierung. Dann, bitte schön, beteiligen Sie sich an dieser Suche, wo das denn gehen kann!

Die Landesregierung ist der Überzeugung, dass sich eine Region, wo wir mit die höchste Biodiversität in vielen Biotopverbünden haben, die sozusagen ein Juwel des europäischen Naturerbes ist, tatsächlich eignet, einen Nationalpark auszuweisen. So ist es als Ziel im Koalitionsvertrag erklärt, und so ist es auch in der Regierungserklärung der Ministerpräsidentin erklärt.

Wenn Sie andere Vorstellungen haben, bitte ich Sie, sie in die Diskussion zu bringen, damit wir nicht über Zweit- und Drittfragen diskutieren, sondern über die Hauptfrage: An welcher Stelle in Nordrhein-Westfalen findet in Großschutzgebieten Biodiversität und Schutz des Naturerbes statt? Das wäre meine herzliche Bitte. – Aber herzlichen Dank erst einmal dafür, dass Sie diese Diskussion in den Landtag gebracht haben.

Nun zur Sache selbst! Sie haben darauf verwiesen; die Beschlüsse sind zitiert. Wir haben einen einstimmigen Beschluss dieses Landtags aus dem Jahr 1991, wir haben einen Beschluss aus dem Jahr 2005. Und das ist nach wie vor der Auftrag für die Landesregierung. Es ist unser Auftrag zu handeln,

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

nämlich – so steht es im Beschluss von 2005 – angesichts der fortdauernden militärischen Nutzung einen Nationalpark bei gleichzeitiger militärischer Nutzung anzustreben, voranzubringen. – Und genau das tun wir. Dafür – mit Verlaub – muss es auch möglich sein und ist es auch nötig, die Argumente, die in einem solchen Fall ausgetauscht werden, auf eine sachliche Grundlage zu stellen. Das ist ja vielfach das Problem: dass hier mit Argumenten hantiert wird, die jeglicher sachlichen Grundlage entbehren.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Widerspruch von der CDU)

Deshalb ist es notwendig, die Diskussion auf die Füße zu stellen. Deshalb ist es auch richtig, dass wir dazu einen Dialog eingerichtet haben, der auch weiterführt. Und deshalb ist es auch richtig und notwendig, dass wir weiter informieren.

Im Übrigen – gestatten Sie mir den Hinweis –: Werfen Sie auch einmal einen Blick in unser Landesforstgesetz! Darin ist unter anderem ausgeführt, dass es Aufgabe des Landes und auch der Forstbetriebe und der Forstverwaltung ist, die Bevölkerung umweltpädagogisch, waldpädagogisch miteinzubeziehen.

Genau das machen wir an vielen Stellen mit unseren Waldschulen, mit unseren Biologischen Stationen, mit den entsprechenden Einrichtungen der Forstverwaltung. Dazu gehört auch das Nationalparkbüro, um das ehrlich zu sagen. Hier wird Waldpädagogik im besten Sinne des Wortes veranstaltet.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Es sind gute Dienstleistungen, die dort angeboten werden. Wenn Sie die Menschen fragen, die an diesen Dienstleistungen teilnehmen, die davon partizipieren, dann werden Sie kaum jemanden finden, der sagt, dass das nicht hervorragend, qualitativ gut, sachlich und dialogorientiert gestaltet ist. Und genau so muss es sein.

Wenn man über die Vergangenheit spricht, dann gibt es in der Tat einiges zu diskutieren.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Ihre Redezeit vorbei ist.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich würde diese Ausführungen gerne noch machen wollen, weil das in der Diskussion immer eine Rolle spielt, auch in dem Zitat des Koalitionsvertrages.

Ja, in der Tat, das Land sieht die Priorität bei der Frage der Nachfolgenutzung der Senne entweder bei gleichzeitiger militärischer Nutzung oder nachdem die militärische Nutzung aufgegeben worden ist.

Wir haben aber auch gesagt: Wir begleiten regionale Initiativen. – Ich bitte, hier dann doch sehr genau zu diskutieren. Die Initiative ist vom Kreistag des Kreises Lippe ausgegangen. Diese Initiative hat das Land in der Tat freudig begleitet.

Wenn der Kreistag und der Landesverband allerdings nach einer gewissen Zeit entscheiden, er wollten den Prozess nicht weiterführen, obwohl die Prozesse eingeleitet worden sind und wir bei vielen Verhandlungen zusammengesessen haben, muss ich doch die Frage dorthin richten, warum Politik nicht konsistent ist und Verlässlichkeit offensichtlich nicht gegeben war.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich lerne daraus für das Land: Wir werden uns zukünftig auf solche Prozesse nicht mehr einlassen, wenn nicht von vornherein klar ist, dass am Schluss das, worüber man verhandelt, zu einem Ergebnis geführt wird. Wenn man sich also auf die Politik vor Ort nicht verlassen kann, werden wir solche Verhandlungen zukünftig nicht mehr führen. Das verspreche ich Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, würden Sie auf eine Zwischenfrage von Herrn Kern antworten?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte schön, Herr Kern.

Walter Kern (CDU): Danke schön, Herr Minister, dass ich meine Frage stellen darf. – Der Kreistag und auch die Verbandsversammlung haben einstimmig beschlossen, davon Abstand zu nehmen, weil in dem Beschluss als Bedingung stand, dass die angrenzenden Kommunen zustimmen müssen. Alle Kommunen, die hier eben erwähnt worden sind, sind „angrenzende Kommunen“. Deswegen ist die Entscheidung des Kreistags sachlich.

Ist Ihnen das bekannt? Akzeptieren Sie den demokratischen Prozess, der in Lippe stattgefunden hat?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich habe immer darauf abgehoben, dass ich die demokratische Entscheidung des Kreistags Lippe sehr wohl akzeptiere. Aber in der seinerzeitigen Entscheidung, die uns unter anderem dazu gebracht hat, mit dem Kreis Lippe und dem Landesverband zu verhandeln, war deutlich zum Ausdruck gebracht worden: Wir wollen einen Nationalpark im Kreis Lippe, in Ostwestfalen, im Teutoburger Wald! – Aber das war zum Schluss offensichtlich nicht mehr Grundlage. Das muss ich respektieren.

Ich bedauere aber, mich auf diesen Prozess eingelassen zu haben, weil ich an der Stelle eine gewisse Verlässlichkeit zumindest vermutet hatte.

Das Problem liegt offensichtlich auch an der Konstruktion im Kreis Lippe, nämlich einerseits einen Kreistag zu haben, der einen Nationalpark will, andererseits einen Landesverband zu haben, auf den der Kreistag keinen direkten Einfluss hat. Wir werden eben zukünftig genauer zu beachten haben, dass die Konstruktion so ist, wie sie nun einmal ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung und die regierungstragenden Fraktionen halten weiter Kurs in Richtung eines zweiten Nationalparks in Nordrhein-Westfalen.

Ich jedenfalls möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass das, was die Menschen in Nordrhein-Westfalen wollen, umgesetzt wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich darf darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 2 Minuten und 7 Sekunden überzogen hat. Gibt es vonseiten der Fraktionen noch weiteren Diskussionsbedarf? – Bitte schön, Herr Kollege Jung für die CDU-Fraktion.

Volker Jung (CDU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen: Ich bin echt enttäuscht, nehme ich doch mit, dass die Region hier überhaupt nicht interessiert, dass es völlig egal ist, was die Region sagt.

(Beifall von der CDU)

Erstens fand ich das, was Frau Beer gesagt hat, schon ein starkes Stück, dass nämlich 35.000 Unterschriften Lüge und Beleidigungen seien. Diese Worte sind eine Beleidigung derer, die sich an der Unterschriftenaktion beteiligt haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zweitens nehme ich die Aussage des Ministers mit, in solchen Dingen dürfe nicht die Region entscheiden, das müsse im Land entschieden werden. So haben Sie Ihren Beitrag eingeleitet. Ich empfinde es schon als sehr bemerkenswert, dass die Meinung vor Ort gar nicht interessiert, sondern dass von oben her dirigistisch vorgegangen wird.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Ferner haben Sie gebeten, Herr Minister, Vorschläge einzubringen, wo ein Nationalpark entstehen soll.

Entschuldigen Sie bitte, aber ich erwarte von einem Minister, dass der Vorschläge unterbreitet, über die wir beraten und zu denen wir Stellung beziehen können.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Unsere Aufgabe ist es sicherlich nicht, ein Gelände als geeignet für einen Nationalpark zu erklären. Mein Verständnis vom Amt eines Umweltministers ist da schon ein anderes als Ihres.

Sie haben ferner sachliche Informationen eingefordert, weil Sie gerne sachlich diskutieren würden. – Lasse ich aber Ihre Rede Revue passieren, so haben Sie an keiner Stelle zur sachlichen Information beigetragen, etwa dadurch wie Sie den Prozessschutz als international geforderten Standard angesichts des Geländes, das vor Ort ist, einhalten wollten.

(Beifall von der CDU)

Dazu haben Sie nicht ein einziges Wort gesagt. Und Sie fordern ein, dass sachlich diskutiert wird? – Ich habe Ihnen vorgetragen, dass es aus meiner sachlichen Bewertung heraus nicht machbar ist. Darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen.

Als den Gipfel zum Schluss empfand ich Ihr Bedauern darüber, den Prozess so auf den Weg gebracht zu haben, wie Sie ihn auf den Weg gebracht haben, weil Sie nicht das Ergebnis erreicht haben, das Sie erwartet hatten. – Dann brauchen Sie einen Prozess überhaupt erst gar nicht auf den Weg zu geben, wenn Ihnen das Ergebnis hinterher nicht genehm ist!

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Frau Kollegin Beer noch einmal zu Wort gemeldet.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Kollege Jung, Sie können doch nicht leugnen, was in der Region vorgegangen ist. Sammler von Unterschriften haben mit Unterschriftenlisten an Zugängen zur Senne, zur Egge und zum Teutoburger Wald gestanden und gesagt: Hier werdet Ihr nicht mehr hineindürfen, wenn das hier einmal Nationalpark ist! – So haben sie Unterschriften gesammelt. Das halten Sie für eine qualitativ gute Aktion? Dort ist Angst gemacht worden: Wege dürfen nicht mehr betreten werden! Hier ist kein Zugang mehr!

Deswegen ist es richtig, dass es dieses Büro gibt, weil das schon vielen Menschen gezeigt hat, wie ein Nationalpark offen über die Natur informiert, dass er weiter zugänglich ist, dass dort Umwelterleben und Umweltbildung stattfinden, wie das auch in der Eifel der Fall ist.

Noch etwas, Herr Jung: Wenn sich eine Region in Sachen Nationalpark so aufstellt, wie das geschehen ist, und ganz viele Dinge dort hineinrühren, die gar nichts mit dem Nationalpark zu tun haben, sondern mit innerparteilichen Querelen und den Machtkämpfen eines Bürgermeisters aus Augustdorf und der Zukunftsperspektive, wer Landrat wird etc., hat das nichts mit dem Nationalpark zu tun, sondern hat das die Spaltung der Region und vor allen Dingen die Spaltung der CDU vorangetrieben. Das waren die Prozesse, die dahinterstecken. Mit dem Nationalpark hat das recht wenig zu tun.

Eine repräsentative Umfrage, wie sie Emnid und drei Jahre vorher schon der Förderverein für den Nationalpark gemacht haben, hat sich in den Daten bestätigt. In der Tat: Die Werte sind so, dass die Menschen den Nationalpark insgesamt als positiv für die Region sehen.

Der Minister hat es ausgeführt – ich lege Wert darauf, es noch einmal zu sagen –: Es sind keine Partikularinteressen, die dort verfolgt werden, sondern es handelt sich um ein nationales Naturerbe – in der Einzigartigkeit und mit der Artenvielfalt, wie wir sie in OWL haben. Das sollten Sie endlich als Chance betrachten. Es ist keine Belehrung, wenn ich Sie darauf hinweise, dass Klaus Töpfer ein wertvoller Gesprächspartner für Sie wäre.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Beer. Es gab noch den Wunsch, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen, aber den können wir jetzt nicht erfüllen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ich bin noch weiter im Parlament! Man kann mich ansprechen!)

– Das haben wir vermutet, Frau Kollegin Beer. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen aus den Fraktionen, aber für die Landesregierung hat sich der zuständige Minister noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Ich will es kurz machen. Gegen einen Vorwurf möchte ich mich jedoch verwahren, und zwar den, mir Dirigismus zu unterstellen, wenn ich in diesem Hohen Hause auf die Gesetzeslage hinweise. Orientieren Sie sich bitte dorthin, wo die Gesetze gemacht worden sind, nämlich im Bundestag.

Wir haben ein Bundesnaturschutzgesetz und ein Landeslandschaftsgesetz. In beiden Gesetzen ist vorgesehen, dass für die Ausweisung von Großschutzgebieten der zuständige Minister bzw. die zuständige Ministerin innerhalb der Landesregierung beziehungsweise der Bundesregierung verantwortlich ist. Wenn Sie das ändern wollen, müssen Sie sich dahin wenden. Ich habe Sie ausschließlich auf diese Gesetzeslage hingewiesen. Mehr wollte ich nicht tun. – Vielen Dank.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass wir am Schluss der Beratung angelangt sind.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1904 an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich darf fragen, wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig beschlossen.

Wir kommen zu:

6   Kommunalsport initiieren – „Vom Verwalten zum Gestalten auf kommunaler Verwaltungsebene“

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1256

Beschlussempfehlung und Bericht
des Sportausschusses
Drucksache 16/1876

Ich darf Ihnen den Hinweis geben, dass der Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/1256 gem. § 79 Abs. 2 Ziffer b der Geschäftsordnung vom Plenum an den Sportausschuss überwiesen wurde mit der Maßgabe, dass eine Beratung und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt.

Ich eröffne die Beratung und erteile zunächst für die SPD-Fraktion dem Kollegen Bischoff das Wort.

Rainer Bischoff (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Piraten hat einen Antrag vorgelegt, der, wie der Herr Präsident ausgeführt hat, „Kommunalsport initiieren“ heißt und – das sage ich jetzt für die Zuschauerinnen und Zuschauer – beinhaltet, dass der Breiten- und der Leistungssport, die bisher gefördert werden, um den Kommunalsport ergänzt werden.

Jetzt ist die Piratenfraktion eine relativ neue Fraktion in diesem Haus, und da tut man sich schwer, deutliche Worte zu finden. Wir haben im Ausschuss darüber diskutiert. Sie haben Ihr Anliegen mit einer bestimmten Wortwahl verbunden, beispielsweise der, Sie hätten eine neue Sicht der Dinge entwickelt. Ich komme aus dem Ruhrgebiet; da sagt man klare Worte. Deswegen ganz klar: Ich halte den Antrag schlichtweg für Unsinn.

Was die neue Sicht der Dinge betrifft, die Sie vortragen: Wer will sich dem verschließen? Eine neue Sicht der Dinge hätten wir gern. Sie braucht aber eine gewisse Substanz, einen gewissen sachlichen Unterbau. Den haben wir – um das freundlich zu formulieren – auch in der Ausschussberatung nicht erkennen können. Man könnte sagen: Auch in der Ausschussberatung gab es nichts Erhellendes.

Ich will das noch einmal kurz begründen. Das, was Sie fordern, nämlich den Kommunalsport zu initiieren, findet längst statt, und zwar in Form der Förderung des Breitensports. Ich empfehle Ihnen sehr dringend, sich den Haushaltsentwurf durchzulesen, über den wir derzeit beraten. Ich habe extra meine Brille mitgenommen, damit ich die entsprechenden Haushaltstitel vortragen kann.

Es geht um den Einzelplan 07 und da zum Beispiel – zu finden auf den Seiten 138 bis 147 – das Kapitel 07 060 – Förderung des Sports – und daselbst unter anderem die Titel 686 70 und 686 20. Ich könnte Ihnen noch weitere Titel vorlesen, in denen Sie genau das finden, was Sie haben wollen.

Dahinter verbergen sich Zuschüsse zu Investitionen für die Vereine vor Ort, die kommunalen Sport betreiben. Der Sportverein bei mir in Rheinhausen ist natürlich kommunal; er ist vor Ort. Da geht es um die Sportpauschale für die Kommunen. Wir geben den Kommunen eine Pauschale, damit sie Sporteinrichtungen betreiben und bauen können. Das Geld geht direkt an die Kommunen.

Wir haben eine Übungsleiterpauschale für die Übungsleiter in den Vereinen, die natürlich vor Ort sitzen. Beim mir um die Ecke ist der nächste Sportverein; das ist kommunal.

Wir haben natürlich Gelder, die an den Landessportbund gehen. Von dort werden sie wiederum an die Vereine vor Ort weitergeleitet; auch das ist kommunal.

Wir haben darüber hinaus ein eigenständiges Programm – „1000 mal 1000“ –, mit dem Vereine, die besondere Kriterien erfüllen, aus Sondertöpfen extra gefördert werden. All das ist Kommunalsport.

Insofern wage ich die Prophezeiung – ich brauche auch gar nicht meine ganze Redezeit, weil die Sachlage eigentlich ziemlich klar ist –, dass Sie von den mir nachfolgenden Rednern der drei anderen Fraktionen ähnliche Aussagen hören werden. So war es jedenfalls im Sportausschuss. Ich bin eher irritiert darüber, dass wir hier noch einmal über das Ganze diskutieren. Aber das ist natürlich parlamentarisch richtig; dann machen wir das auch so. Ich kann aber nicht erkennen, dass es hier andere Ergebnisse geben wird.

Wir lehnen Ihren Antrag ab und stimmen deswegen der Beschlussvorlage des Ausschusses zu. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bischoff. – Für die CDU-Fraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Hausmann das Wort.

Wilhelm Hausmann (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag befasst sich mit den Strukturen der Sportförderung. Aus Sicht der Piraten fehlt dem Sport eine sogenannte dritte Säule, die der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft Rechnung tragen soll.

Dabei stellen sich für uns zwei Fragen. Zum einen: Brauchen wir in der Sportförderung eigentlich eine Strukturdebatte? Zum anderen: Wollen wir tatsächlich den Trend zur Individualisierung auf Kosten der vorhandenen Vereinsstruktur fördern?

Beides können wir uns seitens der CDU-Fraktion nicht vorstellen. Zum einen ist für uns der Sport kein staatliches Verwaltungsproblem. Wir wollen weder auf der Landesebene noch auf der kommunalen Ebene zusätzliche Strukturen zur Mittelvergabe aufbauen; denn das Geld für die zusätzlichen Verwaltungskosten wird den Vereinen am Ende für ihre Arbeit an der Basis fehlen.

Zum anderen bieten viele Vereine bereits jetzt verschiedenste Formen der weiteren und direkten Mitwirkung an, nicht zuletzt, um Aktive für das Vereinsleben zu gewinnen; denn ohne Aktive, die in den Vereinen auch funktionale Aufgaben ehrenamtlich übernehmen, wäre die Struktur im Sport sehr schnell am Ende.

Letzten Endes würde Ihr Vorschlag die Sportlandschaft in NRW zurückwerfen. Ehrenamtliches Engagement würde ausgehöhlt. Zusätzliche teure Verwaltungsstrukturen auf öffentlicher Seite würden im Laufe der Zeit in immer größerem Umfang erforderlich werden.

Meine Damen und Herren, zusätzliche Strukturen, die Sie als Aufgabe für die Kommune fordern, machen das Land konnexitätsbedingt letzten Endes auch ausgleichspflichtig. Was der Sport wirklich braucht, ist eine schlanke Struktur auf der Ebene der Verwaltung und Funktionäre, damit möglichst viel der begrenzten Mittel an der Basis ankommt. Dies sehen wir in der jetzigen Struktur am ehesten gewährleistet.

Diese Struktur wollen wir mit den Beteiligten weiter ausbauen und auf eine stabilere Grundlage stellen. Darüber hinaus sollten wir uns nicht mit aufwendigen Strukturdiskussionen lähmen, sondern pragmatisch auf die wirklichen Bedürfnisse der im Sport engagierten Bürger blicken und hier die Unterstützung organisieren.

Was wir seitens der CDU für den Sport tun können, zeigen die jüngsten Signale aus Berlin. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich darauf geeinigt, dass nebenberufliche Tätigkeiten wie die Arbeit als Trainer zukünftig stärker steuerlich begünstigt werden. Diese Anhebung der steuerfreien Übungsleiterpauschale auf 2.400 € und die Erhöhung der Ehrenamtspauschale von 500 € auf 720 € sind eine Stärkung für das Ehrenamt im Sport an der Basis.

Wenn Sie dem Sport also etwas Gutes tun wollen, dann sollten Sie mit uns die Vertreter von Rot-Grün dazu drängen, dieser Steuerregelung im Bundesrat am 3. März zuzustimmen. Denn bisher wurden die jüngsten Steuererleichterungen der Bundesregierung in alter Lafontaine‘scher Tradition durch rote und grüne Vertreter im Bundesrat blockiert.

Außerdem spielen Sie hier mit dem Feuer. Mit solchen Anträgen bringen Sie nämlich die SPD geradezu nur darauf, noch mehr Verwaltung zur Mittelverteilung und Kontrolle auf allen Ebenen aufzubauen, die für verdiente Genossen bequeme Versorgungsposten bilden. Das wollen wir nicht, und das können Sie eigentlich auch nicht wollen.

Wir lehnen daher Ihren Antrag ab, der nicht nur unsere Bemühungen, sondern auch die Arbeit des Landessportbundes und der Ehrenamtlichen in den Vereinen infrage stellt. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Hausmann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich nun Frau Kollegin Paul das Wort.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Hausmann, das waren zum Schluss recht interessante Auslassungen und Einlassungen, die jetzt weniger mit dem Antrag, sondern mehr mit Ihrem politischen Unverständnis an der Stelle zu tun hatten.

Abgesehen davon, dass ich Ihre letzten Einlassungen vielleicht nicht ganz teile und dass ich denke, dass Sie ein bisschen schwarzmalerisch mit dem Antrag der Piraten umgehen, geht in die gleiche Richtung – das hat Kollege Bischoff auch schon gesagt –, was ich zu diesem Antrag zu sagen habe. Ganz klar ist: Breitensport ist Kommunalsport. Es ist Ihnen im Ausschuss auch nicht gelungen, uns zu verdeutlichen, was denn nun das Innovative und ganz Tolle an dieser neuen dritten Säule sein soll.

Wenn man von einer dritten Säule spricht, dann würde ich immer sagen: Vielleicht nehmen wir den Schulsport als dritte wichtige Säule in den Blick. Nichtsdestotrotz: An Ihrem Antrag sind auch Dinge richtig. Natürlich stehen Vereine vor großen Herausforderungen, was den demografischen Wandel, was Individualisierungstendenzen, aber auch was Inklusion angeht etc.

Sie haben in Ihren Antrag aufgenommen, dass sich der Vereinssport, die Verbände auf den Weg gemacht haben, genau diese Tendenzen aufzunehmen und innovativ weiter zu entwickeln. Und das sehen wir auch so. Wir sehen es als richtig an, dass wir den Sport dort unterstützen, wo der Sport am stärksten ist. Und das ist in den Vereinen und Verbänden. Gerade wurde schon gesagt: Die Vereine vor Ort sind der wichtigste Träger der Ehrenamtlichkeit und ein wichtiger Träger der außerschulischen Jugendarbeit.

Nichtsdestotrotz gibt es zunehmend mehr Menschen, die nicht unbedingt in einem Verein Sport treiben wollen, sondern die einfach nach der Arbeit joggen gehen wollen oder die sich mit Freunden treffen wollen, auf einer Wiese kicken wollen. All das ist völlig richtig. Und dass es dafür Freiräume geben muss und dass dies in der Stadtplanung und Stadtentwicklung eine Rolle spielen muss, darin gebe ich Ihnen recht. Das ist überhaupt keine Frage. Aber das ist auch keine Frage einer neu zu schaffenden Struktur.

Denn das, was Sie im Ausschuss nicht ausführlich erläutern konnten – Sie konnten auch nicht dem Verdacht entgegenwirken, Doppelstrukturen zu schaffen –, ist der Aspekt, Sie wollten eine Stelle zur Förderung des kommunalen Sports einrichten. Ich frage mich immer noch, auch nach den Diskussionen im Ausschuss, was denn diese Stelle zur Förderung des Kommunalsports machen soll. Was soll sie machen, außer Doppelstrukturen herbeizuführen? Was soll sie machen, was nicht die Bünde, die Sportämter vor Ort nicht schon längst machen?

(Beifall von den GRÜNEN)

Innovation alleine kommt nicht davon, dass man dem Kind einen neuen Namen gibt. Vor diesem Hintergrund müssen auch wir diesen Antrag ablehnen. Nichtsdestotrotz würde ich aufnehmen: Ja, im Sportausschuss haben wir darüber diskutiert: Wohin muss sich der Sport weiterentwickeln, wenn er diese von Ihnen ja richtigerweise benannten Herausforderungen, Individualisierung, demografischer Wandel, aber auch Inklusion etc., aufnehmen will.

Darüber können wir gerne weiter sprechen. Aber das ist an der Stelle keine Strukturdebatte, sondern das ist eine Debatte darüber, wo man sinnvoll Projekte unterstützen kann. Das tut die Landesregierung. Herr Kollege Bischoff hat Ihnen schon den Hinweis gegeben, wo man das im Haushalt nachlesen kann. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Als Nächster spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Kommunalsport initiieren“ fordern die Piraten heute. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mir Ihren Antrag mehrmals durchgelesen und habe mir auch noch einmal die Diskussion aus dem Sportausschuss angeschaut. So leid es mir tut: Es gibt immer noch zu viele offene Fragen. Ich muss Ihren Antrag wirklich Punkt für Punkt abarbeiten.

Sie stellen richtigerweise fest: Sport und Bewegung sind wichtig. Es gibt eine fortschreitende Individualisierung auch im Sport. Es gibt zwei gewachsene und den Sport tragende Säulen, den Breitensport und den Leistungssport. Wir haben mit dem Landessportbund einen verlässlichen und starken Partner. Und in Nordrhein-Westfalen finden wir – das gilt fraktionsübergreifend – beispielhafte Programme, die fast alle gesellschaftlichen Gruppen ansprechen und von vielen wahrgenommen werden.

Ich sage noch einmal: alles richtig von Ihnen beobachtet. Jetzt kommt der Knackpunkt. Ausweislich Ihres Antrags befürchten Sie, dass – ich zitiere – mit zentralen Apparaten auf Landesebene Konzepte und Dinge ersonnen würden, die an der Realität vor Ort, die von begrenzten Ressourcen gekennzeichnet sei, scheitern würden.

Meine Damen und Herren, über begrenzte Ressourcen können wir uns sicher im Detail unterhalten. Dazu hätte ich aber gerne gewusst, wo Sie denn die begrenzten Ressourcen jetzt ausmachen: auf Landesebene, im Ministerium, im LSB oder auf kommunaler Seite, in den Verwaltungen, in den Kreis- und Sportbünden, in den Vereinen? Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Meine Wahrnehmung ist da eine andere.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine herausragende Sportlandschaft, die gut aufgestellt ist. Sicher, mehr wäre immer gut. Aber die Menschen in diesem Land, in unseren Kommunen, die Verantwortung für den Sport tragen, tun das bereits in herausragender Art und Weise.

(Beifall von der FDP)

Die Player habe ich genannt: Sportbünde, Verbände und Vereine, die kommunale Verwaltung, unsere Übungsleiter, kurz und gut: alle sportlich Aktiven in Nordrhein-Westfalen.

Ein weiterer Punkt, der mehr als irritiert – wir stecken aktuell mitten in den Haushaltsberatungen –: Sie wollen – ich zitiere – Stellen in allen Sportverwaltungen bezuschussen, die explizit der Entwicklung des Kommunalsports Rechnung tragen.

Meine Damen und Herren, was heißt das konkret? Gibt es demnächst Mitarbeiter in den Verwaltungen, die sich um den Sport vor Ort kümmern? Ich sage Ihnen: Diese kommunalen Verwaltungsmitarbeiter gibt es tatsächlich schon; sie arbeiten in den Sportverwaltungen und kümmern sich um den Vereinssport und auch um die individuellen Sportangebote, die es in unseren Kommunen gibt.

(Beifall von der FDP)

Zum Schluss zur Frage der Bezuschussung. Wer soll hier wen bezuschussen? Das Land die Kommunen zum Beispiel mit einer Sportpauschale oder mit Zuschüssen zur Entwicklung des Breitensports oder zur Förderung der Übungsarbeit und des Ehrenamtes? Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle diese Förderungen gibt es. Es gibt sie seit Jahrzehnten, sie haben sich bewährt, und das wollen wir nicht gefährden. Die FDP lehnt diesen Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die ursprünglich antragstellende Piratenfraktion erteile ich jetzt Herrn Kollegen Lamla das Wort.

Lukas Lamla (PIRATEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen, und zwar von Wolfgang Roth von der SPD aus der letzten Legislaturperiode. Er sagte im Sportausschuss, die Politik müsse sich die Strukturfrage immer wieder neu stellen. – Genau das ist unser Ansatz.

Ich habe in der Antragsvorstellung im Ausschuss schon ausgeführt: Der gesellschaftliche Wandel ist voll im Gange. Auch die sportlichen Aktivitäten der Bürger verändern sich. Herr Bischoff, Sie sagten selbst, Sie kommen aus dem Ruhrgebiet, haben den Job hier und können an keinen Vereinsaktivitäten im Sportbereich teilnehmen. Sie können keine festen Trainingszeiten wahrnehmen. Sie sind quasi außen vor. Genau das ist der Ansatz, den wir verfolgen.

(Rainer Bischoff [SPD]: Das gelingt mir aber!)

– Ja, Ihnen allein. Aber Sport mit anderen Menschen zusammen zu machen, ist etwas anderes und macht wesentlich mehr Spaß.

Jugendliche, Familien, insbesondere auch Senioren – das ist eine Zielgruppe, die vollkommen vernachlässig wird – sind bewegungsaktiv, und das sollten wir unterstützen.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Das können wir jetzt schon unterstützen, ohne besonders viel Geld in die Hand zu nehmen,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Dann müssen Sie mal Geld in die Hand nehmen!)

indem wir uns dieser Herausforderung stellen, das Ganze und auch diese Strukturfrage zu überdenken.

Offene Sporthallen, Skateparks, Kletterwände, E-Sport-Treffpunkte für Jogging, Walkingtreffs, offene Spaziergruppen für Senioren usw. sind alles Dinge, die es in den Kommunen zum Teil schon gibt, es sind jedoch häufig nur Modellprojekte oder im Zweifelsfall durch Selbstinitiative von Bürgern entstanden.

Dafür könnten wir als Politik auf Landesebene den Sinn schärfen, diese Entwicklung erkennen und auf Landesebene fördern. Wir in NRW könnten ein Vorbild für viele andere Bundesländer sein, die diese Entwicklung noch nicht so sehen, und entsprechende Maßnahmen treffen. Leider – das höre ich immer wieder; das höre ich auch aus den vorherigen Reden heraus – wird immer gesagt: Ja, wir haben schon ganz tolle Sachen; das war schon immer so und soll auch so bleiben. Das ist einfach viel zu kurz gedacht.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Warum? – Josefine Paul [GRÜNE]: Es gibt keinen Beleg dafür!)

– Krakeelen Sie ruhig weiter herum.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist geschwurbelt!)

– Schön, dass Sie das so sehen.

Wir haben diesen Antrag vorgestellt, und unser Antrag ist der erste Versuch gewesen, diese Individualisierung aufzugreifen und da vielleicht einen Akzent zu setzen.

Die jetzige Sportpauschale, die Sie so häufig erwähnen, die so toll sein soll, wird nach dem Gießkannenprinzip in der Gegend verteilt. Es ist auch nicht der Heilsbringer, aber viele von Ihnen sehen das auch selbst ein.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie, Herr Kollege. Es gibt den Wunsch, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen.

Lukas Lamla (PIRATEN): Nein. Ich bin gleich fertig.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dennoch könnten Sie sie zulassen.

Lukas Lamla (PIRATEN): Nein, die lasse ich nicht zu, Herr Präsident. Vielen Dank für die Anmerkung.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Okay.

Lukas Lamla (PIRATEN): Wir haben diesen Antrag bereits im Ausschuss vorgestellt. Er wurde abgelehnt. Das akzeptieren wir. Trotzdem bedanke ich mich recht herzlich für Ihren Input, für die Kritik und die vielen Anregungen, die wir dazu bekommen haben. Das wird uns helfen, in Zukunft weitere Initiativen in diese Richtung zu gestalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich nun Frau Ministerin Schäfer das Wort.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Gäste! Meine sehr verehrten Damen und Herren der Piraten, Sie sprechen in Ihrem Antrag einen zentralen Punkt der Sportförderung an, und zwar: Wie schaffen wir es, im Sport den sich wechselnden Lebenslagen und Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden? Das ist eine Frage, die uns als Landesregierung intensiv beschäftigt. Es ist für uns das wichtigste Ziel unserer Sportpolitik, allen Menschen in Nordrhein-Westfalen Zugänge zum Sport zu eröffnen, und zwar vom Kleinkind bis zum Hochbetagten.

Ich freue mich deshalb sehr – das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen –, dass sich der gemeinnützige Sport an vielen Stellen im Land neuen Sportarten und auch neuen Trends öffnet. In Kooperation mit Kommunen und anderen gemeinnützigen Organisationen und kommerziellen Anbietern sorgen Sportvereine für eine große Bandbreite an Sportangeboten, die den unterschiedlichsten Bedürfnissen gerecht werden.

Es gibt also in Nordrhein-Westfalen – das können wir behaupten – viel Bewegung im Sport. Wir als Land leisten unseren Beitrag und stärken unsere programmatischen Vorhaben im Breiten- wie auch im Leistungssport. Wir unterstützen die Bewegungskindergärten, wir wollen vor allem über das neue Breitensportprogramm Kooperationen von Vereinen mit Kindertagesstätten, mit der Kindertagespflege fördern. Wir setzen uns sehr dafür ein, die Sportangebote im Ganztag auszuweiten. Auch unsere Aktivitäten, mehr Bewegung und Sport für Ältere zu ermöglichen, treffen in Nordrhein-Westfalen auf eine große Resonanz.

Wir engagieren uns als Land außerdem weiterhin dafür, die Sportstätteninfrastruktur zu verbessern und sie zukunftsfest zu machen. Dafür planen wir in diesem Jahr rund 9,3 Millionen € für herausragende Sportstätten ein, und 50 Millionen € – das haben Sie eben angesprochen – stellen wir im GFG für den Sportstättenbau bereit. Das wird allseits auch hoch akzeptiert.

Die Aktivitäten, die ich gerade genannt habe, sind alles Aktivitäten, die den Kommunen im Land an vielen Stellen zugutekommen. Wir arbeiten in der Sportförderung eng verzahnt mit den Kommunen zusammen. Wir schätzen ihr großes Engagement im Sport und respektieren gleichzeitig ihre Eigenständigkeit. Die Kommunen sind die wichtigsten Sportförderer, aber nicht die wichtigsten Sportanbieter. Das ist ein großer Unterschied, über den wir uns immer wieder klar sein müssen.

Laut Statistischem Bundesamt – die Zahl ist ganz interessant – kommen die Kommunen, Herr Lamla, zu rund 79 % für die Sportförderung auf, die Länder zu 17 %, und der Bund übernimmt die restlichen 4 %. Die Struktur der Sportförderung gestaltet sich dabei so: Der DOSB hält sich an den Bund, der Landessportbund hält sich an das Land, die Sportvereine, die Sportbünde und die Gemeindesportverbände, diejenigen, die den Sport vor Ort gestalten, halten sich an ihre Kommune.

Land und Kommunen als den beiden wichtigsten Sportförderern arbeiten also in die gleiche Richtung, aber eben – und das ist richtig und wichtig – auf unterschiedlichen Ebenen. Wir unterstützen als Land die Kommunen in struktureller Hinsicht, die Kommunen unterstützen den Sport vor Ort.

Diese Form der Zusammenarbeit hat sich bewährt. Eine dritte, daneben gestellte Säule der Kommunalsportförderung ist daher nicht notwendig. Sie entspricht nicht den gewachsenen Strukturen unserer Sportförderung in Nordrhein-Westfalen und würde auch eine Doppelförderung mit den Bereichen Breiten- und Leistungssport provozieren.

Ich freue mich aber trotzdem darüber hinaus über alle Ideen und alle Impulse, wie wir gemeinsam mit den Kommunen den Sport in unserem Land Nordrhein-Westfalen weiter stärken können. Ich freue mich auch auf die weiteren Debatten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind damit am Ende der Beratung angelangt.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Sportausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1876, den Antrag Drucksache 16/1256 abzulehnen. Ich darf fragen, wer dieser Beschlussempfehlung zustimmen möchte. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann darf ich feststellen, dass die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und einem Teil der CDU-Fraktion gegen die Stimmen der Piratenfraktion bei Enthaltung einiger Abgeordneter der CDU angenommen und der Antrag abgelehnt worden ist. – Ich werde gerade darauf aufmerksam gemacht, dass es aus den Reihen der Piraten eine Enthaltung gegeben hat. Ich darf bitten, das so zu Protokoll zu nehmen. Noch einmal: Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses angenommen und der Antrag mit dem festgestellten Ergebnis abgelehnt.

Wir treten ein in den Tagesordnungspunkt

7   Eckpunkte für eine Reform des Länderfinanzausgleichs und der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1911

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Jung das Wort.

Volker Jung (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im vergangenen Jahr haben mit Bayern, Baden-Württemberg und Hessen erstmals nur noch drei Länder in den Länderfinanzausgleich eingezahlt. Alle übrigen 13 Bundesländer sind Empfängerländer, seit 2010 auch Nordrhein-Westfalen.

Die hohen Zahlungen eines immer kleiner werdenden Kreises von Geberländern machen den Reformbedarf offensichtlich. Natürlich müssen wir am Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland festhalten. Das ist auch das Gebot unserer Verfassung. Wer aber die Solidarität zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Ländern überstrapaziert, der treibt einen Keil in das bewährte föderale System.

Ungeachtet der politischen Bewertung laufen die gegenwärtigen Ausgleichsregelungen des Länderfinanzausgleichs im Jahre 2019 aus. Was wir jetzt brauchen, ist eine sachliche und konstruktive Debatte über die zukünftige Gestaltung des Länderfinanzausgleichs. Hier hat die Union bereits vorgelegt. Erstmals haben sich Vertreter aller Geber- und Nehmerländer auf einen neuen Ausgleichsmechanismus verständigt.

Die haushalts- und finanzpolitischen Sprecher von CDU und CSU in allen deutschen Landesparlamenten haben einstimmig Eckpunkte für den Länderfinanzausgleich und den bundesstaatlichen Finanzausgleich in den Jahren nach 2019 empfohlen. Darin sind unter anderem mehr Leistungsanreize, eine Bundeshauptstadthilfe für Berlin, ein demografischer Ausgleichsfaktor, der Abbau weiterer Mischfinanzierungen unter Beachtung der Konnexitäts- und Subsidiaritätsprinzipien und ein schärferes Sanktionsregiment gegen Haushaltssünder vorgesehen.

Meine Damen und Herren, Aufgaben und Ausgaben gehören in eine Hand. Das gilt für die Kommunen und Länder genauso wie für den Bund und die EU. Diese Klarheit dient auch der Demokratie. Was in Europa gilt, muss auch für Deutschland gelten. Finanzielle Hilfen darf es nur gegen strikte Sparauflagen und ernsthafte Reformbemühungen geben.

Es ist eben dieser Blickwinkel, der zu einem Bewusstseinswandel beitragen kann. Länderregierungen müssen ihre Haushaltsentscheidungen zukünftig stärker nach Kriterien der Verhältnismäßigkeit fällen und weniger auf möglicherweise entgehende Bundesmittel schielen. Es muss zukünftig der alte Grundsatz gelten: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch.

Insgesamt sollten wir uns bei allen Überlegungen von dem Kerngedanken leiten lassen, dass die gesamtstaatliche Solidarität erhalten bleibt. Das Ausmaß des Ausgleichs muss allerdings zurückgefahren werden. Zurzeit wird umso stärker ausgeglichen oder abgeschöpft, je weiter sich ein Bundesland vom Gesamtdurchschnitt entfernt. Dieser Effekt muss durch eine Tarifglättung bei der Umsatzsteuerverteilung und im Länderfinanzausgleich abgeschwächt werden.

Natürlich gibt es besondere strukturelle Herausforderungen, etwa geografische oder infrastrukturelle Unterschiede, die politisch kaum zu beeinflussen sind. Diese müssen auch über das Jahr 2019 hinaus durch Sonderbundesergänzungszuweisungen berücksichtigt werden. Zusätzlich sollten diese Ausgleichsmechanismen um ein Element ergänzt werden: das der demografischen Entwicklung. Dies trägt den massiven demografischen Veränderungen und Abwanderungen Rechnung.

Außerdem muss es zukünftig wirksamere Sanktionen gegen Haushaltssünder geben. Hier muss dem Stabilitätsrat mehr Kompetenz eingeräumt werden. Nur so kann er seinen Aufgaben als Hüter über die innerdeutsche Finanzstabilität in vollem Umfang nachgehen.

Zudem schlagen wir ein automatisches mehrstufiges Sanktionsverfahren vor. So soll die innerdeutsche Schuldenbremse durchgesetzt werden.

Wie ist es aktuell in NRW? Hier hat die rot-grüne Landesregierung anscheinend den Anspruch aufgegeben, die Finanzkraft des Landes zu stabilisieren, geschweige denn zu stärken. Der aktuellen mittelfristigen Finanzplanung können wir entnehmen, dass NRW die Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich von 500 Millionen € und aus den Bundesergänzungszuweisungen von 200 Millionen € schon fest einkalkuliert. 700 Millionen € von anderen Bundesländern – das sollte nach unserer Auffassung nicht der Anspruch einer selbstbewussten Landesregierung sein.

Für uns ist von großem Interesse, welche Vorstellungen die SPD von diesen zukünftigen Gestaltungen des Länderfinanzausgleichs hat. Soweit wir wissen, hat sich dort noch niemand konzeptionell mit der Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs beschäftigt.

Die Politik muss aus unserer Sicht den Ehrgeiz haben, komplizierte Verteilungskonflikte eigenverantwortlich zu lösen. Eine gemeinsame Verhandlungslösung wäre deshalb wünschenswert.

Schon deshalb freuen wir uns schon jetzt auf eine konstruktive Debatte im Ausschuss und bitten unseren Antrag an die entsprechenden Fachausschüsse zu überweisen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die SPD-Fraktion erteile ich nun das Wort Frau Kollegin Lux.

Eva Lux (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, stelle ich einen erfreulichen Fortschritt in Ihrer Einstellung zum Länderfinanzausgleich und den bundesstaatlichen Finanzbeziehungen fest. Das ist zumindest in Teilen der Fall und somit noch ausbaufähig.

Sie erkennen an, dass der Länderfinanzausgleich ein wichtiges – ich sage dazu: ein notwendiges – Instrument ist, um die Herstellung und Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse unserer Bürger in allen Bundesländern solidarisch zu vollziehen. Immerhin bekennen Sie sich zur föderalen Finanzverfassung unseres Grundgesetzes.

Ich hoffe sehr, dass sich Ihr Interesse und daraus folgend ein Bekenntnis auch mit Blick auf unser Land entwickelt – schützend und nicht beschwerend, nicht entsolidarisierend oder gar strangulierend, wie sich Ihr Antrag leider zeigt.

Der Länderfinanzausgleich ist ein Thema, das vor allem von Bayern nach vorn getrieben wird – Sie, Kollege Jung, reden hier das Wort –, seit Bayern zu den Geberländern gehört. Vorher war es 36 Jahre lang kein Problem für dieses Bundesland, ein Nehmerland zu sein. Immer wieder müssen wir uns vorzugsweise von dort anhören, dass der Länderfinanzausgleich einer dringenden Reform bedürfe. Dies wird besonders an der Ausgabenpolitik der Nehmerländer festgemacht.

Aber anscheinend weiß man in Bayern nicht so recht, wie der Länderfinanzausgleich funktioniert, denn er hat mit der Ausgabenseite überhaupt nichts zu tun, sondern orientiert sich ausschließlich an der Finanzkraft der Länder, also an der Einnahmenseite. Ein Land, das mit seinen Pro-Kopf-Einnahmen über dem Bundesdurchschnitt liegt, ist ausgleichspflichtig. Die anderen erhalten Zuschüsse.

Nordrhein-Westfalen war jahrzehntelang ein starkes Geberland im Länderfinanzausgleich. Nordrhein-Westfalen ist bis heute das viertstärkste Geberland. Der Finanzausgleich besteht in Deutschland nämlich nicht nur aus dem Länderfinanzausgleich, sondern auch aus einem Ausgleich bei der Umsatzsteuer. Und in den zahlt Nordrhein-Westfalen ein, weil es das umsatzstärkste Bundesland ist. Über 30 der 100 größten Unternehmen zahlen hier ihre Umsatzsteuer und haben hier ihre Steuerkraft. Diese Tatsache wird allzu gern ausgeblendet.

Schade, dass sich die NRW-CDU nicht vor ihr Land stellt und ihre solidarflüchtigen bayerischen Kollegen einmal kompetent berät. Denn dass Sie sich zumindest für einen Ausgleich besonderer struktureller Probleme aussprechen und auch für Sie wie für uns die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen auf den Prüfstand gehört, kann man Ihrem Antrag doch entnehmen.

Kolleginnen und Kollegen, der Bund darf sich in dieser Frage nicht aus der Verantwortung ziehen. Er muss anerkennen, dass die Situation in manchen Kommunen trotz engagierten Sparens verzweifelt ist.

Wir waren uns immerhin einig, dass der Bund zukünftig einen höheren Anteil an den Soziallasten übernehmen muss. Das sollten wir zusammen weiter vertreten. Wir haben auch den Konsens, dass die Mittel, die wir in Bildung investieren, deutlich erhöht werden müssen. Je besser wir ausbilden, Kollege Jung, umso besser ist das für unser Land.

Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir den Solidarzuschlag Ost, der richtig war, perspektivisch in einen Bildungszuschlag umwandeln, um Bildung vernünftig finanzieren zu können.

Kolleginnen und Kollegen, ein Ausgleichssystem soll auch Anreize dafür setzen, dass mehr Empfängerländer aus dieser Rolle herauskommen und finanziell unabhängiger von den Leistungen anderer Länder werden. Wer „Anreize“ sagt, sollte jedoch nicht insgeheim nur Restriktionen meinen. Man kann schneller auf der anderen Seite landen, als man denkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, wenn Ihnen tatsächlich daran gelegen ist, die Interessen unseres Landes zu vertreten, werden Sie mit uns gemeinsam daran arbeiten, dass sich alle Bundesländer an die im letzten Jahr getroffene Vereinbarung der Ministerpräsidentenkonferenz halten, in der kommenden Wahlperiode in Verhandlungen einzutreten, damit nach einer umfassenden Bestandsaufnahme und Bewertung der Länderfinanzausgleich und die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern solidarisch, verfassungsgemäß, gerecht und vielleicht sogar transparent geregelt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, ich respektiere es sehr, dass Sie mit uns gemeinsam zur Lösung dieser Aufgabe beitragen wollen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete, und erteile nunmehr für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herrn Kollegen Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Jung, Sie und Ihre Fraktion haben einen Antrag vorgelegt, der diverse bedenkenswerte Punkte enthält, die man in einer Diskussion besprechen muss; das ist keine Frage.

Wir haben uns schon, als Sie als finanzpolitischer Sprecher der CDU entsprechende Vorschläge verlautbart haben, durchaus auf verschiedene Punkte positiv bezogen. Das verwundert auch nicht so sehr, da Sie sich ein Gutachten zu eigen gemacht haben, an dem ich zum Teil persönlich in Arbeitsgruppen mitgearbeitet habe und was Frau Prof. Behnke im Auftrag der Grünen der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Ich will ausdrücklich hinzufügen, damit es keinen falschen Zungenschlag gibt: Das ist natürlich kein Gutachten der Grünen, sondern von Frau Prof. Behnke, die sich auch entsprechend den Diskussionen stellt.

Ich will ein paar Punkte herausgreifen, die ich für sehr bedenkenswert halte. Da ist einmal die Frage der Verzerrung durch das Bundesland Berlin. Dazu werden sich die Bundesländer natürlich schnell einig, wenn der Bund die Kosten übernimmt, um die Schieflage zu beheben. Man kann sich schnell darauf einigen, wenn das zulasten des Bundes geht. Man muss sich natürlich auch immer die Frage stellen, wer das bezahlt. Dass der Bund kommentarlos da etwas drauflegt, ist nicht zu erwarten.

Was uns aber wirklich unterscheidet, dass ist der Ansatzpunkt der Solidarität oder der fehlenden Solidarität. Wir sind nicht dafür, dass es zwischen den Ländern einen Steuerwettbewerb geben soll. Wir sind nicht für Zuschläge auf die Gemeinschaftssteuern, schon gar nicht für jene Länder, die unter Haushaltsnotlagen leiden, das möglicherweise auch deswegen, weil der Bund die Kosten zum Beispiel für die Sozialleistungen nicht oder nicht in dem Maße übernimmt, wie wir das eigentlich wollen. Da widersprechen Sie sich auch in Ihrem Papier. Dazu müssen wir zumindest zu konkreten Vereinbarungen kommen.

Das muss man allerdings auch einbetten in die politische Lage, in der das stattfindet. Ich sage das deshalb, weil der Kollege Jung natürlich wieder einen Seitenhieb auf Nordrhein-Westfalen gemacht hat. Wir haben einen 2019 auslaufenden Länderfinanzausgleich. In dem Jahr laufen auch die Regelungen zum Solidarpakt Ost aus. In dieser Phase, wo Systeme ohnehin auslaufen, klagen die Bundesländer Hessen und Bayern gegen dieses auslaufende System und legen gleichzeitig Eckpunkte für ein neues System vor, das ab 2020 greifen soll. Für Schizophrenie kann man kein besseres Beispiel geben als dieses hier.

(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)

Bayern und Hessen wollen mit den anderen verhandeln, wie es besser gehen kann, und klagen gegen ein System, das noch sechs Jahre läuft. Warum machen die das? Machen sie das, weil sie so sehr an einem Gelingen interessiert sind, oder weil sie vielleicht die Landtagswahlen im Herbst dieses Jahres haben? Ich vermute, Letzteres ist der Fall.

Um den Blick nach vorne zu richten, Herr Kollege Jung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, will ich sagen, dass wir natürlich der Überweisung zustimmen werden. Wir sind auch sehr an einer parteiübergreifenden Debatte interessiert, weil – da beißt die Maus keinen Faden ab – ohne eine parteiübergreifende Verständigung ein Länderfinanzausgleich ohnehin nicht zustande kommen wird. Einen Länderfinanzausgleich wird man ohne SPD, Grüne, CDU oder FDP nicht hinbekommen. Für die FDP gilt das vielleicht ein bisschen weniger, aber ich gehe einmal davon aus, dass auch sie an der Debatte beteiligt sein muss.

Ich finde einen Punkt in Ihrem Antrag – damit will ich auch schließen – sehr wichtig. Es steht darin, es gelte das Primat der Politik. Vielleicht telefonieren Sie einmal mit Hessen und Bayern und sagen denen, dass es nicht sehr sinnvoll ist, eine Klage, die keine Wirkung erzielen wird, populistisch im Zuge eines Landtagswahlkampfes einzureichen, und empfehlen ihnen, inhaltlich voranzugehen.

Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen. Ich will mir aber noch die Bemerkung erlauben, dass dieses Papier natürlich keine Eckpunkte enthält. Es enthält vielleicht einige Gedanken. Eckpunkte wären es, wenn man klare Regelungen für alle Bereiche hätte. Davon ist dieser Vorschlag noch weit entfernt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Der nächste Redner ist für die FDP-Fraktion der Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt in einem föderalen Staat selbstverständlich gute Gründe für einen Finanzausgleich. Er soll Strukturunterschiede zwischen den Ländern ausgleichen, er kann ähnliche Lebensbedingungen für alle Bürger ermöglichen, er kann helfen, asymmetrische Trends zu dämpfen und somit auch deren negative Auswirkungen zu mildern.

Ob ein Finanzausgleich gebraucht wird, ist also politisch unstreitig. Die Frage ist eher, wie ein solcher Finanzausgleich in den Details ausgestaltet sein sollte.

Richtig ist die ganz nüchterne Kritik in dem Befund, dass der jetzige Finanzausgleich immense Fehlanreize mit sich bringt und deshalb reformbedürftig ist. Aus diesem Grunde führen viele Länder genau diese Debatte.

Länder, die ihre Finanzkraft aus eigener Anstrengung verbessern, werden in vielen Szenarien – völlig egal, ob Nehmer- oder Geberland – durch geringere Erträge aus dem Länderfinanzausgleich oder höhere Zahlungen in den Länderfinanzausgleich oftmals im Ergebnis bestraft.

Es gibt sogenannte Sensitivitätsanalysen, die zeigen, wenn man zum Beispiel die Lohnsteuer eines Landes betrachtet, dass eine wirkungsvolle Wirtschaftsförderung, die zu einem Anstieg der Beschäftigung und zu höheren Steuereinnahmen führt, im Ergebnis zusammen mit dem Länderfinanzausgleich bewirken kann, dass es unter dem Strich im Gesamteffekt keine Verbesserung gibt, obwohl ein höheres Lohnsteueraufkommen in dem Bundesland erzielt worden ist.

Das offensichtliche Resultat eines solchen Systems lautet: Anstrengung lohnt sich oftmals nicht. Das verleitet Länder zu Passivität, die in eine Abwärtsspirale münden kann, wenn jedes Land auf Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich spekuliert und selber nicht einen solchen Verbesserungswillen an den Tag legt, wie es sein müsste.

Die jetzige Situation zeigt diese Problematik auch ganz deutlich. 13 von 16 Ländern erwarten Zahlungen aus dem sekundären horizontalen Finanzausgleich. Nordrhein-Westfalen als größtes Bundesland hat sogar bis zum Planungshorizont der eigenen Finanzplanungen Zahlungen der insgesamt kleineren Länder in seine eigenen Berechnungen einkalkuliert. Dass in einer solchen Situation, indem sogar das bevölkerungsstärkste Bundesland einen Teil seiner Ausgaben durch andere Länder auch zukünftig begleichen lassen will, Unzufriedenheit aufseiten der Geberländer herrscht, ist ein Punkt, mit dem man sachlich umgehen muss.

Wenn der bayerische Steuerzahler nach Nordrhein-Westfalen blickt, dann sieht er zwar nicht, wie sich die Mechanismen im Länderfinanzausgleich gestalten und dass die Ausgabenseite dafür nicht entscheidend ist. Er nimmt aber wahr, dass er in Bayern Studiengebühren zahlt und dass dies in Nordrhein-Westfalen nicht nötig ist. Nordrhein-Westfalen gönnt sich ein Sozialticket, das es in Bayern nicht gibt. Insofern muss man verstehen, dass Menschen diese Zahlungsströme, wenn sie sie wahrnehmen, für diskussionsbedürftig halten. Dafür wurden im Jahr 2012 immerhin fast 4 Milliarden € an Länder gezahlt, die sich solche Projekte erlauben, die es in Geberländern nicht gibt.

Die Geberländer hingegen haben in den letzten Jahren umfangreiche Haushaltskonsolidierungen betrieben, unter anderem mit dem Abbau mehrerer Tausend Stellen. Beispielsweise ist in Bayern eine Absenkung der Eingangsbesoldung für Beamte vorgenommen worden. Es waren schwerwiegende Maßnahmen, die natürlich auch zu Kritik im eigenen Land geführt haben. Dass sich daher Fragen des Länderfinanzausgleichs und dessen Reform aus Sicht der Geberländer neu stellen, dafür sollte man zumindest Verständnis haben, und man sollte sich im Dialog und in den Gesprächen mit anderen Ländern, die zur Reform des System stattfinden, auf die Argumente einlassen.

Nur ein Finanzausgleich, der als gerecht empfunden wird und unter dem Strich auch die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik Deutschland stärkt anstatt schwächt, kann dauerhaft sinnvoll sein und Bestand haben. Genau in diese Richtung sollten unsere Reformbemühungen gelenkt werden. Die Reformbedürftigkeit des heutigen Finanzausgleichs in seiner jetzigen Form ist sicherlich evident, was Fehlanreizwirkungen angeht.

Wir wollen auch zukünftig einen Länderfinanzausgleich, der allerdings Anreize für finanzpolitische Maßnahmen setzt und nicht zu Fehlanreizen führt. Darüber hinaus brauchen wir in unserem Land eine Debatte über die Stärkung der Steuerautonomie, über die Anreizkompatibilität und über die Frage, welche …

Vizepräsident Daniel Düngel: Bitte kommen Sie zum Ende, Herr Kollege.

Ralf Witzel (FDP): … Möglichkeiten, Herr Präsident, ein Bundesland im Wettbewerbsföderalismus hat, um seine eigene Finanzlage entsprechend zu gestalten. In diesem Bereich ist viel Reformpotenzial vorhanden. Es lohnt sich, diese Debatte zu führen, und in diesem Sinne werden wir uns in die weiteren Beratungen einbringen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Witzel. – Wir hören nun als nächsten Redner den Kollegen Robert Stein für die Piratenfraktion.

Robert Stein (PIRATEN): Vielen Dank! – Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Liebe Menschen am Stream! Wir reden hier über eine Reform des Länderfinanzausgleichs, die wir im Land anstoßen wollen. Der Länderfinanzausgleich – das haben wir schon gehört – dient eigentlich der Nivellierung von finanziellen Unterschieden zwischen den Bundesländern auf horizontaler Ebene. Lebensverhältnisse sollen angeglichen werden – das ist gut; gar keine Frage –, um weitgehend gleiche Lebensstandards zu ermöglichen oder sogar zu garantieren. Was wäre sonst? – Wir wollen keinen Braindrain. Wir wollen keine Zentralisierung zulasten anderer einzelner Regionen hier in Deutschland. Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen.

Aktuell gibt es nur drei Geberländer, aber 13 Empfängerländer. Das ist der Stand von 2012. Das ist erst einmal natürlich kritisch zu sehen. Die Geber sind im Süden, die Empfänger im Norden. Wenn wir also über eine Neugestaltung reden, sollten wir sichergehen, dass es nicht zu Mitnahmeeffekten kommt. Es darf nicht dazu kommen, dass neu gewählte Regierungen in den ersten ein, zwei Jahren ihrer Legislatur Ausgaben provozieren, um dadurch später beim Länderfinanzausgleich Vorteile zu erhaschen. Solche Dinge sollten wir in der Diskussion berücksichtigen. Es darf keine Nutznießer des Länderfinanzausgleichs geben. Er muss gerecht gestaltet werden. Tricksereien sollten hier keinen Platz haben.

Wenn wir hier über den Länderfinanzausgleich reden, dann sollten wir eine Föderalismusreform in Gang setzen. Wir sollten uns zum Beispiel auch die Frage stellen und offen darüber diskutieren, ob wir uns auch weiterhin Stadtstaaten leisten können. Berlin hat sicherlich wichtige repräsentative Aufgaben – gar keine Frage –, aber wenn man sieht, wie viele Gelder nach Berlin fließen, kann man schon darüber diskutieren – natürlich ergebnisoffen –, ob das in dem Ausmaß gerechtfertigt ist. Es gibt auch viele andere Problemländer bei uns in der Bundesrepublik. Insofern sollten wir zu einer gerechten Verteilung für alle kommen.

Wir müssen sicherstellen, dass keine Mitnahmeeffekte und auch keine Nutznießertendenzen entstehen und dass es seriös geschieht. Darüber sollten wir offen in den Ausschüssen reden – gar keine Frage. Ich schlage vor – schließlich geht es in die Wirtschaftsmathematik, wenn wir ganz konkret über die Gestaltung der Formel für den Finanzausgleich reden –, dass wir hier im Plenarsaal eine große Anhörung veranstalten und diese auch über den Stream senden, um es einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wenn wir mit vielen Experten darüber reden. – Danke sehr.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Kollege Stein. – Für die Landesregierung spricht Herr Finanzminister Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines kann man jetzt schon festhalten: Der Antrag ist um Längen besser als das, was jetzt an Wortbeiträgen von CDU, FDP und Piraten dazu gekommen ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU, der FDP und den PIRATEN: Oh!)

Trotzdem kann man noch einiges zu dem Antrag sagen. Ich möchte zunächst begründen, warum ich zu diesem Urteil komme.

Erstens. Wir alle sind uns wohl darin einig, dass der Länderfinanzausgleich von anderen Staaten als ein Modell angesehen wird. Die sehen, dass wir in Deutschland eine Entwicklung hinbekommen haben, die eben nicht dazu geführt hat, dass sich alles auf ein oder zwei Zentren fokussiert hat. Die sehen auch, dass es nicht dazu gekommen ist, dass der Rest verarmt und Strukturprobleme noch und nöcher hat. Zu dieser Entwicklung hat dieser Länderfinanzausgleich – neben anderen Ereignissen in der Historie – mit beigetragen. Insofern sollten wir ihn nicht opfern.

Wir sollten vielleicht noch einmal deutlich machen – das kommt in dem Antrag auch zum Ausdruck, und deshalb habe ich es positiv angemerkt –, dass Nordrhein-Westfalen mitnichten ein Land ist, das sich seine Politik von anderen finanzieren lässt. Herr Jung hat gerade von 700 Millionen € gesprochen, und Herr Stein hat sogar gesagt, dass Ausgaben getätigt würden, um mehr Mittel aus dem Länderfinanzausgleich zu „provozieren“. Das ist schlicht und ergreifend Quatsch. Denn so funktioniert der Länderfinanzausgleich nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Man kann auch die schöne Geschichte von drei Ländern, die 13 finanzieren, wiederholen. Da die drei ziemlich große Länder sind, würde ungefähr ein Drittel der Bevölkerung die restlichen zwei Drittel alimentieren.

Wenn wir die Zahlen im CDU-Antrag zusammenrechnen – wir verausgaben allein beim Umsatzsteuerausgleich 2,5 Milliarden € vorher an andere, um dann, wenn wir 400 Millionen € zurückbekommen, immer noch netto über 2 Milliarden € an andere zu zahlen; das gilt im Übrigen nicht nur für Nordrhein-Westfalen, sondern auch für Rheinland-Pfalz –, stellen wir fest, die wahre Rechnung sieht so aus: Sechs Länder mit zwei Dritteln der Bevölkerung in Deutschland zahlen an zehn Empfängerländer mit einem Drittel der Bevölkerung.

Ich finde es gut, dass die CDU hervorhebt, dass Nordrhein-Westfalen unter dem Strich nicht von anderen ausgehalten werden muss. Das kommt leider in den späteren Beiträgen nicht mehr zum Vorschein.

Wir stehen auch dazu – das ist heute mehrfach im Zusammenhang mit Bonn/Berlin gesagt worden –, dass Verträge einzuhalten sind. Das können wir auf diesen Bereich genauso übertragen. Wir haben einen Vertrag, der bis 2019 läuft. Diesen Vertrag halten wir ein, auch wenn er uns Lasten aufbürdet.

Ich will das nur mal modellhaft zeigen – nicht weil ich das bedaure, sondern weil wir immer noch dazu stehen, diesen Vertrag geschlossen zu haben –: Hätten wir uns der Solidarität, in die wir immer noch einzahlen, nicht gestellt und unseren Beitrag nicht geleistet, hätten wir, gerechnet seit Beginn der Einbeziehung der neuen Länder, heute nicht einen Schuldenstand von 130 Milliarden €, sondern von 78 Milliarden €.

Die Sachsen, die immer wieder als Musterknaben vor uns hergetragen werden, hätten bei 4 Millionen Einwohnern nicht einen Schuldenstand von 6 Milliarden €, sondern von 68 Milliarden €. Das ist das Ergebnis des Länderfinanzausgleichs. Ich habe manchmal den Eindruck, nicht nur die, die wie Bayern über Jahrzehnte profitiert haben, haben das vergessen, sondern es scheinen sich auch manche nicht daran zu erinnern, die heute extrem davon profitieren und jetzt mit uns gemeinsam über eine Neujustierung reden müssten, wenn denn nach 2020 ein anderes System gelten muss oder es zumindest das heutige System nicht mehr geben würde.

Das ist in Ihren Wortbeiträgen schon angesprochen worden, man sollte in der Lage sein, auf der politischen Ebene Verteilungskonflikte eigenverantwortlich zu lösen. Gehen Sie aber dann bitte zu Ihren Parteifreunden in Bayern und Hessen und sagen denen, dass sie bitte davon Abstand nehmen sollen, einen so hohen Preis für einen zweifelhaften Vorteil bei Landtagswahlen zu zahlen, weil das der Auffassung, die sie vertreten haben, extrem widerspricht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die CDU hat den Auftrag des Grundgesetzes zu einem angemessenen Ausgleich der Finanzkraft unterstrichen, und zwar der Finanzkraft. Herr Witzel, damit wird deutlich, es geht nicht darum, ob Bayern die Eingangsbesoldung senkt oder eine Studiengebühr hat, die es als vorletztes Land abschaffen will, nachdem Niedersachsen sie dann auch abgeschafft hat. Interessant ist, dass bei CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen offenbar ein Interesse daran besteht, das einzige Land mit Studiengebühren zu sein. Aber das hat gar nichts mit der Finanzkraft zu tun.

(Ralf Witzel [FDP]: Ich habe vorhin alle Zusammenhänge korrekt dargestellt!)

Sie haben diesen Eindruck aber immer wieder erweckt und erwecken ihn auch weiterhin. Das führt dazu, dass Sie das Thema „Schuldenbremse“ in diesen Antrag stecken müssen. Sie haben sich verheddert. Sie haben sich immer wieder auf die Basis begeben, dass es um Ausgaben und nicht um Einnahmen geht. Das ist falsch. Die Schuldenbremse gilt. Die Schuldenbremse ist richtig. Die Schuldenbremse steht im Grundgesetz. Nur, Schuldenbremse und Finanzkraft sind zwei verschiedene Dinge. Deshalb sollte man sie nicht vermischen.

Richtig ist, dass es mit Blick auf 2020 viele Dinge zu besprechen gibt. Sie sind im Auftrag der CDU zu einem erheblichen Teil angesprochen worden. Sie sind zum Teil widersprüchlich, auch was die Art und Weise der Einbeziehung der Sonderlasten von Berlin angeht.

Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben, wie ich finde, einen klugen Beschluss gefasst. Sie haben unter dem Vorsitz der beiden Vorsitzländer der Finanzministerkonferenz, nämlich Hessen und Nordrhein-Westfalen, die Finanzminister damit beauftragt, bis zur Mitte dieses Jahres eine Bestandsaufnahme zu machen. In die gehört die immer wieder zitierte zweite Stufe des Länderfinanzausgleichs. In die gehört natürlich auch der Umsatzsteuerfinanzausgleich. In die gehören die Zerlegungsfragen: Wie verhält es sich mit der Kapitalertragssteuer, die Hessen bekommt? Wie steht es mit anderen Dingen, die die Bundesergänzungszuweisungen angehen? Wohin fließen die Bundesförderprogramme?

Ich glaube, da wird so mancher der Musterknaben noch ein bisschen hochgucken, wenn wir all das zur Sprache bringen und uns dann daranmachen, zu diskutieren, wie das im Anschluss neu geregelt werden soll.

(Beifall von den GRÜNEN)

Darauf bin ich gespannt. Dazu laden wir alle ein. Wir machen jetzt die Bestandsaufnahme. Wenn die Ergebnisse Mitte des Jahres vorliegen, gibt es genügend Gelegenheit zur Debatte. Die wird sicher interessant, und ich freue mich, wenn sich viele daran beteiligen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich darf Sie alle darüber informieren, dass der Herr Minister ein bisschen länger als geplant gebraucht und seine Redezeit um rund zwei Minuten überzogen hat. Nichtsdestotrotz liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Schluss der Beratung.

Wir stimmen über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrats ab. Der Antrag Drucksache 16/1911 soll an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – und den Ausschuss für Kommunalpolitik überwiesen werden. Die abschließende Beratung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer kann dieser Überweisungsempfehlung Folge leisten? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

8   Sonderprüfungsbericht des Landesrechnungshofes Nordrhein-Westfalen: Landesregierung muss die erforderlichen Konsequenzen ziehen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1913

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Preuß das Wort. – Ich sehe ihn nicht.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Nehmen Sie den Nächsten dran!)

– Herr Preuß kommt später dran. Geben Sie mir ein Signal, wenn er hereinschneit. Wir machen mit Frau Kollegin Philipp von der SPD-Fraktion weiter. Bitte schön.

Sarah Philipp (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte gerne auf die Ausführungen des Kollegen Preuß reagiert, aber er ist nicht da. Dann werde ich mich inhaltlich auf den Antrag der CDU-Fraktion beziehen, der aus unserer Sicht – das kann ich direkt vorwegschicken – substanzlos und in der Summe eher reine Effekthascherei ist. Ich will Ihnen gerne erklären, warum wir das so sehen.

Lassen Sie mich zunächst etwas Inhaltliches zum Programm Soziale Stadt sagen, um das es in dem Zusammenhang auch geht. Der CDU-Antrag hat die inhaltlichen Aspekte etwas außer Acht gelassen, deswegen möchte ich noch ein paar Ergänzungen vornehmen.

Das Programm Soziale Stadt ist für uns das wichtigste Instrument der Stadtentwicklungspolitik in Nordrhein-Westfalen. Es handelt sich dabei um ein mischfinanziertes Programm, bei dem Bundes?, Landes? und auch kommunale Mittel zusammenfließen. Der übliche Finanzierungsschlüssel von 1:1:1 variiert in Nordrhein-Westfalen seit Jahren zugunsten der Kommunen. NRW hat sich dazu entschieden, jeweils 40 % des kommunalen Anteils zu übernehmen. Das bedeutet, dass das Land NRW jeden Euro des Bundes mit 1,40 € ergänzt. So ermöglicht NRW den Städten und Gemeinden, wichtige Stadtentwicklungsprojekte mit einer Beteiligung von 60 Cent zu realisieren.

Die SPD-Landtagsfraktion ist von dieser Vergabepraxis überzeugt und unterstützt sie seit vielen Jahren. Besonders für Städte wie Duisburg – als Duisburgerin kann ich das sehr gut beurteilen – ist das Programm Soziale Stadt von enormer Bedeutung und bietet vielen strukturschwachen Stadtteilen die Chance auf einen Ausweg aus der Abwärtsspirale.

An dieser Stelle möchte ich die Effektivität und den Nutzen des Programms noch einmal deutlich betonen, da Anträge wie der vorliegende der CDU-Fraktion durchaus dazu verleiten, Projekte der Sozialen Stadt grundsätzlich in Misskredit zu ziehen. Selbstverständlich spricht sich die SPD-Fraktion für die ordnungsgemäße Vergabe entsprechend den Förderrichtlinien unseres Landes aus. Das ist unstrittig.

Insgesamt wurden für die Errichtung der Begegnungsstätte innerhalb des Moscheeneubaus an der Warbruckstraße in Duisburg-Marxloh 3,6 Millionen € aus EU? und Landesmitteln eingesetzt. Der Landesrechnungshof hat den Landtag nach § 99 der Landeshaushaltsordnung mit einem Bericht darüber in Kenntnis gesetzt, dass es im Rahmen der Prüfung des oben genannten Förderprojektes möglicherweise zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Der Klärungsbedarf bezieht sich sowohl auf die Nichterfüllung von Fördervoraussetzungen, den Einsatz der Fördermittel sowie auf die Ausschreibung und Vergabe von Aufträgen für Bauleistungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass niemand in diesem Hohen Hause solche möglichen Unregelmäßigkeiten ungeprüft lässt. Da überrascht mich ein Antrag der CDU, in dem eine Missbilligung und eine rechtliche Klärung eingefordert werden. Ebenso könnten wir einen Antrag einbringen, der die Abgeordneten auffordert, zu schnelles Fahren auf Autobahnen zu missbilligen und derartiges Fehlverhalten zu ahnden. Über derartige Anträge brauchen wir nicht abzustimmen, weil sie bereits beschlossen worden sind.

Der unzweckmäßige Umgang mit Fördergeldern und die rechtliche Klärung derartiger Fälle in unserem Land werden durch den Landesrechnungshof geprüft. Diese neutrale Instanz klärt des Weiteren die Verantwortlichkeiten und die Einleitung rechtlicher Schritte. Dazu gehört auch, die gezahlten Gelder nach einer ordentlichen Prüfung gegebenenfalls zurückzuverlangen. Das gilt natürlich ebenso für das Projekt in Duisburg-Marxloh.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, falls es in den Reihen der CDU noch nicht klar geworden sein sollte: Es handelt sich bei dem besagten Sonderprüfungsbericht um einen Zwischenbericht, um einen vorläufigen Bericht. Das ordnungsgemäße Prüfungsverfahren auf Basis des Landeshaushaltsrechts ist noch nicht abgeschlossen. Der Fachausschuss wird sich mit den Ergebnissen des Endberichts auf dem üblichen parlamentarischen Wege weiter befassen. Der Antrag der CDU-Fraktion ist deshalb in diesem Moment überflüssig, inhaltsleer. Deswegen werden wir ihn ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Philipp, vor allem dafür, dass Sie so kurzfristig eingesprungen sind. – Haben wir Herrn Preuß mittlerweile gefunden? Ich habe ihn noch nicht gesehen. Dann machen wir mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen weiter. Der Kollege Krüger, bitte. – Vielleicht fangen Sie Herrn Preuß in der Zwischenzeit mithilfe von technischen Kommunikationsmitteln ein.

Mario Krüger (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Meine Vorrednerin Frau Philipp führte gerade aus, dass der Antrag inhaltsleer sei. Offensichtlich ist er auch nicht wichtig, wenn man sieht, dass für die antragstellende Fraktion der CDU Herr Preuß mangels Präsenz nicht in der Lage ist, so wie es sich in diesem Hause gehört, ihn zu begründen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In dem Antrag heißt es, der Landtag möge die finanziellen Unregelmäßigkeiten missbilligen, er möge Sorge dafür tragen, dass rechtswidrig ausgezahlte Fördermittel zurückgefordert werden, dass die Verantwortlichkeit geklärt wird, dass rechtliche Schritte eingeleitet werden und darüber hinaus der Landtag über die eingeleiteten Maßnahmen unterrichtet wird. Hier wird starker Tobak vorgetragen, meine Damen und Herren. Daher wäre es hilfreich gewesen, wenn über die schriftlichen Ausführungen hinaus von der CDU-Fraktion etwas vorgetragen worden wäre.

Wir haben die Angelegenheit selbstverständlich zum Anlass genommen – und da hat Frau Philipp völlig recht, wir reden von einem Zwischenbericht –, uns im Detail mit dem Bericht des Landesrechnungshofes auseinanderzusetzen. Es ist die Rede davon, dass es Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Bauarbeiten gegeben hat. Unter anderem ist thematisiert worden, dass bestimmte Einrichtungen im Außenbereich Gegenstand der Finanzierung waren, die offensichtlich nicht hätten finanziert werden dürfen. Bezogen auf die vorläufigen Prüffeststellungen zu den Themen „Begegnungsstätte“ und „Einrichtung eines Islamarchivs“ ist nicht so verfahren worden, wie es ursprünglich miteinander verabredet worden ist. Selbstverständlich muss das aufgeklärt werden.

Wir als grüne Fraktion haben natürlich ein großes Interesse daran, dass das aufgeklärt wird. Aber dazu, meine Damen, meine Herren von der CDU, gibt es die entsprechenden Regularien. Zunächst einmal reden wir von einem Zwischenbericht. Ich hätte gerne gewusst, wie die Stellungnahme der Bezirksregierung Düsseldorf dazu aussieht. Die liegt bisher nicht vor.

Üblicherweise werden die Beteiligten vor einer abschließenden Bewertung vom Landesrechnungshof angehört. Und möglicherweise wird der Landesrechnungshof nach dem durchzuführenden Anhörungsverfahren zu einer anderen Einschätzung kommen, als sie heute aus dem Zwischenbericht zu entnehmen ist.

Daher: Die Diskussion ist im Fachausschuss zu führen, und zwar auf Grundlage eines Schlussberichtes. Deswegen ist der Haushaltskontrollausschuss eingerichtet worden; hier gehört die Angelegenheit hin.

Wenn Sie wirklich ein ernsthaftes Interesse daran gehabt hätten, diese Angelegenheit aufzuklären, dann hätten Sie Ihr Anliegen als Antrag zur weiteren Beratung im Fachausschuss gestellt. Stattdessen wollen Sie eine Vorverurteilung vornehmen auf Grundlage eines Zwischenberichtes. Das lehnen wir ab. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Ich sehe, wir haben den Kollegen Preuß gefunden.

(Allgemeiner Beifall und Zurufe: Ah!)

– Der Applaus ist berechtigt. Für die antragstellende Fraktion Herr Kollege Preuß. Bitte sehr.

Peter Preuß (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich ist das eine äußerst wichtige Angelegenheit. Wir nehmen das, was hier passiert ist, natürlich auch sehr, sehr ernst. Ich bitte um Entschuldigung, aber so ist das nun mal mit den Terminen an einem solchen Tag.

(Zuruf von der SPD: Dann muss man Prioritäten setzen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will es kurz machen. Am 14. Januar dieses Jahres hat der Landesrechnungshof NRW dem Landtag einen Sonderbericht über die Prüfung von Zuwendungen für die Förderung der Errichtung der Begegnungsstätte Moscheeneubau in Duisburg-Marxloh zur Verfügung gestellt.

Sie wissen, dass dieser Bericht über eine Auskunftsklage, die eine Zeitung eingereicht hatte, zur Verfügung gestellt werden musste. In dem Zuge, da das bekannt wurde durch Presseveröffentlichungen, sind auch wir, das heißt, der Landtag, hierüber informiert worden. Es hatten verschiedene Medien über die Sonderprüfungen des Landesrechnungshofs inzwischen berichtet.

Wir wissen, dass aufgrund einer Antragstellung Fördermittel in Höhe von rund 3,6 Millionen € bewilligt worden sind. Das war an sich korrekt, nur die Voraussetzungen stimmten am Ende nicht, wie der Landesrechnungshof nun festgestellt hat.

Ich brauche hier Einzelheiten sicherlich nicht zu erwähnen. Der Landesrechnungshof kommt jedenfalls zu dem Ergebnis, dass es bei den Förderungen zum Bau der im Oktober 2008 eröffneten Begegnungsstätte Duisburg-Marxloh zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Der Landesrechnungshof hat nicht nur Verstöße gegen das Vergaberecht festgestellt, sondern kommt auch zu dem Ergebnis, dass Zuwendungsvoraussetzungen nicht erfüllt waren.

Meine Damen und Herren, die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind völlig klar. Wir nehmen den Sonderbericht zur Kenntnis und missbilligen das, was dort geschehen ist, und dass es bei den finanziellen Förderungen der Begegnungsstätte in Duisburg-Marxloh zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, insbesondere die gewährten Mittel zweckwidrig verwendet worden sind.

Wir fordern mit diesem Antrag die Landesregierung ausdrücklich und nachdrücklich auf, die rechtswidrig ausgezahlten Fördermittel von den dafür Verantwortlichen zurückzufordern.

(Beifall von der CDU)

Wir wollen auch, dass die politischen Verantwortlichkeiten geklärt werden. Es kann nicht sein, dass bestimmte Personen, die das zu vertreten und zu verantworten haben, hier im Landtag in Watte gepackt werden.

(Beifall von der CDU)

Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, die Verantwortlichkeiten zu klären und gegebenenfalls auch rechtliche Schritte einzuleiten. Selbstverständlich möchten wir auch über die eingeleiteten Maßnahmen unterrichtet werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die FDP-Fraktion hören wir jetzt den Kollegen Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen ja ein bisschen Zeit wieder reinholen. Deswegen will ich mich kurz fassen.

Frau Philipp, Sie haben es eben angesprochen, dass man bestimmte Projekte nicht kaputtreden darf. Aber gerade wenn einem das Thema „Integration“ oder wenn einem auch das Thema „Soziale Stadt“ wichtig ist, muss man auch dafür sorgen, dass dort, wo Gelder investiert werden, die Gelder auch ordnungsgemäß verwendet werden. Wenn es hier, wie in dem Prüfungsbericht deutlich wird, grobe Verfehlungen gegeben hat, dann muss man dem auch mit allem Nachdruck nachgehen. Dann muss man auch die politischen Verantwortlichkeiten klären. Ich denke, dazu ist hier an dieser Stelle auch alles gesagt. Ich will den Betrieb auch nicht weiter aufhalten. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank für die kurzen und knappen Ausführungen. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Rohwedder. Bitte schön.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich jetzt das Vergnügen hatte, auch die Begründung des Antrags hören zu dürfen, muss ich sagen: Die Begründung war auch nicht besser als der Antrag selbst.

Der Sonderprüfungsbericht des Landesrechnungshofes NRW ist uns erst am 14. Januar vorgelegt worden. Das heißt, die Zeit für alle anderen Abgeordneten, diesen Bericht zu lesen und durchzugehen, ist auch relativ knapp, weil man ohnehin mit den Vorbereitungen dieser Plenartage beschäftigt war.

Ich finde, dass dieser Bericht zunächst einmal im Haushaltskontrollausschuss beraten werden sollte, wie das üblich ist. Das hat zum Beispiel auch mein Vorredner Mario Krüger gesagt. Es gibt keinen ersichtlichen Grund für die Abweichung von der üblichen Vorgehensweise. Es ist einfach auch nur ein Zwischenbericht. Es gibt also keinen Grund zur Eile. Es müssen noch weitere Berichte und Stellungnahmen abgewartet und eingeholt werden. Die Bezirksregierung Düsseldorf wurde ja schon erwähnt.

Es gibt also keinen Grund dafür – außer Parteitaktik und Fundamentalopposition. Aber das ist nicht unser Thema hier, jedenfalls nicht das Thema der Piraten.

Die ganze Problematik, die da zum Ausdruck kommt, verdient eine genaue Betrachtung und erlaubt keine Schnellschüsse; denn die Vorwürfe, die dort erhoben werden, sind in der Tat beträchtlich und ernst zu nehmen. Deshalb sollte das auch entsprechend ernsthaft behandelt werden – zunächst einmal im Haushaltskontrollausschuss. Das ist das Gremium, das für diese Zwecke eingerichtet wurde und sich deshalb auch zum jetzigen Zeitpunkt zuerst mit diesem Bericht befassen soll. Das wird es auch tun. Dann wird man sehen, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Es kann durchaus sein – das kann man nicht ausschließen –, dass der Haushaltskontrollausschuss ganz ähnliche Konsequenzen vorschlägt, wie sie jetzt im Antrag der CDU stehen. Es kann aber auch etwas anderes dabei herauskommen. Das müssen wir abwarten. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Als Nächstes kommen wir zur Landesregierung. Herr Minister Groschek, Sie haben das Wort.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich darf auch die Vertreter der Türkischen Gemeinde recht herzlich hier begrüßen.

Die Landesregierung stellt fest, dass der Landesrechnungshof den Landtag über die Prüfung von Zuwendungen für die Förderung der Errichtung der Begegnungsstätte am Moscheeneubau in Duisburg-Marxloh gemäß § 99 der Landeshaushaltsordnung unterrichtet hat. Dabei stellt sich als Fakt heraus, dass sich aus diesem Bereich Anhaltspunkte für unpräzise Verfahrensabläufe ergeben.

Erstens. Der Landesrechnungshof rügt Vergabefehler.

Zweitens. Der Landesrechnungshof regt an, die Verträge zur Nutzung von Räumlichkeiten der Moschee nicht nur mit der örtlichen Gemeinde, sondern auch mit dem Dachverband abzuschließen.

Drittens. Der Landesrechnungshof bemängelt, dass Berichtspflichten an die Bewilligungsbehörde nicht im erforderlichen Umfang weitergegeben sein sollen, dass – viertens – Fördermittel frühzeitig abgerufen worden seien und – fünftens – dass noch ein Verwendungsnachweis für einen geringen Teil der Mittel aussteht.

Der Bericht des Landesrechnungshofes führt nicht zur Schlussfolgerung, dass es beim Bau der Begegnungsstätte systematisch nicht mit rechten Dingen zugegangen sei.

Deshalb stelle ich hier fest:

Erstens. Der Landesrechnungshof hat vielmehr festgestellt, dass zu Punkt 2 eine Rückforderung nicht in Betracht kommt.

Zweitens. Zu Punkt 4 hat er gegenüber meinem Haus bereits erklärt, die Sache sei erledigt, und im Übrigen die Bezirksregierung um eine Stellungnahme gebeten. Erst am Ende des Verfahrens selbst wird sich zeigen, welche Beanstandungen der Landesrechnungshof aufrechterhalten wird und ob daraus zuwendungsrechtliche Konsequenzen entstehen. All dies ist ein völlig normaler Vorgang in einem üblichen Verfahren. Die Überprüfung des ordnungsgemäßen Einsatzes von Fördermitteln erfolgt hier wie an allen anderen Stellen.

Drittens. Zuwendungsempfängerin der Städtebaufördermittel war seinerzeit die Stadt Duisburg mit dem Oberbürgermeister Sauerland an ihrer Spitze. Die Stadt Duisburg war zuwendungsrechtlich für den ordnungsgemäßen und zweckentsprechenden Einsatz der Fördermittel verantwortlich. Sie ist und bleibt auch verantwortlich für den kontinuierlichen Begleitprozess der Baumaßnahme.

Viertens. Bewilligungsbehörde ist die Bezirksregierung Düsseldorf. Sie hat das Verfahren ordnungsgemäß auf Grundlage des Verwaltungsverfahrensgesetzes in eigener Zuständigkeit durchzuführen.

Fünftens. Der Landesrechnungshof wird folglich sein Prüfverfahren ebenfalls in eigener und unabhängiger Zuständigkeit weiterführen und hierbei die erbetenen Stellungnahmen der Bezirksregierung würdigen.

Dieses geregelte Verfahren bedarf keiner Intervention durch die Landesregierung und – das sage ich ausdrücklich mit Respekt vor der Unabhängigkeit des Landesrechnungshofs – auch keiner politischen Beeinflussung.

Ich kann nicht ausschließen, dass letztendlich gegenüber der Stadt Duisburg Rückforderungsansprüche geltend gemacht werden. So weit sind wir aber noch nicht. Erst einmal ist das laufende Verfahren zu Ende zu bringen.

Die CDU-Fraktion versucht, diesen Bericht zu instrumentalisieren und – das ist das Bemerkenswerte – das positive Projekt „Begegnungsstätte in der Moschee“, das bei der Eröffnung noch durch den damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers und seinen Städtebauminister Oliver Wittke hoch gelobt wurde, nun nachträglich zu diffamieren und skandalisieren.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Diesen Diffamierungsversuch muss man breit zurückweisen, finde ich.

Ich bitte Sie ausdrücklich: Blasen Sie zumindest vorübergehend Ihre politische Kopfgeldjagd ab, meine Damen und Herren der Union.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Begegnungsstätte in Marxloh ist ein außergewöhnliches Projekt in einem außergewöhnlichen Stadtteil. Der Ansatz dieses Projektes ist immer noch vorbildlich. Warum schämen Sie sich eigentlich Ihrer Urheberschaft?

(Unruhe)

Es ist im Dialog mit dem Stadtteil und seinen Einrichtungen wie den Kirchen entstanden. Es zeigt, dass Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund in Deutschland friedlich miteinander leben können. Deshalb steht die Landesregierung voller Überzeugung zu diesem Projekt, das auch einmal Ihres war. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf Folgendes hinweisen: Wenn Sie wieder in den Saal kommen, geht das meistens auch ein bisschen leiser. Dann können wir auch den Ausführungen der Landesregierung zuhören.

Weitere Wortmeldungen liegen mir hierzu nicht mehr vor. Damit sind wir am Ende der Beratungen.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende CDU-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Daher stimmen wir nun über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/1913 ab. Ich darf Sie fragen, wer für diesen Antrag stimmt. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Enthält sich jemand der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag abgelehnt.

(Unruhe)

– Die Bitte, leise in den Saal zu kommen, gilt auch für das Verlassen des Saales. Es wäre schön, wenn Sie das berücksichtigen würden. – Vielen Dank.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

9   Bergbau braucht Akzeptanz – Anforderungen an eine Akzeptanzoffensive für den Bergbau in Nordrhein-Westfalen!


Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1908

Ich eröffne die Beratungen und erteile für die antragstellende CDU-Fraktion dem Kollegen Josef Wirtz das Wort.

Josef Wirtz (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir gemeinsam den Industriestandort Nordrhein-Westfalen stärken und die Rohstoffversorgung sichern wollen, müssen wir die Akzeptanz für den Bergbau erhöhen. Nach den vielfachen Diskussionen dürfte jedem klar sein, dass der Abbau von Rohstoffen einhergeht mit teilweise massiven Konflikten sowohl mit der Umwelt als auch mit den Anwohnern. Die CDU-Fraktion hat deswegen einige konkrete Maßnahmen erarbeitet und mit diesem Antrag in den Landtag eingebracht.

Meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr haben wir hier im Landtag schon mehrfach über das Thema „Akzeptanz beim Bergbau“ gesprochen. Seitdem hat diese Landesregierung es trotz vielfacher Anregungen und Hinweise aus dem Unterausschuss „Bergbausicherheit“ leider versäumt, entsprechende Initiativen zu entwickeln. Lassen Sie mich einige Beispiele hierfür nennen.

Wegen der fehlerhaften Nulllinienbestimmung am Bergwerk Prosper-Haniel müssen unbedingt Maßnahmen ergriffen werden, damit die betroffenen Menschen ihre rechtmäßigen Ansprüche durchsetzen können. Bislang hat es in diesem Zusammenhang nur eine Ankündigung des Bergbautreibenden gegeben, dass Schäden des erweiterten Betrachtungsbereichs zukünftig anerkannt werden. Was die Betroffenen jedoch brauchen, ist nicht die Kulanz des Unternehmens, sondern Rechtssicherheit, und das so schnell wie möglich.

Außerdem liegt der Verdacht nahe, dass auch an anderen Standorten ähnliche Fehler unterlaufen sein könnten. Deswegen müssen aus unserer Sicht an allen Bergwerken die festgelegten Korridore überprüft werden. Auch das hat die Landesregierung bisher nicht veranlasst.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die von uns geforderte Überprüfung ausschließlich von neutralen Sachverständigen durchgeführt wird. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit von den Bergbautreibenden darf nicht bestehen. Genau wie bei den beiden Schlichtungsstellen, bei denen bereits neutrale Sachverständige eingebunden werden, erwarten wir das auch in diesen konkreten Fällen. Die Kosten werden ebenfalls wie bei den Schlichtungsstellen selbstverständlich von den Verursachern getragen werden müssen.

Auf keinen Fall dürfen noch einmal Gutachten der Unternehmen ungeprüft übernommen werden. Hier erwarten wir von der Bergaufsicht eine andere Herangehensweise als bisher.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Auch ein klärendes Wort des zuständigen Ministers wäre hier sicher hilfreich.

Kommen wir nun zum Braunkohlerevier, meine Damen und Herren. Im September des letzten Jahres hat die CDU-Fraktion im Wirtschaftsausschuss gefordert, die Sicherheitslinie an den Tagebauen in Inden und in Garzweiler um 100 m auf dann 200 m auszudehnen, und zwar da, wo Wohnbebauungen sind. Dadurch würde sich die Lärm- und Staubbelastung der Anwohner deutlich reduzieren.

Im Bereich des Tagebaus Hambach, für den aufgrund seiner Tiefe bereits eine Sicherheitslinie von 200 m im Braunkohleplan festgeschrieben ist, klagen die Anwohner weitaus weniger über solche Beeinträchtigungen.

Von Ihnen, Herr Minister Duin, haben wir deswegen erwartet, dass Sie mit RWE Power diesbezüglich Gespräche führen würden. Bis heute auch hier leider Fehlanzeige! Sie, Herr Minister, scheinen die berechtigten Sorgen der betroffenen Menschen nicht ernst zu nehmen.

Ich kann Ihnen als einer, der aus der Region kommt, eines versichern: Die Menschen dort sind nicht mehr bereit, die Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen. Die Leidensfähigkeit dieser Leute darf auch nicht überstrapaziert werden. Immer wieder schildern mir die Betroffenen, die teilweise gerade einmal 100 m von der Tagebaukante entfernt wohnen, wie unbefriedigend die Maßnahmen zur Reduzierung von Staub und Lärm funktionieren. Vor diesem Hintergrund fordern sie zu Recht, dass ein etwas größerer Abstand zwischen Tagebau und Wohnbebauung hergestellt wird.

Man stelle sich einmal vor, meine Damen und Herren, Windkraftanlagen würden 100 m neben Wohnhäusern errichtet. Das wäre überhaupt nicht genehmigungsfähig. So etwas gibt es überhaupt nicht. Insofern ist nicht einsehbar, dass für einen Tagebau andere Kriterien gelten sollen, wo die Großgeräte Tag und Nacht, rund um die Uhr, Kohle abbauen.

Ich komme zum Schluss. Wie Sie sehen, gibt es viele Aspekte, die unbedingt Beachtung finden müssen, die möglicherweise aber auch hier nicht jedem bekannt gewesen sind. Wir fordern von Ihnen, Herr Minister Duin, dass Sie mit den Bergbautreibenden Gespräche führen, um Vereinbarungen zu treffen, damit sich die Lebensbedingungen der betroffenen Menschen draußen vor Ort in den entsprechenden Regionen deutlich verbessern lassen. – Der Überweisung in den Wirtschaftsausschuss stimmen wir selbstverständlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Wirtz. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Sundermann.

Frank Sundermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich möchte zu Beginn meines Beitrages einmal zurückschauen; denn der Blick nach hinten schärft manchmal ja auch den Blick nach vorne.

Ich möchte an dieser Stelle einmal feststellen: Nordrhein-Westfalen hat dem Bergbau sehr viel zu verdanken. Deswegen danken wir an dieser Stelle auch einmal ganz besonders allen Beteiligten.

Dank und Respekt gilt vor allen Dingen den Beschäftigten im Bergbau. Denn ohne deren Leistung, ohne deren Fleiß und ohne deren Einsatz, ohne den Einsatz der Kumpel wäre der Wiederaufbau nach dem Krieg nicht möglich gewesen, und Nordrhein-Westfalen wäre nicht das, was es heute ist: ein starkes Industrieland.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, worum geht es heute? Wir sprechen über Akzeptanz, wie es ja auch in Ihrem Antrag steht. Die Situation heute ist folgende:

Auf der einen Seite leistet der Bergbau einen Beitrag zur Energie-, zur Rohstoffversorgung, die unsere Versorgung und auch unsere Unabhängigkeit sichert. Sie ist damit auch heute noch wichtige Basis der wirtschaftlichen Entwicklung in Nordrhein-Westfalen.

Auf der anderen Seite haben wir Beeinträchtigungen durch den Bergbau. Die klassischen möchte ich nennen: Senkungsschäden an Gebäuden, aber natürlich auch – Herr Wirtz hat es angesprochen – Emissionen durch Grobstaub, Feinstaub und natürlich auch Lärm. Und aktuell haben wir das Problem mit Erschütterungen.

An dieser Stelle muss man auch einmal eine Wahrheit aussprechen dürfen: Null Emissionen gibt es nur bei Betriebseinstellungen. Ich denke, dass ich es für alle hier feststellen kann: Das wollen wir sicherlich nicht.

Deshalb braucht der Bergbau eine verstärkte Akzeptanz. Zumindest der Titel des CDU-Antrags stimmt. Im September des letzten Jahres hätte ich gesagt: Mensch, innovativ, da haben Sie sich einmal etwas einfallen lassen! – Heute ist er sicherlich nicht mehr ganz so innovativ und nicht mehr so spannend; denn – der Vorwurf von Herrn Wirtz zieht an der Stelle nicht –: Die Akzeptanz des Bergbaus ist längst in den Fokus der Landespolitik gerückt. Der Minister hat den Aufschlag im September gemacht. Der Staatssekretär hat im Unterausschuss einen ersten Bericht erstattet.

Sie kritisieren ja auch nicht, dass wir uns auf den Weg gemacht hätten, sondern Sie kritisieren immer nur die Schnelligkeit dessen, was wir tun. Wir sagen angesichts dieser komplexen Thematik: Genauigkeit geht ganz klar vor Schnelligkeit!

Zum CDU-Antrag! Sie fordern einige konkrete Maßnahmen. Das ist sicherlich gut und ein Mittel der Opposition, sich über einen Antrag einzubringen. Ganz ehrlich: Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich ganz kurz auf die Tagesordnung des letzten Unterausschusses geschaut, die ich geschrieben habe. Eigentlich müsste ich von Ihnen ein bisschen Geld bekommen, um mein Urheberrecht geltend zu machen. Denn alles, was wir hier besprechen, haben wir schon im letzten Unterausschuss besprochen. Mal schauen, was als Nächstes kommt.

(Josef Wirtz [CDU]: Es ist aber nichts passiert!)

Sie haben angesprochen: 200-Meter-Linie, Nullrandproblematik, Unabhängigkeit von Markscheidern. Darauf sind Sie auch relativ komplex eingegangen. Ohne auf die Details, auf die wir sicherlich auch noch im Ausschuss eingehen können, möchte ich sagen: Alle Ihre Forderungen müssen wir sicherlich einem Realitätscheck unterziehen. Ist das, was Sie machen wollen, in dieser Tiefe gesetzlich überhaupt notwendig, um das zu erreichen, was wir wollen? – Wir wollen doch Akzeptanz steigern. An der Stelle müssen wir sicherlich sehr genau hinschauen, um das abzuklären.

(Beifall von der SPD)

Aus meiner Sicht greifen Sie deutlich zu kurz, wenn Sie sich nur auf aktuelle Dinge fokussieren. Es fehlt aber völlig das Instrumentarium, das wir von der Akzeptanzinitiative erwarten. Es fehlen Strukturen, die wir bilden müssen, um Lösungen auch für zukünftige Fragen zu haben. Wir wollen doch eine langfristige Akzeptanzsteigerung, kein bloßes Abarbeiten an einzelnen Punkten, sondern wir wollen wirklich eine Struktur schaffen, die langfristig hält.

Uns ist ganz wichtig, dass an der Stelle die Unternehmen verbindlich mit ins Boot müssen. Wir brauchen allgemeinverbindliche Rahmenbedingungen, die gesetzlich festgelegt werden. Aber wir wollen auch das, was heute freiwillig getan wird, und zusätzliche Dinge von den Unternehmen fordern, die schriftlich fixiert werden, um darauf aufzusetzen.

Wir wollen – darauf möchte ich auch gerne eingehen – aber keine Einzelfallprivilegierung. Plakativ gesagt: Wir müssen die 75-jährige Witwe im Fokus haben, die Probleme mit ihrem Haus hat. Wir müssen uns nicht primär auf Privilegierte stürzen, die immer mit einer Schar von Rechtsanwälten um uns herumtanzen. Das ist uns an dieser Stelle noch einmal ganz wichtig zu sagen.

(Beifall von der SPD)

Um diese Akzeptanzinitiative des Ministers zum Erfolg zu führen, brauchen wir einen Dialog mit allen Beteiligten, mit den Unternehmen, mit den Betroffenen, mit dem Parlament und auch mit dem Ministerium.

Meine Damen und Herren, sehen Sie es mir als Vorsitzendem des Unterausschusses nach: Ich bin natürlich der Meinung, dass der Unterausschuss „Bergbausicherheit“ der geeignete Ort dafür ist, das zu besprechen. Ich und wir freuen uns auf den Prozess. Ich sage aber auch ganz deutlich: Wir haben nicht nur Freude an einem Prozess, sondern wir wollen auch Freude an Ergebnissen haben.

Vor diesen Hintergrund: Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Zentis.

Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Sitzung des Unterausschusses „Bergbausicherheit“ berichtete der Staatssekretär darüber, dass für den Bergbau eine Akzeptanzoffensive erfolgen soll, die er auch schon terminiert hat.

Wir freuen uns sehr, dass auch Sie sich mit der Ernsthaftigkeit Ihres Antrags diesem Thema widmen und es unterstützen werden. Wir waren und sind ein Land reich an Kohle, die allerdings nicht der einzig benötigte Rohstoff dieses Landes ist, um unseren Industriestandort zu sichern.

Zu fragen ist: Wie kann es sein, dass die Bevölkerung des Bundeslandes, das sich im Zeitalter der Industrialisierung und in der Nachkriegszeit wesentlich durch den Bergbau definierte, hiermit nun ein Problem hat? Nicht nur wir und die Landesregierung, sondern insbesondere der Bergbautreibende müssen sich fragen, wie mehr Zustimmung zum Bergbau zu erreichen ist, welche Regelungen getroffen werden müssen, um der Bevölkerung die Sicherheit zu geben, keinen gesundheitlichen Schaden zu erleiden, durch den Einfluss des Bergbaus auf ihre Lebenswelt keinen Verlust an Lebensqualität hinnehmen zu müssen und um für nachfolgende Generationen sogenannte Ewigkeitslasten auszuschließen beziehungsweise diese durch die Allgemeinheit zu tragen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Kritik vor Ort am Bergbau ist uns allseits bekannt. Man kann sagen: Ohne Zweifel leben wir in einer vernetzten Welt, in der Nachrichten in ganz kurzer Zeit von der einen Hälfte der Erdkugel zur anderen Hälfte der Erdkugel gelangen. Aber versuchen Sie einmal, an Daten über die geologischen Veränderungen Ihres Lebensumfeldes durch den Bergbau zu gelangen. Warum ist es nicht möglich, alle regelmäßig erhobenen Höhenmessdaten wie selbstverständlich jedem zugänglich zu machen? Viele Konflikte ließen sich vermeiden, wenn die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ihr berechtigtes Informationsbedürfnis hier schneller und einfacher befriedigen könnten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Kollegen der CDU, Sie haben Recht in Ihren Ausführungen, dass Konflikte entstehen, und zwar mit der Natur und der Landwirtschaft, weil gute Ackerböden verschwinden und stattdessen Löcher bleiben, die mit Wasser gefüllt werden, aber ein guter Landwirt nicht zu einem Fischer mutieren möchte, selbst wenn es Generationen von Fruchtfolgen dauert, bis die Fläche wieder nutzbar gemacht werden kann.

Sie haben auch Recht in Ihren Ausführungen, dass Konflikte mit der Bevölkerung entstehen, die ihre angestammten Orte, ihre vertraute Heimat verlassen muss und für die das Prinzip „neu für alt“ nicht gilt und vielleicht erneute finanzielle Belastungen für ihr Eigenheim auf sich nehmen muss, und dass Konflikte durch geologische Veränderungen entstehen, die Bergschäden an Bauwerken, Versorgungsleitungen und Straßen bedingen.

Sie erheben in Ihrem Antrag die Forderung nach einem größeren Sicherheitsabstand. Der Abstand zwischen Tagebaukante und Wohnbebauung differiert überall. Ist dieser Abstand auf den Millimeter genau das Sicherheitskriterium für die Bevölkerung? – Das haben wir sicherlich zu hinterfragen.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Die Kritik am Markscheidewesen und an der Risswerkführung ist ernst zu nehmen. Bei dieser Tätigkeit sind die zuverlässige Neutralität und die Fachkompetenz entscheidend für die Akzeptanz des Bergbaus.

Bezüglich Prosper-Haniel liegt der Bezirksregierung Arnsberg – wie angekündigt, auch schriftlich – die erwartete Zusage vor, Schäden im sogenannten erweiterten Betrachtungsbereiches wie solche innerhalb des Einwirkungsbereiches zu behandeln. Dies wird sich sicherlich in der nächsten Sitzung des Unterausschusses klären lassen.

Dass eine Überprüfung anderer Bergwerke aufgrund der Erkenntnisse im Zusammenhang mit Prosper-Haniel erfolgt, ist bereits in der letzten Sitzung diskutiert und angestoßen worden. Kollege Sundermann hat darauf hingewiesen, dass wir das alles schon angesprochen haben.

Es ist sicherlich Zeit, sich diesen Problemen zu stellen. Vielleicht ist das, was wir dann gemeinsam erarbeiten, so etwas wie ein Knigge für den Bergbau. Ich sage Ihnen unsere konstruktive Mitarbeit zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Glück auf!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Brockes das Wort.

Dietmar Brockes*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wir, die FDP-Fraktion, begrüßen diesen Antrag der Kollegen von der CDU ausdrücklich. Ich glaube nämlich, dass er in weiten Teilen die gemeinsame Position wiedergibt, die wir auch im Unterausschuss Bergbausicherheit immer vertreten haben.

Herr Minister, deswegen sehe ich es so, dass dieser Antrag nicht so sehr eine Kritik an der Arbeit der Landesregierung ist, sondern dass er Anregungen geben soll und Punkte nennt, die uns als denjenigen, die das Thema schon seit einigen Jahren begleitet haben, bei dieser Akzeptanzoffensive wichtig wären.

Ich begrüße den Antrag auch deshalb, weil er zu Beginn sehr deutlich macht, dass wir ganz klar zum Industriestandort Nordrhein-Westfalen stehen.

(Beifall von der FDP)

Zu einem Industriestandort gehört auch der Bergbau: da, wo er nötig und sinnvoll ist. Da er wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, haben wir den Ausstieg aus dem Steinkohleabbau und somit auch aus der Steinkohlesubventionierung für das Jahr 2018 beschlossen. Es ist richtig, dass wir, weil es sich wirtschaftlich nicht mehr lohnt, auch nicht mehr bereit sind, diese Risiken weiter in Kauf zu nehmen.

Aber wir stehen zu unserem einzigen heimischen Energieträger, der wirtschaftlich ist: zu unserer Braunkohle.

Für uns ist es allerdings ganz wichtig, dass, wenn man zu dieser Industrie und zur Gewinnung der Rohstoffe steht, die Akzeptanz in der Bevölkerung hergestellt wird. Leider erleben wir in jeder Sitzung des Unterausschusses, wie die Bergbautreibenden – gerade diejenigen, die Steinkohlebergbau betreiben – mit den vom Bergbau Betroffenen umgehen. Ich sage Ihnen seitens der FDP-Fraktion ganz deutlich: Das ist inakzeptabel, und das muss verbessert werden.

Lassen Sie mich deshalb kurz etwas zu den einzelnen Unterpunkten des Antrags der CDU sagen.

Eine Anpassung der Abbaukanten kann hilfreich sein, um die Akzeptanz zu erreichen. Ich glaube, für die Betroffenen ist es nicht verständlich, warum in den einzelnen Bergbauen unterschiedlich verfahren wird. Da sollten wir auch in unserem Unterausschuss den Dialog mit den Bergbautreibenden suchen. Ich habe es in der Vergangenheit so wahrgenommen, dass man gerade im Tagebau – bei der Braunkohle – gesprächsbereit ist. Wir sollten versuchen, dort zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.

Zu der „Ausweitung der prognostizierten Einwirkungsbereiche des Bergwerks Prosper-Haniel“: Das hört sich so an, als ob das ein lapidarer Punkt wäre. In Wirklichkeit verbirgt sich dahinter für die vom Bergbau Betroffenen ihr Wohl und Wehe, nämlich ob sie entschädigt werden oder nicht. Wenn dort, wie sich jetzt an diesem einen Beispiel gezeigt hat, von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen wurde und deshalb etliche Betroffene keine Entschädigung erhalten haben, ist das für uns inakzeptabel. Das muss korrigiert werden.

Meines Erachtens war die Position, die die Bergaufsichtsbehörde insofern eingenommen hat, bisher viel zu nah an der des Bergbautreibenden. Sie hat meines Erachtens nicht die notwendige Neutralität an den Tag gelegt. Als Vertreter der Bevölkerung müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass für die Betroffenen Rechtssicherheit geschaffen wird.

Wenn bei einem Bergbau von falschen Voraussetzungen ausgegangen wurde, liegt der Verdacht nahe, dass dies auch bei anderen der Fall ist. Deshalb müssen wir uns das an anderen Standorten genaues­tens anschauen; denn wir kennen die Zuschriften der Betroffenen, die uns in der Vergangenheit von dort erreicht haben und in denen dies schon angemahnt worden ist.

Kommen wir zu dem letzten Punkt: unabhängige Bergschadensbegutachtung. In der Tat ist es nicht akzeptabel, wie hier derzeit vorgegangen wird: wenn die Markscheider, die unabhängig sein sollen, von den Bergbautreibenden geschickt werden. Hier liegt der Verdacht nahe, dass sie so ähnlich verfahren wie damals Walther von der Vogelheide …

(Zurufe: Weide!)

– Walther.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit, Herr Kollege.

Dietmar Brockes*) (FDP): Walther von der Vogelweide: „Wess Brot ich ess, des Lied ich sing.“ So – diesen Eindruck muss man gewinnen – geht man auch bei der Begutachtung vor. Das ist inakzeptabel. Hier muss Neutralität herrschen. Deshalb brauchen wir eine neutrale Bewertung durch neutrale Markscheider.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege, Ihre Redezeit.

Dietmar Brockes*) (FDP): Deshalb freue ich mich auf die weitere Beratung im Ausschuss. Ich denke und hoffe, dass wir dort zu einer gemeinsamen Position kommen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Piraten spricht Herr Schmalenbach.

Kai Schmalenbach (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Ich möchte vorab darauf hinweisen, dass wir es für absolut erforderlich halten, den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern deutlich schneller zu gestalten, als es bisher angedacht zu sein scheint. Wir stehen nicht auf dem Standpunkt, dass wir diese Akzeptanzoffensive dafür brauchen, um langfristig die Kohle zu etablieren. Wir haben uns deutlich dagegen positioniert, insbesondere betreffend die Braunkohle.

Dennoch nehmen wir gerne auf dem Weg dahin jede objektive Verbesserung für den Bürger mit. Dementsprechend stimmen wir dem Antrag der CDU insoweit zu. Der Antrag ist ein guter Beitrag für die Beratung im Ausschuss. Ich bin noch neu bzw. habe noch an keiner Sitzung als offizielles Mitglied teilgenommen. Aber auf dem Weg dahin habe ich schon einige Leute kennengelernt. Was mir da so zugetragen wurde, wie mit den Bergbaugeschädigten tatsächlich umgegangen wird, ist haarsträubend. Mir fehlt da wirklich jede Akzeptanz für die Vorgehensweise.

Da ist natürlich der Punkt der Markscheider, die unabhängig sein sollten, extrem wichtig. Und was die Nulllinie anbelangt: Es ist für mich nicht erklärbar, warum man die nicht korrigieren können soll. Das verstehe ich nicht.

Ich habe jetzt den ganzen Text verworfen, wollte eigentlich noch auf etwas Bezug nehmen.

Frau Zentis fragte, warum wir ein Problem haben. – Ich denke, dass sich dieses Land verändert hat. Natürlich war und ist der Bergbau einer der integralen Bestandteile dieses Landes, die extrem wichtig für NRW waren. Das lässt sich heute meiner Meinung nach aber nicht mehr so darstellen. Der Bergbau ist auf dem Rückzug. Wir finden das auch zum größten Teil gut. Viele Arbeitsplätze hängen davon heute nicht mehr ab.

Der Klimawandel spricht nicht gerade dafür, dass der Bergbau etwas Positives ist. Und viele Bergbaugeschädigte bleiben auf ihren Schäden hängen. Dann sinkt natürlich die Akzeptanz dafür. Das hat man früher vielleicht alles anders gehandhabt. Das weiß ich nicht. Früher haben die Leute tatsächlich mehr eingesehen, dass wir den Bergbau benötigen. Heute ist das nicht mehr so. Dem muss sich die Politik anpassen.

Ich schaue noch einmal in meine Unterlagen. Ich habe jetzt ein fürchterliches Chaos verursacht. Ach, ich lasse es einfach sein.

(Heiterkeit)

Wir freuen uns auf die Beratung im Ausschuss. – Vielen Dank, Herr Wirtz, für diesen Antrag. Ich nehme an, er kommt von Ihnen. Die Argumentation war mir ja schon bekannt. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmalenbach. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Ich hoffe, dass ich meine Zettel in der richtigen Reihenfolge behalte.

Liebe Damen und Herren Abgeordnete! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie in der bisherigen Debatte über alle Fraktionen hinweg zu Beginn auch jeweils noch einmal die Bedeutung des Bergbaus in Nordrhein-Westfalen herausgestellt haben.

Der Bergbau steht für Wertschöpfung bei uns, steht für sichere und preisgünstige Versorgung mit Rohstoffen, nicht zuletzt natürlich für die Energiewirtschaft, aber auch für viele Industriebranchen.

Der Bergbau steht nach wie vor für Beschäftigung von vielen Tausend Menschen, und zwar nicht direkt im Bergbau, sondern auch und gerade in der Zulieferindustrie. Auch die Zulieferindustrie, die sich auf den Steinkohlebergbau spezialisiert hat, hat nach wie vor eine sehr gute Auftragslage, inzwischen mit Exportquoten zum Teil von 95 %, aber nach wie vor mit einem klaren Bekenntnis für den Standort Nordrhein-Westfalen. Das müssen wir an dieser Stelle noch einmal hervorheben.

Der Bergbau wird auch zukünftig eine hohe Bedeutung in unserem Land haben. Wir brauchen dafür gute Rahmenbedingungen. Wir brauchen dafür aber auch die entsprechende Akzeptanz. Das gelingt nur, wenn wir die Anliegen der im Umfeld des Bergbaus betroffenen Menschen sehr ernst nehmen. Herr Wirtz, andere Redner haben darauf hingewiesen.

Das setzt in erster Linie Bereitschaft der Bergbauunternehmen voraus, sich um diese Anliegen zu kümmern und sich ihrer anzunehmen. Diese Bergbauunternehmen müssen ihre Bemühungen um ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu den Betroffenen weiterentwickeln. Letztlich ist das das Entscheidende für die Akzeptanz zukünftiger bergbaulicher Vorhaben.

Und genau das nimmt meine Initiative, die Initiative des Wirtschaftsministeriums, auf, über die wir diskutieren.

Nun hat die Fraktion der CDU einige Punkte aufgegriffen und Forderungen gestellt.

Ich will ausdrücklich sagen, dass das Anliegen des Antrages, die Akzeptanz für bergbauliche Tätigkeiten in Nordrhein-Westfalen zu verbessern, von mir begrüßt wird. Gemeinsam sollte es uns gelingen, über die konkreten Maßnahmen zu sprechen. Und das werden wir im Folgenden noch tun.

Ich will auf die vier zentralen Punkte eingehen.

In Punkt 1 wird die generelle Rücknahme der Abbaugrenze in den Braunkohletagebauen gefordert. – Da muss man zunächst zur tatsächlichen Situation klarstellen, dass die Abbaugrenzen in regionalplanerischen und fachrechtlichen Verfahren unter Berücksichtigung der immissionsschutzrechtlichen Vorgaben verbindlich festgelegt wurden und dass der Abstand zwischen der Wohnbebauung und der Abbaugrenze überwiegend deutlich größer als die im Antrag genannten 100 m sind.

Jetzt ist die Frage, ob sich eine Rücknahme der Abbaukante um weitere 100 m positiv auf die Immissionssituation auswirken würde. Ich sehe daher eine erste Maßnahme zur Verbesserung der Akzeptanz nicht in einer Beschränkung durch den abverlangten Verzicht auf genehmigte Lagerstättenvorräte. Besser wären eine Erfassung der Immissionssituation und die Weiterentwicklung wirksamer Maßnahmen für den Immissionsschutz.

Das, sehr geehrter Herr Wirtz, diskutieren wir in meinem Haus, ich auch persönlich jederzeit intensiv mit dem Unternehmen, zum Beispiel erst am heutigen Morgen. Ihr Vorwurf ist also nicht korrekt.

Auch eine räumlich übergreifende Luftreinhalteplanung für das rheinische Braunkohlenrevier wird geprüft. Diese muss dann aber alle Emittenten berücksichtigen. Denn nach jüngsten Analysen des LANUV zur Situation am Tagebau Hambach trägt der Braunkohletagebau lediglich mit rund 20 % zur Feinstaubbelastung bei. Darüber hinaus sind 5 % lokale Ursachen, und 75 % werden der allgemeinen Hintergrundbelastung zugeschrieben. Ich denke, das sollten wir dabei berücksichtigen.

In Punkt 2 fordert der Antrag die Ausweitung des für das Bergwerk Prosper-Haniel festgelegten Einwirkungsbereichs auf einen erweiterten Betrachtungsraum.

Sie wissen, das ist Aufgabe des Unternehmens auf Grundlage der Verordnung des Bundes. In einem der Bergbehörde vorliegenden Gutachten wurde die Festlegung des Einwirkungsbereichs für das Bergwerk Prosper-Haniel in den meisten Fällen bestätigt. Trotzdem ist die Bergbehörde der Empfehlung eines weiteren Gutachtens gefolgt und hat der RAG bereits die Überwachung des festgestellten Senkungsbereichs in dem erweiterten Betrachtungsraum aufgetragen.

Ich bin völlig Ihrer Meinung, wenn Sie sagen, es muss darum gehen – das hat auch die jüngste Bürgerversammlung in Bottrop gezeigt –, dass die RAG eine gründliche, sachgerechte und vor allen Dingen zeitnahe Bearbeitung von Schadensmeldungen auch im erweiterten Bereich sicherstellt.

(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])

Darum kümmern wir uns politisch, und darum kümmert sich auch in aller gebotenen Neutralität die zuständige Behörde.

Auch wenn meine Redezeit schon zu Ende ist, will ich die beiden Punkte 3 und 4 noch kurz aufgreifen.

Die in Punkt 3 geforderte Überprüfung der Einwirkungsbereiche für die anderen Bergwerke ist für die Steinkohlebergwerke veranlasst. Wir haben darüber im Unterausschuss „Bergbausicherheit“ auch schon berichtet.

Bleibt Punkt 4. Dort ist unter anderem das Thema „Markscheider“ noch einmal angesprochen worden. Hinsichtlich der Markscheider wird eine sehr weitgehende Regelung gefordert. Die könnte – das müssen wir uns vor Augen führen – einen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit darstellen.

Klar ist aber auch: Für mich ist das Anliegen nachvollziehbar, dass eine ordnungsgemäße Führung des Risswerks ohne Einflussnahme durch die Bergbauunternehmen sicherzustellen ist. Die Tätigkeit des Markscheiders muss konsequent von der Bearbeitung von Bergschäden getrennt werden. Eine Einflussnahme des gegebenenfalls zum Ersatz eines Bergschadens verpflichteten Unternehmens auf die Tätigkeit des Markscheiders muss sicher ausgeschlossen werden.

Das hat in erster Linie die aufsichtführende Behörde auf Grundlage der Gesetze zu gewährleisten. Um jedoch den Anschein eines Interessenkonflikts zu vermeiden, wollen wir gern prüfen, ob hier bestehende gesetzliche Regelungen geändert oder weitere Regelungen geschaffen werden müssen.

Über diesen Punkt und andere Punkte freue ich mich auf die Diskussion sowohl im Unterausschuss als auch im Wirtschaftsausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Herr Minister Duin hat für die Landesregierung die Redezeit um zwei Minuten überzogen. Gibt es weiteren Gesprächswunsch bei den Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich hiermit die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1908 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann haben wir so beschlossen und überwiesen.

Ich rufe auf:

10       Landesregierung muss endlich Gesetz zur Regelung des großflächigen Einzelhandels vorlegen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1910

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Dr. Bergmann das Wort.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen steht nun vor großen Herausforderungen, auch wegen des demografischen Wandels. Das ist nun wahrlich keine Neuigkeit, aber Ausgang vieler notwendiger Schritte.

Anforderungen an die Städte im Land, ganz gleich, ob groß, ob klein, im Ballungszentrum oder im ländlichen Bereich, ändern sich ebenso wie das Käuferverhalten. Das Planungsrecht als Basis künftiger Ausrichtung und Entwicklung wird somit immer wichtiger. Während der Internethandel drastisch expandiert, liegen Einzelhandelsprojekte auf Halde und kämpfen Innenstädte um ihre Anziehungskraft. Bis hierhin wohl bei allen Konsens.

Eine zentrale Rolle in dieser Gemengelage spielt natürlich der LEP, der aus Sicht der Union endlich auf den Weg gebracht werden muss, auch – aber nicht nur – weil das den Einzelhandel betreffende LEPro schon Ende 2011 außer Kraft trat.

Bis heute hat die Landesregierung keinen Gesetzentwurf dazu vorgelegt, obwohl der Chef der Staatskanzlei neulich in unserem Ausschuss selbst – Zitat – von der wichtigen Steuerung des großflächigen Einzelhandels gesprochen hat.

Folge: Kommunen in Nordrhein-Westfalen laufen nun Gefahr, Bauanträge vielleicht nicht rechtssicher zu bescheiden, und Entwicklungen sowie Investitionen werden gehemmt. Das Konsultationsverfahren lief bereits im Oktober 2012. Bis heute liegt in unserem Haus außer der Erkenntnis seitens der Staatskanzlei jedoch nichts vor.

Wir meinen, das darf nicht sein und fordern daher die Landesregierung auf, auch im Interesse der Kommunen endlich zu handeln und einen Gesetzesentwurf zur Regelung des großflächigen Einzelhandels vorzulegen. Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Eiskirch.

Thomas Eiskirch (SPD): Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Auch mit Blick auf diesen Antrag muss man feststellen, dass die Vermutung, dass die CDU durchaus masochistisch veranlagt ist, richtig sein muss. Denn zu den Plenartagen legt die CDU immer wieder von sich aus Anträge zu Themen vor, die zeigen: Diese Landesregierung muss den Reparaturbetrieb dafür sicherstellen, dass das, was in der schwarz-gelben Regierungszeit im Bereich der Landesplanung verantwortet wurde, wieder geradegerückt wird und für die Zukunft rechtskonform auf den Weg gebracht werden kann.

Das ist Ihnen vor wenigen Wochen gelungen, als Sie, als die Duldung für Datteln 1 bis 3 bereits ausgesprochen war, einen Antrag zur Duldung von Datteln 1 bis 3 in dieses Parlament eingebracht haben. „Datteln“ ist ein Punkt, den wir aufgrund des Unvermögens der schwarz-gelben Landesregierung im Bereich der Landesplanung reparieren müssen.

Gestern haben Sie das Wort geschwungen zum Thema „Mehr Windkraft in Nordrhein-Westfalen“. Auch da haben Sie in Ihrer Regierungszeit alles dafür getan, dass Windkraftanlagen in Nordrhein-Westfalen nicht errichtet werden können und insbesondere Repowering in Nordrhein-Westfalen nicht stattfinden kann.

Last but not least kommt nun ein Antrag zum großflächigen Einzelhandel. Ich will noch einmal darauf hinweisen: Es gab eine entsprechende Situation, die von Ihnen zu verantworten war. In einer Anhörung in diesem Raum hatte unter anderem Herr Kuschnerus auf eine Reihe von Problemen hingewiesen.

Alle diese Probleme sind Wirklichkeit geworden. Sie haben sich schallende Ohrfeigen vor Gerichten – ich sage nur: Ochtrup – eingehandelt, weil Ihre Positionierung zum großflächigen Einzelhandel schlicht und ergreifend nicht rechtskonform war. Insofern müssen wir nun als Rot-Grün zum dritten Mal Ihr Unvermögen im Bereich der Landesplanung geraderücken.

Deswegen hat die Landesregierung absolut richtigerweise einen Landesentwicklungsplan mit dem „Sachlichen Teilplan Großflächiger Einzelhandel“ auf den Weg gebracht. Den Entwurf – Stand 17. April 2012 – kann ich Ihnen gleich gerne geben. Mich verwundert es sehr, dass Sie ihn nicht kennen. Sie können in jeder Ratsfraktion, die Ihnen zugänglich ist, nachfragen; er ist kein großes Geheimnis. Ihn hat jeder; es hat auch fast jeder schon dazu Stellung genommen. Diese Stellungnahmen werden derzeit ausgewertet. Der Chef der Staatskanzlei hat dem zuständigen Fachausschuss bereits angekündigt, dass sich das Ergebnis in einem Kabinettsbeschluss im April dieses Jahres zusammengefasst niederschlagen wird.

Insofern bin ich sehr verwundert, dass Sie einen Antrag schreiben, in dem es heißt:

„Bislang hat es die Landesregierung sträflich versäumt, dem Parlament einen Gesetzentwurf zur Regelung des großflächigen Einzelhandels vorzulegen.“

Wer ein bisschen in der Thematik aufpasst, müsste wissen, dass es nicht nur nie beabsichtigt war, eine Mauer zu errichten, sondern auch nie beabsichtigt war, einen Gesetzentwurf vorzulegen, sondern das auf dem Weg der Rechtsverordnung zu regeln. Es sprechen auch – so sehen es übrigens auch alle anderen Bundesländer – gute Gründe dafür, das genau so und nicht anders zu machen. Ich könnte Ihnen das jetzt vorlegen, kann es Ihnen aber auch zustecken; dann wissen Sie beim nächsten Mal, wenn wir über dieses Thema reden, besser Bescheid.

Ich bin mir nicht sicher, ob es sich wirklich lohnt, über diesen Antrag in den Fachausschüssen zu beraten. Sollten Sie ihn nicht klugerweise heute zurückziehen, werden wir dies aber gerne tun. – Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Eiskirch. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schneckenburger.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit ihrem Antrag, der uns zur Beratung vorliegt, tut die CDU klassisch das, was man „offene Türen einrennen“ nennt. Er macht mich insofern – das muss ich einfach einmal in Richtung der CDU-Kollegen sagen – auch ein bisschen ratlos. Eigentlich müssten Sie als gut informierte Kollegen im Wirtschaftsausschuss und auch als gut informierte Kommunalpolitikerinnen vor Ort doch wissen, dass die Landesregierung das Problem des großflächigen Einzelhandels im Blick hat.

Nach dem Ochtruper Urteil haben wir uns ja alle mit den Folgen befasst. Wir haben verschiedene Brandherde in Nordrhein-Westfalen, bei denen es um die Ansiedlung von großflächigem Einzelhandel geht, bei denen auch Kontroversen vor Ort vorhanden sind, die von CDU-Seite genauso vor Ort mit ausdiskutiert werden.

Wir wissen, dass die Landesregierung bereits gehandelt hat, und zwar zu einem Zeitpunkt, als der Landtag von Nordrhein-Westfalen aufgelöst war. Da gab es einen Kabinettsbeschluss, in dem die Landesregierung das vollzogen hat, was die Kommunen brauchen, um ein Stück Rechtssicherheit vor Ort in ihrer Auseinandersetzung mit dem großflächigen Einzelhandel herzustellen. Deswegen auch dieser Kabinettsbeschluss; Kollege Eiskirch hat es gerade erläutert.

Also: Die Landesregierung hat die Probleme im Blick. Sie hat es geregelt, und zwar so – und das ist der entscheidende Punkt –, dass es auch schnell greift. Das war auch der Wunsch, jetzt schnell etwas in der Hand zu haben, damit die Kommunen in dieser Auseinandersetzung damit klarkommen können.

Jetzt erwecken Sie aber durch Ihren Antrag den Eindruck, die Landesregierung ließe die Kommunen im Regen stehen und es bedürfte einer klaren rechtlichen Regelung. Letzteres ist nicht notwendig, weil diese durch den Kabinettsbeschluss vorhanden ist. Gleichzeitig – und da wird meine Ratlosigkeit noch ein ganzes Stück größer – kritisieren Sie auf kommunaler Ebene gerade diese vorhandene klare Regelung der Regierung als Eingriff in die kommunale Handlungsfreiheit.

Ihr Kollege Spieker, unser Landtagskollege aus der CDU-Fraktion – er ist ja auch Mitglied im Wirtschaftsausschuss –, hat sich in Wuppertal im vergangenen Jahr zum Beispiel lautstark beschwert, als die Staatskanzlei die weiteren Planungen zum IKEA-Homepark mit Verweis auf den Teilplan und auf die dort vorgegebenen Richtwerte untersagte. Dies ist vor Ort als unzulässiges Eingreifen der Landesregierung in die kommunale Planungshoheit kritisiert worden. Jetzt stehen wir hier, und die CDU fordert ein entschiedenes Eingreifen der Landesregierung in die kommunale Planungshoheit. Sehr geehrte Damen und Herren, ich finde, das kann man nur einen lupenreinen Zickzackkurs der CDU nennen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir haben uns intensiv und frühzeitig um eindeutige Regelungen zugunsten der Stärkung unserer Innenstädte bemüht. Wir haben uns darum gekümmert. Das ist auch der Grund, warum die Landesregierung diesen Beschluss auf Kabinettsebene gemacht hat – übrigens mit der Wirkung, dass Ziele in der Aufstellung jetzt von den Kommunen berücksichtigt werden müssen. Das ist ja kein wirkungsloses Instrument, sondern es ist schon jetzt ein Instrument mit Wirkung.

Der Hintergrund ist völlig klar: Wir müssen dafür Sorge tragen – das muss unser gemeinsames Interesse sein –, dass wir in den Regionen Nordrhein-Westfalens Handelszentren und Lebenszentren haben, in denen die Menschen künftig das kaufen können, was sie brauchen, und in denen nicht der Einzelhandel am Ende in einer so schwierigen Situation ist, dass er vor Ort nicht mehr existieren kann, weil die grüne Wiese ihm die Umsätze geraubt hat.

Das muss unser gemeinsames Interesse sein; denn schlussendlich geben wir als Land auch Städtebaufördermittel. Wer Städtebaufördermittel mit dem Ziel der Stärkung der Innenstädte gibt, wäre sehr schlecht beraten, wenn er gleichzeitig eine rechtliche Regelung nicht in Kraft setzen würde, mit der er beabsichtigt, diese Innenstädte zu stärken. Da muss man eine klare gemeinsame Handlungslinie haben. Das brauchen die Menschen, das brauchen die Innenstädte in Nordrhein-Westfalen.

Wir können das gerne im Wirtschaftsausschuss noch einmal diskutieren. Aber, wie gesagt, die Ratlosigkeit bleibt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Ellerbrock das Wort.

Holger Ellerbrock (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Eiskirch, vielleicht geht es auch ein klein bisschen ruhiger, ein klein bisschen sachlicher. Dann hätte ich auch eigentlich gar nicht hierherzukommen brauchen.

Wir müssen doch eines festhalten: Es gab eine Änderung der Rechtsmeinung beim Oberverwaltungsgericht. Das fing mit Ochtrup an und ging über Datteln weiter. Daraus entstanden Handlungserfordernisse. Die alte Landesregierung hat doch nicht sehenden Auges contra legem gehandelt;

(Lachen von der SPD)

lasst uns das doch einmal herunterfahren. – Aus dieser rechtlich unterschiedlichen Beurteilung folgte die nur noch begrenzte Gültigkeit des § 24 Landesentwicklungsprogrammgesetz.

Ich werfe Ihnen nicht vor, dass der Entwurf des Landesentwicklungsplans erst im April 2012 vorgelegt wurde. Viel schneller war das auch nicht zu machen.

Ich mache Ihnen ebenso wenig wie die gesamte FDP den Vorwurf, dass das noch nicht fertig ist. Mehr als 200 Stellungnahmen, Kollege Dr. Bergmann, mit dem Ziel eines Konsenses zusammenzuführen, ist schon schwierig und braucht Zeit. Ich weiß, wovon ich rede. Deswegen muss ich das so deutlich sagen.

Denn dieses Thema ist für keine der Parteien in diesem Landtag ein Gewinnerthema. Das geht durch alle Parteien hindurch. Die Standortgemeinde möchte Kaufkraft halten und investieren. Dann gibt es die Randgemeinden, die Nein sagen. Weiterhin gibt es den Einzelhandelsverband, der Innenstädte revitalisiert erhalten will usw. Das ist keine einfache Aufgabe.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ellerbrock, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eiskirch zulassen?

Holger Ellerbrock (FDP): Aber natürlich.

Thomas Eiskirch (SPD): Herr Kollege Ellerbrock, ganz herzlichen Dank dafür. – Sie sind in Ihrer Rede schon ein bisschen fortgeschritten, hatten aber sowohl zu Datteln als auch zu Ochtrup gerade gesagt, dass die Gerichte eine Neu- bzw. abschließende Festlegung von Meinungen kundgetan haben, die man so vorher nicht hätte erahnen können.

Ich bin mir nicht ganz sicher, glaube aber schon, dass Sie damals auch Mitglied des Landtags waren, als wir die Anhörung zum damaligen Entwurf hatten. Wahrscheinlich werden Sie sich an Herrn Richter Kuschnerus erinnern, der genau diese Fragestellungen, die hinterher beim Ochtrup-Urteil dazu geführt haben, dass Ihr Teilplan sozusagen kassiert worden ist, hier kundgetan hat.

Waren Sie damals Mitglied des Landtags? Können Sie sich an diese Anhörung erinnern? Würden Sie vor diesem Hintergrund weiterhin darauf bestehen, dass man dies nicht zum damaligen Zeitpunkt hätte erahnen können?

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ellerbrock, das waren drei Fragen in einer. Sie beantworten die, die Sie beantworten möchten.

Holger Ellerbrock (FDP): Erstens: ja. Zweitens: nein. Drittens möchte ich dazu ausführen: Wenn Sie fünf Juristen in einer Anhörung haben, ist immer sichergestellt, dass sechs Meinungen kundgetan werden. Dies habe ich sehr wohl vernommen.

(Beifall von der FDP)

Nächster Punkt: Wenn wir etwas Konzeptionelles vorliegen haben, ist das eigentlich alles in Ordnung.

Ich nehme das aber jetzt zum Anlass, einmal einen konstruktiven Gedanken vorzutragen, wie wir vielleicht ein klein wenig zur Auflösung dieses Problemfeldes beitragen können.

Erst einmal die Frage: Warum können wir dieses Problem nicht auch unter stärkerer Einbindung der regionalen Ebene behandeln, also die Regionalräte stärker einbeziehen und vielleicht sogar die Entscheidungskompetenz bei ihnen verstärken? Denn die Regionalräte haben sich darin bewährt, bei den Regionen Unvereinbares vereinbar zu machen. Ich denke zum Beispiel an die Abfallwirtschaft und andere Standortfragen.

Ich komme zum zweiten Punkt. Schade ist, dass Herr Lersch-Mense nicht da ist, aber ich möchte diesen Gedanken gern vorbringen. Diejenigen Kommunen, Kollege Eiskirch, die sich gegen ein Votum aus der Umgebung und vielleicht auch gegen eine Beratungsfunktion der Landesregierung aussprechen und den großflächigen Einzelhandel bei sich dennoch durchsetzen wollen, verwirken damit auch das Recht auf Städtebauförderungsmittel zur Revitalisierung der Innenstädte. Dann ist das Problem nämlich dort, wo es hingehört. Dann muss die Kommune entscheiden, ob sie den Weg links oder rechts geht.

Ich meine, das könnten wir auch sachgerecht im Ausschuss diskutieren. In diesem Zusammenhang sehe ich durch solche Diskussionen, Herr Bergmann, durchaus einen Sinn Ihres Antrags. Ansonsten wäre mir der Sinn nicht so leicht aufgefallen. – Schönen Dank.

(Beifall von der FDP und Reiner Priggen [GRÜNE])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Piraten spricht der Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuschauer! Die demografische Entwicklung stellt sich als demografischer Dreiklang dar: Die Zahl der Menschen in NRW geht zurück. Die Menschen in NRW werden immer älter. Sie werden immer bunter.

Obwohl diese Trends seit Jahrzehnten bekannt sind, sollten Aussagen über die künftige demografische Entwicklung stets mit größter Vorsicht getroffen werden. Sie taugen nur bedingt für landesplanerische Entscheidungen. Sie müssten mindestens regional sehr genau differenziert werden.

Die CDU-Fraktion sieht im Rückgang der Bevölkerungszahlen, der gesellschaftlichen Alterung und dem auslaufenden Landesentwicklungsprogramm NRW nun einen dringlichen Handlungsbedarf. Unabhängig von der Bevölkerungsentwicklung und von der Kaufkraft wachsen die Einzelhandelsflächen absolut und pro Einwohner in Deutschland – seit Jahren auch in NRW. Der Markt setzt offenbar falsche Signale, die zu einer schärferen Flächenkonkurrenz führen. Diese Dynamik wird von den liberalisierten Ladenöffnungsgesetzen beschleunigt.

Der hieraus erwachsende Zwang zur Kostensenkung oder Effizienzsteigerung begünstigt die räumlich bzw. wirtschaftlich größeren Anbieter trotz des zeitgleich zunehmenden Onlinehandels, der schon öfter als Totengräber des Einzelhandels bezeichnet wurde – auch zu Beginn der Debatte.

Trotz parteiübergreifender Einsicht, diesbezüglich zu regulieren, ist dieser Trend ungebrochen. Den überwiegenden Teil der in den vergangenen Jahrzehnten neugebauten Verkaufsflächen bietet der großflächige Einzelhandel außerhalb der Stadt- oder Stadtteilzentren in nicht integrierten Lagen – im Volksmund: auf der grünen Wiese. Aber diese Beschreibung ist natürlich irreführend. Das müsste vielmehr heißen: auf dem grauen Parkplatz.

Shoppingmalls, Einkaufszentren, Urban-Enter­tain­ment-Centers und Factory-Outlet-Centers ziehen die Käufer aus der Umgebung an und damit Kaufkraft aus den jeweiligen Wohnorten ab. Sie sind praktisch nur mit dem Pkw erreichbar. Das bewirkt Zersiedlung und das wirtschaftliche Ausbluten der städtischen Einkaufsstraßen und Nebenzentren.

Daher unterstützen wir jede Initiative, die auf eine Reduzierung des Flächenverbrauchs zielt. Es muss eine integrierte Flächenentwicklung angestrebt werden. Das bedeutet: Innenentwicklung vor Außenentwicklung.

Es ist schon ziemlich billig von der CDU, jetzt Maßnahmen gegen fortgesetzte Zersiedlung zu fordern, denn die CDU hat den Siedlungsbau massiv befördert und hängt noch immer dem Leitbild des Einfamilienhauses in einer zersiedelten Umgebung an. Das Leben in den Vororten im freistehenden Einfamilienhaus braucht die meiste Fläche und die meisten Ressourcen. Eine wohnortnahe Versorgung in den Grüngürteln der Städte ist kaum möglich, jedenfalls nicht, ohne die Strecken als Pkw-Strecken zu denken.

Zu den Steuern: Der großflächige Einzelhandel hat einen deutlich höheren Anteil an Filialketten als gewachsene Geschäftsstraßen. Aber inhabergeführter Einzelhandel bringt bezogen auf die generierten Umsätze und Gewinne mehr Steuern in den kommunalen Haushalt als die Filialen globalisierter Unternehmen. Gerade diese Vielfalt der kleinflächigen inhabergeführten Läden macht unsere städtischen Nebenzentren attraktiv und trägt zu einer Versorgung auch in der Fläche bei.

Wir müssen den vermeintlichen Lagenachteil der integrierten Standorte, die schwierige Erreichbarkeit mit dem Pkw, als Standortvorteil der Wohnortnähe neu interpretieren und unterstützen, weil eine ökologisch nachteilige Standortwahl nicht begünstigt werden darf.

Dem Vorteil der kostengünstig erstellten flächenintensiven Parkplatzangebote der Shopping Center muss der Ausbau und eine Verbesserung des ÖPNV in den Städten entgegengesetzt werden. Vielleicht müssen wir auch über eine Parkplatzabgabe dieser nicht integrierten Standorte nachdenken. Damit erreicht man nicht nur ökologische Ziele.

Die beste Stadtplanung für die Menschen im Alter ist eine gute Verkehrspolitik. Es kommt darauf an, die Planungsebenen zu verschränken, wohnortnahe Versorgung, alternsgerechte Quartiere, ressourcenschonende Siedlungsentwicklung gehören zusammen.

Für Kommunen, die die Planungshoheit haben, ist die Verteidigung dieser übergeordneten Interessen jedoch schwer, wenn sie gleichzeitig auf private Investoren angewiesen sind und diese für die Ausweisung der Flächen Arbeitsplätze und Steuern versprechen.

Wer die nutzungsgemischte Stadt will, muss die Vertriebsformen, die dem entgegenstehen, entsprechend behandeln und Anreizsysteme anpassen. Wir brauchen eine Raumordnungsplanung, die den Handel an städtischen Standorten fördert und vor allem die Erreichbarkeit dieser Standorte mit dem ÖPNV sicherstellt.

Die unmittelbar anstehende und von der Landesregierung für das erste Halbjahr versprochene Neuregelung des Landesentwicklungsprogramms und des Landesentwicklungsplans gibt uns allen die Gelegenheit, ernstzumachen mit der Forderung nach einer ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Stadt. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren das Wort.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die in dem CDU-Antrag beschriebene Analyse zum demografischen Wandel und die sich daraus zukünftig ergebenden Handlungsfelder stimmen weitgehend mit der Einschätzung der Landesregierung überein.

Der demografische Wandel – das ist heute schon mehrfach gesagt worden – wird in den kommenden Jahren zu wesentlichen Verschiebungen in der Bevölkerungsstruktur führen. Die Gesamtbevölkerungszahl wird schrumpfen; gleichzeitig werden die Menschen in unserem Lande glücklicherweise länger leben und älter werden.

Diese gesellschaftliche Veränderung erfordert mittelfristig erhebliche Infrastrukturanpassungen auf vielen Gebieten. Hierzu gehört nicht zuletzt eine wohnortnahe Grundversorgung, die für alle Haushalte und Bevölkerungsgruppen gleichermaßen gewährleistet sein muss. Es gilt, das öffentliche und private Angebot an Dienstleistungs- und Versorgungseinrichtungen räumlich zu konzentrieren.

Unser politisches Ziel ist es deshalb, die Innenstädte attraktiver zu machen und zentrenschädliches Bauen auf der grünen Wiese oder dem grauen Parkplatz zu verhindern. Auch diesbezüglich stimmen CDU-Fraktion und Landesregierung erkennbar überein. Dazu benötigen wir insbesondere Regelungen, die den Kommunen bei der Steuerung des großflächigen Einzelhandels verlässliche Hilfestellungen und Rahmenbedingungen vorgeben.

Da die bisherigen Vorgaben hierzu im Landesentwicklungsprogramm NRW ausgelaufen sind, benötigen wir dringend neue Regelungen, die den Kommunen Planungssicherheit geben.

Wo stehen wir heute? Auch wenn Herr Eiskirch und Frau Schneckenburger das in ihren Ausführungen schon einmal deutlich gemacht haben, muss ich das offensichtlich hier noch einmal wiederholen. Die Landesregierung hat bereits zum April 2012 per Kabinettsbeschluss den Entwurf des Landesentwicklungsplans NRW „Sachlicher Teilplan Großflächiger Einzelhandel“ auf den Weg gebracht. Gerade weil auch wir den Bedarf und die Dringlichkeit gesehen haben, war es uns sehr wichtig, diesen Kabinettsbeschluss noch vor den Neuwahlen herbeizuführen.

Der Entwurf dieses Teilplanes enthält die neuen landesplanerischen Ziele und Grundsätze zum Thema „großflächiger Einzelhandel“. Mit diesen Zielen und Grundsätzen sollen die Innenstädte und örtlichen Zentren gestärkt werden. Sie sollen vor allem erreichen, dass sich die Errichtung oder Erweiterung von sämtlichen Einzelhandelsgroßprojekten auf regionalplanerisch festgelegte allgemeine Siedlungsbereiche konzentrieren.

Die für die Zentren wichtigen Einzelhandelsgroßprojekte dürfen auch nur noch dort angesiedelt werden. Damit haben wir klare Regeln zur Stärkung der Innenstädte und zur Sicherung einer wohnortnahen Versorgung formuliert, die übrigens, meine Damen und Herren, auf breite Unterstützung der Kommunen und, Herr Ellerbrock, der Regionalräte, Kammern und Verbände gestoßen sind.

Das zeigt uns die grundsätzlich positive Resonanz im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung, die von Juni bis Oktober 2012 erfolgte. Von den gut 270 eingegangenen Stellungnahmen haben deutlich mehr als 80 % den Regelungen im Grundsatz zugestimmt bzw. auf Anregungen oder Bedenken gänzlich verzichtet. Das ist eine beeindruckende Zahl, wie ich glaube, die uns in unserem Anliegen bestärkt und uns zeigt, dass wir mit dem entworfenen Teilplan in die richtige Richtung marschieren.

Gerade von den Kommunen kamen teilweise aber auch sehr detaillierte Anregungen zu einzelnen Fragestellungen, die derzeit von der Landesplanung ausgewertet werden.

An dieser Stelle ist es mir ein besonderes Anliegen, festzuhalten und zu betonen, dass bei aller Dringlichkeit und gebotenen Eile Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht. Wir nehmen das Beteiligungsverfahren und die vorgebrachten Anregungen aller Beteiligten ernst. Daher werden alle Hinweise und Argumente von den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesplanung äußerst gründlich und sorgfältig geprüft.

Diese intensive Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen erfordert Zeit und ist nicht im Handumdrehen zu erledigen. Trotzdem ist die Auswertung schon weit fortgeschritten. Sie wird ergeben, ob wir wesentliche Änderungen des Planentwurfes brauchen, die gegebenenfalls eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung notwendig machen.

Da in dem Antrag der CDU-Fraktion ausdrücklich nach einem Gesetz zur Regelung des großflächigen Einzelhandels verlangt wird, will ich aber hier klar feststellen, dass sich die Landesregierung ganz bewusst gegen ein Gesetz und für einen entsprechenden sachlichen Teilplan als Rechtsverordnung entschieden hat.

Grund dafür war auch der Wunsch, diese Regelungen später in den Gesamtlandesentwicklungsplan integrieren und damit ein Planwerk für NRW schaffen zu können. Dabei ist die Beteiligung des Landtags nach § 17 Landesplanungsgesetz sichergestellt, weil die Rechtsverordnung nur nach Zustimmung des Landtags beschlossen werden kann.

Lassen Sie mich auch noch etwas zu dem Vorwurf sagen, dass die Landesregierung die Kommunen mit den Problemen im Planungsrecht alleinlasse. Auch das muss ich mit aller Deutlichkeit zurückweisen. Insbesondere weil die Landesregierung mögliche Probleme der Kommunen aus dem Weg räumen will, ist es ihr wichtig, die Regelungen zum großflächigen Einzelhandel in einem konsensualen Prozess gemeinsam zu erarbeiten.

Der Entwurf des sachlichen Teilplans gibt den Kommunen schon jetzt eine wichtige Orientierungshilfe bei der Steuerung des großflächigen Einzelhandels. Denn mit dem Entwurf liegen bereits seit mehreren Monaten in Aufstellung befindliche Ziele vor, die die Kommunen berücksichtigen müssen, und dementsprechend haben sie jetzt schon die Möglichkeit, nicht zielkonformen Planungsabsichten mit Verweis auf eben diese in Aufstellung befindlichen Ziele entgegenzutreten.

Vor diesem Hintergrund laufen die im Antrag der CDU-Fraktion formulierten Forderungen sowie der Beschlussvorschlag ins Leere. Denn alle erforderlichen Verfahrensschritte zur Normierung planungsrechtlicher Regelungen für den großflächigen Einzelhandel sind von der Landesregierung bereits eingeleitet worden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für das Protokoll und für das zukünftige Redezeitplanungsmanagement der Ministerin will ich gerne darauf hinweisen, dass sie die Redezeit um 2:25 Minuten überzogen hat. Falls jemand von den Kolleginnen und Kollegen aufgrund dieser Tatsache noch einmal das Wort wünscht, wäre jetzt


Gelegenheit dazu. – Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1910 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dagegen stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende des heutigen Plenartages angelangt.

Die nächste Sitzung findet statt am Mittwoch, den 27. Februar dieses Jahres, um 10 Uhr.

Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass die Anregung der Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, mit den Plenarsitzungen im Februar bereits am Dienstag, 26. Februar, nachmittags zu beginnen, bisher noch nicht entschieden ist. Ich werde Sie umgehend informieren, sobald innerhalb der Fraktionen eine Einigung darüber erzielt worden ist.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag und den Jecken unter Ihnen eine gute Karnevalszeit.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 15:49 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.