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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/11

16. Wahlperiode

07.11.2012

11. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 7. November 2012

Mitteilungen der Präsidentin. 489

Verpflichtung der Abgeordneten
Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) und
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) 489

1   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2012 (Haushaltsgesetz 2012)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/300

Beschlussempfehlungen und Berichte
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksachen 16/1200 bis 16/1207,
16/1209 bis 16/1215 und 16/1220

zweite Lesung

Und:

Finanzplanung 2011 bis 2015 des Landes Nordrhein-Westfalen

Drucksache 16/301

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1221

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2012 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 –GFG 2012)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/302

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1217

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Errichtung eines Fonds des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Gesetzes zur Unterstützung der kommunalen Haushaltskonsolidierung im Rahmen des Stärkungspakts Stadtfinanzen (Stärkungspaktfondsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/176

Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Kommunalpolitik
Drucksache 16/1238

zweite Lesung. 490

     Gemeindefinanzierungsgesetz. 490

André Kuper (CDU) 490

Hans-Willi Körfges (SPD) 491

Kai Abruszat (FDP) 493

Mario Krüger (GRÜNE) 494

Robert Stein (PIRATEN) 495

Minister Ralf Jäger 496

     Einzelplan 12
Finanzministerium
Einzelplan 20
Allgemeine Finanzverwaltung. 497

     Teilbereich
Allgemeine Finanzverwaltung. 497

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 497

Martin Börschel (SPD) 499

Ralf Witzel (FDP) 501

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 502

Dietmar Schulz (PIRATEN) 504

     Teilbereich
Haushaltsgesetz. 506

Stefan Zimkeit (SPD) 506

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 507

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 509

Ralf Witzel (FDP) 509

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 510

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 510

Ergebnis. 511

     Einzelplan 03
Ministerium für Inneres
und Kommunales. 511

Theo Kruse (CDU) 511

Thomas Stotko (SPD) 512

Dr. Robert Orth (FDP) 513

Verena Schäffer (GRÜNE) 515

Dirk Schatz (PIRATEN) 516

Minister Ralf Jäger 517

Abstimmung siehe Ergebnis
zu Einzelplan 06

     Einzelplan 05
Ministerium für Schule
und Weiterbildung. 519

Petra Vogt (CDU) 519

Renate Hendricks (SPD) 520

Yvonne Gebauer (FDP) 522

Sigrid Beer (GRÜNE) 524

Monika Pieper (PIRATEN) 525

Ministerin Sylvia Löhrmann. 527

Abstimmung siehe Ergebnis
zu Einzelplan 06

     Einzelplan 06
Ministerium für Innovation,
Wissenschaft und Forschung. 530

Dr. Stefan Berger (CDU) 530

Karl Schultheis (SPD) 532

Angela Freimuth (FDP) 534

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 536

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 538

Ministerin Svenja Schulze. 540


Ergebnis. 542

Ergebnis zu Einzelplan 05. 542

Ergebnis zu Einzelplan 03. 542

     Einzelplan 10
Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz  542

     Teilbereich
Umwelt und Naturschutz. 542

     Teilbereich
Verbraucherschutz. 542

     Teilbereich
Landwirtschaft 542

Christina Schulze Föcking (CDU) 542

Manfred Krick (SPD) 544

Karlheinz Busen (FDP) 545

Hans Christian Markert (GRÜNE) 547

Simone Brand (PIRATEN) 548

Minister Johannes Remmel 549

Rainer Deppe (CDU) 551

Inge Blask (SPD) 552

Henning Höne (FDP) 552

Norwich Rüße (GRÜNE) 553

     Teilbereich
Klimaschutz. 555

Rainer Deppe (CDU) 555

Norbert Meesters (SPD) 556

Henning Höne (FDP) 557

Wibke Brems (GRÜNE) 558

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 559

Minister Johannes Remmel 560

Ergebnis. 562

     Einzelplan 04
Justizministerium.. 562

Jens Kamieth (CDU) 562

Sven Wolf (SPD) 563

Dirk Wedel (FDP) 565

Dagmar Hanses (GRÜNE) 566

Dietmar Schulz (PIRATEN) 567

Minister Thomas Kutschaty. 567

Ergebnis. 569

     Einzelplan 13
Landesrechnungshof 569

Ergebnis. 569

     Einzelplan 01
Landtag. 569

Ergebnis. 569

2   Fragestunde

Drucksache 16/1285. 570

Mündliche Anfrage 4

des Abgeordneten
André Kuper (CDU)

Honorarzahlung. 570

Minister Ralf Jäger 570

Mündliche Anfrage 5

des Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)

Wirtschaftliche Auswirkungen für die Erste Abwicklungsanstalt (EAA) aus der erfolgten Nachbefüllung mit der zweiten Tranche abgestoßener Risikopositionen aus dem Bestand der WestLB – Reicht die bisherige Eigenkapitalausstattung der EAA auch nach aktuellen Prognosen ohne neue Belastungen für den nordrhein-westfälischen Steuerzahler bis zum Ende des Abwicklungszeitraums 2027 aus Sicht der Landesregierung aus?  573

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 575

Mündliche Anfrage 6

der Abgeordneten
Ingola Schmitz (FDP)

Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse einer Studie, wonach stärkere Verbindlichkeit der Grundschulempfehlungen offenbar Ungleichheiten aufgrund der sozialen Herkunft im nordrhein-westfälischen Schulsystem entgegenwirkt hat?. 580

Ministerin Sylvia Löhrmann. 580

3   Gesetz zur Sicherung eines qualitativ hochwertigen und wohnungsnahen Grundschulangebots in Nordrhein-West­falen (8. Schulrechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/815

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/1282

zweite Lesung. 584

Renate Hendricks (SPD) 584

Klaus Kaiser (CDU) 585

Sigrid Beer (GRÜNE) 586

Yvonne Gebauer (FDP) 587

Monika Pieper (PIRATEN) 588

Ministerin Sylvia Löhrmann. 589

Ergebnis. 590

4   Europäische Bankenunion darf das dreigliedrige Bankensystem in Deutschland nicht schwächen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1045 – Neudruck

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1322. 590

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 590

Stefan Kämmerling (SPD) 591

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 592

Dr. Ingo Wolf (FDP) 593

Nico Kern (PIRATEN) 593

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 595

Ergebnis. 595

5   Stärkungspakt für Gymnasien – Ganztagsorganisation an den weiterführenden Schulen flexibilisieren und Kampagne für Ganztagsgymnasien starten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1269. 596

Yvonne Gebauer (FDP) 596

Marlies Stotz (SPD) 597

Astrid Birkhahn (CDU) 598

Sigrid Beer (GRÜNE) 598

Birgit Rydlewski (PIRATEN) 600

Ministerin Sylvia Löhrmann. 601

Ergebnis. 602

6   Gesetz zum Ersten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag – Erster GlüÄndStV)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/17

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1336 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/1245

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1287

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1335

zweite Lesung. 602

Markus Töns (SPD) 602

Gregor Golland (CDU) 603

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 604

Christof Rasche (FDP) 605

Michele Marsching (PIRATEN) 605

Minister Ralf Jäger 606

Ergebnis. 607

7   Gesetz zur Regelung des Kostenausgleichs für Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe (Belastungsausgleichsgesetz Jugendhilfe – BAG-JH)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/128

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1321

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/1241

zweite Lesung. 608

Wolfgang Jörg (SPD) 608

Ina Scharrenbach (CDU) 609

Andrea Asch (GRÜNE) 610

Marcel Hafke (FDP) 610

Olaf Wegner (PIRATEN) 611

Ministerin Ute Schäfer 612

Ergebnis. 612

8   NRW braucht ein Transparenzgesetz!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1254

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1337. 613

Frank Herrmann (PIRATEN) 613

Marion Warden (SPD) 613

Gregor Golland (CDU) 615

Matthi Bolte (GRÜNE) 615

Dirk Wedel (FDP) 616

Minister Ralf Jäger 617

Frank Herrmann (PIRATEN) 617

Ergebnis. 618

9   Tourismus in Nordrhein-Westfalen ver­netzen und unterstützen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1260. 618

Georg Fortmeier (SPD) 618

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 619

Holger Müller (CDU) 620

Ralph Bombis (FDP) 621

Oliver Bayer (PIRATEN) 622

Minister Michael Groschek. 623

Ergebnis. 624

10 Kommunalfinanzberichte: Die Landesregierung muss endlich ihre respektlose Informationszurückhaltung gegenüber dem Parlament beenden

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1271. 624

Ergebnis. 624

11 Gegen Randalierer im Zusammenhang mit Fußballspielen konsequent vorgehen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1268. 624

Dr. Robert Orth (FDP) 625

Andreas Kossiski (SPD) 625

Werner Lohn (CDU) 626

Josefine Paul (GRÜNE) 628

Frank Herrmann (PIRATEN) 629

Minister Ralf Jäger 630

Ergebnis. 632

12 Realisierung des „Eisernen Rheins“ weiter vorantreiben – Entwicklung Nordrhein-Westfalens darf nicht blockiert werden

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1262

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1334. 632

Reiner Breuer (SPD) 632

Arndt Klocke (GRÜNE) 633

Christof Rasche (FDP) 634

Stefan Fricke (PIRATEN) 635

Klaus Voussem (CDU) 635

Minister Michael Groschek. 636

Ergebnis. 638

13 Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1049

erste Lesung. 638

Ministerin Barbara Steffens
zu Protokoll (siehe Anlage 1)

Ergebnis. 638

14 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1182

erste Lesung. 639

Minister Thomas Kutschaty
zu Protokoll (siehe Anlage 2)

Ergebnis. 639

15 Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1183

erste Lesung. 639

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll (siehe Anlage 3)

Ergebnis. 639

16 Gesetz zur Änderung der Befristungen besoldungsrechtlicher Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1184

erste Lesung. 639

Minister Thomas Kutschaty
zu Protokoll (siehe Anlage 4)

Ergebnis. 639

17 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1185

erste Lesung. 639

Minister Johannes Remmel
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Ergebnis. 639

18 Gesetz zur Änderung des Hochschulgesetzes und des Kunsthochschulgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1186

erste Lesung. 639

Ministerin Svenja Schulze
zu Protokoll (siehe Anlage 6)

Ergebnis. 639

19 Gesetz zur Änderung von Rechtsvorschriften im Geschäftsbereich des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1187

erste Lesung. 640

Ministerin Barbara Steffens
zu Protokoll (siehe Anlage 7)

Ergebnis. 640

20 Gesetz zur Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW sowie zur Anpassung des Landeszustellungsgesetzes an das De-Mail-Gesetz

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/58

Beschlussempfehlung
des Innenausschusses
Drucksache 16/873

zweite Lesung. 640

Ergebnis. 640

21 Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere“

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/175

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1288

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
Drucksache 16/1226

zweite Lesung. 640

Ergebnis. 640

22 Kommunalsport initiieren – „Vom Verwalten zum Gestalten auf kommunaler Verwaltungsebene“

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1256. 640

Ergebnis. 640

23 Abkommen zur zweiten Änderung des Abkommens über das Deutsche Institut für Bautechnik (2. DIBt-Ände­rungs­abkommen)

Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung zu
einem Staatsvertrag
gemäß Art. 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/750

Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/1006. 641

Ergebnis. 641

24 Abkommen zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung des Deutschen Konsortiums für translationale Krebsforschung (DKTK)

Vorlage
des Ministeriums
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
gemäß § 10 Abs. 4
der Landeshaushaltsordnung zur Billigung
Vorlage 16/54

Beschlussempfehlung
des Haushalts- und Finanzausschusses und
des Ausschusses
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
Drucksache 16/1031. 641

Ergebnis. 641

25 Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Beschwerde des Herrn Nötzel gegen die Wahlprüfungsentscheidung des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 13. Mai 2012

VerfGH 16/12
Vorlage 16/239

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1197. 641

Ergebnis. 641

26 Frühwarndokumente
(§ 50 Absatz 3 GeschO)

hier:        Sitzung des Ausschusses für        Europa  und Eine Welt vom      26. Oktober 2012

Unterrichtung durch die Präsidentin
des Landtags Nordrhein-Westfalen
zur Kenntnisnahme
Drucksache 16/1283. 641

Ergebnis. 642

27 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 1
gem. § 79 Abs. 2 GeschO
Drucksache 16/1284. 642

Ergebnis. 642

28 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/3. 642

Ergebnis. 642

Anlage 1. 643

Zu TOP 13 – Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes – zu Protokoll gegebene Rede

Ministerin Barbara Steffens. 643

Anlage 2. 645

Zu TOP 14 – Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Thomas Kutschaty. 645

Anlage 3. 647

Zu TOP 15 – Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 647

Anlage 4. 649

Zu TOP 16 – Gesetz zur Änderung der Befristungen besoldungsrechtlicher Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Thomas Kutschaty. 649

Anlage 5. 651

Zu TOP 17 – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Johannes Remmel 651

Anlage 6. 653

Zu TOP 18 – Gesetz zur Änderung des Hochschulgesetzes und des Kunsthochschulgesetzes – zu Protokoll gegebene Rede

Ministerin Svenja Schulze. 653


Anlage 7. 655

Zu TOP 19 – Gesetz zur Änderung von Rechtsvorschriften im Geschäftsbereich des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Rede

Ministerin Barbara Steffens. 655


Entschuldigt waren:

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren

Hans-Peter Müller (SPD)

Iris Preuß-Buchholz (SPD)

Volker Jung (CDU)       
(bis 14:00 Uhr)

Arif Ünal (GRÜNE)


Beginn: 10:04 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie ganz herzlich zur elften Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein ganz besonderer Gruß gilt an diesem Morgen unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich zwei Kollegen entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir haben ein Geburtstagskind unter uns: Der Kollege Josef Neumann von der Fraktion der SPD hat heute Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, Josef Neumann, im Namen aller Kolleginnen und Kollegen!

(Allgemeiner Beifall)

Vor Eintritt in die Tagesordnung gibt es einen weiteren erfreulichen Punkt. Wir kommen nämlich zur Verpflichtung von Abgeordneten gemäß § 2 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landeswahlleiterin hat mir mit Schreiben vom 2. November 2012 mitgeteilt, dass für die ausgeschiedene Abgeordnete Sylvia Löhrmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Martin-Sebastian Abel und für den ausgeschiedenen Abgeordneten Johannes Remmel, ebenfalls von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Frau Manuela Grochowiak-Schmieding Mitglied des Landtags geworden sind. Ich darf die neue Kollegin und den neuen Kollegen zu mir bitten, damit ich die nach § 2 unserer Geschäftsordnung vorgesehene Verpflichtung vornehmen kann.

Frau Kollegin, Herr Kollege, ich bitte Sie, die folgenden Worte der Verpflichtungserklärung anzuhören und anschließend durch Handschlag zu bekräftigen:

„Die Mitglieder des Landtags von Nordrhein-Westfalen bezeugen vor dem Lande, dass sie ihre ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die übernommene Pflicht und Verantwortung nach bestem Wissen und Können erfüllen und in der Gerechtigkeit gegenüber jedem Menschen dem Frieden dienen werden.“

Damit sind Sie verpflichtet. Ich heiße Sie als neue Kollegin und als neuen Kollegen herzlich willkommen. Die guten Wünsche des Hauses begleiten Sie. Sie werden sich sicher schnell eingewöhnen. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir treten noch immer nicht in die Tagesordnung ein, denn ich möchte Ihnen gerne noch folgenden Hinweis geben:

Der Chef der Staatskanzlei hat mir mit Schreiben vom 8. Oktober 2012 die Haushaltssatzung des Landesverbandes Lippe für das Haushaltsjahr 2012 sowie zwei Durchschriften des Genehmigungserlasses des Innenministers zugesandt. Gemäß § 9 des Gesetzes über den Landesverband Lippe vom 5. November 1948 bitte ich um Kenntnisnahme. – Die stelle ich hiermit fest. Die Unterlagen können wie immer im Archiv eingesehen werden.

Jetzt können wir in die heutige Tagesordnung eintreten.

Ich rufe auf:

1   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2012 (Haushaltsgesetz 2012)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/300

Beschlussempfehlungen und Berichte
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksachen 16/1200 bis 16/1207,
16/1209 bis 16/1215 und 16/1220

zweite Lesung

Und:

Finanzplanung 2011 bis 2015 des Landes Nordrhein-Westfalen

Drucksache 16/301

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1221

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2012 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 –GFG 2012)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/302

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1217

zweite Lesung

In Verbindung mit:


Gesetz zur Errichtung eines Fonds des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Gesetzes zur Unterstützung der kommunalen Haushaltskonsolidierung im Rahmen des Stärkungspakts Stadtfinanzen (Stärkungspaktfondsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/176

Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Kommunalpolitik
Drucksache 16/1238

zweite Lesung

Zum weiteren Ablauf der heutigen und der morgigen Beratung der Einzelpläne möchte ich Sie noch einmal darauf hinweisen, dass das im Ältestenrat vereinbarte Beratungsverfahren mit der Reihenfolge der zu beratenden Einzelpläne und den vorgeschlagenen Redezeiten der Tagesordnung zu entnehmen ist.

Nach Beendigung der Beratung über einen Einzelplan werden wir die Abstimmung über diesen Einzelplan vornehmen. Über den Einzelplan 20 stimmen wir allerdings erst morgen vor der Gesamtabstimmung ab.

Sollte ein Änderungsantrag zu einem Einzelplan vorliegen, wird zunächst über den Änderungsantrag, anschließend über den Einzelplan abgestimmt. Über eventuelle Änderungsanträge zum Haushaltsgesetz stimmen wir morgen vor der Gesamtabstimmung ab.

Die Gesamtabstimmung über den Haushaltsplan 2012 in zweiter Lesung erfolgt ebenfalls morgen mit der Abstimmung über das Haushaltsgesetz.

Heute und auch morgen finden zwischen 12:30 Uhr und 14 Uhr keine Abstimmungen statt.

Die Haushaltsplanberatungen werden heute nach Beratung des Einzelplans 01 wie verabredet unterbrochen und morgen fortgesetzt.

Nach all diesen Vorbemerkungen, Erläuterungen und Erklärungen, mit denen die Abgeordneten nun den weiteren Fortgang der Beratung zum Haushaltsplan und Haushaltsplangesetz kennen, rufe ich als ersten Einzelplan auf:

     Gemeindefinanzierungsgesetz

Ich verweise noch einmal auf die Beschlussempfehlung und den Bericht zum GFG Drucksache 16/1217.

Ich eröffne die Beratung und erteile für die CDU Herrn Kuper das Wort.

André Kuper (CDU): Frau Landtagspräsidentin! Frau Ministerpräsidentin! Verehrte Herren Minister und Ministerinnen! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Liebe Gäste! Wir diskutieren hier und heute erneut über das Gemeindefinanzierungsgesetz 2012. Dieses hat den Anspruch, ein transparentes, gerechtes Verfahren zu sein, nach dem Städten und Gemeinden die benötigten Gelder zugeteilt werden.

Ich glaube an das Gute im Menschen, und daher unterstelle ich auch Ihrer Regierung, dass sie diesen Anspruch hat. Aber diesem Anspruch werden Sie mit diesem GFG nicht im Ansatz gerecht. Natürlich kann man es nie allen recht machen, wenn es um die Verteilung von Geldern geht. Aber die Verteilung zugunsten einer Seite so offenkundig zu verändern ist schon ein starkes Stück. Und so wundert es mich nicht, wenn wir im Ergebnis für die kommunale Familie folgende Fakten feststellen müssen:

Fakt 1: Viele Kommunen in anderen Bundesländern haben positive Ergebnisse. Auf Bundesebene werden die Kommunen erstmals wieder einen positiven Saldo haben.

Aber – Fakt 2 –: In NRW haben wir keine auskömmliche Finanzierung der Kommunen, stattdessen hohe Verluste und neue Kassenkredite.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Fakt 3: Unsere Kommunen in NRW sind gegenüber dem Durchschnitt in Deutschland weiter abgehängt worden. Wie sagte der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, Dr. Martin Klein, im Rahmen der Sachverständigenanhörung? Er sagte, die finanzielle Mindestausstattung der Kommunen sei gefährdet. So hat es mich nicht weiter gewundert, dass in der Anhörung zu diesem GFG von den Sachverständigen wichtige Kritikpunkte geäußert wurden. Wenn man alle diese Kritikpunkte subsumiert, dann stellt man fest, dass kaum ein gutes Haar an Ihrem GFG gelassen worden ist.

So bemängelte beispielsweise der Städte- und Gemeindebund,

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

dass die interkommunale Verteilungsgerechtigkeit in den letzten Jahren immer weiter zulasten des kreisangehörigen Raums verloren gegangen ist. Das wird deutlich, wenn man sich die Steigerung für den kreisangehörigen Bereich und für den kreisfreien Bereich anguckt.

Aber auch die Bedarfsberechnung ist aus Sicht der Sachverständigen überholungsbedürftig. So, wie Sie es jetzt praktizieren, läuft die Verteilungsgerechtigkeit aus dem Ruder.

Auch im Bereich der Steuerkraftbestimmung sind insbesondere durch die Anwendung der fiktiven Hebesätze im kreisfreien Raum in den letzten Jahren Hunderte Millionen Euro an Erlösen unter den Tisch gefallen.

Es gibt weitere Ungerechtigkeiten, die ich auch schon im Ausschuss für Kommunalpolitik angesprochen habe, beispielsweise die Differenzierung beim Schüleransatz nach Halbtags- und Ganztagsschülern mit den Werten 0,7 und 3,3. Das ist nicht nachvollziehbar.

Überhaupt ist nicht nachvollziehbar, dass es eine Ungleichbehandlung von offener Ganztagsschule und Ganztagsgrundschule gibt, dass also die offenen Ganztagsgrundschulen wie Halbtagsschulen behandelt werden.

Meine Damen und Herren, an einer Stelle sind wir uns wohl einig: Bei Ihrer Diagnose der Ursachen haben Sie nicht völlig unrecht, dass die Soziallasten zu einem Großteil die Misere der Kommunen verursacht haben. Aber Sie verkennen in Ihrer Argumentation: Es war die rot-grüne Bundesregierung, die im Zuge der Hartz-Reform 2003 die Unterbringungskosten auf die Kommunen abgewälzt hat. Nach Ihrer eigenen Argumentation ist somit sie die Wurzel des Übels.

(Beifall von der CDU)

Mittlerweile haben wir eine Kostenexplosion, sodass jetzt der Bund mit Schwarz-Gelb diese Belastung zurückführen muss. Der Fehler ist damit korrigiert.

Für mich ist das zentrale Manko Ihres Entwurfs, dass Sie wieder nur die Ihnen opportunen Empfehlungen der ifo-Kommission umsetzen. Ihr Gesetzentwurf genügt nicht im Ansatz dem Gebot der interkommunalen Verteilungsgerechtigkeit.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Bei den Schlüsselzuweisungen ist Ihnen der Einwohner einer kreisangehörigen Kommune 281 €, der einer kreisfreien Stadt 472 € wert. Ist das gerecht?

(Marc Herter [SPD]: Das haben Sie bis heute nicht verstanden!)

Absurd wird es in Ihrem Gesetzentwurf endgültig, wenn es zu den Auswirkungen auf die Stärkungspaktkommunen kommt. Nach dem GFG 2012 sind 20 der 61 Stärkungspaktempfängerkommunen unter den Verlierern.

Dieses GFG – das muss man ganz klar festhalten – ist im Ergebnis die Verteilung des Mangels. Wo bleibt Ihr „Masterplan Kommune 2020“, wo Ihr ganzheitliches Konzept zum Wohl der Kommunen? Diesen Entwurf können wir so nur ablehnen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Rängen! Ich kann dem Kollegen Kuper persönlich kaum einen Vorwurf machen, denn er hat diesem Hohen Haus in der Zeit zwischen 2005 und 2010 noch nicht angehört.

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Hör doch auf!)

Aber ganz offensichtlich hatten Sie, sehr verehrter Herr Kollege, seinerzeit auch keine Zeitungen und keinen Kontakt zu Kommunalen, die irgendwo für die kommunale Landschaft verantwortlich waren,

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

sonst würden Sie hier so etwas nicht erzählen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich will an dieser Stelle nicht darauf herumreiten, dass Sie da ganz offensichtlich die Gnade der späten Geburt haben. Aber, Herr Kollege, derjenige, der jetzt Verteilungsungerechtigkeit anmahnt, muss sich von mir, von der SPD-Landtagsfraktion, von der Koalition anhören, dass in den Jahren von 2005 bis 2010 die damalige Landesregierung unseren Kommunen in die Tasche gegriffen hat und 3 Milliarden € an klebrigen Fingern hängengeblieben sind.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Sie waren zu keiner Zeit Teil der Lösung, Sie waren immer Hauptteil der Probleme unserer Kommunen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

„Ifo-Gutachten“ – ein wirklich gutes Stichwort. Wir hatten – das gilt sowohl für Minister Jäger als auch für andere Mitglieder meiner Fraktion, unter anderem auch für mich – das Vergnügen, in der ifo-Kommission vertreten sein zu dürfen. Für die Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht so lange dabei sind, verrate ich mal, wer die Kommission einberufen hat – diese hat im Jahre 2008 ihre Arbeit aufgenommen –: Das war der damalige Innenminister, der Gott sei Dank noch nicht den Titel „Kommunalminister“ geführt hat – das wäre nämlich Etikettenschwindel gewesen –, Herr Wolf. Im Juni 2010 haben wir Empfehlungen der ifo-Kommission auf den Weg gebracht, und zwar ohne irgendwelche Kritik der jetzigen Opposition. Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum haben Sie sich damals denn nicht gemeldet, wenn Ihnen der Abschlussbericht nicht gefallen hat?

(Beifall von der SPD)

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Sie ereilen jetzt die Fehler …

(Bernhard Schemmer [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

– Der Kollege Schemmer hat sich, weil er die Regressionsanalyse nicht verstanden hat, immer wieder zu Wort gemeldet. Er macht das auch jetzt. Aber an dieser Stelle können wir auf Einzelschicksale keine Rücksicht nehmen.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Ich möchte im Zusammenhang fortfahren. Ich will nämlich darauf hinweisen, dass die ehemalige Landesregierung es grob fahrlässig unterlassen hat, in der Zeit von 2005 bis 2010 die notwendige Grunddatenüberprüfung durchzuführen. Wir haben das nachgeholt und dabei feststellen müssen, dass das zu Verwerfungen geführt hat. Wenn Sie sich den Entwurf des GFG – es waren ja viele Monate Zeit – gut durchgelesen hätten, hätten Sie auch erkennen können, dass wir für Abmilderung gesorgt haben.

Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann man hier nicht stehenlassen: Das GFG ist ein Finanzausgleichsinstrument zwischen den Kommunen. Der eine gibt und der andere nimmt. Nun eine künstliche Spaltung zwischen den einzelnen Kommunen herstellen zu wollen, das wird unserem Anspruch, allen Kommunen gegenüber gleichermaßen gerecht zu sein, nicht gerecht. Sie haben sich auch im Ton vergriffen – und nicht nur im Ton.

Eine der großen Leistungen dieser Landesregierung ist der Stärkungspakt Stadtfinanzen. Wir können und werden niemandem versprechen, dass wir die kommunale Finanzmisere alleine mit dem Stärkungspakt gelöst bekommen. Meine Damen und Herren insbesondere von der CDU, Sie schütteln jetzt zum Teil so lange mit dem Kopf, bis Sie beim Stärkungspakt ein Haar in der Suppe finden. Ich frage Sie: Was haben Sie denn in Ihrer Zeit gemacht, um den Kommunen zu helfen? – Gar nichts! Sie haben denen nur in die Tasche gegriffen.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Körfges, entschuldigen Sie, dass ich Sie jetzt doch unterbreche. Es gibt einen zweiten Wunsch nach einer Zwischenfrage – das konnten Sie nicht erkennen und deshalb auch in Ihrer Rede nicht sagen, ob Sie sie zulassen wollen oder nicht – des Kollegen Schemmer. Möchten Sie diese Zwischenfrage zulassen?

Hans-Willi Körfges (SPD): Ja, lasse ich zu.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Kollege Körfges. Sie hatten ja vorhin festgestellt, dass jemand die Regressionsanalyse nicht verstanden hat. Sind Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass, wenn Kommunen 1 Million € für irgendwelchen Unsinn ausgeben, die Regressionsanalyse anschließend im Ergebnis bestätigt, dass der Bedarf für diesen Unsinn auch da ist?

(Marc Herter [SPD]: Das ist der Beweis!)

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Schemmer, ich darf Ihnen attestieren, dass Sie die Vorhaltungen, die ich Ihnen eben gemacht habe, gerade eindrucksvoll bestätigt haben.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Sie haben es immer noch nicht verstanden. Aber bitte ersparen Sie mir, dass ich jetzt mit Ihnen ein Rigorosum in der Frage durchführe. Ich will nämlich noch auf zwei wichtige Punkte zu sprechen kommen.

Konnexität: Meine Damen und Herren, die Fehler der Vorgängerregierung verfolgen uns bis auf den heutigen Tag. Nicht nur, dass wir bei dem Thema „Konnexität“ jetzt auf Augenhöhe mit unseren Kommunen verhandeln, nein, der jetzige Haushalt muss auch dafür herhalten, dass die Fehler, die Sie bei der Kommunalisierung von Versorgungsverwaltung und Umweltverwaltung, die Sie bei den Einheitslasten und bei der Abrechnung der Einheitslasten sowie beim KiföG gemacht haben, zugunsten unserer Kommunen ausgeglichen werden. Da hält die gegenwärtige Landesregierung Wort, meine Damen und Herren. Das geht zulasten des Haushalts. Das haben Sie sich auf Ihre Negativseite zu schreiben.

(Beifall von der SPD)

Darüber hinaus will ich bei den Kolleginnen und Kollegen der Piraten eine Sache anerkennen: Wir wären gerne bereit, noch mehr für die Kommunen zu tun.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit, Herr Kollege.

Hans-Willi Körfges (SPD): Nur: Wenn man sich den Gesamtrahmen unseres Haushalts anschaut, muss man sehen, dass dem Grenzen gesetzt sind.

Grenzen sind auch meiner Redezeit gesetzt, wie ich im Hintergrund höre. Lassen Sie mich zum versöhnlichen Abschluss aber noch eines sagen:

Ich hoffe darauf, dass das, was wir hier im Oktober des Jahres 2010 mit übergroßer Mehrheit beschlossen haben – nämlich unseren Kommunen gemeinsam dadurch zu helfen, dass wir den Bund in die Pflicht nehmen –, nicht nur ein Lippenbekenntnis war.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege!

Hans-Willi Körfges (SPD): Gehen Sie mit uns gemeinsam ans Werk! Spätestens im Herbst des nächsten Jahres wird sich – da sind wir uns als Sozialdemokraten ganz sicher – auch auf Bundesebene zugunsten von Kommunen vieles verändern und verbessern.

Ich bedanke mich für die Geduld der Präsidentin und für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. Es geht hier allerdings weniger um die Geduld der Präsidentin und mehr um die Gleichbehandlung aller Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten.

Da ich gerade bei dem Stichwort „Gleichbehandlung“ bin – bei dem Kollegen Schemmer hat es gerade eine kleine Aufregung gegeben –, möchte ich noch Folgendes sagen: Wenn ein Redner – und das gilt für alle – bemerkt, dass eine Zwischenfrage gestellt werden soll, und er in seine Rede einbaut, dass er die Zwischenfrage nicht zulassen, sondern in seinem Redefluss fortfahren möchte, dann ist es nicht unbedingt zwingend notwendig, dass der sitzungsleitende Präsident oder die sitzungsleitenden Präsidentin den Kollegen, der seine Absicht deutlich kundgetan hat, unterbricht. Selbstverständlich unterbrechen wir aber immer dann, wenn nicht hörbar bzw. erkennbar ist, dass fortgefahren werden soll. Daher bitte ich um Entschuldigung, Herr Schemmer, wenn Sie sich falsch behandelt gefühlt haben sollten. Es war aber schon sehr eindeutig, dass der Kollege Sie gesehen hat und nicht antworten wollte.

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Körfges, diese oberlehrerhaften Rituale sollten wir langsam mal hinter uns lassen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Bei allem Respekt vor unterschiedlichen Auffassungen: Lassen Sie uns in der Sache diskutieren!

Ich will gerne auf Ihren Wortbeitrag eingehen. Sie haben etwas ganz Bemerkenswertes zum Thema „Konnexität“ gesagt. Sie haben nämlich gesagt: Diese Landesregierung wird auf Augenhöhe mit den Kommunen in Sachen Konnexität verhandeln. – Diese Worte hören wir sehr gerne.

(Zuruf: Das kennen wir gar nicht!)

Sagen Sie das bitte mal der Schulministerin in der Frage der Inklusion, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU)

Ich bin gespannt, was Ihre Worte da am Ende wert sind.

Herr Kollege Körfges, dass die FDP ihre Rolle als Oppositionsfraktion

(Zuruf: Oppositionsfraktion! Sehr richtig!)

nicht ritualisiert wahrnimmt, sondern konstruktiv und sachorientiert arbeitet, haben wir, wie ich glaube, bewiesen. Wir haben nicht pauschal mehr gefordert und uns auch nicht pauschal in ritualisierten Grabenkämpfen verstrickt. Wir haben gemeinsam das neue kommunale Finanzmanagement fortentwickelt. Wir haben das kommunale Ehrenamt gemeinsam gestärkt. Wir haben das Umlagegenehmigungsgesetz auf den Weg gebracht. Wir haben vor allem den Stärkungspakt Stadtfinanzen mit auf den Weg gebracht. Ich sage an dieser Stelle: Die FDP-Fraktion steht zu dieser Agenda, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Aber dennoch: Das GFG 2012, sehr geehrter Herr Minister Jäger, atmet nicht den Mut, den es braucht, um die Kommunalfinanzen umfassend zu reformieren. Sie doktern an bestimmten Stellschrauben herum. Das ist kein großer Gesamtentwurf. Sie wissen genau, dass das vorliegende Gesetz eben nicht das Gebot der interkommunalen Verteilungsgerechtigkeit beachtet.

Der Soziallastenansatz ist völlig überdehnt. Das hat die Anhörung im Ausschuss doch nun wirklich deutlich gemacht. Wenn der Soziallastenansatz nun mit 15,3 Punkten bemessen wird, aber – wie in der Anhörung deutlich gemacht worden ist; und das war in der Tat kein FDP-Mann, der das gesagt hat – bereits ein Faktor von unter 7,0 Punkten kostendeckend für die anfallenden Soziallasten wäre, dann kann ich als Vertreter unserer Fraktion hier im Hause sehr gut nachvollziehen, dass dieser Soziallastenansatz zumindest erheblichen Bedenken, auch verfassungsrechtlicher Art, begegnet. Sie verursachen durch diese fehlgeleitete Lenkungswirkung enorme Finanzprobleme, insbesondere im ländlich strukturierten Umfeld. Das muss an dieser Stelle deutlich gesagt werden.

(Zuruf von der SPD: Realitätsverweigerung!)

„Realitätsverweigerung“ hat irgendein Kollege dazwischengerufen! Nehmen Sie einmal folgende Realität wahr: In den Kreisen und kreisangehörigen Kommunen in NRW sind die Kassenkredite doppelt so hoch wie in den Kommunen von ganz Bayern, ganz Baden-Württemberg und aller fünf ostdeutschen Bundesländer zusammengenommen. Da nehmen Sie einmal die Realität wahr, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall von der FDP)

Zur Frage der Hauptansatzstaffel, der Einwohnerveredelung, der Bedarfsermittlung ist einiges gesagt worden. Für uns als Freie Demokraten war es wichtig, ein Alternativangebot zu machen. Wir haben gesagt: Die gestaffelten fiktiven Hebesätze sind eine wichtige Diskussionsgrundlage. – Das haben Sie im Ausschuss leider abgelehnt. Ich hoffe, dass wir diese Diskussion in den kommenden Monaten fortsetzen werden.

Herr Minister, ich weiß, Sie werden sich gleich hierhin stellen und sagen: Diese Regierung hat eine Rekordzuweisung an die Kommunen ausgeschüttet.

(Beifall von der SPD – Minister Ralf Jäger: Sie können ja hellsehen!)

– Ja, ich kenne offensichtlich Ihre Gedanken ganz gut, Herr Jäger. Aber ersparen Sie uns das doch bitte gleich und sagen Sie nicht, das sei das Verdienst dieser Regierung.

(Minister Ralf Jäger: Doch!)

Die Tatsache, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland Rekordsteuereinnahmen haben, ist nicht das Verdienst dieser Regierung, sondern das Verdienst der fleißigen Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen in diesem Land! Das ist die Wahrheit.

(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zur Rolle des Bundes sagen. Wir sind uns einig: Der Bund muss mehr tun. Natürlich werden Sie gleich sagen, Sie hätten den Bund dazu gedrängt, bei der Grundsicherung im Alter Farbe zu bekennen. Meine Güte – wir haben da alle unsere Verantwortung wahrgenommen und ein Gesetz korrigiert, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, das Sie in Berlin beschlossen haben, ohne es den Kommunen gegenzufinanzieren. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sehr geehrter Herr Minister, ich will Ihnen abschließend noch ein schönes Zitat von Erich Kästner mit auf den Weg geben. Es ist nicht das Zitat „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, sondern ein anderes. Er hat einmal treffend gesagt: „Man kann auf seinem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen.“

Bewegen Sie sich daher, lieber Herr Minister Jäger, in Sachen Kommunalfinanzen im Hinblick auf eine bessere, faire Lastenverteilung und Finanzverteilung für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen! – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Es geht nicht darum, mit einer Gießkanne die den Gebietskörperschaften zustehenden Zuweisungen zu verteilen, sondern es geht darum – das sage ich ganz deutlich in Richtung CDU und FDP –, vergleichbare Lebensverhältnisse herzustellen

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

durch einen horizontalen Ausgleich in Abhängigkeit von der jeweiligen Belastung, die wir in den einzelnen Gebietskörperschaften haben.

Sie sollten wissen, dass wir in den jeweiligen Gebietskörperschaften unterschiedliche Steuereinnahmen und unterschiedliche soziale Belastungen haben. Insofern war es folgerichtig, ein Versäumnis aufzuholen und beispielsweise über eine Aktualisierung des Soziallastenansatzes den gestiegenen Soziallasten in den einzelnen Kommunen und Kreisen Rechnung zu tragen.

Es geht auch nicht darum, den ländlichen Raum gegenüber dem kreisfreien Raum

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Das tun Sie doch die ganze Zeit!)

auszuspielen, sondern es geht darum, den unterschiedlichen Situationen gerecht zu werden. Das haben wir getan. Gegenüber den entsprechenden Zuweisungen im GFG 2011 sind 2012 die Schlüsselzuweisungen um etwa 500 Millionen € angehoben worden. Im Jahre 2013 – der Entwurf wird bald kommen – wird es eine weitere Anhebung um 300 Millionen € geben.

Wenn ich mir einmal die Zahlen ansehe, die Kennzeichen der schwarz-gelben Landesregierung der Jahre 2005 bis 2010 gewesen sind, haben wir gegenüber der schwarz-gelben Landesregierung die Schlüsselzuweisungen im Schnitt um etwa 1,5 Milliarden € angehoben: von 6,89 Milliarden € im Jahresmittel der schwarz-gelben Regierungszeit auf etwa 8,5 Milliarden € zum heutigen Zeitpunkt. So sieht der Fünf-Jahres-Vergleich Schwarz-Gelb gegenüber den jetzigen vier Jahren Rot-Grün unter Einbeziehung des Haushaltsjahres 2013 aus. Das sollten Sie anerkennen.

Stattdessen – das ist gerade von Herrn Körfges zu Recht gesagt worden – haben wir von Ihnen folgende Politik erlebt: einen Raubzug durch die kommunalen Kassen zur Gesundung des Landeshaushalts, eine Verdoppelung der kommunalen Umlagezahlungen beispielsweise im Bereich der Krankenhauspauschalen, eine Erhöhung der Spielbankabgaben, ein Verschieben von Lasten, die bisher vom Land getragen worden sind, zulasten der Gebietskörperschaften, ohne dass ein entsprechender Finanzausgleich hergestellt worden ist.

Dies ist auch durch eine einschlägige Rechtsprechung zu Recht kritisiert worden. Wir haben dies aufgegriffen, wohl wissend, dass mit den Landesfinanzen alleine den kommunalen Nöten nicht Rechnung zu tragen ist. Da sind Sie als CDU und FDP gefordert, die Verwerfungen im Sozialbereich auszugleichen. Erste Schritte sind gemacht worden; das will ich gar nicht in Abrede stellen. Weitere Schritte sind notwendig, zum Beispiel im Bereich der Eingliederungshilfen. Es wird von der kommunalen Familie nicht ohne Grund verlangt, dass in der Größenordnung von 4 Milliarden € entsprechende Entlastungen vorzunehmen sind.

Da müssen wir hin. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich dafür einsetz en, statt, wie am Wochenende geschehen, entsprechende Gelder für ein Betreuungsgeld freizumachen, das niemand braucht. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Stein.

Robert Stein (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne und liebe Menschen im Stream! Wir Piraten fordern – das ist bekannt – eine Anhebung des Verbundsatzes um 1 %. Warum tun wir das?

Einerseits gibt es die entsprechenden Aussagen der Vertreter der Spitzenverbände, die deutlich gemacht haben, dass die kommunale Lage finanziell äußerst angespannt ist und die Mittel notwendig sind. Zum anderen gibt es erste wissenschaftliche Untersuchungen. Erwähnt sei zum Beispiel die Benchmark-Analyse von PricewaterhouseCoopers. Auch Ernst & Young hat jetzt eine Pressemitteilung herausgegeben, in der deutlich geworden ist, dass jede dritte NRW-Kommune, wenn ich es recht in Erinnerung habe, aus eigener Kraft nicht mehr aus der Schuldenspirale herauskommen kann.

Uns wird vorgeworfen, wir würden eine verantwortungslose Haushaltspolitik fahren, wenn wir diese 370 Millionen € fordern, die die Erhöhung der Verbundquote um 1 % widerspiegeln. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, hierzu Stellung zu nehmen.

Es ist in der Tat so, dass der Finanzminister im HFA des Öfteren erwähnt hat – genauso wie er es in der Pressemitteilung des Finanzministeriums Ende Oktober getan hat –, dass dieses Jahr durch Sondereffekte, nämlich über den Länderfinanzausgleich, Mehreinnahmen in Höhe von 600 Millionen € zu erwarten sind.

Wenn wir das ins Kalkül einbeziehen, müssen wir doch feststellen, dass wir unsere Forderung auch heute schon umsetzen könnten, ohne die Neuverschuldung anzuheben. Der Vorwurf – das muss ich leider sagen – ist also wirklich absurd. Insofern bitte ich – auch im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit –, über die Verbundquote zu agieren.

Natürlich sind wir auch froh, dass im Rahmen des Stärkungspaktes die notleidenden Kommunen Geld bekommen – gar keine Frage. Allerdings passiert doch Folgendes: Die Kommunen, die aus dem Stärkungspakt Geld erhalten, sind doch angehalten, die Grundsteuer B zu erhöhen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Mieten steigen werden und die Eigenheimbesitzer mehr Abgaben zahlen werden. Das heißt, die Konsolidierung findet auf dem Rücken der Menschen statt. Die jahrelange Misswirtschaft, die wir nicht wegreden können – da können wir uns hier in stundenlangen Vorwürfen verzetteln –, hat es nun mal gegeben. Hier sind wir der Meinung, dass die Verbundquote im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit die bessere Alternative wäre.

Dass wir jetzt eine günstige konjunkturelle Lage haben, ist einfach Fakt. Dass wir dieses Jahr den Sondereffekt haben, ist Fakt. Deswegen lassen sich unsere Forderungen auch umsetzen. Ich bitte, einfach einmal die Scheuklappen abzusetzen. Ich habe auch manchmal im Ausschuss für Kommunalpolitik oder im HFA das Gefühl gehabt, dass nur aus Sicht der Landespolitik argumentiert wird. Wir müssen doch einen ganzheitlichen Ansatz wählen.

Wir müssen doch schauen, dass es Kommunalfinanzen gibt. Wenn wir das Geld den Kommunen nicht zur Verfügung stellen, werden die Kommunen diese Kredite in irgendeiner Form aufnehmen – natürlich zu schlechteren Konditionen als das Land. Wenn wir den Fiskalpakt hinzuziehen – da wird es natürlich irgendwann sehr komplex –, müssen wir feststellen, dass die Schulden der Kommunen dem Land zugerechnet werden. Insofern spielt es gar keine Rolle, wenn das Geld aufgenommen werden muss, ob es nun in den Kommunen oder im Land aufgenommen wird, zumal das dieses Jahr auch verfassungskonform möglich wäre.

Wenn wir eine nachhaltige strukturelle Finanzierung erreichen wollen, können wir momentan, weil wir auf Landesebene keine Stellschrauben haben, nur in Richtung Bund schielen. Hier müssen wir einerseits die Umsetzung der Konnexität fordern. In der Benchmark-Analyse wurde ja deutlich, dass gerade die Sozialausgaben für die NRW-Kommunen die erdrückende Last sind. Da muss der Bund tätig werden; denn er bestellt, und wenn er bestellt, soll er auch zahlen. Wir können nur versuchen, mit unseren verhältnismäßig geringen Mitteln dort Einfluss zu nehmen.

Wenn das nicht ausreicht, wenn der Bund nicht genügend finanzielle Mittel hat, müssen wir in Richtung Bund auch das Signal aussenden, dass man dann über eine Einführung der Vermögensteuer nachdenken muss. Vielleicht muss man auch über eine moderate Erhöhung der Körperschaftsteuer reden dürfen. Diese Szenarien können wir aber erst bewerten, wenn wir in Bezug auf den Bund genauere Daten und Analysen haben, welche Belastungen der Kommunen wirklich übernommen werden sollen.

Die konjunkturelle Lage ist auf jeden Fall günstig. Ich will hier noch einmal betonen, dass wir, wenn wir hier eine ganzheitliche Betrachtung wählen, nicht etwa verantwortungslose Haushaltspolitik fordern; denn die Finanzierung wäre dieses Jahr über den Sondereffekt möglich. Ich weiß, dass Sie das nicht wollen; dieses Signal haben wir auch verstanden.

In einem weiteren Schritt muss dann natürlich im Sinne der Nachhaltigkeit, weil wir vom Land aus keine Stellschrauben auf der Einnahmeseite drehen können, die Forderung in Richtung Bund gerichtet werden. – Danke sehr.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will damit beginnen, ein Angebot zu wiederholen. Das Angebot lautet: Die Mitarbeiter meines Hauses und zur Not auch ich persönlich stehen jedem Abgeordneten dieses Landtags zur Verfügung, um das Mittel der Berechnung der Regressionsanalyse zu erklären.

(Beifall von der SPD)

Jedem – auch Ihnen, Herr Schemmer! Wenn Sie wollen, tun wir das jeden Tag, bis Sie verinnerlicht haben, dass Fragen, wie Sie sie hier gestellt haben, in der Tat mit der Grundlage des GFG, wie es in Nordrhein-Westfalen wirkt, überhaupt nichts zu tun haben.

Ich will mit der Feststellung beginnen, meine Damen und Herren, dass diese Landesregierung ein verlässlicher und zuverlässiger Partner aller 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen ist, egal welcher Art, ob klein oder groß. Wir begegnen diesen Kommunen auf Augenhöhe und nehmen ihre Sorgen und Probleme ernst. Das unterscheidet uns maßgeblich von der Vorgänger-Landesregierung.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Zum Zweiten stelle ich fest: Wir handeln. Wir haben im GFG 2010, im GFG 2011 und auch im vorliegenden GFG 2012 das aufgehoben und beseitigt, was Sie gemacht haben. Sie haben nämlich nichts anderes getan, als mit klebrigem Finger in die kommunalen Kassen zu greifen, um den eigenen Haushalt zu sanieren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben die von Ihnen durchgeführten Befrachtungen von alleine 300 Millionen € jährlich beseitigt. Es ist schon ein starkes Stück, Herr Kuper, wenn ich einmal diese Formulierung aufgreifen darf, dass diejenigen, die zu verantworten haben, dass sich die Kassenkredite in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2005 bis 2010 mehr als verdoppelt haben und auf über 20 Milliarden € gestiegen sind, offensichtlich nicht mehr wissen, was sie in dieser Zeit getan haben. Das ist offensichtlich ein Totalversagen Ihres Kurzzeitgedächtnisses, meine Damen und Herren. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Diesen Teil der Festplatte mögen Sie gelöscht haben. Wir stellen Ihnen aber gerne ein Back-up dafür zur Verfügung.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Herr Abruszat, Sie haben recht. Sie haben in der Tat – ich habe es Ihnen ja zugerufen – hellseherische Fähigkeiten. Dieses GFG mit einer Schlüsselmasse von 8,4 Milliarden € ist in der Geschichte Nordrhein-Westfalens das höchste aller Zeiten. So viel gab es in unserem Land noch nie an die Kommunen zu verteilen. Uns unterscheidet aber Folgendes, Herr Abruszat: Die Steuereinnahmen, die das begründen, geben wir an die Kommunen weiter. Sie haben sie eingesackt. Das ist der Unterschied.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will gerne noch auf einige Details zum GFG eingehen. Ja, es gibt eine deutliche Anhebung des Soziallastenansatzes. Das ist aber keine politische Entscheidung, sondern eine arithmetische Folge dessen, was wir über alle Fraktionen im Rahmen des ifo-Gutachtens miteinander beschlossen haben. Nur: Sie haben das nicht angewandt. Sie haben die Schlüsselzuweisungen an die nordrhein-westfäli­schen Kommunen auf der Grundlage von Datensätzen des Jahres 1999 verteilt. Elf Jahre alte Daten haben Sie genommen, ohne die Entwicklung bei den Soziallasten in diesen elf Jahren zu berücksichtigen. Ich vermute, Ihnen fehlte seinerzeit der politische Mut, das umzusetzen, was eigentlich notwendig ist,

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

nämlich den Kommunen, die unter hohen Soziallasten leiden, mehr Schlüsselzuweisungen zukommen zu lassen. Das ist unser Verständnis von Verteilungsgerechtigkeit, Herr Kuper – nicht Ihres, das sehe ich ein.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben darüber hinaus den Zentralitätsansatz gestärkt, aber genauso einen Flächenansatz eingeführt. Der Bürgermeister von Windeck hat mir nachvollziehbar dargestellt, dass er im Winter genauso viel Streusalz einkaufen muss wie die Stadt Köln. Genau diesen Aspekt, dass man als Kommune viel Fläche, aber relativ wenige Einwohner hat, haben wir in diesem GFG berücksichtigt.

Ebenso haben wir einen Demografiefaktor eingeführt, der dafür sorgen soll, dass die Kommunen, die in einem hohen Maße Einwohner verlieren, in der Lage sind, in einer Übergangsphase ihre kommunale Infrastruktur anzupassen.

Außerdem, meine Damen und Herren von CDU und FDP, haben wir den ländlichen Raum nachhaltig dadurch gestärkt, dass wir Abmilderungshilfen dorthin leiten, weil wir genau wissen, dass die Finanzkrise der Kommunen längst im ländlichen Raum angekommen ist. Wir helfen den Kommunen, egal welcher Art, ob groß oder klein.

Zuallerletzt möchte ich noch auf Folgendes eingehen: Ja, es gibt immer Stellungnahmen zu diesem GFG vonseiten der kommunalen Spitzenverbände. Jeder dieser Spitzenverbände hätte für die Art von Kommunen, die er vertritt, gerne mehr Geld. Das kann ich menschlich wirklich nachvollziehen. Genauso bestätigen uns die kommunalen Spitzenverbände aber, dass es zu dem jetzigen Verteilungsmechanismus eigentlich gar keine Alternative gibt.

Herr Abruszat, es wird Sie freuen, dass diese Landesregierung gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden vereinbart hat, das, was zur Diskussion steht, nämlich die Frage „Bildet der Soziallastenansatz tatsächlich die Sozialausgaben ab? Wie ist das mit dem Hebesatz bei der Gewerbesteuer und deren Berücksichtigung?“ …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: … gutachterlich überprüfen zu lassen. Die Ergebnisse erwarten wir im nächsten Jahr. Wir werden sie in einem breit angelegten Diskussionsprozess mit den kommunalen Spitzenverbänden, mit den Kommunen gemeinsam auf Augenhöhe beraten. Auch darin unterscheidet sich diese Landesregierung von ihrer Vorgängerregierung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. Herr Minister Jäger hat geringfügig die Redezeit überzogen. Gibt es den Wunsch einer Fraktion, einen kleinen Zuschlag zu bekommen? – Dem ist nicht so.

Dann schließe ich hiermit die Beratung zum Gemeindefinanzierungsgesetz und weise noch einmal darauf hin, dass das Gemeindefinanzierungsgesetz entsprechend der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1217 erst morgen nach der Beratung des Haushaltsgesetzes abgestimmt wird. Das Gleiche gilt für die Rücküberweisung des GFG zur Vorbereitung der dritten Lesung, die erst morgen zusammen mit dem Haushaltsgesetz erfolgen wird.

Ich rufe auf:

     Einzelplan 12
Finanzministerium
Einzelplan 20
Allgemeine Finanzverwaltung

Ich weise auf die Beschlussempfehlungen und Berichte des Haushalts- und Finanzausschusses hin – Drucksachen 16/1212 und 16/1220. Des Weiteren liegen Ihnen Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksachen 16/1318 und 16/1319 vor.

Ich eröffne die Beratung, und zwar zunächst zu den getrennt zu beratenden Themenfeldern Allgemeine Finanzverwaltung und Haushaltsgesetz. Zur Beratung zum

     Teilbereich
Allgemeine Finanzverwaltung

erteile ich Herrn Kollegen Dr. Optendrenk von der CDU das Wort.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beratung, die wir heute, am 7. November, in zweiter Lesung über den Entwurf des Landeshaushalts 2012 durchführen, ist denkwürdig. Denn der Landeshaushalt 2012 wird aus drei Gründen in die Geschichte unseres Landes eingehen:

Erstens. Das Scheitern des ersten rot-grünen Versuchs, einen Haushalt 2012 auf die Beine zu stellen, führte zu vorgezogenen Neuwahlen.

(Zurufe von der SPD)

Sie, Frau Kraft, und Ihre Landesregierung wollten sich mit diesem Entwurf unter Missachtung der Landesverfassung um unbequeme Entscheidungen herumdrücken. Sie haben dafür im Parlament damals keine Mehrheit erhalten.

Zweitens. Der Verfassungsgerichtshof in Münster hat in der vergangenen Woche klargestellt, dass der erste Haushaltsentwurf 2012 zu spät von Ihnen vorgelegt wurde. Ihr Vorgehen war verfassungswidrig. Es steht eben nicht im Belieben einer Landesregierung, einer Ministerpräsidentin, eines Finanzministers, wann sie denn die Huld haben, dem Landtag einen Haushaltsentwurf zuzuleiten. Nein, es gibt feste verfassungsrechtliche Spielregeln, die für alle gelten, auch für diese Landesregierung.

(Beifall von der CDU)

In der inzwischen vorliegenden schriftlichen Urteilsbegründung hat das Gericht klargestellt: Ihre Erklärungsversuche für die verspätete Vorlage des Haushaltes waren letztlich Ausreden. Münster hat Ihnen nicht abgenommen, was Sie da so alles vorgetragen haben – von der Einarbeitung vorheriger Urteile über den vermeintlichen Respekt gegenüber dem Gericht bis hin zum Abwarten auf die Haushaltsverabschiedung 2011 im Mai 2011.

Um es deutlich zu sagen: Sie hätten dann Respekt vor dem Verfassungsgericht gezeigt, wenn Sie sich nach dem Urteil zu Ihrem Nachtragshaushalt 2010 konsequent und ohne Wenn und Aber an die Verfassung gehalten hätten. Es hilft auch nicht, das anschließend über vermeintlich unterschiedliche Rechtsauffassungen zu relativieren, die man da so haben könne. Nein, es geht um das, was es ist: Sie haben aus sachfremden Gründen dem Landtag die Möglichkeit genommen, den Haushalt 2012 vor Beginn des Kalenderjahres 2012 zu beraten und zu beschließen.

(Beifall von der CDU)

Sie haben damit die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte des Parlamentes verkürzt – und das mit voller Absicht. Ich darf daran erinnern: Auch der Nachtragshaushalt 2010 war verfassungswidrig, wie Münster festgestellt hat. Sie, Frau Ministerpräsidentin, Herr Finanzminister, haben innerhalb von nur zwei Jahren zweimal im Bereich des Haushaltsrechts gegen die Verfassung des Landes verstoßen – und das ist höchstrichterlich festgestellt worden. Ich frage mich, wie ernst Sie an dieser Stelle Ihren Amtseid nehmen.

(Beifall von der CDU)

Drittens. Wir beraten den Haushaltsentwurf heute, sieben Wochen vor Ablauf des Haushaltsjahres. Auch diese Tatsache widerspricht allen Grundprinzipien der Verfassung. Wie soll denn der Landtag, wie soll der Haushaltsgesetzgeber einer Landesregierung politische Gestaltungsvorgaben machen, wenn das Haushaltsjahr bereits abgelaufen ist?

(Minister Ralf Jäger: Sie hätten dem Haushalt ja zustimmen können!)

Welche Schwerpunkte sollen wir denn in dieser Zeit noch setzen können? Wir vollziehen doch nur das nach, was die Landesregierung im Haushaltsvollzug, verehrter Herr Innenminister, bereits getan hat, und sind dann aufgefordert, Ihnen die Huld und Gunst erweisen, das nachträglich zu legitimieren. Das ist für einen vom Volk gewählten Abgeordneten höchst unbefriedigend.

(Beifall von der CDU)

Es widerspricht auch unserer Verfassung. Es stellt alle Tatsachen und alle Bilder, die die Väter und die Mütter unserer Verfassung hatten, auf den Kopf. Hier wackelt der Schwanz mit dem Hund.

Der Landtag ist der Haushaltsgesetzgeber. Wir sind aufgerufen, die Schwerpunkte zu setzen. Deshalb wählen wir auch eine Ministerpräsidentin oder einen Ministerpräsidenten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es wäre also reines Schattenboxen, wenn die Opposition sich auf den Weg machen würde, den mit einem Jahr Verspätung vorgelegten Haushaltsentwurf jetzt noch grundlegend überarbeiten zu wollen. Das haben wir bereits in der Einbringungsdebatte diskutiert. Das haben übrigens auch die Debatten in den Fachausschüssen und im Haushalts- und Finanzausschuss in der letzten Woche gezeigt. Da gibt es keine wesentlichen Korrekturmöglichkeiten mehr.

Allerdings gibt es im hier zu beratenden Einzelplan 20 drei wesentliche Positionen, die politisch zu diskutieren und zu entscheiden sind, nämlich zunächst die in diesem Einzelplan veranschlagten Einnahmen in Höhe von 170 Millionen € aus den Schul- und Studienfonds, die nicht aufkommen werden. Da sind weiterhin die zu erwartenden zusätzlichen Einnahmen des Landes aus einem Sondereffekt beim Länderfinanzausgleich und den Bundesergänzungszuweisungen in einem Volumen von rund 600 Millionen €.

Der Finanzminister hat das Parlament darüber informiert, dass auch er inzwischen zu der Erkenntnis gelangt ist, dass die in diesem Haushaltsentwurf eingeplanten Einnahmen aus den Schul- und Studienfonds jedenfalls in 2012 nicht mehr fließen werden. Er hat das auch in einer Presseerklärung am vergangenen Dienstag ausdrücklich wiederholt. Das bedeutet: Wir haben diesen Titel zu streichen.

Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen ganz ausdrücklich meinen Respekt dafür aussprechen, dass sie heute mit einem kurzfristigen Änderungsantrag die 170 Millionen € streichen wollen und eine entsprechende Deckung über Mehreinnahmen aus dem Länderfinanzausgleich vorschlagen. Denn Sie korrigieren damit nicht nur die seit Dezember 2011 im Haushaltsentwurf stehenden Luftbuchungen der Regierung, sondern Sie setzen sich damit auch von Ihrer eigenen Beschlussfassung vom vergangenen Donnerstag im Haushalts- und Finanzausschuss ab, die Sie dort noch auf Empfehlung der Regierung vorgenommen hatten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushaltsplan muss nicht nur beim Beschluss im Rahmen der dritten Lesung in Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen sein, er muss es auch heute sein. Denn sonst gäbe es einen Verstoß gegen unsere Landesverfassung. Deshalb ist der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen richtig und wichtig.

Die zu erwartenden Mehreinnahmen von etwa 600 Millionen € aus einem Sondereffekt des Länderfinanzausgleichs stehen nicht nur zur Deckung der ausstehenden 170 Millionen € zur Verfügung, sondern sie können auch – das haben wir im Ausschuss vorgeschlagen – zur Absenkung der Nettoneuverschuldung auf gut 4,2 Milliarden € eingesetzt werden. Diesen Vorschlag hatte uns der Finanzminister seinerzeit ebenfalls übermittelt.

Ob es am Ende nun 600 oder 598 Millionen € sind – die noch eintretenden, möglicherweise geringfügigen Korrekturen aus der Abrechnung des Bundes sind jedenfalls kein schlagendes Argument, den Antrag hier heute nicht zu stellen. Auch hierbei wäre eine Korrektur angezeigt.

Im Ergebnis zeigt diese Haushaltsberatung: Es wird höchste Zeit, dass sich die Landesregierung wieder auf den festen Boden des Haushaltsverfassungsrechts zurückbewegt. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen erwarten völlig zu Recht, dass sich Landesregierung und Landtag an die Verfassung halten. Mit welchem Recht fordern wir denn von den Menschen die Befolgung aller geltenden Gesetze, zum Beispiel auch der Steuergesetze, Herr Minister, wenn die Landesregierung selbst nur ein eher taktisches Verhältnis zur Rechtsordnung an den Tag legt?

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: Oh! – Stefan Zimkeit [SPD]: Wie oft habt ihr denn vorm Verfassungsgericht verloren?)

Wo sie nicht stört, wird die Verfassung anstandslos beachtet, ansonsten werden die sonderbarsten Auslegungen der Verfassung konstruiert, um sich möglichst an unbequemen Vorgaben vorbeizuhangeln –

(Zuruf von der SPD: Reden Sie gerade über die letzten Haushalte von Schwarz-Gelb?)

immer in der Hoffnung, dass niemand etwas merkt oder wenigstens niemand etwas sagt. Genau das werfen Sie, Herr Finanzminister, doch sonst immer anderen Personenkreisen vor. Schauen Sie mal in den Spiegel!

(Heiterkeit von Minister Dr. Norbert Walter-Borjans)

Ich fasse zusammen: Den Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen werden wir nachher zustimmen. Den Einzelplänen 12 und 20 sowie dem Haushaltsgesetz können wir allerdings in der vorliegenden Form insgesamt nicht zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Optendrenk.

Bevor ich Herrn Kollegen Börschel für die SPD-Fraktion das Wort erteile, möchte ich zum weiteren Fortgang der Debatte noch einmal erläutern, dass die Einzelpläne 12 und 20 gemeinsam debattiert werden und dass wir zwei getrennte Teilbereiche ausgewiesen haben. Dementsprechend wurden Wortmeldungen vorgenommen. Selbstverständlich können die Fraktionen in eigener Entscheidungsfreiheit darüber befinden, ob ein Redner die komplette Redezeit verwendet und dabei beide Teilbereiche debattiert oder ob man die Zeit aufteilt.

Der Kollege Optendrenk hat zu beiden Bereichen geredet, hat aber noch 43 Sekunden Redezeit. Für den Fall, dass Sie nachher noch einmal das Wort ergreifen möchten, lasse ich Sie zum zweiten Teilbereich noch auf der Rednerliste.

(Zustimmung von Dr. Marcus Optendrenk [CDU])

Das sage ich nur, weil nicht ganz klar ersichtlich ist, wie sich die Fraktionen verhalten. – Herr Kollege Börschel, bitte.

Martin Börschel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Optendrenk, Sie haben völlig zu Recht gesagt, dass der heute vorliegende, in zweiter Lesung zur Beratung anstehende Haushaltsentwurf der Regierung durchaus denkwürdige Dimensionen hat. Sie haben allerdings viel Kreativität und Auslegungsgabe bei der Begründung der Denkwürdigkeit bewiesen. Ich will Ihnen drei andere entgegenhalten.

(Dr. Marcus Optendrenk [CDU]: Gut!)

Sie haben zu einem Teil halb recht. Natürlich hat der letzte, der abgelehnte Haushaltsentwurf zu Neuwahlen geführt. Wenn Sie allerdings nicht die von Herrn Minister Jäger eben angesprochene gelöschte Festplatte hätten, hätten Sie ergänzen müssen: Dieser Haushalt 2012 ist auch deswegen historisch, weil er zu einer sehr überzeugenden rot-grünen Mehrheit und zu einer historischen Wahlniederlage der CDU geführt hat.

(Beifall von der SPD und von Mehrdad Mos­to­fizadeh [GRÜNE])

Zur Ehrlichkeit gehört, das auch zu sagen.

Zum Zweiten hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen ausdrücklich festgestellt, dass der Zeitplan dieses heute zu beratenden Haushaltsgesetzentwurfs überhaupt und in gar keiner Weise zu beanstanden ist. Wir haben durch die Neuwahlen, die zu dem von Ihnen beklagten Ergebnis geführt haben, keinen anderen Zeitplan einhalten können. Insofern verdrehen sie hier Ihre Argumentation, wenn Sie ein Urteil heranziehen, das mit dem jetzt vorgelegten Haushalt überhaupt nichts zu tun hat.

(Widerspruch von Dr. Marcus Optendrenk [CDU])

Der Verfassungsgerichtshof hat ausdrücklich gesagt, dass der Zeitplan in Ordnung ist.

Die Beratungen dieses Haushaltsentwurfs sind in einer dritten Hinsicht wirklich denkwürdig: Es ist seit langer Zeit der erste Haushaltsentwurf, an den ich mich erinnern kann, bei dem die Opposition – in diesem Fall die CDU – keinen einzigen inhaltlichen sachlichen Vorschlag zur Veränderung des Haushalts gemacht hat.

(Heiterkeit von der SPD – Dr. Marcus Optendrenk [CDU] deutet auf ein Schriftstück auf seinem Platz.)

Das ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Deswegen ist dies in der Tat ein denkwürdiger Umstand, den Sie, Herr Kollege Optendrenk, sich hier entgegenhalten lassen müssen.

(Beifall von der SPD)

Wo sind Ihre Vorschläge? Einer zu den Schul- und Studienfonds ist rein technischer Natur. Dazu hatte Ihnen die Regierung ja selbst mitgeteilt, dass trotz Fortschritten im Verfahren kassenwirksam im Jahr 2012 mit einer Vereinnahmung nicht zu rechnen sei.

(Zuruf von der CDU: Das hat Herr Schemmer gesagt!)

Dann nehmen Sie das auf Ihre Kappe und wollen daraus einen Änderungsantrag machen. Wenn das Ihre Kreativleistung ist, tun Sie mir leid. Sie haben im Grunde nur abgeschrieben, was Ihnen der Finanzminister längst übergeben hat.

Was ist denn mit Ihren großspurig angekündigten Vorschlägen zur Wiedereinführung von Studiengebühren? Von Ihrem damaligen Spitzenkandidaten Röttgen wurde das wieder abgeblasen, und jetzt wissen Sie nicht mehr, was Sie machen sollen. Das ist ein völliger Eiertanz.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Auch dazu kein Vorschlag.

Was ist mit Ihren ergänzenden Vorschlägen zum Einstieg in die Elternbeitragsfreiheit von Kindertagesstätten? Auch davon ist nichts zu hören.

Insofern, meine ich, sollten Sie hier Ihren Mund nicht so weit aufreißen, indem Sie Regierung und regierungstragende Fraktionen kritisieren.

(Beifall von der SPD)

Vor allem gilt das, wenn Sie vorhalten, dass Sie die Regierung das eine oder andere Mal zum Verfassungsgerichtshof gebracht haben: In der Tat Nachtragshaushalt 2010, erster von Rot-Grün eingebrachter Haushalt. Das waren ja gar nicht Sie, sondern die Linken, was den Zeitplan angeht, 2012. So oft wie Sie in Münster waren und mit Ihrer damaligen schwarz-gelben Regierung verloren haben: Das wird diese rot-grüne Regierung bei Weitem nicht schaffen, und wenn sie noch so lange regiert. Stammgast in Münster wie Sie werden wir nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Richtung stimmt also. Bereinigt um den Sondereffekt WestLB-Restrukturierung haben wir es hier mit einer Nettoneuverschuldung von 3,6 Milliarden € zu tun. Die Regierung hat angekündigt, die Schuldenbremse 2020 selbstverständlich in den möglichen Schritten einzuhalten.

Dass die Schritte nur so möglich sind, wie die Regierung sie jetzt in der Mittelfristplanung vorgelegt hat, daran tragen Sie von Schwarz-Gelb ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung. Wenn Sie uns nämlich nicht zum Beispiel die Altlast beim Kinderförderungsgesetz überlassen hätten, und zwar im Umfang von etlichen Hundert Millionen, die Sie – übrigens: das mussten wir vom Verfassungsgericht so feststellen lassen – den Kommunen rechtswidrig entzogen haben, müsste diese Regierung das jetzt nicht korrigieren, wie wir das in den nächsten Tagen tun werden. Das war eigentlich Ihre Pflicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Lasten aus der Phoenix-Garantie – Hunderte Millionen Euro in den nächsten Jahren –, die die Regierung daran hindern, einen noch steileren Abstieg in Richtung der Neuverschuldungsgrenze Null 2020 zu schaffen, sind doch Ihre Altlast. Das ist doch Ihre Verantwortung, die Sie der jetzigen Regierung und den regierungstragenden Fraktionen hinterlassen haben. Deswegen meine ich, ein weiteres Mal sollten Sie den Mund nicht zu voll nehmen.

Insgesamt bringen wir heute drei Änderungsanträge zum Einzelplan 20 bzw. zu einem Ressort-Einzelplan ein.

Die Schul- und Studienfonds – das habe ich gerade schon angedeutet – sind trotz guter Gespräche eben noch nicht etatreif und kassenwirksam.

Wir gehen davon aus, dass wir die Leistungen an die Kommunen aus dem von der schwarz-gelben Regierung verlorenen Streit vor dem Verfassungsgerichtshof schon im Haushaltsjahr 2012 in einem höheren Umfang auszahlen wollen. Auch dafür stellen wir heute durch einen Antrag die Rahmenbedingungen her.

Wir gehen auch davon aus, dass wir im Länderfinanzausgleich mit Mehreinnahmen rechnen können. Wir wissen noch nicht ganz genau, wie groß die Summe ist. Das werden wir bis zur dritten Lesung wissen und dann mit einer Restsumme auch beantragen. Das kündigen wir jetzt hier und heute schon an.

Was wir aber wissen, ist, Herr Kollege Optendrenk, dass Ihr Vorgänger seinerzeit auch bei dem Thema „Länderfinanzausgleich“ den Mund ziemlich voll genommen hat. Ich darf Sie, da Sie ihm ja nicht nur persönlich, sondern, ich glaube, auch örtlich sehr verbunden sind, bitten, ihm die schönen Grüße von uns zu überbringen. Herr Weisbrich möchte sich gern daran erinnern lassen, dass er in der Plenarsitzung am 21. Dezember 2011 dem Herrn Kollegen Körfges eine Wette angeboten hat, auf die dieser mutigerweise auch eingegangen ist. Der Wetteinsatz bestand in einer Kiste Rotwein. Da Herr Weisbrich die verloren hat und Herr Kollege Körfges sich hat überreden lassen, die dem Arbeitskreis HFA zu spenden, bitte ich darum, dass Sie ihn um eine besonders gute Kiste Rotwein bitten.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Der Inhalt der Wette bestand schlicht und einfach darin, dass Herr Weisbrich vollmundig hier in den Raum geworfen hatte, die von der Regierung in Ansatz gebrachten Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich seien viel, viel zu hoch angesetzt. Jetzt dürfen wir noch einmal ein paar Hundert Millionen Euro kassieren. Insofern: Grüße an Herrn Weisbrich. Vielen Dank für den Wein. Wir trinken schon jetzt auf ihn und auf Sie. Prost und vielen Dank!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Börschel. – Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute bei diesen Haushaltsberatungen wird einmal mehr deutlich: Der Gründungsfehler der rot-grünen Koalition ist der Glaube an das Märchen der vermeintlich guten Schulden. Die Achillesferse dieser Regierung ist ihr Verstoß gegen elementare Grundsätze der generationengerechten Politik.

Ob die bundesweit großzügigsten LPVG-Freistellungen, das Sozialticket, Gratis-Kita oder kostenloses Studium: Rot-Grün serviert das eine Wahlgeschenk auf Pump nach dem nächsten und legt damit den Staat immer weiter an die Ketten unkalkulierbarer Finanzmärkte.

So können Sie sicherlich das grundgesetzlich vorgeschriebene Ziel der Schuldenbremse 2020 nie erreichen.

Dabei, Herr Finanzminister, sind Sie, was die äußeren finanzpolitischen Rahmenbedingungen angeht, eigentlich der Glücksritter dieser Nation. Aber Sie schaffen es eben nicht, diesen Elfmeter auch zu verwandeln, und wollen es in Wahrheit auch gar nicht.

In einer lange andauernden Phase rekordverdächtiger Steuermehreinnahmen und historisch niedriger Zinsen sowie bei der Ausgabenbremse durch die vorläufige Haushaltsführung in diesem Jahr häufen Sie den größten Schuldenberg in der Landesgeschichte Nordrhein-Westfalens an. Herr Finanzminister, wann und wie, wenn nicht bei diesen Idealbedingungen, wollen Sie den Haushalt denn ansonsten noch so leicht wieder konsolidieren?

(Beifall von der FDP)

Sie sehen in Ihrem Haushaltsentwurf eine Kreditermächtigung von 4,6 Milliarden € vor, 4,6 Milliarden € für neue Schulden. Sie wollen damit den Schuldenberg in fast derselben Größenordnung erhöhen, wie dies auch in den letzten Jahren der Fall gewesen ist. Eine signifikante Rückführung der jährlich zusätzlichen Neuverschuldung ist dabei nicht erkennbar.

Dabei hat sich die Einnahmesituation doch grundlegend geändert. Sie erhalten an Steuern voraussichtlich 6,3 Milliarden € mehr, als dies im Jahr 2010, dem Jahr Ihres Amtsantritts, geplant gewesen ist. Für eine Absenkung der Neuverschuldung bleibt davon aber bei Ihnen fast nichts sichtbar übrig.

In dieser Situation reden Sie, Herr Finanzminister, auch noch von weiteren Steuererhöhungen, von Vermögensabgaben, oder Sie reden Umverteilungsplänen das Wort.

Wir sagen Ihnen als FDP-Landtagsfraktion: Wir haben kein objektives Einnahmeproblem, sondern das gravierende Problem dieser Landesregierung ist mangelnde Haushaltsdisziplin, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das zeigt Ihnen ja auch der Bundesländervergleich. Für dieses Jahr 2012 planen sechs Flächenländer mit ausgeglichenen Haushalten oder zahlen sogar in Teilen schon Altschulden zurück. NRW plant selbst in der Finanzplanung heute schon festgeschrieben für das Jahr 2015 in Ihrer Prognose noch eine Neuverschuldung von 2,7 Milliarden € ein.

Vergleicht man die Pro-Kopf-Verschuldungssituati­on aller Flächenländer inklusive ihrer Gemeinden, stellt man fest: 2011 wird Nordrhein-Westfalen mit Schulden von über 10.000 € pro Einwohner nur noch vom Saarland übertroffen.

Herr Finanzminister, dieser Haushalt steckt voller Risiken, er ist fragil. Kleinere Zinssteigerungen lassen den Schuldendienst leicht explodieren. Bereits in der aktuellen Niedrigzinsphase werden von Ihnen jedes Jahr 4 Milliarden € nur für Zinsen und Zinseszinsen verbrannt.

Was passiert eigentlich zukünftig mit wichtigen Feldern wie Bildung, Innovation, Verkehrsinfrastrukturprojekte, wenn die Besoldung der Bediensteten und die Zinsen auch nur in kleinen Margen steigen?

Außerdem haben wir das Ihnen bekannte Problem der Landesbeteiligungen. Nach allen Ihnen heute bekannten Informationen zu den Schrottpapieren bei Phoenix, zur Entwicklung bei den EAA und der Portigon AG wissen Sie, dass die WestLB-Abwick­lung wohl noch um einiges teurer wird, als bislang öffentlich eingeräumt.

Sie haben sich im Juni 2012 von den Mehrheitseigentümern über den Tisch ziehen lassen. Deshalb müssen Sie sich natürlich die Ergebnisse dessen, was Sie Mitte des Jahres verabredet haben, auch zurechnen lassen, und zwar auch, was die zukünftig entstehenden Kosten anbelangt; denn die Steuerzahler müssen nun die Zeche dafür berappen.

Der BLB befindet sich in umfänglichen Untersuchungen der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes im wahrscheinlich größten Bauskandal in der Landesgeschichte Nordrhein-Westfalens.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Warum leisten wir uns weiterhin einen solchen Betrieb, der seine Dienste oft teurer anbietet als der Markt?

Und auch in anderen Landesbetrieben steckt noch viel Optimierungspotenzial. – Herr Kollege, ich bin sehr gespannt auf Ihre Reformvorschläge zu den Landesbetrieben in dieser Legislaturperiode. All das zeigt aber doch, …

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Frau Ministerpräsidentin, die Erkenntnisse der staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen, die ich angesprochen habe, liegen seit Kurzem in der ersten Tranche auf dem Tisch. Wir werden weitere gewinnen. Das sollte doch auch die Debatte bei Ihnen befördern.

Frau Ministerpräsidentin, wenn Sie eines sehen können, dann doch das, dass der Staat eben nicht der bessere Unternehmer ist und vor allem, dass er nicht erfolgreicher agiert als der Markt. Die öffentliche Hand scheitert mit gravierenden Belastungen und Nachteilen für den Steuerzahler, wenn sie diese Rolle spielt.

(Beifall von der FDP)

Für uns als FDP-Landtagsfraktion ist klar: Das Land muss endlich seine Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Es besteht ein struktureller Konsolidierungsbedarf im Landeshaushalt in der Größenordnung von Milliarden. Ohne ein Konzept für einen der Aufgabenkritik folgenden Bürokratieabbau werden sich neue haushalterische Gestaltungsspielräume für Zukunftsinvestitionen, die wir dringend brauchen, nicht erreichen lassen.

Anstatt dass sich Rot-Grün dieser Herausforderung stellt, werden seit Amtsantritt dieser Regierung aber umgekehrt gerade für grüne Ministerien Hunderte neuer Planstellen geschaffen.

Vor dem Hintergrund ernsthafter Zahlen und Fakten ist es unerlässlich, dass wir jetzt endlich zeitnah beginnen, den Haushalt strukturell in Ordnung zu bringen. Das bedeutet, dass das Land in Zeiten einer durchschnittlichen konjunkturellen Lage, einer Normallage, auch in der Lage sein muss, ohne neue Schulden auszukommen. Eigentlich ist das eine schlichte Selbstverständlichkeit. So ist der Zustand ab 2020 auch rechtlich verbindlich durch die Schuldenbremse vorgesehen.

Es ist eine Frage der Zukunftsfähigkeit, der Nachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit, dass nicht nur jeder einzelne Bürger sein Leben nicht auf Basis von Pump gründen kann, sondern dass dieses Prinzip selbstverständlich auch für das Gemeinwesen, für unser Land Nordrhein-Westfalen, gilt, meine Damen und Herren.

Sie haben eine unvergessliche Anhörung zu diesem Haushalt erlebt, weil Ihnen nämlich dort vonseiten der Wissenschaft, vonseiten sämtlicher Experten in Bezug auf die Eckwerte Ihrer Haushaltsplanung Kritik vorgehalten wurde. Ein Sparhaushalt wird nämlich von dieser rot-grünen Regierung gar nicht erst angestrebt. In Wahrheit ist die rot-grüne Umverteilung eine viel zu schwere Hypothek für die nächsten Generationen und eine permanente Überforderung unserer Gesellschaft. Es sind dann leider die Kinder und Enkelkinder, die mit Zins und Zinseszins für diese verantwortungslose Schuldenpolitik einstehen müssen. Diesen Weg kann und wird die FDP-Landtagsfraktion nicht mitgehen.

Herr Finanzminister, wenn Sie nicht schnellstens das Ruder herumwerfen, geraten Sie in einen kaum noch umkehrbaren Schuldnerverzug. Diese Situation muss vermieden werden. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Witzel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Abgeordneter Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Witzel, dass Sie hier im Landtag in der Haushaltsrede mit dem Thema „BLB“ kommen, hätte ich mir in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können, wo doch die schwarz-gelbe Landesregierung so eindeutig von vorne bis hinten Verantwortung für den Bau­skandal trägt, den Sie hier als den größten Bauskandal in der Landesgeschichte beschreiben. Das finde ich wunderbar.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die FDP setzt dem Ganzen aber noch darüber hinaus die Krone auf. Sie ist zumindest nach Zeitungsberichten – ich habe mich auch noch einmal bei Frau Beer vergewissert – die einzige Fraktion, die sich bis zum heutigen Tage nicht klar zu einem Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung des Skandals des BLB bekannt hat. Das passt ganz besonders gut zusammen, Herr Kollege.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielleicht – weil Sie auch diese Retrodebatte heute geführt haben – noch eine Bemerkung zur WestLB. – Auch das ist ein unglaubliches Verständnis von der Trennung von Steuerzahlerinnen und Menschen in diesem Lande. Ich bestreite, dass der Finanzminister bzw. die Landesregierung über den Tisch gezogen worden sind; aber das haben wir alles diskutiert. Herr Kollege Witzel, Sie müssen mir einmal erklären, wo der Unterschied liegt, ob die Nordrhein-Westfalen die Kosten, die für das Land entstehen, als Sparkassenkundinnen und -kunden – immerhin sind 70 % der Nordrhein-Westfalen Kundinnen und Kunden bei einer Sparkasse – oder als Steuerzahler bezahlen.

Eines möchte ich – wir haben auch noch eine Fragestunde zu dem Thema – hinzufügen. Die Art und Weise der Mäkelei und des Herumkrittelns an der Abwicklung der WestLB und an der Weiterführung der Portigon, das Kritisieren in einer solchen Perfidie – das hat uns im Ausschuss Stunden gekostet hat und wird uns auch jetzt im Parlament Stunden kosten –, ist diesem Parlament nicht zuträglich. Vor allem kann es – ich hoffe, dass es dazu nicht kommt – dazu führen, dass weitere erhebliche Kosten hinzukommen, nicht, weil Sachverhalte aufgedeckt werden, sondern weil Sie die Politik madig reden und diesem Unternehmen keine Chance geben. Das finde ich ziemlich neben der Spur.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Auf die Verfassungsklagen hat der Kollege Börschel eben schon hingewiesen. Gerade heute reparieren wir ja noch einige Auswirkungen der von Schwarz-Gelb verlorenen Verfassungsklagen. Beim U3-Ausbau werden heute etwa 200 Millionen € nachgezahlt werden müssen, ohne dass ein Mehrwert entsteht. Das sind 200 Millionen €, die Sie den Kommunen schlicht aus der Tasche gezogen und wo Sie in Münster krachend verloren haben.

Das Gleiche gilt für den Einheitslastenausgleich. Auch dort haben Sie sich gerühmt, Geld gespart zu haben durch die Klage gegen den Nachtragshaushalt. Auch das ist vom Verfassungsgericht im Folgenden abgeräumt worden. Sie sind doch der große Verlierer vor dem Verfassungsgericht.

Ich finde es schon beschämend, eine Aussage derart zu machen, die Landesregierung hätte ein taktisches Verhältnis zur Verfassung. Das weise ich entschieden zurück, und das entspricht auch nicht der Wahrheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben eben von Steuergeschenken auf Pump gesprochen, Herr Kollege Optendrenk und Herr Kollege Witzel.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Betreuungsgeld!)

Drei Tage nach dem beeindruckenden Koalitionsgipfel in Berlin

(Vereinzelt Heiterkeit von den GRÜNEN und der SPD)

wäre ich ganz vorsichtig mit solchen Äußerungen.

(Beifall von der SPD)

Wenn jemand in einer derart beschämenden und dreisten Art und Weise nicht nur Klientelpolitik betreibt, sondern durchsichtig zugunsten der Bundesländer Niedersachsen und Bayern, wo es auf der Kippe steht, wo die Bundesregierung auf der Kippe steht, eine Klientelpolitik auf Pump, auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler betreibt und das dann drei Tage später der Landesregierung vorwirft,

(Christian Lindner [FDP]: Was meinen Sie genau?)

ist das, wie ich finde, schon ein grotesker Spagat, den Sie hier an den Tag legen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

– Herr Kollege Lindner, weil Sie gerade dazwischenrufen: Sie haben es nicht versäumt, sozusagen noch vor Tagesfrist darauf hinzuweisen, dass das Betreuungsgeld Unsinn ist. Aber was dem Ganzen die Krone aufsetzt, ist, dass der Bundesvorsitzende der FDP, Herr Rösler, dem Sie gerne nachfolgen wollen, Herr Kollege Lindner,

(Christian Lindner [FDP]: Nein! – Heiterkeit und Zuruf von der SPD: Das bitte unbedingt ins Protokoll!)

vor der Presse sagt: Wir haben durch die verspätete Einführung des Betreuungsgeldes etwa 750 Millionen € gespart. – Das ist doch unfassbar! Das ist ungefähr so, als wenn ich mir ein Auto nicht kaufe, das ich mir nicht leisten kann, um dann meiner Familie zu verkünden: Ich habe 20.000 € gespart, ich bin der große Held. – Das ist doch unglaublich!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielleicht noch einen Satz zu Herrn Kollegen Witzel. 95 % Ihrer Rede ist ein ideologischer Textbaustein, den ein FDP-Politiker, der ansonsten zum Haushalt nichts beizutragen hat, oftmals vortragen muss.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Aber das schließt unmittelbar an das an, was Sie in Berlin abgezogen haben. Sie haben nicht nur Klientelwahlkampf zugunsten von Niedersachsen und Bayern gemacht – die 1 Milliarde, die Herr Ramsauer extra bekommt, wird ja nicht breit über das Bundesgebiet verteilt, sondern landet zu wesentlichen Teilen wieder in Niedersachsen und Bayern, wie es bisher auch der Fall gewesen ist. Vielmehr haben Sie den Bundestagswahlkampf ideologisch zugespitzt. Sie lassen keinen Tag aus, um zu sagen, dass die Energiewende deswegen nicht zustande kommt, weil die erneuerbaren Energien so furchtbar teuer sind. Sie sind dermaßen ideologisch auf dem Feldzug und haben sich in Schwarz-Gelb eingemauert, dass das wirklich nur noch zulasten der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land geht.

(Christian Lindner [FDP]: Das sagt ausgerechnet ein Grüner!)

Ich wäre auch gerne bereit, heute eine Wette anzunehmen, dass dieser Spuk im Herbst nächsten Jahres Gott sei Dank ein Ende haben wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, dieser Haushalt – ich habe das in der ersten Lesung angesprochen; deswegen und weil der Kollege Börschel bereits auf die wesentlichen Punkte hingewiesen hat, werde ich es kurz machen – ist nachvollziehbar und solide finanziert. Er setzt die richtigen Schwerpunkte,

(Lachen von der FDP)

und vor allem ist es nach wie vor richtig, dass wir in Bildung, in ökologischen Umbau und in soziale Gerechtigkeit investieren und dass wir gleichzeitig die Neuverschuldung herunterfahren.

Sie, Kolleginnen und Kollegen von der FDP, haben nicht einmal technische Anträge zum Haushalt gestellt; Sie haben sich damit begnügt, ideologischen Kleinkram hier vorzutragen. Sie haben nicht konstruktiv zu den Haushaltsberatungen beigetragen. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Sie an der Stelle auch nicht ganz glaubwürdig.

Noch einen Satz zu den Piraten. Herr Kollege, wenn Sie diese Argumentation wirklich ernst meinen, dass wir, weil wir in diesem Jahr 600 Millionen € Mehreinnahmen aus dem Länderfinanzausgleich haben, den Verbundsatz um 1 % heraufsetzen sollen, dann haben Sie sicherlich auch noch zugehört, als der Finanzminister vorgetragen hat, dass im nächsten Jahr natürlich ein gegenteiliger Effekt eintritt und durch die gestiegene Steuerkraft die Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich entsprechend heruntergehen werden.

Sollen wir dann im nächsten Jahr den Verbundsatz bei den Kommunen um 2 % senken, um das wieder auszugleichen? Ist das verlässliche Politik? – Ich würde eher sagen: Sie haben schlicht keine Ahnung von dem Thema und sollten diesen Antrag nicht noch einmal hier vortragen.

(Zurufe von den PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Generaldebatte war angekündigt worden, aber außer einigen Hinweisen zum Verfassungsgericht ist von der CDU eigentlich nichts gekommen. Insofern will ich auch meine Redezeit nicht komplett ausschöpfen.

Dieser Haushalt ist sinnvoll, zukunftsfähig, und deswegen werden wir ihm geschlossen zustimmen. Auf die Änderungsanträge hat Herr Kollege Börschel schon hingewiesen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mostofizadeh. – Für die Piratenfraktion spricht der Abgeordnete Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Kollege Mostofizadeh, in Bezug auf das „Keine-Ahnung-Haben“ müssen wir noch mal gucken, vor allen Dingen dann, wenn wir uns zusammensetzen und die Besetzung des Schuldenraumschiffs besprechen. Wir sollten ja – das war Ihre Anregung im Haushalts- und Finanzausschuss – die Schulden am besten auf den Mond schießen; dann kommen wir klar.

(Beifall von den PIRATEN)

Was die Gemeindefinanzierung und die Erhöhung des Verbundsatzes angeht: Auch das ist natürlich nicht ganz richtig; denn eines müssen wir ganz deutlich sehen: Die 600 Millionen € zusätzliche Bundeszuweisungen und die Erhöhung der Mittel aus dem Länderfinanzausgleich sind ja eigentlich nichts anderes als ein glückliches Geschenk. Wenn ich so in die mittelfristige Finanzplanung schaue …

(Zuruf von der SPD: Oh Gott!)

– Ja, nun, damit war nicht unbedingt zu rechnen; sonst hätten Sie es im Haushalt 2012 bereits eingerechnet. Das ist ja nicht der Fall.

(Beifall von den PIRATEN)

Bei der mittelfristigen Finanzplanung bis 2015 rechnen Sie ja auch, und zwar nicht ohne Weiteres konjunkturbedingt, mit jährlichen Mehreinnahmen in Höhe von immerhin 2 Milliarden allein aus Steuern. Wie die konjunkturelle Entwicklung verläuft, müssen wir abwarten.

Aber wir haben, werter Kollege, nicht nur die Refinanzierung unserer Forderung nach Erhöhung des Verbundsatzes über diesen Länderfinanzausgleich vorgeschlagen. Das ist ja gar nicht der Fall.

Wir müssen die ganze Sache vielmehr grundsätzlich angehen. Da fangen wir doch damit an, dass wir als eine kleine Oppositionspartei mit gar nicht so großen Forderungen angetreten sind, die aus dem laufenden Haushalt – ohne Berücksichtigung der Sondereffekte, die jetzt nachträglich zum Ende des Haushaltsjahres 2012 erkennbar werden – bereits finanziert sind; ich komme gleich dazu.

Wir befinden uns in einem nicht verfassungsgemäßen Haushaltsberatungsverfahrens. Das wissen wir jetzt. Das ist uns auch vom Kollegen Dr. Opten­drenk eben eingehend erläutert worden. Wir sind möglicherweise Profiteure dieser Situation – denn wer weiß, was gewesen wäre, wenn Ende 2011 der Haushalt 2012 bereits beschlossene Sache gewesen wäre – oder auch nicht. Wir wissen es nicht.

Fakt ist: Wir sind jetzt da und werden selbstverständlich in der Zukunft genau aufpassen, wann hier die Haushalte eingebracht werden und wie die Beratungsverfahren laufen. Das sind wir als Piraten, als Bürgerrechtspartei, den Bürgern des Landes Nordrhein-Westfalen schlicht und ergreifend schuldig.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir haben es nun mit einem Haushalt zu tun, der im Frühjahr 2012 scheiterte. Wir haben es mit einem Resthaushalt für faktisch einen Monat zu tun. Und das alleine ist schon sehr bedauerlich. Das heißt: Wir befinden nunmehr über einen Haushalt mit, der eigentlich schon erledigt ist. Das ist nicht so besonders schön, aber wir müssen es trotzdem tun. Das ist formaljuristisch korrekt.

Aber wir nehmen diesen Haushalt auch als Indikator für die anstehenden Beratungen für den Haushalt 2013. Auch da werden selbstverständlich entsprechende Forderungen gestellt.

Wir haben im Haushalts- und Finanzausschuss leider erfahren müssen, dass unsere relativ geringfügigen „Mehrforderungen“ rundherum abgelehnt worden sind. Man fragt sich ernsthaft, warum das der Fall ist. Ich komme im Einzelfall gleich darauf zurück.

Wir haben es nämlich hier mit einem Haushalt zu tun, der Personalausgaben in Höhe von rund 22 Milliarden € und gestiegene Zuweisungen und Zuschüsse an Gemeinden und dergleichen von insgesamt 23,6 Milliarden € ausweist. Dessen eingedenk und unter Berücksichtigung weiterer Aspekte sind dann letztendlich die geringfügigen Forderungen schlicht und ergreifend nicht so hoch.

Auch wenn es im Haushalts- und Finanzausschuss geheißen hat – Herr Kollege Börschel hatte es erwähnt –, wenn das die Hand wäre, die wir Ihnen reichten, dann wäre das nicht in Ordnung, dann könnten Sie da nicht mitmachen, erkläre ich Ihnen gleich, wie Sie gleichwohl doch mitmachen könnten, um insbesondere den Städten und Gemeinden zu helfen, etwas mehr aus dem Schuldensumpf herauszukommen.

Bereits mehrfach wurde heute die konjunkturbedingte Mehreinnahme von 600 Millionen € aufgegriffen. Der Finanzminister hat nun in einer Presseerklärung verlautbaren lassen, dass diese 600 Millionen € in erster Linie zur Deckung der Milliarde Mehraufwand im Zusammenhang mit der einen Milliarde Portigon-Rückabwicklung bzw. Re­strukturierung WestLB verwandt werden solle. Weitere 400 Millionen € sollen irgendwie aus irgendwelchen Kreditmitteln aufgebracht werden.

Fakt ist also: Die 600 Millionen € kommen rein buchhalterisch dem Landeshaushalt glücklicherweise im Nachhinein zugute. Wir müssen sehen, dass die eine Milliarde, die im Haushalt nun einmal verbucht ist, auch unter Umständen die Milliarde ist, die Sie, Herr Finanzminister, im nächsten Jahr vielleicht einsparen wollen. Das ist natürlich eine feine Sache.

Wir haben es hier mit einem Haushalt mit einer Nettoneuverschuldung von rund 4,7 Milliarden € …

(Minister Dr. Norbert Walter-Borjans: 4,6 Milliarden €!)

– Bitte? – 4,6 Milliarden, ganz genau. – Die Landesregierung hat angekündigt, sie wolle die Haushaltsverschuldung pro Jahr um eine Milliarde senken.

Im Vergleich von 2012 zu 2013 ist das simpel möglich, weil nämlich die eine Milliarde Portigon nächstes Jahr nicht mehr anfällt, sie muss gar nicht mehr im Haushalt angesetzt werden, und schon haben wir eine Milliarde weniger.

Das ist natürlich eine feine Sache, vor allem wenn man bedenkt, dass die Mehreinnahme von 600 Millionen € in diesem Jahr ohnehin schon zur Tilgung dieser einen Milliarden bzw. zur Deckung dieser einen Milliarde verwandt wird, anstatt sie für das Land Nordrhein-Westfalen, für die Bürger des Landes einzusetzen. Denn wir wissen noch gar nicht, wie die Risiken, die sich aus Portigon und WestLB-Rückabwicklung ergeben, sich letztendlich über die Jahre verteilen. Der Kollege Stein hat in seiner ersten Rede wohl gesagt: Da müssen wir ganz gewaltig aufpassen, ob uns nicht die ganze Geschichte in den nächsten drei, vier Jahren um die Ohren fliegt.

Wir müssen uns und vor allem die Landesregierung fragen, wie sie – und davon müssen wir ausgehen – ab 2013 die Nettoneuverschuldung herunterschrauben und gleichzeitig die den Städten und Gemeinden gegebenen und vor allen Dingen auch alle anderen im Koalitionsvertrag enthaltenen Versprechungen einhalten will.

Es liegen natürlich die Themen Bildung und Inklusion auf dem Tisch. Wir Piraten haben im Haushalts- und Finanzausschuss die Forderung nach Anhebung der Lehrerstellen um 400 gestellt. Das ist nun wirklich nicht die Welt, wenn man bedenkt, dass sich diese Landesregierung in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, den Schulfrieden in die Praxis umzusetzen und darüber hinaus auch noch die Inklusion durchzuführen.

Wenn Sie also wie im Haushalts- und Finanzausschuss möglicherweise auch hier im Plenum diesen Antrag ablehnen, müssen die vorhandenen Lehrer nicht nur den Schulfrieden schultern, sondern zusätzlich auch noch die ganze Inklusion. Das können wir selbstverständlich so nicht mitmachen. Deswegen werden wir auch weiter dafür sorgen, dass die Forderung nach Anhebung der Bildungsausgaben gerade in Bezug auf die Lehrerstellen in der Welt bleibt.

(Beifall von den PIRATEN)

Es kann nicht sein, dass das Land NRW von irgendwelchen Prestigeobjekten und irgendwelchen Dingen im Koalitionsvertrag lebt, ohne dass die Städte und Gemeinden, die Bildungseinrichtungen und dergleichen gestärkt werden.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

– Ja, Herr Körfges, Sie kommen vielleicht gleich noch einmal an die Reihe. Ich meine, Sie haben noch Redezeit; ich bin mir nicht ganz sicher. Ich habe noch zwei Minuten. Die reichen völlig.

Entscheidend ist Folgendes: Die Forderung nach Erhöhung der Verbundquote wie auch all die anderen, von uns aufgestellten Forderungen in Höhe von 470 Millionen € führen nicht zu einer Erhöhung der Schuldenlast des Landes, sondern sie sind bereits refinanziert.

Egal wie Sie es sehen – wir sehen es so: Die 600 Millionen € Mehreinnahmen müssen Sie als Investition in das Land Nordrhein-Westfalen verwenden. Sie haben nun einmal im Haushalt die eine Milliarde für die Portigon angesetzt. Sie wird durch Neuverschuldung refinanziert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie bereits im Jahr 2012 die Neuverschuldung genau um diese 600 Millionen €, die Sie nämlich im Jahre 2012 an Mehreinnahmen haben, verringern.

Sie dürfen eines nicht vergessen: Sie rechnen ja auch in den Folgejahren zum Beispiel die globale Minderausgabe in die Verringerung der Schuldenlast ein. Im nächsten Jahr tun Sie das schon mit 550 Millionen €. Wir haben dieses Jahr 750 Millionen € globale Minderausgabe. Sie wird nirgendwo für uns ersichtlich hineingerechnet. Somit sind unsere Vorschläge, die im Haushalts- und Finanzausschuss abgelehnt worden sind, auf jeden Fall gedeckt.

(Beifall von den PIRATEN)

Jetzt kommt noch ein entscheidender Punkt hinzu: Wir haben auch die Forderung auf Reduktion der Kostenansätze für den Rückbau des Hochtemperaturreaktors in Hamm-Uentrop erhoben. Ich bin gespannt, warum Sie das abgelehnt haben. Sie haben schließlich im Koalitionsvertrag stehen, dass genau diese Kosten durch Verhandlungen mit den Betreibern reduziert werden sollen, was im Übrigen auch die 24 Millionen € Verpflichtungsermächtigungen betrifft.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch da sind Sie also nicht einmal auf die Einsparungsvorschläge eingegangen, die Sie im Koalitionsvertrag haben. Ergo sieht es im Endeffekt ganz einfach so aus: Weil Sie im Haushalts- und Finanzausschuss unsere Anträge mit geringfügigen Forderungen für sinnvolle Finanzierungen des Landes Nordrhein-Westfalen, für investive Ausgaben in den Städten und Gemeinden abgelehnt haben, fordern wir letztendlich – dafür gibt es auch noch eine dritte Lesung – eine Reduktion der Nettoneuverschuldung von 4,6 auf 4,1 Milliarden €, nämlich um genau den Betrag der Mehreinnahmen in diesem Jahr. Wir werden das auch weiterhin tun. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Wir kommen zum

     Teilbereich
Haushaltsgesetz

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Zimkeit.

Stefan Zimkeit (SPD): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um das als Erstes deutlich zu machen: Das Landesverfassungsgericht hat mitnichten festgestellt, dass das jetzt laufende Haushaltsverfahren verfassungswidrig ist. Es hat ausdrücklich festgestellt, dass aufgrund der Neuwahlen die entsprechenden Haushaltsberatungen später stattfinden können. Wer hier etwas anderes behauptet, der kann dieses Urteil nicht richtig gelesen haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Witzel, Sie haben zur Verschuldung die Ländervergleiche herangezogen. Sie behaupten in diesem Zusammenhang, es gäbe in Nordrhein-Westfalen kein Einnahmeproblem.

Wenn man sich die Ausgaben pro Kopf in Nordrhein-Westfalen mit etwa 3.300 € im Jahr ansieht, erkennt man, dass wir damit am Ende der Flächenländer liegen. Dies macht doch deutlich, dass Nordrhein-Westfalen nicht in erster Linie ein Ausgaben-, sondern auch ein Einnahmenproblem hat. Wir brauchen deshalb auch eine gerechtere Steuerpolitik, die über Vermögensabgabe und anderes zu Mehreinnahmen für das Land führt.

Sie wollen den Haushalt ausschließlich auf der Ausgabenseite konsolidieren. Sie stellen das hier immer dar, als hätten Sie für den Haushalt den Stein der Weisen und Lösungen für die Haushaltsprobleme gefunden. Wenn Sie solche wirklich haben, dann legen Sie diese endlich einmal auf den Tisch. Ihre Anträge dazu, wo entsprechende Einsparungen erfolgen sollten, fehlen vollkommen. Bisher gibt es dazu eine völlige Fehlanzeige.

Da wir vorhin über Wetten geredet haben, möchte ich auch eine anbieten. Da ich nicht so gerne Wein trinke, sondern lieber Bier, würde ich um eine Kiste Bier wetten. Ich bin der festen Überzeugung, umsetzbare Vorschläge, die den Haushalt auf der Ausgabenseite konsolidieren, werden in diesen Haushaltsberatungen weder von der FDP noch von der CDU kommen.

(Beifall von der SPD)

Wir setzen zur Haushaltskonsolidierung weiter auf den Dreiklang, den wir verfolgt haben und den wir auch in diesem Haushalt verfolgen: Zukunftsinvestitionen in Bildung und Kommunen, die zu Einsparungen führen werden. Wir wollen gerechte Mehreinnahmen über eine gerechte Steuerpolitik. Und wir werden auch weiter den Weg der Einsparungen gehen.

Ich bin sehr gespannt – insbesondere dann, wenn die Vorschläge zum Haushalt 2013 auf den Tisch kommen –, wie die Fraktionen, die jetzt so stark nach Einsparungen rufen, reagieren werden. Bisher betreiben Sie ja eine andere Politik. In dieser Debatte, die wir jetzt zum Haushalt führen, reden Sie darüber, dass eingespart und dass der Haushalt konsolidiert werden muss. In den Debatten in den Ausschüssen kommen aber dann wie wahrscheinlich auch in den Debatten zu den Einzelplänen die Hinweise, wo überall noch mehr Geld ausgegeben werden sollte. Sie fordern mehr Geld für Inklusion, mehr Geld für die Unis, mehr Geld für die Kommunen, mehr Geld für den U3-Ausbau und mehr Geld für die Polizei. Diese Rechnung geht dann nicht auf. Diese Art der doppelten Buchführung werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Piraten scheinen ja den Ansatz gefunden zu haben, dass Sie im Rahmen dieser Haushaltsdebatte des alten Entwurfes für die Linken nachgerückt sind und eine ähnliche Ausgabenpolitik betreiben wollen, nämlich erhöhte Mehrausgaben ohne wirkliche Deckungsvorschläge. Eines ist doch klar: Was Sie hier als kurzfristige Deckungsvorschläge vorlegen, trägt nicht nachhaltig zur Konsolidierung des Haushaltes bei und kann deswegen keine Lösung sein.

Der vorliegende Haushalt setzt die richtigen Schwerpunkte. Er hat die richtige Balance zwischen Zukunftsaufgaben in Kinder, Bildung und Kommunen und der Haushaltskonsolidierung. Deswegen werden wir ihm und dem Haushaltsgesetz selbstverständlich zustimmen. Jetzt habe ich langsamer geredet, weil ich nun keine Redezeit mehr habe.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zimkeit. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass man an seine eigenen Ideen glaubt, ist gut. Von mir aus, Herr Witzel, glauben Sie auch an Ihre eigene Ideologie. Nur: Wenn dabei der Blick für die Realität dermaßen verlorengeht, dann wird das besorgniserregend. Das gilt vor allem dann, wenn offenbar jede Erinnerung an eigenes Versagen verlorengeht. Was Sie heute über den BLB erzählt haben, schießt wirklich den Vogel ab. Wie kann es sein, dass das schwarz-gelbe Desaster mit dem Landesarchiv in Duisburg in einer so billigen Weise auf Rot-Grün umlackiert wird. Jeder weiß doch, wer da die Verursacher sind.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Optendrenk, es ist schön, wie Sie das mit der Verfassung gebetsmühlenartig wiederholen. Ich bedauere den Ausgang dieses Verfahrens, weil wir – das habe ich auch im Haushalts- und Finanzausschuss gesagt – mit bestem Wissen diesen Zeitplan für einen gehalten haben und halten, den wir wegen der damit verbundenen Umstände nicht anders auf die Reise schicken konnten. Das Verfassungsgericht ist zu einem anderen Ergebnis gekommen. Das ist zu respektieren, und daraus sind Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Denn auch in der Vergangenheit – und zwar nicht nur in der rot-grünen – ist die Vorjährigkeit der Haushaltsaufstellung anders interpretiert worden, und zwar als Soll-Vorschrift. Das Verfassungsgericht hat uns in dem Zusammenhang eines Besseren belehrt. Damit werden wir umgehen.

Was ist denn mit der KiFöG-Entscheidung? Was ist denn mit dem Einheitslastenabrechnungsgesetz? Wie viele dreistellige Millionenbeträge habe ich in diesem Haushalt zu verarbeiten, die Folge einer Niederlage der schwarz-gelben Regierung vor dem Verfassungsgericht sind?

(Beifall von der SPD)

Würde ich es mir genauso einfach machen wie Sie, würde ich sagen: Das ist das taktische Verhältnis, das Sie zur Verfassung haben. – Wenn wir uns anschauen, wie schwarz-gelbe Regierungen mit der Verfassung umgehen, wobei man genau weiß, dass Schritte unternommen worden sind, bei denen sich jeder bewusst sein konnte, dass sie wider die Verfassung laufen – das gilt zum Beispiel für das Bundestagswahlgesetz –, dann wissen wir. wer hier möglicherweise ein taktisches Verhältnis zur Verfassung haben kann.

(Beifall von der SPD)

Ich muss noch einmal auf die etwas bemerkenswerte Sichtweise von Herrn Witzel zurückkommen, und zwar nicht nur auf den BLB bezogen: Herr Witzel, der Rolle, die Sie als steuerungslose Missile in der Landespolitik haben, sind Sie erneut vollauf gerecht geworden. Denn was dort in den letzten Wochen und Monaten nicht nur in einer Fülle spekulativer Behauptungen in Kleinen Anfragen über die Bühne gegangen ist – sogar bewusst so beschriebenen Spekulationen über Portigon, Sparkassen, die WestLB – und in die Öffentlichkeit gelangt ist, ist – das kann ich Ihnen sagen – letzten Endes kein Schaden für die Landesregierung, sondern vielmehr ein Schaden für das Land.

Ich will das nur einmal anhand der Behauptungen beschreiben: Es ist schön und gut, wenn Sie immer wieder die Legende des Kniefalls vor den Sparkassen wiederholen wollen. Aber auch an der Stelle sollten Sie die Realität nicht einfach ausblenden. Wir werden in den nächsten Jahren hohe Beträge für die Garantien für Phoenix in den Haushalt einstellen müssen. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass die Vorsorge, die dafür im Sondervermögen getroffen worden ist, zu klein war und Sie sie mit Verfassungsbeschwerden zerschossen haben, sondern das hängt auch damit zusammen, dass Garantien von 5 Milliarden € zu 4 Milliarden € vom Land und zu 1 Milliarde € von den Sparkassen übernommen worden sind, und zwar ganz bewusst, weil das Land mehr schultern wollte.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass mir Herr Lindner in einer der Sitzungen zum Haushalt gesagt hat: Weil wir so weit entgegengekommen sind, müssen Sie sich anders verhalten. – Das ist natürlich eine schöne Art und Weise, damit umzugehen, anschließend zu sagen: Die Sparkassen sind zu gut behandelt worden.

In Bezug auf die Bankenunion werden wir es heute erneut ansprechen, und ich bleibe dabei: Wir brauchen die Drei-Säulen-Kreditwirtschaft in Deutschland. Dabei sind die Sparkassen eine ganz wichtige Größe. Wir werden dafür zu sorgen haben, dass die Sparkassen ihren Anteil an den Lasten zu tragen haben, aber auch nicht überlastet werden. Sie spielen nämlich eine wichtige Rolle in der Kreditversorgung vor allen Dingen der mittelständischen Wirtschaft in diesem Land.

(Beifall von der SPD)

Ich will jetzt nicht noch einmal auf all das im Einzelnen eingehen, was wir in diesem Haus mittlerweile schon mehrfach diskutiert haben. Aber zumindest zu diesen platten Behauptungen mit der höchsten Verschuldung möchte ich sagen: Neun Länder haben im Augenblick eine Pro-Kopf-Verschuldung, die geringer als die von Nordrhein-Westfalen ist. Sechs Länder haben eine höhere Pro-Kopf-Verschuldung. 15 der 16 Länder haben höhere Pro-Kopf-Ausgaben in ihren Haushalten.

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

– Wie sieht es denn dann mit Bayern, Baden-Württemberg und den anderen großen Ländern aus? Die gehören ganz genauso dazu. Im Übrigen gibt es eine ganze Menge von Untersuchungen, aus denen deutlich wird, dass der Skaleneffekt eben nicht in dem Maße zieht, wie Sie das behaupten.

Ich rede aber nicht davon, dass wir unter den kleinen Bundesländern die niedrigsten Ausgaben haben, sondern wir haben sie unter allen Ländern. Es gibt auch noch das eine oder andere Bundesland, das annähernd die Größe von Nordrhein-Westfalen hat.

(Widerspruch von Christian Möbius [CDU])

Sie wollen mir jetzt mit Sicherheit nicht erzählen, dass Bayern höhere Pro-Kopf-Ausgaben hat, weil es ein so kleines unbedeutendes Land ist?

Sie sprechen aber auch davon, wie viele Länder ausgeglichene Haushalte haben. Vergegenwärtigen Sie sich doch bitte einmal, dass die Bundeskanzlerin Länder wie beispielsweise Sachsen für ihren ausgeglichenen Haushalt lobt, das aus dem Länderfinanzausgleich mehr als 3 Milliarden € bekommt, während Nordrhein-Westfalen immer noch netto 2,2 Milliarden € an andere abgibt. Dazu stehen wir. Wir gehören nicht zu denen, die deswegen vor das Verfassungsgericht ziehen. Wir sagen nämlich: Verträge, die bis 2019 geschlossen sind, sind zu halten. Man muss sich dann aber auch anschauen, wie man Ungleichgewichte angeht.

Würden wir an die anderen nicht 2 Milliarden € abgeben, hätten wir es mit einer ganz anderen Situation zu tun und könnten in kürzester Zeit einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Das Problem ist nur: Die Decke ist insgesamt zu kurz. Im Moment ziehen die anderen sie sich über die Füße. Würden wir das so wie Bayern machen, hätten wir wieder warme Füße, aber andere Füße würden rausgucken. Das ist das Problem.

Damit kommen wir direkt zum Einnahmenproblem. Natürlich haben wir auch auf die Ausgaben zu schauen und zu überlegen, was wir überarbeiten müssen und wo wir effizienter handeln können. Das tun wir und haben es schon Schritt für Schritt in der mittelfristigen Finanzplanung angelegt.

Aber es bleibt dabei: Es gibt auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite Defizite, an denen wir arbeiten müssen. Wer den Menschen vorgaukelt, man könne einfach die Ausgaben herunterschrauben und würde damit den Haushalt sanieren, der nährt das wirklich neoliberale Gefühl, dass der Staat eigentlich gar nichts machen muss, nichts auszugeben braucht, weil er dann keine Schulden macht. Sie tun so, als würde das bei den kleinen Leuten und den Menschen insgesamt im Land nicht hängen bleiben!

(Beifall von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir haben einen Haushalt vorgelegt, der einschließlich der Belastung in Höhe von 1 Milliarde € für die WestLB 4,6 Milliarden € neue Kredite ansetzt. Wir haben gesagt: Zieht man den Betrag von 1 Milliarde € ab, der keine strukturellen Auswirkungen hat, geht es um 3,6 Milliarden €. Wir sind auf dem Weg, von 5,9 Milliarden €, die uns die alte Landesregierung im Jahr 2010 hinterlassen hat, auf 4,8 Milliarden € im Jahr 2011 über 3,6 Milliarden € plus 1 Milliarde € im Jahr 2012. Wir haben in der bisherigen mit diesem Haushalt verbundenen mittelfristigen Finanzplanung einen Zielwert von ungefähr 2 Milliarden € im Jahr 2017. Im Jahr 2015 werden es 2,6 Milliarden € sein, in denen allerdings ein hinterlassener Betrag in Höhe von 900 Millionen € aus Phoenix enthalten ist, den wir abzuarbeiten haben, weil im Nachtragshaushalt 2010 die Vorsorge dafür nicht geschaffen werden durfte.

Das heißt, wir haben die bessere Einnahmensituation dafür genutzt, die Schulden Stück für Stück herunterzufahren. Da hier immer wieder gesagt wird, das sei doch kein Sparhaushalt, betone ich noch einmal: Es geht nicht um einen Sparhaushalt, sondern es geht um einen ausgeglichenen Leistungshaushalt. Schließlich hat das Land Leistungen zu erbringen, und das Sparen ist nicht die alleinige Devise. Vielmehr geht es darum, einen Haushalt auszugleichen, der die Aufgaben enthält, die das Land zu erfüllen hat und die für die Sicherung der Zukunft der Menschen in diesem Land wichtig sind. Genau so gehen wir vor, genau das machen wir, und genau das spiegelt dieser Haushalt wider.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will jetzt nicht in aller Breite darauf eingehen, wie ein Wort von der schwarz-gelben Bundeskoalition in Misskredit gebracht worden ist. Ich meine das Wort „strukturell“. Sie behaupten, sie wollen 2014 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorweisen. Das ist eine Mogelpackung. Denn sie ergreifen keinerlei Sparmaßnahmen, sondern greifen lediglich den Töchtern des Bundes, wie beispielsweise der KfW, dem Gesundheitsfonds und anderen, in die Tasche und rechnen sich so reich. Gleichzeitig ignorieren sie die Dinge, die sie zugunsten Europas leisten müssten, und kehren sie unter den Teppich. Und dann sagen sie: Schaut mal her! Wir haben den Haushalt ausgeglichen.

So will ich einen Haushalt nicht vorlegen. So werden wir den Haushalt nicht vorlegen. Wir werden ihn ehrlich konsolidieren, meine Damen und Herren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich möchte darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 33 Sekunden überzogen hat.

(Zurufe: Oh!)

Insofern steht diese Redezeit auch den anderen Fraktionen zu.

Mir liegt nun eine Wortmeldung des Kollegen Optendrenk von der CDU-Fraktion vor.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Jetzt kommt das Sahnehäubchen!)

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da der Minister in den letzten Minuten seiner Rede durchaus wieder eine sehr bemerkenswerte Mattenflucht in die Bundespolitik hingelegt und nicht über den Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen gesprochen hat,

(Beifall von der CDU und der FDP)

möchte ich noch eine Bemerkung zu dem Aspekt „Phoenix“ und den Hinterlassenschaften – Herr Börschel und der Minister haben es angesprochen – machen.

Sie sind auf die Hinterlassenschaften eingegangen. Diese Hinterlassenschaften resultieren aber nicht aus der Garantie des Phoenix-Portfolios oder aus der EAA. Vielmehr sind diese Hinterlassenschaften mit der WestLB, den Namen Neuber, Schleußer und Rau und einer Staatswirtschaftspolitik der 80er- und 90er-Jahre verknüpft.

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dieses Landes bezahlen jetzt für die verfehlte Industriepolitik einer SPD-geführten Landesregierung, die meinte, das Land Nordrhein-Westfalen sei am besten versorgt, wenn es der SPD gehöre.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Insofern, Herr Minister, bitte ich doch herzlich darum, dass wir Geschichtsklitterung vermeiden.

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Die Abwicklung der WestLB ist beispielsweise die Folge eines Verfahrens in Brüssel, das mit der nicht auskömmlichen Verzinsung der Integration des Wfa-Vermögens in die WestLB im Jahre 1991 ihren wesentlichen Ausgang gefunden hat. Da haben Sie – Sie waren damals durchaus an verantwortlicher Stelle mit dabei, zumindest was die Informationspolitik anbelangt – eine Verzinsung von 0,6 % angesetzt, die nicht marktkonform war. Das ist nachher korrigiert worden. Das ganze Desaster, das wir heute haben und das der Steuerzahler ausbadet, ist die Folge der Politik – ich wiederhole die Namen – von Neuber, Schleußer und Rau in den 80er- und 90er-Jahren.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Martin Börschel [SPD]: Sagen sie doch was zu Schwarz-Gelb!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Optendrenk. – Für die FDP-Fraktion hat sich der Abgeordnete Witzel gemeldet.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann nahtlos an meinen Vorredner anknüpfen.

Erstens. Hier ist die Frage aufgeworfen worden: Wie sieht es mit der Sinnhaftigkeit von Änderungsanträgen zu diesem Haushalt aus? Wenn dieser Haushalt vollzogen werden kann, weil er im Gesetzesblatt der Landesregierung steht, dann sind bereits elf Zwölftel der Ausgaben erfolgt. Wenn wir Ihnen hier all unsere Vorschläge und Anträge vorlegen würden, wo wir sparen können – wir haben über Kita-Gebühren gesprochen, wir haben über Studienbeiträge gesprochen –, dann würden Sie als Erste hier stehen und sagen: Das ist unseriös, weil elf Zwölftel des Geldes schon weg sind. – Das wäre dann Ihre Argumentation. Aber diese Debatte führen wir in all ihren Details 2013.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ein Zweites fand ich auch sehr bemerkenswert. Herr Finanzminister, dass Ihnen das ganze Thema „WestLB“ unangenehm ist, sehe ich schon so. Aber wir als Opposition haben hier in diesem Haus einen Verfassungsauftrag zu erfüllen und Oppositionspolitik zu machen, die berechtigt ist. Es geht hier um Milliardenverluste, die eingetreten sind. Sie selber haben den Schaden für den Steuerzahler auf 18 Milliarden € beziffert. Es gibt jedoch gute Anhaltspunkte dafür, dass es noch einiges mehr sein könnte.

Wenn die Opposition ihrem Verfassungsauftrag hier nachkommt, kritische Nachfragen zu stellen, die eine Regierung vielleicht nicht gerne hört, und die auch diejenigen, die Entscheidungen zu treffen haben, nicht als Bereicherung empfinden, die aber angesichts der Milliardensummen, um die es für unser Land geht, nicht unter den Tisch gekehrt werden dürfen und thematisiert werden, wenn hier also Entscheidungen beleuchtet werden, die ganz originär Auswirkungen in Milliardenhöhe auf den Landeshaushalt haben, dann ist das urparlamentarisch.

Schaden richten nicht die Parlamentarier an, die sich für die Aufgabenwahrnehmung von Landesbeteiligungen interessieren. Geschadet haben der WestLB die letzten zehn Jahre all die Barone, die Ihnen Herr Dr. Optendrenk gerade genannt hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Witzel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht zunächst zum Kollegen Optendrenk. Was Hinterlassenschaften anbetrifft, so haben Sie eine ganz große Hinterlassenschaft aus der jüngsten Vergangenheit, nämlich den Landtagswahlkampf 2012.

(Henning Höne [FDP]: Lenken Sie doch nicht ab! – Lachen von der SPD)

Der Kollege Laumann – ich komme gleich zu Ihnen, keine Angst – wird zum U3-Ausbau mit den Worten zitiert:

„Ehrlicherweise merkt der CDU-Sozialpolitiker an: ‚Wir hätten es wohl auch nicht schaffen können.‘“

Zuvor hatte er sich lange darüber ausgelassen, wie schlecht die Landesregierung beim U3-Ausbau ist.

Jetzt zur anderen Hinterlassenschaft, Herr Kollege: Die Studiengebühren würde Herr Kollege Laumann sofort wieder abschaffen. Es ist ja sehr interessant, dass er das vorträgt. Aber der ehemalige Ministerpräsident Rüttgers, dem sich ja viele von der CDU immer angeschlossen haben, hat Herrn Rau mit folgenden Worten zitiert:

„Sagen, was man tut, und tun, was man sagt.“

Das gilt zumindest nicht für die CDU in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Witzel kann es ja mit den Zahlen und Zeiten nicht so ganz. Ein anderer Punkt ist aber viel wichtiger: Diese schwarz-gelbe Landesregierung hat den BLB-Skandal von 2005 bis 2010 von vorne bis hinten zu verantworten. Es ist sogar so – wir werden das im Untersuchungsausschuss nachweisen –, dass die Landesregierung im Kabinett – das haben wir bereits im Unterausschuss „Landesbetriebe und Sondervermögen“ besprochen – trotz des Hinweises der Juristen aus dem BLB, dass die Kosten extrem nach oben gehen werden, entschieden hat, weiter zu bauen und die Mittel dafür bereitzustellen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt nicht sehr lange zurück. Dies ist ein Riesenskandal, der Ihnen an der Backe hängt. Hierfür müssen Sie sich verantworten, und Sie sollten das nicht mittels einer Umetikettierung Rot-Grün vor die Füße werfen. Im Untersuchungsausschuss werden wir wahrscheinlich noch ganz andere Vorgänge feststellen.

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

Herr Kollege Möbius, warum regen Sie sich so auf? Haben Sie auch etwas mit der Sache zu tun? Auch das werden wir vielleicht feststellen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Optendrenk und Herr Möbius, zum Thema „Geschichtsklitterung“ nur zwei Punkte. Das eine ist: Wann sind die Papiere, die heute in Phoenix abzuarbeiten sind, gekauft worden? Da hat sich die WestLB vollgesaugt, als es darum ging, die Braut aufzuhübschen, um sie anschließend teuer verkaufen zu können, was ihnen anschließend auch noch misslungen ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Sie sich ansehen, in welcher Zeit der CDS-Bestand bei der NRW.BANK aufgewachsen ist, dann werden Sie eine gewisse Parallelität feststellen.

Herr Möbius, Sie sagen, das Desaster beim Landesarchiv in Duisburg sei aufgrund der falschen Strukturen des BLB in der Vergangenheit gemacht worden. Hierzu muss ich sagen: Das ist so ähnlich, als wenn der Dieb, der tief in die Kasse greift, sich darüber beschwert, dass sie jemand offenstehen gelassen hat. Hierzu kann ich nur sagen: Das haben Sie vergeigt, und dabei müssen Sie auch bleiben.

Das Thema „WestLB“, Herr Witzel – da muss ich Sie korrigieren –, ist für mich nicht unangenehm. Ich glaube, dass wir für manche Landesbank, die in der Zukunft noch Probleme haben wird und diese lösen muss, eine Blaupause geliefert haben. Wenn Sie aber in dieser Weise in der Öffentlichkeit Spekulationen verbreiten und sich dahinter verstecken, das seien Sie den Steuerzahlern und den Wählern schuldig, dann muss ich sagen, dass Sie Ihren Auftrag schlicht und ergreifend nicht begriffen haben, denn Sie verursachen Schaden für die Bank, für den Steuerzahler und das Land.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit die Beratung zu den Einzelplänen 12 und 20.

Wir kommen zur Abstimmung. Erstens stimmen wir ab über den Einzelplan 12. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Beschlussempfehlung Drucksache 16/1212, den Einzelplan 12 unverändert anzunehmen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen und der Einzelplan 12 in zweiter Lesung verabschiedet mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Piratenfraktion

(Zurufe: Enthaltungen!)

bei einigen Enthaltungen.

Zweitens lasse ich abstimmen über den Änderungsantrag Drucksache 16/1318 zum Einzelplan 20. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag angenommen mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei unterschiedlichem Abstimmungsverhalten der CDU-Fraktion, der Piraten und bei Enthaltung der FDP-Fraktion.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wir stimmen nun über den Änderungsantrag Drucksache 16/1319 ab. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Damit ist der Änderungsantrag angenommen mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei zum großen Teil Nichtbeteiligung der Fraktion der Piraten.

Die Gesamtabstimmung über den Einzelplan 20 und das Haushaltsgesetz werden wir wie üblich und mehrfach angekündigt erst morgen nach Abschluss der Beratung über alle Einzelpläne vornehmen.

Ich rufe nun auf:

     Einzelplan 03
Ministerium für Inneres und Kommunales

Ich gebe einen Hinweis auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 16/1203.

Ich eröffne die Beratung und erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Kruse das Wort.

Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wahrscheinlich werden die Beratungen zum Einzelplan 03 heute nicht die Wirkungen haben wie die am 14. März dieses Jahres, in deren Verlauf der Landtag aufgelöst wurde.

Ja, Rot-Grün hat eine satte und stabile Mehrheit, die vieles ermöglicht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Doch diese Landesregierung sowie die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen werden weder ihren Gestaltungsmöglichkeiten noch ihrem Gestaltungsauftrag gerecht. Sozusagen alle öffentlichen Haushalte in Nordrhein-Westfalen sind überschuldet. Wir müssen in der Tat von einer Überschuldungskrise sprechen. Es brennt lichterloh. Jeder weiß das eigentlich. Wir stehen vor erheblichen Veränderungsnotwendigkeiten. Und bis heute – das muss ich so feststellen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün – haben Sie keinen einzigen strukturellen Sparvorschlag unterbreitet.

Ganz ohne Frage haben Sie, Herr Minister Jäger, in den letzten Monaten auch bundesweit durch unterschiedliche Maßnahmen und Aktionen an Popularität gewonnen. Ich sage Ihnen, Herr Minister Jäger, wir stehen an Ihrer Seite, wenn es um die Stabilität unserer Demokratie, wenn es um die Bekämpfung des Naziterrors, wenn es um die Bekämpfung des Rechts- und des Linksextremismus geht und wenn es heißt: Null Toleranz gegenüber Gewalt. – Bei all dem haben Sie uneingeschränkt unsere Unterstützung.

Aber Sie tragen als zuständiger Fachminister seit nunmehr zweieinhalb Jahren auch eine besondere Verantwortung für die innere Ordnung und für den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft insgesamt.

Nordrhein-Westfalen ist, was die Zahl der Straftaten und die Aufklärungsquote betrifft, das Flächenland mit den schlechtesten Werten in Deutschland: Mit ca. 1,5 Millionen registrierten Straftaten und einer Aufklärungsquote von deutlich unter 50 % befindet sich die Kriminalität weiterhin auf einem unerträglich hohen Niveau.

Sie, Herr Minister, reagieren auf bestimmte Kriminalitätsentwicklungen öffentlichkeitswirksam mit Aktionsprogrammen. Das kann man so machen. Notwendig wäre aus unserer Sicht aber ein schlüssiges Gesamtkonzept, mit welchen langfristig ausgerichteten Maßnahmen Sie eine deutliche Verringerung der Zahl der Straftaten und eine deutliche Verbesserung der Aufklärungsquote erreichen wollen. Bis heute fehlt hier jede Perspektive. Das gilt auch für den Bürokratieabbau. Hier registrieren wir im Verlauf der letzten zwei Jahre eher einen Aufbau als die notwendige Verschlankung des Staates.

Unsere Polizei hat die uneingeschränkte Rückendeckung durch die Politik verdient. Wir wissen, dass die Belastungsgrenze im täglichen Einsatz häufig überschritten wird. Auch deswegen brauchen wir eine neue Bewertung aller seitens der Polizei zu erfüllenden Aufgaben. Bis heute – nach zweieinhalb Jahren – Fehlanzeige!

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, am 31. Dezember 2011 gab es in Nordrhein-Westfalen mehr als 441.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst des Landes bei einer Personalkostenquote von mehr als 44 % und einer Personalsteuerquote von mehr als 63 % bei stetig steigenden Pensionslasten.

Auch vor dem Hintergrund dieser dramatischen Entwicklung hält die CDU-Fraktion es für unverantwortlich, die dringend erforderliche große Reform des öffentlichen Dienstrechts auf die sogenannte lange Bank zu schieben und nur einige wenige Anpassungen vorzunehmen.

In knapp fünf Minuten Redezeit kann man nur wenig ansprechen und wenig diskutieren. Deswegen abschließend, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Die rot-grüne Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen leisten aus Sicht der CDU-Fraktion keinen Beitrag zur Verringerung der Staatsschulden und zur dringend notwendigen Konzentration auf die Kernaufgaben des Staates. Deswegen lehnt die CDU-Fraktion den Einzelplan 03 ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Kollege Kruse. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Kollege Stotko.

Thomas Stotko (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kruse hat es kurz angesprochen: Vor genau 34 Wochen stand ich genau an diesem Platz und kämpfte für den ersten zu behandelnden Einzelplan. Ich schöpfte meine damaligen zehn Minuten Redezeit fast vollständig aus, weil ich die Hoffnung hatte, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Sie überzeugen zu können, dem Haushalt zuzustimmen.

(Zurufe von der FDP: Oh, oh!)

Die Piraten hätten, wenn sie schon dagewesen wären, vermutlich zustimmt. Aber die konnten der Rede ja nicht lauschen.

Die Konsequenzen kennen wir alle. Mich haben zahlreiche Kolleginnen und Kollegen und auch Mitarbeiter in diesem Haus angesprochen und gesagt: Bitte, Herr Stotko, geben Sie sich diesmal ein bisschen mehr Mühe, damit der Haushalt funktioniert! – Ich sage es mal so: Wenn die Beteiligung in den anderen Fraktionen weiter so gering bleibt, wird das sowieso kein Problem sein. Da wir nach der Landtagswahl jetzt aber dankbarerweise über ausreichende Mehrheiten verfügen, wird es diesmal wohl auf jeden Fall gelingen.

Bereits im März 2012 habe ich den damaligen Entwurf des Einzelplans 03 gelobt. Er hat in der neuen Form kaum Veränderungen erfahren. Wie es sich für gutes Haushalten gehört, sind nunmehr die Kosten der Landtagswahl in Höhe von 15,5 Millionen € enthalten, die nicht angefallen wären, hätten Sie sich damals von mir überzeugen lassen.

Richtigerweise werden den Bezirksregierungen 800.000 € aus den Stärkungspakt-Mitteln zugewiesen, um damit Personal zu beschäftigen und den Kommunen in der wichtigen Frage der Konsolidierung und des Stärkungspaktes zu helfen.

Schließlich will ich erwähnen, auch wenn ich nicht der kommunalpolitische Sprecher bin – so ist diese kommunalfreundliche Regierung nun mal –: 2 Millionen € gibt es für die Anbindung der kommunalen Leitstellen an den Digitalfunk. Das ist eine wichtige Veränderung. Die Kommunen und die Kreise sind uns sehr dankbar für diese Hilfe.

Ich könnte jetzt auf die Investitionen in neu gekaufte Streifenwagen, auf die knapp 100 Millionen € für den allgemeinen Digitalfunk oder auf das Projekt „Kurve kriegen“ mit 9 Millionen € verweisen, welches unsere Politik der Prävention weiterhin stärkt. Aber ich möchte hier noch auf einen anderen Punkt eingehen, nämlich auf 10.000 unbearbeitete DNA-Proben.

Herr Kollege Kruse, ich habe bereits im Ausschuss darauf hingewiesen. In Ihrer Zeit ist es Ihnen gelungen, über 10.000 DNA-Proben nicht untersuchen zu lassen, sodass Strafverfahren nicht vorankommen. Wir erhöhen diesen Ansatz nun auf 8,2 Millionen € und werden den größten Teil davon abbauen.

Lieber Kollege Schulz und lieber Kollege Schatz, Sie können ja noch darauf eingehen: Von den Piraten gibt es den Antrag, genau diese Mittel nicht zur Verfügung zu stellen. Das erstaunt mich durchaus. Sie wollen, dass letztlich über 4.000 DNA-Proben nicht untersucht werden und damit Strafverfahren hier in Nordrhein-Westfalen nicht vorankommen können. Mich interessiert, wie Sie das begründen wollen.

Sie fordern auch weiterhin die Aufstockung auf 1.700 Einstellungen, also 6 Millionen € mehr für die Polizei. Dass ich Ihnen da Nachhilfe geben muss, erstaunt mich jedes Mal aufs Neue. Dies ist der Haushalt 2012, Herr Kollege Schatz. Darin sind bereits 1.400 Einstellungen enthalten. Das Geld, das Sie in den Haushalt einstellen wollen, wird im Jahr 2012 mit keinem Cent mehr helfen. Hätten Sie ein bisschen mehr Ahnung von dieser Materie, hätten Sie diesen Antrag erst gar nicht gestellt.

Kollege Kruse, Sie erlauben mir, dass ich einmal auf die Kriminalität eingehe. Sie fordern in dieser Frage ein schlüssiges Konzept des Innenministers und sagen: Publikumswirksame Sachen reichen mir nicht aus. – Ich will daran erinnern, was Ihr Innenminister seinerzeit gemacht hat – ja, das tut Ihnen weh, dass wir auf die Vergangenheit hinweisen –: Er hat die Zahlen der Kriminalitätsstatistik geschönt, hat manches nicht mehr aufgenommen und damit die Statistik verfälscht und reduziert. Ich erwarte von einem Innenminister etwas anderes. Das war Ihr schlüssiges Konzept gegen Kriminalität.

Da ich nur fünf Minuten Redezeit habe und die Zeit schnell vergeht, möchte ich jetzt noch zwei Punkte betonen, die mir enorm wichtig sind.

Erstens: die Flüchtlingslage in der Welt. Die steigende Zahl von Menschen, die nicht nur in Nordrhein-Westfalen Hilfe suchen, stellt nicht nur unser Land, sondern auch die Kommunen vor große Herausforderungen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den Kommunen, die größtenteils große Bereitschaft zur Mithilfe gezeigt haben, und den Hilfsorganisationen, vorneweg dem Technischen Hilfswerk und dem Roten Kreuz, für ihre tolle ehrenamtliche Arbeit, mit der sie Menschen ohne Obdach, ohne Speisen und mit viel Angst helfen, danken.

(Beifall)

– Danke! Das ist, glaube ich, ein Applaus aller Fraktionen in diesem Saal; aber damit will ich nicht kokettieren.

„Mein“ Rotes Kreuz war selber nach zahlreichen Tagen zurückgekehrt und freute sich gerade auf die Familien, als erneut ein Einsatz kam. Alle sind mit dem gleichen Engagement und dem gleichen Ehrgeiz wieder nach Unna-Massen gefahren und betreuen dort die Flüchtlinge. Das ist ein wichtiger Punkt. Denn nicht nur das Ehrenamt wird dadurch Belastungsproben ausgesetzt, sondern auch die Menschen, die den Flüchtlingen helfen. Umso wichtiger ist es, dass wir die Mittel auch in 2012 wieder zur Verfügung stellen.

Zweitens – hiermit komme ich auf meinen Redeanfang zurück –: Ich finde es genauso unerträglich wie wohl alle Parlamentarier in Deutschland, dass es selten gelingt, einen Haushalt rechtzeitig im jeweiligen Vorjahr zu verabschieden. Doch die Verantwortung für diesen Haushalt – das habe ich Ihnen gerade erklärt – tragen CDU und FDP; denn sie haben im März diesem Haushalt nicht zugestimmt und somit dafür gesorgt, dass viele Menschen ohne Perspektive bleiben.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Als Letztes gebe ich Ihnen daher freundlich mit – darüber können Sie fröhlich lächeln –: Über 2.200 Beschäftigte des Landes Nordrhein-Westfalen warten in diesem Jahr, 2012, auf ihre Beförderung. Sie haben dafür gesorgt, dass die Beförderungen nicht möglich waren und sich das für diese Menschen auch versorgungstechnisch auszahlt, nämlich negativ.

(Beifall von der SPD)

2.200 haben Ihnen bei der Wahl im Mai bereits die Quittung dafür erteilt. Wir werden mit diesem Haushalt dafür sorgen, dass den Kolleginnen und Kollegen nicht das gleiche Unrecht erneut widerfährt. Deshalb werden wir dem Einzelplan 03 zustimmen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Stotko. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Dr. Orth.

Dr. Robert Orth (FDP): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Stotko, wenn Sie sagen, Sie haben nichts geändert, und auch noch stolz darauf sind, dann kann ich nur sagen: Dann haben Sie echt nichts gelernt, lieber Kollege.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Monate genutzt und sich wenigstens bemüht hätten, schlauer zu werden.

Wenn Sie uns dann auch noch zuwerfen, es sei verantwortungslos gewesen, dass wir unser demokratisches Recht wahrgenommen haben, diesen Schrotthaushalt abzulehnen, dann zeigen Sie, dass Sie keinerlei Demokratieverständnis haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Insofern sollten Sie sich mal fragen, wer denn schuld ist, dass viele Beamtinnen und Beamte nicht befördert werden konnten.

(Zuruf von der SPD: Sie!)

Sie sollten sich auch fragen, warum im Land in den letzten Monaten eigentlich nichts vorangekommen ist, obwohl Sie die Haushaltsmittel bereits fast ganz ausgegeben haben. Auch dazu hätte ich gerne ein Wort gehört. An Ihrer Stelle hätte ich als Demokrat gesagt: Lieber Minister, es ist ein Skandal, dass du mein ganzes Geld schon ausgegeben hast, obwohl ich hier noch gar nicht meine Hand gehoben habe.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Minister Ralf Jäger)

Wenn ich mir anschaue, was denn vorangekommen ist, kann ich nur darauf verweisen: rot-grüne Rekord­­unfallbilanz, rot-grüne Rekordkriminalitätsbilanz – obwohl alles Geld ausgegeben ist. Und obwohl die Kriminalität hoch ist und viele Unfälle im Land passieren, haben wir hier eine Debatte darüber, dass man wegen der Demografie weniger Polizistinnen und Polizisten brauche. Ich kann nur sagen: Der Kollege Mostofizadeh liegt falsch, wenn er meint, dass wir weniger Polizistinnen und Polizisten im Land brauchen. Das Land wird auch mit weniger Einwohnern nicht kleiner. Wir brauchen die Polizistinnen und Polizisten weiterhin in der Fläche.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dass wir zu wenige Neueinstellungen haben, das bescheinigt Ihnen sogar die Gewerkschaft der Polizei, zu der Sie im Allgemeinen ja ein gutes Verhältnis haben. Und wie reagiert die Polizei darauf? Verzweifelt! In der Altstadt von Düsseldorf wird auf der Bolkerstraße eine weitere Videokamera installiert, weil das Personal fehlt. Das ist nicht der Lösungsansatz der Liberalen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir brauchen eine Polizei, die arbeitsfähig ist. Wenn man wie ich als neuer innenpolitischer Sprecher mit Kolleginnen und Kollegen der Polizei über eine Kirmes läuft, um mal zu sehen, wie Streifendienst abläuft, wie alles funktioniert, und dann mitbekommt, dass der Digitalfunk aussetzt, weil man sich in der Menge nicht mehr unterhalten kann, fragt man sich, Kollege Stotko: Wofür haben Sie denn die 100 Millionen ausgeben? Die Funkgeräte jedenfalls funktionieren noch nicht.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Dann bekommen wir vom Landesrechnungshof die Information: Die Polizei hat zu viele Fahrzeuge auf dem Hof stehen. – Die eine Lösung ist, sie zu verkaufen. Die andere Lösung ist, das Personal so einzusetzen, dass sie gefahren werden, um Straftaten im Land zu verhindern.

Stattdessen bündelt der Minister die Polizei bei diversen Blitzmarathonaktionen, die in meinen Augen allenfalls dazu führen, dass der Minister in die Zeitung kommt. Das Land wird dadurch nicht sicherer. Insofern möchte ich dem Kollegen Kruse widersprechen: Der Minister ist dadurch nicht populär, sondern einfach nur bekannt geworden. Ich glaube jedenfalls, dass die Bevölkerung erkennen wird, dass all das nur Alibiaktionen sind.

(Beifall von der FDP)

Ich frage mich, da das ganze Geld ja ausgegeben ist und die Beamtinnen und Beamte im Innenministerium gearbeitet haben, was dabei eigentlich gesetzgeberisch im letzten Jahr herausgekommen ist. Das Parlament hat ja nicht gestört. Da hätte man doch auch Gesetzentwürfe erarbeiten können, die uns im September dieses Jahres alle auf den Tisch gelegt worden wären.

Beispielsweise eine Neuregelung zum Verfassungsschutz fehlt bis heute. Frau Kollegin Düker, ich kann nur verwundert zur Kenntnis nehmen, dass Sie jetzt sogar auf dem linken Auge blind sein wollen. Um zu sparen, wollen Sie beim Verfassungsschutz aus ideologischen Gründen nur noch in eine Richtung gucken. Was für ein Signal an die Menschen draußen ist das denn? Für mich ist Extremismus nicht teilbar. Der Verfassungsschutz muss auf beiden Seiten darauf achten, dass Extremismus nicht wieder hochkommt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Auch beim Thema „Dienstrechtsreform“ ist seit dem Amtsantritt des Ministers gar nichts passiert. Man hätte das Jahr im Ministerium doch nutzen können – die Beamtinnen und Beamten haben ja ihr Geld bekommen –, um für uns hier Vorschläge zu entwickeln.

(Karl Schultheis [SPD]: Und was war 2005 bis 2010?)

Eine schlichte Nullleistung, meine Damen und Herren!

Bei der Neuregelung der Rettungsdienste gab es ebenfalls eine Nullleistung.

Genauso sieht es beim Datenschutz aus. Der Minister hat in seiner Regierungserklärung nicht einmal das Wort „Datenschutz“ in den Mund genommen. Das zeigt: Da ist auch in den nächsten Monaten und Jahren nichts zu erwarten.

Oder nehmen wir das Thema „Entfristungen“! Am laufenden Band entfristen wir Gesetze. Teilweise verlängern wir sie, teilweise werden die Befristungen mit rot-grünen Mehrheiten aber auch ganz gestrichen. Meine Damen und Herren, Befristungen sind ein gutes Mittel, um Bürokratie im Griff zu halten. Sie kapitulieren bereits nach kurzer Zeit in der Regierungsverantwortung davor, die Bürokratie einzuschränken. Das kann ich nicht akzeptieren.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss? Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Robert Orth (FDP): Ja, ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, mein Fazit lautet, dass das Ministerium vor sich hinschnarcht und die Bürgerinnen und Bürger darunter leiden. Herr Minister, mein Wunsch ist, dass Sie endlich wach werden und Reformen voranbringen, statt das Geld einfach zu verbraten, sodass es im Land im Prinzip nicht besser wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Dr. Orth. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie Sie wissen, hat sich weder der Haushaltsentwurf insgesamt noch der Einzelplan 03 gegenüber dem ersten Haushaltsentwurf für das Jahr 2012 wesentlich verändert. In fünf Wochen wird schon der nächste Haushaltsentwurf, der für das Jahr 2013, eingebracht. Ich halte es für richtig, die Grundsatzdebatte da zu führen.

Heute möchte ich vor allen Dingen einen Blick nach vorne richten und beschreiben, welche Fragestellungen wir in der Innenpolitik eigentlich zu beantworten haben. Übrigens müssen nicht nur die Regierungsfraktionen, sondern auch die Oppositionsfraktionen diese Fragen beantworten können.

(Beifall von den GRÜNEN und Hans-Willi Körfges [SPD])

Wir wissen alle, dass der Ton mit jedem Jahr, das wir voranschreiten und der Schuldenbremse im Jahr 2020 näherkommen, schärfer werden wird. Ich finde, da kann die Opposition nicht einfach sagen: „Auf der einen Seite wollen wir mehr Polizei; auf der anderen Seite wollen wir mehr sparen“, sondern sie muss sagen, was sie eigentlich will, sie muss hier auch mal richtige Vorschläge vorlegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir wissen, dass die Diskussion wegen der Schuldenbremse schwierig ist. Trotzdem haben wir als rot-grüne Koalition an unserer Absicht festgehalten, 1.400 neue Polizistinnen und Polizisten einzustellen. Wir wollen weiterhin das von Schwarz-Gelb Versäumte aufholen. Schwarz-Gelb hat es nämlich versäumt, die Neueinstellungen entsprechend einzuplanen. Das werden wir nun machen. Mit der erhöhten Einstellungsermächtigung haben wir auch 13 neue Stellen bei der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung eingerichtet.

Die Ausbildungskapazität der nordrhein-westfäli­schen Polizei ist mit diesen 1.400 neuen Stellen bereits erschöpft. Trotzdem wird diese Zahl der Neueinstellungen nicht ausreichen, um den demografischen Wandel innerhalb der Polizei aufzufangen. Sie, die Opposition, haben jahrelang die Berichte unter Verschluss gehalten und nicht offengelegt, wie es bei der Polizei eigentlich aussieht. Die Polizei wird natürlich älter. Wenn das Ganze 2016 kippen wird, wenn es mehr Pensionierungen als Einstellungen geben wird, dann haben wir ein Problem. Auf dieses Problem kann man nicht sehenden Auges zulaufen, finde ich. Vielmehr müssen wir überlegen: Wie gehen wir mit diesem hohen Altersdurchschnitt – den es jetzt schon gibt, insbesondere in vielen Kreispolizeibehörden, gerade im ländlichen Raum – eigentlich um? Wie machen wir Polizei effizienter? Wie können wir das Gesundheitsmanagement stärken?

Für mich heißt das aber auch, dass wir darüber reden müssen, wie wir die Polizei entlasten können. Als Beispiel ist in der öffentlichen Diskussion die Begleitung von Schwertransporten genannt worden. Warum kann diese Aufgabe nicht von Privaten, von zertifizierten Dienstleistern, übernommen werden?

Ein anderes Beispiel ist die Bereitschaftspolizei. Es ist doch total irre, dass andere Bundesländer ihre Bereitschaftspolizei abbauen und unsere Hundertschaften jedes Wochenende in andere Bundesländer fahren müssen, anstatt hier eingesetzt zu werden, und immer mehr Überstunden anhäufen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Wir haben diese Diskussion über die Aufgabenkritik gerade erst begonnen. Die Opposition täte gut daran, diese Aufgabenkritik konstruktiv mit zu führen, damit es – da haben wir ja ein gemeinsames Ziel – eine bürgernahe Polizei in wahrsten Sinne des Wortes gibt: bürgernah auf der Straße bei den Menschen, aber auch gut qualifiziert und professionell in den Bereichen, wo wir sie brauchen, wo es neue Herausforderungen gibt, zum Beispiel bei der Internetkriminalität.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Heute Morgen ist über das Gemeindefinanzierungsgesetz diskutiert worden. Ich glaube, dass viele von denen, die hier sitzen, gar nicht wissen, wie viel das mit Sicherheitspolitik zu tun hat. Feuerwehrleute sind Kommunalbeamtinnen und -beamte, die unmittelbar von der finanziellen Lage in den Kommunen abhängig sind, und zwar dann, wenn es um die Beförderung geht, die bei der Feuerwehr viel zu häufig ausbleibt, weil das Geld dafür nicht vorhanden ist.

Da können wir noch so viel über Kinderfeuerwehren und über Imagekampagnen diskutieren; das hilft der Berufsfeuerwehr auch nicht, Nachwuchs zu finden, wenn wir es nicht schaffen, Perspektiven zu eröffnen, gerade auch im Wettbewerb um Fachkräfte. Schließlich arbeiten bei der Feuerwehr Personen, die mit einer Ausbildung dahin kommen. Wir müssen dafür sorgen – und das ist ein sicherheitspolitisches Anliegen –, dass es den Kommunen besser geht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Ich möchte noch kurz auf den Datenschutz eingehen. Auch hier haben wir es geschafft, die Veränderungen aus dem Haushaltsgesetz 2011 fortzuführen. Wir wissen, dass wir starke Gesetze für den Datenschutz brauchen – wie die europäische Datenschutzgrundverordnung, die momentan diskutiert wird. Wir brauchen aber auch starke Institutionen. Dafür sorgen wir. Wir haben das schwarz-gelbe Streichkonzert beim Datenschutz beendet. Wir haben größere Personalkapazitäten geschaffen. Daran halten wir fest, um dem Datenschutz insgesamt einen höheren Stellenwert zukommen zu lassen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Redezeit läuft ab, aber ich möchte schon noch auf das Thema „Verfassungsschutz“ eingehen, weil es mich wirklich ärgert. Es geht nicht darum, dass wir Einsparungen beim Verfassungsschutz wollen, sondern es geht darum, dass wir über die Folgen der NSU-Morde diskutieren: Was muss beim Verfassungsschutz anders, besser und neu gemacht werden? Es geht darum, wie man den Verfassungsschutz auf seine Kernbereiche zurückführen kann, damit er den gewalttätigen verfassungsfeindlichen Rechtsextremismus und den gewalttätigen verfassungsfeindlichen Islamismus beobachtet und nicht wie bisher …

(Zuruf von Dr. Robert Orth [FDP])

– Ja, es geht aber darum, dass die Gefahr nicht von Links, sondern von Rechts und von den Salafisten und von den Islamisten ausgeht! Darauf müssen wir doch gucken!

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht auch nicht darum, dass wir beim Verfassungsschutz einsparen wollen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass auch die Opposition diese Diskussion führen und aus den NSU-Morden lernen würde. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schäffer. – Für die Fraktion der Piraten spricht nun Kollege Schatz.

Dirk Schatz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich stehe jetzt hier – es ist Anfang November 2012 – und soll über den Haushalt des Jahres 2012 reden, Vorschläge machen, was wir Piraten uns für dieses Jahr vorstellen, wo wir Geld investieren oder eventuell auch sparen wollen. Das Problem ist, dass das schon vor gut einem Jahr hätte stattfinden sollen und wir jetzt über den Haushalt 2013 reden sollten. Das tun wir leider nicht.

Aufgrund dieser Farce, die hier meiner Meinung nach stattfindet, und weil für dieses Jahr ohnehin keine Änderungen mehr möglich sind, möchte auch ich die Gelegenheit nutzen, einen kleinen Blick auf das kommende Haushaltsjahr zu werfen.

Im Einzelplan 03 erkennt man sehr schnell, dass die Polizei mit knapp 55 % aller Ausgaben im Bereich des Innenministeriums den weitaus größten Posten einnimmt. Entsprechend wird deutlich, welchen Stellenwert die Polizei in diesem Land hat. Folglich wird die Polizei zwangsläufig auch einen Schwerpunkt unserer Politik darstellen.

Herr Stotko, um noch einmal auf Ihre Vorwürfe zurückzukommen: Die Anträge, die Sie angesprochen haben, existieren nicht. Die haben wir nicht gestellt. Da sollten Sie vielleicht noch mal reinschauen.

(Thomas Stotko [SPD]: Die sind doch auf Ihrer Homepage!)

– Die haben wir hier im Plenum nicht gestellt. Schauen Sie hin!

(Thomas Stotko [SPD]: Sie stehen auf Ihrer Homepage!)

Wir begrüßen es, dass die Landesregierung die Zahl der Neueinstellungen der Kommissaranwärter auf 1.400 erhöht hat. Wir hoffen, dass das auch in den nächsten Jahren mindestens so bleiben wird. Wir sehen allerdings mit Sorge, dass das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen wird, um dem demografischen Wandel innerhalb der Polizei in den nächsten Jahren entgegenzuwirken. Entsprechend wollen wir im nächsten Jahr zumindest darauf hinarbeiten, die Einstellungszahlen, wenn nötig, weiter zu erhöhen. Und wir möchten versuchen, im nächsten Jahr die Grundlagen für Neueinstellungen zu schaffen.

Einer dieser Grundlagen ist, zunächst einmal dafür Sorge zu tragen, dass wir überhaupt genügend Bewerber haben. Das ist nämlich leider nicht der Fall. Die Antwort auf meine Kleine Anfrage hat offengelegt: Bei knapp 3.300 geeigneten Bewerbern im Jahr 2011 und 1.400 Einstellungen im Jahr 2012 ergibt sich eine Quote von etwas mehr als 2:1. Wir haben also gerade einmal zwei Bewerber auf eine Stelle. Da müssen wir erheblich nachbessern – völlig egal, ob wir neu einstellen oder nicht.

Aber nicht nur die Polizei, sondern der öffentliche Dienst insgesamt wird für viele, insbesondere die hochqualifizierten jungen Menschen immer unattraktiver. In vielen Bereichen kann er mit den Angeboten der freien Wirtschaft einfach nicht mehr mithalten. Die Zeiten, in denen das Argument der Unkündbarkeit gereicht hat, sind vorbei. Wir werden daher nicht darum herumkommen, in Zukunft mehr Geld in die Hand zu nehmen, wenn wir dort auch weiterhin nicht auf hochqualifizierte Bewerber verzichten wollen.

Ebenfalls begrüßen wir Piraten den Vorstoß der Koalition, den Bereich des Open Gouvernements voranbringen zu wollen. Das ist für uns selbstverständlich. Dort zu investieren heißt, in die Demokratie zu investieren. Wir sind gespannt, wie viel Ihnen diese Investition wirklich wert ist.

Auch in der Flüchtlingspolitik werden wir schauen, inwieweit die Bemühungen der Landesregierung ausreichen, um der gestiegenen Anzahl von Flüchtlingen gerecht zu werden. Wir schauen auf die aktuellen Ereignisse, für die die Kommunen wirklich an allen Enden sparen und mehr Geld für Flüchtlinge bereitstellen müssen.

Es darf aber nicht vergessen werden, auch dorthin zu schauen, wo gespart werden kann; es geht also nicht nur um die Ausgaben. Neben dem klassischen Sparen, bei dem man weniger Geld ausgibt oder einfach die Einnahmen erhöht, ist Sparen auch möglich, indem man die vorhandenen Ressourcen einfach effizienter nutzt. Dies gelingt – wie immer bei finanziellen Dingen – am besten beim Personal.

Schaut man sich beispielsweise die Krankenstände im öffentlichen Dienst an, die in einigen Bereichen mit über 8 % zwei- bis dreimal so hoch ausfallen wie die in der freien Wirtschaft, dann wird deutlich, wie viel ungenutztes Potenzial für den öffentlichen Dienst abgerufen werden kann, was beispielsweise auch die Zahl der benötigten Neueinstellungen massiv reduzieren würde.

Dies führt wiederum zu weiteren Einsparungen. Zu nennen sind Einsparungen bei der freien Heilfürsorge, weniger Ausgaben für Beihilfen oder für die vorzeitigen Zur-Ruhe-Setzungen sowie insgesamt ein verbessertes Betriebsklima, was wiederum ein besseres Arbeiten ermöglicht. Gerade dieser Punkt wird im Rahmen der Dienstrechtsreform eines der großen Themen des nächsten Jahres sein, dessen wir uns selbstverständlich annehmen werden.

Wir hoffen, dass wir bei dem einen oder anderen Punkt im nächsten Jahr bei den anderen Fraktionen auf offene Ohren stoßen und dass das eine oder andere Projekt auch gemeinsam umgesetzt werden kann. – Vielen lieben Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Schatz. – Für die Landesregierung hat nun der Innenminister, Herr Jäger, das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Orth, ich hoffe, ich habe Sie in einem Passus Ihrer Rede nicht missverstanden. Ich habe es so wahrgenommen, dass Sie sagten: Mein Ministerium, ich selbst, diese Landesregierung hätte Gesetzentwürfe einbringen und zu einem Zeitpunkt beschließen können, als das Parlament nicht gestört hätte.

(Zuruf von Dr. Robert Orth [FDP])

– Herr Orth, das ist so bei mir angekommen. Das würde ein sehr seltsames Verhältnis zur Demokratie widerspiegeln, das ich selbst, ich glaube, große Teile dieses Parlamentes und ganz sicher auch diese Landesregierung nicht hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte gerne auf einen weiteren Punkt Ihrer Rede eingehen. Sie sagen: Wir sind im November – in der Tat –, und beraten jetzt den Haushaltsentwurf 2012. – Ich darf noch mal deutlich machen, dass nicht wir das zu verantworten haben. Sie in Person hätten die Möglichkeit gehabt, diesen Haushalt bereits im März dieses Jahres zu beschließen.

(Thomas Stotko [SPD]: Genau mit einer Stimme!)

Die Tatsache, dass wir im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung Geld ausgegeben haben, ist übrigens in der Verfassung verankert. Ich hoffe, Sie können zur Kenntnis nehmen, dass mein Ressort überwiegend Personalkosten zum Inhalt hat und dass wir in der Zwischenzeit Löhne und Gehälter gezahlt haben. Ich gehe nicht davon aus, Herr Dr. Orth, dass Sie dieser Landesregierung vorwerfen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung pünktlich ihren Lohn aufs Konto überwiesen bekommen haben.

(Heiterkeit von Walburga Benninghaus [SPD])

Ich darf darauf hinweisen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass dieser Einzelplan im Wesentlichen die Sicherheit in diesem Land finanziert. Für die Polizei gilt ganz besonders, dass man bei ihr nur das ernten kann, was man zuvor gesät hat. Deshalb setzen wir in diesem Einzelplan auf eine gut ausgebildete und eine qualitativ hochwertig ausgestattete Polizei.

Ich will, weil die Zeit so knapp ist, nur einige wenige Punkte ansprechen. Beispielsweise hat Herr Kollege Stotko schon darauf hingewiesen, dass wir 8,2 Millionen € zusätzlich in die Hand nehmen, um beim Landeskriminalamt DNA-Analysen durchzuführen. Diese Spuren liegen seit Jahren dort, und nie haben die Laborkapazitäten für ihre Auswertung ausgereicht. Diesen Bauch, denn das LKA jahrelang vor sich hergeschoben hat, wollen wir endlich abbauen. Ich glaube, es war ein fataler Fehler und fahrlässig von der Vorgängerregierung, auch im Sinne der Opfer von Straftaten, dass DNA-Analysen zum Teil jahrelang aufgeschoben wurden und Ermittlungsverfahren nicht ordentlich beendet werden konnten.

Dieser Einzelplan hat beispielsweise auch unseren präventiven Ansatz „Kurve kriegen“ zum Inhalt. Wir wollen nicht zuschauen, wie Kinder und Jugendliche schon früh auffällig werden. Denn diese Gesellschaft hat nicht die Instrumente entwickelt, um eine kriminelle Karriere zu verhindern, sodass diesen jugendlichen Intensivtätern nur noch der Strafvollzug als Möglichkeit bleibt. Wir haben mit dem Projekt „Kurve kriegen“ Neuland betreten. Mir ist es sehr wichtig, dass die Erfolge evaluiert werden und wir nachweisen können, dass sich diese Investition in Prävention lohnt.

Bei der Polizei lasse ich aber, Herr Dr. Orth, keine Legendenbildung durchgehen. Ich will deutlich machen, dass mein Vorvorgänger, der Kollege Fritz Behrens im Jahr 2004 einen Bericht über den Altersaufbau der nordrhein-westfälischen Polizei in Auftrag gegeben hat. Sie haben im Jahr 2005 politische Verantwortung übernommen. Im Jahr 2006 lag dieser Altersbericht dem Ministerium vor. Da war er unter Verschluss, bis ich ihn veröffentlicht habe. Darin steht nachweislich, welchen eigentlichen Einstellungsbedarf die nordrhein-westfälische Polizei früher gehabt hätte, um die zukünftigen und drohenden hohen Altersabgänge im Rahmen der demografischen Entwicklung abfedern zu können.

Aber was haben Sie getan? Sie haben 2005 500 Beamtinnen und Beamten eingestellt. 2006 waren es in Kenntnis dieser demografischen Veränderungen wieder nur 500. 2007 lag der Bericht immer noch in der Schublade und verstaubte, und Sie haben wieder nur 500 eingestellt.

(Thomas Stotko [SPD]: Genau!)

Erst 2008 haben Sie damit begonnen, die Einstellungszahl auf 1.100 zu erhöhen. Das war viel zu spät, denn allein diese drei Jahre unzureichender Ausbildung führen dazu, dass wir irgendwann 2.700 Beamte zu wenig auf der Straße haben.

(Theo Kruse [CDU]: Und in den 20 Jahren vorher?)

Wir haben auf Grundlage dieses Altersberichts sofort gehandelt und die Einstellungszahlen auf 1.400 erhöht. Das ist übrigens die maximale Ausbildungskapazität, die bei der nordrhein-westfälischen Polizei überhaupt zu leisten ist.

Herr Dr. Orth, ich lasse Ihnen diese Legendenbildung nicht durchgehen. Es ist Ihr Versäumnis, dass zu wenige Polizeibeamtinnen und -beamten in diesem Land ausgebildet wurden. Sie haben die Aufklärungsquote und die Quote der Straftaten in Nordrhein-Westfalen nicht dahin gehend zu bewerten. Das alles ist hausgemacht von der Vorgängerregierung zwischen 2005 und 2010. Es ist Ihre Verantwortung – auch Ihre persönliche, Herr Dr. Orth.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Dr. Robert Orth [FDP])

Wenn es gestattet ist, Herr Präsident, würde ich gern noch auf einen weiteren Bereich eingehen, nämlich – Herr Kruse, Sie haben das thematisiert – die Verwaltungsstrukturreform. Wie modernisieren wir Landesverwaltung? Wie kommen wir aufgrund des demografischen Wandels dazu, Aufgaben tatsächlich infrage zu stellen oder möglicherweise zu optimieren, um zu einem geringeren Personaleinsatz zu kommen? Das haben wir uns auf die Fahnen geschrieben. Das können Sie in unserem Koalitionsvertrag nachlesen. Ich glaube, es ist nicht damit getan, mal eben einen Schalter umzulegen, sondern das muss ein dauerhafter, fließender und immerwährender Prozess sein.

Ich sage Ihnen, was Sie gemacht haben. Sie sind mit der Axt durch die Stellenpläne gegangen und haben das „Verwaltungsmodernisierung“ genannt.

(Widerspruch von Theo Kruse [CDU])

Sie haben Aufgaben an die Kommunen nach unten geschoben, sozusagen bei den Behörden nur das Messingschild ausgewechselt, das als „Verwaltungsstrukturreform“ verkauft und den Kommunen viel zu wenig Geld als Kostenerstattung gegeben.

Wir werden nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs für diese Art der Modernisierung, die Sie betrieben haben, 21 Millionen € zusätzlich in die Hand nehmen müssen, um die Kosten für das zu erstatten, was die Kommunen im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung zu leisten hatten. Das war Ihr Verständnis von Verwaltungsstrukturreform; das ist nicht unser Verständnis von Verwaltungsstrukturreform, lieber Herr Kruse.

(Beifall von der SPD)

Ich will damit enden, dass wir natürlich versuchen werden, die Behörden in meinem Geschäftsbereich so mit Personal auszustatten, dass sie ihrer Aufgabe, auch Beschlüsse dieses Landtags umzusetzen, qualitativ und quantitativ in ausreichendem Maße nachkommen können.

Ich freue mich ganz besonders, dass der Einzelplan 03 vorsieht, in diesem Jahr 300 zusätzliche Auszubildende im Landesdienst in Nordrhein-Westfalen einzustellen. Das ist auch ein Beitrag des Landes Nordrhein-Westfalen und dieser Landesregierung, damit junge Menschen in diesem Land eine Perspektive bekommen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Wir sind am Ende der Beratungen zu Einzelplan 03.

Da wir in die Zeitphase von 12:30 Uhr bis 14 Uhr eingetreten sind, findet die Abstimmung erst später statt. (Siehe Abstimmung zu Einzelplan 6) Das ist auch der Grund, warum der Landesminister die Redezeit ein bisschen überziehen durfte.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Wenn jemand Bedarf hat, dazu noch etwas zu sagen, dürfte er das tun. Wenn das aber keine Kollegin und kein Kollege wünschen, fahren wir mit dem nächsten Einzelplan fort. – Niemand widerspricht.

Dann rufe ich auf:

     Einzelplan 05
Ministerium für Schule und Weiterbildung

Ich weise hin auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 16/1205. Ich eröffne die Beratung und erteile für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Vogt das Wort.

Petra Vogt (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Stolz präsentiert uns am heutigen Tage die Landesregierung den Einzelplan 05 „Schule und Weiterbildung“.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Mit Recht!)

Dieser Plan weist keine wesentlichen Änderungen gegenüber dem im Januar 2012 eingebrachten Entwurf auf. Stolz ist man deshalb darauf, dass man nicht nur Einsparbemühungen unterlässt, sondern dass sogar die durch rückläufige Schülerzahlen frei werdenden Finanzmittel im System Schule verbleiben können.

Natürlich freuen sich die Bildungspolitiker, wenn die sogenannten demografischen Gewinne im System Schule erhalten bleiben. Das ist eine tolle Leistung. Allerdings müssen wir uns im Klaren sein: Wenn der Haushalt saniert werden soll aufgrund der Schuldenbremse und vor allen Dingen natürlich aufgrund der Generationengerechtigkeit, dann müssen Investitionen in Bildung als Prioritätensetzung an anderer Stelle eingespart werden.

Wäre der Gesamthaushalt 2012 ein Haushalt, der auch nur ansatzweise Konsolidierungsanstrengungen erkennen ließe, könnte man als Bildungspolitiker tatsächlich der zuständigen Ministerin gratulieren. Es wäre ihr ja dann gelungen, im zähen Ringen mit den anderen Fachbereichen einen Schwerpunkt auf das wichtige Thema „Bildung“ zu legen.

Aber nichts dergleichen ist der Fall. Rekordsteuereinnahmen werden mit Rekordschulden beantwortet. Diese sogenannte präventive Politik dann auch noch auf dem Rücken unserer Kinder als Schuldenpolitik, die sie ja nun einmal ist, in irgendeiner Weise verkaufen zu wollen, das ist ungerecht und vor allen Dingen auch unsozial.

(Beifall von der CDU)

Schulden, meine Damen und Herren, sind keine Bildungsgerechtigkeit. Schuldenmachen ist fahrlässige Verweigerung von politischer Gestaltung und verspielt unsere Zukunft.

(Beifall von der CDU)

Der Einzelplan 05 ist nun kein unwichtiger. Er ist mit einem Anteil von 15 Milliarden €, 26 % an den Gesamtausgaben, der größte Einzeletat. Wir alle müssen uns daher Gedanken machen, wie wir die Landesfinanzen sanieren können. Das ist keine Aufgabe, die nur einer Fraktion zukommt. Diese Aufgabe haben alle Fraktionen.

Wichtig wäre es hierbei aus Sicht der CDU-Fraktion, Potenziale zu erschließen, die nicht zulasten der Unterrichtsversorgung und damit zulasten unserer Schülerinnen und Schüler gehen. Man kann es sich natürlich auch einfach machen wie die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg und massenweise Lehrerstellen streichen. Diesen Weg wollen Sie doch hoffentlich nicht irgendwann in diesem Hause gehen müssen, oder?

Es kann natürlich sein, dass, wenn man sich konsequent einem Sparen verweigert, vielleicht dann auch irgendwann – diese Frage geht natürlich an Grün und Rot – die eigenen Parteikollegen aus den anderen Bundesländern anfangen, unangenehme Fragen zu stellen, die gerade diesen doch wenig bildungsintensiven Weg betreffen.

Unklar ist uns in diesem Einzelplan auch, warum Sie gerade im erfolgreichen berufsbildenden System, um das uns ganz viele Länder beneiden, bis 2015 500 Lehrerstellen abbauen möchten, wo dort heute bereits zum Teil eklatanter Lehrermangel herrscht und wir uns eine Zukunft ohne eine gute Berufsausbildung in diesem Lande eigentlich nicht vorstellen können.

Sie zeigen im vorgelegten Entwurf also nicht nur mangelnden Sparwillen, sondern Sie zeigen auch noch – und das ist vielleicht noch schlimmer – eine fehlende Prioritätensetzung.

Besonders deutlich wird das im Bereich Inklusion. Es fehlt an Mitteln für qualifizierte Fortbildung der Lehrkräfte, und vor allem fehlt es an einer ausreichenden Anzahl an Sonderpädagogen, um eine qualitativ hochwertige Umsetzung dieses ganz besonders wichtigen Inklusionsprozesses in unserem Land zu gewährleisten, meine Damen und Herren.

Ich glaube, dieses Thema ist so wichtig, dass es einigen vielleicht noch gar nicht klar ist, was da eigentlich im nächsten Jahr in Nordrhein-Westfalen in den Schulen passieren wird, wie dramatisch dieser Umbruch ist und dass dieser Umbruch auch wirklich nur dann für alle Jugendlichen, für alle Kinder, für alle Lehrer und Eltern gelingen kann, wenn er vernünftig begleitet wird. Dazu, liebe Landesregierung, haben Sie in gar keiner Weise bisher Ihre Hausaufgaben gemacht.

(Beifall von der CDU)

Die vielfältigen Probleme, die sich daraus ergeben, werden wir leider im kommenden Schuljahr erleben müssen. Wie Sie so den Rechtsanspruch umsetzen wollen, ist schleierhaft.

Wir werden Ihnen auf diesem Irrweg, den Sie mit diesem Haushalt einleiten und – wir befürchten es – wahrscheinlich auch mit dem nächsten Haushalt fortschreiben werden, auf gar keinen Fall folgen. Diesen Irrweg müssen Sie alleine beschreiten. Denn es geht ganz klar zulasten der Bildung in unserem Land.

Aus diesen Gründen lehnen wir den Einzelplan 05 Schule und Weiterbildung am heutigen Tage ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Hendricks.

Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon ein bisschen irritiert, Frau Vogt, über die Rede, die Sie gerade gehalten haben. Denn auf der einen Seite beschwören Sie die Investitionen in Bildung. Auf der anderen Seite sagen Sie, dass wir aber doch eigentlich auch Prioritäten des Sparens setzen sollen. Sie lehnen den Einzelplan ab, aber möchten doch die Ressourcen sichern. Mir ist nicht ganz klar, was die Aussage Ihrer Rede nun eigentlich gewesen ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber darüber können wir vielleicht bei Gelegenheit einmal reden.

Wir sind als Regierungskoalition mit der Maßgabe angetreten, dass wir die Demografiegewinne – Frau Vogt, darauf haben Sie eben noch einmal hingewiesen – im System lassen wollen. Das hat auch die Ministerpräsidentin in ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht. Wir wollen frei werdende Ressourcen nicht streichen, sondern wir wollen sie für bessere Bildung und für Schulentwicklung in Nordrhein-Westfalen einsetzen.

Dazu zählen kleinere Lerngruppen, die wir im Schulkonsens vereinbart haben. Dazu zählt die Erhaltung von wohnortnahen und kleinen Grundschulen, wozu wir heute Nachmittag das Gesetz miteinander verabschieden werden. Dazu zählen aber auch Ganztagsangebote, die nachgefragt sind, individuelle Förderung und der gemeinsame Unterricht oder die Inklusion.

Dementsprechend weist der Einzelplan 05 dann auch 14,92 Milliarden € aus. Er ist der größte Einzelplan. Auch darauf hat Frau Vogt hingewiesen. Er ist um 600 Millionen € höher als im Vorjahr. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen einmal deutlich machen, was das eigentlich im Detail bedeutet. Ich darf maximal zehn Minuten reden. Es wären dann pro Minute knapp 1,5 Milliarden € oder, umgerechnet in Sekunden, 25 Millionen € pro Sekunde.

Wenn wir uns die Lehrerstellen anschauen, ist das aber noch eine ganz andere Dimension, denn wir haben zurzeit 154.712 Lehrerstellen im Haushalt. Auch dieses will ich mit einem Vergleich darstellen: Es ist exakt so viel, wie die Stadt Neuss Einwohner hat. Das macht vielleicht deutlich, über welches Haushaltsvolumen wir an dieser Stelle eigentlich reden. Wir sind stolz, dass wir die Zahl der Lehrerstellen bei sinkenden Schülerzahlen in der Summe – die Schülerzahl ist gegenüber 2010 um 44.300 gesunken – um 1.959 erhöhen können.

Der Schulhaushalt ist im Wesentlichen ein Personalhaushalt. Gehälter, Beihilfen und Vorsorgeleistungen machen in diesem Haushalt den größten Batzen aus. Auch die Steigerung von 607 Millionen € ist darauf zurückzuführen. Für die Betroffenen ist das eine Selbstverständlichkeit, für den Schulhaushalt sind das Steigerungen, die mit zusätzlichen Millionenbeträgen verbunden sind, für die Schulen aber keine Ressourcen schaffen. Auch darüber müssen wir uns im Klaren sein.

Strukturelle Einsparungen im Bereich Schule lassen sich in nennenswertem Umfang nur dadurch erreichen, dass man auf Lehrer und Lehrerinnen verzichtet, Frau Vogt. Dazu möchte ich Sie ganz gerne in der Diskussion fragen, ob das genau das ist, was Sie erreichen wollen. Auf Lehrer zu verzichten heißt aber auch, dass wir Rahmenbedingungen verschlechtern, die Innovationskraft und die Qualität von Schulen verschlechtern.

Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass die Rahmenbedingungen in Nordrhein-Westfalen – die Ländervergleiche sind heute Morgen von Ihnen mehrfach angeführt worden – nicht die besten im Ländervergleich sind. Wir sind uns alle darüber im Klaren – auch dies ist auf Bundesebene verabschiedet worden –, dass wir rein theoretisch deutlich mehr Geld in die Bildung stecken wollen. Neben den Personalkosten wird im Einzelplan 05 zusätzlich noch Geld für die Schulpauschale an die Kommunen in Höhe ca. von 600 Millionen € zur Verfügung gestellt.

Für uns ist wichtig, dass wir das Thema „Inklusion“ mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz, das mittlerweile als Referentenentwurf vorliegt und in der Verbändeanhörung ist, behutsam, sorgfältig, ohne Eile und Hast sowie im Dialog mit den Beteiligten umsetzen.

Bereits heute aber ist klar, dass die Nachfrage nach integrativen Lerngruppen in diesem Jahr gestiegen ist. Das macht zusätzliche Stellen im Haushalt für den gemeinsamen Unterricht erforderlich. Wir haben – in den Grundschulen weniger als in den Sekundarschulen – einen Aufwuchs bei den integrativen Lerngruppen. Es ist uns aber wichtig, dass den Wünschen der Eltern vor Ort nach integrativen Lerngruppen entsprochen werden kann und wir damit regionale Inklusionsprozesse unterstützen und ermöglichen.

Insgesamt sind im Haushalt für Integration und Inklusion 3.836 Stellen ausgewiesen. Das sind 706 mehr als im Vorjahreshaushalt. Ich glaube, Frau Vogt, damit lässt sich nicht belegen, dass wir in diesem Bereich nichts tun. Ganz im Gegenteil: Auch in diesem Bereich setzen wir Demografiegewinne dafür ein, dass wir den Prozess der Inklusion auf den Weg bringen können.

(Beifall von der SPD)

So sind in diesem Jahr bereits 22.300 Schüler und Schülerinnen in Nordrhein-Westfalen in integrativen Lerngruppen, die dort unterrichtet und erfolgreich ihre Schullaufbahn in Nordrhein-Westfalen beschließen werden. Damit konnte zum Schuljahr 2012/2013 ein weiterer Ausbau des integrativen Lernens erreicht werden. Es freut uns ganz besonders, dass sich in der Zwischenzeit alle Schulformen daran beteiligen, auch die Gymnasien. Das ist sehr bemerkenswert, dass auch die Gymnasien anfangen, sich für Inklusion zu öffnen.

Frau Vogt, aber auch für die Aus- und Fortbildung stehen in Nordrhein-Westfalen fast 17,6 Millionen € zur Verfügung. Es gibt einen Aufwuchs von 750.000 €. Es ist also nicht richtig, dass wir in diesem Bereich nichts tun. Auch die FDP hat angemahnt, dass wir in diesem Bereich nichts tun. Das ist nicht richtig. Ein Blick in den Haushaltsplan belehrt Sie eines Besseren.

Wir haben uns gemeinsam vorgenommen – auch im Schulkonsens und in der Bildungskonferenz ist das vereinbart worden –, dass wir eine Erhöhung der Leitungszeit sowohl im Sekundarbereich als auch in den Grundschulen vornehmen. Die Erhöhung für die Grundschulen haben wir bereits 2011 beschlossen. Aufgrund der Tatsache, dass der Landtag aufgelöst worden ist, haben wir es nicht vollziehen können. Für die Grundschulen würde das 340 Stellen ausmachen, die jetzt in den Haushalt eingestellt werden. Auch für die Sekundarschulen bedeutet die Erhöhung der Leitungszeit 224 Stellen.

Den Schulen stehen diese Stellen schon zur Verfügung. Für die Grundschulen – auch das will ich noch einmal deutlich machen – entspricht dies einer Erhöhung von zwei um drei auf insgesamt fünf Entlastungsstunden. Hier gibt es auch in der Community zurzeit etwas Irritationen. An dieser Stelle sage ich noch einmal deutlich, dass die Grundschulen hier wirklich eine Entlastung bekommen.

Beide Maßnahmen sind nach der Verabschiedung der Verordnung zu § 93 Schulgesetz durch den Schulausschuss nun möglich. Die erforderlichen Stellen stehen bereits im laufenden Schuljahr den Schulen zur Verfügung.

Heute Nachmittag werden wir uns mit dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz beschäftigen. Dieses Gesetz ermöglicht jetzt zusätzlich, dass wir kleine Grundschulen in der Fläche erhalten können, wenn es ein gemeinsames pädagogisches Konzept gibt. Ich glaube, damit schaffen wir endlich Klarheit. Das macht aber auch erforderlich, dass wir im Endausbau – das betrifft die Frage der Absenkung des Klassenfrequenzwertes in der Grundschule – für die kleinen Grundschulen insgesamt noch einmal 1.700 Stellen zur Verfügung stellen werden.

Ich möchte noch einen weiteren Aspekt in die Debatte einbringen. Der Ausbau der Ganztagsschulen ist uns nämlich enorm wichtig. Ganztag ist eine Möglichkeit, Bildungsbenachteiligung aufzuheben und Kinder zusätzlich zu unterstützen. Der Antrag der FDP, der in die Richtung geht, den Gymnasien mehr Ganztag zu geben, verkennt dabei, dass wir in Nordrhein-Westfalen bereits 155 Gymnasien haben, die Ganztag anbieten.

Der Ausbau der Ganztagsschulen in diesem Jahr ist vorangeschritten. Wir haben 10.000 zusätzliche Plätze in der OGS geschaffen, und wir haben 50 zusätzliche Stellen für den gebundenen Ganztag in der weiterführenden Schule geschaffen. Wir werden auch den Ausbau der Ganztagsschule weiter fortsetzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie können unschwer erkennen: Bildungspolitik ist das Schwerpunktthema der rot-grünen Landesregierung, und so ist der Einzelplan 05 auch aufgestellt. Wir stehen zum Schulkonsens, in dem wir gemeinsame Maßnahmen bis 2023 verabredet haben. Die erforderlichen Mittel dazu werden im Haushalt bereitgestellt. Zugleich trägt der Haushalt die sehr deutliche Handschrift von Rot-Grün. Es ist die Handschrift der Minderheitsregierung, die sich fortsetzt. Sie ist nicht durch den Koalitionsvertrag geprägt worden, sondern wir sind kontinuierlich dabei, unsere Bildungspolitik fortzuschreiben.

Sicher sind all die Ansätze dieses Haushaltskapitels nicht alternativlos. Sie stellen aber nach unserer Auffassung einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den dringend notwendigen Verbesserungen und den Restriktionen der verfügbaren Mittel dar. Wenn jemand meint, unsere Ansätze seien zu großzügig und es müsste mehr gespart werden, so soll er sagen, wo er Abstriche machen will. Wenn jemand meint, wir stellten nicht genügend Ressourcen zur Verfügung, dann soll er uns aber auch sagen, wo die Mittel herkommen.

Die Landesregierung hat versprochen, dass wir mit diesem Haushalt einen Haushalt vorlegen, der Innovationen in Nordrhein-Westfalen möglich macht. Bildung hat weiterhin erste Priorität. Wir setzen auf Präventionspolitik, weil wir uns über die Präventionspolitik mittel- und langfristig Einsparungen für den Haushalt erhoffen. Damit wollen wir die Zukunft unseres Landes sichern und den jungen Menschen in diesem Land gute Ausgangsvoraussetzungen schaffen, damit sie nicht das Gefühl haben, dass wir auf Kosten der jungen Generation leben. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Die nordrhein-westfälische Bildungs- und hier im Besonderen die Weiterbildungslandschaft spielt eine unersetzliche Rolle für das lebenslange Lernen. Daher begrüßen wir es ausdrücklich, dass es weitere Mittel – dieses Jahr in Höhe von rund 0,7 Millionen € – für die Weiterbildung gibt. Auch weitere positive Aspekte wie zum Beispiel die Absenkung des Klassenfrequenzrichtwertes an Grundschulen oder die Verbesserungen bei der Leitungszeit finden wir im Einzelplan 05.

Aber gleichwohl zeigt dieser Haushalt für Schule und Weiterbildung insgesamt an vielen Stellen eine deutliche Schieflage. Letztendlich muss der Schulhaushalt auch im Zusammenhang mit dem Gesamthaushalt gesehen und bewertet werden.

Wer einen klaren Schwerpunkt, meine Damen und Herren, im Bereich der Bildungspolitik setzen möchte – das unterstützen wir –, der muss in anderen Bereichen auch Einsparungen vornehmen. Rot-Grün plant – und das trotz der höchsten Steuereinnahmen der nordrhein-westfälischen Geschichte – mit einer Neuverschuldung von weit über 4 Milliarden €. Mit Blick auf die Zukunft unserer Kinder, unserer heutigen Schülerinnen und Schüler ist dieser Haushalt somit unverantwortlich.

Auch im Einzelplan 05 muss wie in anderen Einzelplänen sowohl auf Effizienz als auch auf Effektivität geachtet werden. Frau Ministerin, Sie haben mich im Ausschuss für Schule und Weiterbildung kritisiert, als ich bezüglich der 250 kw-Stellen den rhetorischen Einwurf gemacht habe, dass Rot-Grün diese Stellen hätte verlängern können.

Vielleicht ist das ein kleines Missverständnis: Natürlich müssen angesichts der Verschuldung des Landes im Interesse zukünftiger Generationen alle Personalmaßnahmen sorgfältig abgewogen werden. Sollten also diese 250 Stellen ihre temporäre Funktion bereits erfüllt haben, liegen wir hier nicht auseinander. Bei einigen der von Ihnen abgesetzten Stellen aber muss der Sinn deutlich hinterfragt werden.

Auch wenn es Rot-Grün vielleicht nicht gefällt, lautet die Botschaft: Unter Schwarz-Gelb wurden Lehrerstellen aufgebaut, unter Rot-Grün werden Lehrerstellen abgebaut. Sie senken im zweiten Haushaltsjahr die Zahl der Lehrerstellen. Im Schuljahr 2012/2013 sollen 378 Lehrerstellen weniger als im laufenden Schuljahr zur Verfügung stehen. Die angeblich rot-grüne „Priorität für Bildung“ – wie es immer so schön heißt – dient offensichtlich mehr dem „Window-Dressing“.

Ich möchte Sie, Frau Ministerin Löhrmann, in diesem Zusammenhang um mehr Transparenz und auch Ehrlichkeit in der öffentlichen Kommunikation bitten; denn Sie haben als Grüne im Wahlkampf die Behauptung „Alle Demografiegewinne bleiben im Schulsystem“ wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Jetzt aber müssen wir feststellen: Dieser Ankündigung folgen Sie nicht. Denn bereits im Jahr 2015 wollen Sie neu über diese Demografiegewinne verhandeln. Die Aussagen von Minister Walter-Borjans in diesem Zusammenhang sind ja nun sehr deutlich gewesen.

Ich darf Sie daher bitten, in der Öffentlichkeit und auch im Schulausschuss nicht weiter zu verkünden, dass die Gewinne im Schulsystem verbleiben. In der Anhörung des Unterausschusses „Personal“ haben zum Beispiel die Lehrerverbände jedweder Couleur bereits verdeutlicht, dass sie sich durch solche Kommunikationstricks verschaukelt fühlen.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Ihre Bildungspolitik fußt auf der vermeintlich wissenschaftlichen Strategie „Schulden für Prävention“. Sie kündigen nun an, dass als Folge Ihrer Präventionspolitik bis zum Jahr 2015 500 Stellen an Berufskollegs im Schulhaushalt eingespart werden können. Sie streichen bereits heute 21 Stellen als angebliche Präventionsrendite.

Die FDP hat die empirische Grundlage für diese Rendite nachgefragt, und die Antwort der Landesregierung lautet – ich darf zitieren –: „Die im Haushaltsentwurf ausgewiesene Stellenzahl von 21 ist eine Setzung der Landesregierung.“ Das heißt, die Landesregierung stellt schlicht und einfach eine Zahl in den Raum, von der sie dann behauptet, dies sei die Rendite Ihrer Arbeit. Meine Damen und Herren, dieses Vorgehen ist unseriös.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wissenschaftsministerin Schulze – sie ist momentan nicht anwesend – sollte sich

(Ministerin Svenja Schulze – vom Abgeordnetenplatz aus –: Doch, hier!)

– ach, Entschuldigung –, statt in Zeitungen die Mär von einer angeblichen wissenschaftlichen Grundlage dieser Präventionspolitik zu verbreiten, lieber dem doppelten Abiturjahrgang widmen, um die Bedingungen an den Universitäten entsprechend zu verbessern.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, wo liegen die Schwerpunkte in diesem Schulhaushalt?

Ein Schwerpunkt – das ist bereits von meinen Vorrednerinnen gesagt worden – ist das Thema „Inklusion“. Frau Ministerin Löhrmann, leider steuern Sie bei den sonderpädagogischen Fachkräften, bei der multiprofessionellen Unterstützung, bei zusätzlicher Lehrerfortbildung, bei der Sachmittelausstattung der Schulen und bei der wichtigen Frage der Konnexität sehenden Auges in einen massiven Qualitätsabbau bei der sonderpädagogischen Förderung hinein.

Ich habe ja bereits im Ausschuss betont, dass Ihre Maßnahmen zur Inklusion nicht ausreichen werden. Sie haben daraufhin erwidert, Sie würden eine Liste führen, was so alles gefordert werde.

Dazu sage ich Ihnen, Frau Ministerin Löhrmann: Es geht jetzt nicht darum, was wir hier fordern, sondern es geht um Ihre Versprechungen und Ihr Tempo, das Sie vorgegeben haben bzw. vorgeben. Wer kurzfristig einen grundsätzlichen Rechtsanspruch einführen will und hierfür die Qualitätsstandards der sonderpädagogischen Förderung herunterschraubt, der muss sich auch Kritik gefallen lassen.

Der jetzige Umgang mit den Kommunen bzw. den Schulträgern in Fragen der Konnexität wird sich verheerend auswirken. Ich sagen Ihnen, meine Damen und Herren: Die Klagen sind in Vorbereitung.

(Beifall von der FDP)

Ich wundere mich doch sehr, dass es der SPD offensichtlich nicht gelingt, den Anti-Kommunen-Kurs der Grünen zu stoppen,

(Lachen von den GRÜNEN)

die die Verantwortung für die Inklusion bei den Kommunen abladen wollen.

Sie erklären die Kosten der Inklusion für nicht konnexitätsrelevant und eröffnen gleichzeitig den Kommunen die Möglichkeit, umfangreich Förderschulen zu schließen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Den Schulträgern wird zur Finanzierung der mit der Inklusion verbundenen Kosten letztlich gar nichts anderes übrig bleiben. Die Folge wird sein, dass Eltern die Wahlmöglichkeit „Förderschule“ verwehrt wird.

(Zurufe von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Bei der Umsetzung der Inklusion müssen aber sowohl die Elternrechte als auch die Qualität der Förderung sichergestellt werden. Denn es muss heißen: Die Qualität bestimmt das Tempo und nicht umgekehrt.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, dieser Haushalt bedeutet eine klare Ressourcenschwerpunktsetzung für eine Minderheit von Schülern zulasten einer großen Mehrheit. Von einer Chancengerechtigkeit für alle Schüler und Lehrer kann und darf man hier nicht sprechen.

CDU, SPD und Grüne haben sich entschieden, Sekundarschulen mit umfänglichen Privilegien auszustatten: Grundsätzlicher Ganztag, Klassenfrequenzrichtwert von 25, geringere Unterrichtsverpflichtung als Lehrer an Haupt- und Realschulen und ein Differenzierungszuschlag in Höhe von 0,5 Stunden je Klasse je Woche sind ohne Wenn und Aber Privilegien. Alleine für den Mehrbedarf an Sekundarschulen müssen Sie 90 Stellen in den Haushalt einstellen.

Ich möchte hier für die FDP noch einmal betonen: Niemand in der FDP wünscht sich schlechte Bedingungen für die Kinder an Sekundarschulen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wir wollen für alle Kinder bestmögliche Förderbedingungen und bestmögliche Qualität an den Schulen.

Uns geht es um die Ungleichgewichtung bei der Ressourcenzuteilung. Laut Aussagen des Ministeriums sind 80 % der Kinder zum Schuljahr 2012/2013 auf allgemeinbildende weiterführende Schulen übergegangen, die strukturell und organisatorisch zurzeit schlechter behandelt werden.

Die FDP wird sehr genau beobachten, ob und wann Sie es zulassen, die sich bietenden Chancen an anderen Schulformen zu nutzen und umzusetzen.

Meine Damen und Herren, CDU, SPD und Grüne haben auch die Gründungsbedingungen für Sekundarschulen und Gesamtschulen durch Absenkung auf 25 Schüler pro Klasse erleichtert.

Mit dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz wollen Sie die Gründungswelle für Gesamtschulen noch stärker ausweiten.

Trotzdem kann man bei diesen Lockmitteln nur von einem begrenzten Erfolg des Schulkonsenses sprechen. Denn: Auch die Einrichtung der einen oder anderen Sekundarschule und Gesamtschule ist in den vergangenen Wochen und Monaten an mangelndem Elterninteresse gescheitert.

In Arnsberg sind im ersten Anlauf alle drei Sekundarschulen gescheitert. In Köln haben sich an einer stadtweiten Befragung 8.900 Eltern von Grundschulkindern beteiligt. Von diesen 8.900 haben gerade einmal 78 Eltern von Viertklässlern und 90 Eltern von Drittklässlern die Sekundarschule als ihre Wunschschulform benannt.

In Castrop-Rauxel – das wissen Sie – haben die Bürger mit nahezu 90 % die Schließung einer qualitativ hochwertigen Realschule abgeschmettert.

Offenbar wird die von uns geäußerte Kritik an der inneren Ausgestaltung der Sekundarschule auch von Eltern in Nordrhein-Westfalen geteilt.

Meine Damen und Herren, Grün und Rot haben auf ihrem Schulpolitikdampfer leider massiv Fahrt in Richtung Qualitätsabbau aufgenommen. Das können und werden wir nicht unterstützen. Deshalb werden wir dem vorliegenden Einzelplan 05 auch so nicht zustimmen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich nun der Kollegin Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Kollegin Hendricks dankbar, dass sie schon einmal die Basisdaten vorgetragen hat. Denn ich würde mich jetzt lieber auf die Replik zu den Beiträgen von Frau Vogt und Frau Gebauer konzentrieren.

Wir wissen, dass Demokratie manchmal schmerzhaft sein kann, aber dass mit Neuwahlen dann auch Amnesie über fünf Jahre ausgelöst wird, ist mir doch eine neue Erkenntnis und muss hier konstatiert werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist doch unglaublich! Haben Sie vergessen, dass Sie fünf Jahre in Raubmanier durch die Kommunen gezogen sind? Das ist doch heute Morgen bereits mehrfach angesprochen worden. Wollen Sie das nicht wahrhaben? Haben Sie das nicht wahrgenommen, als Sie noch nicht hier im Hause waren? Dann bitte ich, schauen Sie doch noch einmal in das Handeln der Landesregierung von 2005 bis 2010 hinein. Das wäre erstens ganz wertvoll.

Zweitens. Schauen Sie sich doch bitte auch die mittelfristige Finanzplanung des ehemaligen Finanzministers Linssen an. Da werden Sie Demografieeffekte nach 2010 gar nicht mehr finden. Die waren nämlich alle einkassiert. Es ist Rot-Grün gewesen, die genau dafür gesorgt haben, dass diese Ressourcen wieder dem Bildungssystem in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stehen!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Angela Freimuth [FDP])

– Ja, wir kommen jetzt noch zu vielen anderen Dingen.

Frau Gebauer, was beklagen Sie denn jetzt? – Beklagen Sie, dass wir in den Schulentwicklungsprozessen Beteiligungen für Eltern eingeräumt haben? Beklagen Sie, dass Eltern sagen können, ob sie ein Schulangebot akzeptieren werden, ja oder nein, ob das die Schule ihrer Wahl für Kinder ist? Ist das Ihre Kritik? Es ist doch klar, dass man dann auch aushalten muss, dass an bestimmten Standorten Schulangebote angenommen werden oder nicht.

Sie haben aber über fünf Jahre versucht, den dokumentierten Elternwillen nach Gesamtschulen re­striktiv zu beschränken, und haben versucht, den Gesamtschulen ihren Ganztag wegzunehmen und ihnen überall Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Versuchen Sie doch nicht, hier verkehrte Welt darzustellen!

Den Vortrag von Ihrem Vorgänger und Ihrer Vorgängerin über die Privilegierung der Sekundarschulen kenne ich zu Genüge. – Wir haben nie von der Privilegierung der Hauptschulen gesprochen, die einen 30-prozentigen Ganztagszuschlag erhalten haben, weil wir das als gut investiert ansehen. Das soll bei den Kindern ankommen. Wir würden uns nie erlauben, über Privilegierung in dem Rahmen zu sprechen. Wir haben den bestehenden Hauptschulen diesen Ganztagszuschlag auch nicht wieder genommen. Schön, dass Sie dann entsprechend rechnen.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

– Herr Stamp, Sie haben die Realität immer noch nicht akzeptiert: Die Eltern akzeptieren die Schulform Hauptschule nicht mehr!

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Weil Sie sie kaputtgemacht haben!)

Das ist genau der Effekt. Sie haben über fünf Jahre versucht, das zu beatmen, zu beatmen und zu beatmen. All Ihre Versuche haben nicht gefruchtet. Sie haben den Kommunen zum Teil Bauruinen hinterlassen, weil da Gelder hineingeflossen sind. Wenn Sie uns erzählen, wir sollten die Mittel effizient einsetzen, dann frage ich, was Sie denn gemacht haben. Sie haben die Gelder an die Kommunen in Schulprojekte lanciert, die keinen Bestand haben. Solche Schulen mussten jetzt geschlossen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dort sind die Mittel nicht effizient eingesetzt worden.

Sie sind gescheitert und abgewählt worden, weil Ihre Bildungspolitik verfehlt war. Arbeiten Sie Ihre Vergangenheit auf und schauen Sie in die Zukunft. Das tun wir mit diesem Entwurf für den Einzelplan 05.

Ich will mir die Zeit nehmen, um noch einige Sachverhalte zu klären.

Wertgeschätzte Frau Kollegin Vogt, wir nehmen alle Kapazitäten im Rahmen der Berufskollegs in Anspruch. Alle Lehrer sollen dort unterrichten. Sie haben zu Recht auf das Problem in Bezug auf die Rekrutierung gerade von Kolleginnen und Kollegen für das Berufskolleg für die gewerblich-technischen Bereiche aufmerksam gemacht. Daran arbeiten wir seit Längerem. Diese Landesregierung – Schulministerium und Wissenschaftsministerin zusammen – hat allerdings einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt, damit wir diesem Problem begegnen können.

Wenn wir aber damit anfangen, die Jugendlichen besser auf den Beruf vorzubereiten, wenn wir früh mit der Berufsorientierung ansetzen und wenn wir diese Maßnahmen zusammenbinden, damit es für Jugendliche im Übergang von Schule zu Beruf nicht in Warteschleifen hineingeht, dann ist dies doch das, was wir damit meinen, einen Bildungsweg ohne Brüche zu unterstützen, damit die Jugendlichen eine Lebensperspektive und eine Berufsperspektive bekommen.

Wir sagen doch nicht, dass das von heute auf morgen passiert. Deswegen ist auch nur ein geringer Ansatz für die Präventionsrendite im Haushalt enthalten. Natürlich muss das wachsen. Frau Vogt, wir werden uns das dann auch anschauen. Das ist in der Tat etwas, wo wir schauen müssen, wie das funktioniert, was in den Modellregionen passiert.

Ich habe die Rückmeldung aus den Arbeitsagenturen, dass sich da etwas tut, dass es in der Tat gelingt, Jugendliche schneller in Ausbildung zu vermitteln. Das hat einerseits etwas mit Konjunktureffekten zu tun, aber auf der anderen Seite auch mit einer konzentrierten Schulentwicklungsarbeit, die wir mit Stellen für den Ausbildungskonsens und mit Stellen für die Berufsorientierung in den Schulen unterstützen. – Auch davon haben Sie eine sehr verzerrte Wahrnehmung.

Ich will noch einmal die Frage an die CDU richten: Was wollen Sie eigentlich? – Wir setzen den Schulkonsens konsequent um. Von daher hätte ich mir gewünscht, dass sie ein eigenständiges Votum zu diesem Schulhaushalt abgeben würden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Man muss doch feststellen, dass der Schulkonsens in allen Punkten verlässlich umgesetzt wird: Wir senken die Klassenfrequenzrichtwerte bei den Grundschulen ab, wir gewähren das an Leitungszeit, was von den Schulen im Rahmen der Sekundarstufe I gebraucht wird, und wir haben schon 2011 mehr als 340 Stellen für die Grundschulen zur Verfügung gestellt, weil dort die Probleme am größten waren.

Sie haben hier auch das Thema Inklusion aufgerufen. – Okay, das ist ein wichtiges Thema, das im Land diskutiert wird. Sie müssten aber auch den Ablauf von Gesetzgebungsverfahren kennen. Im Augenblick gibt es einen Referentenentwurf, der sich in der Verbändebeteiligung befindet, aber noch keinen Gesetzentwurf, der in diesem Haus vorliegt und der mit einem Kostenblatt versehen ist. Eines kann ich Ihnen garantieren: Wie in unseren Gesprächen zum Schulkonsens vereinbart, rund 1.700 Stellen für die Absicherung der kleinen Grundschulstandorte vorzusehen, werden wir auch das Thema Inklusion ausstatten.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

– Herr Stamp, wenn wir uns auf Sie hätten verlassen müssen: Sie haben jahrelang nichts dafür getan.

(Beifall von den GRÜNEN)

Seit dem Jahre 2010 hat die Schulministerin mit dafür gesorgt, dass die Stellen für den gemeinsamen Unterricht verdoppelt worden sind, damit eine entsprechende Ausgestaltung möglich ist. Das ist etwas, was Sie jahrelang verschleppt haben. Ihre Fraktion hat die Konsensfindung zum Thema „Inklusion“ verschleppt und uns Knüppel zwischen die Füße geworfen. Sie hätten viel früher in die Vorsorge gehen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das sind Ihre Versäumnisse, Herr Stamp. Das Lamentieren hilft an der Ecke nicht. Rot-Grün fasst nämlich das Thema an. Wir haben es auf die Schiene gesetzt, und wir werden alles verlässlich umsetzen.

Noch einmal zum Verfahren: Nach der Verbändebeteiligung und natürlich auch nach den anstehenden Konnexitätsgesprächen kommt das entsprechende Papier in dieses Haus. Dazu können Sie sich dann – hoffentlich qualifiziert – einlassen. Dann werden wir darüber reden.

Jetzt bin ich froh, dass Rot-Grün die Schulen verlässlich weiter begleitet und dass wir den Weg fortgesetzt haben. Ich sehe, dass wir noch eine Menge an gemeinsamer Aufarbeitung zu leisten haben, damit wir in der Bildungspolitik wirklich vielleicht einmal an einem Strang ziehen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Piratenfraktion erteile ich Frau Kollegin Pieper das Wort.

Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich diese Diskussion verfolge, muss ich feststellen: Wer dieses Thema nutzt, um sich gegenseitig zu bashen, hat überhaupt noch nicht verstanden, was in den Schulen los ist. Dieses Thema eignet sich null dafür, aufeinander loszugehen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir alle wissen, dass es eigentlich keinen Sinn mehr macht, über die Ausgaben für Bildung im Haushalt 2012 zu diskutieren Das Jahr ist fast um, und das Geld ist längst weg. Ich möchte aber dennoch ein paar grundsätzliche Überlegungen zur finanziellen Lage im Bildungssektor und zu den anstehenden Baustellen anstellen.

Wir haben hier über Zahlen geredet, wir haben Programme aufgestellt, nur über die Kinder und Lehrer in den Schulen haben wir eigentlich ganz wenig geredet.

Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, Frau Löhrmann: Das Kooperationsverbot muss weg. Allein werden wir die drückenden Probleme in NRW nicht lösen können. Wir können aber nicht nur auf die Unterstützung durch Bundesmittel setzen, sondern wir müssen auch die Frage stellen, welche Prioritäten wir in Nordrhein-Westfalen setzen. Wo wollen und müssen wir mehr Geld einsetzen?

Mir ist klar, dass es auch zwischen den Ministerien einen Kampf um das Geld gibt. Jedes Ministerium benötigt mehr Geld, jedes Ressort ist unglaublich wichtig.

Warum haben wir jetzt unsere Änderungseinträge eingebracht? Wir wissen schon, dass sie im Grunde nicht umgesetzt werden können, weil das Geld ausgegeben ist. Aber wir wollen einfach ein Zeichen setzen.

Wir wollen zum einen auf die immer mehr ansteigende Belastung der Kolleginnen und Kollegen in den Schulen aufmerksam machen. Gerade einmal die Hälfte aller Lehrer erreicht das reguläre Pensionsalter. Der Krankenstand ist im Vergleich zu vielen anderen Berufen unverhältnismäßig hoch. Es ist eine oft gehörte und, wie ich finde, ausgesprochen zynische Aussage, dass wir nur die Hälfte der psychomotorischen Kliniken bräuchten, wenn man dort keine Lehrer mehr aufnähme.

Die zunehmenden Anforderungen an die Lehrer führen zu Überforderung und Burn-out. Es sollen immer mehr Inhalte vermittelt, immer mehr Verwaltungsaufgaben übernommen werden; Beispiel: das Bildungs- und Teilhabegesetz, das im letzten Jahr einen enormen Verwaltungsaufwand in die Schulen getragen hat. Interessengruppen verlangen immer neue Inhalte im Unterricht, ohne dass jemand sagt, was dafür gekürzt werden soll. Diese Situation führt zu Überforderung und letztendlich zu Burn-Out und Depression, weil das niemand mehr leisten kann. Ist ein Kollege erkrankt, müssen die anderen einspringen und dessen Aufgabe auch noch übernehmen. So entsteht ein Domino-Effekt.

Dem kann man mit einem größeren Pool an Vertretungslehrern zumindest ansatzweise entgegenwirken. Es muss dann aber auch möglich sein, sehr schnell und unbürokratisch eine Vertretung zu bekommen. Aktuell muss eine Langzeiterkrankung von mindestens zwei Monaten vorliegen, damit man überhaupt einen Anspruch auf Vertretung hat. Das aber passiert eigentlich eher selten. Kaum ein Arzt stellt einen solchen Krankenschein aus. Die Atteste erfolgen häufig Woche für Woche oder vierzehntägig. Also gibt es keinen Anspruch auf Vertretung. Auch an der Stelle muss etwas passieren.

Es ist unverantwortlich, dass wir unseren Lehrerinnen und Lehrern solche Arbeitsbedingungen zumuten. Das Schlimmste daran ist allerdings, dass überlastete Lehrer schlechter unterrichten. Darunter wiederum leiden die Schüler. Am härtesten trifft es die sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen, denn die brauchen individuelle Förderung und die Aufmerksamkeit ihrer Lehrer am allermeisten.

Bei Schülern mit Zuwanderungsgeschichte sind die Probleme besonders groß. Die unterschiedlichsten Studien zeigen das immer wieder. Es handelt sich um eine nicht kleine Gruppe. Im Schuljahr 2011/2012 machte sie 26 % der Gesamtschülerschaft aus. Das sind mehr als eine halbe Million Kinder und Jugendliche. Dringend müssen mehr Ressourcen für die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte in die Schulen kommen.

Da ist auch der herkunftssprachliche Unterricht ein wichtiges Angebot. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Gute Kenntnisse der Herkunftssprache erleichtern es den Kindern, gutes Deutsch zu lernen. Deshalb ist es wichtig, Mehrsprachigkeit zu fördern. Es ist gut, wenn Kinder mehr über die Kultur des Herkunftslandes der Eltern erfahren. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Integration. Wir wollen, dass mehr Kinder am herkunftssprachlichen Unterricht teilnehmen. Dafür ist das Angebot auszuweiten und offensiv dafür zu werben.

In den drei Bereichen „Vertretungspools“, „Integrationshilfen“ und „Herkunftssprachlicher Unterricht“ haben wir zusammen genommen rund 400 zusätzliche Lehrerstellen beantragt. Dieser Antrag wurde von allen anderen Fraktionen abgelehnt.

Wir mischen hier nun seit einem halben Jahr mit. Das achte Schulrechtsänderungsgesetz und das anstehende Gesetz zur Umsetzung von Inklusion sind wichtige Themen und ganz sicher Schritte in die richtige Richtung.

Nur über eines wird hier wenig geredet: Wie sieht es eigentlich in den Schulen aus? – Mit großer Bestürzung habe ich die Zahl psychisch kranker Schüler zur Kenntnis genommen. Ich glaube nicht, dass die Einführung neuer Schulformen und gemeinsamen Lernens ausreicht, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Die Zahlen betreffen alle Schulformen. Es muss sich also auch in den Schulen einiges ändern. Wir brauchen flächendeckend mehr Sozialpädagogen und Psychologen in den Schulen. Auch zu dem Zwecke brauchen wir mehr Geld.

An dieser Stelle möchte ich sagen: Ich empfinde es fast als zynisch, wenn auf eine Kleine Anfrage zum Thema „Burn-Out bei Lehrern“ von der Landesregierung darauf hingewiesen wird, dass sich die Schulpsychologen dem Problem der Lehrer annehmen und Hilfe leisten. Mir ist kein einziger solcher Fall bekannt. Es gibt ja noch nicht einmal genug Hilfe für die Schüler.

(Beifall von den PIRATEN)

Sozialarbeiter und Psychologen kommen außerdem oft erst dann zum Einsatz, wenn sich die Probleme eines Schülers bereits manifestiert haben. Was ist eigentlich mit den Schulen los, sodass offensichtlich immer mehr Schüler und Lehrer die Schule nicht mehr als sinnstiftend betrachten, weil sie ihre Realität nicht widerspiegelt, manchmal sogar noch nicht einmal mehr streift?

Wir brauchen einen Unterricht, mit dem sich Schüler identifizieren, der ihnen im Alltag hilft und für sie nachvollziehbar sinnvoll ist. Dabei muss auch der Einsatz von neuen Medien eine größere Rolle spielen. Der Medienpass ist in dem Zusammenhang nur ein minimaler Ansatz.

Wir müssen verhindern, dass Kinder aus den sogenannten bildungsfernen Elternhäusern Computer und Internet nur als Unterhaltungsmedien kennenlernen. Informationstechnologien sind aus dem Arbeitsleben nicht mehr wegzudenken. Wie man sie zum Arbeiten gebraucht, muss in den Schulen eingeübt werden.

Dabei ist die Förderung von Lernmaterialien unter freier Lizenz ein wichtiger Schritt. Mittelfristig müssen wir weg vom Monopol der Schulbuchverlage. Mit Information und Unterstützung beim Einsatz freier Lernmedien können wir sofort beginnen.

Der Lizenzdschungel ist für einzelne unüberschaubar. Viele Lehrer können das gar nicht mehr handlen: Für einzelne Schüler müssen Lizenzen beantragt werden. Der Arbeitsaufwand ist enorm. Macht man einen Fehler, ist man dafür auch noch rechtlich verantwortlich und gerät in Schwierigkeiten. Da verzichtet mancher lieber ganz und holt die Arbeitsmappe heraus. Das verstehe ich gut.

Frau Löhrmann, Sie fordern die individuelle Förderung aller Schüler. – Zu Recht! Software unter freier Lizenz ist dabei eine große Hilfe. Wenn man ganz unbürokratisch für jeden Schüler das angemessene Übungsprogramm nutzen kann, wird man es auch einsetzen.

Die Schulen stehen vor großen Herausforderungen. Deshalb sind Schulentwicklungsprojekte so wichtig. An solchen Projekten sind die Kommunen als Schulträger der öffentlichen Schulen immer beteiligt. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, dass Kommunen in diesem Bereich weniger Mittel aus dem Landesetat bekommen sollen. Die Haushaltssituation in vielen Kommunen ist katastrophal. Die Kommunen müssen an allen Ecken und Enden sparen. Aus Köln war beispielsweise neulich zu hören, dass die Stadtverwaltung ihre Bediensteten deshalb in Zwangsurlaub schicken will. Ich denke, dass das eigentlich alles sagt.

Auch die Kommunen brauchen mehr Geld für die Schulen – vor allem dann, wenn der Prozess der Inklusion gelingen soll.

Wir sehen an den Schulen noch weitere Probleme und werden diese hier zur Sprache bringen. Wir müssen uns zum Beispiel auch dem Problem der ungleichen Bezahlung und unterschiedlichen Unterrichtsverpflichtungen von Lehrern widmen. Diese führen zu Unzufriedenheit und Konflikten in den Kollegien. Die Entwicklung einer inklusiven Schule wird dieses Konfliktfeld vermutlich weiter verschärfen. Auch hier werden wir eher mehr als weniger Geld brauchen.

Nicht zuletzt ist es nötig, über die vielen fehlenden Schulleiter zu sprechen. Besonders betroffen sind die Grundschulen. Es geht um einen Job mit hoher Arbeitsbelastung und Verantwortung. Diese stehen in keinem angemessenen Verhältnis zur Bezahlung. Es ist zu befürchten, dass sich auch diese Entwicklung verschärft. Die neuen Aufgaben auf dem Weg zur inklusiven Schule werden zu noch höherer Belastung führen. Da ist der Schulleiterjob alles andere als ein Traumjob.

Fazit: Wir brauchen mehr Geld im Bildungssystem von NRW. NRW steht im Bundesvergleich bei den Pro-Kopf-Ausgaben an hinterster Stelle. Die Klassenfrequenzen sind im Vergleich zu anderen Bundesländern immer noch viel zu hoch. Da wird auch der Demografiegewinn nicht ausreichen.

Bildung ist eine Investition in unser aller Zukunft. Wir dürfen uns nicht über einen Mangel an Ingenieuren beschweren, wenn wir nicht genügend Schüler auf ein solches Studium vorbereiten. Und wir dürfen uns vor allem nicht über den Mangel an studierten Fachkräften beschweren, wenn es nicht genügend Studienplätze gibt. Wir brauchen eine Bildungsoffensive. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Pieper. – Für die Landesregierung erteile ich nunmehr Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bildungskonferenz und der Schulkonsens zwischen Regierungsparteien und Opposition haben den Weg bereitet, die Schullandschaft in Nordrhein-Westfalen weiterzuentwickeln, und wir agieren systematisch angelegt, schrittweise und nachhaltig mit einer Gesamtkonzeption, in der die verschiedenen Gesetze und Haushaltsmaßnahmen ineinandergreifen.

Die Bildungskonferenz, der Schulkonsens und die hieraus resultierenden und schon erfolgten Änderungen des Schulgesetzes und der Landesverfassung sind eine große politische Gemeinschaftsleistung und beleben die Schullandschaft in Nordrhein-Westfalen, indem sie eine pragmatische, innovative Schulentwicklung vor Ort möglich machen.

Es gibt einen Unterschied in den Debattenbeiträgen der CDU. Während Herr Kaiser diesen Haushalt, der im Wesentlichen der gleiche ist wie der in der 15. Legislaturperiode eingebrachte, im Schulausschuss als faire Umsetzung des Schulkonsenses bezeichnet hat – da war die CDU teilweise unser Partner, weil wir Minderheitsregierung waren –, ist diese positive Aussage jetzt von der CDU – jetzt will sie sich in der Opposition schließlich etwas deutlicher artikulieren – nicht mehr getätigt worden. Die Grundlagen im Einzelplan 05 sind aber nach wie vor die gleichen.

(Zuruf von der CDU: Was?)

Um die Entwicklung systematisch weiterzuführen, müssen wir den Schulkonsens auch haushaltspolitisch mit Leben füllen. Wir werden die notwendigen Ressourcen sowohl mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf 2012 als auch mit den Haushaltsentwürfen für die Folgejahre bereitstellen. Damit schaffen wir die Voraussetzung, um in dieser Legislaturperiode neue Schulformen – Sekundarschulen, Gesamtschulen – einzurichten, in allen Schulformen – von der Grundschule über die Realschule bis hin zur Gesamtschule und Gymnasium – die Klassengrößen Schritt für Schritt zu verringern und den Ganztag auszubauen. Das sind ganz konkrete Anforderungen, die die Schulöffentlichkeit an die Landesregierung und den Haushaltsgesetzgeber stellt.

Wir – damit meine ich die den Schulkonsens tragenden Fraktionen – haben uns darauf verständigt, dass die Realisierung finanzrelevanter – das heißt: stellenrelevanter – Maßnahmen in dem Maße erfolgen kann, in dem Ressourcen durch zurückgehende Schülerzahlen frei werden. Das sage ich an die Adresse derer, die meinen, alles gehe sofort und alles gehe auf einmal. Wir haben ausdrücklich festgehalten, dass das nicht der Fall ist.

Vielleicht muss man noch einmal an eines erinnern. Wir haben zu Beginn unserer letzten Regierungszeit mit unserem Haushalt erst einmal eine „Lehrerlücke“ schließen müssen. Das waren 1.700 Stellen, die wir zusätzlich geschaffen haben, um eine hohe Ausgangslage zu gewährleisten.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Was die Schulentwicklung angeht, so will ich Folgendes auch noch einmal sagen: Frau Gebauer, natürlich gibt es an der einen oder anderen Stelle Streit über die kommunale Schulentwicklung. Aber das hat nicht mit dem Schulkonsens angefangen. Das hat es schon immer gegeben. Es hat Bürgerbegehren für oder gegen bestimmte Schulformen gegeben, und dass es an der einen oder anderen Stelle Streit gibt, stellt doch nicht diese Erfolgsbilanz unserer Regierungsarbeit infrage. Mittlerweile sind nämlich über 70 neue Schulen des längeren gemeinsamen Lernens aufgrund großen Konsenses vor Ort geschaffen worden. Also, das setzen Sie damit nicht außer Kraft, und ich kann mir vorstellen, dass es Sie nach wie vor ein bisschen ärgert, dass Sie im Grunde nicht mit dabei sind.

Im Haushaltsentwurf 2012 werden die demografischen Effekte wie folgt eingesetzt: erstens für den Mehrbedarf der neu zu gründenden Sekundarschulen, zweitens für den ersten Schritt zur Absenkung des Klassenfrequenzrichtwerts an Grundschulen von 24 auf 23,75, drittens für 35 neue Ganztagsschulen in der Sekundarstufe I – davon sind etliche Gymnasien; das betone ich in Richtung FDP –, viertens für den Ausbau offener Ganztagsschulen im Primarbereich um 10.000 Plätze und fünftens für den Mehrbedarf beim Ausbau des gemeinsamen Unterrichts und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stamp zulassen?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Wenn Sie die Uhr anhalten, gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich interpretiere das als klares Ja.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Ministerin, ich habe folgende Nachfrage: Sie haben den Aufwuchs der Schulen des längeren gemeinsamen Lernens gerade noch einmal als Erfolg herausgestellt. Jetzt war im Zusammenhang mit der Abstimmung in Castrop-Rauxel über Realschule und Sekundarschule klar erkennbar, dass die kommunalen Vertreter dort vor Ort argumentiert haben, dass der entscheidende Vorteil die Ausstattung der entsprechenden Schulen sei. Wird das Ihrem pädagogischen Anspruch als Schulministerin gerecht, wenn sich diese Schulen nur aufgrund der entsprechenden Ausstattung durchsetzen?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Ich habe die Gründe, die einen Schulträger dazu bewegen, eine Schule welcher Art auch immer einzurichten, nicht zu bewerten. Wir haben eine klare verfassungsrechtlich vorgegebene Aufgabenteilung. Das Land gibt den gesetzlichen Rahmen für die Schulentwicklung vor, und dann entscheiden die kommunalen Schulträger in eigener Verantwortung. In Nordrhein-Westfalen gelten nämlich die kommunale Selbstverwaltung und das Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, dass vor Ort entschieden werden soll, wenn vor Ort entschieden werden kann. Diesem Grundsatz folgen wir.

Wir haben einige Anforderungen formuliert, beispielsweise dass der Elternwille zu erfragen ist. Wir könnten lange darüber streiten, warum Eltern ihr Kreuzchen genau an der Stelle machen, wo sie es machen.

Also, das ist in Nordrhein-Westfalen rechtlich gut und vernünftig geregelt, und ich maße mir nicht an, weder die kommunale Entscheidung noch das Elternwahlverhalten zu beurteilen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Dann können Sie die Realschulen doch genauso ausstatten!)

Die Kommunen, die Bezirksregierungen und das Ministerium entscheiden in Nordrhein-Westfalen nach Recht und Gesetz.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Dann können Sie die Realschulen doch genauso ausstatten!)

Eines haben Sie vielleicht noch nicht verstanden, Herr Stamp.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ja?)

Vielleicht wäre es schön gewesen, Sie hätten an den intensiven Gesprächen, die Herr Kaiser, Herr Link, der jetzt Oberbürgermeister von Duisburg ist, Herr Röttgen, Herr Laumann, Frau Kraft, Frau Beer und ich führten, teilgenommen. Es gibt einen Grund zum Beispiel für das verringerte Stundendeputat der Lehrerinnen und Lehrer an Gesamtschulen und auch an Sekundarschulen und auch für den Differenzierungszuschlag. Denn Schulformen, die alle Kinder annehmen und nicht differenzieren, um welche Kategorie von Kind es sich handelt, haben einen erhöhten Vorbereitungs- und Differenzierungsbedarf, um der individuellen Förderung, die im Schulgesetz steht, gerecht werden zu können. Das ist der Grund.

Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten im Ergebnis nicht weniger, sie haben nur eine unterschiedliche Ausgangsberechnung zur Grundlage. Das können wir gerne vertiefen. Das ist der Hintergrund für diese Entscheidung. Ich finde es fahrlässig, wie Sie versuchen, sozusagen einen Spalt in die im Großen und Ganzen breit akzeptierte Entwicklung zu treiben, die wir Gott sei Dank in Nordrhein-Westfalen eingeleitet haben.

Meine Damen und Herren, neben dem Schulkonsens und der Inklusion sind auch die Ergebnisse der Bildungskonferenz in den Haushaltsentwurf 2012 eingeflossen. Ich möchte hier die Erhöhung der Leitungszeit für die Schulleitungen, für die wir 224 Stellen einsetzen, und den Ausbildungskonsens, den wir mit 70 Stellen unterstützen, nennen. Auch hier die Prioritätensetzung: Wir investieren erst einmal in das neue Übergangssystem, nämlich 70 Stellen, und dann gehen wir davon aus, dass wir Jugendliche, was im Übrigen auch die FDP fordert, schneller in die duale Ausbildung bringen. Und wenn sie in der dualen Ausbildung sind, dann brauchen sie keine vollzeitschulische Ausbildung. Und dann kann man auch diese Stellen, ohne dass es irgendeinen Qualitätsverlust für die jungen Leute hätte, absetzen.

Darüber hinaus erhöhen wir die Mittel für die Lehrerfortbildung um 750.000 €. Damit folgen wir ebenfalls einer Anregung der Bildungskonferenz.

Das Integrations- und Teilhabegesetz sieht die Umwandlung und Ausweitung der regionalen Arbeitsstellen vor. Für den flächendeckenden Ausbau haben wir 50 Lehrerstellen vorgesehen.

Wir erhöhen die Mittel für die privaten Ersatzschulen in Nordrhein-Westfalen um beinahe 43 Millionen €. Alle Maßnahmen des Schulkonsenses werden auch in der Finanzierung der privaten Ersatzschulen berücksichtigt.

Meine Damen und Herren, ich habe bei den Haushaltsberatungen im Ausschuss für Schule und Weiterbildung erneut mehr Zustimmung und wenig Kritik erfahren. Prinzipiell sind alle Fraktionen mit dem Haushaltsentwurf 2012 für den Einzelplan 05 weitgehend zufrieden. Die Piratenfraktion hat Änderungsanträge gestellt, die darauf abzielen, die Zahl der Lehrerstellen um 369 zu erhöhen. Frau Pieper, es ehrt Sie sehr, dass Sie selber hier im Grunde die Sinnhaftigkeit Ihrer Forderung ein bisschen infrage stellen, indem Sie sagen, Sie wollen im Grunde nur ein Signal geben, wissend, dass das eigentlich nicht mehr vernünftig verausgabt werden kann.

Meine Damen und Herren, trotz der angespannten Finanzlage des Landes steigen die Ausgaben des Schuletats um knapp 600 Millionen €. Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, dass die sogenannte demografische Rendite im Schulsystem bleibt. Die Ministerpräsidentin hat in ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht, dass wir freiwerdende Bildungsressourcen nicht streichen, sondern für noch bessere Bildung einsetzen wollen. Ich bin sehr dankbar, dass uns dies trotz der schwierigen Haushaltslage gelungen ist.

Damit ist für mich aber auch klar, dass es nicht mehr um mehr Lehrerstellen gehen kann. Es geht darum, in Zeiten schwieriger Haushaltslagen die vorhandenen Ressourcen gezielt einzusetzen. Ja, dafür müssen Prioritäten gesetzt werden. Diese sind in erster Linie durch die Vereinbarungen zum Schulkonsens und durch die Erfordernisse der Inklusion vorgegeben. Ich sehe daher im Moment keine weitergehenden Spielräume, etwa um die Wünsche der Piraten zu erfüllen.

Frau Vogt, wenn Sie beklagen, dass wir heute nicht genug Sonderpädagogen haben, dann frage ich Sie: Wann hätten dafür denn an den Universitäten Kapazitäten geschaffen werden müssen? Es war und es ist doch nicht möglich, ohne zusätzliche Ressourcen die sonderpädagogischen Kapazitäten auszubauen, weil ein Pinkwart’sches Hochschulfreiheitsgesetz es verunmöglicht, dass wir hier steuernd eingreifen können. Da liegt doch die Problemlage. Und zusätzliches Geld haben Sie den Universitäten nicht gegeben.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wir haben das im 2012er-Haushalt noch nicht drin. Aber Kollegin Schulze und ich haben im Kabinett durchgesetzt, dass wir für 2013 eine Ausweisung der sonderpädagogischen Kapazitäten vorsehen. Das kann ich an dieser Stelle vorgreifend sagen. Also bitte bei der Wahrheit bleiben, damit klar ist, wer zu verantworten hat, dass wir jetzt die Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen nicht haben!

Meine Damen und Herren, Änderungsanträge von FDP und CDU zum Einzelplan 05 hat es nicht gegeben. Es sind gleichwohl noch Wünsche geäußert worden. Es ist gesagt worden: Eigentlich ist es gut, dass Bildung diese Priorität hat. – Also kann man doch jetzt erwarten, dass CDU und FDP bei den folgenden Reden zu den anderen Einzelplänen einmal Gegenfinanzierungsvorschläge machen, damit trotz der Priorität für Bildung die Neuverschuldung gesenkt werden kann. Ich habe bei den ersten Debatten gut zugehört, aber keinen einzigen Einsparvorschlag vernommen.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Studienbeiträge!)

Es gab auch keine in den Bereichen Kommunen und Polizei. Überall habe ich nur den Wunsch nach mehr Geld gehört. Das werden wir schön weiterverfolgen und am Ende der Debatte natürlich zusammenführen. Dann wird nämlich deutlich, dass Sie in Bezug auf die Gesamtverantwortung unredlich agieren.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dr. Stefan Berger [CDU]: Studienbeiträge!)

– Da bin ich mal gespannt, wie Sie die Entscheidung in Bayern begleiten werden.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich – ich glaube, Frau Pieper hat es getan – das Kooperationsverbot ansprechen. Ich habe im Ausschuss für Schule und Weiterbildung um Unterstützung geworben, dass es nicht nur für die Hochschulen weiter gelockert, sondern auch für die Schulen gelockert werden muss. Wir brauchen für unsere Schulen eine gesamtstaatliche Verantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden, mit denen wir die Herausforderungen, die vor uns liegen, bewältigen können. Wir haben ein durchaus konstruktives Gespräch aufgrund der Bundesratsentscheidung, die auch auf Initiative von Nordrhein-Westfalen zustande gekommen ist, mit Bundesministerin Schavan geführt. Für den Schulbereich haben wir die Themen „Inklusion“ und „Ganztag“ als zentrale Handlungsfelder identifiziert. Daran wird jetzt gearbeitet. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Ihren Parteien um Unterstützung zur Aufhebung dieses Kooperationsverbots werben würden.

Gute Schulpolitik ist immer auch Integrationspolitik, Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik. Es ist allemal wert, dass wir uns gemeinsam darum kümmern. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind damit am Schluss der Beratung des Einzelplans 05, Ministerium für Schule und Weiterbildung. Gemäß der interfraktionellen Vereinbarung wird die Abstimmung über diesen Einzelplan zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. (Siehe Abstimmung zu Einzelplan 06)

Wir steigen damit ein in die Beratung über den

     Einzelplan 06
Ministerium für Innovation,
Wissenschaft und Forschung

Ich verweise auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 16/1206.

Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner für die CDU-Fraktion Herrn Kollegen Dr. Berger das Wort.

Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn der Rede zwei Feststellungen treffen.

Erstens: Noch nie studierten so viele Menschen an nordrhein-westfälischen Hochschulen. Es sind über 632.000 Studierende. Das ist ein historischer Höchststand. Das ist ein guter Erfolg für Nordrhein-Westfalen, und das ist gut für dieses Land.

(Beifall von der CDU)

Zweitens: Demgegenüber, Frau Schulze, gab es jedoch noch nie eine Wissenschaftsministerin, die so spät und so unzureichend auf die Herausforderungen, die jetzt vor uns liegen, reagiert hat, wie Sie.

(Beifall von der CDU)

Zum Haushalt. In der Tat – und das ist richtig – weist das Haushaltsvolumen im Einzelplan mit über 6,6 Milliarden € einen historischen Höchststand auf. Das erscheint zunächst einmal erfreulich.

Fakt ist jedoch: Wenn man den einzelnen Studierenden betrachtet, ergibt sich ein anderes Bild. Ermittelt man nämlich die Ausgaben pro Kopf für den Einzelnen, so stellt man fest, dass im Jahr 2011 bei einem Haushaltsvolumen von 6,2 Milliarden € eine Ausgabe pro Studierendem von 10.524 € vorlag. Untersucht man jetzt das Jahr 2012, so stellen wir aufgrund der steigenden Studierendenzahlen fest, dass die Ausgaben pro Kopf lediglich 10.506 € betragen. Man kommt zu folgendem Ergebnis: Die Ausgaben pro Studierenden sind in einem Jahr um 18 € pro Kopf gesunken.

Diese Aussage allein, Frau Schulze, belegt schon Ihr Scheitern in dem Bemühen, die Bedingungen für den Einzelnen zu verbessern. Weniger Geld für den Einzelnen heißt schlechtere Studienbedingungen für den Einzelnen, obwohl das Gesamthaushaltsvolumen so hoch ist wie noch nie – für den Einzelnen noch weniger als im letzten Jahr.

Nun rächt es sich, dass Ihre Landesregierung Wahlgeschenke gemacht hat, zum Beispiel in Form der Abschaffung der Studienbeiträge.

(Zuruf von der SPD: Was wollen Sie denn?)

Sie verzichten hier auf Hunderte von Millionen Euro, durch die die Studienbedingungen nachhaltig verbessert würden. Sie werfen jetzt Nebelkerzen, Frau Schulze!

(Zuruf von der SPD: Das sind Ihre eigenen!)

Sie rufen nach dem Bund. Sie sagen, der Bund solle die Mittel für den Hochschulpakt II erhöhen, damit Ihr Wahlgeschenk, die Abschaffung der Studienbeiträge, durch den Bund mitfinanziert wird. Das machen wir an dieser Stelle in dieser Form so nicht mit. Man sieht ganz klar, Frau Schulze: Sobald Sie auf sich selbst gestellt sind, sobald Sie aus eigener nordrhein-westfälischer Kraft die Herausforderungen bestreiten sollen, sind Sie klar überfordert.

Dasselbe Bild ergibt sich bei der Schaffung von Wohnheimplätzen. Vorgestern, also keine zwölf Monate vor dem doppelten Abiturjahrgang, haben Sie ein Bauprogramm für 3.000 Wohnheimplätze vorgelegt. Das wäre eigentlich ein gutes Signal, wenn es vor einem Jahr oder vor zwei Jahren begonnen hätte. Sie kommen hier an dieser Stelle – und das ist jedem klar – aber völlig zu spät. Deswegen hat die gestrige Presse auch zu Recht von unnötiger Hast und sogar von Torschlusspanik in den Kommentaren gesprochen.

Niemand nimmt Ihnen ab, dass Sie erst vorgestern gemerkt haben wollen, dass sich seit Jahren immer mehr Studierende einschreiben und dass jetzt ein doppelter Abiturjahrgang vor der Tür steht.

Sie zitieren immer die Zahlen der Kultusministerkonferenz und sagen, die Kultusministerkonferenz hätte die Zahlen früher anpassen müssen. Ja, nun gut, Sie selbst sind Mitglied in der Kultusministerkonferenz. Frau Löhrmann sitzt im Präsidium der Kultusministerkonferenz. Sie hätten der Kultusministerkonferenz mitteilen können, dass in Nordrhein-Westfalen mehr und mehr Studenten studieren. Dann hätte die Kultusministerkonferenz ihre Zahlen vielleicht einmal aktualisiert. Das ist Ihr Punkt.

Andere Bundesländer sind wesentlich weiter. Das Deutsche Studentenwerk listet auf, dass sich in Baden-Württemberg 3.100 Plätze, in Hessen 1.670 Plätze, in Bayern 2.420 Plätze und nur in Nordrhein-Westfalen bis vorgestern 593 Plätze im Bau oder in Planung befanden. Frau Schulze, auch hier sprechen die Zahlen eine klare Sprache: Andere Bundesländer haben längst gehandelt. Sie, Frau Schulze, kommen zu spät und sind von den Ereignissen getrieben.

(Beifall von der CDU)

Dasselbe zieht sich im Bereich der BAföG-Bearbei­tung durch. Die Arbeitsgemeinschaft der Studentenwerke hatte im März Alarm geschlagen. Auf einen Sachbearbeiter in Nordrhein-Westfalen kommen 670 Fälle pro Jahr. In Bayern sind es nur 550 Fälle. Die Anzahl der BAföG-Empfänger steigt hier auch. Nicht zu Unrecht sind deswegen diverse Asten empört über die Situation und sprachen in einer Pressemitteilung von September 2012 darüber, dass das Ministerium die Studentenwerke und Tausende von Studierenden im Stich lassen würde. Ich weiß, dass Sie danach reagiert haben. Aber auch an dieser Stelle sind Sie wieder Getriebene der Ereignisse und nicht, wie es sich eigentlich für eine Ministerin gehört, Herrin des Verfahrens.

Untätigkeit findet sich auch im Bereich der Qualität der Lehre. Nach Angaben Ihres Ministeriums kommen auf einen Professor in Nordrhein-Westfalen fast 70 Studierende. Im Schnitt sind es bundesweit 56 Studierende. In Niedersachsen sind es nur 47 Studierende. Nach Ihren eigenen Angaben hat Nordrhein-Westfalen das schlechteste Professoren-Studierenden-Verhältnis pro Kopf in Deutschland.

Nimmt man jetzt noch die eingangs erwähnte Tatsache hinzu, dass die Ausgaben pro Kopf pro Studierenden hier in Nordrhein-Westfalen sinken, ist das eine sehr ungute Entwicklung. Wir haben keine Idee, wie Sie dagegen steuern werden. Das muss sich dringend ändern.

(Beifall von der CDU)

Zusammenfassend sind es drei Punkte, die begründen, warum wir diesen Haushalt ablehnen.

Erstens: Wir steuern mit großen Schritten auf den doppelten Abiturjahrgang zu. Sie, Frau Schulze, haben weder einen Plan noch ein Konzept, wie mit den Herausforderungen dieses Studierendenaufwuchses umzugehen ist, oder aber sie kommen, wie beschrieben, viel zu spät.

Ja, Frau Schulze, Sie stehen an der Spitze eines Ministeriums, das einen steigenden Haushalt hat. Das ist aber nicht nur Ihr Verdienst. Die Erhöhung geht zum einen auf rechtliche Verbindlichkeiten zurück. Zum anderen sind es auch Maßnahmen der alten Landesregierung, wie zum Beispiel das FH-Ausbauprogramm unter Prof. Dr. Pinkwart, von denen Sie jetzt profitieren. Das muss man der Vollständigkeit halber erwähnen.

Absolut betrachtet – ich wiederhole es –, ist der Haushalt so hoch wie noch nie. Pro Kopf gibt es aber weniger als im Vorjahr.

Der zweite Punkt: Wir vermissen von Ihnen ein Konzept, das über den Tag hinausgeht. Sie geben keine Antworten, wie Sie mit dem Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen zukünftig umgehen wollen. Mit einem Gender-Forschungsprogramm wird es Ihnen ebenso wenig gelingen, Nordrhein-Westfalen fit für die Zukunft zu machen, wie mit der Abschaffung der Studiengebühren. Beides ist nicht geeignet, die Wissenschaftslandschaft in Nordrhein-Westfalen sicher in die nächsten zehn, 20 Jahre zu führen. Hier vermissen wir ein klares Konzept.

Frau Schulze, Sie sind jetzt seit zweieinhalb Jahren Ministerin und sitzen auf diesem Posten. Dass die Schuhe Ihres Vorgängers Andreas Pinkwart sehr groß für jeden Nachfolger sein würden, wussten wir von Anfang an.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD)

Dass Sie aber so kleine Füße haben, das hätte ich nicht gedacht. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Als nächstem Redner erteile ich für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Schultheis das Wort.

Karl Schultheis (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Berger, wenn die Schuhgröße eines einzelnen Abgeordneten der Maßstab wäre, müssten Sie auch Spuren hinterlassen. Die sehe ich leider nicht.

(Heiterkeit)

Herr Dr. Berger, ich will zunächst auf die Anmerkungen eingehen, die Sie gemacht haben, weil es ja auch eine lebendige Debatte sein soll:

Frau Ministerin Löhrmann hat eben darauf hingewiesen, im Schulausschuss sind keine Anträge gestellt worden. Auch im Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung sind Ihrerseits keine Anträge gestellt worden.

Ich will das Thema „Studiengebühren“ aufgreifen, das Sie leider – oder Gott sei Dank – nicht aufgeben. Denn das erinnert immer die Studierenden und ihre Eltern daran, welchen Mehrwert ihre Kinder haben, dass sie ohne zusätzliche Kostenbelastung ein Studium ergreifen und durchführen können. Das führt auch zu der von Ihnen gelobten hohen Anzahl von Studierenden an Nordrhein-Westfalens Hochschulen. Da besteht ein Zusammenhang, dass wir in der Lage sind, hier in Nordrhein-Westfalen Bildungspotenziale weiter auszubauen und weiter zu gewinnen – in dem Sinne, wie es Frau Ministerin Schulze und unsere Ministerpräsidentin deutlich machen: kein Kind zurücklassen, keinen jungen Menschen zurücklassen, Talente fördern, um damit auch die Zukunftschancen unseres Landes zu sichern. Denn mit gut ausgebildeten Fachkräften erreichen wir eine stärkere Wirtschafts- und Steuerkraft, um das zu finanzieren, was wir hier gemeinsam verantworten.

Zur Abschaffung der Studiengebühren, Herr Dr. Berger, sollten Sie auch mal mit Herrn Laumann sprechen. Sie wechseln sehr stark die Position. Im Landtagswahlkampf haben Sie sich schon einmal der Position der SPD angeschlossen. Dann haben Sie sie wieder aufgegeben. Ich bin gespannt, wie Ihre Position drei Monate vor der nächsten Landtagswahl aussehen wird. Entscheiden Sie sich endlich mal gegen Studiengebühren! Das würde diesem Hause und natürlich auch der CDU gut zu Gesicht stehen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

In Bayern scheint man weiter zu sein als in Nordrhein-Westfalen.

Was die Wohnheimplätze und die Vorsorge für die jungen Studierenden angeht, muss ich Sie daran erinnern, dass von 2005 bis 2010 CDU und FDP hier im Landtag die Verantwortung getragen haben. Sie haben – das war eine Ihrer ersten Maßnahmen, die Sie gemeinsam ergriffen haben – die Zuschüsse für die Studentenwerke um 20 % gekürzt.

Die jetzige Landesregierung hat die Bezuschussung der Studentenwerke Schritt für Schritt wieder angehoben. Dazu gehören auch die Ausgaben für die BAföG-Ämter und die Wohnheimplätze. Sie haben nicht Vorsorge getroffen.

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

– Ja, Sie haben sehenden Auges irgendwelche Stichwörter in die Welt gesetzt, ohne das dafür Erforderliche finanziell zu hinterlegen, nämlich den Ausbau der Studienplätze, den Ausbau der Fachhochschulen, der jetzt finanziert wird. Damit dicke Pressemitteilungen zu machen, ist eine Sache, es schlussendlich finanzieren zu müssen und durchziehen, ist eine ganz andere. Deshalb bin ich dem Finanzminister und der Landesregierung dankbar, dass es zu dieser hohen Steigerung des Wissenschaftshaushalts 2012 kommt. Ich gehe davon aus, dass wir die entsprechende Steigerung auch im nächsten Jahr fortschreiben müssen, um der größeren Zahl von Studierenden in Nordrhein-Westfalen ein erfolgreiches Studium zu ermöglichen.

Die BAföG-Bearbeitung haben wir hier intensiv diskutiert. Die Lage stellt sich nicht so dar, wie Sie sie darzulegen versuchen. Die BAföG-Anträge werden bearbeitet. Dass die Zahl derjenigen, die einen Antrag stellen können, größer wird, dafür stehen wir auch. Denn wir haben gefordert, dass das BAföG angepasst wird, was die Leistungen und den Kreis der Leistungsbezieher angeht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie bitte. Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Busen von der FDP zu?

Karl Schultheis (SPD): Selbstverständlich.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte, Herr Kollege.

Karlheinz Busen (FDP): Herr Kollege, finden Sie es sozial gerecht, dass Studierende alles kostenlos bekommen und ein kleiner Handwerksgeselle, der seine Meisterprüfung machen will, bis zu 10.000 € aus eigener Tasche bezahlen muss?

Karl Schultheis (SPD): Davon abgesehen, dass es sehr unterschiedliche Zuständigkeiten für die berufliche Bildung gibt, haben Sie als schwarz-gelbe Bundesregierung vielfache Möglichkeiten, die finanziellen Rahmenbedingungen zu verbessern. Gerade für den Handwerksbereich ist das Meister-BAföG in Gang gesetzt worden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass jegliche Ausbildung für Fachkräfte nicht zulasten von Studierenden oder Auszubildenden geht.

(Beifall von der SPD)

Daran können wir gerne gemeinsam arbeiten – keine Frage. Aber Sie belasten durch die Studiengebühren gerade die Eltern, die im Handwerk arbeiten. Möglicherweise muss die Mutter an der Kasse im Supermarkt ihr Geld verdienen und soll zusätzlich Gebühren bezahlen. Diese Gruppe belasten Sie insbesondere, und dadurch behindern Sie die Bildungsbeteiligung der Bevölkerungsschichten, die über niedrige und mittlere Einkommen verfügen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist Ihr sozialpolitischer und bildungspolitischer Ansatz, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Christian Lindner [FDP]: Das ist nicht so, und das wissen Sie auch besser! Die Obergrenze war immer die des BAföGs, das heißt, es gab keine Zusatzbelastung!)

– Absoluter Unsinn. Bis zu 10.000 € Studiengebühren müssen bezahlt werden.

(Christian Lindner [FDP]: Nein!)

Herr Lindner, Sie haben immer versucht, dieses Märchen zu erzählen. Es ist ein Märchen.

(Christian Lindner [FDP] schüttelt den Kopf.)

Die Belastung traf all diejenigen, die hier Studiengebühren bezahlen mussten. Wir kennen genügend Leute, die uns berichten, insbesondere auch viele Eltern, nicht nur die Studierenden selbst.

(Christian Lindner [FDP]: Es gab keine höhere Belastung als BAföG!)

– Es wird nicht richtiger, Herr Lindner, indem Sie dazwischenrufen. Es ist einfach falsch. Die Belastung war da; wir haben sie weggenommen. Das ist gut so, und das soll auch so bleiben.

(Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: Nein!)

Das soll auch so bleiben. Dafür treten wir an. Wie gesagt: Vielleicht überlegt sich die CDU ja, wie sie in Zukunft damit umgehen will.

Wir finden es gut, dass die Globalhaushalte für die Hochschulen um 8,6 % steigen. Bekanntlich können unsere Hochschulen mittlerweile auch Rücklagen für Maßnahmen bilden, die in den kommenden Semestern erforderlich sind. Das ist ein gutes Signal. Es zeigt, dass die Hochschulen nicht so unterfinanziert sind, wie Sie es hier darzustellen versuchen, sondern dass sie durchaus Handlungsmöglichkeiten im finanziellen Rahmen haben.

Wir erwarten allerdings, dass die Aktivitäten der Ministerin in Richtung Bundesregierung in Bezug auf die Hochschulpakte dazu führen, dass der Bund sich bewegt,

(Zurufe von der CDU: Oh!)

dass die Bundesbildungsministerin den Deckel beim Hochschulpakt aufhebt und dass wir die Zahl der zu fördernden Studienplätze dem tatsächlichen Bedarf anpassen können. Darum geht es jetzt in nächster Zeit, damit wir im kommenden Jahr, in 2013, den doppelten Abiturjahrgang hier auch bewältigen können und den Hochschulen dabei helfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt setzt aber auch deutliche Akzente im Bereich der Förderung des Forschungs- und Technologiestandorts. Es ist uns gelungen, in Mülheim ein weiteres Max-Planck-Institut zur Energiekonversion auf den Weg zu bringen. Daran wird sich das Land mit 45 Millionen € beteiligen. Das passt zum Thema „Energiewende“. Herr Altmaier wird uns sicherlich dafür dankbar sein, dass Nordrhein-Westfalen als Energieland Nummer eins mit dieser Maßnahme einen wichtigen forschungspolitischen Akzent setzt.

Darüber hinaus wird das Land Nordrhein-Westfalen bezüglich der Infrastruktur für Höchstleistungsrechner mit dem Ausbau des Petaflop-Computers in Jülich einen Akzent setzen.

An dieser Stelle ist auch die Zusammenlegung von zwei Biotechnologieinstituten, die bisher im Wesentlichen durch das Land Nordrhein-Westfalen finanziert worden sind, am Forschungszentrum Jülich zu nennen. Da haben wir jetzt eine Bund-Länder-Finanzierung hinbekommen. Frau Ministerin, dafür ist auch Ihrem Haus zu danken; denn darüber gewinnen wir neue Spielräume, die erforderlich sind, um den Standort Nordrhein-Westfalen auch als Industriestandort weiterzuentwickeln und die Wissensbasis dafür zu schaffen. Dafür steht die SPD-Landtagsfraktion; dafür steht die Regierung, die wir unterstützen.

Meine Damen und Herren, uns ist vor dem jetzt vor uns stehenden Jahr nicht bange. Wir wissen, dass die Ärmel hochgekrempelt werden. Frau Ministerin, wir werden Sie dabei unterstützen. Ich gehe davon aus, dass Ihre Anstrengungen auch im Haushalt 2013 ihren Widerhall finden werden. Wir werden dies jedenfalls unterstützen: den Ausbau der Studienplätze, die soziale Absicherung der Studierenden, den Bau von Wohnheimplätzen durch das neue Förderprogramm und natürlich auch die Entwicklung des Forschungsstandorts Nordrhein-Westfalen.

Meine Damen und Herren, folgen Sie uns. Wir sind auf einem guten Wege. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Für die FDP-Landtagsfraktion erteile ich nun Frau Kollegin Freimuth das Wort.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwar ist das heute schon mehrfach angesprochen worden; aber es ist wirklich eine groteske Situation, dass wir sieben Wochen vor Jahresende 2012 den Etatentwurf der rot-grünen Landesregierung für das Haushaltsjahr 2012 hier in zweiter Lesung beraten.

(Karl Schultheis [SPD]: Haben Sie eine Alternative?)

Bei der Verabschiedung wird er in der Tat zu elf Zwölfteln bereits vollzogen sein. Gestatten Sie mir deswegen den Hinweis, dass es an dieser Stelle obsolet ist, sich zum Beispiel mit den Änderungsanträgen der Piratenfraktion hier seriös auseinandersetzen; denn wir können faktisch nichts mehr an diesem Haushalt ändern, weil durch den Haushaltsvollzug bereits maßgeblich Fakten geschaffen werden.

Deswegen sollten wir uns eher den politischen Entscheidungen bzw. den politischen Bewertungen zuwenden. Hier muss man sagen: „Fröhliche Konzeptlosigkeit“ ist eine Beschreibung; „Fehlentscheidungen“ ist sicherlich als eine weitere zu nennen.

(Beifall von Christof Rasche [FDP])

Statt zur Verlässlichkeit für Hochschulen, Lehrende und Studierende tragen die Debatten um die Beschneidung der Hochschulfreiheit und den fehlenden Versuch der Anpassung der W2- und W3-Besoldung – um nur zwei Punkte zu nennen; wir kommen nachher sicherlich noch auf weitere zu sprechen – nur dazu bei, dass Unsicherheit und Planlosigkeit hier untermauert werden. Nachvollziehbare Konzepte in entscheidenden Fragen der Hochschul- und Wissenschaftspolitik fehlen. Zum Beispiel: Wie begegnet das Land Nordrhein-Westfalen den steigenden Studierendenzahlen? Welche Maßnahmen werden zur Verbesserung der Lehr?, Lern- und Studienbedingungen und damit auch zur Senkung der Abbrecherquoten ergriffen? Welche Umsetzung und Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses werden hier angestoßen? – Nichts von alledem ist erkennbar. Absolute Fehlanzeige! Fröhliche Ideenlosigkeit!

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Natürlich ist es löblich, wenn Herr Kollege Schultheis und wahrscheinlich auch gleich Frau Kollegin Dr. Seidl die Landesregierung von Amts wegen hier bejubeln. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, schauen Sie sich aber einfach einmal die Realität an. Gehen Sie doch einmal in die Hochschulen. Hören Sie doch einfach einmal zu. Viele Universitäten müssen den Rotstift ansetzen und haben alle Hände voll zu tun – das tun sie in der Tat auch mit einem bemerkenswerten Engagement –, um die 120%ige Auslastung überhaupt irgendwie zu meistern. Sachmittel werden eingefroren; Personalmittel werden gekürzt; Seminare, Tutorien, Mensen und Wohnheime platzen aus allen Nähten. Da gibt es leider nur wenig Grund zum Jubeln.

Im Haushaltsentwurf 2012 findet sich auch kein Grund dafür. Die Eckdaten des Haushaltsentwurfs zeigen, dass sich die Mittelsteigerung für die Hochschulen in Wahrheit, wenn man die unzureichenden sogenannten Kompensationsmittel einmal herausrechnet, mit 130 Millionen € in überschaubarem Rahmen hält. Stellen wir dann noch die Relation zur Entwicklung der Studierendenzahlen her – mittlerweile haben wir in Nordrhein-Westfalen erfreulicherweise über 630.000 Studierende –, schwindet jegliche Anerkennung für die unzureichende Mittelsteigerung.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP] und Dr. Stefan Berger [CDU])

Meine Damen und Herren, Bildung und Qualifikation sind die Schlüssel zur Innovationskraft und damit auch zur Grundlage des Wohlstandes unserer Gesellschaft. Deshalb war und ist es auch ein Kernanliegen der FDP, dass wir durch eine seriöse Politik der Haushaltskonsolidierung, durch Vermeidung von Bürokratie und durch Beschränkung des Staates auf seine Kernaufgaben die notwendigen Spielräume auch für Investitionen in Bildung und Hochschule schaffen. Hierbei geht es entscheidend auch darum, die verfügbaren Mittel vernünftig einzusetzen und die Kreativität, welche zusätzlichen Mittel wir darüber hinaus noch mobilisieren können, um die dringend notwendigen Aufgaben schultern zu können, zu nutzen.

(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)

Ich will an dieser Stelle noch einmal klar bekennen: Ich halte es nach wie vor für einen Fehler, dass Sie, Rot-Grün, den Hochschulen die Möglichkeit genommen haben, mit und von den Studierenden Beiträge zu erheben, um die Studienbedingungen an den Hochschulen zu verbessern. Ich halte es nach wie vor für vertretbar – auch im Vergleich zur Handwerksmeister- und zur Technikerausbildung, um zwei Beispiele zu nennen –, Studierende mit einem Beitrag auf Darlehensbasis an den Qualitätsverbesserungen ihrer Ausbildung, die ihnen im Durchschnitt mehr als ein existenzsicherndes Einkommen ermöglicht, zu beteiligen.

(Beifall von der FDP)

Wenn dieses Darlehen nachgelagert einkommensabhängig nach Eintritt in den Beruf zurückgezahlt wird, vermag ich daran nichts Verwerfliches zu entdecken. Ein Studium ist eine Investition in unsere Gesellschaft, aber auch für jeden einzelnen Studierenden persönlich.

Gestatten Sie mir noch einen Hinweis zum Thema „Studienmotivation“. Alle Studien hierzu haben gezeigt, dass es eine sogenannte abschreckende Wirkung von Studienbeiträgen, und zwar in der Form, wie wir sie hier in Nordrhein-Westfalen unter CDU und FDP eingeführt haben, real nicht gibt.

(Zuruf von der SPD: Stimmt nicht!)

Der leichte Rückgang bei den Studierendenzahlen zum Wintersemester 2012/2013 bei gleichzeitigem Anstieg der Hochschulzugangsberechtigten lässt sich auch bei noch so viel Biegen und Brechen wohl kaum als eine empirische Begründung für Ihre These anführen.

Wenn ich mir dann noch anschaue, welchen Zulauf private Hochschulen in unserem Land haben – mit teilweise erheblich höheren Studienbeiträgen –, dann stellt sich mir in der Tat die Frage, welche Wertschätzung qualitativ hochwertige Studienbedingungen letztlich erfahren.

(Karl Schultheis [SPD]: Was sagen denn Studiengebühren über Qualität aus?)

– Die Studienbeiträge durften und konnten ausschließlich dafür verwandt werden und sind auch dafür verwandt worden, die Studienbedingungen zu verbessern.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es ist auch eine Frage der Chancengerechtigkeit, auch eine Frage der Durchlässigkeit des Bildungssystems, die uns als FDP sehr wichtig ist, dass wir mit der Qualität der Lehre und der Qualität des Studiums die Grundlagen dafür schaffen, dass wir eine individuelle Förderung auch der akademischen Talente hinbekommen und ein leistungsstarkes Bildungs- und Hochschulsystem haben.

Macht es Sie nicht nachdenklich, dass es auch Ihnen mit der Abschaffung der Studienbeiträge – Sie haben sie ja nun mal abgeschafft – nicht gelungen ist, mehr Kinder von Eltern ohne Hochschulabschluss oder mehr Kinder mit Migrationshintergrund für die Aufnahme eines Studiums zu motivieren?

(Beifall von der FDP)

Wo sind denn Ihre Konzepte, um tatsächlich zu einer qualitativen Verbesserung der Studienbedingungen an unseren Hochschulen zu kommen?

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Im Etatentwurf 2012 findet sich dazu überhaupt nichts.

Meine Damen und Herren, die individuelle Förderung auch der akademischen Talente verlangt doch gerade, dass wir Fähigkeiten und Talente ausbilden, verlangt eine Verbesserung der Betreuungsrelation durch Tutorien, Personal und Beratungsangebote für die Studierenden. Die Studienbeiträge waren zweckgebunden, waren kapazitätsneutral genau für diese Bereiche zu verwenden. Und sie würden sich auch heute weiter positiv auswirken.

Die von Ihnen vorgenommene Deckelung der sogenannten Kompensationsmittel trägt doch in keiner Weise dem tatsächlichen Anstieg der Studierenden und den Anforderungen der Realität Rechnung. Die Hochschulen haben heute für den Qualitätsausbau weniger als noch mit den Studienbeiträgen. Und das ist doch die Verlogenheit – das lasse ich Ihnen nach wie vor nicht durchgehen –: Sie nehmen mutwillig eine Verschlechterung der Studienbedingungen in unserem Land in Kauf.

(Beifall von der FDP)

Sie lassen damit die Studierenden im Stich.

Jetzt könnte ich noch den fröhlichen Aktionismus mit Blick auf Anträge zu BAföG, Bearbeitungszeiten, Wohnraumnot und Mensen anführen. Alles ist zutreffend beschrieben. Aber wo sind denn die Ansätze im Haushaltsentwurf 2012? Davon ist nichts drin. Das ist alles nur blinder Populismus und Aktionismus, der hier gestartet wird.

(Karl Schultheis [SPD]: 6,6 Milliarden – nichts?!)

In den großen Punkten absolute Fehlanzeige!

Ich will an dieser Stelle noch einen anderen Punkt ansprechen, der mir bei diesem Haushaltsentwurf und bei der Politik, die wir bisher in diesem Bereich zur Kenntnis nehmen müssen, fehlt. Es ist absolut bedauerlich, dass hier nicht erkennbar ist, dass man sich mit den Themenbereichen Innovation, Forschung und Technologie irgendwie anfreunden will. Mehr als blumige Worte haben wir bisher nicht vernommen. Da hilft auch ein Projektname „Fortschritt Nordrhein-Westfalen“ nicht.

Wo bleibt denn ein tatsächlicher Innovationsplan für das Land Nordrhein-Westfalen? Wo bleibt die Lobby für die Innovationskraft, die nicht nur an unseren Hochschulen, sondern insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft dringend gesucht wird? Wo bleibt ein vernetztes Vorgehen aller Innovationskräfte unseres Landes? Wäre es nicht die Aufgabe einer Innovationsministerin, hier wichtige Impulse zu setzen und die Kräfte zu vernetzen? Oder wartet sie etwa auf die Amtshilfe von Herrn Minister Duin, der jetzt aber nicht da ist?

Bei aller Wertschätzung: Ihr Anspruch, Frau Ministerin, sollte ein anderer sein. Innovation verdient in Nordrhein-Westfalen wesentlich mehr als nur eine eindimensionale Betrachtung.

Deswegen appelliere ich abschließend – weil Frau Ministerin Löhrmann es gerade beim letzten Einzelplan noch einmal auf den Punkt gebracht hat –: Lassen Sie die Finger weg von der Beschränkung der Hochschulfreiheit! Sie ist existenziell notwendig, damit wir uns in Nordrhein-Westfalen tatsächlich zu einem Innovationsland entwickeln können. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ich darf die Debatte aus aktuellem Anlass kurz unterbrechen. Auf der Besuchertribüne haben in der Zwischenzeit Ehrengäste Platz genommen. Mit Freude begrüße ich den neuen Befehlshaber der britischen Streitkräfte in Deutschland, der vor wenigen Wochen dieses Amt übernommen hat und bei der Landtagspräsidentin heute seinen Antrittsbesuch macht. Herzlich willkommen, Herr Generalmajor John Henderson!

(Allgemeiner Beifall)

Herr Generalmajor, der Landtag Nordrhein-Westfalen freut sich sehr über Ihren Besuch und wünscht Ihnen in Ihrem verantwortungsvollen Amt des Befehlshabers der britischen Streitkräfte in Deutschland mit Sitz in Herford viel Erfolg und alles Gute.

Ihr Besuch führt die traditionell guten freundschaftlichen Beziehungen zwischen Großbritannien und Nordrhein-Westfalen weiter fort. In diese Freundschaft schließe ich ausdrücklich die Soldaten der britischen Streitkräfte und deren Familien ein, die in der nordrhein-westfälischen Bevölkerung höchstes Ansehen genießen. Die Hilfe britischer Soldaten beim Wiederaufbau unseres Landes nach seiner Gründung 1946 werden wir niemals vergessen.

Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und wünsche Ihnen eine erfolgreiche Amtszeit in Deutschland.

(Allgemeiner Beifall)

Damit kehren wir zur Tagesordnung zurück. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen darf ich das Wort an Frau Dr. Seidl geben.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bemerkenswert, Herr Berger, wie resistent Sie gegenüber jeglicher Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit sind, wie Sie sich heute allen seriösen Zahlen verschließen und stattdessen Populismen vor sich hertragen, dass es nur so trieft.

(Lachen von Dr. Stefan Berger [CDU])

Wenn Sie heute zum wiederholten Male die Behauptung aufstellen – Frau Freimuth hat das eben auch getan –, die Hochschulen hätten mit der Abschaffung der Studiengebühren weniger Finanzmittel zur Verfügung, dann ist das eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Dr. Stefan Berger [CDU]: Pro Kopf, nicht absolut!)

Denn selbst ohne die 249 Millionen €, die wir den Hochschulen zur Verbesserung der Qualität zusätzlich zur Verfügung stellen, haben die Hochschulen pro Studierendem in 2012 gegenüber der Bezugsgröße im Jahr 2009 mehr Geld in der Tasche als vorher. Das ist die Realität.

(Dr. Stefan Berger [CDU] fasst sich an den Kopf, zeigt einen „Vogel“ und ruft: Gegenüber 2009?)

– Ich weiß nicht, welche Wahrnehmung Sie haben.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Gegenüber 2009?)

Aber vielleicht hilft es, in diesem Zusammenhang die Stimmen der Hochschulen zu hören. Der Rektor der Universität zu Köln, der größten Hochschule in Nordrhein-Westfalen, hat am 24. Januar bei seiner Rede zum Jahresempfang gesagt – Herr Berger, ich zitiere –:

„Die Studienbeiträge wurden zwar abgeschafft; jedoch hat das Land sein Versprechen gehalten und sie durch sog. Qualitätsverbesserungsmittel ersetzt. Diese liegen für die Kölner Uni zwar etwas unter dem, was durch Studienbeiträge eingenommen wurde. Aber in der Gesamtschau kann man letztendlich doch feststellen: Im Vergleich zu 2006, als es noch keine Studiengebühren und Qualitätsverbesserungsmittel gab, hat sich der Haushalt der Uni Köln um ca. 20 Mio. p.a. für die Verbesserung von Studium und Lehre erhöht. Dies ist in vielen Bereichen deutlich spürbar und trägt erheblich zur Verbesserung der Situation in Studium und Lehre bei.“

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dr. Stefan Berger [CDU]: Pro Kopf!)

– Herr Berger, das war von Herrn Freimuth!

Also: Was ist an Ihren Behauptungen zur Schlechterstellung der Hochschulen durch die Abschaffung der Studiengebühren dran?

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Pro Kopf!)

Ich glaube, alles, was Sie hier von sich geben, ist heiße Luft. Sie suchen doch nur einen Grund, die Studiengebühren zu legitimieren, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb. Das ist der Punkt. Das haben Sie beide heute wieder deutlich gemacht.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen bundesweiten Entwicklung ist das doch lächerlich. Denn fast alle Länder, die jemals Studiengebühren eingeführt haben, treten gerade den Rückzug an bzw. sind den Rückzug schon angetreten, darunter mindestens zwei Länder mit CDU-Ministerpräsidenten. Ich bin mir sicher, Herr Berger: Die haben überhaupt nicht die Absicht, das Bezahlstudium wieder einzuführen.

Studiengebühren sind in Deutschland auf dem Rückzug. Das hat, wie wir kürzlich hören konnten, inzwischen auch Herr Seehofer verstanden.

Bemerkenswert ist auch, Frau Freimuth, wenn ich das noch anmerken darf, die Kehrtwende der FDP in Bayern. Ich zitiere:

„‚Studiengebühren abschaffen‘, forderte der stellvertretende FDP-Landesvorsitzende Andreas Fischer in der ‚Mittelbayerischen Zeitung‘ (Online-Ausgabe): ‚Ich bin davon überzeugt, dass eine Mehrheit der Bürger gegen Studiengebühren stimmen wird.‘“

Das sagte er Ende Oktober in Bezug auf das Volksbegehren, das gerade in Bayern läuft.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Lindner [FDP]: Und Helmut Schmidt fordert Studiengebühren!)

Eigentlich müsste das bei Ihnen auch schon angekommen sein. Studiengebühren bauen zusätzliche soziale Hürden auf, Frau Freimuth, insbesondere für einkommensschwache Familien.

Was Sie behaupten, stimmt so nicht. In 2006 – das haben wir sehr genau berechnet und deutlich gemacht – ist die Studierendenquote in Nordrhein-Westfalen auf einen Tiefpunkt gesunken, und zwar bei Einführung der Studiengebühren durch Minister Pinkwart. Zurzeit haben wir einen Höhepunkt bei der Entwicklung der Studierendenzahlen. Im Vergleich zu allen anderen Bundesländern liegen wir über dem Durchschnitt. Deshalb ist die Wiedereinführung der Bildungsungerechtigkeit in Nordrhein-Westfalen für uns kein akzeptabler Weg der Haushaltssanierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Dr. Seidl, würden Sie Zwischenfragen von Frau Freimuth und Herrn Hafke zulassen?

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Nein. – Dass wir mittelfristig weitere Investitionen tätigen müssen, um die steigenden Studienanfängerzahlen aufzufangen, die uns die neue KMK-Prognose vorrechnet, ist durchaus richtig.

Allerdings steht hier auch der Bund mit in der Pflicht. Der hat nicht nur seinen Teil zum Auffangen der Kosten für die zusätzlichen Studierenden beizusteuern, sondern endlich auch eine angemessene Masterkomponente im Hochschulpakt zu berücksichtigen. Ihre Fraktionen in Berlin, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, weigern sich bisher aber, ihre Mitverantwortung wahrzunehmen und bürden die Deckung der zusätzlichen Kosten allein den Ländern auf.

Da Sie diese Linie offensichtlich mittragen, Herr Berger, muss man sich wirklich fragen, welches Sparkonzept die CDU-Landtagsfraktion eigentlich verfolgt. Anstatt Frau Schavan endlich mit in die Pflicht zu nehmen, vernünftige Grundlagen beim Hochschulpakt zu schaffen, bewegen Sie sich hier auf hochschulpolitischem Glatteis.

(Lachen von Dr. Stefan Berger [CDU])

Frau Ministerin Schulze hat, wie Sie wissen, im vergangenen Jahr eine Initiative gestartet, um den Bund dazu zu bewegen, die erforderlichen zusätzlichen Finanzmittel im Hochschulpakt bereitzustellen. Die Verhandlungen wurden im April dieses Jahres im Rahmen einer GWK-Sitzung aufgenommen und werden hoffentlich spätestens bei der nächsten GWK-Sitzung am 16. November mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass das Geld Anfang des kommenden Jahres fließen kann.

Ich kann Ihnen nur empfehlen: Tragen Sie dazu bei, dass es zu einer fairen und gemeinsamen Lösung kommen wird.

Herr Berger, Sie sprachen die Wohnsituation der Studierenden an. Erfreulich ist doch, dass nach Jahren der Kürzungen durch die schwarz-gelbe Vorgängerregierung die Studentenwerke nun endlich mehr Geld erhalten, um ihre gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben doch aufgestockt, was Sie in den vergangenen Jahren unter Pinkwart abgebaut haben. Das ist doch die Realität beim Wohnungsbau.

Auch der Bearbeitungsstau beim BAföG an einzelnen Hochschulstandorten muss dabei selbstverständlich in den Blick genommen werden.

Mehr als abenteuerlich, geradezu anachronistisch ist der bereits zum zweiten Mal eingebrachte Vorschlag von der CDU, hier die zusätzlichen Mittel aus der Frauenförderung zu verwenden. Das zeigt auch noch einmal, was für ein überkommenes Frauenbild die CDU hat. Die gesamte Wissenschaftscommunity redet über die unzureichende Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen an Hochschulen und in Forschungseinrichtungen. Nur Sie, Sie scheinen dies komplett auszublenden.

Gleichstellung ist eine Frage der Qualität. Wir investieren deshalb in den kommenden drei Jahren 5,4 Millionen € jährlich, um hier endlich einen entscheidenden Schritt in Nordrhein-Westfalen voranzukommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sicherung ausreichender Finanzmittel für unsere Hochschulen ist ein Schwerpunkt der Landespolitik. Hochschulbildung ist und bleibt ein elementarer Bestandteil der Bildungskette. Jeder zusätzliche Studienabschluss hat positive Wirkungen für den Arbeitsmarkt, reduziert damit Kosten für den Staat und bringt die gesamte Wirtschaftsleistung voran.

Das Land steht hier in der Tat in der Verantwortung. Aber auch der Bund muss sich angemessen beteiligen. Daher ist es erfreulich, dass die Debatte um das Kooperationsverbot nun an Fahrt gewonnen hat und wir nicht mehr alleine über Finanzspritzen für Eliteuniversitäten, sondern dass Bund und Länder endlich auch über eine gemeinsame Verantwortung und Finanzierung der Bildung und der Hochschulen in der Breite reden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund sollten Sie Ihre politische Strategie noch einmal überdenken, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb. Die „Privat vor Staat“-Politik hat in der Gesellschaft nämlich deutlich an Akzeptanz verloren. Das zeigen alle relevanten Umfragen der letzten Monate. Insofern bewegen Sie sich mit Ihren Sparvorschlägen, die zulasten der jungen Menschen und der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft gehen, auf ganz, ganz dünnem Eis. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger auf der Tribüne! Liebe Menschen im Stream! Frau Ministerin Schulze, Sie haben bei Ihren Ausführungen zum Einzelplan 06 im Ausschuss deutlich darauf hingewiesen, dass die Gesamtmittel mit 6,65 Milliarden € die höchsten aller Zeiten sind. Das ist in absoluten Zahlen betrachtet natürlich richtig. Der entscheidende Punkt ist aber: Die Finanzierung der Hochschulen bleibt weit hinter dem Nötigen zurück.

Schauen wir uns mal die Auslastungsquoten einiger Hochschulen aus dem Jahr 2010 an: Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen vermeldet 114 %, die Ruhr-Uni Bochum 116 %, die TU Dortmund 110 %, die Fachhochschule Aachen 146 %, die Fachhochschule Köln 125 %. Man kann das so fortsetzen.

Die Studierendenzahlen für 2011 und 2012 werden wegen der doppelten Abiturjahrgänge, von denen Sie ja alle gewusst haben, natürlich noch höher sein.

Die Unterfinanzierung hat daher auch voraussehbar klare Folgen: überfüllte Hörsäle, höhere Numeri clausi, steigende Belastungen für Lehrende und Lernende, Qualitätseinbußen an jeder Ecke, Streit um Seminarbelegungen usw. usf.

Dennoch muss man die Hochschulen loben für ihre Bemühungen. Die tun wirklich alles, was sie können. Für ihre Anstrengungen ist ihnen ausdrücklich zu danken.

Die Landesregierung sagt: Wir wollen möglichst alle Bildungspotenziale erschließen und kein einziges Talent zurücklassen. – De facto werden aber Talente zurückgelassen. Alle Anstrengungen sind bisher Investitionen in die Grundsubstanz unserer Hochschulen und nicht On-Top-Ausgaben. Sie werden aber gerne so dargestellt.

Die Landeshochschulrektorenkonferenz der Universitäten hat eine Forderung geäußert nach einem Mehrbedarf zur Schaffung einer auskömmlichen Kapazität von insgesamt 800 Millionen €. Für uns Piraten heißt das: Da hat jemand mit den Auslastungszahlen wirklich mal gerechnet.

Es gibt die Aussage, dass den Hochschulen noch nie so viele Mittel zur Verfügung gestellt wurden wie in diesem Jahr. Überprüfen wir das einfach mal. Bei den Maßnahmen wird von einer Steigerung der Mittel um 433 Millionen € gesprochen. Davon sind 148 Millionen € Mittel, die gemäß der Vereinbarung aus dem Hochschulpakt 2020 sowieso fällig werden, sowie 124 Millionen € für die Kompensation der Studiengebühren.

(Beifall von den PIRATEN)

Apropos Studiengebühren: Die never ending Story in Nordrhein-Westfalen ist entschieden, liebe Kolleginnen von Schwarz-Gelb. Wir Piraten werden die Abschaffung der Studiengebühren auch in Zukunft von unserer Seite her vehement verteidigen.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Im Übrigen ist an dieser Stelle mal der deutliche Hinweis angebracht, dass die Einführung der Studiengebühren in Deutschland von Anfang an völkerrechtswidrig war.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Die Bundesregierung hat den UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 1968 unterschrieben. Unter Willy Brandt wurde er im Parlament 1973 ratifiziert. Darin haben die Vertragsstaaten in Art. 13 Abs. 2 Buchstabe c die Verpflichtung übernommen, dass – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident – „Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit“ – und nicht der Gegentrend – „jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss“.

Man kann die UNO natürlich als Papiertiger betrachten. Man kann solche Verträge nicht ernst nehmen. Die FDP ist damals dabei gewesen. Ab und zu empfiehlt sich also ein Blick in die Geschichtsbücher.

(Beifall von den PIRATEN)

Was dieser Landesregierung allerdings zu Recht vorgeworfen werden muss: Das Wahlversprechen zur kompletten Gegenfinanzierung der Mittel ist nicht gehalten worden. Wir haben einen deutlichen Handlungsbedarf, die Qualität der Lehre weiter zu steigern.

Ich muss das auch noch mal anerkennen. Frau Ministerin Schulze, Sie haben mit Sicherheit in Anbetracht der Bewältigung des doppelten Abiturjahrgangs keine leichte Aufgabe. Wir fühlen da mit Ihnen. Aber viele Probleme scheinen hausgemacht. Vor allen Dingen verstehe ich nicht, warum im Ausschuss immer wieder über diese Frage gestritten wird, statt mal grundsätzlich über Hochschule und Wissenschaft nachzudenken.

Ich finde, in diesem Kontext sollten auch Union und FDP einmal schlicht verbal abrüsten. Denn Rüttgers und Pinkwart waren an G8 ja nachweislich beteiligt.

Das sprichwörtliche Kind ist nun im Brunnen. Was folgt, ist ein leider unverantwortlicher Umgang mit einer ganzen Generation Studierender. Junge Erwachsene, die sich wirklich engagieren und bilden wollen – das merkt man ja an den Zuwachszahlen –, werden aufgrund von sogenannten Sachzwängen in ihrem Lebensweg beeinträchtigt.

Genau diese Sachzwänge haben sich auch im Haushaltsverfahren wieder gezeigt. Wir haben beantragt, die Mittel für die Studentenwerke um 1,5 Millionen € zu erhöhen. Im Gegensatz zur FDP haben wir es für nötig befunden, doch noch mal einen Antrag zu stellen, sogar zwei. Ich denke, wir Piraten zeigen mit diesem Beispiel einer konstruktiven Politik, dass wir unseren Vorstellungen dort folgen.

Das Problem existiert schon seit Anfang des Jahres. Es wäre auch durchaus möglich gewesen, gemeinsam mit den Studentenwerken etwas zu bewegen. Da kamen auch Vorschläge. Auf deren Bitten, doch mehr Mittel zur Einstellung von zusätzlichen Bearbeiterinnen und Bearbeitern bereitzustellen, fand die Landesregierung aber nur die Antwort, dass sie für das nächste Jahr etwas plane. Das Problem ist aber sehr aktuell, und es wird ein Teil der Studenten erheblich darunter leiden. Stattdessen werden völlig unnötig Mittel für ein Online-Self-Assessment-Verfahren bereitgestellt, das man schon heute mit drei Klicks im Internet erreichen kann. Ich verstehe nicht, warum die Landesregierung dort versucht, das Rad noch einmal zu erfinden. Die Dinge gibt es doch schon.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Folge wird sein, dass Studierende ein halbes oder ein ganzes Semester ohne finanzielle Unterstützung auskommen müssen. Dann springen natürlich die Eltern ein. Wir kennen das; es tut gut, ab und zu mal mit Studenten zu sprechen.

Sie sind mit dem Anspruch angetreten, Hürden im Bildungssystem zu beseitigen. Sie finden dabei die Unterstützung der Piratenfraktion; das ist überhaupt keine Frage. Deswegen fordern wir Sie auf: Lassen Sie einmal Taten folgen!

In dem Zusammenhang habe ich ein paar Vorschläge – lassen Sie uns mal gemeinsam über die Zukunft nachdenken –:

Erstens: Bahnhofsdenken. Wenn ein Verkehrsplaner immer nur neue und vielleicht größere Bahnhöfe bauen und umbauen würde, statt die Frage nach einer reibungslosen Verkehrsregulierung zu stellen, würden wir sehr schnell die Leute in den weißen Kitteln rufen. Wir müssen, wenn wir die Forderungen nach lebenslangem Lernen nicht nur zum Bestandteil bildungspolitischer Sonntagsreden machen, sondern uns auch ernsthaft dem vernachlässigten Problem der altersbedingten Chancenungleichheiten stellen wollen, den Hochschulbereich als offenen Teil eines Postsekundarbereichs verstehen.

Zweitens: Medienentwicklung. Sie macht es schon seit längerer Zeit für jeden Mann und jede Frau möglich, an jedem Ort an didaktisch aufbereitete Informationen zu kommen. Die Chance, das Lernen und Lehren in einem sozial gestützten ubiquitären Bildungssystem zu nutzen, ist bislang zugunsten desintegrierter Lösungen verhindert worden. Viele unserer Probleme – hier vor allem die Kapazitätsprobleme – könnten gelöst werden, würde das Studium im Medienverbund in die Hochschulen integriert, statt weiterhin ein relativ isoliertes Landesfernlehrinstitut zu betreiben. Die Kompetenz, die dort vorhanden ist, lässt sich auch anders verwenden.

Drittens. Mit dualen Studiengängen sind vor allem in anderen Bundesländern auch gute Erfahrungen gemacht worden. Dieser Weg berufsqualifizierender Studienabschlüsse ist sinnvoller, als weiterhin nur auf den Bachelor zu setzen, was sich als Potemkinsches Dorf in der Perversion des Hochschulstudiums, als zunehmendes Bulimie-Lernen erweist.

Viertens. Wer A sagt, muss auch nicht unbedingt B sagen. Der Bologna-Prozess hat nunmehr zehn Jahre lang seine Erwartungen nicht erfüllt. Bevor wir weitere Generationen verheizen, sollten wir das mal neu denken. In der Lebensphase der Menschen wird die Zeit der Berufstätigkeit immer kürzer werden – erst recht, wenn wir lernen, den Produktivitätsfortschritt zugunsten eines Menschenrechts auf menschenwürdige Arbeit und menschenwürdige Muße gerechter zu verteilen. Außerdem wird ein Persönlichkeitsmangel der Bachelor-Absolventen beklagt. Der Bologna-Prozess ist in seiner jetzigen Realisierung mit dem Menschenrecht auf offene Bildung nicht vereinbar.

(Beifall von den PIRATEN)

Zum Abschluss noch eine grundsätzliche Anmerkung. Wissenschaft ist eine Tätigkeit, die Wissen schafft.

(Zuruf)

– Ja, der dauert etwas. – Ein Kernanliegen von Wissenschaft ist daher – und sei es auch noch so kompliziert – die Nachvollziehbarkeit, die Erkenntnis, das Weltverständnis, der Konsens und der Diskurs als kulturelles Gemeingut von uns allen. Und was machen wir hier? Wir überlassen Hochschulbewertungen Institutionen wie dem Centrum für Hochschulentwicklung und anerkennen ihre Rankings, zu denen weder Datensätze noch eine detaillierte wissenschaftliche Beschreibung der angewandten Methodik veröffentlicht werden. Meine Damen und Herren, das nenne ich Esoterik. Wir überlassen die Bewertung unserer Hochschulen einer sich selbst als elitär verstehenden Sekte.

(Beifall von den PIRATEN)

International renommierte Wissenschaftler – ich meine, die können wir nicht einfach für blöd halten – haben davor gewarnt, im Bereich Wissenschaft alles zu ökonomisieren. Dazu gehören Chomsky, Dijkstra, Erwin Chargaff – er hat davor gewarnt, dass „l“ im Wort „Wissenschaftler“ nicht zum selben „l“ werden zu lassen wie im Wort „Gschaftlhuber“ – und Richard Sennett – als Pirat dachte ich mir, ich mache mal das mit dem Buch –, dessen Buch den einfachen Titel „Zusammenarbeit“ trägt.

Die Dimension dessen, was wissenschaftliche Effizienz und Effektivität ausmacht, erschließt sich nicht allein betriebswirtschaftlich kontaminiertem Vorstellungsvermögen. Ich habe das schon mal gesagt. Das ist mein persönliches hochschulpolitisches Ceterum censeo. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Haushaltsentwurf 2012 werden zwei zentrale Weichen gestellt, zwei zentrale Schwerpunkte gesetzt: einer für die gute Lehre und der andere für die exzellente Forschung in Nordrhein-Westfalen. Deshalb ist es gut, sich einfach noch mal die Fakten anzusehen. Was sind denn die Zahlen, die in diesem Haushalt stehen?

Trotz strenger Ausgabendisziplin, die wir uns vorgenommen haben, steigen die Ausgaben für Innovation, Wissenschaft und Forschung auf 6,6 Milliarden €. Das ist ein Rekordniveau. Sie können das im Haushalt nachlesen. Wir geben rund 7 % mehr aus als im Vorjahr.

Schauen wir uns das im Einzelnen an:

Erstens. Wir setzen die Öffnung der Hochschulen fort. 2011 gab es den ersten Schritt mit der Abschaffung der Studiengebühren. Ich finde es sehr gut, dass wir das in fast jeder Plenarrunde und in fast jedem Ausschuss wieder diskutieren, denn es ist ein entscheidendes Merkmal, an denen man die großen Parteien unterscheiden kann. Ja, wir stehen zur Abschaffung der Studiengebühren. Das war gut und richtig so.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Viele Bundesländer sind uns darin übrigens schon gefolgt. Niedersachsen und Bayern sind die letzten, die noch Studiengebühren erheben. Aber auch dort gibt es Diskussionen darüber. Und wenn die Mehrheiten stimmen, werden auch dort die Studiengebühren abgeschafft.

Herr Berger, Sie sagen, dass über die Studiengebühren Studienplätze finanziert werden sollen. Ich freue mich auf die öffentliche Debatte dazu. Erklären Sie einem Mediziner, einer Medizinerin, dass sie bald 180.000 € oder 200.000 € zahlen müssen. Erklären Sie jemandem, der einen eher labororientierten Studienplatz hat, über welche Summen wir da reden. Lassen Sie uns offen weiter darüber diskutieren, ob wir uns dem britischen Niveau nähern und 10.000 € an Studiengebühren nehmen wollen, damit ein Studienplatz finanziert werden kann, oder ob wir bei der solidarischen Finanzierung bleiben, die wir im Hochschulpakt haben: Bund und Land finanzieren den doppelten Abiturjahrgang gemeinsam.

Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Ja.

Dr. Stefan Berger (CDU): Vielen Dank, Frau Ministerin. Erst einmal bin ich mir nicht sicher, ob Sie mich da richtig verstanden haben; ich habe diese Aussage nicht so getätigt. – Ich habe eine zweite Frage: Ist es richtig, dass die Finanzierung pro Kopf im Vergleich zum letzten Jahr gesunken ist oder nicht?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Berger, die Frage, die Sie eben aufgeworfen haben, ist, ob die Studiengebühren zur Schaffung von Studienplätzen genutzt werden. Mein Vorgänger Andreas Pinkwart hat hier immer wieder gesagt, sie seien zur Verbesserung der Qualität der Lehre. Was Sie neu eingebracht haben – das finde ich ein interessantes Modell –, ist, dass Sie Studiengebühren wollen, um darüber Studienplätze zu schaffen. Lassen Sie uns offen weiter darüber diskutieren. Das ist spannend.

Mir geht es aber um die Öffnung der Hochschulen. Dafür ist es wichtig, dass wir jetzt ein Online-Self-Assessment auf den Weg gebracht haben. Herr Paul, Sie sagen, man brauche es nicht. In den ersten Tagen sind schon über 3.000 Interessierte auf dieser Seite gewesen. Es ist ein neues Angebot, weil man dort genau nachsehen kann: Passt dieser Fachbereich zu mir? Habe ich die entsprechenden Fähigkeiten? – Es ist gemeinsam von Lehrerinnen und Lehrern und von Professorinnen und Professoren entwickelt worden. Ich glaube, es ist ein gutes Instrument.

Wir haben die Hochschulen geöffnet durch ein Diversity-Management, das Chancengerechtigkeit schafft und die Vielfalt der Gesellschaft auch aufnimmt. Wir haben zum Zweiten die Lehr- und die Studienqualität durch die Qualitätsverbesserungsmittel erhöht. Es ist gut, dass die Hochschulen 2012 an der Stelle 124 Millionen € mehr haben. Das ist Geld, das unmittelbar zur Verbesserung der Lehre eingesetzt wird. Dass die Hochschulen das behalten können, ist nicht selbstverständlich. In Hessen hat eine Koalition ihnen das Geld auf anderem Wege wieder abgenommen. Es ist gut, dass es unseren Hochschulen zusätzlich zur Verfügung steht.

Unser Ziel ist vollkommen klar: Wir wollen ein attraktives, ein konkurrenzfähiges Studienangebot. Dazu brauchen wir die Fortführung des Hochschulpakts ebenso wie das Fachhochschulausbauprogramm und das Hochschulmodernisierungsprogramm. Wir sorgen mit dieser Landesregierung und mit dem Parlament für eine gute, verlässliche Finanzierung für die Hochschulen. Wir haben eine Hochschulvereinbarung, die bis 2015 den Hochschulen garantiert, dass sie diese Mittel zur Verfügung haben.

Zusammengefasst: Rund 3,8 Milliarden € für die Hochschulen, eine Milliarde € für die Medizin dazu – das ist eine Steigerung von 8,6 % für die Hochschulen. Suchen Sie das einmal in einem anderen Bundesland! Wir haben hier wirklich Enormes geleistet.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, es bleibt dabei: Die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen verfügen heute über deutlich mehr Geld für Lehre, Forschung und Studium als jemals zuvor. Da können Sie noch solche Rechentricks anstellen. Es bleibt dabei: Es gab noch so viel Geld an den Hochschulen wie heute.

Wir ermöglichen allen jungen Menschen wirkliche Chancengleichheit und mehr Bildungsbeteiligung. Dazu gehört natürlich auch das studentische Leben. Dazu gehört aber auch, dass wir einmal über die Wahrheit reden. Herr Berger, wer hat denn die Mittel für die Studentenwerke gekürzt? Sie haben in Ihrer Zeit die Mittel für den Studentenwohnheimbau halbiert

(Beifall von der SPD)

und stellen sich jetzt hierhin und sagen: Warum ist da nicht gebaut worden? – Wir konnten überhaupt erst ab 2010 anfangen, den Studentenwerken wieder mehr Geld zu geben. Hätten Sie den Artikel, den Sie zitiert haben, wirklich zu Ende gelesen, hätten Sie auch gesehen, dass Herr Meyer auf der Heyde uns ausdrücklich dafür lobt, dass wir da Geld zur Verfügung stellen.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Sie haben erst vorgestern angefangen!)

– Nein, wir haben nicht vorgestern angefangen, Herr Berger, wir haben vor zweieinhalb Jahren damit angefangen. Seitdem passiert in dem Bereich auch etwas. Wir haben die allgemeinen Zuschüsse erhöht. Die Studentenwerke haben heute deutlich mehr Geld, als sie unter Schwarz-Gelb hatten.

Unser Ziel ist es, dass auch das Umfeld für die Studierenden stimmt, dass sie gute Wohnbedingungen vorfinden. Deswegen ist es auch gut, dass wir das neue Programm jetzt auf den Weg gebracht haben.

Ein bisschen wundert mich, Frau Freimuth, dass Sie uns auf der einen Seite immer wieder erzählen, das Hochschulgesetz sei das beste aller Zeiten gewesen; wir sollten die Hochschulen in Ruhe lassen; das mit der Freiheit der einzelnen Hochschulen sei doch schon in Ordnung. – Auf der anderen Seite fordern Sie jetzt von mir, dass ich Konzepte vorlege und sage, wie wir die Hochschulen anleiten wollen, und dass wir auf diesem Weg weiter vorangehen. Ich nehme das als Unterstützung dafür, dass wir das Hochschulgesetz ändern müssen. Ich weiß uns da auf einem guten Weg, und ich freue mich auf die Debatte mit Ihnen, weil Sie offensichtlich auch die Notwendigkeit sehen, dass wir die Hochschulen an der Stelle stärker begleiten.

(Angela Freimuth [FDP] schüttelt den Kopf.)

Der zweite Punkt, den wir als Landesregierung voranbringen, ist die Forschungs- und die Technologiestrategie. Ich habe Ihnen „Fortschritt NRW“, das Rahmenprogramm, vorgestellt. Damit stärken wir den Forschungsstandort hier in Nordrhein-Westfalen. Wir haben das neue Max-Planck-Institut, das uns in der Frage der Energiekonversion weiterbringen wird. Wir haben auch die zweite Ausbaustufe für die Petaflop-Höchstleistungsrechner in Jülich. Sie kosten eine Menge Geld, aber das sind wirklich sinnvoll investierte Mittel.

Wir können mit dem, was wir hier in der Forschungspolitik an Geld investieren, wirklich Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit geben. Wir stärken ganz gezielt die Wettbewerbsfähigkeit unseres Forschungsstandortes. Wir kämpfen gegen den Fachkräftemangel, und wir sorgen für eine Verbesserung der Wettbewerbsposition hier in Nordrhein-Westfalen.

Falls Sie noch nicht ganz so überzeugt sind: Ich durfte gestern beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft referieren und habe dort unsere Innovationsstrategie vorgestellt. Die waren übrigens von dieser Strategie ganz begeistert. Wenn man sich vorstellt, dass der überwiegende Teil unserer Industrie mittelständisch geprägt ist, fühle ich mich da jedenfalls in guter Gesellschaft.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir setzen den Konsolidierungskurs fort. Das ist notwendig. Wir schaffen aber gleichzeitig Spielraum für die Gestaltung der Zukunft in Nordrhein-Westfalen. Wir investieren in die Bildung, wir investieren in die Forschung, wir investieren in junge Menschen. Das ist gut angelegtes Geld. Ich würde mich über eine Unterstützung dieses Einzelplans wirklich freuen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Damit sind wir am Schluss der Beratung; mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1206, den Einzelplan unverändert anzunehmen. Ich darf Sie fragen, wer dafür ist, dieser Beschlussempfehlung zu folgen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen und der Einzelplan 06 beschlossen.

Wir kommen zurück zu den vorhin beratenen Einzelplänen 05 und 03 und holen die Abstimmung nach.

Zu dem Einzelplan 05, Ministerium für Schule und Weiterbildung, liegt uns die Beschlussempfehlung Drucksache 16/1205 des Haushalts- und Finanzausschusses vor. Er empfiehlt, den Einzelplan unverändert anzunehmen. Ich darf auch hier um Handzeichen bitten, wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte. – Wer ist dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Bei vereinzelten Enthaltungen der Fraktion der Piraten ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen aus den Fraktionen CDU, FDP und Piraten angenommen. Der Einzelplan 05 ist verabschiedet.

Dann kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 03, Ministerium für Inneres und Kommunales. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/1203, den Einzelplan 03 unverändert anzunehmen. Ich darf auch hier um Handzeichen bitten, wer dieser Beschlussempfehlung Folge leisten möchte. – Wer ist dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist auch die Beschlussempfehlung Drucksache 16/1203 mit den Stimmen der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktionen CDU und FDP und Enthaltungen der Fraktion der Piraten angenommen. Der Einzelplan 03 ist damit verabschiedet.

Wir kommen nun zum

     Einzelplan 10
Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz

mit den Teilbereichen Umwelt und Naturschutz, Verbraucherschutz, Landwirtschaft und Klimaschutz. Ich weise hier auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 16/1210 hin und eröffne die Beratung für die folgenden Teilbereiche:

     Teilbereich
Umwelt und Naturschutz

     Teilbereich
Verbraucherschutz

     Teilbereich
Landwirtschaft

Für die Fraktion der CDU hat die Kollegin Schulze Föcking das Wort.

Christina Schulze Föcking (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wohl kaum ein Bereich ist so negativ von dem Regierungswechsel betroffen wie der Bereich Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. War die Politik von CDU-Minister Uhlenberg noch durch Ausgleich, Weitsicht und Miteinander geprägt, so gilt seit zweieinhalb Jahren der Grundsatz der ideologischen Einseitigkeit.

(Beifall von der CDU)

Eine Politik des Alarmismus ist vorherrschend, Schwarz-Weiß-Denken kennzeichnet das Handeln dieser Regierung.

Sie, Herr Minister Remmel, betreiben eine Politik der Konfrontation, um sich in den eigenen Reihen in Szene zu setzen. Sie haben dies bei Ihrer Bewerbungsrede zur Listenaufstellung der Grünen im Jahr 2010 damit umschrieben, dass es eine – Zitat – „neue Radikalität“ brauche.

(Beifall von den GRÜNEN – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ja!)

Genau das setzen Sie seit der Regierungsübernahme um. So sehr Sie sich mit Unterstützung Ihrer Presseabteilung den Anschein einer zupackenden Person geben, so sehr lassen Sie es an der notwendigen Fachlichkeit vermissen.

(Beifall von der CDU)

Aktuelles Beispiel für alle BImSch-Betriebe sind die Abluftfilter, die Sie in der Landwirtschaft jetzt installieren lassen wollen. Das ist ein weiterer Schritt Ihrer perfiden Politik der Nadelstiche gegen eine Landwirtschaft, die nicht in das Konzept der Landesregierung passt.

(Beifall von der CDU)

Damit lässt auch die Ministerpräsidentin die Landwirte im Stich, anders als noch bei ihrem mehrstündigen Praktikum angekündigt.

(Zuruf von der CDU: Wo ist sie denn?)

Sie wollen nämlich durch eine einfache Verordnung, die nicht der Zustimmung des Parlamentes bedarf, zukünftig Geruchsfilteranlagen verpflichtend vorschreiben. Die Grenze bezieht sich dabei nicht auf die Tierplatzzahl des Stalles, sondern auf die Summe der Tiere, die dort insgesamt gehalten werden. Sogar bei einem Bauantrag für einen kleinen Stall sind dann im besagten Fall die teuren Filter erforderlich.

Die Folge daraus wird sein, die höheren Zusatzkosten auf möglichst viele Stallplätze umzulegen. Das Ergebnis: Wenn Ställe zukünftig gebaut werden, dann dank Ihres Erlasses aber so richtig. Dann entstehen richtig große Ställe. In letzter Konsequenz macht Ihr Erlass auch nur noch die großen Ställe rentabel.

Wir als CDU wollen hingegen die Wertschöpfung in der Hand der bäuerlichen Familien halten, sie unterstützen und ihnen nicht noch das Leben schwer machen.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, außerdem ist der Nutzen dieses Aufwandes fraglich. Denn bis heute ist es der Wissenschaft nicht gelungen, einen direkten Zusammenhang zwischen der Dosis und der Wirkung von gesundheitsrelevanten Bioaerosolen herzustellen. Allgemein gültige Schwellen- und Grenzwerte gibt es nicht. Sie, Herr Minister, scheint das nicht zu kümmern. Oder haben Sie Kenntnisse, die Sie uns bisher vorenthalten? Dann würde mich das schon sehr interessieren.

Es kümmert Sie auch nicht, wie die Landwirte vor Ort dieses bezahlen sollen. Es kümmert Sie ebenfalls nicht, dass in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zum Bund einmal wieder draufgesattelt und die Wettbewerbssituation für die hiesigen Landwirte deutlich verschlechtert wird. So kann nur einer handeln, der nie auf einem Hof gearbeitet hat, der nie betriebswirtschaftliche Verantwortung für den Hof, für die Familie, Angestellte, Acker und Vieh hatte.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister, Sie tragen Verantwortung für Landwirte und Verbraucher gleichermaßen. Beiden werden Sie aber so nicht gerecht. Ich frage Sie: Ist es verantwortungsvoll, unsere Landwirte wirtschaftlich immer mehr in die Ecke zu treiben? Wo ist der Nutzen für unsere Verbraucher, wenn Produkte zukünftig aus anderen Ländern kommen und wir keinerlei Einfluss mehr auf die Erzeugung haben? Verlierer sind beide, Landwirte und Verbraucher.

(Beifall von der CDU)

Verlierer sind auch die Jäger. Denn auch das neue Jagdgesetz dient nicht der Sache, sondern soll die eigene Klientel zufriedenstellen.

(Beifall von der CDU)

Sie wollen ein ökologisches Jagdgesetz. Ein weiterer Bereich soll nach Ihren Vorstellungen umgestaltet werden. Allerdings, das Jagdgesetz hat sich bewährt und über all die Jahre als höchst praktikabel erwiesen. Die Jägerschaft ist seit je im besonderen Maße, wie auch die Landwirte, um die Hege und Pflege unserer Kulturlandschaft bemüht. Genau diesem Engagement fallen Sie jetzt in den Rücken. Aus unserer Sicht ist das höchst unverständlich und fahrlässig.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister, Sie verfügen über ein breit aufgestelltes Ressort. Sie haben vielfältige Möglichkeiten, Sie beschränken sich aber nur auf einige wenige Aspekte, die Sie zur Selbstdarstellung noch brauchen.

(Zuruf von den GRÜNEN: So wie Sie!)

Vieles hingegen lassen Sie liegen. Wie halten Sie es beispielsweise mit dem Thema „Ernährungskompetenz“? Sie und Frau Löhrmann führen zwar das Schulobstprogramm Ihres Vorgängers fort. Aber das ist zu wenig, zumal Sie es auch noch verwässern und die Schulen zukünftig nur noch an drei Tagen und nicht mehr an fünf Tagen mit Schulobst versorgt werden. Das Thema interessiert Sie nicht. Das merkt man.

Was hat die Landesregierung beispielsweise für die Versorgung des ländlichen Raumes getan? Was ist mit der hausärztlichen Versorgung? Was ist mit dem Einzelhandel? Immer mehr Läden machen zu, und wer kein Auto besitzt, muss immer weitere Strecken überwinden.

(Beifall von der CDU)

Die Landesregierung hat nichts gemacht. Sie hat nach eigenen Angaben noch nicht einmal belastbare Zahlen zur Situation des Einzelhandels im ländlichen Raum zur Hand.

Herr Minister Remmel, wie gesagt, nur in wenigen Ressorts gibt es so viele Einflussmöglichkeiten wie in Ihrem. Sie aber beschränken sich auf nur wenige öffentlichkeitswirksame und emotionalisierende Themen. Wesentliche Themen bleiben außen vor. Konfrontation statt Ausgleich, das ist Ihr Regierungsstil.

Sehr geehrte Damen und Herren, es gäbe sicherlich noch einiges zu sagen, aber das Haushaltsjahr, über das wir heute beraten, steht 54 Tage vor seinem Ende. Daher möchte ich die Debatte nicht unnötig in die Länge ziehen; denn Vorschläge können Sie eh nicht mehr effektiv berücksichtigen.

Gleichwohl, Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, eine grundsätzliche Bemerkung kann ich mir doch nicht verkneifen: Schlagen Sie endlich den Weg der Vernunft und des Ausgleichs ein. Lassen Sie andere Meinungen zu, und hören Sie auf die Fachleute! Wie wir in vielen Anhörungen feststellen konnten, ist dies doch zu kurz gekommen.

(Beifall von der CDU)

Ansonsten bringt Ihre Politik unser Land nicht voran, sondern sie wird es zurückwerfen. Sie haben mit Datteln schon einen riesigen industriepolitischen GAU angerichtet. Sie sollten genau diesen Fehler nicht auch noch in anderen Bereichen wiederholen.

Abschließend möchte ich das Augenmerk noch einmal auf die Versorgungssituation im ländlichen Raum lenken. Die Krönung ist nämlich das Gejammer dieser Landesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU. Sie schreiben dort:

„Da der Landesregierung derzeit … keine ausreichenden Ressourcen zur Verfügung stehen, wäre es wünschenswert, mit entsprechenden Partnern diese Lücke zu füllen.“

Der Finanzminister macht 3,6 Milliarden € Schulden, der Etat des Landwirtschaftsministers steigt um 88 Millionen € auf weit über 900 Millionen €. Die Mittel für das Personal steigen von 133,5 Millionen € auf 141,3 Millionen €. Meine Damen und Herren, wo fehlen da die Ressourcen? Ihr Vorgänger im Amt, Eckhard Uhlenberg, hatte 2010 noch insgesamt 745,4 Millionen € zur Verfügung.

Wie ich gerade ausgeführt habe, liegt Ihr Etat, Herr Remmel, bei weit über 900 Millionen €. Seit 2010 ist der Etat Ihres Ministeriums um 23 % gestiegen. 23 % in zwei Jahren! Und Sie schaffen es nicht, sich einen Überblick über die Lage im ländlichen Raum zu verschaffen, geschweige denn Hilfen anzubieten? Das sind griechische Verhältnisse. Genau das, meine Damen und Herren, ist der Grund, warum wir diesem Haushalt nicht zustimmen werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der SPD spricht nun der Kollege Krick.

Manfred Krick (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn der Haushalt für den Bereich des Umwelt- und Naturschutzes mit einem Volumen von 920 Millionen € relativ klein aussehen mag, so betrifft er doch einen ganz zentralen Bereich. Hier wird nämlich mit entschieden, wie wir unsere Umwelt unseren Kindern und Kindeskindern überlassen. Eines sollten wir auch nicht aus dem Auge verlieren: Umweltpolitik ist nicht nur für die Natur da, Umweltpolitik ist auch für den Menschen da. Umweltpolitik ist aktive Gesundheitspolitik für unsere Generation und für die nachfolgenden Generationen.

Ich finde, dass der Haushalt 2012 diesem Anspruch gerecht wird. Ich danke im Namen der SPD-Fraktion der Landesregierung für diesen Haushalt.

Frau Kollegin Schulze Föcking, ich will nicht im Detail auf Ihre Ausführungen eingehen. Sie waren ja fast schon persönlich beleidigend.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Ich glaube, Sie sehen alles durch eine sehr rosarot gefärbte Brille der Landwirtschaft. Eines müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen: Diese rosarote Färbung, die auch den ehemaligen Landwirtschaftsminister geprägt hat, ist gescheitert. Deshalb ist Ihre Regierung auch abgewählt worden.

(Zuruf von der CDU: Genau deswegen!?)

Ich möchte an dieser Stelle nicht nur der Landesregierung danken. Ich möchte – ich glaube, das gehört auch zu dieser Debatte – denjenigen danken, die sich für die Natur einsetzen, die im bürgerschaftlichen Ehrenamt für und in der Natur arbeiten, und auch den verantwortungsvollen Landwirten, Fischern und Waldbauern, die sich für diesen Bereich in ihrer täglichen Arbeit engagieren und damit dazu beitragen, dass unser Land nachhaltig gesichert wird, und die Sorge und Verantwortung für diese Aufgabe tragen.

(Beifall von der SPD)

Auch der Einzelplan 10 ist wie der gesamte Haushalt darauf ausgerichtet, dass die Koalition ihre gemachten Zusagen auch tatsächlich einhält. Ich möchte das exemplarisch an drei Bereichen kennzeichnen.

Der Ansatz für Naturschutz und Landschaftspflege ist auf 30 Millionen € erhöht worden. Darin sind die erhöhten Mittel von 8 Millionen € für die Biologischen Stationen enthalten. Wir haben als Koalition immer zugesagt, dass wir die Arbeit der Biologischen Stationen auf ein dauerhaftes und gesichertes finanzielles Fundament stellen werden. Das ist nunmehr erreicht. Die Biologischen Stationen leisten ganz wichtige Unterstützungsarbeit für Landesbehörden. Sie entlasten damit auch die Städte und Kreise, und – was vielleicht noch viel wichtiger ist – sie bündeln das naturschutzliche Ehrenamt und setzen auch gemeinsam mit der Landwirtschaft vor Ort Naturschutzprogramme und den Vertragsnaturschutz um.

Verlässlich ist der Haushalt aber auch für unsere Städte. Die Städte haben Umweltaufgaben übernommen. Auch im Jahr 2012 wird das Land diese Umweltaufgaben mit 25 Millionen € finanzieren. Damit ist auch auf der Ortsebene eine effektive Umweltschutzverwaltung gesichert.

Zentrales Thema im Umweltschutz ist nach wie vor das Problem des zu großen Flächenverbrauchs. Unser Ziel ist ja, bis 2020 auf einen Flächenverbrauch von 5 ha herunterzukommen. Das sind dann immer noch 1.800 ha im Jahr. Um dieses Ziel bis 2020 tatsächlich zu erreichen, bedarf es großer Anstrengungen und Überzeugungsarbeit. Hauptsächlich sind sicherlich zunächst erst einmal die Kreise und Städte als Träger der Planungshoheit gefordert. Aber auch hier lässt das Land die Kommunen nicht im Stich: Wir haben entschieden, dass der sogenannte Altlastensanierungs- und Altlastenaufbereitungsverband fortgeführt wird und die Mittel, die diesem für die Sanierung von Altflächen und damit das Flächenrecycling zur Verfügung gestellt werden, in diesem Haushalt von 2 Millionen € auf 7 Millionen € erhöht werden.

Ich komme zum Bereich der Landwirtschaft, die unter diesem Flächenverbrauch besonders leidet. Unsere Kulturlandschaft ist durch eine jahrhundertelange landwirtschaftliche Produktion geprägt. Gleichzeitig ist aber auch unstrittig, dass Intensivlandwirtschaft unser Wasser – bis hin zum Grundwasser – und ebenfalls die Artenvielfalt gefährden kann. Entschuldigen Sie meine vielleicht etwas flapsige Ausdrucksweise: Die Landwirtschaft ist in diesem Falle quasi Opfer und Täter zugleich.

(Widerspruch von Josef Hovenjürgen [CDU])

Deshalb begrüßen wir als SPD ausdrücklich die Bemühungen der EU-Kommission, zukünftige Förderungen verstärkt nach ökologischen Aspekten auszurichten.

Der ländliche Raum – Frau Schulze Föcking, den hatten Sie ja auch erwähnt – ist wirtschaftsstark und lebenswert. Gleichzeitig bietet er viele Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und Naherholung. Er ist gerade in Verbindung mit unseren Ballungsräumen ein ganz wichtiger Standortfaktor. Gerade das macht unser Land NRW so interessant.

Unser Ziel ist es, die Beschäftigung und Wertschöpfung auch im ländlichen Raum zu erhalten. Wir müssen deshalb die Förderungen konzentrieren, zusammenführen und integrieren. So können wir auch zukünftig Erwerbsmöglichkeiten im ländlichen Raum sichern, den Naturschutz stärken und regionale Wertschöpfungsketten zusammenführen.

Ich denke, dass gerade dafür auch die Aufgabe der Energiewende ganz erhebliche Potenziale bildet. Noch ein kurzes Stichwort zur „Energiewende“: Alles, was wir mit diesem und zukünftigen Haushalten in die Umwelt investieren, was Ehrenamtler leisten, was Landwirtschaft Forstwirtschaft machen, wird nicht fruchten, wenn es uns nicht gleichzeitig gelingt, den Klimawandel zu verhindern. Deshalb muss es uns auch gelingen, die Energiewende zu erreichen. Hier muss, so denke ich, auch der Naturschutz gewisse Zugeständnisse und Kompromisse eingehen.

Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Krick. – Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Busen.

Karlheinz Busen (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschen in Nordrhein-Westfalen – gerade die im ländlichen Raum – sind in tiefer Sorge. Das liegt daran, dass Sie Bauernfamilien, die ihr Land seit Jahrhunderten traditionell bewirtschaften, mit stetem und offenem Misstrauen begegnen.

(Beifall von der FDP)

Das Schüren dieses Misstrauens führt zu traurigen Zuständen. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen: Viele Verbraucher greifen inzwischen lieber zu einer fragwürdig und umweltschädlich hergestellten angeblichen Biokartoffel aus Ägypten statt zu einer traditionell angepflanzten deutschen Kartoffel

(Karl-Josef Laumann [CDU]: So weit haben die es gebracht!)

– ja! –, einer Kartoffel, die nicht unter großem Energie- und Bewässerungsaufwand der Wüste abgerungen wurde, sondern die auf der heimischen Scholle wächst.

(Beifall von der FDP)

Die Bauern in NRW bleiben auf diesen Kartoffeln sitzen, weil Sie die Verbraucher verunsichert haben.

(Beifall von der FDP)

Damit noch nicht genug! Nach Ihren Äußerungen auf dem Fachkongress der Grünen zur Zukunft der Tierhaltung in Münster bangen Hunderte von Familien im Münsterland um ihre Existenz. Dort haben Sie, Herr Remmel, nämlich gesagt, dass Sie Ihnen vorliegende 120 Bauanträge für Mastställe von Familienbetrieben im Münsterland am liebsten ablehnen würden. – So können Sie doch nicht mit diesen Familien umgehen!

(Beifall von der FDP)

Sie wollen den Menschen in Nordrhein-Westfalen weismachen, dass hier 120 Mastbetriebe entstehen sollen. In Wahrheit handelt es sich oft nur um Erweiterungen oder Ersatzneubauten, die nur dem einen Zweck dienen, das Familieneinkommen zu sichern. Weil Sie den Landwirten mit Misstrauen begegnen, misstrauen die Landwirte auch Ihnen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

In Wirklichkeit ist die oft angeprangerte Flut von Anträgen vor allem der Unsicherheit geschuldet, weil niemand weiß, was er in zwei oder drei Jahren noch genehmigt bekommt. Daher wird jetzt vorsorglich schon einmal ein Antrag gestellt.

Und als ob das nicht schon ausreicht, wollen Sie jetzt mit dem Verbandsklagerecht das Chaos perfekt machen. Die ohnehin zutiefst verunsicherten Landwirte müssen dann jederzeit damit rechnen, dass ihr Betrieb zur Zielscheibe ideologisch aufgeladener Feldzüge gegen die Tierhaltung in Nordrhein-Westfalen wird.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich glaube, dass es um dieses Thema in der Öffentlichkeit nur deshalb so ruhig ist, weil viele Menschen noch gar nicht verstanden haben, was ein Verbandsklagerecht für die Landwirtschaft bedeutet. Gehen Sie doch mal raus zu den Bauern, Herr Remmel, und stellen Sie das Verbandsklagerecht dort in aller Breite vor. Dann werden Sie erleben, was die Menschen im ländlichen Raum davon halten.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Zudem wird das Verbandsklagerecht den Tierschutz nicht fördern, sondern blockieren. Es ist davon ausgehen, dass dringend notwendige Investitionen in tiergerechtere Anlagen aus Angst vor Klagen ausbleiben werden. Auch die Banken werden häufiger zögern, Landwirten Kredite zu gewähren, wenn die Investition auf so wackligen Füßen steht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Diese ideologisierte Politik zieht weitere Kreise. Ein weiterer Personenkreis, den Sie zutiefst verunsichert haben, sind die Jägerinnen und Jäger in Nordrhein-Westfalen. Diesen haben Sie bei der von Ihnen angekündigten und im Übrigen völlig unnötigen Reform des Jagdrechts einen Dialog auf Augenhöhe zugesichert. Tatsächlich aber wirken Sie bislang so, als seien Sie manchen Tierschutzverbänden, die wie der Deutsche Tierschutzverband jüngst eine Abschaffung der Gottesdienste für Jäger fordern, näher. Denn in den Hubertusmessen erhielten Jäger den kirchlichen Segen für das Töten von Millionen Wildtieren, kritisierte der Verband.

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Ungeheuerlich!)

Ich fordere Sie auf, Herr Minister Remmel, solche Auswüchse öffentlich zurückzuweisen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Hubertusmesse ist ein Ausdruck der Achtung vor der Schöpfung und damit auch dem Tier.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Jäger erfüllen einen wichtigen gesellschaftlichen und gesetzlichen Auftrag. Jährlich werden so Millionen ehrenamtliche Stunden zum Erhalt der Natur und der Tierwelt und zum Schutz der Menschen vor Wildunfällen geleistet. Dass Jäger für diese Arbeit den Segen der Kirche erhalten, ist richtig.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Begegnen Sie der Jägerschaft mit Respekt vor ihren Leistungen für den Naturschutz. Ich erinnere gerne an die Feldlerchen-Projekte, den Rebhuhnschutz oder die Wildhecken. Ferner sind die rollenden Waldschulen in Nordrhein-Westfalen ein leuchtendes Beispiel für die Umweltarbeit der Jägerschaft.

Zudem sollte an dieser Stelle auch einmal erwähnt worden, dass Greenpeace das von Jägern in Nordrhein-Westfalen erlegte Wildfleisch als bio, regional und klimaneutral anpreist und den Kauf und Verzehr von Wild empfiehlt, und zwar Niederwild und Hochwald einschließlich Fasanen, Hasen und Kaninchen. Greenpeace hat es verstanden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die FDP steht für einen starken ländlichen Raum. Wir ziehen mit den Landwirten, den Waldbauern und den Jägern an einem Strang. Und lassen Sie, Herr Remmel, den Menschen – ob Landwirt oder Jäger – ihre Freiheit – die Freiheit, selbstverantwortlich zu handeln, und hören Sie mit der Bevormundung auf. Weidmannsdank!

(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Busen. – Der nächste Redner ist der Kollege Markert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: So, jetzt kommt ein „sachlicher“ Beitrag!)

Hans Christian Markert (GRÜNE): Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das war ja ein bemerkenswert eindimensionaler Einstieg, Frau Kollegin Schulze Föcking und geschätzter Kollege Busen. Weidmannsheil!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Man könnte fast meinen, wir reden hier heute nicht über Umweltpolitik, Verbraucherpolitik und Klimaschutzpolitik, sondern wir reden nur noch über Landwirtschaftspolitik, und aufgrund der Art und Weise, wie Sie beide das hier an den Anfang gestellt haben, merkt man auch, wie Ihre Umweltpolitik in der Vergangenheit aussah, wie sie jetzt aussieht und wie sie in der Zukunft aussehen wird und dass sich da offensichtlich nicht viel ändern soll. Das ist in Ihren Augen wahrscheinlich konservativ.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dass ausgerechnet Sie, Frau Schulze Föcking, unserem Minister Remmel Klientelpolitik vorwerfen, ist ziemlich selbstvergessen. Denn wir wollen einmal daran denken, wie Sie Umweltpolitik zu Zeiten von Eckhard Uhlenberg verstanden haben.

Ich finde es übrigens auch ziemlich daneben, hier Berufserfahrung zum Maßstab zu machen. Denn nach meiner Erinnerung war auch der liebe Herr Uhlenberg nicht in einer Umweltverwaltung tätig, bevor er Umweltminister wurde. Jetzt Herrn Remmel vorzuwerfen, dass er nicht selber auf einem Hof geackert hat, zieht insofern nicht. Er hatte zwar nicht die Gnade, einen Hof zu erben, aber trotzdem kann er jetzt gute Landwirtschaftspolitik machen. Aber dazu wird der Kollege Rüße gleich noch etwas sagen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will am Anfang auch daran erinnern: Als wir hier in Nordrhein-Westfalen, Frau Schulze Föcking und Herr Busen, die Regierung übernommen haben – zunächst als Minderheitsregierung –, haben wir in Teilen eine nicht mehr funktionsfähige Umweltverwaltung und Umweltaufsicht vorgefunden. Das haben wir geändert, darauf werden wir weiter achten, und darauf sind wir auch stolz. Das erklärt zum Teil auch, warum die Haushaltsmittel bei uns angehoben werden mussten. Denn Sie haben die Umweltverwaltung – siehe Envio in Dortmund – kaputtgespart.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dies möchte ich noch einmal betonen, bevor ich zur Umweltpolitik komme: Haushaltsdebatten sind schließlich immer Debatten über die großen Leitlinien der Politik, und in der Umweltpolitik ist eine große Leitlinie unsere Umweltwirtschaftsstrategie, die unser Umweltminister auch zu Recht als zentrales Vorhaben benannt hat. Was heißt das eigentlich genau? – Erlauben Sie mir, das etwas substanzieller auszuführen.

Konservative wie Sie betonen in der Regel den Umweltschutz. Damit meinen Sie landläufig, es gelte, die Umwelt nachgelagert vor den Folgen unserer wirtschaftlichen Tätigkeit zu schützen. Sie stellen sich Arbeitsteilung also wie folgt vor: Die einen produzieren und machen kaputt, und die anderen kommen her und reparieren.

Ökonomie und Ökologie im nachhaltigen Sinne sind in diesem Denken nicht vorhanden, sondern sie sind bei Ihnen systemisch immer noch getrennt, und dies ist falsch – genauso falsch, wie es war, dass Herr Laschet im Spätsommer erneut den medialen Versuch unternommen hat, einen Gegensatz zwischen aktiver Umweltpolitik und Arbeitsplätzen zu erzeugen.

Wir vertreten in unserer Umweltwirtschaftsstrategie hingegen eine explizit politische Ökologie. Das heißt für uns: Die ökonomische Produktion und die ökologische Reproduktion unserer natürlichen Lebensgrundlagen bilden einen Zusammenhang. Deswegen argumentieren wir thematisch auch nicht so eindimensional wie Sie, Frau Schulze Föcking. So denken wir, so handeln wir, und dafür sind wir Grünen da. Darin unterscheiden wir uns sehr deutlich von Ihnen als den Konservativen.

Das ökologische Überleben ist die Basis für ökonomisches Leben. Wie in keinem anderen Politikbereich bedeutet falsches Handeln oder gar Nichthandeln in der Ökologie, dass die Folgen unumstößlich eintreten werden. Wir sehen es gerade bei den globalen Zerstörungen, im Bereich der Biodiversität oder beim Klimawandel. Die Natur lässt sich nicht betrügen. Deshalb müssen wir auf sie hören lernen – wir alle zusammen. Das ist eine Jahrhundertaufgabe, meine Damen und Herren.

Weil ich gerade vom Betrügen rede, lassen Sie mich den Schwenk zu den Finanzdienstleistungen machen. Beim wirtschaftlichen Verbraucherschutz setzen wir richtigerweise einen weiteren Schwerpunkt. Das heißt für uns, dass wir weiterhin auf den fortgesetzten Ausbau der Verbraucher/innen­bera­tung über das Netz der Verbraucherzentralen in NRW setzen. Frau Schulze Föcking, zumindest in meinem Wahlkreis, in Neuss, ist ein finanzielles Bekenntnis der CDU nicht erkennbar. Das heißt, Sie halten hier Sonntagsreden für ein gutes Netz der Verbraucherzentralen, und vor Ort stellen Sie die kommunalen Mittel nicht zur Verfügung.

Zudem beobachten wir, dass bei den derzeitigen finanziellen Verwerfungen auf dem Finanzmarkt, der anhaltenden Rentendiskussion, aber auch der wachsenden Armut, insbesondere Altersarmut, viele Menschen auf der Suche nach möglichst sicheren Finanzprodukten, Geldanlagen und Krediten sind. Vor diesem Hintergrund beobachten wir verstärkt auch unseriöse Praktiken der Anbieter, insbesondere solcher Anbieter auf dem grauen Kapitalmarkt, also dem untypischen Finanzsektor.

Um dem entgegenzuwirken – ich freue mich ganz besonders, dass Klaus Müller, der Chef der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, auf der Zuschauertribüne sitzt –, wollen wir rasch wirksame Instrumente einführen, die es den Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglichen, den Anbietern von Finanzdienstleistungen auf Augenhöhe zu begegnen. Dazu zählen eine einheitliche Aufsicht im Finanzsektor und die Etablierung von sogenannten Finanzmarktwächtern bei den Verbraucherzentralen.

In der Umwelt- und Verbraucherpolitik weist der Haushaltsvorschlag insofern in die richtige Richtung. Wir werden den Minister gerne weiterhin unterstützen getreu dem Motto von Johannes Rau: Sagen, was man tut, und tun, was man sagt.

Es geht um die Vermeidung von Eindimensionalität und eine wirksam und gut arbeitende Umweltverwaltung. An dieser Stelle: Herzlichen Dank all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dort aktiv sind, damit es solche Schweinereien wie bei Envio in Zukunft möglichst nicht mehr gibt, und dass sie, wenn es sie gibt, transparent aufgearbeitet werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Markert. – Für die Piratenfraktion spricht Frau Kollegin Brand.

Simone Brand (PIRATEN) : Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir die Politik Ihres Ministeriums anschaue, Herr Minister Remmel, fällt mir immer wieder die Geschichte vom Hasen und Igel ein: Man hetzt wie wild herum in kleinen und eiligen Schritten, aber der nächste Umwelt- und Verbraucherskandal ist immer schon da. Vorausschauende und nachhaltige Politik sieht nach Meinung der Piraten deutlich anders aus.

Im Bereich des Umweltschutzes, also des Kernbereichs grüner Politik, ist die Bilanz wirklich mager.

Ein tolles Beispiel für bürgerferne und umweltschädliche Politik ist die CO-Pipeline. Die Regierung hechelt den Wünschen der Bayer AG hinterher und genehmigt den Bau einer Pipeline, für die Bürger wegen angeblicher Gemeinnützigkeit sogar enteignet werden müssen. Sie können doch nicht ernsthaft darüber überrascht gewesen sein, dass die Bürger NRWs davon nicht begeistert sind! Trotz allem werden Steuergelder für etliche Gerichtsverfahren, Gutachten, Expertenanhörungen in die Landschaft geblasen. Da hätte man mit Sicherheit etwas Besseres machen können, zum Beispiel eine Bürgerbefragung.

Deshalb fordern wir Piraten, diesem Treiben ein Ende zu setzen und den Bau der Pipeline verbindlich zu untersagen.

Aber das ist ja nicht die einzige Pipeline, die bei Ihrem Ministerium für Überraschung sorgte. Völlig unvermittelt stellt man fest, dass eine Kerosinpipeline der Firma Shell in Wesseling, die ja „erst“ vor knapp 70 Jahren gebaut wurde, plötzlich nicht mehr hält, eine Pipeline, die mit Wissen und Genehmigung der Landesregierung unter dem sogenannten Bestandsschutz immer noch weiter betrieben werden darf. Ich mag Seen ja wirklich gerne, aber muss es einer aus Kerosin sein?

Das nächste Umweltproblem, das dieser Regierung auf den Weg springen könnte, ist die Urananreicherungsanlage in Gronau. Aber auch hier kommt die Landesregierung nicht voran. Es reicht nur für die Absichtserklärung, die Urananreicherung irgendwann zu beenden. Ich hoffe nur, dass wir diesmal nicht erst eine Umweltkatastrophe brauchen, bevor die Regierung verbindlich handelt.

Daher fordern die Piraten eine rechtlich bindende Bundesratsinitiative, um die Urananreicherung endlich zu stoppen.

(Beifall von den PIRATEN)

In der Landwirtschaft sieht Ihre Politik auch nicht besser aus. Seit Jahren werden von Ihnen in erster Linie die Interessen von industriellen Tierhaltern, Fleischgroßhandel und Pharmaindustrie bedient. Und was für eine Überraschung, taucht doch glatt der nächste Skandal auf. Wer könnte auch ahnen, dass, wenn man Tiere massenhaft mit Antibiotika vollstopft und auf engstem Raum zusammenpfercht, es am Ende lauter neue multiresistente Keime gibt?

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Brand, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Markert zulassen?

Simone Brand (PIRATEN): Nein. – Der Verbraucher steht wieder nur daneben und muss mit den Konsequenzen leben. Auch hier ist Ihre Politik von Nachhaltigkeit weit entfernt.

Ich fand es gerade sehr interessant, dass Frau Schulze Föcking es geschafft hat, sehr lange über Landwirtschaft zu reden, ohne ein einziges Mal Tiere zu erwähnen. Seit zehn Jahren rennt diese Regierung dem Verfassungsziel eines guten Tierschutzes hinterher. In dieser Woche gibt es sogar das Jubiläum. Und was ist daraus geworden? – Wieder einmal kann die Politik mit der Realität nicht mithalten. In diesen zehn Jahren ist die Zahl der Tierversuche um 1 Million gestiegen. Die Novelle des Tierschutzgesetzes wird Stück für Stück von Frau Aigner wieder kassiert. Und in den Medien erfährt der Verbraucher von unwürdigen Zuständen in der Putenhaltung.

Ziele setzen reicht eben nicht. Man muss sie auch erreichen wollen. Wie lange mag es wohl dauern, bis der nächste Skandal „völlig überraschend“ auftritt?

Ich weiß, Herr Minister Remmel, es muss für Sie sehr schwierig sein, in dieser Koalition grüne Politik zu machen. Ich versichere Ihnen aber: Sie können jederzeit mit der Unterstützung der Piraten rechnen, wenn Sie versuchen, die Tierhaltungsbedingungen in der industriellen Landwirtschaft zu verbessern.

(Beifall von den PIRATEN)

Der Verbraucherschutz ist ein weiterer Pfad gepflastert mit guten Absichten. In Ihrem Koalitionsvertrag verabreden Sie, die Rechte der Verbraucher zu stärken. Aber wir wissen ja, wie das mit guten Absichten ist.

Vor Kurzem musste der erstaunte Bürger zur Kenntnis nehmen, dass 11.000 Menschen schwer erkrankten, weil sie in Schulen und Kitas mit verseuchten Erdbeeren aus China versorgt wurden.

Man muss sich nicht sehr darüber wundern, keine Spitzenqualität zu bekommen, wenn man mit äußerst knappen Mitteln im Oktober möglichst billig einkauft. Dieser Kelch ist glücklicherweise an NRW vorbeigegangen. Wer jetzt aber glaubt, es würde verbindliche Mindeststandards für die Verpflegung in Kantinen, Schulen und Kitas geben, der irrt. Bestimmt machen die Darmbakterien an der Grenze Nordrhein-Westfalens halt und werden uns nicht weiter belästigen.

Was also stellen wir Piraten uns unter guter, nachhaltiger, bürgernaher Politik vor?

Lassen Sie die einhundert versprochenen Umweltüberwacher nicht nur ein Versprechen bleiben. Schaffen Sie verbindlich mehr Sicherheit für Umwelt und Verbraucher. Reden Sie nicht nur über Verbraucherbildung, sondern tun Sie auch etwas dafür. Gern würden wir Piraten gemeinsam mit Ihnen einen Masterplan „Verbraucherbildung“ entwickeln. Denn nur informierte Verbraucher können die für sie richtigen Entscheidungen treffen.

Dem ungebremsten Einsatz von Medikamenten in der Landwirtschaft muss dringend Einhalt geboten werden. Das ist aber nur möglich, wenn NRW seine rückständige Politik im Bereich der ökologischen Landwirtschaft überdenkt. Andere Bundesländer sind da schon wesentlich weiter.

Die Lebensmittelüberwachung muss deutlich gestärkt werden. Eine flächendeckende Lebensmittelkontrolle im Zusammenhang mit klarer und übersichtlicher Kennzeichnung sorgt für mehr Sicherheit für den Verbraucher.

Proaktiver Verbraucherschutz muss zu einem Leitziel unserer Politik werden. Die Verankerung des Verbraucherschutzes in der Landesverfassung wäre ein gutes Zeichen in die richtige Richtung.

Tierschutz darf nicht nur ein Etikett sein. Lassen Sie uns zeitnah ein gutes Verbandsklagerecht verabschieden, das es Tierschutzverbänden ermöglicht, den unterbesetzten Behörden zu helfen.

Zu guter Letzt, sehr geehrte Damen und Herren, Herr Minister Remmel: Die Landesregierung rennt wieder einmal so schnell sie nur kann. Kalt erwischt wird sie diesmal davon, dass Menschen doch tatsächlich auch älter werden und plötzlich unvermittelt in Pension gehen – so auch bei der Landwirtschaftskammer.

Ja, Herr Remmel, wir haben das noch nicht abgehakt. Wieder einmal muss die Landesregierung in die Steuerkiste greifen, um mit 10 Millionen € eine Finanzierungslücke zu stopfen – eine Finanzlücke, die nur dadurch auftaucht, weil Sie sich von der Landwirtschaftskammer auf der Nase herumtanzen lassen.

Hören Sie endlich auf, nur zu reagieren. Verzichten Sie bitte auf kurzatmige Affektpolitik und lassen Sie uns gemeinsam an bürgernaher und vorausschauender Politik arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Brand, mit Ihnen will ich anfangen, weil es relativ naheliegt. Auch Ihre Worte mit dem Hasen und dem Igel sind noch in Erinnerung.

Mittlerweile, nach einem guten halben Jahr hier im Landtag Nordrhein-Westfalen, ist es an der Zeit, Ihre Vorschläge bzw. Lösungsansätze etwas kritischer unter die Lupe zu nehmen. Es reicht, um parlamentarisch bestehen zu können, nicht, Probleme nur zu benennen, sondern man muss auch konkrete Lösungen anbieten. Man muss die Lösungen so anbieten, dass sie an den konkreten Problemen ansetzen und nicht irgendwelche Wolkenkuckucksheime skizzieren, die mit der Problemlösung gar nichts zu tun haben.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich will an dem Beispiel Urananreicherungsanlage in Gronau deutlich machen, worüber wir konkret reden. Allein das Problem zu benennen, reicht nicht. Sie müssen auch das skizzieren, was wir bereits gemacht haben. Es gibt nämlich aufgrund einer Initiative aus Nordrhein-Westfalen einen einstimmigen Beschluss des Bundesrates, auch diesen Teil der Atomwirtschaft in der Bundesrepublik zu beenden. Der Beschluss wurde, wie gesagt, einstimmig gefasst. Es ist die Bundesregierung, die diesen Beschluss nicht umsetzt. Die Landesregierung kann dazu nun wirklich keinen Beitrag leisten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir müssen hier eine Initiative Richtung Bundesregierung starten. Ich würde mir wünschen, dass Sie an meiner Seite wären.

Auch die Frage der Landwirtschaftskammer muss man richtig verorten. Hier sind in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen worden, die uns heute finanzielle Probleme bereiten. Wir können nicht einer Institution, die immerhin in weiten Teilen die Landwirte berät und auch hoheitliche Aufgaben für uns wahrnimmt, von heute auf morgen den Geldhahn zudrehen, weil die Vorgängerregierung nicht rechtzeitig Vorsorgeleistungen für die Versorgungsempfänger eingeplant hat. Deshalb muss es hier einen Übergang und dann eine endgültige Lösung geben. Die Landesregierung jedenfalls lässt die Beschäftigten und diese Aufgaben nicht einfach im Regen stehen.

Nun aber, und das war der wesentliche Teil der Debatte, zu den Initiativen und Beiträgen der Opposition aus CDU und FDP. Ich muss ehrlich sagen: Ich bin erschrocken, dass Ihnen bei der inhaltlichen Positionierung zum Einzelplan 10, bei dem es um die Zukunft, um die Lebensfragen dieses Landes geht – um Umwelt, Naturschutz, Verbraucherschutz, Klimaschutz –, nichts anderes einfällt, als über Filteranlagen in Schweineställen zu reden oder die Frage der Begleitung der Jagd von Hubertusmessen zu diskutieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das wird doch weiß Gott den Problemlagen, die wir hier in Nordrhein-Westfalen zu bewältigen haben, und den Herausforderungen, die vor uns stehen, überhaupt nicht gerecht.

Lassen Sie uns die Bereiche einzeln anschauen und fragen, wo Ihre Lösungen sind. Wenn man Ihre Beiträge von heute betrachtet, stellt man fest: Antworten waren schlichtweg nicht vorhanden. Sie haben zu den ganzen Zukunftsfragen, die wir diskutieren, keine einzige Antwort parat. Das macht deutlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, warum Sie da sitzen, wo Sie jetzt sitzen:

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU: Oh, oh!)

weil Sie in der Umweltpolitik keine einzige Antwort liefern, beispielsweise zu der Frage:

Wie gehen wir um mit den weiter schwindenden Arten auch in Nordrhein-Westfalen? – 45 % der Tiere und Pflanzen sind vom Aussterben bedroht. – Wie stellen wir unsere Politik darauf ein? Wie gehen wir mit der Herausforderung um, dass in Nordrhein-Westfalen nach wie vor Menschen krank werden, weil sie durch Feinstaub oder Lärm belastet sind? Wie gehen wir mit den immer neuen Herausforderungen im Verbraucherschutz, beispielsweise durch Finanzdienstleistungen, durch Internet, neue Angebote von Marktteilnehmerinnen, um? Wie ertüchtigen wir Verbraucherinnen und Verbraucher, auf gleicher Augenhöhe an einem solchen Marktgeschehen teilzunehmen?

Keine einzige Antwort! Stattdessen eine Verengung auf einen ganz kleinen Ausschnitt einer Landwirtschaftspolitik, die vielleicht auch nur einen Teil unseres schönen Bundeslandes betrifft.

Wir haben zu klären, wie wir die Bereiche, die mit Zukunftsfragen zusammenhängen – die Abfallwirtschaft, die Wasserwirtschaft, die Forstwirtschaft, die Energiewirtschaft –, so ertüchtigen, dass wir einerseits die Schutzgüter, die uns anvertraut worden sind – die Menschen, die Umwelt –, wirklich schützen, aber andererseits auch die Chancen wahrnehmen, in Nordrhein-Westfalen in einem Zukunftsfeld neue Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Das ist die Gestaltungsaufgabe, vor der wir stehen.

Deshalb gilt unsere besondere Anstrengung der Umweltwirtschaft, weil alle Expertinnen und Experten davon ausgehen, dass gerade dieses Feld zukünftig viele neue Arbeitsplätze für uns verspricht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ja, man kann über ein ökologisches Jagdrecht streiten. Aber zu einer Zeit, in der es noch keine Eckpunkte und nicht einmal einen Referentenentwurf gibt, eine solche Kampagne vom Zaun zu brechen, wie Sie das tun und auf Verbände, die das getan haben, einsteigen, ist einfach unredlich und einer Debatte, die wir über den Haushalt 2012 sowie die Perspektiven und Herausforderungen führen müssen, nicht angemessen.

Ich bleibe, Frau Schulze Föcking, einen Moment bei dem Thema „Schweinehaltung in Nordrhein-Westfalen“. Ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie zumindest in der Kontinuität Ihres Vorgängers stehen würden. Denn das, was wir mit dem Erlass realisiert haben, ist nichts anderes als das, was schon mein Vorgänger gefordert hat, nämlich einen modernen Stand der Technik bei großen technischen Anlagen – dazu gehören nun einmal Ställe mit über 2.000 Schweinen – auf den Weg zu bringen.

Aber das ist doch nicht die Zukunftsfrage der Landwirtschaft. Die Zukunftsfrage der Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen wird dadurch bestimmt, ob wir in Zukunft überhaupt noch Landwirtschaft im ländlichen Raum haben und wie wir das strukturell sichern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb ist es Aufgabe der Landesregierung, zusammen mit den anderen Bundesländern dafür zu streiten, dass wir in der nächsten Förderperiode die europäischen Gelder auch wirklich so orientieren, dass Strukturen im ländlichen Raum dauerhaft Bestand haben. Das ist die Gestaltungsaufgabe – dazu kein einziges Wort von Ihnen. Das zeigt, welch dünnes Brett Sie an dieser Stelle bohren.

Also: Die Landesregierung hat mit den Möglichkeiten, die ein Landeshaushalt bietet, die Voraussetzungen geschaffen, um die Zukunftsfragen tatsächlich anzugehen.

Was die Höhe und die Struktur insgesamt betrifft, bitte ich, Folgendes zu bedenken: Gerade bei Investitionsmitteln ist Erhebliches dazugekommen, weil wir für Klimaschutz und Zukunftsenergien zuständig sind. Wir können das Wasserentnahmeentgelt voll etatisieren. Und wir haben erhöhte Einnahmen aus der Abwasserabgabe entsprechend eingestellt. Das macht die strukturellen Aufwüchse aus. Dahinter verbirgt sich nicht ein zusätzliches Potenzial, weitere Aufgaben zu übernehmen. – So viel zur strukturellen Klarstellung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ich würde mir, weil es für die Zukunftsfragen des Landes wichtig ist, tatsächlich wünschen, in manchen Punkten über die Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit zu erzielen bzw. diese Einigkeit wieder herzustellen, zum Beispiel bei der Zukunftssicherung der Verbraucherzentrale oder der dauerhaften Sicherung der Strukturen der Biologischen Stationen. Diesen Konsens hatten wir in der Vergangenheit. Heute habe ich Ihre Beiträge so verstanden, dass Sie ihn aufgekündigt haben – sehr zum Schaden der wirklichen Inhalte, die von uns allen verteidigt und für die Zukunft gesichert werden müssten.

In diesem Sinne wünsche ich uns ein gutes Jahr 2013 und vielleicht von Ihrer Seite die Rückkehr zu einem Minimalkonsens in den Bereichen Umwelt, Landwirtschaft und Naturschutz. Das Land Nordrhein-Westfalen und die Menschen hätten das verdient. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Für die CDU-Fraktion spricht Kollege Deppe.

Rainer Deppe (CDU): Meine Damen und Herren! Herr Remmel, ich will beim Letzten anfangen, damit kein falscher Zungenschlag entsteht. Die Verbraucherzentrale ist von der CDU-Landtagsfraktion nie infrage gestellt worden. Im Gegenteil, wir waren es, die nach der Regierungsübernahme 2005 als Erste mit der Verbraucherzentrale einen Vertrag über fünf Jahre abgeschlossen und so Planungssicherheit geschaffen haben. Herr Müller ist wohl noch hier: Er wird das bestätigen und hat das immer wieder öffentlich gesagt. Werfen Sie also bitte keine Nebelkerzen!

(Beifall von der CDU)

Ich will wegen der Kürze der Zeit, die zur Verfügung steht, nur in Stichworten ein paar Themen aus dem Umweltbereich ansprechen.

Thema „Dichtheitsprüfung“: Sie haben einen Rückzieher gemacht. Es bestehen erhebliche Sorgen bei den Bürgerinnen und Bürgern, dass über „Fremdwassergebiete“ ein neues Instrument eingeführt wird, um die Menschen weiter zu gängeln. Das muss geklärt werden.

Thema „Eyller Berg“: Es ist nicht in Ordnung, Herr Remmel, wenn die Landesregierung, die das Wort „Transparenz“ ständig im Munde führt, hinter verschlossenen Türen mit dem Betreiber der Sondermülldeponie verhandelt, Kommunen und Bürger außen vor und im Ungewissen lässt und auch noch zulässt, dass der Verhandlungspartner dem frei gewählten Bürgermeister einen Maulkorb verpassen lässt. Es ist nicht in Ordnung, sich mit solchen Leuten hinter verschlossenen Türen zusammenzusetzen.

Dritter Punkt: Kerosinsee. 70 Jahre alte Leitungen in Wesseling in der größten Raffinerie Deutschlands.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege, Ihre Redezeit!

Rainer Deppe (CDU): Hier ist in allererster Linie das Unternehmen gefordert. Ich möchte Sie auffordern und bitten, alles daranzusetzen, dass die Leitungen nach dem Stand der Technik ausgerichtet werden. Es geht nicht um den Bestandsschutz. Ein Weltunternehmen wie Shell kann sich nicht darauf zurückziehen und sagen: Wir haben Bestandsschutz. – Hier ist der Stand der Technik das Maß aller Dinge, …

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist jetzt wirklich zu Ende.

Rainer Deppe (CDU): … vor allen Dingen, wenn die Leitungen defekt sind.

Letzter Satz: Herr Remmel, ich glaube, risikoorientierter Ressourceneinsatz wäre auch in Ihrem Hause angebracht. Kümmern Sie sich um die wichtigen Themen, und lassen Sie die Randthemen außen vor! Ich glaube, damit wäre allen geholfen.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. Ich bin ja wirklich großzügig. Eine Redezeit von gut einer Minute mehr als zu verdoppeln, ist aber schon schwierig. – Nächste Rednerin ist Frau Blask für die SPD-Fraktion.

Inge Blask (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherinnen und Verbrauchern wird heute eine Vielzahl von Entscheidungen im täglichen Leben abverlangt: Welchen Telefon- und Internetanbieter wähle ich? Was für Tarife bieten die Energieanbieter im Strom- und Gasbereich an? Ist die kostenpflichtige Zusatzleistung meines Arztes wirklich sinnvoll?

Das sind nur einige Fragen, die sich die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen stellen müssen. Aber natürlich ist man nicht überall Fachfrau und Fachmann. Dazu brauchen Verbraucherinnen und Verbraucher starke und unabhängige Verbraucherinstitutionen, die auch ausreichend finanziert sein müssen.

Die finanzielle Vereinbarung der Landesregierung und der Verbraucherzentrale gilt zunächst bis 2015. Wir wollen diese Vereinbarung langfristig fortschreiben und dadurch die finanzielle Planungssicherheit und den flächendeckenden Ausbau gewährleisten. Fünf neue Beratungsstellen sollen in Nordrhein-Westfalen dazukommen. Ich freue mich sehr, dass Ende des Monats in Soest eine neue Beratungsstelle eröffnet wird. Im Übrigen schließe ich mich Ihren Worten an, Herr Markert. Ich denke, auch in Neuss sollte es endlich einmal eine Beratungsstelle geben.

(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])

Gestatten Sie mir auch ein herzliches Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verbraucherzentrale, die tagtäglich Verbraucherinnen und Verbraucher vor Ort kompetent und mit sehr viel Engagement beraten. Das machen sie wirklich toll.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele private Haushalte befinden sich in einer prekären Finanzsituation. Wir haben deshalb die Landesförderung der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung bereits im vergangenen Jahr erhöht und werden mit den Mitteln aus dem Sparkassen-Fonds auch weiter für eine auskömmliche Finanzierung sorgen. Analog zum Sparkassen-Fonds wollen wir auch die Banken an der Finanzierung der gemeinnützigen Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung beteiligen. Bildungsangebote zur Verbraucherfinanzbildung sollen ebenfalls daraus finanziert werden.

Meine Damen und Herren, die Energiewende steht aktuell in der Diskussion. Das EEG bedarf natürlich einer Überarbeitung. Wer ein System mit Quoten für sinnvoller hält, sollte aber einmal in die Länder schauen, die das schon versucht haben. Wir erwarten, dass Verbraucherinnen und Verbraucher bei der EEG-Umlage nicht unnötig belastet werden und dass nur die energieintensiven Unternehmen von der Umlage entlastet werden, die wirklich im internationalen Wettbewerb stehen.

Das Thema „Energie“ hat aber noch eine andere Medaillenseite. Es gibt Menschen in unserem Land, die den Strom nicht bezahlen können. Rund 120.000 Haushalte haben allein in Nordrhein-Westfalen eine Stromsperre hinnehmen müssen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Meine Damen und Herren, gegen Energiearmut müssen wir etwas tun. Dafür stehen wir. Da wären auch Mindestlöhne hilfreich, denke ich.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Inge Blask (SPD): Das Land Nordrhein-Westfalen ist beim Verbraucherschutz auf einem guten Weg. Davon bin ich überzeugt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und Hans Christian Markert [GRÜNE])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Blask. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Remmel, ich möchte gerne noch einmal zur Jagd zurückkommen. Als eben der Vorwurf kam, dass man den Konsens aufkündigen und schon groß Kampagne machen würde, bevor überhaupt Referentenentwürfe vorlägen, haben Sie in unsere Richtung des Plenums geschaut. Die richtige Richtung wäre genau gegenüber gewesen. Sie hätten einmal die Kolleginnen und Kollegen der Waidgenossen fragen müssen, warum sie hier vor dem Landtag die Jagdhörner zusammenrufen und warum sie selber innerhalb der SPD schon heute gegen das, was angeblich noch gar nicht festgeschrieben ist, Sturm laufen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Zurück zum Haushalt: Manchmal ist vor allem das interessant, was man nicht sieht. Im hier vorliegenden Einzelplan sieht man leider auf gar keinen Fall irgendwelche Sparbemühungen. Ich muss sagen: Sollte das Land überhaupt die Schuldenbremse 2020 einhalten können, dann wird das trotz und nicht wegen Ihnen und Ihrem Umweltministerium erreicht werden.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP] und Josef Hovenjürgen [CDU])

Herr Minister Remmel, Sie sprechen viel über Nachhaltigkeit. Eben haben Sie uns vorgeworfen, wir sähen viele Dinge eindimensional. Vielmehr sind es doch aber Sie, die hier Nachhaltigkeit eindimensional sehen und dabei Generationengerechtigkeit und Finanzpolitik völlig außer Acht lassen.

In Ihrem Haushalt gibt es weitere Punkte, bei denen Sie den Grundsatz der Haushaltsklarheit aus unserer Sicht nicht so ernst nehmen, wie das sein sollte. Zum Beispiel fällt auf, dass laut Erläuterungsband die Ausgaben für die Europäische Wasserrahmenrichtlinie gegenüber dem gescheiterten Haushaltsentwurf um über 8 Millionen € angehoben wurden. Im Haushaltsplan findet sich dazu allerdings nichts. Entgegen der Meinung der Umweltverbände, der Gewerkschaften und weiterer Verbände kommt jetzt auch noch die Erhöhung des Wasserentnahmeentgelts mit weiteren Belastungen auf uns zu.

In welchen Bereichen geben Sie sonst noch Geld aus? Hier nenne ich die Beträge unter anderem für Naturschutzverbände und Biologische Stationen. Ich habe da nicht das Gefühl, dass wir den Konsens aufgekündigt hätten; denn es ist richtig – das ist gerade auch gesagt worden –, dass dort natürlich auch viel ehrenamtliches Engagement gebündelt wird. Das ist extrem wichtig. Da sind wir ganz beieinander. Aber auch in diesen wichtigen Bereichen können wir doch nicht so tun, als gebe es die Schuldenbremse nicht und als hätten wir genug Geld auch für weitere Aufstockungen. Diese Bereiche müssen ebenfalls einen Sparbeitrag leisten.

Auf der anderen Seite gibt es – das will ich gerne zugeben – auch Maßnahmen, die durchaus sinnvoll sind. Wir denken da zum Beispiel an die Natur- und Umweltschutz-Akademie NRW. Ihr Jahresprogramm enthält sinnvolle und wichtige Programme. Vor dem Hintergrund der finanziellen Lage des Landes erwarten wir aber, dass auch hier eine Prüfung stattfindet, ob bestimmte Bereiche nicht vielleicht privat, sich selbst tragend ausgeführt werden können.

Was das Seminarangebot angeht, kann man durchaus auch einige Seminare hinterfragen. Ein Beispiel ist das Seminar „Jetzt ist aber Sense!“, das mit den Geldern der nordrhein-westfälischen Steuerzahler unterstützt und finanziert wird. Was soll das Ganze? Ich zitiere aus dem entsprechenden Angebot:

„Das Kursangebot richtet sich an alle Interessierten, die im Sensen nicht nur die Möglichkeit sehen, auf alternativem Wege zu mähen. Der Kurs vermittelt das notwendige Know-how im Wetzen und Schärfen, um die Sense in Schuss zu halten, …“

Meinen Sie vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzlage nicht auch, dass dieses Programm zusammen mit anderen auf dieser Ebene auf den Prüfstand gehört?

(Beifall von der FDP und Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich möchte noch kurz ein, zwei grundsätzliche Bemerkungen machen, welche Inhalte hinter dem Einzelplan und hinter den Bereichen, um die es da geht, stecken.

Sie wollen – das ist mein Eindruck – immer alles, und Sie wollen das sofort, am besten bis gestern. Sie übersehen dabei aber zahlreiche Probleme bei der Umsetzung.

Sie haben gesagt, wir hätten keine Lösung für die aktuellen Probleme geboten, die sich in der Umweltpolitik stellen. Ich möchte von Ihnen gerne einmal hören, welchen Beitrag die Fotowettbewerbe, die Sie so zahlreich in Ihrem Ministerium veranstalten, und die daraus erstellten Kalender bitte zum Klimaschutz oder zum Umweltschutz leisten. Der Beitrag ist null.

(Beifall von der FDP und von Josef Hovenjürgen [CDU])

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit ist beendet.

Henning Höne (FDP): Ich komme sofort zum Ende.

Präsidentin Carina Gödecke: Gut.

Henning Höne (FDP): Herr Remmel, Ihr Ministerium ist auch für den ländlichen Raum zuständig. Verantwortlich fühlen Sie sich dafür leider nicht. Die zahlreichen Maßnahmen aus Ihrem Bereich belasten gerade den ländlichen Raum. Viel entlarvender ist ein Zitat von Ihnen aus dem Umweltausschuss im September. Da haben Sie gesagt: „Wir haben in Nordrhein-Westfalen … eigentlich keinen ländlichen Raum – bis auf ein paar wenige Regionen.“ Ich kann Ihnen als Münsterländer sagen: Sie liegen da voll daneben. Kommen Sie zurück zu Ihren Kernaufgaben und lösen Sie die wirklichen Herausforderungen, die es gibt, mit Fachwissen, nicht mit Ideologie! Überprüfen Sie ernsthaft auch die vielen kleinen Haushaltsposten, die sich dahinter verstecken. In diesem Fall können wir dem Einzelplan so nicht zustimmen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Ich glaube, wir beide müssen noch einmal über die Bedeutung des Begriffs „sofort“ miteinander diskutieren. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Rüße das Wort.

Norwich Rüße (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer über den Einzelplan 10 redet, der muss auch über die Zukunft der Landwirtschaft und über den Zustand der Natur reden. Was ich eben seitens der CDU von Frau Schulze Föcking und von Herrn Busen gehört habe, war leider relativ wenig dazu. Sich ausschließlich auf Landwirtschaft zu konzentrieren, ohne die Wechselwirkung zwischen Landwirtschaft und Natur auch einmal zu beleuchten, ist deutlich zu wenig.

Dann zu gucken, was in diesem Bereich die Bauern betrifft, ist auch zu wenig, weil man immer sehen muss, wo dieser Einzelplan die gesamte Gesellschaft betrifft. Der ländliche Raum ist mehr als nur Bauern. Er umfasst auch Verbraucher und die anderen Menschen, die dort leben. Herr Busen – er ist nicht mehr da –, gerade im Kreis Borken macht es sehr viel Sinn, sich darüber zu unterhalten, ob man noch mehr Großmastanlagen in diesem Kreis errichten will

(Beifall von den GRÜNEN)

oder ob man dort Wert darauf legt, nachhaltig mit der Landschaft umzugehen.

Wir haben es als Grüne gerade in Münster erlebt. Wir haben dort eine Veranstaltung mit 150 Teilnehmern durchgeführt und haben dort das Thema „Tierhaltung der Zukunft“ intensiv diskutiert. Da kamen Fragestellungen, die die Menschen bewegt haben. Die Fragen lauteten zum Beispiel: Wie muss die Landwirtschaft aussehen, damit sie im Einklang mit Tierschutz, mit der Natur und im Einklang mit den Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern steht?

Ganz am Ende geht es, wenn wir ehrlich sind, um die Grundsatzentscheidung: Wollen wir eine Landwirtschaft – das wollen Sie! –, die sich am Weltmarkt orientiert? Dann baut man einen Stall nach dem anderen.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Oder wollen wir eine Landwirtschaft, Herr Hovenjürgen, die für unseren heimischen Markt als bäuerliche Landwirtschaft produziert? Weltmarkt das eine, heimischer Markt das andere. Wenn ich für den heimischen Markt produziere, dann kann ich zu höheren Preisen verkaufen. Am Weltmarkt geht es darum: Wer kann es denn am günstigsten produzieren? Da konkurriere ich zukünftig mit russischen Fleischfabriken, die Herr Tönnies dort zurzeit ja bauen lässt.

Was passiert, wenn man nur noch ökonomisch denkt, wenn man nur noch die Ökonomie im Blick hat, können wir seit Jahren beobachten: immer weiter wachsende Maisflächen, immer mehr Verlust an wertvollem Grünland,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Biogasanlagen!)

weiter zu hohe Nährstoffeinträge im Grundwasser, Keime, Antibiotika und Tierschutzprobleme in der Tierhaltung – daran können Sie nicht vorbeigehen, Herr Hovenjürgen – sowie ein anhaltender Bauboom bei Stallanlagen, der weit vor 2010 begonnen hat. Deshalb ist es völliger Blödsinn, zu sagen, das sei erst nach 2010 passiert. Spätestens 2008 hatte er schon eingesetzt. Sie haben die Schleusen für diese ganzen Mastställe geöffnet.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, einzelbetrieblich kann man das alles noch irgendwie rechtfertigen, sich geradebiegen. Ökologisch erleben wir gerade eine Katastrophe.

Den Bauernverbänden, die uns immer sagen, wir Bauern wirtschafteten im Einklang mit der Natur, muss man entgegenhalten: Was passiert denn draußen, was passiert in der Landwirtschaft? Was beobachten denn die Biologischen Stationen?

Schauen Sie einmal auf die Entwicklung des Brachvogelbestandes! Der Brachvogel hat sich weitgehend in die Schutzgebiete zurückgezogen, weil er in Gebieten, in denen Landwirtschaft stattfindet, überhaupt nicht mehr leben kann.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Gucken wir, Herr Hovenjürgen, auf den Bestand der Uferschnepfe. Es ist nicht mehr lustig,

(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])

wenn der Bestand der Uferschnepfe außerhalb von Schutzgebieten von 100 Brutpaaren in ganz NRW auf fünf Brutpaare heruntergeht. In dem Zusammenhang sage ich: Das ist Zusammenbruch von Natur, den wir hier erleben.

Ich möchte es einmal anders formulieren – da nehme ich eine Anleihe bei unserem Umweltminister –: Die Intensivlandwirtschaft ist gerade dabei, die Festplatte unserer Natur in NRW zu löschen.

Genau deshalb ist es richtig gewesen, Herr Höne, dass wir die Mittel im Naturschutzbereich für die Biologischen Stationen – deren Arbeit können Sie sich draußen angucken – erhöht haben, …

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit ist zu Ende.

Norwich Rüße (GRÜNE): … damit wir die Restbestände von Natur überhaupt noch retten können.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Rüße, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, ich komme zum Ende. – Wünschenswert wäre allerdings, wenn wir das nicht über unseren Landeshaushalt tun müssten, sondern wenn die Preise die Wahrheit sagen würden. Denn die Billigschnitzel, die wir bei Penny, Aldi, Lidl usw. kaufen können, kommen uns am Ende teuer. All das, was wir an ökologischen Reparaturen machen müssen, müsste eigentlich in die Produkte eingepreist werden.

Wir jedenfalls halten den Haushalt für richtig aufgestellt und werden ihm natürlich zustimmen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Weitere Wortmeldungen liegen mir zu den Teilbereichen Umwelt und Naturschutz, Verbraucherschutz und Landwirtschaft nicht mehr vor. Dann können wir die Debatte hierzu im Moment beenden.

Ich rufe auf:

     Teilbereich
Klimaschutz

Ich erteile Herrn Kollegen Deppe für die CDU-Fraktion zuerst das Wort.

Rainer Deppe (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Thema „Klimaschutzgesetz“: Selten war eine Anhörung so einmütig wie die Anhörung, die wir hier vor zwei Wochen erlebt haben.

(Beifall von der CDU und von Henning Höne [FDP])

Ob es die Experten aus den Kommunen, aus der Wirtschaft, von den Gewerkschaften waren – alle waren sich einig: Das Klimaschutzgesetz ist falsch.

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Sie waren auf einer anderen Veranstaltung!)

Ich sage Ihnen auch, warum. Sie verfolgen mit dem Klimaschutzgesetz einen rein von einer Quellenbilanz ausgehenden Ansatz, der lediglich zu CO2-Verlagerungen, bestenfalls in andere Bundesländer, wahrscheinlich aber wenigstens innerhalb der EU, vielleicht sogar weltweit in andere Staaten führt. Stattdessen müssten Sie einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen. Das tun Sie aber gerade nicht, weil Sie sich in den Kopf gesetzt haben, ein solches Gesetz machen zu müssen.

Dieses Klimaschutzgesetz – da waren sich alle einig – hilft dem Klima nicht, sondern es schadet unseren Kommunen, es schadet der Wirtschaft, es schadet den Arbeitsplätzen, und es schadet der Landwirtschaft.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wenn Sie dagewesen wären, hätten Sie nach der Anhörung vor zwei Wochen nur noch eine Schlussfolgerung ziehen können, die ich Ihnen, Herr Remmel, heute noch einmal empfehlen möchte: Ziehen Sie das Klimaschutzgesetz so schnell wie möglich zurück.

(Beifall von der CDU)

Zweites Thema. Seit zweieinhalb Jahren blockiert diese Regierung das weltweit modernste Steinkohlekraftwerk, nämlich das Kraftwerk in Datteln.

(Parl. Staatssekretär Horst Becker: Und die weltweit modernste CDU!)

Sie müssen, um den drohenden Stillstand der Züge und kalte Wohnungen im Ruhrgebiet gerade noch einmal zu verhindern, jetzt die alten Kraftwerksblöcke durch eine Duldung am Laufen halten.

(Zurufe von den PIRATEN)

Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. Herr Remmel, wenn Sie etwas für Klimaschutz und Energieeffizienz tun wollen, wäre es Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alte Anlagen vom Netz gehen können. Dafür müssen Datteln 4 und Lünen genehmigt werden. Darum müssen Sie sich kümmern und nicht um solche Duldungen.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Thema „Nationalpark“: Der Nationalpark Senne-Teutoburger Wald – das weiß jeder in diesem Haus – ist faktisch beendet. Er war fachlich übrigens von Anfang an zweifelhaft. Eine Kulturlandschaft wie die Senne kann man nicht mit dem Mittel des Prozessschutzes erhalten, sondern wenn man dort Prozessschutz praktizieren würde, würde man diese Landschaft geradezu zerstören.

Sie sollten schnellstens Abstand von diesem Projekt nehmen und ihre Werbebüros im Nationalpark schließen. Es gibt dort sowieso nichts mehr. Die Region hat sich davon verabschiedet, und die dort tätigen Förster sollten Sie dringend in der nötigen Revierbetreuung einsetzen, denn dort werden sie gebraucht.

(Beifall von der CDU)

Wenn Sie schon mir nicht zustimmen, was ich nicht unbedingt erwarte, dringt vielleicht der Ehrenvorsitzende des Bundes Deutscher Forstleute, Ihr Parteifreund Bernhard Dierdorf, zu Ihnen durch. Er hat in dieser Woche die Politik der Regierung als eine „forstpolitische Nullnummer“ bezeichnet. Ich sage Ihnen: Wo er recht hat, hat er recht.

(Beifall von der CDU)

Zum Thema „erneuerbare Energien“: Wie schon beim Windenergieerlass beschreiben Sie mit dem jetzt vorgelegten Windenergieatlas lediglich Potenziale. Die Probleme des Artenschutzes werden darin nicht angesprochen. Es geht nicht um das fehlende Wissen in den Regionen oder in den Gemeinden um die Potenziale, sondern darum, dass Umwelt- und Artenschutzbehörden mittlerweile landesweit Hemmnisse gegen neue Windanlagen aufbauen.

Warum steht denn sonst in den neuesten Untersuchungen von WindGuard Nordrhein-Westfalen für das erste Halbjahr 2012 gerade einmal auf Platz 8 aller Bundesländer? 400 Windräder, Herr Remmel, wollen Sie jedes Jahr bauen. Das haben Sie in der letzten Woche verkündet. Gerade einmal 30 sind es bis Mitte des Jahres für das Jahr 2012 geworden. Daran sehen Sie, welche Aufgabe noch vor Ihnen liegt. Ich befürchte, Sie werden sie mit Ihren Methoden nicht erfüllen.

Sorgen Sie bitte dafür, dass die Anträge, die in den Kommunen zuhauf vorliegen, genehmigt und nicht ständig blockiert werden können. Sorgen Sie dafür, dass Windkraft im Wald endlich möglich gemacht wird. Sorgen Sie dafür, dass Bürger-Windanlagen und Energiegenossenschaften in Nordrhein-Westfalen nicht ausgebremst werden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dann haben Sie uns an Ihrer Seite, aber nicht für Ihre Verhinderungspolitik.

Fazit: Sie beschreiben – das haben Sie vorhin im ersten Redeteil auch wieder getan – entweder Horrorszenarien oder schöne Ziele. Nur: Bei der Lösung der Probleme kommen Sie keinen Schritt weiter. Das ist leider eine traurige Bilanz eines Ministers, der einen fast um ein Viertel höheren Etat als sein Vorgänger zur Verfügung hat.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Meesters.

Norbert Meesters (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Der Schutz unseres Klimas und der natürlichen Lebensgrundlagen gehört unbestritten zu den größten Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte.

„Klimaschutz ist eine gewaltige Aufgabe, aber auch eine große Chance. Durch Anstrengungen im Klimaschutz kann der Industriestandort NRW gestärkt werden: Klimaschutz ist Fortschrittsmotor.“

So heißt es unter der Überschrift „Klimaschutz made in NRW“ in unserer aktuellen rot-grünen Koalitionsvereinbarung. Das macht deutlich: Der Klimaschutzpolitik widmen wir im Interesse der Menschen, der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes und des Erhalts einer lebenswerten Umwelt unsere ganz besondere Aufmerksamkeit.

Gerade wir in NRW, dem Energieland Nummer 1, sind gefordert, Impulse zu setzen. Uns kommt eine besondere Verantwortung zu. Die Menschen in unserem Land erwarten von uns völlig zu Recht, dass wir eine verantwortliche und nachhaltige Politik machen.

Mit dem neu eingebrachten Entwurf des Klimaschutzgesetzes und der aktuellen Erarbeitung des Klimaschutzplanes, der die notwendigen Maßnahmen zur Erreichung der von uns gewünschten und notwendigen Klimaschutzziele enthalten wird, setzen wir den rechtlichen Rahmen für die Umsetzung unserer Ziele.

Für uns als SPD-Fraktion ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Menschen im Mittelpunkt unserer Politik stehen. Denn von ihnen haben wir diesen Auftrag bekommen. Daher ist es unser Ziel, die Menschen auch und gerade beim Klimaschutz mitzunehmen, denn sie sind – das wissen wir alle ganz genau – gerade bei diesem Thema sehr stark sensibilisiert.

Nichthandeln für den Klimaschutz käme uns mittel- und langfristig sehr teuer zu stehen. Deshalb bringen wir das Klimaschutzgesetz auf den Weg. Wir wollen im Sinne der Menschen die Weichen für eine verantwortliche Politik für die Zukunft unserer Kinder und Enkel stellen. Dabei ist für uns klar: Klima- und Umweltschutz funktionieren nur im Einklang und damit Hand in Hand mit der Wirtschaft. Umweltschutz und Wirtschaftsförderung schließen sich eben nicht gegenseitig aus, sie bedingen einander vielmehr, wenn wir die Wirtschaft in NRW zukunftsorientiert aufstellen wollen.

Klimaschutz- und Wirtschaftspolitik gegeneinander auszuspielen, ist ein politischer Reflex der Vergangenheit.

Wir wissen, dass Ökonomie und Ökologie, Arbeit und Umwelt eben keine Gegensätze sind, wenn man es richtig, mit Augenmaß und im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern macht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine zukunftsorientierte und innovative Umweltpolitik im Industrieland NRW schafft neue Perspektiven für die Wirtschaft in der technologischen Bewältigung der Aufgabe Klimaschutz. So wird eine innovative Klimaschutzpolitik zum Fortschrittsmotor und damit auch zum Jobmotor in unserem Land.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist und bleibt für uns die Maßgabe unserer Arbeit: Der Klimaschutz als Motor für Innovation, Wandel und Arbeitsplätze.

Bedenken Sie die vielen mittelständischen Unternehmen, die im Bereich der erneuerbaren Energien aktiv sind. Deren Förderung, Herr Deppe, haben CDU und FDP in der Zeit ihrer Interimsregierung nicht nur sträflich vernachlässigt. Sie haben deren Entwicklung vielmehr fünf Jahre lang aus ideologischen Gründen unterdrückt, anstatt sie zu fördern und den notwendigen Ausbau erneuerbarer Energien in NRW voranzutreiben. Der Platz 8 unter den Bundesländern ist Ihr Verdienst, Herr Deppe.

Wir machen das anders, und wir machen das besser.

(Beifall von der SPD)

Klimaschutzpolitik ist eine klassische Querschnittsaufgabe. Es geht ebenso um die Bereiche des täglichen Lebens der Menschen in unserem Land wie auch um nichts weniger als die Gestaltung unserer Zukunft. Wer dies politisch leugnet, verkennt die immensen langfristigen Nachteile sowohl für den Wirtschaftsstandort NRW als auch für unser wertvolles Naturerbe. Daher müssen und werden wir eine nachhaltige und gerechte Politik für die Menschen in NRW machen. Nur so können wir langfristig unsere lebenswerte Umwelt erhalten, die Wirtschaftskraft des Landes stärken und die sozialen Herausforderungen, die sich daraus ergeben, in der Zukunft bewältigen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Meesters. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Klimawandel ist natürlich – ich glaube, darüber besteht auch Konsens – insgesamt für die Politik, für die Gesellschaft, für die Wirtschaft eine extrem große Herausforderung. Darum ist es auch nur richtig, wie ich finde, dass wir dieses Thema hier noch einmal auch in einem gesonderten Block besprechen.

Zentrales Element der Landesregierung im Bereich Klimaschutz ist – das ist eben schon angeklungen – das Klimaschutzgesetz. Dem möchte ich mich gerne noch einmal widmen.

Dieses Gesetz, lieber Herr Remmel, ist ja vor allem – so ist mein Gefühl – Ihr Versuch, sich selbst und den Grünen in dieser Landesregierung ein Denkmal zu setzen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das hat er gar nicht nötig!)

Das Problem ist dabei nur: Der Aufgabe der Energiewende und dem Klimaschutz wird dieses Gesetz nicht im Geringsten gerecht. Wir dürfen, eben weil diese Herausforderung so groß ist, hier nicht auf Ideologie setzen, sondern man muss vielmehr sachlich versuchen, die Einhaltung der Klimaziele der Europäischen Union zu erreichen. Eben genau das gelingt uns nicht, in keinster Weise, wenn wir so tun, als wäre Nordrhein-Westfalen eine völlig unabhängige Insel und hätte keine Beziehung zu Nachbarländern sowohl innerhalb Europas als auch außerhalb.

Wir sind hier in NRW sicherlich in vielen Bereichen Vorreiter im Klimaschutz. Die NRW-Industrie – auch das ist eben schon angeklungen – ist zum Glück Fortschrittsmotor bei Klimaschutztechnologien.

Aber – das ist noch einmal wichtig – ohne die Industrie, ohne unsere Industrie gäbe es eben keine Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von Windrädern oder bei Dämmstoffen oder zum Beispiel bei Solarzellen, die dann alle im weiteren Verlauf ihres Produktlebens bei der Senkung der CO2-Emissionen helfen.

Darum ist es im Übrigen auch so falsch, dass Ihr zentrales Element, das Klimaschutzgesetz, diese produktbezogenen CO2-Einsparungen überhaupt nicht berücksichtigt und erst recht nicht würdigt, sondern Sie schauen lediglich quellenbezogen darauf: Wo wird denn eigentlich produziert? Sie nehmen das als Maßstab, vergessen aber das, was im weiteren Verlauf bei diesem Produkt passiert.

(Beifall von der FDP)

Genau da hat auch die Anhörung, die gerade auch schon erwähnt wurde, ergeben, dass Sie hier zu kurz springen.

Die Sachverständigenanhörung hat außerdem ergeben, dass es im Moment noch keine gut geeigneten wissenschaftlichen Verfahren gibt, um eben diese gesamte Einsparungswirkung zu erfassen, die ein Produkt in seinem Lebenszyklus hat, und dass diese darum auch nicht im Klimaschutzplan berücksichtigt werden müssen.

Ich frage mich da nur: Anstatt dann trotzdem alles festzuschreiben mit dem Wissen, dass es eigentlich falsch ist, warum setzen Sie dann nicht erst in dem anderen Bereich auf Forschung, um eben doch besser produktbezogen bilanzieren zu können?

(Beifall von der FDP)

Sie springen zu kurz, im Übrigen auch im Windenergieatlas, was das Potenzial da angeht, ohne zu schauen, wie überhaupt vor Ort die Bedingungen sind, ohne zum Beispiel noch einmal genauer auf das Thema „Netzausbau“ einzugehen.

Ich habe das Gefühl, Sie wollen vor allem hier jederzeit Klassenbester sein, sitzen in der ersten Reihe wie früher die ganz beliebten Schüler in der Schulklasse und vergessen aber, dass wir nicht weiterkommen, wenn wir 16 verschiedene Energiewenden hier in Deutschland vornehmen, und dass auch niemandem geholfen ist, wenn einer einzeln für sich immer der Beste sein möchte, anstatt das große Ganze im Blick zu halten.

(Beifall von der FDP)

Stattdessen wird insbesondere mit der quellenbezogenen Betrachtung dieses Gesetz eher zu einer großen Belastung der NRW-Wirtschaft und insbesondere der energieintensiven Unternehmen, die wir doch aber genau wie in den eben genannten Industrien gerade für das Gelingen der Energiewende mittel- und langfristig besonders brauchen.

Und: Sie wollen zukünftig den Klimaschutz über alle gesellschaftlichen Belange stellen. Auch dagegen sind wir. Wir sind gerne mit dabei, Klimaschutz weiter mit nach vorne zu tragen, aber gleichberechtigt mit anderen Interessen. Denn das Ganze einfach allem überzustülpen wird das Klima nicht effektiv schützen. Auch das ist ja in der Anhörung herausgekommen, was das Klimaschutzgesetz angeht. Durch den Emissionshandel in Nordrhein-Westfalen werden wir hier keine Insellösung hinkriegen können, die wirklich unter dem Strich der Umwelt hilft,

(Beifall von der FDP)

sondern nur eine, die hier in NRW Emissionen zurückfährt, die dann aber in anderen europäischen Ländern zu niedrigeren Preisen für diese Zertifikate nachgeholt werden können, zu niedrigeren Umweltstandards.

Das wird vor allem dazu führen, was ganz gefährlich ist: Indem Sie durch eine solche Vorgehensweise ideologisch Wirtschaft und damit Arbeitskräfte gefährden, gefährden Sie auch vor allem die Akzeptanz dieses gesamten Projektes. Genau die dürfen wir unserer Meinung nach nicht verlieren.

Das Klimaschutzgesetz – auch das habe ich hier schon mehrfach angesprochen – ist zudem auch in der aktuellen Fassung noch verfassungsrechtlich hoch bedenklich. Das kommt noch hinzu, wie ja bei manchen anderen Projekten aus Ihrem Hause auch. Ich kann Ihnen auch noch einmal an dieser Stelle sagen: Die Expertenanhörung hat uns in dieser Ansicht eher bestärkt als das Ganze zu entkräften.

Wenn wir es ernst meinen damit, dass Ökonomie und Ökologie zusammengehen sollen, dann müssen wir daran mitarbeiten, dass der Standort in Nordrhein-Westfalen gerade auch für diese energieintensiven Unternehmen attraktiv bleibt, dass Forschung passieren kann, dass auch expandiert werden kann und dass wir die hier produzierte Klimaschutztechnologie zum Exportschlager machen und nicht nur das Know-how nach außen hin geben. Lieber Herr Minister Remmel, mit Ihrem Prestigeobjekt schaffen wir das nicht. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Höne. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Klimawandel ist in Nordrhein-Westfalen angekommen, der Klimaschutz ist es mit dieser Landesregierung auch endlich.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Sogar im Klimaskeptikerland USA ist die Notwendigkeit des Klimaschutzes angekommen – leider erst wieder durch so verheerende Ereignisse wie dem Hurrikan „Sandy“. So hat der Bürgermeister von New York City, Bloomberg, erst vor einigen Tagen sofortiges Handeln gefordert. Der alte und neue Präsident Obama bekannte sich heute in seiner Dankensrede zum Klimaschutz. Wir können nur hoffen, dass die in diese Äußerungen gesetzten Hoffnungen nicht enttäuscht werden.

Unabhängig von den Anstrengungen in anderen Ländern stehen wir hier in Nordrhein-Westfalen vor enormen Herausforderungen beim Kampf gegen den Klimawandel und bei der damit verbundenen Energiewende in unserem Industrieland Nordrhein-Westfalen.

Die ersten richtigen und wichtigen Schritte ist diese Landesregierung mit dem Klimaschutzgesetz bereits gegangen, das hier schon von vielen angesprochen wurde. Wir gehen hier voran, wir als Land Nordrhein-Westfalen haben eine Vorreiterrolle angenommen. In der Anhörung, die vor Kurzem in diesem Raum stattgefunden hat, haben wir viele positive Rückmeldungen bekommen.

Lieber Herr Höne, Sie sagen, dass Sie eigentlich eine produktbezogene Bilanzierung haben wollen. Die gibt es aber noch nicht; die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind noch nicht da. Ihre Konsequenz daraus ist, nichts zu tun. Das ist eine komplett unverständliche Art und Weise, damit umzugehen. Sie verneinen damit die Aussagen der Klimawissenschaftler der Welt, dass es einen Klimawandel gibt und dass wir jetzt, und zwar unverzüglich, handeln müssen unverzüglich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihr Gerede von Ideologie, Herr Höne, hört sich dagegen eher so an wie die heutige Aussage von Donald Trump, dem Multimillionär, auf Twitter. Der hat nämlich die Vorstellung, dass das „Konzept der globalen Erwärmung“ von den Chinesen erfunden wurde, um amerikanische Produkte unwirtschaftlich zu machen. Ich finde, das, was Sie hier sagen und was Herr Deppe immer beschwört, nämlich dass das Klimaschutzgesetz für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen negative Auswirkungen hat, hört sich nicht viel anders an als das, was Herr Donald Trump von sich gegeben hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Landesregierung geht wirklich ganz neue Schritte: mit dem Klimaschutzplan, mit dem Dialog mit Verbänden, der Wirtschaft und energieintensiven Unternehmen. Sie machen das alles gemeinsam. Ich finde, das ist genau der richtig Weg. Genau so muss man es machen. Es ist das erste Mal, dass das gemacht wird. Da kann, finde ich, an der einen oder anderen Stelle auch noch etwas ausprobiert werden. Ich sehe bisher aber nur positive Effekte und bin davon überzeugt, dass das auch gut gelingen wird.

Eine Konsequenz des Kampfes gegen den Klimawandel ist aber eben auch die Energiewende. Auch hierzu wurde schon das große Thema der Windenergie in Nordrhein-Westfalen angesprochen. Wir haben bereits einiges erreicht: mit dem neuen Windenergieerlass, dem Leitfaden „Wind im Wald“ und der Potenzialanalyse. Damit haben wir gezeigt, dass die Ziele, die die Landesregierung hat, erreichbar sind und dass es sogar noch Potenzial darüber hinaus gibt.

Landauf, landab machen sich die Kommunen nun auf, ihr Potenzial auszunutzen. Bevor nun Herr Hovenjürgen oder andere wieder eine Nachfrage stellen, sage ich: Bis man etwas sieht, dauert das Ganze eben. Wir alle miteinander brauchen etwas Geduld, bis nach der ersten Planung ein Windrad dann wirklich steht.

Die Reduktion der Treibhausgase schaffen wir nicht allein, indem wir die Energiewende beim Strom stemmen. Wir brauchen dafür auch eine Wende bei der Wärme. Dafür hat das dicht besiedelte Land Nordrhein-Westfalen ein enormes Potenzial, das wir mit Kraft-Wärme-Koppelung ausnutzen wollen. Diese Landesregierung nimmt sich nicht nur Ziele vor, wie es Schwarz-Gelb zuvor getan hat, sondern stellt auch finanzielle Mittel in beachtlichem Umfang zur Verfügung.

Das waren einige Beispiele. Wir fordern Sie, liebe CDU und liebe FDP, auf, Probleme nicht herbeizureden, wie Sie das gerne tun, sondern die Herausforderungen, vor denen wir stehen, anzunehmen, und zwar jetzt, denn das Zeitfenster, in dem wir dem Klimawandel entgegentreten können, wird immer kleiner. Wir müssen jetzt endlich handeln. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Brems. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Klimawandel ist unbestreitbar. Er ist bei uns bereits angekommen.

Ich möchte hier jetzt einen Antrag vorstellen, den wir zum Thema der Anpassungsstrategien eingebracht haben. Erstaunlich finde ich es, dass hier bisher wenig zum Haushalt gesprochen wurde. Besonders der Eingangsbeitrag der CDU zeigt, dass eine Partei, die zur Landtagswahl kein Wahlprogramm hatte und die im Umweltausschuss wie auch hier im Plenum eher als Spaßpartei auftritt, keine ernstzunehmenden Beiträge zu diesem wichtigen Thema zu liefern hat.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir sehen die Auswirkungen schon heute.

Wer mit offenen Augen hier in Nordrhein-Westfalen oder anderswo in Deutschland durch die Natur läuft, der sieht überall weiße Reiher in der Landschaft – ein Bild, das ich, als ich Kind und Jugendlicher war und anfing, mich mit Vogelschutz zu befassen, noch gar nicht kannte. Da gab es keine wild lebenden weißen Reiher in Deutschland. Der Silberreiher brütet mittlerweile in Mecklenburg-Vorpommern. Der Bienenfresser, eine andere mediterrane Art, brütet mittlerweile in der Nähe von Bremen. Der fliegt schon in Dänemark ein und wird wahrscheinlich in den nächsten Jahren auch dort brüten. Der Schlagschwirl hat im südlichen Dortmund gesungen. Das ist eine Vogelart, die man vielleicht am Balatonsee in Ungarn erwartet, aber nicht im südlichen Dortmund. Genauso verhält es sich mit dem Orpheus­spötter, ebenfalls eine mediterrane Art, die mittlerweile am Flughafen Dortmund brütet.

Was gut ist für die einen Arten, ist schlecht für die anderen. Es gibt jede Menge Arten, die nicht so mobil sind wie Vögel und nicht ausweichen können.

Es gibt eine weitere globale Auswirkung durch einen vermehrten Ausstoß von Methan durch tauende Methanhydrate auf dem Meeresgrund und durch Lachgasproduktion. Lachgas ist ein hochwirksames Klimagas in der Arktis. Es nimmt stark zu, weil dort der Permafrostboden antaut und organisches Material von Mikroben abgebaut wird, wobei Lachgas produziert wird.

Das heißt, dass dieses famose 2-Grad-Ziel, das immer wie eine Monstranz vor uns hergetragen wird, als sei es ein erstrebenswertes Ziel, eine Art Klimaoptimum, einerseits wahrscheinlich zu niedrig angesetzt ist, weil wir es nicht werden halten können, andererseits aber zu hoch ist, weil die schon auftretenden Auswirkungen zeigen, dass es einen zunehmend selbstverstärkenden Effekt des bereits eingetretenen Klimawandels gibt. Umso wichtiger ist es, schon jetzt mit Klimaanpassungsstrategien anzufangen.

Es wird Extremniederschläge geben. Es wird Hitzewellen geben. Die wärmere Troposphäre kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen und hat mehr potenzielle Energie, was sich in extremen Wetterlagen auswirken wird.

Im Kapitel 10 060 Titelgruppe 62 des Haushaltsentwurfs wird von einer weiteren Erwärmung um 1,9 Grad bis Mitte des Jahrhunderts ausgegangen. Das ist zusätzlich zu der bereits stattgefundenen Erwärmung. Es geht also nicht um das 2-Grad-Ziel, sondern hintenherum wird das 3-Grad-Ziel eingeführt.

Das ist auch einigermaßen realistisch, muss man sagen, wenn man sieht, wie die Landesregierung hier tatsächlich vorgeht. Man lässt sich von der Bundesbahn und den Betreibern von Datteln 1 bis 3 erpressen durch unglaubliche Drohungen, was passieren würde, wenn man diese „alten Möhren“ mit einem Wirkungsgrad etwas besser als ein Lagerfeuer nicht doch wieder anwerfe.

(Beifall von den PIRATEN)

Unglaubliche, unfassbare Dinge würden passieren: Züge würden Verspätung haben, einige würden sogar ausfallen. – Das hat es ja noch nie gegeben! Das ist ja Wahnsinn!

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN)

Dann ist es doch ganz klar, dass diese „alten Möhren“ wieder angefahren werden müssen.

Und die Grünen-Vertreter im Regionalrat Münsterland stimmen für die Änderung des Regionalplanes, um den Schwarzbau Datteln 4 nachträglich zu legalisieren. Da kann man nur hoffen, dass sich das für die beiden Helden da auch finanziell gelohnt hat.

(Heiterkeit von den PIRATEN – Zuruf: Oi, oi, oi!)

– Da kann man wirklich sauer werden!

In Hambach wird der Forst weiter abgeholzt; da wird weiter Braunkohletagebau betrieben.

Und das ist dann hier die Klimaschutzpolitik.

Der Regierungsvorschlag, 500.000 € für innovative Projekte und die Entwicklung von Handlungsstrategien bereitzustellen, ist völlig unzureichend.

Wir fordern die Energiewende, die regional und lokal stattfinden muss. Genauso müssen auch die Klimaanpassungsstrategien regional und lokal stattfinden. Wir fordern in unserem Antrag zu Kapitel 633 62 – sonstige Zuweisungen an die Gemeinden und Gemeindeverbände – eine Erhöhung von 20 Millionen €, damit die mit der Arbeit anfangen und Anpassungsstrategien entwickeln können.

Es entstehen neue Pflichten für die Kommunen mit daraus resultierenden finanziellen Belastungen. Und diese notwendigen Anpassungen müssen eben entsprechend den örtlichen Gegebenheiten, so unterschiedlich wie sie sind, lokal und regional geplant und durchgeführt werden.

Die Kommunen haben in der Anhörung zum Klimaschutzgesetz und auch in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass unter die Pflicht zur Erstellung eines Klimaschutzkonzeptes und zur Umsetzung der daraus resultierenden Maßnahmen – und diese Pflicht beinhaltet das Klimaschutzgesetz – Anpassungen dahin gehend fallen, dass das Land für ausreichende und verlässliche Finanzierungsgrundlagen sorgen muss. Das besagt schon das Konnexitätsprinzip.

In dem Beitrag der Kommunen wurde gesagt, dass eine Anfangsförderung für mittelgroße Städte 60.000 bis 80.000 € ausmachen könne. Dabei wird davon ausgegangen, dass für etwa 283 kreisangehörige Städte und Gemeinden …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, darf ich Sie freundlicherweise daran erinnern, dass Ihre Redezeit beendet ist.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Ja, ich komme gleich zum Ende. – Also, unser Antrag ist zu verstehen als eine Anfangsfinanzierung. Weitere Landesmittel für die Kommunen müssen selbstverständlich folgen. Als Gegenfinanzierung schlagen wir die Streichung der 7 Millionen € für 2012 für den Rückbau des sozialdemokratischen Thorium-Staatsreaktors in Hamm-Uentrop und die Verpflichtungsermächtigung für die folgenden Jahre vor. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn Sie es wiederholen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Herr Deppe und Herr Hovenjürgen: Es wird dadurch nicht besser. Man muss es immer wieder als das brandmarken, was es ist: Es ist schon ein wirklich dummdreistes politisches Schauspiel, das Sie hier in Sachen Windenergie und erneuerbare Energien in Nordrhein-Westfalen aufführen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Also erst die Reifen plattstechen, dann sich danebenstellen, wenn andere die Reifen reparieren bzw. neue Reifen besorgen, und sagen: Nun fahrt aber mal schneller! – Das ist wirklich ein Bubenstück sondergleichen. Statt an dieser Stelle zu fragen, wo Sie helfen und unterstützen können, weil Sie damals Fehler gemacht haben, stellen Sie sich daneben und kritisieren und wollen von Ihrer Vergangenheit nichts mehr wissen. So kommen Sie aus dieser Nummer nicht heraus!

(Zurufe von der CDU)

Ich würde mir wünschen, dass Sie zum Beispiel …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Würden Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Schemmer zulassen?

Minister Johannes Remmel: Sehr gerne.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Schemmer, bitte schön.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, nachdem Sie uns so schön erzählt haben, was Sie alles richtig machen, erklären Sie uns bitte mal, warum die alternative Energie in Deutschland rund 25 % der Stromerzeugung im Jahre 2012 ausmacht, während es in Nordrhein-Westfalen nur 8 % sind, wobei dieser Wert auch nur deshalb erreicht wird, weil CDU-geführte Kreise – ich kann sie Ihnen mal aufzählen – von Borken bis Soest tatsächlich 40 % erreichen. Das liegt doch offensichtlich daran, dass da, wo Rot-Grün im Lande regiert, nichts fertig wird.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte schön.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Schemmer, ich nehme Sie mal mit, wir gucken uns mal die ganzen Statistiken an. Wir in Nordrhein-Westfalen waren im Jahre 2005 auf Platz 3 im Windausbau in der Republik. Wir sind 2010 und 2011 auf Platz 5 zurückgefallen. Und das war Ihre Politik in der Zeit von 2005 bis 2010, die darauf gesetzt hat, die Windenergie in Nordrhein-Westfalen kaputtzumachen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist Ihre Bilanz! Wir haben jetzt damit zu tun, die Bremsspuren zu beseitigen und die Bremsklötze wegzunehmen. Da würde ich mir tatsächlich wünschen, dass Sie an der einen oder anderen Stelle helfen würden.

Wir haben es im Bundesrat endlich geschafft, eine Mehrheit dafür zu finden, § 249 im Baugesetzbuch zu ändern, damit die Kommunen schneller planen können. Aber das muss im Bundestag umgesetzt werden und braucht dort eine Mehrheit. Ich würde mir wünschen, wenn Sie bei Herrn Altmaier, der davon redet, die Windenergie zu deckeln, aufschlagen und ihm klarmachen würden, dass wir in Nordrhein-Westfalen tatsächlich noch einen Ausbau brauchen. Wir sind in der Tat ein Stück zurück und müssen aufholen. Da würde ich mir Ihre Unterstützung wünschen.

Aber noch schlimmer – das muss ich an dieser Stelle auch sagen – ist die Positionierung des Kollegen Höne von der FDP. Es ist ja wohlfeil, was Sie sagen. Insofern ändert sich zumindest das äußere Auftreten gegenüber Ihren Kolleginnen und Kollegen in der letzten und vorletzten Legislatur, die den Klimawandel schlichtweg geleugnet haben. Sie sagen ja zumindest: Es ist ein Problem, aber ohne danach zu sagen, wie wir es lösen, wie wir es angehen können. Sie machen in Ihrer ganzen Rede keinen einzigen Vorschlag dazu.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist die gleiche Politik, die Herr Rösler auf der Bundesebene macht: Ja, Energiewende wollen wir! Aber bei der Umsetzung ist ein Jahr lang überhaupt nichts passiert. Wir warten auf einen Masterplan, wir warten auf Rahmenbedingungen. So kann Energiewende nicht funktionieren. Das ist die Fortsetzung der Ignoranz der Notwendigkeit, eine umfassende Energiewende anzugehen.

Ja, wir in Nordrhein-Westfalen machen es tatsächlich anders, Herr Lindner. Wir machen Energiewende nicht mit den vier großen Energieversorgern im Hinterzimmer, sondern wir gehen mit dem Klimaschutzgesetz, mit dem Klimaschutzplan in die Gesellschaft. Wir wollen das, was die Ethikkommission formuliert hat. Das war doch nicht unsere, das war Ihre Ethikkommission, die gesagt hat: Energiewende, Klimaschutz kann nur gelingen, wenn es ein Gemeinschaftswerk wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir machen dieses Gemeinschaftswerk mit allen Beteiligten der Industrie, der Wirtschaft, der Kirchen, der Gewerkschaften. Das ist der große Unterschied. Wir fragen die Menschen: Wie können wir es gemeinsam schaffen? Wir fragen alle Beteiligten: Wo können wir einen gemeinsamen Beitrag nach vorne bringen?

Und – das ist wichtig an dieser Stelle – wir verankern das, was als gesellschaftliche und politische Leitentscheidung tatsächlich notwendig ist, um eine solche Leitentscheidung überhaupt für einen Zeitraum von 30, 40 Jahren treffen zu können und sie nicht von Legislaturperioden abhängig zu machen. Das ist das, was wir mit dem Klimaschutzgesetz und mit dem Klimaschutzplan tatsächlich wollen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, es gibt eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Höne.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr gerne.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Minister Remmel. Sie haben gerade gesagt, dass Sie das Thema „Energiewende, Klimapolitik“ nicht im Hinterzimmer machen. Da würde mich vor dem Hintergrund der Aufstellung des Klimaschutzplans interessieren – was sich in den Gesetzentwürfen bislang nicht wiederfindet –, nach welchen objektiven Kriterien Sie die Teilnehmer der entsprechenden Arbeitsgruppen ausgewählt haben.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte schön.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Die Arbeitsgruppen sind offen. Daran können alle teilnehmen. Es sind auch alle eingeladen. Bei Anfragen von außen haben wir uns bemüht, diese aufzunehmen. Da gibt es nichts zu verheimlichen. Wir machen offene Veranstaltungen. Es ist im Netz transparent. Einen solch transparenten Prozess gibt es in keinem anderen Bundesland. Und die Bundesregierung kriegt das schon gar nicht zustande.

An einem Punkt allerdings möchte ich Klarheit herstellen: Mit einem Klimaschutzgesetz und einem Klimaschutzplan in Nordrhein-Westfalen werden wir das Weltklima selbstverständlich nicht retten. Es geht auch nicht nur um den Beitrag, den wir dazu leisten. Aber wenn wir die Ziele für Europa ernst nehmen – und die sind nicht von Nordrhein-Westfalen gemacht –, 80 % bis 90 % bis 2050, auch die nationalen Ziele – die sind von Ihnen im Energiekonzept der Bundesregierung niedergeschrieben worden –, mindestens 80 %, dann wird ein Schuh daraus. Denn wenn wir es hier in Nordrhein-Westfalen nicht schaffen, in einem Industrieland mit 30 % CO2-Anteil, mit über 33 % Anteil an der nationalen Stromproduktion, dann wird es nirgendwo gelingen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb ist es eine besondere Herausforderung, eine gemeinsame ökonomische und ökologische Anstrengung, das hier gesellschaftlich auf den Weg zu bringen.

Ich bin davon überzeugt, dass es eine Standortfrage auch für die Zukunft wird. Klimaschutz ist angewandte Wirtschaftspolitik. Deshalb ist es wichtig für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen, hierbei auch die industriepolitische Perspektive zu sehen. In der Tat: Wir brauchen Aluminium, wir brauchen Stahl, wir brauchen Dämmstoffe. Da liegt auch der Beitrag der nordrhein-westfälischen Industrie und Wirtschaft für eine gemeinsame Klimaschutzstrategie in Europa und in der Bundesrepublik.

Im Übrigen lassen Sie uns nicht bei Diskussionen über Quellenbilanzen oder Produktbilanzen stehen bleiben. Es ist so, dass nach diesem Motto in Europa bilanziert wird, national bilanziert wird. Warum sollen wir in Nordrhein-Westfalen anders bilanzieren? Dass wir die Produktfragen miteinbeziehen, ist selbstverständlich. Hier liegen in der Tat auch große Chancen für unser Bundesland, mit guten Produkten, mit guten Maschinen einen eigenen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Ich wünsche mir, dass Sie bei diesem Gemeinschaftswerk mitmachen und Ihre Bremserfunktion aufgeben würden. Wir brauchen einen Anschub von Ihrer Seite, damit wir auch von der Bundesregierung Unterstützung bekommen und tatsächlich einen gemeinschaftlichen Plan auf den Weg bringen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich möchte darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um eine Minute verlängert hat. Gibt es zu diesem Einzelplan noch Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind wir am Schluss der Beratung.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 10. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/1210, den Einzelplan unverändert anzunehmen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/1210 mit Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU, FDP und Piraten angenommen und der Einzelplan 10 verabschiedet.

Ich rufe nun auf:

     Einzelplan 04
Justizministerium

Ich weise hin auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 16/1204.

Ich eröffne die Beratung und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Kamieth das Wort.

Jens Kamieth (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich etwas wiederholen, auch wenn wir das heute schon einige Male gehört haben: Der Haushaltsentwurf 2012 wurde zu spät vorgelegt. Das Haushaltsjahr ist fast abgelaufen. Die Beratungen über den Einzelplan des Justizministers haben daher nur noch historischen Charakter. Selbst wenn es heute eine Mehrheit für Änderungen geben würde, könnten diese keine politischen Wirkungen mehr entfalten, da das Jahr bereits zu fünf Sechstel abgelaufen ist. Das ist ärgerlich, das ist eine Missachtung des Parlaments. So viel zur Politik der Einladung!

Die Landesregierung zeigt ihr mangelndes Demokratieverständnis. Sie wollen weiter Schulden machen, ohne ein nachhaltiges Konzept vorzulegen. Das gilt leider auch für den Haushalt des Justizministeriums.

Das betrifft zum Beispiel die Personalausgaben im Justizhaushalt. Zwar gibt es im Justizhaushalt traditionell keine großen Spielräume. Mehr als 2,2 Milliarden € sind für Personalausgaben gebunden. Das sind etwa 61 % der Gesamtausgaben. Auch die Sachausgaben bilden einen großen Ausgabenblock. Beides ist nicht disponibel.

Trotzdem gibt es zu wenig Personal im Justizbereich. Richter und Staatsanwälte klagen über ihre Arbeitsbelastung. Die Strafvollzugsbediensteten müssen Monat für Monat Mehrstunden leisten. Es hat sich ein Berg von 500.000 Überstunden angehäuft. Hier fehlt Personal. Wir erwarten hierzu kreative Lösungen und ein schlüssiges Konzept von der Landesregierung, wie diese Missstände abgebaut werden können.

Und was tun Sie? Sie reden zum Beispiel von einem Landesamt für Justiz. Sie planen offensichtlich, Kräfte abzuziehen und in einem Landesamt für Justiz zu bündeln. Zumindest hat die Landesregierung dies angekündigt. Das Landesamt soll ausgewählte operative Verwaltungsaufgaben anderer Justizbehörden übernehmen. Bislang liegt kein Konzept vor. Es ist unklar, welche Aufgaben eine solche Mittelbehörde übernehmen soll. Bisher hat der Justizminister lediglich stichwortartig eine solche Behörde gefordert, ohne näher auf ihre Aufgaben einzugehen. Das halte ich für verwunderlich und für schädlich angesichts des nicht gedeckten Personalbedarfs in der Justiz.

(Beifall von der CDU)

Auch aus der Praxis gibt es zu einer solchen Behörde kritische Stimmen. Der Deutsche Richterbund bezweifelt zu Recht, dass die Verwaltungstätigkeit dadurch reduziert würde. Es steht zu befürchten, dass sie lediglich neu verteilt wird, indem eine neue Behörde geschaffen wird. Woher wollen Sie das Personal nehmen? Welche Gerichte und Staatsanwaltschaften sollen für Verwaltungstätigkeit Stellen abgeben? Ich denke, dass gut ausgebildete Fachleute vor Ort in den Gerichten und Staatsanwaltschaften gebraucht werden. Von der Landesregierung fordere ich ein Konzept für diese Behörde, wenn Sie denn gewünscht ist, damit wir nicht weiter im Nebel herumstochern.

Was ist mit den dringend benötigten JVA-Neubauten? In Nordrhein-Westfalen sind viele Justizvollzugsanstalten veraltet und in einem schlechten Zustand. Das ist seit Jahren, wenn nicht gar seit Jahrzehnten bekannt. SPD und Grüne haben es in früheren Regierungszeiten versäumt, die notwendigen Neubauten rechtzeitig zu planen, Standorte zu suchen und die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Die CDU-geführte Landesregierung hat die Bedeutung dieser Aufgabe dagegen sofort erkannt. Die damalige Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter hat frühzeitig reagiert und die entsprechenden Planungen eingeleitet, sodass Neubauten in Düsseldorf, Wuppertal, Attendorn und Heinsberg entstanden sind. Auf einen ersten Spatenstich von Herrn Minister Kutschaty warten wir bis heute vergeblich.

Frau Müller-Piepenkötter hat darüber hinaus Gespräche mit weiteren Standorten geführt, beispielsweise mit Münster. Leider hat der Justizminister diese Gespräche nicht in dem erforderlichen Maße fortgeführt. Doch im August dieses Jahres haben sie endlich Vernunft bewiesen und die Zusage für Münster gegeben. Aber auch hier geht es nur mit halber Kraft voran. Bislang haben Sie weder einen Zeitplan vorgelegt noch einen Standort vorgestellt.

Auch viele andere Justizvollzugsanstalten in unserem Land warten auf Renovierungen und Neubauten. Herr Minister Kutschaty, handeln Sie, beenden Sie die schlechte Situation. Wir brauchen neue, gute Justizvollzugsanstalten.

Die Folgen Ihrer Politik sind die Ausbrüche.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Es gibt zahlreiche Vorkommnisse in den Justizvollzugsanstalten unseres Landes: Ausbrüche, Folter, Angriffe auf Angestellte. Für diese Skandale sind Sie verantwortlich, Herr Minister.

Niemand behauptet, dass zu unserer Regierungszeit im Justizbereich alles optimal gelaufen wäre.

(Zurufe von der SPD)

Aber, Sie, Herr Minister, sind angetreten, es besser zu machen. Den Beweis, dieses Ziel zu erreichen, sind Sie zweieinhalb Jahre schuldig geblieben.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist beendet.

Jens Kamieth (CDU): Legen Sie ein Konzept vor. Sehen Sie zu, wie wir die Aufgaben der Zukunft meistern können. Das Gutachten von PricewaterhouseCoopers liegt nach fünf Monaten mittlerweile auch den Abgeordneten vor. Darin sind demografische Aufgaben aufgezeigt, die von Ihnen dringend angegangen werden müssen.

Wir können dem Haushalt in dieser Form nicht zustimmen – mangels Konzept und mangels Handlungsempfehlungen für die Politik. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kamieth. – Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Wolf.

Sven Wolf (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Kollege Kamieth, das erinnerte mich gerade an „Täglich grüßt das Murmeltier“. Sie haben genau das Gleiche erzählt, was Ihre Kolleginnen und Kollegen hier schon zu anderen Einzelplänen vorgetragen haben.

Es wird Sie nicht verwundern, dass die SPD-Fraktion den vorgelegten Haushaltsentwurf ausdrücklich begrüßt. Wir sehen hierin eine grundsätzliche Fortschreibung der klaren Handschrift des rot-grünen Koalitionsvertrages.

Ich hatte in der seinerzeitigen Debatte bereits Stichworte genannt. Ich will sie gerne noch einmal anführen: leistungsstarke, moderne Justiz, sicherer, humaner Strafvollzug und besser früher helfen als später strafen oder, wie der Minister es sehr treffend formuliert hat, vorsorgen – nachhaltig und gerecht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kollege Kamieth, Sie haben die Rahmenbedingungen genannt. Es ist richtig: Mehr als 60 % der Kosten im Einzelplan 04 sind Personalausgaben. Darüber kann man nicht viel diskutieren. Ihre Ausführung, Sie wollten mehr Personal, aber weniger Schulden, lässt mich fragen, wie Sie das in Einklang bringen wollen. Das können Sie vielleicht den Haushältern erklären. Ich habe nicht verstanden, wie das gehen soll.

Ich will auf einige Schwerpunkte des Haushaltes kurz eingehen.

Ende Januar gab es zahlreiche Medienberichte über ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs. Darin hat der Europäische Gerichtshof noch einmal ausdrücklich bekräftigt, dass eine ständig befristete Verlängerung von Arbeitsverträgen nur aus sachlichen Gründen erlaubt sei, alles andere verstoße gegen europäisches Recht.

Es ging um folgenden Fall: Ein Arbeitgeber hatte 13 Mal hintereinander befristete Jahresverträge vorgelegt. Das hat in der Öffentlichkeit zu viel Kopfschütteln geführt. Ich glaube, wir sind uns einig: Das ist kein guter Umgang, um motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben! Ich war sehr erschüttert, dass sich dieser Fall in Nordrhein-Westfalen und dann auch noch im Justizbereich abgespielt hat.

Die richtige Antwort darauf ist, das endlich zu beenden. Das findet sich im vorgelegten Entwurf wieder. Die Aufgabe, solche Kettenverträge auszuschließen, liegt nun zum Greifen nahe. Mit dem Beschluss über den Haushalt 2012 kann es uns gelingen, dass die seit 2002 zumindest bis zum Jahr 2009 ständig befristeten Verträge endlich in dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden. Das führt zu mehr Motivation auf den Geschäftsstellen, zu mehr Zusammengehörigkeit in den Gerichten und ist ein wichtiges Signal an die Beschäftigten in der Justiz.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege Kamieth, die Amtsanwältinnen und Amtsanwälte haben sich zu Recht immer wieder über das hohe Arbeitspensum beklagt. Diesen Aspekt haben Sie auch unterschlagen. Nicht nur in diesem, sondern schon im letzten Haushaltsplanentwurf sind die ersten Weichen dafür gestellt, dass es bei den Staatsanwaltschaften zu Entlastungen kommt. Es gibt 30 zusätzliche Amtsanwältinnen und Amtsanwälte.

Auch die angespannte Stellensituation an den Sozialgerichten wird aufgegriffen und zur Kenntnis genommen.

Es gibt aber noch einen Bereich, der ständig steigende Ausgaben verursacht, nämlich die Prozesskosten- und Beratungshilfe. Das sehen wir ebenfalls mit großer Sorge. Denn dort macht die Justiz einen sehr großen Spagat: Auf der einen Seite müssen wir missbräuchliche Inanspruchnahme verhindern, auf der anderen Seite müssen wir aber auch für mittellose Parteien den Zugang zum Recht ermöglichen. Wir haben zu dem Zweck verschiedene Modelle angesprochen. Ich erinnere bei der Gelegenheit an die gute Arbeit der Schiedsmänner und Schiedsfrauen in unserem Land oder auch das Projekt der Mediation, das an der Stelle mit Sicherheit Hilfe leisten kann.

Es gibt einen dritten Bereich, in dem die Auslagen leider massiv steigen. Dabei geht es um die Haushaltsstellen für die Aufwandsentschädigungen und Vergütungen von Vormündern, Pflegern und Betreuern. Zwar ist das keine originäre Aufgabe der Landesregierung; aber wir haben trotzdem erste Signale gesetzt, indem wir das Thema öffentlich ansprechen und darauf aufmerksam machen, dass Vorsorgevollmachten und ehrenamtliche Betreuung eine Hilfe und Entlastung seien können. Diesen Weg sollten wir weitergehen.

Lassen Sie mich noch einen kurzen Satz zum Vollzug sagen: Sie haben wahrscheinlich auch ignoriert, dass der Vollzug im Rahmen der Aufgabe, die uns alle betrifft, nämlich der Neuorganisation der Sicherungsverwahrung, mit zusätzlich 88 Stellen ausgestattet wird. Eine frühere Betreuung dieser Sicherungsverwahrten bereits in den Haftanstalten ist wichtig und meines Erachtens der richtige Weg, um dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts entgegenzukommen.

Gerade in dieser Frage, Herr Kollege Kamieth, haben wir in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses sehr intensiv darüber diskutiert, wie es in Werl weitergeht. Der Minister hat es geschafft, dass die Baumaßnahmen dort fortgesetzt werden. Zu behaupten, es werde nicht gebaut und nicht geplant, stimmt nicht. Sie haben in den fünf Jahren Ihrer Regierungsverantwortung nur gebaut, aber dabei nicht an das Personal gedacht. Das ist ebenfalls keine Lösung, schafft nicht mehr Sicherheit, auch nicht mehr Resozialisierungsangebote für die Gefangenen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.

Sven Wolf (SPD): Wir werden dem Einzelplan 04 zustimmen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wolf. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die rot-grüne Landesregierung blickt mit ihren Haushalten für die Jahre 2010, 2011 und 2012 auf eine nüchterne Bilanz: Zwei Haushalte verstießen gegen die Verfassung, ein Haushaltsentwurf scheiterte im Parlament. Den neuen Haushaltsentwurf 2012 beraten wir heute, obwohl das Jahr fast vorbei ist und der größte Teil der Mittel längst verausgabt ist.

Nachhaltige strukturelle Einsparungen suche ich im Haushaltsentwurf vergebens! Wir haben ein Effizienzteam, das bislang keine effizienten Ergebnisse vorlegen konnte. Die Ankündigungen des Finanzministers für den Haushaltsentwurf 2013 lassen nichts Gutes erwarten. Wir haben eine Landesregierung, die nicht sparen will, sondern immer neue Ausgaben besser zu begründen versucht.

Herr Minister, im Bereich der Justiz ernüchtert Ihre durchsichtige Strategie, wortgewaltig Dauersalven in Richtung Bund abzufeuern, in Nordrhein-Westfalen aber selbst für drängende Probleme und bei wichtigen Themen keine Lösungen zu präsentieren, sondern es mit Wohlfühlrhetorik bei schwammigen und unpräzisen Absichtsbekundungen zu belassen.

Beim Beschneidungsgesetz hat sich der NRW-Justizminister weggeduckt und mit dem Finger nach Berlin gezeigt.

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Wie würden Sie das hier regeln?)

Auch bei dem äußerst sensiblen Thema der Sicherungsverwahrung wird mit platten Stammtischparolen versucht, die Ängste der Menschen parteipolitisch zu nutzen. Das werden Sie von der FDP in NRW – etwa zu den neuen Anstalten im Maßregelvollzug – nicht erleben.

Das fügt sich in eine ganze Linie ein:

–   Verteufelung des Steuerabkommens mit der Schweiz, stattdessen fragwürdiger Ankauf gestohlener Steuer-CDs

–   Ankündigung eines Unternehmensstrafrechts, aber keine Antworten, wie das rechtlich verankert werden soll

–   pauschale Ankündigung der Verschärfung der Abgeordnetenbestechung mit einem § 108e StGB, während landtagsintern die Geschäftsordnungskommission sachlich über notwendige Änderungen im Abgeordnetenrecht berät

–   plakative Forderung von strafbewehrten Stadionverboten im Fußball, anstatt in Nordrhein-Westfalen selbst Rahmenbedingungen zur Beschleunigung der Aburteilung der Täter zu schaffen.

Meine Damen und Herren, warum macht der Justizminister des Landes Kriminalprävention und Opferschutz nicht deutlich zur Chefsache – als wichtigen Baustein, um den Rechtsfrieden in unserer Gesellschaft zu sichern und Gerechtigkeit durchzusetzen? Hier werden nahezu ausschließlich erfolgreiche Projekte der schwarz-gelben Vorgängerregierung fortgesetzt – und das auch noch schleppend. Ich nenne nur die Errichtung weiterer „Häuser des Jugendrechts“, die der Minister seit zweieinhalb Jahren ankündigt, oder den Ausbau des „Staatsanwalts für den Ort“. Die Ausführungen des Ministers zur Bekämpfung der Internetkriminalität – „Die Landesregierung prüft intensiv geeignete Maßnahmen…“ – sind ein Offenbarungseid.

Sie kündigen Konzepte zur besseren Personalentwicklung und gezielten Förderung der Mitarbeiter an. Dabei sind die vom Parlament bewilligten Fortbildungsmittel im Jahr 2011 bei Weitem gar nicht abgerufen worden. Ähnliches gilt für Zuwendungen an freie Träger in wichtigen Bereichen der Justiz.

Kommen wir zum hohen Krankenstand im Justizvollzug, wo Sie wichtige Maßnahmen ankündigen. Bei unserem jüngsten Besuch in Willich wurde uns berichtet, dass Maßnahmen der Mitarbeiterführung – lange planbare freie Wochenenden, Neuorganisation der Nachtdienste etc. – den Krankenstand unter den Bediensteten massiv gesenkt haben. Solche erfolgreichen Konzepte gilt es auf alle Anstalten auszudehnen. Sie können das nicht nur allein den Anstalten intern überlassen, sondern müssen das steuern – ebenso wie die Verantwortung für sämtliche Vollzugslockerungen, die anscheinend in die Anstalten geschoben wurde.

Herr Minister, ein klarer Kurs in der Justizpolitik für Nordrhein-Westfalen erfordert, dass Sie auch Ihre eigenen Ziele kennen und benennen. Wir warten mit Spannung darauf, wie und wann Sie durch eine Dienstrechtsreform die Strukturen der Justiz verbessern wollen, wie eigentlich Ihre Agenda ist, die Handlungsempfehlungen der Enquetekommission „Prävention“ umzusetzen,

(Zuruf von Dagmar Hanses [GRÜNE])

wie die Informationsrechte des Parlaments künftig gewahrt und in einer Verfassungskommission gestärkt werden sollen, wie und wann Sie konkret den elektronischen Rechtsverkehr in der gesamten Justiz ausbauen oder das Widerspruchsverfahren wieder etablieren wollen, ob Nordrhein-Westfalen bei der Modernisierung der Justiz zum bundesweiten Bremsklotz wird oder ob Sie endlich Position beziehen, was ein Landesamt für Justiz leisten kann, soll und verfassungsrechtlich darf.

Noch eine Sache am Rande, meine Damen und Herren: Wir als FDP erwarten, dass der Grundsatz der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit befolgt und die Deckungsfähigkeit nicht dazu genutzt wird, Titel nicht der Realität entsprechend anzusetzen. Das gilt insbesondere dann, wenn Achter-Mittel, Investitionsmittel, tatsächlich als Fünfer-Mittel verwendet werden. Das werden wir 2013 nicht mehr hinnehmen können.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Im Interesse der Bürger und der engagierten Mitarbeiter gilt es, die Justiz in unserem Land zukunftsfest zu machen. Die FDP-Landtagsfraktion wird daran aktiv mitwirken. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wedel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Abgeordnete Hanses.

Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun endlich beraten wir auch inhaltlich den Einzelplan 04. Im Ausschuss lag er uns vor, und dort wurde von der Opposition inhaltlich wenig angemerkt. Darüber habe ich mich doch gewundert.

Dieser Haushalt, der Einzelplan 04, verbindet wie kein anderer Prävention und Repression unter einem Dach, und dabei stellt dieser Entwurf den Mensch in den Mittelpunkt. Er ist geprägt vom Respekt gegenüber den Menschen – Respekt gegenüber Beschäftigten, Respekt gegenüber Inhaftierten im Strafvollzug und Respekt gegenüber Bürgerinnen und Bürgern. Dieser Haushaltsentwurf gewährleistet deren Zugang zum Recht, und er ist nachhaltig ausgerichtet.

Ich möchte Ihnen gerne noch einmal kurz die Rahmendaten sagen. Ja, es gibt wenig Spielraum in diesem Haushalt. Er hat einen Umfang von 3,626 Milliarden €, und davon sind über 60 % Personalausgaben für über 40.000 Beschäftigte, von denen wiederum rund 9.000 in Justizvollzugsanstalten tätig sind. 6.000 Frauen und Männer arbeiten im allgemeinen Vollzugsdienst; hinzu kommen 770 in Ausbildung. Der Großteil der Beschäftigten jedoch, nämlich 31.000, ist in den verschiedenen Gerichtsbarkeiten und Staatsanwaltschaften tätig; von diesen befinden sich 5.500 in Ausbildung. Das ist eine wichtige Aufgabe der Justiz, und ich finde, diese wichtige Aufgabe sollte hier auch kurz benannt werden.

Das zweite große Kuchenstück dieses Haushalts sind die Ausgaben für Gebäude und Grundstücke. Wir haben 276 Justizeinrichtungen. 37 davon sind JVAs; zwei neue – das wurde schon genannt – kamen hinzu.

Herr Kollege Kamieth, selbstverständlich wissen wir, wie sich der Gebäudebestand darstellt. Wir haben gemeinsam bei vielen Besichtigungen festgestellt: Wir haben einen Gebäudebestand aus drei Jahrhunderten. Der Investitionsstau wurde vom Minister einmal mit 2 Milliarden € beziffert. Das hat mich erschreckt. Dies können wir aber nur mit einem nachhaltigen Haushalt sukzessive, Stück für Stück angehen. Die Maßnahme in Münster wird sicherlich ein erster Schritt sein.

Wenn wir uns diesen Gebäudebestand ansehen, sehen wir auch, dass sich die BLB-Mieten um 15,4 Millionen € erhöht haben. Auch das bereitet uns Sorge, aber wir müssen es Stück für Stück angehen.

Da dieser Justizhaushalt, der auch ein Modellhaushalt ist – ich sehe, Herr Kamp ist anwesend –, über „EPOS.NRW“ umgesetzt wird, erkennen wir deutlich mehr Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit im Haushalt. Wir sehen die Zuordnungen deutlicher und können die Einnahmen und Ausgaben klarer definieren.

Wir schätzen die Arbeit unserer Beschäftigten in der Justiz. Wir wissen, unter welchen zum Teil schwierigen Bedingungen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Amtsanwältinnen und Amtsanwälte, Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer, Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher und nicht zuletzt Justizvollzugsangestellte täglich arbeiten. Wir bemühen uns stetig, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Herr Kollege Wedel, dies ist kein Zufall. Wir haben in Willich von positiven Entwicklungen gehört, aber die gibt es auch in Aachen, in Werl und an vielen anderen Standorten. Wir können gerne noch weitere Standorte besuchen.

Aus diesem Grund haben wir 350 neue Stellen im mittleren Dienst der Geschäftsstellen – der Kollege Wolf hat es gesagt – eingerichtet, und zwar haushaltsneutral. Es darf einfach nicht mehr sein, dass ein Land wie Nordrhein-Westfalen an den Gerichten Kettenverträge, also immer wieder befristete Arbeitsverträge, für engagierte Mitarbeiterinnen – in dem Fall sind es überwiegend Frauen – zulässt. Diese jährliche Befristung musste weg, um eine sichere Situation für die Beschäftigten zu schaffen. Damit hält sich das Land nun endlich an geltendes Arbeitsrecht.

Auf die Amtsanwälte ist Kollege Wolf bereits eingegangen; mir rinnt die Zeit davon.

Die 88 neuen Planstellen in der Sicherungsverwahrung und im Strafvollzug für Menschen, die später sicherungsverwahrt werden, insbesondere für Psychologinnen, Sozialarbeiter und den allgemeinen Vollzugsdienst, waren dringend nötig, um die Sicherungsverwahrung verfassungsgemäß durchführen zu können.

Selbstverständlich könnte ich jetzt noch ganz viel zum Jugendstrafvollzug und zur Prävention sagen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass mit dem Haushalt die Mittel für den Bereich der Drogen- und Suchtberatung im Strafvollzug um 440.000 € erhöht wurden, und zwar allein durch interne Umschichtungen. Es sind keine zusätzlichen Ausgaben.

Als Letztes: Die Enquetekommission III „Erarbeitung von Vorschlägen für eine effektive Präventionspolitik in NRW“ wurde angesprochen. Es wundert mich schon, dass wir uns in den letzten Wochen über eine der 38 Handlungsempfehlungen intensiv über die Presse auseinandersetzen mussten.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin.

Dagmar Hanses (GRÜNE): Ich weiß, ich muss zum Schluss kommen.

Ich lade Sie herzlich ein, die Umsetzung dieser 38 Handlungsempfehlungen durch die Landesregierung gemeinsam zu begleiten. Es ist schon jede Menge auf dem Weg. Da sollten wir gemeinsam hinschauen.

Wir stimmen diesem Haushalt selbstverständlich zu und freuen uns darüber. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Hanses. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Abgeordnete Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne und zu Hause am Stream! Ich werde jetzt nicht ins Konzert einstimmen, dass der Haushalt verspätet eingereicht worden ist. Das ist er. Das gilt natürlich auch für den Einzelplan 04, Herr Minister. Da hätten Sie vielleicht von Justizseite her etwas Druck machen können. Aber gut, das hat vielleicht nicht ganz geklappt.

Darüber könnte man noch fast hinwegsehen, wenn nicht hier – das ist wirklich ein ganz starkes Stück – von den regierungstragenden Fraktionen gebetsmühlenartig behauptet würde, es seien 88 neue Stellen geschaffen worden, und damit sei einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts Genüge getan. Das trifft weder auf die 88 Stellen im Justizvollzug noch auf die 305 sonstigen Stellen zu, die angeblich im Justizdienst geschaffen worden sind. Wenn mir jemand die Umwandlung von befristeten Arbeitsverhältnissen und auch von mehrfach verlängerten befristeten Arbeitsverhältnissen in unbefristete Arbeitsverhältnisse als neue Stellen verkaufen will und damit auch gleichzeitig aussagen möchte, gerade im Justizvollzug tue man damit etwas für die Sicherheit …

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Geschäftsstellen der Gerichte!)

– Nein, wir reden hier vom Justizvollzug, nicht von den Geschäftsstellen der Gerichte. Bei den 88 Stellen reden wir vom Justizvollzug. Es ist einfach nicht wahr, wenn gesagt wird, dass es neue Stellen sind. Es sind keine neuen Köpfe. Und das wäre bitter nötig. Denn es kann einfach nicht sein, dass aufgrund eines hohen Krankenstandes, aufgrund von 500.000 Überstunden im gehobenen und mittleren Dienst, egal ob nur im Strafvollzug oder auch in den Justizdiensten im Übrigen, eine ganze Menge Straftäter immer wieder über irgendwelche Mauern klettern, in Taxen steigen, lustig durch Städte fahren, wodurch die Bürger ein erhebliches Sicherheitsdefizit zu ertragen haben.

Nun könnte man natürlich sagen: Das ist alles nicht so tragisch. Wir haben ja die neuen Stellen geschaffen. – Das ist nicht so. Stellen Sie neues Personal ein! Wir haben einen Antrag gestellt. Im Justizbereich müssen nun einmal deutlich mehr neue Stellen, nämlich für neue Köpfe an Positionen an relevanten Stellen auch im Justizvollzug, geschaffen werden.

Leider Gottes wurden auch diese Anträge wie viele andere unserer Anträge abgelehnt. Das ist nicht weiter tragisch. Wir werden das weiterverfolgen und natürlich auch die Umsetzung der 38 Handlungsempfehlungen begleiten. Ich habe auch erkannt, dass gerade im Justizministerium durchaus Kooperationsbereitschaft in allen möglichen Bereichen vorhanden ist. Das begrüßen wir selbstverständlich.

Damit möchte ich es an dieser Stelle bewenden lassen. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine gut funktionierende Justiz ist Grundvoraussetzung für ein gedeihliches, friedvolles Miteinander in unserem Rechtsstaat. Das leisten in Nordrhein-Westfalen tagein, tagaus 40.000 hauptamtliche Beschäftigte und, wenn ich die Ehrenamtlichen noch hinzuzähle, Richter, Schöffen bis hin zu den Betreuern in den Vollzugsanstalten, weitere 20.000 Menschen.

Meine Damen und Herren, Justiz funktioniert natürlich nicht so einfach auf Knopfdruck oder ausschließlich per Gesetz. Justiz lebt und arbeitet mit diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die jeden Tag ihr Bestes geben, sich stark engagieren und sehr motiviert sind, im Sinne der rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger hier zu arbeiten.

Was erwarten die Menschen von einer gut funktionierenden Justiz in einem Land? – Natürlich eine Strafverfolgung, eine Aufklärung von Straftaten und eine entsprechende Anklage, eine gute, effektive, zügige, kostengünstige Rechtsprechung und einen guten, zukunftsgewandten, sicheren Strafvollzug. Genau das gewährleisten wir mit diesem Haushalt.

Ich habe natürlich Verständnis dafür, wenn der eine oder andere Redner der Opposition die Jahre 2005 bis 2010 nicht live miterlebt hat und deswegen vielleicht in Unkenntnis der Umstände von damals hier etwas sagt. Aber, meine Damen und Herren, zur Situation der Beschäftigten in der nordrhein-westfälischen Justiz darf ich Ihnen sagen, dass ich vor zweieinhalb Jahren bei Amtsantritt gut 500 Beschäftigte vorgefunden habe, die seit mehreren Jahren, teilweise seit zehn Jahren, mit Jahres- und Zeitarbeitsverträgen dort beschäftigt waren. Das ist etwas, was sich ein öffentlicher Arbeitsgeber nicht leisten sollte, was sich die Justiz schon gar nicht leisten sollte. Insofern bin ich froh darüber, dass es uns im letzten Jahr gelungen ist, 200 dieser Menschen in unbefristete, feste, sichere Arbeitsverhältnisse zu überführen, und mit diesem Haushalt weitere 350 Stellen schaffen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Kamieth, die Belastung der Gerichtsmitarbeiter ist hoch. Sie sind stark belastet. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die Belastung seit 2009 deutlich zurückgegangen ist. Wir haben den niedrigsten Stand seit Jahren, was die Belastungszahlen anbelangt. Das hat natürlich etwas mit den Verfahrenseingängen zu tun, aber auch damit, wie wir entgegensteuern. So macht es sich natürlich demnächst weiterhin bemerkbar, dass wir uns mit diesem Haushalt gerade den am stärksten belasteten Berufsgruppen zuwenden. Das sind im Augenblick die Amtsanwälte, die die höchsten Belastungszahlen haben. Mit dem letzten und diesem Haushalt kommen weitere 50 neue Stellen oder neue Köpfe, Herr Schulz, dazu, um eine weitere Entlastung hinzubekommen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das eine oder andere zum Strafvollzug sagen, weil es hier vorhin angesprochen wurde. Ja, in den vorangegangenen fünf Jahren der Vorgängerregierung sind einige Einrichtungen in Planung gegeben und gebaut worden. Aber was bislang fehlte, meine Damen und Herren, zur schwarz-gelben Regierungszeit, war ein vernünftiges Konzept für den Strafvollzug. Wir haben erstmals Leitlinien für einen Strafvollzug in Auftrag gegeben und erarbeitet. Wir machen jetzt ein Gesetz. Auf die Inhalte kommt es an. Allein durch Bauten machen Sie noch keinen besseren Strafvollzug. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir den Strafvollzug effektiv nutzen, um die Menschen in dieser Zeit fit zu machen, zukünftig keine weiteren Straftaten zu begehen.

Deswegen stärken wir in diesem Haushalt auch gerade für jugendliche Straftäter die Ausgaben für Bildungsmaßnahmen. Wir stellen fest, dass ein Hauptdefizit der rund 1.500 gefangenen jungen Menschen in unseren Vollzugseinrichtungen erhebliche Erziehungs- und Bildungsdefizite sind. Da können wir nicht einfach zuschauen und sagen: Na ja, wir sperren sie einmal drei Jahre ein und warten, was danach passiert, wenn wir sie entlassen. Nein, wir müssen gegensteuern. Insofern bin ich froh, dass wir die Mittel für Bildungsmaßnahmen gerade für Jugendliche noch einmal auf 1,8 Millionen € erhöhen können. Das leistet einen wichtigen Beitrag für einen sicheren, zukunftsgewandten Strafvollzug.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben schon im letzten Jahr die Personalsituation bei den Beschäftigten im Strafvollzug deutlich verbessert, nicht nur mit 200 neuen Stellen, sondern auch mit Köpfen zu besetzenden neuen Stellen. Im Haushalt 2011 gab es 150 Stellen im allgemeinen Vollzugsdienst und 50 Fachdienstkräfte, die Sozialarbeiter und Psychologen sind, damit gezielt mit den Gefangenen gearbeitet werden kann. Wir stocken das in diesem Jahr um weitere 88 Stellen auf. Ich erinnere an Ihre Regierungszeit. In zwei Jahren knapp 300 neue Stellen für den Vollzug, da brauchen wir uns nicht zu verstecken im Vergleich zu dem, was Sie im Vollzug früherer Zeiten geleistet haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wenn Sie jetzt die Gelegenheit nutzen, generell über Strafvollzug zu sprechen und einzelne Vorfälle in Justizvollzugsanstalten zu thematisieren, meine Damen und Herren, hätte ich mir gewünscht, Sie hätten das auch gemacht, als wir die rechtspolitischen Grundsätze der Regierung im Rechtsausschuss diskutiert haben. Da kamen von Ihnen keine einzige Stellungnahme und kein einziger Vorschlag, wie wir Strafvollzug gestalten sollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kamieth zulassen?

Thomas Kutschaty, Justizminister: Ja.

Jens Kamieth (CDU): Vielen Dank, Herr Minister. Ist Ihnen bekannt, dass in einer modernen Justizvollzugsanstalt mit einem sehr viel günstigeren Personalschlüssel die Arbeit geleistet werden kann? Beispielsweise hat der Wegfall der Zweigstelle der Siegener Justizvollzugsanstalt zu einer erheblichen Personalreduktion geführt, weil die Strafgefangenen in der modernen Anstalt in Attendorn inhaftiert werden konnten.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Kamieth, wenn es zu Einsparungen kommt, haben wir diese nicht dazu genutzt, Personal abzubauen. Wir haben im Gegenteil noch einmal knapp 300 Stellen draufgesattelt, weil es notwendig ist, vernünftiges Personal nicht nur für die Sicherheitsbewachung, sondern auch für die Behandlung im Vollzug zu haben. Das ist ganz entscheidend. Deswegen haben wir das gemacht und werden es auch weiterhin tun.

Lassen Sie mich den Punkt, den ich gerade versucht habe anzusprechen, zum Abschluss bringen. Sie versuchen hier, in Einzelfällen Justizvollzug zu skandalisieren. Ich halte das nicht nur für höchst unanständig im Vergleich mit dem Blick auf Ihre Regierungszeit von damals. Die Anzahl der Vorfälle hat sich halbiert, wenn nicht sogar mehr als halbiert in einzelnen Fällen.

Was erwarten Sie von einem Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen, bei dem im Jahr 2011 48.000 Gefangene durchgelaufen sind? Ich darf Ihnen sagen: Sie alle sind zu 100 % kriminell. Wenn Sie meinen, dass das eine heile Welt ohne besondere Vorkommnisse sei, unterliegen Sie einem Irrglauben. Es wird einen Strafvollzug in ganz Deutschland nie ohne besondere Vorkommnisse geben, genauso wenig wie es keinen Schulhof ohne Rangelei geben wird. Auch das muss man deutlich sagen. Das gehört zur gesamten Wahrheit dazu.

Was ich allerdings für sehr skandalös halte, ist, dass Sie auf Kosten der Beschäftigten im Vollzug jeden Vorfall skandalisieren und die Beschäftigten als Deppen darstellen. Das haben sie nicht verdient. Sie machen jeden Tag einen verdammt harten Job mit einer ganz schwierigen Klientel und verdienen unsere Unterstützung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalt 2012 legen wir den Grundstein dafür, dass die Justiz in Nordrhein-Westfalen auch zukünftig leistungsfähig ist, vorsorgend, nachhaltig und gerecht. Deswegen bitte ich Sie um Unterstützung unseres Haushaltsentwurfs.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um anderthalb Minuten überschritten hat. Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Wir sind damit am Schluss der Beratung zum Einzelplan 04.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar über den Einzelplan 04. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1204, den Einzelplan unverändert anzunehmen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen und damit der Einzelplan 04 mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion der Piraten verabschiedet.

Ich rufe auf:

     Einzelplan 13
Landesrechnungshof

Hier möchte ich einen Hinweis geben auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 16/1213.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Debatte ist hier nicht vorgesehen.

Somit kommen wir unmittelbar zur Abstimmung über den Einzelplan 13. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1213, den Einzelplan unverändert anzunehmen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit stelle ich fest, dass die Beschlussempfehlung angenommen und damit der Einzelplan 13 mit den Stimmen der CDU, der SPD, der Grünen, der FDP-Fraktion und der Fraktion der Piraten verabschiedet worden ist.

Nun rufe ich auf:

     Einzelplan 01
Landtag

Ich weise hin auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 16/1201.

Meine Damen und Herren, eine Debatte ist auch hier nicht vorgesehen.

Somit kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 01. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1201, den Einzelplan in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. – Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um sein Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen und der Einzelplan 01 mit den Stimmen der CDU, der SPD, der Grünen, der FDP und der Piraten verabschiedet.

Damit sind wir am Ende unserer heutigen Haushaltsplanberatungen angekommen, die wir an der Stelle unterbrechen und morgen mit den Beratungen zum Einzelplan 02 fortführen.

Ich rufe auf:

2   Fragestunde

Drucksache 16/1285

Mit der Drucksache 16/1285 liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 4 bis 6 vor.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 4

des Abgeordneten André Kuper von der Fraktion der CDU auf:

Honorarzahlung

Medien berichten darüber, dass die im kommunalen Eigentum der Städte Bochum, Herne und Witten befindlichen Stadtwerke Bochum am 26. November 2011 ein Honorar von 25.000 Euro an den Bundestagsabgeordneten Peer Steinbrück für seine Teilnahme an der Veranstaltung „Atriumtalk“ gezahlt haben. Das Honorar lag um 10.000 Euro höher als der üblicherweise von dem SPD-Politiker veranschlagte Satz von 15.000 Euro.

Wie bewertet das für die Kommunalaufsicht zuständige Ministerium für Inneres und Kommunales (MIK) die Honorarzahlung an den Referenten Peer Steinbrück?

Ich bitte Herrn Minister Jäger um Beantwortung.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihre Frage nach der Bewertung der konkreten Honorarzahlung aus Sicht der Kommunalaufsicht kann ich relativ kurz beantworten.

Die Honorarzahlung unterliegt nicht der Kommunalaufsicht. Eine Bewertung kann und werde ich daher nicht vornehmen. Der Grund dafür ist ganz einfach. Bei den Stadtwerken Bochum handelt es sich um eine GmbH, also um eine juristische Person des Privatrechts. Ob diese GmbH einer Kommune gehört oder nicht, spielt für die Bewertung keine Rolle. Die Bewertung obliegt in derartigen Fällen vielmehr den Gesellschaftsorganen und ?gremien.

Ich hoffe, mit dieser Klärung ein wenig weitergeholfen zu haben. – Herzlichen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Gibt es Zusatzfragen? – Herr Kollege Kuper, bitte schön. – Ich stelle fest, Herr Abgeordneter Witzel hat sich zunächst gemeldet. Dann haben Sie das Wort. Bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sie waren gerade etwas wortkarger, Herr Innenminister, als man Sie sonst aus Debatten bei der Fragestunde kennt. Deshalb haben Sie sicherlich großes Verständnis dafür, dass das auf unserer Seite zu Nachfragen führt.

Angesichts der desolaten finanziellen Situation gerade der Kommunen im Ruhrgebiet, über die wir vorhin diskutiert haben, halte ich derartige Honorarzahlungen, die letzten Endes die kommunalen Kassen und Steuerzahler betreffen, für absurd.

(Zurufe von der SPD)

Deshalb frage ich Sie, weil Sie das auch für die kommunale Finanzplanung interessieren muss: Herr Innenminister, sind Ihnen vergleichbare Fälle aus anderen Ruhrgebietskommunen bekannt, in denen Gesellschaften in öffentlichem Eigentum in vergleichbarer Höhe Zahlungen für Aufgaben leisten, die überhaupt nicht im Bereich ihrer unmittelbaren geschäftlichen Tätigkeit liegen?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte schön.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Lieber Herr Abgeordneter Witzel, natürlich werden Nachfragen wie immer gerne entgegengenommen. Ich darf auch Sie darauf hinweisen: Ich habe bereits erklärt, dass der Landesregierung über die Stadtwerke Bochum wegen Nichtzuständigkeit keinerlei Informationen vorliegen. Das ist im Übrigen nicht nur in Bochum so, sondern in ganz Nordrhein-Westfalen, weil sich die Kommunalaufsicht ausschließlich auf die Kernhaushalte der jeweiligen Kommunen bezieht und nicht auf deren Beteiligungen.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Ob und inwieweit weitere Honorarzahlungen geflossen sind oder wie das Verhältnis von Honorarzahlungen bei den Stadtwerken Bochum zu betrachten ist, schlage ich vor, dass Sie den Kollegen Haardt, Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalen, fragen, der zugleich Mitglied des Aufsichtsrats der Stadtwerke Bochum ist. Vielleicht hatte er Kenntnis von der Veranstaltung und den Inhalten oder ist sogar Gast gewesen. Wenn Sie den Kollegen von der CDU fragen, kann er wahrscheinlich mehr Auskünfte erteilen als die Kommunalaufsicht in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Als Nächster fragt Herr Hovenjürgen. Bitte schön, Herr Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Minister, Ihre gerade getätigte Einlassung beiseitelassend, gehe ich davon aus, dass Sie im Besitz einer eigenen Meinung sind, und darf Sie fragen, ob Sie denn die Position Ihres Parteifreundes, des Landtagskollegen Töns, teilen, der dieses Honorar als exorbitant zu hoch ansieht.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Lieber Kollege Hovenjürgen, die Tagesordnung weist unter Punkt 2 aus: Fragen an die Landesregierung. Ich glaube, dass solche Fragen etwa Befindlichkeiten von Abgeordneten oder Ministern nicht einschließen. Insofern habe ich die Frage hinsichtlich der Funktion und Aufsichtsweise der Landesregierung, meines Ministeriums, erläutert. Nachfragen zu beantworten, was Kollegen in diesem Raum denken, entzieht sich meiner Kompetenz, und das Denken der Kollegen entzieht sich ganz sicher auch meiner Bewertung.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Haardt hat eine Frage. Bitte schön.

Christian Haardt (CDU): Kollege Haardt, der im Übrigen nie an einer dieser Veranstaltungen teilgenommen hat und bis letzte Woche auch davon ausgehen musste, dass den Referenten kein Honorar gezahlt wird – so die offizielle Auskunft der Stadtwerke an den Rat –, hat die Frage an die Landesregierung, ob sich aus ihrer Sicht der Tatbestand der Untreue ergibt, wenn ein Rednerhonorar vom üblichen Satz von 15.000 € auf 25.000 € angehoben wird.

(Zuruf von der SPD)

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Lieber Kollege Haardt, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass das Ministerium für Inneres und Kommunales umfangreiche Zuständigkeiten hat. Ich lasse Ihnen gerne das entsprechende Organigramm zukommen. Für Strafermittlungen ist das MIK allerdings noch nicht zuständig.

(Zuruf von der SPD: Das ist auch gut so!)

Im Übrigen würde ich diese Frage damit zurückspielen, ob und wie weit die Aufsichtsratsmitglieder der Stadtwerke Bochum in ausreichendem Umfang Kenntnis über diese Veranstaltung hatten. Mögliche Honorarzahlungen können Sie besser beurteilen als ich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Hegemann, bitte schön.

Lothar Hegemann (CDU): Herr Minister, da Sie zu den Stadtwerken Bochum nichts sagen, kann ich Sie auch nicht fragen, ob es stimmt, dass Hauptgegenstand der Erörterung an dem Abend Borussia Dortmund war und nicht Politik. Warum greift Ihr Haus massiv ein, wenn es zum Beispiel um eine Tochtergesellschaft des RVR, nämlich die Abfallgesellschaft Ruhr, geht? Da gab es permanent Interventionen Ihres Hauses, als es der Gesellschaft mal ein bisschen schlechter ging. Da wurde von Ihnen grundsätzlich infrage gestellt …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Unfassbar ist das, was Sie jetzt vortragen!)

– Ich dachte ja, dass Sie, wenn Sie zwischenrufen, wenigstens Ahnung hätten.

Also: Warum greift Ihr Haus da ein? Und warum ist Ihr Haus hier nicht zuständig? Ist die Landesregierung auch für die Aufsicht über Sparkassen grundsätzlich nicht zuständig, weil die Sparkassen einen Verwaltungsrat haben? Wie sieht das denn mit dem Paragrafen über wirtschaftliche Betätigung aus? Muss das bei Ihnen angemeldet werden? Oder muss es nicht angemeldet werden? Kann jeder Rat das machen, was er will? Oder muss es sich im Rahmen eines Landesgesetzes vollziehen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Hegemann. Das waren mehrere Fragen. Gestellt wird immer nur eine Frage. – Bitte schön, Herr Innenminister.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Jetzt könnte ich mir eine von den vielen Fragen aussuchen. Ich versuche trotzdem, möglichst umfangreich alle zu beantworten.

Zum Ersten: Die jeweiligen Zuständigkeiten ergeben sich aus dem Landesorganisationsgesetz. Für die Aufsicht der Sparkassen ist nicht der Innenminister, sondern der Finanzminister zuständig.

Zum Zweiten: Mein Haus greift nicht irgendwo ein, sondern mein Haus hat die Rechtsaufsicht über die jeweiligen Bezirksregierungen, die in eigener Zuständigkeit ihrer Aufsichtspflicht nachkommen – auch in dem von Ihnen geschilderten Fall.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Nächster Fragesteller ist Herr Kollege Kuper mit seiner ersten Frage. Bitte schön, Herr Kuper.

André Kuper (CDU): Vielen Dank. – Herr Minister, halten Sie es angesichts dieser Vorgänge für sinnvoll, die kommunalen Ausgliederungen künftig unter Kommunalaufsicht zu nehmen?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Lieber Herr Kuper, auch da sprechen Sie einen Rechtskreis an, den es zu bewerten gilt. Die Kommunalaufsicht bezieht sich auf das rechtmäßige Handeln von Kommunen – von Gebietskörperschaften, nicht von Privatpersonen. Wir haben in einer bunten Landschaft in Nordrhein-Westfalen eine ganze Reihe von Beteiligungsgesellschaften, deren Gesellschafteranteile ganz oder teilweise von der jeweiligen Kommune gehalten werden.

Was die Frage betrifft, ob in solchen Unternehmungen rechtmäßig und wirtschaftlich sinnvoll vorgegangen wird, sind die nach dem jeweiligen Gesellschaftsgesetz zuständigen Gremien gefragt. Das wäre im Falle der GmbH der Aufsichtsrat.

Ich darf hier noch einmal auf Folgendes aufmerksam machen: Wenn weitere Erläuterungen gewünscht sind, würde ich diese Fragen nicht an den Innenminister richten, sondern an die zuständigen Aufsichtsratsmitglieder bei den Stadtwerken Bochum. Einer davon sitzt hinter Ihnen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Herr Laumann, bitte.

Karl-Josef Laumann (CDU): Herr Minister, Sie sind nun auch der Kommunalminister, und ein Ministeramt ist ein politisches Amt. Deswegen würde ich gerne einmal politisch fragen. Wie bewerten Sie denn gesellschaftspolitisch den offenkundigen Tatbestand, dass ein öffentlich-rechtliches Unternehmen, das im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen auch Privilegien genießt, sich so verhält, wie es in Bochum der Fall war, dass für einen Referenten, der ein bisschen erzählt und ein bisschen diskutiert, 25.000 € bezahlt werden? Wenn die Zeitungsinformationen stimmen, haben diese Einladungen an einen bestimmten Kreis die Stadt Bochum insgesamt etwa das Vierfache davon gekostet. Halten Sie das vor dem Hintergrund des öffentlichen Auftrags eines solchen Unternehmens als Kommunalminister für politisch vertretbar?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Lieber Herr Laumann, ich hatte gerade erläutert, dass das Innenministerium, an dessen Spitze ich stehe, für die Rechtsaufsicht im Rahmen des rechtmäßigen Handelns von Kommunen zuständig ist. Ich bin nicht für den Bereich Philosophie und Gesellschaftspolitik zuständig.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Hovenjürgen stellt jetzt seine zweite und letzte Frage. Bitte schön, Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Minister, darf ich Sie als ehemaligen Grillmeister Ihrer Fraktion an dieser Stelle denn einmal fragen, inwieweit Sie die Auffassung von Finanzminister Walter-Borjans teilen, dass stadteigene Unternehmen – das Zitat stammt aus der „NRZ“ von heute – die Verpflichtung haben, „sorgfältig mit Geld umzugehen“? Ist die Verpflichtung von Herrn Steinbrück in diesem Falle aus Ihrer Sicht eines der Beispiele, wie nicht sorgfältig mit Geld umgegangen wird?

Falls Sie sich nicht in der Lage sehen, diese Frage zu beantworten, hätte ich sie gerne von Herrn Walter-Borjans beantwortet.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Lieber Herr Kollege, ich mag Grillmeister meiner Fraktion gewesen sein. Ich bin aber durchaus in der Lage, auch mit Gas und Induktion genießbare Speisen zuzubereiten. – So viel zu der Frage, welche Kochkünste ich besitze!

Darüber hinaus darf ich darauf aufmerksam machen, dass alle gesellschaftlichen Institutionen in der Tat die Verpflichtung haben, wirtschaftlich und vernünftig mit Geld umzugehen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Nun stellt Herr Kollege Hegemann seine zweite und letzte Frage. Bitte schön.

Lothar Hegemann (CDU): Herr Minister, können Sie oder die Ministerpräsidentin ausschließen, nachdem die Stadtwerke und die Stadt Bochum zunächst gesagt hatten, das Ganze sei eine Charity-Veranstaltung – mit der Wahrscheinlichkeit, dass gespendet werde –, und nachher die Meinung dahin gehend geändert wurde, dass es sehr wohl ein Honorar zum Verbleib gab, dass mit irgendjemandem der Landesregierung in diesem Verfahren Kontakt aufgenommen worden ist?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Hegemann, ich hatte gerade auch Ihnen sehr deutlich zu erklären versucht, welche Aufgaben die Kommunalaufsicht in Nordrhein-Westfalen auf Grundlage der Gemeindeordnung hat.

Ich würde Ihnen raten, die Frage, welche Absprachen in diesem Fall stattgefunden haben, eher an die entsprechenden Aufsichtsgremien des jeweiligen Unternehmens zu richten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Witzel hat das Wort zu seiner zweiten und letzten Frage. Bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Innenminister, auch von meiner Seite aus noch eine Nachfrage, weil Sie sich eben auch gerne zum Thema „Zuständigkeit“ geäußert haben: Ich habe Sie in den Diskussionen, die wir geführt haben, bislang schon so verstanden, dass Sie sich für kommunale Daseinsvorsorge zuständig sehen, was Sie auch immer wieder betont haben.

Hier im Fall der Stadtwerke Bochum kommt es auf der einen Seite zu geplanten Gebührensteigerungen für die Abnehmer in Bochum. Auf der anderen Seite wird ein solches Finanzgebaren an den Tag gelegt. Die Stadtwerke Bochum sind auch nicht die Einzigen. Es gibt ja einen Parallelfall der Gelsenwasser AG – ebenfalls für einen Vortrag des früheren Ministerpräsidenten Steinbrück, der auch aufgelistet ist. Das ist also ein flächendeckendes Phänomen.

Ich frage Sie: Was schlagen Sie vor, damit zukünftig vermieden wird, dass Nutzer bzw. Abnehmer von Leistungen kommunaler Daseinsvorsorge belastet werden, weil über den Trick der rechtlichen Abspaltung und Ausgründung solcher Gesellschaften de facto die Politik dort Ausgaben für Zwecke vornimmt, die sie aus dem öffentlichen Haushalt so nie tätigen könnte?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Lieber Kollege Witzel, wenn ich die Gemeindeordnung zu Rate ziehe, stelle ich fest: Kommunale Beteiligungen werden nicht gegründet, wie Sie sagen, um zu tricksen, sondern um einer wirtschaftlichen Betätigung in privater Form nachgehen zu können.

(Ralf Witzel [FDP]: Doch nicht mit Vorträgen!)

Das ist das Unternehmensziel von kommunalen Beteiligungen.

Die kommunale Daseinsvorsorge ist in unserer Verfassung verankert. Sie auszugestalten, obliegt der kommunalen Selbstverwaltung.

Aber wenn Sie über diesen rein rechtlichen Rahmen hinaus um eine Bewertung bitten, dann, so glaube ich, hat diese Diskussion eines gezeigt, dass nämlich zu Recht im Deutschen Bundestag darüber diskutiert wird, die Nebeneinkünfte von Abgeordneten vollständig offenzulegen. Im Übrigen ist es nicht meine Bundestagsfraktion, die sich dagegenstellt.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Haardt, Ihre zweite und letzte Frage, bitte schön.

Christian Haardt (CDU): Herr Minister, wie viele Stadtwerke in NRW veranstalten ähnliche Events?

(Heiterkeit)

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Auch Event-Management gehört nicht zu meinem Zuständigkeitsbereich.

(Beifall von der SPD)

Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass sich die Kommunalaufsicht ausschließlich auf das rechtmäßige Handeln von Gebietskörperschaften bezieht – nicht auf die Frage, was kommunale Unternehmen in privater Rechtsform tun oder lassen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Innenminister. – Ich sehe keine weiteren Fragen mehr.

(Zurufe von der SPD: Oh! – Holger Müller [CDU] meldet sich zu Wort.)

– Herr Müller, Sie müssen drücken. Sie können jetzt Ihre Frage stellen.

Holger Müller (CDU): Herr Minister, der SPD-Vorsitzende Gabriel hat dieser Tage erklärt, er halte das Gehalt der Bundeskanzlerin für zu gering. Teilen Sie mit mir die Ansicht, dass er das deshalb erklärt hat, weil er befürchtet, dass Herr Steinbrück für dieses Gehalt den Job nicht antritt?

(Heiterkeit – Unruhe – Glocke)

Vizepräsident Oliver Keymis: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sehr, sehr laut. Man hört den Innenminister gar nicht antworten. Und auf die Antwort sind wir doch alle gespannt. Bitte schön.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Müller, die Frage kann ich so nicht beantworten. Aber das Interessante ist das, was sie impliziert, nämlich dass Herr Steinbrück nächstes Jahr die Gelegenheit hat, Bundeskanzler zu werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Innenminister. – Wir sind am Ende der Beantwortung der Frage 4.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 5

des Abgeordneten Ralf Witzel von der FDP-Fraktion auf:

Wirtschaftliche Auswirkungen für die Erste Abwicklungsanstalt (EAA) aus der erfolgten Nachbefüllung mit der zweiten Tranche abgestoßener Risikopositionen aus dem Bestand der WestLB – Reicht die bisherige Eigenkapitalausstattung der EAA auch nach aktuellen Prognosen ohne neue Belastungen für den nordrhein-westfälischen Steuerzahler bis zum Ende des Abwicklungszeitraums 2027 aus Sicht der Landesregierung aus?

Im Wege der Erstbefüllung hat die EAA bei Aufnahme ihrer Tätigkeit 2009/2010 ein erstes Portfolio mit einem Nominalvolumen von 77,5 Milliar­den € übertragen bekommen und für den wertschonenden Abbau eine anfängliche Kapitalausstattung von 3,1 Milliarden € erhalten. Dieses Anfangskapital sollte nicht nur bis zum Jahre 2027 als voraussichtlichem Ende des Abwicklungszeitraums ausreichen, sondern nach ursprünglichen Abwicklungsplanungen sogar in relevantem Umfang erhalten bleiben.

Inzwischen ist der einstige Risikopuffer zum Ausgleich unvorhergesehener Belastungen deutlich geschrumpft und hat bereits zum 30. Juni 2012 nur noch rund 600 Millionen € betragen. Nach aktuellen Planungen der EAA wird daher offiziell der volle Eigenkapitalverzehr einkalkuliert, wenn als Ziel die „schwarze Null am Ende des Abwicklungszeitraums“ ebenso ausgegeben wird wie das Bemühen der EAA, die Garantien der Sparkassenverbände und des nordrhein-westfäli­schen Steuerzahlers nicht in Anspruch nehmen zu wollen.

Zugleich ist bekannt, welch große ökonomische Risiken im Rahmen der WestLB-Abwicklung auch kürzlich noch auf die EAA übergegangen sind – wie beispielsweise die Prozessrisiken aus Libor-Klagen oder die kommunalen Klagen gegen Swap-Zinsgeschäfte mit daraus in derzeit noch unbekannter Höhe möglicherweise resultierenden Schadensersatzansprüchen.

Mit Wirkung zum 1. Juli 2012 beziehungsweise teilweise auch zum 1. Januar 2012 nachträglich ist der EAA nun im Rahmen der sogenannten Nachbefüllung ein zweites Portfolio von der WestLB im Volumen von rund 100 Milliarden € übertragen worden.

Dieser Transfer des zweiten Portfolios von der Portigon AG (vormals WestLB AG) auf die Erste Abwicklungsanstalt (EAA) ist mit der erfolgten Handelsregistereintragung am 17. September 2012 abschließend rechtswirksam geworden. Wie in den am 31. August 2012 beurkundeten und von der FMSA genehmigten Verträgen vorgesehen, übernimmt die EAA damit unter anderem Teile der von der WestLB AG emittierten Wertpapiere und tritt im Wege des Emittentenwechsels ab sofort als Schuldner dafür ein. Entsprechend der vertraglichen Vereinbarungen sind ferner Teile der von der WestLB AG ausgegebenen Kredite im Wege der Abspaltung, Unterbeteiligung oder Garantie auf die EAA übergegangen. Mit der Abspaltung sind auch sämtliche vertraglichen und gesetzlichen Rechte und Pflichten aus der Vertragsbeziehung – einschließlich aller gegebenenfalls vorhandenen Sicherheiten – von der Portigon AG auf die EAA übertragen worden. Die EAA führt dazu aus, die Kredite und Wertpapiere wiesen dabei nur zu mehr als der Hälfte mittlere oder gute Ratings auf.

Von der EAA übernommene Zertifikate oder Schuldverschreibungen werden von ihr bedient und geschuldet. Soweit die Alteigentümer der WestLB AG als Gewährträger für die betroffenen Zertifikate oder Schuldscheindarlehen und Namensschuldverschreibungen gehaftet haben, besteht diese Haftung nach Übergang auf die EAA in ihrem bisherigen Umfang weiter.

Die EAA hat im Rahmen der Nachbefüllung zusätzlich zur anfänglichen Kapitalausstattung vom 30. April 2010 in Höhe von 3,1 Milliarden € am 31. August 2012 noch ergänzend als Ausstattung Eigenkapitalziehungsrechte in Höhe von 480 Millionen € erhalten. Die Bereitstellung dieser Mittel haben die Anteilseigner der früheren WestLB AG sowie der Finanzmarktstabilisierungsfonds (SoFFin) zugesagt, falls das bilanzielle Eigenkapital der EAA während des Abwicklungsprozesses einen Wert von 50 Millionen € unterschreiten sollte.

Das Statut der EAA legt in § 7 ferner eine Verlustausgleichspflicht der Beteiligten fest. Diese sind demnach verpflichtet, entsprechend ihrer Beteiligungsquote der EAA die Mittel zur Verfügung zu stellen, die nötig sind, damit die EAA auch nach Verwendung ihres Eigenkapitals jederzeit ihre fälligen Verbindlichkeiten auf erste Anforderung begleichen kann. Ergänzend zu den Eigentümern übernimmt auch der SoFFin in bestimmten definierten Haftungsstufen einen Teil der Verpflichtungen. Über ihr Statut ist die EAA praktisch insolvenzfest ausgestattet.

Zur Nachbefüllung bezieht die EAA im Rahmen ihres aktuellen Internetauftritts wie folgt Stellung:

„Als Instrument zur Finanzmarktstabilisierung kann die EAA in einem solchen Verfahren nur Lösungsvorschläge anbieten, die zu einer reibungslosen Umsetzung von Restrukturierungsmaßnahmen beitragen. Entscheidungsträger waren die Eigentümer der WestLB AG, die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) sowie die Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale (Helaba). Die Eigentümer der WestLB AG und die FMSA mussten festlegen, in welchem Umfang von den gesetzlich zulässigen Möglichkeiten der Abwicklungsanstalt Gebrauch gemacht werden kann und soll. Der Einfluss der EAA auf die Entscheidungen betraf insofern den Teil der Vereinbarungen, bei dem die EAA in ihrer Rolle als Instrument der Finanzmarktstabilisierung angesprochen ist.“

Diese Formulierung wirft die Frage auf, ob und gegebenenfalls welche Entscheidungen der Eigentümer zur Nachbefüllung nicht mit der EAA abgestimmt worden oder eventuell sogar gegen ihre Empfehlung getroffen worden sind. Unklar ist ferner, ob auch trotz der neuen, aus der Nachbefüllung resultierenden Belastungen und Risiken die Eigenkapitalausstattung der EAA zukünftig ausreichend ist, ihre Aufgaben zu schultern oder ob bereits absehbar zumindest in einer aktualisierten Mittelfristigen Finanzplanung des Landes für die WestLB mit weiteren, bislang nicht einkalkulierten Belastungen für die öffentliche Hand zu rechnen ist.

Reicht die bisherige Eigenkapitalausstattung der EAA auch nach aktuellen Prognosen ohne neue Belastungen für den nordrhein-westfälischen Steuerzahler bis zum Ende des Abwicklungszeitraums 2027 aus Sicht der Landesregierung aus?

Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, Sie haben das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie üblich geht dieser an sich kurzen Frage ein langer Text voraus, der etwas hinterlassen soll, was dann im Wesentlichen als Vorwurf in der Welt stehen bleiben soll. Deswegen würde ich gerne auch zu diesen Passagen etwas sagen.

Erstens. Herr Witzel, Sie beschreiben, dass 2009/2010 ein erstes Portfolio in Höhe von 77,5 Milliarden € auf die Abwicklungsanstalt übertragen worden ist. – Dabei sollte man zumindest mit kommunizieren, dass mittlerweile von diesen 77 Milliarden € nur noch rund 50 Milliarden € im Bestand sind, das heißt, dass rund 27 Milliarden € bereits erfolgreich abgebaut worden sind.

Zweitens. Dass dabei auch der Puffer des Eigenkapitals in Anspruch genommen worden ist, ist richtig. Aber auch da sollte man wieder sagen, dass das unter anderem auch dem Umstand geschuldet ist, dass aufgrund des Schuldenschnitts für Griechenland eine Korrektur erfolgt ist, die mit dem, was vorher errechnet worden ist, oder mit dem, was andere haben, überhaupt nicht zu vergleichen ist – so wie in anderen Fällen auch.

Dann schreiben Sie: Es ist bekannt, welch große ökonomische Risiken im Rahmen der WestLB-Abwicklung auch kürzlich noch auf die EAA übergegangen sind. Das bezieht sich auf die Libor-Klagen und die kommunalen Klagen.

Abgesehen von der Bewertung, welche Aussicht auf Erfolg diese Klagen haben, geht es genau um den Punkt, den Sie heute Vormittag noch kritisiert haben, und zwar betreffend die wahren Risiken der WestLB. Als Risiken der WestLB waren sie Risiken der Eigentümer Sparkassen und Land. Es bestand die Frage, ob diese Risiken bei Portigon verbleiben und damit nur beim Land oder ob sie, wie gehabt, bei den beiden früheren Eigentümern bleiben, nämlich Sparkassen und Land. Und das ist erfolgt. Deswegen ist es richtig so, dass das in der EAA und nicht in Portigon ist.

Dann schreiben Sie: „Entsprechend der vertraglichen Vereinbarungen sind ferner Teile der von der WestLB AG ausgegebenen Kredite im Wege der Abspaltung … auf die EAA übergegangen.“

Unter Bezugnahme auf das, was Sie heute Vormittag ausgeführt haben, sage ich Ihnen: zum großen Leidwesen der Sparkassen, weil die damit noch eine Menge Zoff mit der Helaba haben, weil das gute Kredite sind, die eigentlich zum Verbundgeschäft gehören und die die Helaba offenbar im Zusammenspiel mit den Sparkassen nicht so übernommen hat, wie man sich das vorgestellt hat. Die Folge ist: Sie sind jetzt in der EAA, aber sie sind keine Belastung. – Das sind Aussagen, die zu dem vorausgehenden Text zu treffen sind.

Dann geht es um den Umfang der Einbindung der ersten Abwicklungsanstalt bei der Neubefüllung.

Dazu will ich Folgendes bemerken: Das Zitat von der Homepage der EAA, das Sie in dem Vortext der Frage zitieren, ist nur unvollständig wiedergegeben.

Die Abwicklungsanstalt weist zu der Frage, in welcher Form sie an den Verhandlungen zur Umwandlung der WestLB beteiligt war, über das Zitat hinaus auch darauf hin, die Verhandlungen zur Umwandlung der WestLB bis zur Fertigstellung der jetzt vorliegenden Verträge eng begleitet zu haben. Das bedeutet: Es gab eine enge Einbindung seit dem Jahr 2011. Das ist diesem Haus durch die Beschlussfassung vom 30.11.2011 zur Eckpunktevereinbarung auch bekannt.

Soweit auf der Homepage der EAA weiter ausgeführt wird, dass sich ihr Fokus dabei auf die Bewertung der Vermögensgegenstände, die auf die EAA übertragen werden sollen, richtet, ist das insbesondere ein Indiz für ein ganz normales marktübliches Verhalten der EAA in der Vorbereitung dieser Nachbefüllung. Sie hat beispielsweise eine marktübliche Prüfung des Nachbefüllungsportfolios vorgenommen.

Dazu muss man noch einmal sagen: Die 77 Milliarden € sind mittlerweile auf 50 Milliarden € geschrumpft. Die 100 Milliarden €, die nachbefüllt wurden, sind nach Ansicht aller Beteiligten – auch der EAA – bei Weitem mit deutlich weniger Risiken als das behaftet, was vorher in der EAA war.

Das war gerade der Grund, warum vorher die Abwicklungsanstalt gebildet worden ist und warum die ersten Portfolien übertragen worden sind. Das heißt, alles, was schwierig bzw. strategisch nicht notwendig war, befand sich in der EAA. Das, was jetzt hineinkommt, war nach diesen Kriterien im ersten Schritt überhaupt nicht reif für die EAA, und ist nur da, weil die WestLB aufgelöst worden ist.

Es hat eine marktübliche Prüfung stattgefunden. Dazu wurden Verhandlungen zwischen der EAA und den übrigen Beteiligten geführt. Dass es dabei auch unterschiedliche Positionen und Diskussionsbedarf gegeben hat, ist überhaupt keine Frage. Aber festzuhalten ist das Ergebnis, das am Ende von allen Beteiligten einvernehmlich erzielt wurde. Die Frage, ob unter Umständen die EAA am Anfang eine andere Position hatte, ist daher obsolet.

Der gemeinsamen Presseveröffentlichung der Eigentümer der früheren WestLB und der Beteiligten der EAA ist zu entnehmen, dass sämtliche Verhandlungsparteien durch konstruktive Beiträge daran mitgewirkt haben, eine Einigung zu offenen Fragen zu erzielen.

Jetzt zur Frage, ob die Eigenkapitalausstattung nach aktuellen Prognosen bis zum Ende des Planungszeitraums 2027 ausreicht.

Die Abwicklung des übernommenen Risikovermögens erfolgt nach Maßgabe des Abwicklungsplans, der quartalsweise und jährlich von der EAA auf Anpassungsbedarf überprüft wird. Wenn es einer Anpassung bedarf, ist sie vom Vorstand der EAA auf Grundlage eines Beschlusses des Verwaltungsrates rechtzeitig bei der FMSA zu beantragen. Erst mit ihrer Zustimmung wird die Anpassung wirksam.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der erfolgten Nachbefüllung werden jetzt bei der EAA die Daten neu aufbereitet und Maßnahmen zur wirtschaftlichen Optimierung der Abwicklung in Betracht gezogen. Das umfasst auch die Eigenkapitalentwicklung und im Übrigen auch die Möglichkeit einer Unterstützung Ihrerseits, mit darauf hinzuwirken, dass der Bund das Bundesrating für die EAA ermöglicht. Denn der Bund ist Mitgarant bei der EAA. Wenn die EAA das Bundesrating bekommen würde, würde sie um einen dreistelligen Millionenbetrag entlastet. Es wäre nicht schlecht, das innerhalb der schwarz-gelben Koalition in Berlin und an den Bundesfinanzminister zu kommunizieren.

Im Sommer 2012 wurde die Haftungskaskade der Ersten Abwicklungsanstalt geändert, weil wir gesagt haben: Der Betrag von 100 Milliarden €, der übertragen wird, ist nicht toxisch, aber er muss ein Stück weit mit zusätzlichem Kapital unterlegt werden. Das ist erfolgt, weil die EAA erwartete Verluste von rund 480 Millionen € dargestellt hat. Das Ergebnis der Verhandlungen war: Davon hat der Bund 330 Millionen € von der 1 Milliarde €, die er von der WestLB auf die EAA übertragen hat, quasi als eigenkapitalgleiches Kapital dargestellt. Und es gab 150 Millionen € von den Sparkassen und dem Land. Das haben wir hier gemeinsam beschlossen. Das Land trägt genau genommen 72,5 Millionen € bei, weil auch die Landschaftsverbände beteiligt sind.

Aus dem Statut der EAA ergibt sich, dass die Erste Abwicklungsanstalt regelmäßig im Rahmen der Überprüfung des Abwicklungsplans auf einen eventuellen Anpassungsbedarf auch Maßnahmen zur wirtschaftlichen Optimierung der Abwicklung in Betracht zieht. Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand wird das vorhandene Eigenkapital der Ersten Abwicklungsanstalt zusammen mit der Haftungskaskade der Ersten Abwicklungsanstalt, die ich eben beschrieben habe – es gibt das noch vorhandene Eigenkapital, die 330 Millionen € vom Bund, die 150 Millionen € vom Land und weiterhin die Garantien, die der EAA gewährt sind –, nicht nur ausreichen. Vielmehr waren bislang die Prognosen der EAA immer so, dass am Ende des Planungszeitraums 2027 eher ein Überschuss zu erwarten ist. Das genau vorherzusagen, ist allerdings bezogen auf einen Planungshorizont bis 2027 immer schwer.

Ich füge hinzu: Das Polster war schon mal dicker. Denn im vergangenen Jahr hat sich natürlich der Euro-Raum etwas anders als in diesem Jahr gezeigt. Aber bislang hat es keinen Anlass gegeben, davon auszugehen, dass aus dieser Abwicklung noch etwas über den gebildeten Topf hinaus herausschwappt und den Steuerzahler zusätzlich in Mitleidenschaft ziehen würde.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Witzel hat eine Frage. Bitte.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte zunächst einmal dem Finanzminister, Herrn Dr. Walter-Borjans, für die ausführliche Beantwortung danken. Ich sichere Ihnen zu, dass wir den Hinweis, den Sie uns zum Rating der EAA gegeben haben, durchaus aufgreifen und prüfen werden.

Dennoch ergibt sich für mich aufgrund Ihrer Beantwortung eine Frage. Denn ich gehe davon aus, dass Ihnen regelmäßig aktualisierte Abwicklungspläne für das WestLB-Erbe vorliegen. In Marktkreisen ist zu hören, dass es bezüglich der ökonomischen Erwartungen im Laufe der Jahre zur Verschlechterung gekommen sei und dementsprechend evidente Risiken aus dem Restrukturierungsprozess vorhanden sein sollen.

Sie haben eben selbst auf die Entwicklung in Peripheriestaaten und die Auswirkung auf die Wertigkeit der Papiere am Beispiel Griechenlands hingewiesen. Es gibt auch Papiere aus anderen Peripheriestaaten, die noch nicht in diesem Griechenlandschnitt inbegriffen waren.

Deshalb möchte ich Sie fragen: Wie genau haben sich die ökonomischen Erwartungen, also die Aussichten und Risiken, in den unterschiedlichen Abwicklungsplänen über die Jahre insgesamt entwickelt und insbesondere auch mit Blick auf die Nachbefüllung verändert? Was ist die Veränderung bei dem Expected Loss, der eigentlich die Risikogröße für die Ausfallrisiken im Kreditgeschäft ist?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann Ihnen jetzt konkrete einzelne Zahlen nicht nennen. Ich bin gerne bereit, auch noch einmal aufzulisten, wie sich das über die Zeit mit den überprüften Abwicklungsplänen ergeben hat.

Ich kann Ihnen jetzt sagen, dass alle Beteiligten zum Zeitpunkt der Eckpunktevereinbarung zur WestLB in der Mitte des Jahres 2011 übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass im Jahre 2027 die Erste Abwicklungsanstalt einen Überschuss haben würde, der zu den damaligen Bewertungen deutlich noch über 1 Milliarde gelegen hat.

Wir waren uns immer im Klaren darüber, dass man jetzt nicht mit diesem Geld schon wieder planen konnte, sondern dass das nur eine beruhigende Wirkung hatte, dass man weiß, der Puffer ist gegeben aus dem Eigenkapital und aus den eigenkapitalgleichen Sicherheiten innerhalb der EAA, sodass man sagen konnte: Damit werdet ihr klarkommen.

Das hat sich durch die Entwicklung in Griechenland verändert. Da muss man heute auch ganz klar sagen: Ich kann Ihnen nicht prognostizieren, was in der Eurozone, was in der Europäischen Union in den nächsten anderthalb Jahrzehnten passieren wird.

Das, was da passieren wird, ist aber auch völlig unabhängig von der Konstruktion, die wir gewählt haben. Das wäre mit einer weiter bestehenden WestLB und in anderen Landesbanken und in anderen Banken genau dasselbe, wie es jetzt mit der Konstruktion der EAA ist.

Die Risiken, die dort liegen und die im Falle des GAU, den Sie vielleicht gerne beschrieben haben möchten, natürlich Risiken sind, die uns alle treffen, kann ich jetzt wirklich nicht anders prognostizieren, als das immer mit den auch von der FMSA gebilligten Prognosen der EAA gemacht worden ist. Diese 1 bis 1,5 Milliarden ungefähr zur Mitte des Jahres 2011 sind durch die Ereignisse im Folgezeitraum abgeschmolzen. Sie sind kleiner. Sie sind aber nach wie vor nach dem letzten Kenntnisstand, den ich habe, noch positiv. Das ist das eine.

Das Zweite ist, dass die Zusatzbefüllung in Höhe von 100 Milliarden €, eben berechnet von der EAA, mit 480 Millionen € an Ausfallrisiko gegenfinanziert worden ist. Das mag bei diesem Riesenbetrag von 100 Milliarden schon zeigen, dass die EAA in ihren Berechnungen davon ausgegangen ist, dass die so gut wie verlustfrei abzuwickeln sind, weil 480 Millionen € bei 100 Milliarden € nun wirklich nicht ein hoher Prozentsatz sind.

Die sind dann auch dargestellt worden. Die sind wieder mit eingebracht worden. Das ist der gegenwärtige Stand.

Es ist allerdings so, dass im Augenblick die EAA wieder in der Bewertung ist und dass wir abwarten müssen, wie sich jetzt diese neue Bewertung auf den weiteren Abwicklungsplan niederschlägt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Witzel hat eine zweite Frage. Bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, ich habe volles Verständnis dafür, dass Sie jetzt nicht alle Zahlen auswendig präsent haben, wie sich die Papiere für Peripheriestaaten in der Prognose entwickelt haben und was das für den Expected Loss bedeutet, kumuliert auch über die Zeiträume.

Sie haben aber zu Beginn dieser Fragerunde dankenswerterweise angeboten, dass Sie uns die entsprechenden Zahlen noch zur Verfügung stellen wollen. Deshalb wollte ich Sie fragen: Habe ich Sie dahin gehend richtig verstanden – weil Sie das ja nachliefern wollten –, dass Sie bereit sind, den Landtagsabgeordneten wenigstens im HFA die Abwicklungspläne der jeweiligen Jahre WestLB zur Verfügung zu stellen, woraus eben auch die Entwicklungen der prognostizierten Werte und der Risiken und der Expected Loss hervorgehen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann Ihnen zusagen, dass ich über das, was ohne Risiko für diesen Abwicklungsplan öffentlich mitzuteilen ist bzw. auch in einem geschlossenen Kreis des HFA mitzuteilen ist, gerne Bericht erstatte.

Auf der anderen Seite: Ich habe gerade in den letzten Monaten immer wieder erlebt, wie aus Zahlen Informationen geworden sind, die das Abwicklungsgeschäft sowohl auf der Seite von Portigon als auch auf der Seite der Abwicklungsanstalt nicht vereinfachen, sondern erschweren. Deswegen sehen Sie es mir bitte nach, dass ich mir die Informationen dazu noch einmal im Einzelnen angucke.

Aber ich glaube schon, dass man Ihnen darstellen kann, dass es ausgehend von 2011, wo es vor den Turbulenzen im Euroraum zugegebenermaßen ein größeres Polster gab, bis heute eine Veränderung gegeben hat, aber dass wir in einem Bereich sind, in dem die Erste Abwicklungsanstalt davon ausgeht, dass das Konstrukt, so wie es da ist – im Übrigen ein Konstrukt, das Sie damals ja selbst in der Regierung gebildet haben –, trägt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Frau Kollegin Schmitz hat eine Frage. Bitte schön, Frau Schmitz.

Ingola Schmitz (FDP): Sehr geehrter Herr Minister, erlauben Sie mir die folgende Nachfrage. Die aktuelle mittelfristige Finanzplanung sieht bis Ende 2015 noch neue WestLB-Lasten für den Landeshaushalt von 1,5 Milliarden € vor. Fraglich ist, ob diese Aufwendungen bis dahin ausreichen. Gehen Sie davon aus, dass die 1,5 Milliarden € bis 2015 ausreichend sind? Oder ist absehbar mit einer Änderung der mittelfristigen Finanzplanung in diesem Punkt zu rechnen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nein, es ist nicht damit zu rechnen.

Allerdings sage ich Ihnen auch genau voraus, dass das nicht das Ende der Fahnenstange ist, sondern dass dann, wenn wir jetzt die nächste mittelfristige Finanzplanung in Richtung 2016 vervollständigen, natürlich auch dabei noch Lasten sind.

Aber wir sollten, bevor Sie das jetzt mit dem Thema „WestLB“ in Verbindung bringen, noch einmal deutlich machen, worum es sich da handelt. Es handelt sich um Phoenix. Es handelt sich um einen Teil, um 23 Milliarden € der 77 Milliarden €, die in der ersten Stufe auf die Abwicklungsanstalt übertragen worden sind. Damals war klar: Die 23 Milliarden € sind wirklich die Portfolien, die man als toxisch oder als Schrott bezeichnen konnte und bei denen man davon ausgehen musste, dass ein erheblicher Anteil davon verlorengehen würde.

Deswegen haben damals das Land, die Landschaftsverbände und die Sparkassen eine Garantiesumme von 5 Milliarden € verabredet – ich habe es heute Morgen schon einmal gesagt –, interessanterweise von der schwarz-gelben Koalition so verabredet, dass die Sparkassen von den 5 Milliarden € 1 Milliarde € zu tragen haben, dass das Land rund 3,6 Milliarden € zu tragen hat und die Landschaftsverbände rund 400 Millionen €.

Dafür hat mein Vorgänger Helmut Linssen eine Vorsorge in Höhe von etwas mehr als 1 Milliarde € getroffen, obwohl alle Prognosen sagen: Diese 5 Milliarden € werden aller Voraussicht nach ziehen, die werden in Anspruch genommen.

Jetzt mindert sich langsam der Puffer. Wir wollten ihn im Nachtrag 2010 erhöhen, vergrößern. Das war nicht möglich. Und das bedeutet, dass diese Ausfälle in den nächsten Jahren kommen werden.

Nach den gegenwärtigen Berechnungen, die wir von PIMCO haben – auch das sind natürlich immer Prognosewerte –, ist damit zu rechnen, dass wir 2014 um etwa 900 Millionen € über den Puffer, der damals gebildet worden ist, hinausgehen müssen. Er reicht noch 2012 und 2013, aber 2014 wird er mit 900 Millionen € und 2015 nach gegenwärtigem Stand mit ungefähr 650 Millionen € zu Buche schlagen. Es wird auch 2016 noch einmal eine Tranche geben. Von diesen 3,6 Milliarden €, die das Land übernommen hat, werden nach den Berechnungen von PIMCO über die 1 Milliarde € hinaus, die damals in die Vorsorge gelegt worden ist, die anderen 2,6 Milliarden € irgendwann in den nächsten Jahren fällig.

Ich würde mir sehr wünschen, dass sich das weiter streckt und in der Größe nicht realisiert. Bislang aber sagen alle Experten: Diese Größenordnung wird sich möglicherweise am Anfang etwas abmildern und strecken, aber die Bugwelle schiebt sich zusammen, und es wird dann eben umso größer zu Buche schlagen.

Das hätte ich 2010 gern ein Stück vorweg abgemildert. Das war nicht möglich. Jetzt wird es in den nächsten Jahren Teil der mittelfristigen Finanzplanung und auch so ausgewiesen sein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Herr Dr. Stamp hat eine Frage. Bitte schön, Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Minister, bisheriger öffentlicher Kenntnisstand ist gewesen, dass die EAA für vier Jahre über einen Kooperationsvertrag der Portigon AG deren Dienstleistungen als Portfolioverwalter abnimmt und so dort für geschäftliche Auslastung sorgt. Die aktuelle Homepage der EAA spricht nun nur noch von drei Jahren. Warum hat es da Änderungen gegeben?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das war ein Vertrag, der ursprünglich von 2010 bis 2014 gelten sollte. Er ist jetzt erneuert worden und gilt bis zum Jahre 2016. Das hat damit zu tun, dass sich 2016 Veränderungen in der Eigentümerkonstellation ergeben, was Portigon angeht. Deswegen ist die Vertragszeit bis 2016 ausgedehnt worden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön. – Herr Kollege Wedel hat eine Frage. Bitte schön.

Dirk Wedel (FDP): Herr Minister, ich möchte auf das im Anfragetext wiedergegebene Zitat der EAA-Homepage zurückkommen. Die EAA sagt dort aus, dass sie im Zusammenhang mit der Nachbefüllung nur Lösungsvorschläge anbieten konnte, die Entscheidungen aber letztlich von den Eigentümern getroffen worden sind. Daran schließt sich für mich die Frage an: In welchen einzelnen Punkten sind die Eigentümer von den Lösungsvorschlägen der EAA oder von deren Bewertungsfragen abgewichen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Die Eigentümer haben der EAA nichts oktroyiert, sondern es hat – immer zusammen mit der EAA – immer Verhandlungen zu diesen Fragen gegeben, die die EAA betrafen. An einer Reihe dieser Gespräche habe ich teilgenommen. Dabei hat es – ich habe es eben gesagt – natürlich Verhandlungen gegeben, weil natürlich auch eine EAA versucht, den Rahmen für ihr Handeln möglichst günstig auszulegen bzw. zu gestalten. Dazu hat es ein einvernehmliches Ergebnis gegeben, das wir am Schluss dann auch gemeinsam als solches präsentiert haben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön. – Herr Dr. Stamp hat das Wort zu einer zweiten und letzten Frage. Bitte.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Minister, ich habe noch eine Frage. Durch die Nachbefüllung der EAA im Sommer 2012 mit der zweiten Tranche der WestLB hat sich die Zusammensetzung des Abwicklungsportfolios bei der EAA geändert. Wie haben sich durch die Nachbefüllung die Qualität des Portfolios und die Spreizung zwischen guten und schlechten Risiken verändert?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das habe ich eben schon gesagt. Die EAA besteht im Prinzip aus drei Tranchen. Die erste Tranche bestand aus den Phoenix-Portfolien. Es handelte sich um die 23 Milliarden €, die schon vor der Bildung der EAA ausgegliedert worden sind und die gemeinhin als Schrott-Portfolien mit der Erwartung dargestellt werden, dass bei einem Volumen von ungefähr 23 Milliarden € am Ende 5 Milliarden € Verlust eingefahren werden. Das ist der Teil, von dem wir jetzt gerade eben – noch einmal bezogen auf die mittelfristige Finanzplanung – gesprochen haben.

Der zweite Teil von 54 Milliarden €, der zusammen bei Gründung der EAA mit den 23 Milliarden € die 77 Milliarden € ergeben hat – aus denen die EAA dann bestand –, war auch schon damals eindeutig besser bewertet. Schon damals ist gesagt worden, es handele sich ganz wesentlich noch einmal um eine Nachbefüllung zwischenzeitlich als schwacher oder toxischer Portfolien erkannter Werte, gleichzeitig aber auch um Werte, die aus dem Grund ausgegliedert wurden, strategisch nicht notwendig zu sein, und nicht erwarten ließen, dass man nur mit Verlust verkaufen kann, sondern die schlicht und ergreifend nicht mehr zu dem Restgeschäft der WestLB gehören sollten.

Damit war die Abspaltung alles Problematischen erfolgt. Die 100 Milliarden €, die jetzt zu den von den ersten 77 Milliarden € noch verbliebenen 50 Milliarden € dazukommen, sind nicht aus Gründen irgendeines toxischen Gehalts oder irgendeines übergroßen Risikos ausgegliedert worden, sondern weil die Portigon kein Bankgeschäft mehr zu betreiben hat und weil alles, was nicht Verbundgeschäft ist und auf die Helaba übertragen wurde, und alles, was nicht verkauft wurde, absprachegemäß auf die EAA übertragen wurde und jetzt von der EAA vermarktet bzw. abgewickelt wird. Da ist gemeinhin die Überzeugung gewesen, dass die 100 Milliarden € mit einer Unterlegung von 480 Millionen € ausreichend abgesichert sind.

Das mag zeigen, für wie sicher bzw. risikoarm man diese Portfolien hält. Allerdings bleibt auch das immer eine Frage von Unsicherheit. Das wird sich in den nächsten Jahren noch ändern. Dann werden wir sehen, was auf den Märkten passiert. Dazu muss man aber immer wieder sagen: Das wären auch die Risiken gewesen, wenn die WestLB weiter bestanden hätte. Sie sind übertragen worden, und sie sind nach gegenwärtiger Rechnung mit 480 Millionen € ausreichend unterlegt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Der Fragesteller stellt seine dritte und letzte Frage. Bitte, Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. Auch vielen Dank, Herr Finanzminister, für Ihre bisherigen Antworten. – Sie haben zwei sehr richtige Dinge gesagt, die ich auch hier für die parlamentarische Debatte sehr wichtig finde und die wir auch gar nicht bestreiten. Dabei geht es erstens um die Konstruktion an sich der Bad Bank EAA. Das kommt ja auch noch aus schwarz-gelber Regierungszeit; wir haben das nicht zu kritisieren.

Sie haben ein Zweites gesagt, was sehr richtig ist, nämlich dass es eine ganz beachtliche Herausforderung ist, im Rahmen der Nachbefüllung ein weiteres Portfolio von 100 Milliarden € Nominalwert mit nur wenigen 100 Millionen € als Kapitalausstattung und Puffer abzubauen.

Deshalb möchte ich meine letzte Nachfrage zu dem Komplex stellen, weil der Zwischenbericht der EAA zum 30. Juni 2012 erschienen ist. Ab Seite 11 wird im Teil Risikobericht und Kreditrisiken darauf hingewiesen, dass ein signifikanter Teil auch in mittleren oder unteren Ratingklassen liegt. Dazu möchte ich Sie fragen, ob es von der Inanspruchnahme des Eigenkapitals, das von der EAA zum 30.06. mit 600 Millionen € ausgewiesen ist, bislang weitere Aufzehrungen gegeben hat oder sich Verluste durch bilanzielle Maßnahmen bei der EAA-Vorsorge für Liquiditätsnotwendigkeiten neu ergeben können.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nein, die sind mir nicht bekannt. Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, dass die EAA gerade wieder dabei ist, den Abwicklungsplan zu aktualisieren und dann das Verfahren einzuhalten, das ich eben beschrieben habe. Es wird am Ende auch der FMSA wieder vorgelegt, und dann werden wir wieder genau wissen, wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Situation aussieht. Ansonsten kann ich nur dabei bleiben, dass sich das Verfahren und auch die Abwicklung im Rahmen des Erwarteten gehalten haben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Walter-Borjans. – Ich habe keine weitere Frage zur Mündlichen Anfrage 5 vorliegen.

Ich rufe auf die

Mündliche Anfrage 6

der Abgeordneten Ingola Schmitz, FDP-Fraktion:

Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse einer Studie, wonach stärkere Verbindlichkeit der Grundschulempfehlungen offenbar Ungleichheiten aufgrund der sozialen Herkunft im nordrhein-westfälischen Schulsystem entgegenwirkt hat?

In der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie wurde unlängst der Artikel „Verbindliche und unverbindliche Grundschulempfehlungen und soziale Ungleichheiten am ersten Bildungsübergang“ veröffentlicht. In der zugrundeliegenden Studie hat Dr. Jörg Dollmann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung an der Universität Mannheim eine Analyse der Übergänge von Kölner Grundschulen an weiterführende Schulen vor und nach der Einführung einer stärkeren Verbindlichkeit der Grundschulempfehlungen im Jahr 2006 durchgeführt. Die Ergebnisse liefern Hinweise darauf, dass durch eine stärkere Verbindlichkeit der Grundschulempfehlungen soziale Ungleichheiten einen geringeren Stellenwert beim Übergang in die weiterführenden Schulen einnehmen.

Die Studie verweist einerseits auf den bekannten Effekt, dass Familien mit einem „höheren Status“ im Sinne des Bildungsabschlusses eine verstärkte Zugangsmöglichkeit durch entsprechende Empfehlungen „für eine anspruchsvollere Schulart“ erhalten. Andererseits werden die Ergebnisse von Untersuchungen angeführt, wonach „die Bildungsentscheidungen der Eltern noch deutlicher von der sozialen Schicht abhängen als die Übergangsempfehlungen der Lehrkräfte, da letztere stärker an den Leistungen der Kinder orientiert sind“. Dollmann führt an anderer Stelle aus, es könne davon ausgegangen werden, dass die Bedeutung der schulischen Leistungen bei verbindlichen Übergangsregelungen zunähmen und unrealistische Bildungsaspirationen der Eltern an Einfluss verlören. Tatsächlich scheinen die vorliegenden Daten diese Einschätzung zu stützen. Dies scheint sich jedoch nicht nur bezüglich hoher familiärer Bildungsaspirationen im Verhältnis zur Leistung widerzuspiegeln. Dollmann erklärt darüber hinaus: „Grundsätzlich andere Ergebnisse zeigen sich für Kinder, bei denen der Hauptschulabschluss der höchste erreichte Schulabschluss in der Familie darstellt. Diese Kinder weisen in einem Kontext mit einer unverbindlichen Regelung gerade bei überdurchschnittlichen Leistungen deutliche geringere Übergangswahrscheinlichkeiten auf das Gymnasium auf, als das in einem verbindlichen Kontext der Fall ist. Durch eine verbindliche Regelung werden leistungsstarke Kinder aus bildungsfernen Schichten eher zum Gymnasium hingezogen, obwohl in einem verbindlichen Kontext eine Abweichung von der Bildungsempfehlung nach „unten“ weiterhin problemlos möglich wäre.“ Auch kommt Dollmann zu dem Schluss, dass in einem verbindlichen Kontext objektive Entscheidungskriterien (schulische Leistungen) zunehmen, elterliche Bildungsaspirationen durch verbindliches Lehrerurteil reduziert werden.

Abschließend kommt Dollmann zu folgender Bewertung: „Ein verbindliches Lehrerurteil reduziert den Einfluss der sozialen Herkunft auf das Übergangsverhalten am Ende der Grundschulzeit. Dieser, den schichtspezifischen Aspirationen entgegenwirkende Effekt findet sich bei den Kindern, die zwischen der Realschule und dem Gymnasium wählen. Für diesen Kontrast kann gezeigt werden, dass sich der Einfluss sekundärer Herkunftseffekte je nach Vergleich der Herkunftsgruppen vollständig reduziert. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Leistungen bei der Frage nach der besuchten Schulform in der Sekundarstufe an Bedeutung gewinnen, während die spezifischen Aspirationen der verschiedenen Bildungsgruppen ausgehebelt werden. Dieser Befund und insbesondere die positive Wirkung einer verbindlichen – und damit einer eventuell ermutigenden – Übergangsempfehlung auf Kinder aus den unteren sozialen Schichten deutet darauf hin, dass ein verbindliches Lehrerurteil ein Instrument darstellen könnte, um den Einfluss der sozialen Herkunft auf den Schulerfolg zu reduzieren.“ Die vorliegende Untersuchung würde letztlich bedeuten, dass die Abschaffung jeglicher Verbindlichkeit von Grundschulempfehlungen besonders Schülern aus Familien mit „niedrigerem Status“ schadet und Rot-Grün, statt einer verstärkten Leistungsorientierung durch eine Lehrereinschätzung, eher die soziale Ungleichheit im Bildungssystem befördert.

Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse einer Studie, wonach stärkere Verbindlichkeit der Grundschulempfehlungen offenbar Ungleichheiten aufgrund der sozialen Herkunft im nordrhein-westfälischen Schulsystem entgegenwirkt hat?

Für die Beantwortung ist die Schulministerin zuständig. Bitte schön, Frau Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Abgeordnete! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die von Ihnen erwähnte Studie wurde bereits im November des letzten Jahres veröffentlicht. Sie ist daher nicht unlängst erschienen. Die geschilderten Erkenntnisse sind nicht neu. Bereits 2010 wurde über vergleichbare wissenschaftliche Befunde berichtet.

Prof. Baumert hat in einer Veröffentlichung „Bildungsentscheidungen und soziale Ungleichheit“ auf folgenden Zusammenhang hingewiesen. Ich zitiere:

„So zeigten sich für alle Schülerinnen und Schüler geringere Chancen, auf das Gymnasium zu wechseln, sofern sie in Bundesländern leben, in denen die Empfehlung bindend ist – und zwar unabhängig von der erhaltenen Übergangsempfehlung. Das heißt, orientiert man sich an den Befunden in den vorgestellten Modellen, wechseln in Bundesländern mit bindenden Empfehlungen insgesamt weniger Schüler auf das Gymnasium – unabhängig von der Empfehlung und unabhängig von dem sozioökonomischen Hintergrund der Schülerinnen und Schüler.“

Ich zitiere weiter:

„Doch auch wenn die Befunde andeuten, dass soziale Disparitäten in Ländern mit freigegebenem Elternwillen verstärkt werden, darf nicht vernachlässigt werden, dass die sozialen Disparitäten in der Bildungsbeteiligung insgesamt in Bundesländern mit bindenden Empfehlungen deutlich stärker ausgeprägt sind als in Bundesländern, in denen Eltern frei entscheiden können.“

Die Studie von Dr. Dollmann führt im Übrigen aus, dass unklar sei, ob ein optimistischeres Übergangsverhalten der unteren sozialen Schichten in Verbindung mit einer verbindlichen Regelung auch dauerhaft bestehen bleiben würde. Er berücksichtigt nicht die in Nordrhein-Westfalen beschlossenen Änderungen des Übergangsverfahrens.

Deshalb ist der von Ihnen, verehrte Frau Schmitz, gezogene Schluss schlichtweg falsch, dass – ich zitiere –

„die Abschaffung jeglicher Verbindlichkeit von Grundschulempfehlungen besonders Schülern aus Familien mit ‚niedrigem Status‘ schadet und Rot-Grün, statt einer verstärkten Leistungsorientierung durch eine Lehrereinschätzung, eher die soziale Ungleichheit im Bildungssystem fördert.“

Bereits im Zusammenhang mit der parlamentarischen Diskussion um die Aufhebung der Verbindlichkeit ist über die hohe Qualität der Grundschulempfehlung ausgiebig diskutiert worden.

Aber bei aller Wertschätzung für die Arbeit in den Grundschulen bleibt doch auch die Erkenntnis, dass die Lehrerinnen und Lehrer zum Übergangszeitpunkt eine verlässliche Prognose kaum abgeben können.

Dr. Rösner hat in der Anhörung, die damals stattgefunden hat und deren Nachlesen sich wirklich lohnt, von staatlich verordneter Hellseherei gesprochen, weil Begabung ja nicht statisch ist. Damit fehlt für die Verbindlichkeit jede Rechtfertigung. Wenn die Schule in das Elternrecht auf freie Schulwahl eingreift, muss sie dazu auch durch valide Daten legitimiert sein. Staatliche Bevormundung kann nicht die Antwort sein, wenn wir sicher wissen, dass wir eine Prognosegenauigkeit gar nicht garantieren können.

Wir reden im Übrigen nicht darüber, dass die Grundschulempfehlung keine Bedeutung mehr hat. Insgesamt ist auch nach Aufhebung der Verbindlichkeit die Grundschulempfehlung eine wichtige Orientierung für die Eltern. Den Eltern wird in hohem Maße vertraut, und sie folgen auch weitgehend der Grundschulempfehlung, und es kommt zu einem einvernehmlichen Entscheidungsprozess, zumindest überwiegend. Insofern haben die Empfehlungen weiterhin einen Steuerungscharakter.

Die Konsequenz aus den wissenschaftlichen Studien kann deshalb keineswegs sein, erneut in das Elternrecht einzugreifen. Damit würden doch die sozialen Ungerechtigkeiten nicht wirklich beseitigt. Wir wissen nicht einmal, ob sie dadurch verringert werden. Die Erhöhung sozialer Gerechtigkeit im Bildungswesen können wir nur erreichen, wenn wir eine frühe Festlegung vermeiden und die Bildungswege für die Kinder möglichst lange offen halten.

Die Entscheidung der Landesregierung für ein längeres gemeinsames Lernen in Sekundarschulen oder Schulen im Schulversuch PRIMUS weisen in diese Richtung. Bereits jetzt wechseln viele Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Schichten in Nordrhein-Westfalen in die Gesamtschule und legen dort erfolgreich das Abitur ab. Die Gründung neuer Gesamt- und Sekundarschulen ist also der richtige Weg.

Meine Damen und Herren, es bleibt unser Auftrag, die sozialen Ungerechtigkeiten in unserem Schulsystem zu mildern. Die Antwort auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der von Ihnen zitierten Studie muss deshalb sein, die demografischen und bildungspolitischen Herausforderungen anzunehmen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass vor Ort flexible Lösungen gefunden werden können, die allen Schülerinnen und Schülern gute Bildungschancen eröffnen. Das setzt auf die durchgehende individuelle Förderung in allen Schulformen und allen Schulstufen. Ich lade Sie deshalb herzlich ein, den gemeinsamen Weg des Schulkonsenses in Nordrhein-Westfalen mitzugehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin Löhrmann. – Frau Kollegin Schmitz hat dazu eine Frage. Bitte schön.

Ingola Schmitz (FDP): Sehr geehrte Frau Ministerin, zunächst einmal vielen Dank für die ausführliche Beantwortung. Dennoch habe ich eine Nachfrage; denn nach dem gegenwärtigen Verfahren findet eine Beratung der Eltern durch Lehrer statt. Warum sollte aus Ihrer Sicht eine vollkommen unverbindliche Empfehlung inhaltlich hilfreicher bzw. präziser sein, als wenn es sich um eine zuvor verbindlichere Empfehlung der identischen Lehrkraft gehandelt hat?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Kollegin Schmitz, ich habe schon ausgeführt, dass wir die Rückmeldung haben, dass es richtig ist und angenommen wird, dass die Lehrerinnen und Lehrer den Eltern eine Empfehlung, eine Übergangsempfehlung geben – in Nordrhein-Westfalen kann es auch mehrere Übergangsempfehlungen geben –, dass aber die Eltern das abschließende Entscheidungsrecht haben.

Ich will darauf hinweisen, dass das Land Niedersachsen mit anderer Regierungsfarbkonstellation im Übrigen genau das gleiche Verfahren anwendet. Es gibt eine interessante Studie von Prof. Bellenberg zu den Auf- und Abstiegen sowie zu der Durchlässigkeit im Bildungssystem, die in der letzten Woche vorgestellt worden ist. Ich hatte das Vergnügen, am Samstag mit Frau Prof. Bellenberg darüber zu diskutieren. Sie hat auf die interessante Beobachtung hingewiesen, dass das Abschulen von Kindern nicht etwa stattfinden würde, wenn der Empfehlung nicht gefolgt worden ist, sondern wenn Kinder eine Empfehlung für das Gymnasium haben und trotzdem die Schullaufbahn am Gymnasium nicht schaffen.

Das, was Sie fordern, nämlich den Eltern das Recht zu nehmen, würde mitnichten das Problem aus unserer Sicht lösen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Herr Kollege Witzel hat eine Frage. Bitte schön, Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Löhrmann, ich habe in den letzten Jahren viele Bildungsdebatten in diesem Hause verfolgt und dabei wahrnehmen dürfen, dass in der Vergangenheit insbesondere auch von den Grünen und von Ihnen immer wieder auf einen vermeintlich zu hohen Leistungsdruck in der Schule hingewiesen wurde, verbunden mit dem Phänomen, das statistisch jedenfalls stimmt, steigender Zugriff auf Nachhilfeunterricht. Kann es aus Ihrer Sicht deshalb für eine Bewertung der Situation nicht gerade auch sinnvoll sein, den Zusammenhang des gerade genannten Phänomens auszuleuchten mit unrealistischen Bildungsaspirationen, die auch in Elternhäusern bestehen, wo von Kindern Dinge erwartet werden, die sie von ihrem objektiven Leistungsvermögen her nur nach Elternehrgeiz so gar nicht leisten können?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Ich kann es noch einmal wiederholen. Das zielt noch einmal auf die Grundsatzfrage, dass Sie, Herr Witzel, meinen, wir müssten in das Elternrecht eingreifen und sollten den Lehrern die abschließende Entscheidung zubilligen. Diese Einschätzung hat die Landesregierung nicht, und die Koalition hat diese Einschätzung auch nicht. Deswegen hat sie das Gesetz entsprechend geändert, wie viele andere Länder im Übrigen auch. Uns erreichen zu dieser geänderten Herangehensweise auch keine kritischen Rückmeldungen.

Es kommt darauf an, alle Kinder entsprechend ihrer Möglichkeiten, ihrer Talente und Begabungen und ihrer Leistungsfähigkeit optimal zu fördern, unabhängig davon, in welcher Schule sie sind. Wir wollen den Kindern beschämende Erhebungen ersparen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Herr Wedel hat noch eine Frage. Bitte schön, Herr Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Sehr geehrte Frau Ministerin, wie bewerten Sie generell die in der Studie getroffene Einschätzung, dass sich Pädagogen stärker an den Leistungen der Kinder orientieren, als dies bei einer Einschätzung der Eltern der Fall ist?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Ich habe ja eben ausgeführt, dass die von Ihnen zitierte Studie nicht die einzige ist, und habe die aus meiner Sicht sehr nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Baumert zitiert, der deutlich macht, dass die soziale Ungleichheit in Ländern, in denen eine größere Verbindlichkeit von Übergangsempfehlungen gegeben ist, die soziale Ungleichheit stärkt. Diese Landesregierung möchte die soziale Ungleichheit im Bildungsbereich abbauen und möchte, dass mehr Kinder zu guten Leistungen und zu guten Schulabschlüssen geführt werden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Frau Schmitz, die Fragestellerin, hat eine zweite Frage. Bitte schön.

Ingola Schmitz (FDP): Sehr geehrte Frau Ministerin, da auch die Empfehlungen für weiterführende Schulformen einen Einfluss auf das Verhältnis zwischen Auf- und Absteigern ausüben können: Wäre es möglich, an einigen Zahlen zu verdeutlichen, wie sich dieses Verhältnis in Nordrhein-Westfalen im letzten Jahrzehnt entwickelt hat?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Abgeordnete, das ist eine interessante Frage. Die ist auch letzte Woche in der Studie, die Frau Prof. Bellenberg für die Bertelsmann Stiftung erstellt hat, analysiert worden. Dort ist, wenn ich es richtig im Kopf habe, ausgeführt worden, dass sich in Nordrhein-Westfalen das Verhältnis von früher 1 zu 8 auf immerhin 1 zu 6 verbessert hat.

Das ist aber ein Wert, der diese Landesregierung immer noch nicht zufriedenstellt und uns veranlasst, weiter daran zu arbeiten. Das tun wir unter anderem, indem wir durch die Schulformen des längeren gemeinsamen Lernens diese Schicksalsentscheidung im Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule mindern und die Bildungswege für alle Kinder länger offen halten. Und die Eltern nehmen diese neuen Schulformen auch umfassend an, wie wir heute Morgen schon diskutiert haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Herr Witzel stellt seine zweite und letzte Frage hierzu.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Löhrmann, vielen Dank für Ihre erste Antwort. Daraus ergibt sich für mich eine Nachfrage.

Sie haben eben in Ihrer Beantwortung gesagt, dass es Ihr politisches Ziel ist, Kindern, insbesondere jungen Kindern, beschämende Ereignisse zu ersparen. Ich meine, so haben Sie es gerade formuliert.

Das Ziel, dass wir Kindern beschämende Ereignisse ersparen wollen, teilen wir wohl alle hier in diesem Hause. Ich möchte einen Punkt ansprechen, weil Sie auch auf die aktuellen Erkenntnisse von Frau Prof. Bellenberg rekurriert haben, was erfüllbare und nicht erfüllbare Bildungsaspirationen auch der Elternhäuser angeht. Wie soll es, wenn einfach auch bestimmte kognitive Voraussetzungen bei Kindern unterschiedlich aussehen, funktionieren, beschämende Ereignisse zu ersparen, wenn dies nicht mit der Bereitschaft verbunden ist, auf Qualität zu verzichten?

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Man kann immer auf beschämende Ereignisse verzichten, wenn man bereit ist, Qualitätsstandards abzusenken, und man auch bei Kindern, die nicht die erforderlichen Leistungen für bestimmte Bildungslaufbahnen erbringen, Abstriche machen. Das kann ja nicht das politische Ziel sein bei dem, was wir bildungspolitisch aufzuholen haben. Deshalb ist genau das meine Frage: Wie moderieren Sie den Prozess so, dass er ohne einen allzu großen Qualitätsverlust abläuft?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Witzel, die Bildungskonferenz hat sich sehr intensiv auch mit dieser Frage beschäftigt. Die FDP-Fraktion ist ja leider ausgestiegen. Wir haben in der Bildungskonferenz eine Empfehlung formuliert, die auch Eingang gefunden hat in die letzte Woche vom Schulausschuss verabschiedete allgemeine Prüfungsordnung für die Sekundarstufe I, dass wir nämlich, ohne ein formales Abschulungsverbot, wie das andernorts formuliert ist, die Verantwortung der jeweiligen Schule für die Kinder und Jugendlichen, die sie aufgenommen hat, stärken und die Schule dabei unterstützen, einen erfolgreichen Abschluss der Kinder und Jugendlichen sicherzustellen. Das ist nicht zwingend das Abitur, das ist auch nicht zwingend das Abitur am Gymnasium. Es geht um die Verantwortung für einen erfolgreichen Bildungsabschluss. Diese Zielsetzung haben wir in der Bildungskonferenz im Übrigen nicht einfach verordnet, sondern die ist entwickelt worden. Dieser Empfehlung haben auch der Philologenverband und die Schulleitungsvereinigung der Gymnasien zugestimmt. Sie haben diesen Auftrag also ausdrücklich angenommen.

Es gibt ein sehr interessantes Projekt, das die Landesregierung zusammen mit der Mercator-Stiftung initiiert hat, nämlich „Lernpotenziale. Individuell fördern am Gymnasium“. Es geht darum, den Auftrag, der im Schulgesetz steht, nämlich die individuelle Förderung, ernsthaft umzusetzen. Die Vorgängerregierung hat nicht wirklich Fürsorge getroffen, dass das auch stattfinden kann. Dieses Projekt ist von 142 Gymnasien freiwillig gewählt worden, um genau diesen Anspruch zu erfüllen. Wir sind uns hoffentlich einig darin, dass möglichst wenig Kinder zurückgestuft werden oder sitzen bleiben sollten; denn das ist Verschwendung von Lebenszeit der Kinder und auch von öffentlichen Ressourcen. Ich bin daher sehr erfreut, dass so viele Gymnasien an dieser wichtigen Entwicklung mitmachen. In anderen Schulformen ist das sozusagen Kernbestand der pädagogischen Arbeit und des pädagogischen Auftrags.

Die Leistungsentwicklung ist in Nordrhein-Westfalen durch Bildungsstandards gesichert, die wir in der KMK für die Grundschule, für den mittleren Bildungsabschluss und auch für das Abitur inzwischen entwickelt haben und die – wie es schon die rot-grüne Vorgängerregierung entschieden hat – in zentralen und teilzentralen Prüfungen berücksichtigt werden.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für eine weitere Frage erteile ich Herr Kollegen Wegner von der Piratenfraktion das Wort.

Olaf Wegner (PIRATEN): Wenn die Empfehlung nicht bindend ist, werden sich auf jeden Fall manche Eltern über die Empfehlung zum Beispiel für die Hauptschule oder das Gymnasium hinwegsetzen. Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob es bezogen auf das soziale Umfeld des Kindes bzw. die soziale Situation der Eltern Häufungen in die eine oder andere Richtung gibt, wenn sich Eltern über diese Empfehlung hinwegsetzen? Wenn ja, würden mich auch die Zahlen interessieren.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Kollege Wegner, ich beantworte die Frage gerne. Wir können genaue Zahlen aus der Studie von Prof. Bellenberg, die schon genannt worden ist, nachliefern. Diese Zahlen sind sehr interessant. Da werden auch bestimmte Parameter analysiert.

Wir wissen im Grunde seit der ersten PISA-Studie, dass Eltern aus sozial schwierigen Verhältnissen ihren Kindern manchmal nicht so viel zutrauen, wie sie wirklich können. Darin besteht ja die soziale Benachteiligung. Solche Kinder müssen, um eine bessere Empfehlung zu bekommen, häufig bessere Leistungen bringen als Kinder aus bessergestellten Elternhäusern, die eine höhere Bildungsaspiration haben, wie man das nennt. Deswegen ist es aus unserer Sicht richtig, die Eltern zu stärken und zu ermutigen, das gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern zu besprechen und den Kindern mehr zuzutrauen.

Dass es zu einem verstärkten Scheitern kommt, wenn Kindern mehr zugetraut wird, das ist nicht belegt. Ich hatte eben schon gesagt, dass es auch zu Abschulungen kommt, wenn es die Empfehlung genau für diese Schulform gegeben hat. Das zeigt noch mal, wie unsicher diese Prognosen sind. Wir müssen vor allem eines im Blick haben: dass man das Entwicklungspotential von acht- oder neunjährigen Kindern nicht verlässlich feststellen kann, weil Begabungen nicht statisch, sondern dynamisch sind. Etwa 50 % der Leistungsfähigkeit der Talente, der Begabungen, stehen fest und etwa 50 % sind durch lernfördernde Umgebungen beeinflussbar. Und daran müssen wir arbeiten.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die heutige Fragestunde. Wir haben alle vorliegenden Fragen abarbeiten können.

Wir treten direkt ein in den Tagesordnungspunkt

3   Gesetz zur Sicherung eines qualitativ hochwertigen und wohnungsnahen Grundschulangebots in Nordrhein-Westfalen (8. Schul­rechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/815


Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/1282

zweite Lesung

Ich eröffne die Beratung und erteile zunächst für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Hendricks das Wort.

Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es bereits relativ spät ist, freut es mich, dass wir heute die Verabschiedung des 8. Schulrechtsänderungsgesetzes im Landtag werden vornehmen können.

Das 8. Schulrechtsänderungsgesetz hat eine Vorgeschichte. Wir hatten es schon in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht. Aber auch das 8. Schulrechtsänderungsgesetz hat sich wegen der Auflösung des Landtages verzögert.

Gleichwohl haben wir in der letzten Woche die Anhörung zum 8. Schulrechtsänderungsgesetz durchgeführt. Man kann wohl unisono feststellen, dass es ein gutes Gesetz geworden ist, das hier heute die Zustimmung einer breiten Mehrheit – eine Zeitung hat getitelt „Große Koalition im Landtag“ – finden wird.

Ich glaube, es ist wichtig, mit einem Dank zu beginnen. Ich will mich bei all denjenigen bedanken, die mitgeholfen haben, dass wir das 8. Schul­rechtsänderungsgesetz auf den Weg bringen konnten. Zum einen handelt es sich dabei um die Mitarbeiter im Ministerium, zum anderen um die Parteien im Landtag, die gemeinsam aus dem Schulkonsens heraus entschieden haben, vor allen Dingen kleine Grundschulstandorte retten zu wollen, indem sie ihnen die Möglichkeit geben, ein wohnortnahes und – das ist uns wichtig – qualitativ hochwertiges Angebot vorzuhalten.

Der Dank geht aber auch an die Verbände. Wer die Presse heute gelesen hat, der konnte feststellen, dass der Verband Bildung und Erziehung darauf hinweist, dass sein Konzept „Kurze Beine, kurze Wege“ eingeflossen ist. Es ist immer so: Wenn man etwas auf den Weg bringt, was gut ist, hat es am Ende viele Väter und Mütter. Es ist auch gut, dass das so ist.

Die Anhörung hat auch große Zustimmung zum kommunalen Klassenrichtwert signalisiert, den wir einführen. Das ist übrigens ein neuer, innovativer Ansatz, der es den Kommunen ermöglicht, weitere Gestaltungsspielräume zu nutzen sowie sozialräumliche und pädagogische Erfordernisse in den Blick zu nehmen.

Darüber hinaus schaffen wir die Möglichkeit, kleine Grundschulen durch die Gründung von Grundschulverbänden zu erhalten. Sah das Gesetz ursprünglich noch die Notwendigkeit vor, dass nach fünf Jahren jahrgangsübergreifenden Unterrichts an Teilstandorten dieser auch am Hauptstandort erforderlich ist, haben wir nach der Anhörung eine Änderung vorgenommen. Danach ist das zwar nicht mehr erforderlich, wohl aber ein gemeinsames pädagogisches Konzept, weil die Schulen pädagogisch eine Einheit darstellen und sichergestellt sein muss, dass an beiden Standorten pädagogisch sinnvoll und verantwortlich von beiden Lehrerkollegien, die eigentlich eines sein sollten, gearbeitet werden kann.

Insgesamt glaube ich, dass wir mit diesem Gesetz den Kommunen bezogen auf die unterschiedlichen Ausgangslagen und zurückgehenden Schülerzahlen Instrumente an die Hand geben, kleine Standorte zu sichern. Wir werden mit dem Gesetz gleichzeitig die Möglichkeit eröffnen, in Ausnahmefällen Teilstandorte für Gesamtschulen zu schaffen. Auch damit geben wir den Kommunen größeren Gestaltungsspielraum.

Ausdrückliches Lob gab es darüber hinaus für die Änderung des § 20 Abs. 10 des Lehrerausbildungsgesetzes, der eine sinnvolle Übergangsregelung darstellt, um die zusätzlichen Bedarfe an Lehrerinnen und Lehrer mit sonderpädagogischer Lehrbefähigung in den Schulen decken zu können, die jetzt durch die Inklusion entstehen und die auch deshalb bestehen, weil – übrigens schon unter Schwarz-Gelb – nicht genug Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet worden sind.

In der Zwischenzeit ist die geplante Weiterqualifizierung auch bei den Lehrerinnen und Lehrern in der Schule angekommen. Ich kann Ihnen versichern: Bei uns gehen die ersten Anfragen ein, ob man sich jetzt bewerben kann und wann die Weiterqualifizierung möglich ist. Es scheint insbesondere bei Grundschullehrern ein großes Interesse zu geben, diese Qualifizierung für sich selber anzustreben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns, der rot-grünen Koalition, ist daran gelegen, schulrechtliche Änderungen im Konsens zu gestalten. Dazu ist der Dialog mit den Beteiligten wichtig. Anhörungen dienen diesem Dialog ebenso wie die Anregungen und Hinweise aus der Community – sowie aus anderen Parteien. Das sage ich hier nachdrücklich, weil wir an dieser Stelle den Konsens mit den anderen Parteien in diesem Hohen Hause weiterführen möchten.

Mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz stehen weitere Herausforderungen an. Ich würde mich freuen, wenn es uns auch beim 8. Schulrechtsänderungsgesetz gelingen würde, hervorragend zusammenzuarbeiten, und wir die Beratungen in diesem Hohen Hause ähnlich konstruktiv und gemeinsam auf den Weg bringen könnten.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir damit eine gute Regelung für Nordrhein-Westfalen geschaffen haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die CDU-Fraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Kaiser das Wort.

Klaus Kaiser*) (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des 8. Schulrechtsänderungsgesetzes beschließen wir den Teil des Schulkonsenses, der den Erhalt eines wohnortnahen Schulangebots betrifft. Dadurch wird den Kommunen Planungssicherheit ermöglicht, werden den Eltern verlässliche Informationen gegeben, wird den Kindern gemäß dem Prinzip „Kurze Beine, kurze Wege“ ein langer Schulweg erspart.

Wir schaffen den gesetzlichen Rahmen dafür, dass Grundschulen mit 92 oder mehr Schülerinnen und Schülern selbstständig weiter bestehen können. Durch die erhebliche Absenkung dieses Wertes wird eine große Anzahl von einzügigen Grundschulen abgesichert.

Mit der Schaffung der verbesserten Möglichkeit des Erhalts von Teilstandorten kann die Schule im Dorf bleiben. Wir begrüßen, dass von der ursprünglich verbindlich vorgesehenen Mindestzahl 46 begründete Ausnahmen möglich sind. Damit kann für Orte mit Geburtenzahlen von elf bis 13 Kindern pro Jahrgang der Bestand faktisch gesichert werden. Man muss dazusagen: Bei acht oder weniger Kindern pro Jahrgang wird es auf Dauer schwierig, einen eigenen Standort aufrechtzuerhalten. Diese Regelung schafft also Planungssicherheit. Wir können als Land guten Gewissens feststellen, dass ein wohnort­­nahes Schul-angebot garantiert wird.

Ein besonders wichtiges Anliegen war für uns die Regelung, die heute im Änderungsantrag vollzogen wird. Ich habe im Plenum und im Ausschuss bereits mehrfach auf diese Forderung hingewiesen und finde es gut, dass diesem Anliegen jetzt gefolgt wird. Denn die ursprüngliche Fassung, nach der Hauptstandort und Dependance einer Grundschule nach einem starren einheitlichen Konzept oder Programm gefahren werden müssen, sprich: alle entweder jahrgangsbezogen oder jahrgangsübergreifend unterrichten, ist sicherlich nicht sinnvoll. Das hätte aus unserer Sicht nämlich zur Folge gehabt, dass nach fünf Jahren ein massenhaftes Sterben der Dependancen eingesetzt hätte. Die jetzt vorgelegte Regelung und die Verpflichtung der Aufsicht, zu genehmigen, wenn ein entsprechendes Konzept für eine jahrgangsübergreifende Dependance mit einem jahrgangsbezogenen Hauptstandort kombiniert wird, schafft bessere Möglichkeiten, die Teilstandorte auf Dauer abzusichern.

Durch die Einrichtung der kommunalen Klassenrichtzahl wird die Steuerungsmöglichkeit, aber auch die Verantwortung, zum Beispiel für vergleichbare Klassenstärken zu sorgen, erhöht.

Bei der Schaffung erweiterter Möglichkeiten zur Gründung von Gesamtschulen mit Teilstandorten halten wir es bei allem kommunalen Verständnis für die Gründung einer Gesamtschule für wichtig, näher zu betrachten, ob die Qualität der Oberstufe auch auf Dauer gesichert werden kann.

Hier ist insbesondere die Bildungslandschaft in der Region genauer zu betrachten. Ein Schülerrückgang wird irgendwann auch die Oberstufen betreffen. Eine Tendenz zur Bildung von Kleinstoberstufen kann aus Qualitätsgründen aber nicht das Ziel sein. Auch im ländlichen Bereich muss daher auf ausreichende Differenzierungsmöglichkeiten geachtet werden. Es kann wesentlich sinnvoller sein, eine Sekundarschule zu gründen, die durch die Übergänge ihrer Schülerinnen und Schüler bestehende Oberstufen dauerhaft stärkt.

Im ländlichen Bereich wird es daher Einzelfälle geben, die die im Schulgesetz ermöglichten besonderen Ausnahmen zur Bildung von Sekundarschulen mit jeweils zwei zweizügigen Standorten als bessere Lösung anbieten. Ich begrüße, dass Frau Löhrmann in solchen Fällen Gesprächsbereitschaft zugesagt hat.

Zusammengefasst heißt das: Die CDU-Fraktion stimmt dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz zu. Wir vertrauen auch hier darauf, dass das Gesetz fair und im Sinne des Schulkonsenses umgesetzt wird.

Ich bedanke mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, die uns sehr offen und fair informiert haben. Ich bedanke mich bei der Ministerin persönlich sowie bei den anderen Fraktionen. Ich glaube, dass wir ein gutes Stück vorangekommen sind. Hoffen wir, dass es in der Praxis gut gelebt wird und wir den Schülerinnen und Schülern lange Wege ersparen können. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte da anfangen, wo Kollege Kaiser aufgehört hat, was auch Frau Hendricks schon betont hat: Ein herzliches Dankeschön geht an das Ministerium für die wirklich gute Arbeit. Ich glaube, dass sie auch im föderalen Konzert wegweisend sein wird. Schließlich ist es ein neues, ein pfiffiges, ein innovatives Steuerungselement, das wir mit dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz auf den Weg bringen. Mit diesem Gesetz beantworten wir darüber hinaus zum ersten Mal die Frage, wie man kleine Standorte zukunftsweisend erhalten kann.

Ein herzliches Dankeschön richte ich auch an das gesamte Haus und die Fraktionen für die Mitberatung, welche immer bereichernd war und weitergeführt hat. Das gilt auch für die Expertenanhörung in der letzten Woche.

Wir schaffen mit dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz in der Tat mehr Chancen für kleine Grundschulstandorte in NRW. Das Stichwort „Qualität“ – Klaus Kaiser hat es genannt – beinhaltet aber auch, dass jetzt nicht versprochen wird, dass jeder Standort unter allen Bedingungen zu halten ist. Die Frage der Qualität ist entscheidend; sonst wird der Standort von den Eltern nicht akzeptiert. Das muss man der Redlichkeit halber noch mal sagen. Das gilt auch für die weiterführenden Schulen und die Fragestellung, die Klaus Kaiser soeben angesprochen hat. Es geht nur zusammen: Eine Einheit muss pädagogisch-organisatorisch sinnvoll sein, gleichzeitig muss die Qualität gewährleistet sein. Das ist die Maßgabe all unserer Überlegungen sowohl im Schulkonsens wie auch in dieser Ausarbeitung für die kleinen Grundschulen gewesen.

Ich will auch hervorheben, dass die Energie der Lehrkräfte dahin gehen soll, wo sie gebraucht wird, nämlich bei der Förderung der Kinder. Es geht insgesamt um die beste Bildung für alle Kinder. Deswegen ist es auch richtig, diesen Änderungsantrag heute im Schulausschuss beschlossen zu haben. Die Energie soll schließlich nicht in die falsche Richtung gelenkt werden, also nicht in die Auseinandersetzung um die Frage der pädagogischen Organisation am Standort A oder am Standort B. Auf der Grundlage eines gemeinsamen Konzeptes, das Qualität, das Vertretung sichert, kann in der Verantwortung der Schule miteinander gearbeitet werden. Das ist mir sehr wichtig. Da sind die Gespräche, die wir mit den Standorten geführt haben, und auch die Anhörung sehr fruchtbar gewesen.

Wichtig ist auch – und hier bitte ich das Ministerium um schnelle Umsetzung –, dass die Teilstandorte in der Schulkonferenz angemessen vertreten sind. Dazu brauchen wir Hinweise auf die Wahlordnung bzw. das Miteinander in den Schulen. Denn es soll niemand abgehängt werden. Alle müssen in eine gedeihliche Schulentwicklung einbezogen werden. Es geht nicht gegeneinander, sondern nur miteinander. So, wie bei der offenen Ganztagsgrundschule alle Akteurinnen und Akteure miteinbezogen werden sollen, gilt das natürlich auch für unterschiedliche Standorte in Schulverbünden.

Zu einem anderen Punkt will ich auch noch ganz kurz Stellung nehmen: Das ist die Möglichkeit, sich im sonderpädagogischen Lehramt mit dieser Zielperspektive weiterqualifizieren zu lassen. Da sind genau die Kollegen und Kolleginnen angesprochen, die schon jahrelang Erfahrungen im gemeinsamen Unterricht gesammelt haben, die also erfahrene Lehrkräfte in diesem Bereich sind und die als Grundschullehrkräfte mit der Besoldung A 12 oder im Lehramt der Sek I jetzt auch eine berufliche Chance bekommen. Das finde ich wichtig. Das ist eine Anerkennung für alle Kollegen und Kolleginnen, die diese engagierte Arbeit gemacht haben, und es ist eine Aussicht, jetzt noch einen Schritt weiterzukommen. Wir brauchen diese erfahrenen Kollegen und Kolleginnen auch weiterhin in unseren Schulen.

Insgesamt ist es ein gelungenes Produkt aus dem Schulkonsens. Ich freue mich, dass auch die Piraten heute mitstimmen und es unterstützen. Damit ist klar: Es gibt in diesem Haus eine breite Grundlage für mehr Chancen für die Kinder vor Ort, auch da, wo die Frage der Grundschulstandorte vor dem Hintergrund des demografischen Wandels lange diskutiert wurde. Ich freue mich über das Ergebnis und bedanke mich für die zügige Beratung miteinander.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die FDP-Landtagsfraktion spricht nun Frau Kollegin Gebauer zu uns. Bitte schön.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, in dem Ziel eines hochwertigen und wohnungsnahen Grundschulangebotes sind wir uns alle einig. Deswegen werde ich in meiner Rede auch nicht weiter darauf eingehen. Der Gesetzentwurf in der uns jetzt vorliegenden Form schwächt aber leider die Bildungsqualität und verstärkt auch noch die Ungleichbehandlung der Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen, weswegen er für uns als FDP auch nicht zustimmungsfähig ist. Ich komme zu den einzelnen Aspekten dieses Entwurfes.

Die Ausgestaltung des berufsbegleitenden Erwerbs eines sonderpädagogischen Lehramtes betrachten wir mit Sorge. Wir brauchen mehr sonderpädagogische Fachkräfte. Dass Sie hier aktiv werden wollen, erkennen wir ausdrücklich an und unterstützen wir. Dass aber eine solche Ausbildung ohne den direkten Bezug zur Universität mittelfristig die Qualität der sonderpädagogischen Förderung sichert, scheint uns zumindest fragwürdig.

Wir halten es auch nicht für verantwortbar, dass die Landesregierung nun noch die letzte Differenzierungsmöglichkeit an Gesamtschulen aushebeln möchte. Diese Möglichkeit der Abschaffung der Leistungsdifferenzierung wird unter den heutigen Voraussetzungen zu einer geringeren individuellen Förderung führen.

Sie wollen zudem – das ist schon angesprochen worden – Teilstandortregelungen für Gesamtschulen deutlich ausbauen. Von einer Gleichbehandlung der anderen Schulformen, die wir hier in Nordrhein-Westfalen haben, sind Sie damit weit entfernt.

(Beifall von der FDP)

In der Anhörung am vergangenen Mittwoch hat die Landeselternschaft der Gymnasien unter anderem ausgeführt, dass die Begründungen für diese Teilstandortregelung genauso auf Gymnasien übertragbar sind und zutreffen müssten. Ob deren Wünsche ebenso Gehör finden und umgesetzt werden, wie das bei den Gesamtschulen der Fall gewesen ist, das werden wir sehen.

Für durchaus bedenklich in diesem Prozess der Zusammensetzung der Inhalte dieses Gesetzes halten wir das Verhalten der CDU. Sie stimmen der Abschaffung der Fachleistungsdifferenzierung und der Ausweitung der Teilstandortregelungen an Gesamtschulen ohne Wenn und Aber zu. Herr Laumann – jetzt spreche ich Sie persönlich an –, Sie haben im Wahlkampf beanstandet, dass Sekundarschulen in kleine Gesamtschulen umgewandelt werden. Nun aber stimmt Ihre CDU Maßnahmen zu, die weit über diesen Schulkonsens hinausgehen.

Die FDP wird sich weiterhin einer bürgerlichen Bildungspolitik annehmen, die Chancengerechtigkeit, Qualität und Leistungssicherung in den Mittelpunkt stellt.

Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu dem, wie ich finde, ursprünglich wichtigsten Inhalt dieses Gesetzentwurfs, nämlich dem Grundschulkonzept. Wir bedauern es an dieser Stelle sehr, dass an dem ursprünglich guten Konzept Verwässerungen vorgenommen worden sind. Sie nehmen zwar – Stand heute – eingeschränkt die Zwangsmaßnahmen bei den Teilstandorten zurück, was wir auch begrüßen. Gleichwohl will Rot-Grün aber nach wie vor möglichst umfassenden jahrgangsübergreifenden Unterricht umgesetzt wissen. Zusätzliche Unterstützung durch Lehrerfortbildung sehen Sie dabei offenkundig nicht als vorrangig an.

Die Folgen dieses rot-grünen Vorgehens hat uns gerade der Leistungsvergleich an Grundschulen gezeigt.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Frau Beer, lassen Sie mich ausreden; ich habe das auch getan. – Keine Schulstudie hat bisher so klar gezeigt, wie nachteilig sich diese rot-grüne Bildungspolitik für unsere Kinder auswirkt.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Du meine Güte!)

Dieser Ländervergleich dürfte bei den Verantwortlichen dieses Hauses – auch bei Ihnen, Frau Beer – keinen Ausbruch der Freude hervorgerufen haben. Denn in jahrelang von rot-grüner Bildungspolitik geprägten Bundesländern erreicht ein Vierteil der Grundschüler nicht einmal die Mindeststandards.

(Beifall von der FDP)

Eine Entkopplung sozialer Herkunft von Bildungserfolg durch gemeinsames Lernen gelingt im Ergebnis also nicht. Ich verweise hier auf Prof. Anand Pant vom IQB, der kritisierte, dass verstärkt jahrgangsübergreifendes Lernen eingeführt wurde, ohne dabei den Einfluss auf die Leistungen zu prüfen. Und Prof. Köller hat auf die Orientierung an hohen Leistungsstandards in erfolgreicheren Ländern hingewiesen.

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen darf seine Bildungspolitik nicht an den schlechten Ländern ausrichten, sondern muss an die Leistungsspitze streben. Frau Ministerin Löhrmann, streben Sie bitte nach der Spitze und stellen Sie sich hierbei vom Kopf auf die Füße. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die Piratenfraktion erteile ich nun Frau Kollegin Pieper das Wort.

Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der zweiten Lesung kann nun zeitnah ein Gesetz in den Kommunen umgesetzt werden, das die Existenz von kleinen Grundschulen sichert. Das begrüßen wir sehr. Der Grundgedanke stimmt. Gerade kleine Schulen habe so die Chance auf Standortsicherung.

Unsere Kritikpunkte haben erfreulicherweise im Änderungsantrag teilweise Berücksichtigung gefunden. Deshalb stimmen wir zu. Wir geben uns allerdings nicht der Illusion hin, dass diese Änderung aufgrund unserer Intervention passiert ist, sondern eher der Anhörung zu schulden war.

Bereits in der ersten Lesung hatte ich deutlich Kritik angemeldet. Im Gesetzentwurf wurde gefordert, dass kleine Teilstandorte zunächst eine andere Organisationsform haben können als der Hauptstandort, also auch jahrgangsübergreifend arbeiten können. Die Organisationsform sollte jedoch nach spätestens fünf Jahren an beiden Standorten gleich sein. Sowohl bei der Bildungskonferenz als auch bei der Anhörung letzte Woche wurde dieser Punkt von vielen Verbänden scharf kritisiert, und das meiner Meinung nach zu Recht. Ich freue mich sehr, dass dieser Punkt nun geändert wurde.

Die Diskussion um den jahrgangsübergreifenden Unterricht kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Denn wenn wir in die Inklusion gehen, spielt das überhaupt keine Rolle. Da haben wir eine sehr große Leistungsbandbreite,

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

denn dann müssen wir alle Kinder individuell fördern. Insofern spielt es auch keine Rolle, ob ein Kind acht, neun oder zehn Jahre alt ist. Wir haben es uns doch eigentlich zur Aufgabe gemacht, dass wir egal, wo das Kind ist, es einfach mitnehmen.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Ich sehe es aber immer noch kritisch, dass letztendlich die Schulaufsicht entscheidet, ob ein Teilstandort erhalten bleibt. Ich finde, die pädagogische Entscheidung, ob man jahrgangsübergreifend oder jahrgangsbezogen arbeitet, ist ausschließlich die Verantwortung der Schulkonferenz und nicht der Schulaufsicht. Hier wird den Schulen ein Stück weit ihre Eigenverantwortlichkeit genommen. Das finde ich nicht in Ordnung.

Daneben bleibt abzuwarten, inwieweit sich das 8. Schulrechts­änderungsgesetz vor Ort bewährt. Es geht dabei um die Frage, ob der kommunale Klassenrichtwert tatsächlich funktioniert oder ob er zu Verteilungskonflikten vor Ort führt. Das ist eine ernstzunehmende Befürchtung. Ich sehe ein wenig die Gefahr, dass organisatorische und finanzielle Aspekte pädagogische Überlegungen in den Hintergrund drängen. Da muss man sehr genau gucken. Ich würde das gerne evaluiert haben. Aber das ist sicherlich vorgesehen.

Nicht nachvollziehbar war vor dem Änderungsantrag die ungleiche Behandlung von Sekundar- und Gesamtschule. Die Kritik vonseiten der Gesamtschule war daher durchaus berechtigt. Es gibt keinen Grund, die Hürden für die Gesamtschule höher zu setzen als für die Sekundarschule.

Es ist zu begrüßen, dass durch den Änderungsantrag die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen erweitert werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

So können flexible Standortlösungen gefunden werden, und die Kommunen erhalten weiteren Spielraum.

Ich teile die Sorge von Frau Gebauer, was die sonderpädagogische Zusatzausbildung angeht. Ich weiß, dass es jetzt nötig ist. Es gibt keine Sonderpädagogen auf dem Markt. Es muss ganz schnell etwas passieren.

Ich halte dieses Verfahren allerdings nur für eine Übergangslösung. Das darf kein Dauerzustand werden. Diese Zusatzausbildung kann auf keinen Fall ein Studium ersetzen. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass mehr Studienplätze im Bereich der Sonderpädagogik geschaffen werden. Daneben finde ich es außerordentlich wichtig, dass auch die allgemeine Pädagogik diesen sonderpädagogischen Aspekt noch viel mehr aufgreift und er ein fester Bestandteil in diesem Studiengang wird.

Für mich ist die Frage weiter offen, wie die Lehrer vertreten werden, die sich in einer solchen Zusatzausbildung befinden. Da entstehen wieder Lücken im Unterricht, der vertreten werden muss. Über Unterrichtsbelastung haben wir hier heute schon gesprochen.

Nicht zuletzt müssen wir einen Blick auf die kommenden Aufgaben der Schulleiter werfen. Die Betreuung von mehreren Standorten ist eine große Herausforderung. Schon jetzt haben wir das Problem, Schulleiter im Grundschulbereich zu finden. Der Job ist hochbelastend und finanziell unattraktiv. Tragende Konzepte für die Leitung von Schulverbünden gibt es aktuell nicht. Es muss sichergestellt werden, dass es an jedem Standort einen Ansprechpartner gibt und die Schulleitung von den Ansprechpartnern als Teamaufgabe verstanden wird. Ein Gegeneinander von Standorten wäre ausgesprochen kontraproduktiv und würde das Konzept ad absurdum führen.

Das Gelingen des Konzeptes der kleinen Grundschule wird meiner Meinung nach maßgeblich davon abhängen, ob und wie kompetent und engagiert diese Schulverbünde geleitet werden. Hier besteht weiterhin Handlungsbedarf.

Es ist gut, dass dieses Gesetz jetzt verabschiedet wird. Die Kommunen und Grundschulen erhalten nun Handlungssicherheit. Eltern müssen sich nicht mehr so sehr wie bisher um den Erhalt ihrer Schule sorgen.

Einen Satz möchte ich gern noch sagen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Kommen Sie dann bitte zum Ende, Frau Kollegin.

Monika Pieper (PIRATEN): Ja. – Sie haben immer wieder betont, dass Sie konstruktiv mit uns zusammenarbeiten. Ich empfinde das im Moment auch so. Das heißt aber: auf Augenhöhe im Konsens und auch mit Kompromissbereitschaft. Es wird auf Dauer nicht so sein, dass wir immer nur unseren Finger heben, wenn es um ein neues Gesetz geht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Gebauer, zwei Bemerkungen auf Ihre Aussagen hin kann ich Ihnen nicht ersparen.

Sie haben die Grundschulstudie kritisiert. Ich darf Ihnen sagen: Die Daten sind 2010 erhoben worden. Da es sich um die Grundschule handelt, sind die Kinder – so weit können wir, glaube ich, gemeinsam rechnen – vier Jahre in Nordrhein-Westfalen in die Grundschule gegangen, also von 2005 bis 2009. Zu welcher Regierungszeit, bitte schön, war das denn, was Sie hier kritisieren? Das ist doch absurd, was Sie hier tun.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Sie haben sich also selbst kritisiert. Wer hat denn in die Grundschulen investiert? Damit sind wir doch angefangen – mit der Leitungszeit und jetzt mit diesem Gesetz. Das ist der erste Punkt.

Zweiter Punkt: Ich danke für die Steilvorlage. Sie beklagen, dass die Gymnasien keine Teilstandortbildung vornehmen könnten. Bitte schauen Sie in das Gesetz. Da heißt es: Schulen können in begründeten Fällen an Teilstandorten in zumutbarer Entfernung geführt werden. „Schulen“! Gymnasien zählen dazu.

(Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)

Es ist heute möglich. Der Schulaufsicht liegt meines Wissens aber bisher kein Antrag von Gymnasien auf Teilstandortbildung vor! Es kann sein, dass das noch kommt. Das ist laut Gesetz jetzt schon möglich. Das zeigt, wer sich hier bei einer ansonsten sehr konstruktiven Herangehensweise an ein wichtiges Gesetz ins Abseits stellt. Meine Damen und Herren, ich möchte das nur deutlich machen, um klarzumachen, wer sich hier um die wesentlichen Dinge kümmert und wer Haare in der Suppe sucht, die noch nicht einmal welche sind.

Meine Damen und Herren, es ist ein großer Tag für die Grundschulen in Nordrhein-Westfalen und auch für die den schulpolitischen Konsens tragenden Fraktionen. Mit diesem Gesetz haben wir die Voraussetzung für die Sicherung eines qualitativ hochwertigen und wohnungsnahen Grundschulangebots geschaffen. Auf die wesentlichen Regelungen ist schon hingewiesen worden.

Ohne Details zu wiederholen, möchte ich betonen: Das Besondere an diesem Konzept ist erstens, dass wir nicht einfach die Schulgrößen verkleinern. Nein, wir verbinden dies mit einer völlig neuen Steuerung durch die kommunale Klassenrichtzahl. Damit wollen wir pädagogisch sinnvolle und schulorganisatorisch machbare Schulangebote wohnortnah sicherstellen. Die Entscheidungen werden aber Ort getroffen, die Entscheidung über die einzelne Schule. Ja, damit wollen wir landesweit eine gerechtere Klassenbildung aus Sicht der Kinder und der Eltern erreichen.

Besonders ist zweitens – auch das möchte ich betonen –, dass dieses Gesetz in einem fortwährenden und umfassenden Dialog entstanden ist. Anregungen und Bedenken, die von Eltern, schulischen Verbänden und Schulträgern vorgetragen wurden, haben wir ernst genommen und in vielerlei Hinsicht berücksichtigt.

Wir haben die Untergrenze für Teilstandorte eines Grundschulverbundes von 46 Schülerinnen und Schülern geöffnet. Kleinere Standorte können ausnahmsweise von der oberen Schulaufsichtsbehörde zugelassen werden.

Wir haben nach der Anhörung nochmals die Regelung geprüft, dass Grundschulverbünde spätestens nach fünf Jahren verpflichtet sein sollen, in einer einheitlichen Organisation zu unterrichten. Die Fraktionen von SPD, CDU, Grünen und Piraten haben Bedenken gegenüber dieser Regelung durch den Änderungsantrag Rechnung getragen. Vorbehaltlich des Beschlusses im Anschluss an diese Debatte wird auch hier die obere Schulaufsichtsbehörde unter den im Antrag genannten Voraussetzungen Ausnahmen zulassen können.

In der Anhörung ist zudem die Befürchtung geäußert worden, dass die Belange der Teilstandorte in den Konferenzen nicht angemessen berücksichtigt werden könnten. Mit dem Schulgesetz von 2005 ist zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Schulen auf verbindliche Regelungen zur Wahl der Schulmitwirkungsgremien verzichtet worden. Stattdessen ist die Empfehlung einer Wahlordnung in die BASS aufgenommen worden. Ich kann an dieser Stelle zusagen, dass wir diese Empfehlung dahin gehend ergänzen werden, dass Teilstandorte in den schulischen Gremien angemessen repräsentiert sein sollen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir haben bewiesen, dass diese Landesregierung zum schulpolitischen Konsens steht. Wir haben mit dem 6. Schulrechtsänderungsgesetz die Grundlage für die Sekundarschulen geschaffen. Die Verfassung ist der Realität angepasst worden. Mit diesem, dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz machen wir unsere Grundschullandschaft nachhaltig zukunftsfest. Wir tragen dem Prinzip „Kurze Beine, kurze Wege“ Rechnung und setzen einen weiteren wesentlichen Punkt der gemeinsamen Leitlinien um.

Ich will noch eines sagen: Wir haben heute über den Haushalt diskutiert. Diese Landesregierung investiert rund 1.700 Lehrerstellen in die Grundschulen. Es ist gut investiertes Geld. Denn schließlich wird hier das Fundament für die Bildungslaufbahn unserer Kinder gelegt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie sehen: Auf uns ist Verlass.

Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, dass es dieses Gesetz gibt. Ich sage ausdrücklich zu, dass wir diesen konstruktiven Stil gerne weiter pflegen wollen. Wir, CDU, SPD und Grüne, haben das schon ein bisschen geübt. Wir nehmen aber gerne die Piraten in diese Gruppe auf. Ich freue mich in dem Zusammenhang auf die weitere gute Zusammenarbeit und bedanke mich auch im Namen meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜ­NEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind am Ende der Beratung angelangt.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Schule und Weiterbildung empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1282, den Gesetzentwurf Drucksache 16/815 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Ich darf fragen, wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte. – Wer stimmt gegen die Beschlussempfehlung? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist die vorliegende Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und der Piratenfraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

4   Europäische Bankenunion darf das dreigliedrige Bankensystem in Deutschland nicht schwächen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1045 – Neudruck

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1322

Ich eröffne die Beratung. Zu Beginn der Beratung erteile ich für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Dr. Optendrenk das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der Lehman-Pleite im Herbst 2008 halten uns die internationalen Finanzmärkte in Atem. Die deutsche, die europäische, die internationale Banken- und Schuldenkrise ist dabei eines der beherrschenden Themen. Bis vor wenigen Jahren wäre es kaum vorstellbar gewesen …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie bitte einen kurzen Augenblick. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe, dass noch eine Reihe von Gesprächen am Rande der Beratungen geführt wird. Ich habe die herzliche Bitte, sie gegebenenfalls außerhalb des Plenums zu führen, damit wir alle den Rednern zu diesem Tagesordnungspunkt folgen können. Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Abgeordneter, bitte.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Danke schön, Herr Präsident. Ich fahre in meinen Gedanken fort.

Bis vor wenigen Jahren wäre es kaum vorstellbar gewesen, wie intensiv uns alle die Wirtschaftsentwicklung in Irland, Griechenland oder Portugal oder auch der Schuldenstand Frankreichs oder Italiens beschäftigt. Doch die seit vier Jahren andauernde Krise zeigt uns: Auch wir in Deutschland sind in ganz vielfältiger Weise – und das nicht nur über eine gemeinsame Währung – mit den anderen Staaten der EU verbunden.

Europa ist damit etwas ganz Konkretes. Es geht um unser aller Zukunft. Die Auswirkungen dessen, was in Brüssel beraten und beschlossen wird, haben weit größere Dimensionen, als wir uns alle das vorgestellt haben. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass sich der Landtag heute mit einem Thema befasst, das ganz wesentlich die Voraussetzungen für ein stabiles Bankensystem in Europa regeln soll.

Die Europäische Bankenunion soll dafür sorgen, dass es in Zukunft nicht mehr zu solchen Krisen des Bankensektors kommt, wie wir sie noch immer erleben. Daher ist es ganz wichtig, dass die Eckpfeiler dieser Bankenunion stehen und – ich sage es dazu – auch umgesetzt werden. Das ist das gemeinsame Verständnis aller Fraktionen dieses Landtags.

Wir als CDU sind froh, dass unsere Initiative aufgegriffen worden ist und wir auf dieser Basis einen Antrag aller Fraktionen zustande gebracht haben. Dafür ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Der Antrag zeigt zweierlei:

Erstens. Der Landtag stärkt den europäischen Institutionen den Rücken bei der Bekämpfung der Krise und unterstützt grundlegende Verbesserungen bei der Regulierung des Bankensektors.

Zweitens. Es gibt aber auch Grenzen dessen, was in Brüssel entschieden werden muss oder nicht entschieden werden sollte. Das Subsidiaritätsprinzip muss hier in seiner ganzen Tragweite zur Geltung gebracht werden. Es bedeutet: Es bedarf nur dort einer europaweiten einheitlichen Regelung, wo es auf der Ebene der Nationalstaaten keine gleich effektiven Regelungen gibt.

Deshalb sind wir dafür, dass die EZB, die Europäische Zentralbank, ihre tatsächliche Kontrolle auf diejenigen Banken beschränkt, die in einer europäischen Dimension arbeiten. Die kleine Sparkasse oder Volksbank vor Ort soll auch weiterhin durch Bundesbank und BaFin kontrolliert werden. Hier reichen nach unserer Auffassung einheitliche Prüfstandards in Europa zur Gewährleistung der Aufsicht völlig aus.

Und es darf nicht sein, dass Banken aus anderen Mitgliedstaaten von der deutschen Einlagensicherung profitieren, anstatt selbst eine aufzubauen. Es kann doch nicht richtig sein, wenn die Vorsorge von Sparkassen und Volksbanken einfach in Europa vergemeinschaftet würde. Deshalb ist es richtig, dass solche Einlagensicherungssysteme endlich überall aufgebaut werden – jeweils mit eigenem Geld. Das ist dann die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen in die Zukunft und untereinander. Alles andere wäre ungerecht.

Wir wollen den Kreditinstituten heute ein Signal geben: Wir, der gesamte Landtag, stehen an ihrer Seite, im Interesse der Kundinnen und Kunden der Banken, der Sparkassen, der Volksbanken, aller drei Säulen des Bankensystems. Denn sie sind gleichzeitig unsere Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, für die wir als Landtag gewählt sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die SPD-Fraktion spricht als Nächster Herr Kollege Kämmerling.

Stefan Kämmerling (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Ansinnen einer europaweit einheitlichen Bankenaufsicht hat nicht nur viele Urheber; es liegen ihm auch unterschiedlichste Motivationen zugrunde. Eine zentrale Motivation besteht darin, direkte Bankenhilfen aus dem Euro-Rettungsfonds – ESM – zu ermöglichen. Das stellt nicht weniger als einen Bruch mit etablierten Werkzeugen der europäischen Bankenaufsichtsstruktur dar.

Bislang ist die Europäische Bankenaufsichtsbehörde – EBA – als Teil des Europäischen Finanzaufsichtssystems – ESFS – für die Finanzmarktaufsicht zuständig. Ein wichtiges Element der bislang geltenden Aufsichtssystematik besteht darin, dass den nationalen Aufsichtsbehörden die primäre Kontrollfunktion vorbehalten ist und die EBA lediglich Aufsichtsstandards entwickelt und vorgibt. Direkte Eingriffsmöglichkeiten an den Nationalbehörden vorbei gibt es nur in wenigen Ausnahmefällen.

Der Entwurf der EU-Kommission sieht nunmehr vor, dieses Gefüge grundlegend zu ändern und der Europäischen Zentralbank – EZB – die Aufsicht über sämtliche Geldinstitute der Eurozone zuzuschlagen. Zumindest nach klassischem Verständnis einer Notenbank liegen deren Aufgaben in der Wahrung von Preisniveaustabilität und ausgeglichener konjunktureller Entwicklung – und nicht in der Kontrolle von Banklizenzinhabern. So soll die neue, an die EZB angedockte Aufsichtsbehörde dann auch eine eigene Behördenführung sowie einen eigenen Aufsichtsrat erhalten.

Dies ändert jedoch nichts daran, dass diese Behörde an die EZB und damit an die Notenbank angegliedert sein wird und letzte Bedenken gegenüber diesem Konstrukt mehr als berechtigt sind. Wie eine noch nicht einmal grundlegend eingerichtete neue Behörde bereits im Januar 2013 rund 6.000 Geldinstitute der Eurozone überwachen können soll, erschließt sich nicht.

Wir alle leben – zum Glück – in einem Europa, das sich aufgemacht hat und weiterhin aufmacht, gemeinsame Ziele und Werte zu definieren und sie zu leben. Deswegen macht es nicht nur vor dem Hintergrund trockener bankenaufsichtsrechtlicher Überlegungen, sondern eben wegen dieser Ziele und Werte durchaus Sinn, europäischen Banken einheitliche Aufsichtsmechanismen zu geben. Eine schlagkräftige europäische Bankenaufsicht kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Finanzsysteme zu stabilisieren, Schieflagen einzelner Banken frühzeitig zu erkennen und dadurch systemische Gefahren abzuwenden, die dort entstehen, wo Banken bedingt durch ihr Geschäftsmodell grenzübergreifend tätig sind.

Wir benötigen in Europa qualitativ vergleichbare Mindeststandards mit tatsächlichen Finanzmitteln, die nachweislich und vor allem standardisiert kontrollierbar in Sicherungstöpfen vorhanden sind. Ja, wir leben in einem Europa der Werte und der Gemeinsamkeiten, aber auch in einem Europa, dessen Finanzmarkthandeln keine Grenzen mehr kennt. Deswegen macht die Vereinheitlichung von Aufsichtsstandards für Geldinstitute Sinn.

Würden wir einmal alle Bedenken bezüglich der zeitlichen Umsetzung und der Vermengung und Vermischung von Aufgaben der Geldmarktpolitik mit Aufgaben der Bankenkontrolle beiseitelassen, bliebe mindestens ein Problem, das es in sich hat. Vereinheitlichung darf nicht in Gleichmacherei münden. Genau hierin besteht aber bei einer Umsetzung der Pläne der EU-Kommission die Gefahr für das bewährte Drei-Säulen-Modell der deutschen Bankenlandschaft. Speziell die Einlagensicherungssystematik deutscher Sparkassen, Landesbanken und Genossenschaftsbanken ist einzigartig in Europa und hat sich in der längst nicht überwundenen Krise als Fels in der Brandung erwiesen.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Warum also derart Bewährtes verändern, wenn es nicht nur nicht systemgefährdend, sondern nachweislich und unwidersprochen systemsichernd war und ist? Gleichmacherei innerhalb Europas, obwohl die Sicherungssysteme in den Staaten von so ungleicher Qualität sind, kann und darf nicht das Ziel sein.

Meine Damen und Herren, deswegen setzen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns nachdrücklich dafür ein, dass eine einheitliche Einlagensicherung in Europa in keinem Fall zu einer Zerstörung der bewährten Haftungssysteme von Sparkassen, Landesbanken und Genossenschaftsbanken führen darf. Dem Bekenntnis zum Drei-Säulen-Modell unter Hinweis auf die besondere Bedeutung von Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD nicht zuletzt im Koalitionsvertrag für die Jahre 2012 bis 2017 deutlich Ausdruck verliehen.

Dieses Bekenntnis gilt für die SPD selbstverständlich auch bezüglich einer Positionierung zu einer europäischen Bankenunion und wird von uns hier und heute gerne noch einmal wiederholt und unterstrichen. Wir unterstützen den vorliegenden gemeinsamen Änderungsantrag aller Fraktionen sehr gerne. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kämmerling. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Kollege Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Anfang kurz den Blick auf das Verfahren zum Thema „Bankenunion“ hier im Landtag legen. Wir haben zum ersten Mal ein Subsidiaritätsverfahren nach § 50 Abs. 3 der Geschäftsordnung im Ausschuss für Europa und Eine Welt durchgeführt. Es wurde also das erste Mal in einem Fachausschuss federführend für das komplette Plenum die Frage entschieden, ob es eine Subsidiaritätsrüge gibt. Sie wurde nach unserer Auffassung gut entschieden; denn wir haben festgestellt, dass eine Subsidiaritätsrüge an dieser Stelle das falsche Signal wäre.

Jetzt debattieren wir im Plenum einen gemeinsamen inhaltlichen Antrag aller fünf Fraktionen. Das ist schon bemerkenswert. So oft kommt es in einer Legislaturperiode schließlich nicht vor, dass alle Fraktionen zusammen ein Signal Richtung Brüssel senden.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, die europäische Bankenaufsicht ist die logische Folge des Finanzbinnenmarktes; denn bei dezentraler Aufsicht kommt der Staat nie auf Augenhöhe mit grenzüberschreitend operierenden Banken. Das ist schlichtweg unmöglich. Insofern packt man mit der Bankenunion, wie sie jetzt angedacht ist, die wesentlichen institutionellen Schwächen der Währungsunion endlich an und unternimmt den Versuch, Augenhöhe mit den grenzüberschreitenden Banken herzustellen. Ich sage Ihnen: Ohne die Bankenunion wird der Euro dauerhaft nicht zu stabilisieren sein. Das ist ein absolut notwendiger Schritt.

Wir haben allerdings ein paar Fragezeichen. Meine Kolleginnen und Kollegen haben es gesagt. Die größte Frage, die wir haben, lautet: Ist es wirklich sinnvoll, dass es eine zentrale Aufsicht gibt, die letztendlich für über 6.000 Institute in ganz Europa zuständig ist? Wir sagen nein. Da geht der Vorschlag der Kommission weit über das Ziel hinaus.

Das Zweite ist der Konflikt der Übertragung der Bankenaufsicht auf die Europäische Zentralbank. Es darf keine Vermischung von Geldpolitik und Bankenaufsicht geben.

Drittens, für uns Grüne sehr wichtig: die neue Aufsichtsbehörde; der Kollege hat es gerade angesprochen. Es ist Grundvoraussetzung für uns, dass eine neue Aufsichtsbehörde, die jetzt beschlossen wird, demokratisch legitimiert ist und eine demokratische Kontrolle erfährt, im Zweifel durch das Europäische Parlament.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluss – ich mache es etwas kürzer – ausdrücklich der Fraktion der CDU, namentlich dem Kollegen Dr. Optendrenk, dafür danken, dass es möglich war, dass Ihr Antrag für alle Fraktionen geöffnet wurde. Und ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, die daran mitgewirkt haben, dass wir heute ein geschlossenes Signal Richtung Brüssel senden können. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD, der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die FDP-Fraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Dr. Wolf das Wort.

Dr. Ingo Wolf (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch die FDP freut sich über diesen gemeinsamen Antrag und darüber, dass es möglich gewesen ist, in Sachen Europa Einigkeit zu demonstrieren. Wir haben natürlich ein Interesse daran, nach Berlin ein Signal zu senden, dass wir nämlich die bisherige Regierungsarbeit unterstützen.

Weitere Bankenkrisen – das ist sicherlich klar – müssen verhindert werden, aber – das ist auch die klare Botschaft – nicht um den Preis der Aufgabe bewährter Systeme in den Nationalstaaten, wie wir es beispielsweise mit unserem dreigliedrigen System in der Finanz- und Kreditwirtschaft und den dortigen Einlagensicherungssystemen haben.

Wir alle sind uns einig, dass man nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen der Finanzkrise der letzten Jahre eine Einlagensicherung braucht. Das ist notwendig, weil wir ansonsten den Steuerzahler zur Haftung heranziehen. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein.

Wir haben in Deutschland ein funktionierendes System seit langer Zeit, insbesondere bei den Sparkassen und Raiffeisenbanken. Wir haben auch entsprechende Einlagensicherungen im Bereich der privaten Kreditinstitute. Das alles muss in Europa natürlich vernünftig angepackt werden. Wir brauchen das in allen Nationalstaaten in der Europäischen Union. Und wir brauchen auch ein System der Überwachung der systemrelevanten Banken.

Ich denke, in Verbindung mit den Anforderungen an Basel III wird so ein weiterer Schritt in Richtung mehr Stabilität auf dem Bankensektor innerhalb von Europa gemacht. Aber auch hier ein „Aber“, meine Damen und Herren: Diese Aufsicht in Europa sollte sich wirklich auf die Banken beschränken, die eine systemische Relevanz aufweisen. Es kann nicht sein, dass hinterher über Europa die letzte Sparkasse oder Volks- und Raiffeisenbank konkret überwacht wird. Das muss am Ende in die Kompetenz der nationalen Aufsichtsbehörden fallen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Erlauben Sie mir schließlich den Hinweis, dass sich das, was auf europäischer Ebene geplant ist, natürlich auch in die bisherigen Schritte einbetten lässt, die auf nationaler Ebene in Deutschland gegangen worden sind. Die Banken sind immerhin am Bankenrestrukturierungsfonds beteiligt worden. Leerverkäufe wurden verboten, Ratingagenturen unter Aufsicht gestellt, und auch der Hochfrequenzhandel wird beschränkt. Das zeigt, hier passiert etwas. Hier muss noch mehr passieren, denn wir alle wollen, dass Europa und der Euro letztendlich gestärkt aus der bisherigen Krise herausgehen.

Ich freue mich deswegen, dass es zu diesem Antrag gekommen ist. Die FDP wird ihm selbstverständlich zustimmen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP, der SPD, der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Piratenfraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Kern das Wort.

Nico Kern (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste im Saal und am Stream! Ich kann mich den Worten meiner Vorredner im Großen und Ganzen nur anschließen, möchte Ihnen aber nicht ersparen, noch etwas Wasser in den europäischen Wein zu gießen.

Die Europäische Union stolpert seit vielen Monaten durch die schwerste Krise seit ihrem Bestehen. Verzweifelt wird versucht, der Union neues Leben einzuhauchen, zuletzt durch die Vergabe des Friedensnobelpreises. Ohne eine Antwort auf die europäische Sinnkrise bleibt der Nobelpreis aber nur ein Trostpreis – ein Trostpflaster auf einem offenen politischen Schienbeinbruch. Es reicht jetzt definitiv nicht aus, sich auf den vergangenen Verdiensten der Schumanns, Monets und Adenauers auszuruhen.

Folgende Frage steht im Raum: Wird der Patient Europäische Union wieder laufen können oder muss amputiert werden? Dabei muss einem immer bewusst sein: Die Integration der Europäischen Union, so wie wir sie heute kennen, ist ein rein ökonomischer Prozess. Eine sozialpolitische Komponente existiert quasi nicht. Mangels echter politischer Integration haben Binnenmarkt und Währungsunion maßgeblich zur Vertiefung der sozialen Spaltung innerhalb der EU beigetragen.

Der US-Milliardär Warren Buffett sagte bereits vor Jahren – ich zitiere mit Verlaub –:

„Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“

Dieser Krieg ist auch längst in Europa angekommen. In Deutschland begann der Krieg mit Hartz IV. Der Kommissionsvorschlag zur EU-Bankenunion ist die Fortsetzung der Hartz-IV-Politik mit anderen Mitteln. Die Schaffung einer europäischen Bankenunion ist Ausdruck genau dieses Prozesses: fortschreitende wirtschaftliche Integration auf der einen, das Auseinanderdriften von Arm und Reich in Europa auf der anderen Seite. Meine Damen und Herren, Europa fehlt ein soziales Standbein.

Die EU-Kommission nimmt mit ihrem Vorschlag eine weitere wirtschaftspolitische Machtkonzentration auf EU-Ebene vor. Entscheidende Fragen der Ausgestaltung und der Rechtsgrundlage bleiben dabei unbeantwortet. Eine einheitliche Bankenaufsicht muss unserer Ansicht nach zwingend auf den gesamten EU-Raum ausgerichtet sein – nicht nur auf die Eurozone.

(Martin Börschel [SPD]: Wissen Sie, was Sie da unterschrieben haben?)

Alles andere würde nur zur weiteren Spaltung Europas beitragen.

Außerdem ist geplant, dass die zukünftige Bankenaufsicht sämtliche Kreditinstitute in der EU überwacht – unabhängig von ihrer Größe, ihres Geschäftsmodells und ihres Gefährdungspotenzials.

Es ist zwar richtig, grenzüberschreitend tätige Institute und solche, die sich als nicht krisenfest erwiesen haben, einheitlich zu überwachen. Denn glasklar ist: Komasaufenden Bankern muss man die Kreditpulle aus der Hand schlagen.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Deswegen ist die EU-Bankenunion im Grundsatz richtig.

Aber ich habe ein Problem damit, dass die EZB als Bankenaufsicht zukünftig direkten Zugriff auf jede kleine Sparkasse um die Ecke hat, die bislang alle sicher durch die Krise gekommen sind.

(Beifall von den PIRATEN)

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was die EZB macht, wenn das deutsche Sparkassenmodell dem EZB-Rat auf einmal nicht mehr in den Kram passt. Die EU war noch nie ein Freund des deutschen Modells.

(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)

Der Draghi-Plan zu den Anleihekäufen von Krisenstaaten hat gezeigt, wie schnell alte Paradigmen und gute Grundsätze über Bord geworfen werden.

Diese Machtkonzentration bei der EZB führt auch zu einem nicht lösbaren Interessenkonflikt zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht. Denn natürlich ist es denkbar, dass die EZB mit einem solchen Auftrag eine laschere Geldpolitik verfolgt.

Daher fordern wir die Schaffung einer von der EZB unabhängigen EU-Bankenaufsichtsbehörde. Diese Aufsicht muss natürlich auch den nationalen Parlamenten gegenüber rechenschaftspflichtig sein.

Aus allen genannten Gründen haben wir Piraten daher im Europaausschuss ein deutliches Signal Richtung Brüssel gesendet und die erste Subsidiaritätsrüge des Landtags NRW beantragt.

(Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN] und Ilka von Boeselager [CDU])

Leider fanden die anderen Fraktionen nicht den Mut, den Schritt einer ausdrücklichen Rüge mitzugehen. Daher begrüßen wir, dass zumindest jetzt ein fraktionsübergreifender Antrag zur EU-Bankenunion möglich ist, der zentrale Forderungen der Piraten aufgreift.

Wir Piraten bleiben dabei: Wir begrüßen eine EU-weite Bankenregulierung, aber sie darf die Spaltung innerhalb der EU nicht noch beschleunigen, sondern muss einen Beitrag zum weiteren politischen Zusammenwachsen der europäischen Staaten leisten.

Denn während andere noch Klassenkriege führen, arbeiten wir an konstruktiven Lösungen für Europa. Rechnen Sie mit uns. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Ich habe noch einen Hinweis, wenn er mir gestattet ist. Ich hatte den Finanzminister bei meiner letzten Rede zu Unrecht vorverurteilt.

(Britta Altenkamp [SPD]: Oh!)

Er hat sich dagegen verwahrt, dass ihm grüne Strumpfhosen nicht so gut stehen würden wie Errol Flynn.

(Heiterkeit von der Regierungsbank)

Das nehme ich natürlich in aller Form zurück und gebe Ihnen gern Gelegenheit, diesem Vorurteil entgegenzutreten. Ich habe zu diesem Zweck ein Qualitätsprodukt aus Deutschland gekauft.

(Der Redner hält eine Packung grüner Strumpfhosen hoch. – Heiterkeit und Beifall)

Ich stelle Ihnen anheim, am Sonntag um 11:11 Uhr am Alter Markt bei einem Robin-Hood-Contest anzutreten. Bitte schön.

(Der Redner überreicht Minister Dr. Norbert Walter-Borjans die Strumpfhosen. – Heiterkeit und Beifall – Ministerin Svenja Schulze und Minister Ralf Jäger: Anziehen!)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Kern, auch im Namen des Ministers. Aber er kann sich dazu selbst äußern. – Herr Minister Walter-Borjans hat das Wort.

(Ministerin Svenja Schulze: Erst anziehen!)

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe mich überzeugt: Das ist wirklich ein deutsches Qualitätsprodukt aus Nordrhein-Westfalen. Das ist gut. Ich kann nur sagen: Bei so viel Übereinstimmung bis zur grünen Strumpfhose kann man sich nicht mehr beklagen.

(Heiterkeit von den PIRATEN – Martin Börschel [SPD]: Wo wurde sie denn hergestellt? In China wahrscheinlich!)

Hier liegt ein Antrag vor, der gut ist und in dem viele Argumente genannt sind, die auch gut sind. Er wurde um noch mehr Argumente ergänzt, die deutlich gemacht haben, dass in diesem Punkt eine ganz große Einigkeit in diesem Haus besteht. Ich würde auch nicht unterschätzen, dass auch darin ein ganz wesentlicher Wert liegt.

Denn was in der Europäischen Union beschlossen worden ist – das wissen wir –, ist richtig. Wir brauchen mehr Integration und auch ein Stück Kontrolle dessen, was sich in diesem Rahmen vollzieht. Das wird mit der Bankenunion angesteuert. Ich finde es richtig, dass wir eine europäische Bankenaufsicht bekommen.

Aber dann folgt der Punkt, der immer wieder Anlass zu Debatten auf der Länder- und der Bundesebene gibt, nämlich dass es dann in Europa sehr schnell zu einer völligen Zentralisierung und trotz der Vielfalt, die in Europa herrscht, zu einer Anwendung des absolut gleichen Musters kommt. Damit wird das Ziel wieder kaputtgemacht.

Wir haben – die Europäer tun sich schwer damit – ein Drei-Säulen-Modell, das nicht nur eine ganz wichtige Stütze unseres Kreditwesens, sondern auch unserer Wirtschaft ist. Ich finde gut – das richte ich an alle –, dass die Bedeutung des Drei-Säulen-Modells hier noch einmal hervorgehoben worden ist.

Richtig ist, dass wir nach Subsidiarität rufen.

Und es ist richtig, dass wir nicht wieder mit mehreren Stimmen sprechen und Europa die Möglichkeit geben, zu fragen: Was ist denn eigentlich die deutsche Position? Die einen sagen das so, die anderen anders. – Dass in diesem Landtag alle Fraktionen gemeinsam stimmen, ist ein wichtiges Signal.

Ich kann als Vorsitzender des Finanzausschusses des Bundesrates sagen: Auch im Bundesrat haben wir diese einheitliche Position eingenommen. Wir haben dort im Übrigen über die von zwei Ländern beantragte Subsidiaritätsrüge diskutiert – das richte ich an die Adresse von Herrn Engstfeld – und entschieden, dass sie hierfür nicht der richtige Schritt wäre. Aber auch das war keine Frage parteipolitischer Grenzziehung, sondern uns kam es darauf an, zum Ausdruck zu bringen: Wir wollen nicht den Grundgedanken kaputtmachen, sondern dafür sorgen, dass das Ganze richtig gemacht wird und dass nicht plötzlich alles auf eine einzige europäische Institution verfrachtet wird, die das überhaupt nicht leisten kann.

Deshalb ist es sowohl mit Blick auf die Arbeitsökonomie als auch auf die Zielgenauigkeit absolut richtig, subsidiär vorzugehen. Wir sollten vor allen Dingen, was die Einlagensicherung angeht, nicht zulassen, dass, indem wir dafür sorgen, dass so etwas in anderen Staaten jetzt endgültig auch kommt, das damit verknüpft wird, die bessere Lösung, die wir schon haben, abzuschleifen. Das alles wird bei diesen Punkten in Kauf genommen, wenn wir nicht aufpassen. Dass wir dem gemeinsam entgegentreten, ist ein richtiges und wichtiges Zeichen gerade an die europäische Adresse. – Danke schön.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister. – Dann liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Beratung dieser Anträge.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag aller fünf Fraktion Drucksache 16/1322 ab. Ich darf Sie fragen, wer für diesen Antrag ist. – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen aller fünf Fraktionen angenommen.

(Beifall von den PIRATEN und von Hans-Willi Körfges [SPD])

Wir kommen zur Abstimmung über den so geänderten Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/1045Neudruck. Die antragstellende Fraktion der CDU hat die direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit direkt zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags. Ich darf Sie fragen, wer für diesen Antrag stimmt. Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.

Wir kommen zu:

5   Stärkungspakt für Gymnasien – Ganztagsorganisation an den weiterführenden Schulen flexibilisieren und Kampagne für Ganztagsgymnasien starten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1269

Ich eröffne hiermit die Beratung und erteile für die FDP-Fraktion der Kollegin Gebauer das Wort.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verspreche Ihnen, ich stehe jetzt das letzte Mal heute hier vorne.

Meine Damen und Herren, dieser Antrag bedeutet eine erste – ich betone ausdrücklich: eine erste – wichtige Initiative für einen Stärkungspakt für Gymnasien in Nordrhein-Westfalen.

Frau Ministerin Löhrmann, ich habe mir sagen lassen, Sie zitieren gerne Victor Hugo. Das Zitat lautet: Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

Die Zeit für die Umsetzung dieses Antrages ist heute gekommen. Denn Ganztagsangebote etablieren sich immer stärker als feste Komponente unseres Bildungssystems. Betreuung im Ganztag, Zusatzangebote durch Einbringung von Vereinen, Stärkung der individuellen Förderung und veränderte Rhythmisierung werden immer mehr zum selbstverständlichen Bestandteil des schulischen Lernens. Im vergangenen Jahrzehnt ist der Ganztag unabhängig von den Regierungskonstellationen deutlich ausgebaut worden. Das ist richtig und muss auch zukünftig fortgesetzt werden.

Allerdings besteht zwischen den Schulformen noch ein erhebliches Ungleichgewicht. Nach Aussagen der Schulministerin arbeiten Gesamtschulen, Gemeinschaftsschulen und Sekundarschulen zu fast 100 % im Ganztag. Das ist ohne Zweifel eine wichtige Unterstützung.

Gymnasien haben aber bisher lediglich nur zu rund 25 % ein Ganztagsangebot. Auch, aber nicht nur weil es sich um die beliebteste weiterführende Schulform in Nordrhein-Westfalen handelt, müssen wir uns dort noch deutlicher anstrengen.

(Beifall von der FDP)

Es handelt sich nicht nur um die Frage der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder besserer Förderangebote. Ich erinnere auch daran, dass im Gemeindefinanzierungsgesetz die Unterstützung für Ganztagsschüler mit 3,33, für Halbtagsschüler aber mit 0,70 gewichtet ist. Es handelt sich insoweit auch um die Frage, wie das Land die Kommunen schülerbezogen finanziell unterstützt.

Meine Damen und Herren, niemand bestreitet, dass Rot-Grün gegenwärtig alle eingehenden Anträge der Gymnasien genehmigt. Man darf sich aber nicht einfach auf dieser Feststellung ausruhen. Wir müssen aktiv um Eltern, Pädagogen und Schulträger werben.

(Beifall von der FDP)

Wir fordern die Landesregierung auf, dass sie die Anstrengungen, wie sie sie auch für die Sekundarschulen im Haushalt und im exekutiven Handeln ergriffen hat, ebenfalls für das Werben um den Ganztagsausbau an den Gymnasien unternimmt. Selbstverständlich werden wir, Frau Löhrmann, Sie auch dabei unterstützen, wenn Sie umfangreich an anderen Schulformen, wie zum Beispiel den Realschulen, für diesen Ganztagsausbau werben. Als Schwerpunkt haben wir aber heute aufgrund der großen Schülerzahl an den Gymnasien zunächst diese benannt.

Meine Damen und Herren, das alleinige Werben für den Ganztagsausbau reicht jedoch nicht aus. Gerade im ländlichen Raum scheitert ein Ganztagsausbau auch daran, dass es viele Eltern gibt, die aus den unterschiedlichsten Gründen kein Ganztagsangebot wünschen. Einige Eltern möchten ihre Erziehungsrechte recht umfangreich wahrnehmen. Manche Ablehnung ist hingegen längeren oder gar langen Fahrtzeiten und den damit verbundenen Einschränkungen bei außerschulischen Aktivitäten der Kinder geschuldet.

Für die FDP steht fest: Wir müssen die Elternrechte umfassend respektieren und den Ganztag umfassend flexibilisieren. Zukünftig muss es an allen weiterführenden Schulformen möglich sein, in einer Jahrgangsstufe sowohl Halbtags- als auch Ganztagsklassen anzubieten.

(Beifall von der FDP)

So können wir einen Schub beim Ganztagsausbau ermöglichen und gleichzeitig die Elternrechte wahren. Bundesländer wie Bayern oder das Saarland zeigen, dass ein solches Nebeneinander auch qualitativ umsetzbar ist.

Meine Damen und Herren, im Sommer hat die Landesregierung zu dieser FDP-Forderung erklärt, dass eine Flexibilisierung leider aufgrund der Verkürzung des gymnasialen Bildungsganges nicht möglich sei. Die Praxis aber zeigt, dass diese Aussage so nicht richtig ist. Sie wird zum Beispiel durch ein Gymnasium in Kerpen widerlegt, das seit Jahrzehnten erfolgreich über ein solches flexibles Angebot verfügt.

Auch der doppelte Abiturjahrgang mit all seinen Schwierigkeiten fällt im kommenden Jahr weg. Wir wollen eine solche Flexibilisierung des Ganztages zum Schuljahre 2013/2014 ermöglichen.

(Beifall von der FDP)

Da dieses Argument der Ministerin dann nicht mehr besteht, freuen wir uns über eine Unterstützung der Regierungsfraktionen im Interesse der Kinder und Jugendlichen und auch im Interesse ihrer Eltern. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Fraktion der SPD spricht die Kollegin Stotz.

Marlies Stotz (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Einen Stärkungspakt für Gymnasien fordert die FDP gleich im Titel ihres Antrages. Um es gleich vorweg zu sagen: Anders als beim Stärkungspakt Stadtfinanzen, bei dem wir ja mit der FDP durchaus gut zusammengearbeitet haben, werden wir dies beim Stärkungspakt Gymnasien so, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern, nicht wiederholen.

Der kontinuierliche Ausbau des Ganztages ist auch nach unserer festen Überzeugung für die qualitative Weiterentwicklung unserer Schullandschaft unerlässlich und steht auch für uns Sozialdemokraten ganz oben auf der Tagesordnung. Ich freue mich, dass wir im Laufe der Jahre in dieser Frage hier im Hause doch zu einem grundsätzlichen Konsens gekommen sind. Vor zehn Jahren verliefen die Debatten zum Thema „Ganztag“ hier noch völlig anders.

Inzwischen ist es erfreulicherweise völlig unbestritten, dass der Ganztag ein wichtiger Baustein in der individuellen Förderung unserer Schülerinnen und Schüler darstellt, dass damit mehr Zeit für Kultur und Sport ermöglicht wird, auch eine andere Rhythmisierung des Unterrichts möglich wird. Nicht zuletzt ist der Ganztag eine unerlässliche Voraussetzung dafür, Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren zu können.

Kurzum: Mit einem guten Ganztag – ob in der offenen oder gebundenen Form – haben Kinder und Jugendliche bessere Bildungschancen. Guter Ganztag hilft, Bildungsbenachteiligungen auszugleichen. Das haben bereits viele Eltern in unserem Land erkannt.

Seit Jahren steigt der Bedarf an Ganztagsplätzen überall und in allen Schulformen. Deshalb ist für uns klar: Wir bauen Schritt für Schritt den Ganztag in allen Schulformen weiter aus. Das ist – dies ist völlig klar – erklärtes Ziel der Koalitionsfraktionen und der Landesregierung. Hieran arbeiten wir gemeinsam mit den Kommunen, Eltern, Lehrerinnen und Lehrern mit aller Kraft.

Mit der Einführung der offenen Ganztagsgrundschule 2003 sowie dem konsequenten Ausbau von Ganztagsangeboten in der Sekundarstufe I in den Folgejahren ist inzwischen, wie ich finde, ein flexibles und bedarfsgerechtes Angebot für alle Schulformen im Lande entstanden, das wir stetig fortentwickeln werden. Das ist auch heute Morgen in der Haushaltsdebatte deutlich geworden.

An dieser Stelle noch einmal ein Hinweis – Frau Ministerin Löhrmann hat dies bereits heute Morgen in der Haushaltsdebatte betont –: Wir arbeiten – auch gerade im Hinblick auf den Ganztag – daran, das Kooperationsverbot an dieser Stelle aufzuheben; denn Bildung ist nach unserem Dafürhalten eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb kämpfen wir in der rot-grünen Koalition dafür, dass auch Investitionsförderung vom Bund für den Ausbau von Ganztagsschulen möglich sein muss.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nun zum eigentlichen Anliegen der FDP, nämlich mehr Flexibilität in der Ausgestaltung des Ganztages zu ermöglichen. Ich möchte mich auf den aktuellen Erlass zum Ganztag aus dem Jahre 2010 beziehen. Dieser ermöglicht es nämlich heute schon allen Schulen gleichermaßen – also auch den Gymnasien –, den Ganztag mit verschiedenen Elementen flexibel einzuführen. Er lässt es schon jetzt zu, den Ganztag in verschiedenen Klassenstufen in unterschiedlicher Intensität umzusetzen, beispielsweise mit höherem oder niedrigem Verpflichtungsgrad. Das ist schon heute so.

Ich gebe der FDP insofern recht, als die Gymnasien bislang nicht die Speerspitze der Bewegung in Sachen Ganztagsausbau bilden. Aktuell sind in unserem Land 155 gebundene Ganztagsgymnasien am Start. Das könnten auch nach unserem Dafürhalten durchaus mehr sein. Wenn man aber genau hinschaut, stellt man fest, dass heute nahezu alle Gymnasien weitere ergänzende pädagogische Angebote über die eigentliche Unterrichtszeit hinaus anbieten, die auch mit Landesmitteln finanziert werden. Dies hat sicher auch mit der Umstellung auf das G8 zu tun, wonach faktisch an mehreren Tagen in der Woche der Unterricht ohnehin bis in den Nachmittag reicht.

Man kann also durchaus festhalten: Auch die Gymnasien sind auf dem Weg. Auch sie sind in Bewegung und entwickeln sich – wenn auch langsamer, aber stetig – auf den Ganztag zu.

Nun ganz konkret zum Antrag. Wir teilen ganz und gar nicht die Auffassung der FDP, dass wir, wie im Antrag formuliert, eine umfangreiche Werbekampagne für den Ausbau des Ganztages brauchen. Viel sinnvoller ist es für uns, dass wir die Gymnasien sowohl bei der Bewältigung der Schulzeitverkürzung – da haben sie immer noch reichlich Stress – unterstützen, als auch fachlich und wissenschaftlich beim Ausbau zum Ganztag begleiten.

Die Kernforderung, parallele Angebote von Ganztags- und Halbtagszügen an einer Schule zu ermöglichen, halten wir, ehrlich gesagt, organisatorisch für ausgesprochen schwierig. Wenn sich eine Schule auf den Weg zur Ganztagsschule macht, soll das nach unserer Auffassung auch aus einem Guss sein. Daran sollten wir nicht ohne Not rütteln. Wir können das aber noch in der Debatte im Ausschuss vertiefen.

Wir stimmen natürlich der Überweisung in den Fachausschuss zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Stotz. – Dann darf ich Frau Kollegin Birkhahn für die CDU-Fraktion aufrufen.

Astrid Birkhahn (CDU): Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! „Miteinander die Zukunft gestalten“ – unter diese Überschrift haben SPD und Grüne den Koalitionsvertrag gestellt. Damit wird der Anspruch artikuliert, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern für die Menschen in Nordrhein-Westfalen Politik gestalten zu wollen – ein Vorhaben, das man auch aus unserer Sicht nur zustimmend unterstützen kann.

Es ist doch die Aufgabe von Politik, das Zusammenleben der Menschen – unter Berücksichtigung ihrer Sorgen, Wünsche, Anregungen und Bedarfe – zu regeln. Zu dieser Aufgabe gehört es, dass sich Politik kümmert, gute Rahmenbedingungen setzt und Lösungen im Sinne der Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger aufzeigt. Politische Entscheidungen sollten damit dem Anspruch gerecht werden, nicht an der Realität vorbei getroffen zu werden.

Was den Bereich Schule angeht, sprechen Sie im Koalitionsvertrag davon, Elternmitwirkung zu stärken und Eltern echte Wahlfreiheit zu ermöglichen. Dies ist ein deutliches Signal an die Eltern in diesem Land, sie mit ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen, sie in die politischen Entscheidungen einbeziehen zu wollen.

Doch schaut man einmal genauer auf die Umsetzung und führt sich die Realität vor Augen, muss man feststellen: In diesem Bereich machen Sie oft eine Politik an den Menschen vorbei.

Vor Kurzem bei der Anhörung zum 8. Schulrechtsänderungsgesetz ist dies von verschiedenen Eltern- und Verbändevertretungen angesprochen worden. Auch im Zusammenhang mit der Organisation des Ganztags an Schulen wird deutlich: Sie nehmen die Eltern in Nordrhein-Westfalen mit ihren Problemen und Sorgen nicht in der nötigen Weise ernst. Im Gegenteil. In diesem Bereich machen Sie eine Politik von oben herab nach dem Motto: Wir wissen schon, was gut für euch ist.

Sie berücksichtigen den Elternwillen nicht ausreichend; denn es besteht immer noch ein gravierendes Ungleichgewicht zwischen den Schulformen. Sie gehen nicht auf den Bedarf der Eltern ein. Hier sind wir klar an der Seite der FDP, die in ihrem Antrag formuliert:

„Der Ausbau des offenen Ganztags darf sich nicht zu einem Zwang für die Eltern entwickeln, der ihnen Wahlmöglichkeiten verwehrt und unverhältnismäßig in die Erziehungsrechte und ?zeiten eingreift.“

In dieser Situation wird von Ihnen zu oft die Problemlage ignoriert. Meine Herren und meine Damen von SPD und Grünen, miteinander Zukunft zu gestalten heißt nicht, Menschen vorzuschreiben und von oben herab zu definieren, wie das Zusammenleben geregelt werden soll. Eltern brauchen eine Regierung, die sie bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützt, und Eltern und Kinder brauchen eine Regierung, die mit ihren Entscheidungen die Kinder individuell fördert und auf die Bedürfnisse von Familien eingeht.

Genau das passiert in Ihrer Politik um den Ganztag nicht, und deswegen sage ich: Sie geht an den Bedarfen der Menschen vorbei.

Schaffen Sie endlich die richtigen Rahmenbedingungen, und ermöglichen Sie den weiterführenden Schulen eine zeitnahe Flexibilisierung des Ganztagsangebots! Eröffnen Sie endlich die Möglichkeit, dass an Schulen parallel in einer Jahrgangsstufe Ganztagszüge, aber auch Halbtagszüge angeboten werden können!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Im Fachausschuss ist zu diesem Thema eine lebendige Diskussion zu erwarten, an der wir uns gerne engagiert beteiligen werden. – Ich danke Ihnen heute für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Birkhahn. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will einmal die gute Nachricht, die dieser Antrag offensichtlich ausgelöst hat, zuerst benennen. Frau Kollegin Gebauer, Sie haben formuliert, dass es keine Benachteiligung für Gymnasien in Nordrhein-Westfalen gibt. Dann distanzieren Sie sich sicherlich auch von den Wahlkampfeinlassungen Ihres Fraktionsvorsitzenden in dieser Geschichte, der ja immer von der Benachteiligung der Gymnasien gesprochen hat und es auch heute noch mit Fleiß tut. Das ist erst einmal ein wohltuendes Sich-Absetzen von dieser Position.

Sie haben sicherlich auch zur Kenntnis genommen, was die Kollegin Stotz eben gesagt hat und was bereits im Schulgesetz steht. Frau Ministerin hat in der anderen Debatte davon gesprochen, dass an dem Projekt der Stiftung Mercator schon 142 Gymnasien beteiligt sind. Von daher ist Ihre Überschrift, Frau Gebauer, eigentlich auch fehl am Platz.

Die Gymnasien befinden sich nicht in der Position, einen Stärkungspakt zu benötigen wie Kommunen mit Haushaltssicherungskonzepten und tiefer Ressourcenkrise. Also ganz bestimmt nicht beim Gymnasium!

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Weil Ihnen das nicht in Ihr ideologisches Weltbild passt!)

Sie brauchen auch keinen Rettungsschirm wie den ESM. Mit dieser Überschrift liegen Sie völlig daneben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Also: Verschwörungstheorien gegen Gymnasien, das lassen wir mal. Die kann die FDP endgültig in die Mottenkiste packen.

Dann will ich zu einem zweiten Punkt kommen, den die Kollegin Birkhahn gerade vorgetragen hat, und das geht ein bisschen in die Richtung, in die die FDP oft argumentiert. Was ist denn eigentlich der Ganztag?

(Ralf Witzel [FDP]: Wir schützen die Gymnasien vor Rot-Grün!)

– Jetzt bitte nicht wieder so neurotische Dinge, Herr Witzel. Davon sind wir ja jetzt im Schulausschuss frei; das müssen wir hier auch nicht miteinander diskutieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Frage des Ganztags ist außerordentlich spannend. Was ist denn der Ganztag? – Der Ganztag ist ein Zeitgefäß für ein anderes Lernen. Der Ganztag ist ein Bildungskonzept und nicht eine Betreuungskomponente innerhalb der Schule. Das ist das Wichtige.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das wollen Sie den Gymnasien vorenthalten?!)

Deswegen ist das Interessante, dass Sie – auch aus den Reihen der CDU – mit Kleinen Anfragen zur Gestaltung der OGS kommen, bei denen ich mich frage: Von welchem Ganztagskonzept gehen Sie eigentlich aus? Von einer Beliebigkeit, weil man in der Familie heute Betreuungsbedarf hat, Kinder dann aber wieder morgen aus der Gruppe herausnimmt? – Das kann alles so nicht sein. Leider hat Frau Birkhahn hiermit auch ein Missverständnis um die Ganztagsschule auf den Weg gebracht.

Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Beer, würden Sie eine Zwischenfrage von Frau Birkhahn aus der CDU zulassen?

Sigrid Beer (GRÜNE): Aber herzlich gerne.

Astrid Birkhahn (CDU): Vielen Dank, Frau Beer. – Würden Sie mir zustimmen, dass eine unterschiedliche Konzeption beim offenen Ganztag und beim gebundenen Ganztag vorliegt und dass in dem einen Element Betreuung sicherlich eine andere Rolle spielt als in einem anderen Rhythmisierungsmodell, wie wir es im gebundenen Ganztag haben? Sollten wir darauf nicht doch differenzierter schauen?

Sigrid Beer (GRÜNE): Ich will das noch einmal sehr deutlich betonen: Ganztag ist ein Bildungskonzept und kein Betreuungskonzept. Das ist die Grundlage.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

– Herr Stamp, auch für Sie noch zur Information: Den Gymnasien wird nichts vorenthalten, aber Sie haben sie in eine schwierige Situation gebracht, indem Sie ihnen das G8 vor die Füße gekippt haben. Das genau ist die Situation gewesen,

(Beifall von den GRÜNEN)

weshalb Gymnasien jetzt auch mehr in den Ganztag hineingehen. Gymnasien waren nie die Speerspitze der Ganztagsbewegung. Und sie sind es auch heute noch nicht. Dahin werden wir sie auch nicht zwingen. Aber jedem Gymnasium, das sich auf den Weg macht, wird der Ganztag auch gewährt. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.

Das, was Sie mit den Gymnasien gemacht haben, macht es erforderlich, dass da noch gearbeitet werden muss: G8 – ohne Mensen in der Kommune, G8 – ohne Vorbereitung eines Curriculums, G8 – ohne Vorbereitung für entsprechende Schulbücher! Das sind Ihre Hinterlassenschaften, an denen wir jetzt noch arbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir müssen daran arbeiten, weil Sie so mit den Schulen und mit den Kommunen umgegangen sind. Von daher brauchen Sie sich nicht aufzuschwingen, hier in dieser Art und Weise vorzutragen. Das ist der Phantomschmerz bei Ihnen, Herr Witzel. Vielleicht vermissen Sie den Schulausschuss,

(Vereinzelt Heiterkeit von den GRÜNEN und der SPD)

aber wir haben dort jetzt fruchtbare Debatten.

Ich unterhalte mich gerne mit Ihnen über die Frage von Ganztagskonzepten und wie man sie voranbringt. Aber leider hat die FDP, Frau Gebauer, auch nicht an der Bildungskonferenz teilgenommen. Da ist nicht in Schulformpolitik gedacht worden, sondern konzeptionell in der Breite mit Blick auf die Qualität des Ganztags in der Entwicklung. Wenn wir uns diese Dinge einmal gemeinsam angucken können, dann kommen wir in der Fachdiskussion etwas weiter. Aber wir vermeiden es dann auch, hier Missverständnisse über Konzeptionen und Funktionen vom Ganztag vorzutragen. Und auf der Ebene können wir uns dann gerne unterhalten.

Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin, würden Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Stamp zulassen?

Sigrid Beer (GRÜNE): Von Herrn Stamp aber ganz besonders gerne!

(Michael Hübner [SPD]: Oh, da geht noch was! – Vereinzelt Heiterkeit)

Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Beer, ich bin überwältigt von Ihrem Charme! Vielen Dank.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Aber Ihnen gegenüber immer!)

– Danke schön.

Sie haben gerade ausgeführt, dass der Ganztag eine besondere pädagogische Qualität habe und nicht nur auf die Betreuung abziele.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Auf ein Bildungskonzept!)

– Genau, auf ein Bildungskonzept. – Uns geht es mit der Flexibilisierung darum, dieses Bildungskonzept verstärkt auch den Gymnasien zur Verfügung zu stellen. Warum wollen Sie es denn dann, wenn es ein wichtiges Bildungskonzept ist, den Gymnasien vorenthalten?

Sigrid Beer (GRÜNE): Darf ich das noch einmal wiederholen: Es wird keinem Gymnasium vorenthalten. Sie haben es scheinbar immer noch nicht verstanden. Ich sage es noch einmal zum Mitschreiben, dann können Sie es nachlesen: Keinem Gymnasium, das den Antrag stellt, wird das vorenthalten.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Sie haben doch eben gesagt: Gymnasien brauchen es nicht!)

– Nein, ich habe gesagt, dass die Gymnasien nicht die Speerspitze der Ganztagsbewegung gewesen sind, Herr Stamp – das ist in der Tat so –, und dass einige erst dahin gekommen sind, weil Sie sie in eine Situation gebracht haben, ganz neu über Ganztag nachzudenken; aber nicht in einer pädagogisch motivierenden, herausfordernden Art und Weise, sondern Sie haben sie in eine Zwangssituation vor Ort gebracht, die eine echte Notsituation war: Die Kinder müssen länger in der Schule sitzen – ohne Ausstattung, ohne Pausen, ohne Mensaausstattung. Das ist Ihre Hinterlassenschaft gewesen.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wir wollen an den pädagogischen Konzepten arbeiten.

Noch einmal zum Abschluss: Pädagogisches Konzept heißt, anderes Lernen ermöglichen. Und das macht man in einer gesamten Schulorganisation. Nicht, dass die einen anders lernen und die anderen das wie vor hundert Jahren machen. Das ist die gemeinsame pädagogische Entwicklung.

(Ralf Witzel [FDP]: Sagen Sie einmal etwas zur Qualität! – Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

– Ja, Sie lernen es, glaube ich, nicht. Wir haben noch ein paar Jahre Zeit. Dann können Sie auch an dieser Position noch arbeiten, Herr Stamp. Ich bin auch ganz frohgemut, dass Sie das dann irgendwann mitnehmen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Piratenfraktion scharrt die Kollegin Frau Rydlewski bereits mit den Hufen. Bitte sehr.

Birgit Rydlewski (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Antrag der FDP stört mich zunächst einmal diese Fixierung auf die heilige Kuh Gymnasium. Im Sinne des Wahlkampfes ist das durchaus konsequent. Ich denke aber, dass es wichtig ist, dass für alle Schulen der Ganztag ausgebaut wird, sehe allerdings den Schwerpunkt eher bei den Schulen, die ausgleichen müssen, dass in unserem Land Bildungschancen noch zu sehr von sozialer Herkunft abhängig sind.

Der Antrag hat auch sehr viele gute Aspekte, zum Beispiel die Forderung nach mehr Flexibilität von Ganztagsangeboten. Arbeit muss heute flexibler gestaltet werden, der Betreuungsbedarf in Familien ist daher sehr unterschiedlich. Schulen müssen ihre Angebote entsprechend anpassen. Das führt dann auch langfristig zu einer besseren Vereinbarkeit von Kindern und Beruf.

Außerdem haben Kinder und Jugendliche außerhalb von Schule noch diverse Interessen und Verpflichtungen, die in Summe nicht belastend werden dürfen. Es ist also ein Ausgleich zu schaffen zwischen dem berechtigten Interesse, dass man allen Schülerinnen und Schülern umfassende Möglichkeiten für Bildung bieten will, und den individuellen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen. Dabei muss Raum bleiben für Freizeitgestaltung in Vereinen, für Freunde, für Familie und einfach auch unverplante freie Zeit.

Wir Piraten möchten gerne noch einen Schritt weiter gehen. Wir möchten echte Flexibilität, echte Angebote, aus denen Kinder, Jugendliche und Eltern wählen können, nicht nur entweder Halbtag oder Ganztag, sondern angepasst an die individuelle und aktuelle Situation von Kindern und Jugendlichen, die sich im Laufe einer Schulkarriere auch deutlich ändern kann.

Die Details dieses Antrags und die gesamte Thematik wollen wir daher gerne mit Ihnen im Ausschuss weiter diskutieren. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Frau Rydlewski. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis zur heutigen Debatte hier zu diesem Thema dachte ich, dass der Ganztag zu den Themen zählte, bei denen wir doch im Grunde einen Konsens haben.

Ganztagsschulen sind ein Bildungsangebot. Deswegen hat mich etwas irritiert, Frau Birkhahn, dass Sie mehr von den Eltern als von den Kindern gesprochen haben, von den Kindern und Jugendlichen, für die wir dieses Bildungsangebot einrichten und finanzieren, und zwar gerne. In Ganztagsangeboten können Kinder und Jugendliche ihre Interessen und Begabungen entdecken und entfalten. Zudem integrieren Ganztagsschulen zunehmend Hausaufgaben in Lernzeiten, sodass Schülerinnen und Schüler auch Zeit gewinnen, außerhalb von Schule ihren Interessen nachzugehen.

Und: Der Ganztag hat eine positive Auswirkung auf das Schulklima, weil soziales Lernen stattfindet, weil es ein anderes Miteinander auch von Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern gibt. Auch das ist ein wichtiger Aspekt.

Bis 2005 hatten nur Gesamtschulen eine Chance auf den Ganztag. Zwischen 2005 und 2010 wurden Gesamtschulen systematisch ausgeschlossen.

(Ralf Witzel [FDP]: Fast 100 % waren im Ganztag!)

Heute haben alle Schulformen gleichermaßen Zugang zum Ganztag, und das ist auch gut so. Insofern noch einmal für alle: Alle bewilligungsreifen Anträge von Schulformen welcher Art auch immer sind von mir als Landesregierung genehmigt worden, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich hoffe, dass der FDP-Antrag das nicht infrage stellt, wenn er Werbemaßnahmen auf eine Schulform begrenzen will.

Meine Damen und Herren, für die Gestaltung und den Ausbau des Ganztags reicht Werbung nicht aus. Die Schulen brauchen fachliche Begleitung. Die im Antrag geforderten Fachveranstaltungen und Praxisbeispiele gibt es längst. Ich empfehle einen Blick in das Angebot der Serviceagentur „Ganztägig lernen in Nordrhein-Westfalen“ – SAG.

Ich will es noch einmal sagen: Mit Mitteln des Schulministeriums und der Stiftung Mercator führt die SAG das Vorhaben Lernpotenziale individuelle Förderung im Gymnasium durch. Es beteiligen sich 142 Ganztags- und Halbtagsgymnasien in regionalen Netzwerken. Es geht vor allem um die Integration der Hausaufgaben in Lernzeiten. Ich bin zuversichtlich, dass sich manches Halbtagsgymnasium im Verlauf des Projektes für den Ganztag entscheiden wird.

Meine Damen und Herren, über die Parallelität von Halbtag und Ganztag mag man streiten. Aber wir haben nicht ohne Grund den Ganztag als eines von sieben Handlungsfeldern und ein wichtiges Handlungsfeld zur Optimierung von G8 konzipiert. Ich fand eine Aussage verräterisch, Frau Gebauer. Sie haben gesagt, im nächsten Jahr ist das ja vorbei mit den Problemen mit dem G8. Ich erhalte nach wie vor Zuschriften, dass die Schulen das Konzept noch nicht verinnerlichen konnten, weil Sie es so hauruckähnlich eingeführt haben.

(Beifall von Renate Hendricks [SPD])

Das bleibt noch eine Baustelle in der gemeinsamen Arbeit.

Eine Zersplitterung in Züge führt in den Schulen letztlich zu einer Zweiklassengesellschaft: Lernzeiten bei den einen, Hausaufgaben bei den anderen.

Der Hinweis auf Erfahrungen anderer Bundesländer hilft wenig. In Bayern gibt es erhebliche Auseinandersetzungen um das Thema „G8 auch in Ganztagszügen“.

Meine Damen und Herren, der Ganztag ist in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu anderen Ländern ausgesprochen flexibel. Die schwarz-gelbe Regierung hat 2009 unter dem Motto „Flexibel und bedarfsgerecht“ ein Konzept entwickelt, das ich fortgeführt habe. Die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler ist in der Regel an drei Tagen und sieben Zeitstunden erforderlich. Darüber hinaus gibt es freiwillige Angebote. Der Ganztag kann in den verschiedenen Klassenstufen mit einem differenzierten höheren und niedrigeren Verpflichtungsgrad umgesetzt werden.

Ihre Forderung mit den Zügen würde doch zu Folgendem führen: Die Schulen würden natürlich dann nicht mehr einen 20%igen Ganztagszuschlag bekommen, wenn Sie den Ganztag in der Sekundarstufe I insgesamt nicht umsetzen. Dann hätten sie wesentlich weniger Gestaltungsmöglichkeiten. Ein Drittel des Ganztagszuschlags kann flexibilisiert werden, kann kapitalisiert werden, sodass wir zum Beispiel außerschulische Lernpartner in die Schulen hineinbekommen können. Deshalb gibt es keinen Einheitsganztag für alle Kinder und Jugendlichen, aber es ist ein einheitliches Konzept für Schülerinnen und Schüler einer Schule erforderlich.

Das größte Hemmnis zum weiteren Ausbau des Ganztags – das hat Frau Kollegin Stotz angesprochen – ist das Kooperationsverbot. Letztlich profitiert der Bund von den zusätzlichen Steuereinnahmen, die der Ganztag durch steigende Erwerbstätigkeit von Frauen und höhere Bildungsabschlüsse der Schülerinnen und Schüler bewirkt. Die Kosten tragen aber die Länder und Kommunen. Das ist eine reale Gerechtigkeitslücke, die wir gemeinsam schließen sollten. Dabei sollten Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, die Landesregierung unterstützen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Wir sind damit am Schluss der Beratung. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/1269 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

6   Gesetz zum Ersten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag – Erster GlüÄndStV)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/17

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1336 – Neudruck


Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/1245

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1287

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1335

zweite Lesung

Ich eröffne die Beratung. – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Töns das Wort.

Markus Töns (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter Lesung abschließend die Novelle des Glücksspielstaatsvertrages und die dazugehörigen Ausführungsgesetze.

Lassen Sie mich an dieser Stelle aber noch einmal an den Ersten Glücksspielstaatsvertrag erinnern. Dieser trat am 1. Januar 2008 in Kraft. Am 8. Oktober 2012 scheiterte er vor dem Europäischen Gerichtshof, also knapp drei Jahre nach seinem Inkrafttreten.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, wir hatten Ihnen damals prophezeit, dass das so kommen wird. Wir hatten schon in den Beratungen 2008 darauf hingewiesen, dass dieser Staatsvertrag nicht dem Gemeinschaftsrecht der Union nachkommt. Wir hatten Ihnen prophezeit, dass er vor dem EuGH scheitern wird.

Der EuGH bekräftigte im Übrigen das Recht eines staatlichen Wettspielmonopols zum Schutz von Verbrauchern. Aber die Richter kritisierten den Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit und den nicht ausreichenden Versuch der Spielsuchtbekämpfung.

Deshalb sind die Ziele des neuen Staatsvertrages auch, das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen, das Spielverhalten in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken, der Entwicklung unerlaubten Glücksspiels in Schwarzmärkten entgegenzuwirken, den Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten und sicherzustellen, dass das Glücksspiel ordnungsgemäß durchgeführt wird und Manipulationsmöglichkeiten abgewehrt werden, Gefahren für die Integrität des sportlichen Wettbewerbs bei Veranstaltungen und Vermitteln von Sportwetten vorzubeugen. Kanalisierung, Kriminalitäts- und Betrugsverhinderung und damit Verbraucherschutz und Suchtbekämpfung stehen nun in der Diskussion gleichberechtigt nebeneinander.

Um diese Ziele zu erreichen, sind differenzierte Maßnahmen für die einzelnen Glücksspielformen vorgesehen. Das dazugehörige Ausführungsgesetz soll den nun verbleibenden Gestaltungsspielraum für landesspezifische Regelungen geben. Ich glaube, das macht es auch sehr gut, und zwar insbesondere hinsichtlich der Regelung zu Spielhallen, aber auch im Bereich der Sportwetten.

Mit dem rot-grünen Änderungsantrag zu dem Ausführungsgesetz haben wir noch einmal Hinweise aus der Anhörung zum Staatsvertrag aufgegriffen. So werden wir die Abstandsregelung bei Spielhallen auf 350 m zu Bildungseinrichtungen erweitern. Damit wollen wir den Jugendschutz stärken. Gerade vom Automatenspiel geht die größte Gefährdung aus. Bei keinem anderen Glücksspiel ist die Spielsuchtgefahr größer. Auch werden wir dem Kanalisierungsauftrag des Staatsvertrages stärker Rechnung tragen, indem wir die Möglichkeit einer fünften Spielbankkonzession schaffen.

Mit ihrem Entschließungsantrag macht Rot-Grün deutlich, dass es aus unserer Sicht eine unterschiedliche Gewichtung der Glücksspielarten geben muss. Sportwetten und das Automatenspiel sind halt gefährdender als das staatliche Lottospiel. Darüber hinaus fordern wir die Landesregierung auf, auf den Bund einzuwirken, endlich die Spieleverordnung des Bundes zu novellieren. Das ist überfällig.

Lassen Sie mich zum Entschließungsantrag der FDP noch eine kurze Frage stellen. Ob die FDP an dieser Stelle auf den Spuren von Herrn Kubicki in Schleswig-Holstein ist, ist schon eine interessante Frage. Herr Kubicki und die FDP in Schleswig-Holstein hatten ja vor, das Land zu einem Las Vegas der Bundesrepublik zu machen. Das ist bekanntlich gescheitert. Das hat wohl auch der Wähler entsprechend honoriert. Das allein war schon aberwitzig. Die FDP in NRW sollte sich sehr genau überlegen, ob sie die totale Liberalisierung des Glücksspiels mit all ihren Folgen will. Im Übrigen haben auch Landesregierungen, an denen die FDP beteiligt ist, dem Staatsvertrag zugestimmt.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch zwei Anmerkungen zu dem Änderungsantrag der CDU.

Erstens. Eine Verkürzung der Sperrzeiten ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg. Außerdem würde es den Tenor des Staatsvertrages, Spielsuchtvermeidung und Jugendschutz, konterkarieren.

Liebe Abgeordnete der CDU, scheinbar haben Sie zudem den Inhalt der Härtefallklausel nicht verstanden. Diese Klausel ist in § 29 Abs. 4 bewusst so offen gefasst, um den Kommunen rechtlich den größtmöglichen Spielraum zu geben. Wir werden Ihrem Antrag folgerichtig nicht zustimmen. Der Glücksspielstaatsvertrag und seine Ausführungsgesetze sind der richtige Weg, Glücksspiel in NRW ordnungsgemäß zu regeln. Er wird dem Spielerschutz, dem Jugendschutz und dem Kanalisierungsauftrag gerecht.

Der Glücksspielstaatsvertrag ist aus meiner Sicht auch ein gelungenes Zeichen für vorbildlichen Föderalismus. – Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Töns. – Für die Fraktion der CDU spricht der Kollege Golland.

Gregor Golland (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen hier und heute im Landtag von Nordrhein-Westfalen über eine schwierige Materie zur Regelung des gewerblichen Glücksspiels und über die Novelle des sogenannten Glücksspielstaatsvertrages. Zur intensiven Diskussion und Anhörung im Hauptausschuss möchte ich nun für die CDU drei Punkte kritisch beleuchten:

Die im Ausführungsgesetz NRW festgelegte starre Sperrzeit von 1 Uhr bis 6 Uhr verkennt das Bedürfnis der Kommunen, durch unterschiedliche Sperrzeiten in unterschiedlichen Gebieten steuernd auf Angebot und Nachfrage und damit auch auf den Publikumsverkehr einwirken zu können.

Daher sollte wie bisher im Rahmen der Vorgaben des Glücksspielstaatsvertrages den Kommunen die Möglichkeit zugestanden werden, Ausnahmen von der gesetzlichen geregelten Sperrzeit zu machen. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip wissen die Kommunen vor Ort am besten selber, welche Vorgehensweise die richtige ist. Wir müssen ihnen daher Flexibilität in ihren Entscheidungen belassen.

Nächster Punkt! Die starre Übergangsregelung des Gesetzes von fünf Jahren wird der Situation vor Ort nicht gerecht. Oftmals sind langfristige Pacht- oder Kreditverträge geschlossen worden, die über die Frist von fünf Jahren hinausreichen.

(Beifall von der CDU)

Um Klagen der Unternehmen wegen enteignungsgleicher Eingriffe zu vermeiden, ist eine Erweiterung der Übergangsregelungen aus unserer Sicht zwingend geboten.

(Beifall von der CDU)

Wie in der Anhörung vom 06.09.2012 zum Glücksspielstaatsvertrag durch die kommunalen Spitzenverbände vorgetragen wurde, fürchten die Kommunen durch eine zu starre Regelung eine Klagewelle gegen ihre Ordnungsverfügungen und damit einhergehende Schadenersatzanforderungen. Das betrifft insbesondere die Übergangsfristen für sogenannte Großspielhallen, bei denen die Möglichkeit einer großzügigeren Regelung in Betracht gezogen werden sollte. Im Gesetzentwurf der Landesregierung heißt es dann auch treffend unter Punkt G „Finanzielle Auswirkungen auf die Unternehmen und privaten Haushalte“ – ich zitiere –:

„Spielhallenbetreiber werden insbesondere durch die Vorschriften der im 6. Teil des Ausführungsgesetzes (Verbot der Mehrfachkonzession, Gestaltung der Spielhalle, Sperrzeiten) in ihrer Berufsausübung beschränkt. Finanzielle Auswirkungen können durch einen Rückbau der Betriebsstätten nach Ablauf der Übergangsfrist entstehen.“

Die CDU-Fraktion fordert deswegen, unbillige Härten für Wirtschafts- und Gewerbetreibende zu vermeiden und in unser aller Interesse eine hohe Zahl vermeidbarer Klageverfahren abzuwenden.

Mit der von uns vorgeschlagenen Ergänzung des § 18 wird den Bedürfnissen von Unternehmen und Kommunen nach Rechtssicherheit Rechnung getragen.

Meine Damen und Herren, wir sind für einen geregelten Glücksspielmarkt, bei dem Aufklärung, Suchtprävention, Risikobegrenzung, aber auch die Freude am Spiel in angenehmer Atmosphäre in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen sollten. Eine einseitige Benachteiligung rechtschaffener Unternehmer und einen überbotmäßigen Eingriff in die Freizeitgestaltung der Menschen lehnen wir daher ab. Wir wollen keine Verdrängungseffekte in dunkle und unkontrollierbare Bereiche, in die Illegalität von Hinterzimmern oder in das überall verfügbare, wenngleich verbotene Internetglücksspiel.

(Beifall von der CDU)

Unsere hier aufgeführten Argumente sind in Ihrem Gesetzentwurf bzw. in Ihrem Entschließungsantrag leider nicht angemessen und ausgewogen genug berücksichtigt worden. Da wir zwar dennoch in einigen, allerdings nicht in allen Punkten ähnlicher Meinung sind, beantragen wir Einzelabstimmung zu den jeweiligen Artikeln des vorliegenden Gesetzentwurfs.

Gleichwohl werden wir den Gesetzentwurf in der darauffolgenden Gesamtabstimmung in Gänze ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Kollege Golland. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Mostofizadeh am Mikrofon.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Glücksspielländerungsstaatsvertrag, der uns heute vorliegt und von vielen Landtagen bereits beschlossen worden ist, geht im Rahmen der europarechtlichen Möglichkeiten in die absolut richtige Richtung. Ich will zwei Punkte erwähnen, die auf keinen Fall in Vergessenheit geraten sollten: Die Bekämpfung der Glücksspielsucht ist ein wirklich wichtiger Auftrag für die öffentliche Hand. Glücksspielsucht führt in die gesellschaftliche Isolation, kann ganze Familien zerstören und ist aus unserer Sicht gesellschaftlich wirklich nicht zu unterschätzen.

Deswegen – der Kollege Töns hat es schon gesagt – sind der Kanalisierungsauftrag für die öffentliche Hand und die Bekämpfung der Spielsucht, wie wir es im Entschließungsantrag deutlich gemacht haben, wichtige Aufgaben, die mit diesem Änderungsstaatsvertrag, zumindest soweit es im Konsens der Länder möglich war, wirkungsvoll aufgegriffen werden.

Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, die im Detail noch eine Rolle spielen: Wir haben die Begrenzungslinie auf 350 m erweitert. Das ist auch ein wichtiger Schritt, um für Rechtsklarheit zu sorgen und deutlich zu machen – an der Stelle stimme ich der CDU ausdrücklich nicht zu –, dass wir eine Begrenzung der Glücksspielstandorte brauchen, um gerade dem Wildwuchs von Casino- oder – so muss man sie richtigerweise nennen – Spielhallenstandorten entgegenzuwirken.

Auch die Einschränkung der Sperrzeiten, wie sie die CDU jetzt vorschlägt, halten wir nicht für sachgerecht, weil wir gerade dort für eine Beschränkung sorgen. Dazu bekennen wir uns ausdrücklich. Insofern werden wir dem CDU-Antrag an der Stelle und auch in Gänze nicht zustimmen.

Die Erweiterung der Casinostandorte und Spielbanken um eine weitere Konzession soll dazu beitragen, dem Kanalisierungsauftrag der öffentlichen Hand nachzukommen. Nordrhein-Westfalen liegt dabei im bundesweiten Vergleich am absolut unteren Ende. Selbst mit der Erweiterung bleiben wir noch im unteren Drittel der Bundesländer, soweit es das Verhältnis der Einwohner/innen zu Spielbankstandorten angeht.

Ich kann alle Kolleginnen und Kollegen nur bitten, diesem Glücksspieländerungsstaatsvertrag zuzustimmen.

Es wäre auch schön, wenn Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen würden. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit will ich mich auch hier kurzfassen.

Die Bekämpfung des Glücksspiels, der Jugendschutz und auch der Spielerschutz sind uns ein wichtiges Anliegen. Das haben wir mit unseren Änderungsanträgen und mit dem Glücksspieländerungsstaatsvertrag deutlich gemacht. Insofern bitte ich um breite Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Rasche das Wort. Bitte schön.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute in abschließender Beratung über den Glücksspieländerungsstaatsvertrag, und das ist genau der richtige Zeitpunkt, um sich noch einmal die Ziele in Erinnerung zu rufen und die Frage zu stellen, ob wir diese Ziele erreicht haben. Insofern möchte ich mir mit Ihnen fünf Ziele anschauen, um zu bewerten, ob wir diese erreicht oder nicht erreicht haben.

Erstes Ziel waren die Rechtssicherheit und der Anspruch, europäische Vorgaben umzusetzen. Von der Europäischen Kommission gibt es überhaupt kein positives Zeichen, sondern – im Gegenteil – eher negative Zeichen. Zudem wird eine Klagewelle in Nordrhein-Westfalen gegen dieses Gesetz erwartet. Somit ist das Ziel „Rechtssicherheit“ auf keinen Fall erreicht.

Ein zweites Ziel beinhaltete mehr Spielerschutz und mehr Suchtprävention. Durch die letzten Veränderungen des Gesetzes wird der Vorwurf, der in der Öffentlichkeit diskutiert wird, erhärtet, dass bei SPD und Grünen finanzielle Interessen des Landes im Vordergrund und keinesfalls die Suchtprävention oder der Spielerschutz im Vordergrund stehen. Somit ist auch dieses zweite Ziel keinesfalls erreicht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das dritte Ziel, meine Damen und Herren, sah vor, ein verstärktes Abwandern in illegale Angebote zu vermeiden. Zahlreiche Experten sagten in der Anhörung und danach voraus, dass aufgrund der Überregulierung, die von SPD und Grünen vorgenommen wurde, Spieler auf im Internet zugängliche Angebote ausländischer Anbieter ausweichen. Es wird also das Gegenteil von Spielerschutz erreicht, und zudem gehen Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren. Also, auch in diesem dritten Feld haben wir das Ziel nicht erreicht.

Viertes Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen: die Sicherung der Interessen der Destinatäre. Diese Frage bleibt offen. Die können wir erst demnächst beantworten. Ob das Ziel erreicht wird, bleibt also abzuwarten.

Das fünfte und letzte Ziel, das ich hier formulieren möchte: eine ausgewogene Abwägung der Interessen von staatlichen und privaten Anbietern. Meine Damen und Herren, wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns eingestehen, dass genau das Gegenteil erreicht wurde: auf der einen Seite die fünfte staatliche Spielbank, auf der anderen Seite keine moderaten Lösungen, was zum Beispiel Übergangs- und Abstandsregelungen betrifft. In einer staatlichen Spielbank kann man ohne Verlustbeschränkung an Spielautomaten spielen. Man kann Tausende von Euro und noch mehr verlieren. In jedem Spielautomaten in einer Kneipe gibt es diese Verlustbeschränkung. Da wird von SPD und Grünen mit zweierlei Maß gemessen, und das ist nicht richtig.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, aufgrund der vielen dargestellten Schwachstellen und der begründeten rechtlichen Bedenken ist dieser Gesetzentwurf für die FDP nicht zustimmungsfähig. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Piratenfraktion erteile ich nun Herrn Marsching das Wort.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Besucher sind nicht mehr so zahlreich anwesend, aber den Stream möchte ich noch begrüßen.

(Zurufe von der SPD: Ah!)

„Informiere dich und denke selbst“, so lautet ein wichtiger Leitspruch bei den Piraten. Als ich in den Landtag gekommen bin und die Betriebsamkeit gesehen habe, bin ich erfreut davon ausgegangen, dass dieses Credo auch für den Landtag gilt und dass hier Entscheidungen auf sachlicher Basis mit Verstand getroffen werden. Auf der Grundlage bin ich auch davon ausgegangen, dass die Anhörung der Experten zum Glücksspielstaatsvertrag dazu dienen sollte, Schwachstellen in dem Regelwerk aufzudecken. – Falsch! Falsch gedacht!

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Entschuldigung, aber es handelte sich bei dieser Anhörung um eine reine Alibiveranstaltung. Denn das hat alles nur von der Tatsache abgelenkt, lieber Herr Töns, dass es bei diesem Gesetz nicht um Spielerschutz, nicht um Jugendschutz, nicht um Suchtprävention geht. Es geht nur um eine einzige Sache: Es geht um Geld. – So ehrlich sollten wir hier in diesem Hause sein.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Ein großer Teil der Lotterieeinnahmen kommt der Stiftung des Landes NRW für Wohlfahrtspflege zugute. Circa drei Viertel gehen direkt in den Staatssäckel. Aus dem Vermögen dieser Stiftung unterstützt das Land Menschen mit Behinderung, alte Menschen, benachteiligte Kinder und den Sport. Ohne diese 93 Millionen € müsste das Land auf andere Steuereinnahmen zurückgreifen. Warum sagen wir das dann nicht genau so: „Liebe Leute, es geht hier ums Geld“?

Wir Piraten setzen uns für Transparenz ein, und seit wir hier sind, wird dieser Begriff ständig von Ihnen benutzt. Vielen Dank. Aber was heißt das eigentlich? – Transparenz heißt, dass der Bürger versteht, warum Dinge passieren. Dann reden wir bitte Klartext und nennen die wahren Beweggründe, anstatt irgendwelche Pseudoanhörungen mit Experten durchzuführen und sie dadurch zu verschleiern.

Hätten Sie den Vertretern der betroffenen Gruppen, den Wissenschaftlern und den Juristen vernünftig zugehört, dann wäre Ihnen so einiges aufgefallen.

Ihnen wäre aufgefallen, dass diese Regelung für eine Suchtprävention in Wirklichkeit gar nicht geeignet ist. 80 bis 90 % der Spielsüchtigen sind automatensüchtig. Doch der Großteil der Automatenaufsteller fällt überhaupt nicht unter diesen Staatsvertrag.

Ihnen wäre aufgefallen, dass die im Gesetz verankerten Übergangsregelungen die Unternehmen begünstigen, die sich künstlich schlechtrechnen. Seriöse Firmen, die den Jugendschutz ernst nehmen und dadurch weniger Umsatz generieren, bleiben auf der Strecke. Mit wem sollten wir wohl eher zusammenarbeiten?

Ihnen wäre aufgefallen, dass es einfach naiv ist, zu glauben, dass 2,5 Millionen deutsche Onlinepokerspieler plötzlich weg sind, wenn wir sie nicht in diesen Staatsvertrag aufnehmen. Also, Hand vors Gesicht, und dann ist die Kindergärtnerin weg. Das funktioniert im Kindergarten. Hier im Landtag ist das ein bisschen schwierig.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Spieler werden einfach Angebote ausländischer und unkonzessionierter Anbieter nutzen, und wer davor die Augen verschließt, der hat das mit diesem Internet einfach irgendwie noch nicht so ganz verstanden.

(Zurufe von der SPD: Ah!)

Die Folge ist: Die Spieler spielen in der Illegalität. Die Folge ist, dass wir keine Kontrolle mehr über eine mögliche Spielsucht dieser Menschen haben und mit der möglichen Spielsucht dieser Menschen leben müssen. Die Folge ist, dass uns weder die daraus resultierenden Steuereinnahmen zugutekommen, noch dass wir im Rahmen der Gesetzgebung die Möglichkeit haben, auf diese Unternehmen Einfluss zu nehmen.

Sie wollen die Geldflüsse überwachen, um damit Zahlungen an illegale Glücksspielanbieter aufzudecken? Na, vielen Dank! Eine weitere Behörde, die Zugriff auf Kontodaten aller Einwohner bekommt, können wir als Piraten nicht akzeptieren. Dafür ist Datenschutz für uns ein zu hohes Gut.

(Beifall von den PIRATEN)

Aufgefallen wäre Ihnen auch, dass es sich bei zahlreichen Passagen dieses Gesetzentwurfs um sinnlosen Aktionismus handelt. Daran ändert auch ein Änderungsantrag von Rot-Grün nichts. Welchen Vorteil soll es denn bitte bringen, dass Spielstätten jetzt 350 m statt 250 m auseinander liegen bzw. von Jugendeinrichtungen entfernt sein müssen? Können die Leute nicht 100 m weiter laufen? Ich sehe darin keinen Sinn.

(Beifall von den PIRATEN)

Wie soll man rechtfertigen, dass es 20 Glücksspiellizenzen gibt? Woher kommt diese Zahl? In Italien sind mehr als 1.000 Glücksspielanbieter lizensiert worden. Wir kommen mit 20 aus? Das macht keinen Sinn.

Und warum bitte dürfen Testspieler, die die Einhaltung von Gesetzen überprüfen sollen, nur noch von den anbietenden Unternehmen selbst beschäftigt werden? Können die sich jetzt selber reinwaschen, ein entsprechendes Papier ausstellen?

Sowohl europäischem als auch deutschem Recht wird das Gesetz höchstwahrscheinlich nicht standhalten.

Das alles hätten wir aus den Anhörungen lernen und den Gesetzentwurf entsprechend nachbessern können. Aber eine gemeinsame Auswertung der Veranstaltung fand nicht statt. Stattdessen wurde uns Piraten im Hauptausschuss gesagt: Wir haben unsere Auswertung der Anhörung gemacht. Wenn Ihr das nicht macht, dann können wir ja dafür nichts. – Na, vielen Dank!

Was ich aus dieser Farce gelernt habe, ist, dass wir große und aufwendige Befragungen machen, aber diese Expertenrunden als nichts anderes ansehen müssen als eine große Verschwendung von Steuergeldern. Das war der gescheiterte Versuch, eine politische Meinung zu untermauern. Aber durch Fakten und Expertenaussagen in der Anhörung wurde Ihre Meinung gestürzt.

Wir Piraten sind in den Landtag gekommen, um uns für eine andere Form von Politik einzusetzen. Wir stehen für Transparenz, für Teilhabe und vor allen Dingen für eines: für Ehrlichkeit. Hier geht es nur um Geld! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die Landesregierung hat Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Glücksspielstaatsvertrag vom 15. Dezember 2011 ist bereits in 14 Ländern in Kraft getreten. Heute kann nunmehr auch in Nordrhein-Westfalen diesem Staatsvertrag zugestimmt werden. Das ist auch gut so.

Der neue Glücksspielstaatsvertrag bildet den richtigen Kompromiss zwischen den Interessen des Glücksspielwesens auf der einen Seite und dem Interesse an legalen Glücksspielangeboten auf der anderen Seite. – Herr Marsching, es geht hier nicht nur um Geld, sondern insbesondere auch um die Bekämpfung der Spielsucht.

Lassen Sie mich die wichtigsten Eckpunkte dieses Staatsvertrages kurz vorstellen. Für Lotterien bleibt es beim staatlichen Veranstaltungsmonopol. Für Sportwetten werden zeitlich befristet 20 Konzessionen an private Sportwettenveranstalter vergeben. Das länderübergreifende Verfahren läuft zurzeit zentral in Hessen. Das bisherige Internetangebot wird gelockert. Künftig können erlaubte Lotterie- und Sportwettenangebote im Internet vertrieben und vermittelt werden. Bei den Kasinospielen einschließlich Poker verbleibt es bei der strengen Begrenzung des Angebotes auf Spielbanken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Mittelpunkt sollen heute aber das Ausführungsgesetz und das neue Spielbankgesetz stehen. Wir nutzen in Nordrhein-Westfalen unseren bestehenden Gestaltungsspielraum für landesrechtliche Regelungen, um Glücksspiele in geordnete Bahnen zu lenken und um Spielsucht effektiv zu bekämpfen.

Es ist bereits angesprochen worden: Ein Mindestabstand von 350 m zwischen Spielhallen ist eine Verschärfung gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf und eine aktive Handlung gegen Spielsucht.

Auch Mehrfachkonzessionen, die zu spielbankähnlichen Großspielhallen geführt haben, wirken wir mit diesem Gesetz entgegen.

Darüber hinaus – auch das ist wichtig – dürfen in den Spielhallen keine EC- oder Kreditkartenautomaten aufgestellt werden. Dies erschwert die schnelle Beschaffung von Bargeld und kann das Verschuldungsrisiko von Glücksspielern senken.

Meine Damen und Herren, das Spielbankgesetz ermöglicht es auch, eine fünfte Spielbank zu eröffnen. Damit stellen wir eine attraktive Alternative zu illegalen Angeboten bereit.

Dieser Staatsvertrag hat einen langen Weg nehmen müssen. Ich freue mich, dass Nordrhein-Westfalen heute hoffentlich – das würde ich allen Fraktionen empfehlen – als 15. Bundesland zustimmen wird. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor. – Das bleibt auch so. Dann kann ich die Beratung zum Tagesordnungspunkt 6 schließen.

Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Es ist eine ganze Reihe von Abstimmungen durchzuführen. Ich sage vorab, welche Abstimmungen wir durchführen, bevor wir in den eigentlichen Abstimmungsgang eintreten.

Zuerst werden wir über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU abstimmen. Danach stimmen wir über den Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlüsse des Hauptausschusses ab. Hierzu hat die CDU getrennte Abstimmung über die vier Artikel beantragt. Diese werden wir durchführen. Danach wird es die Gesamtabstimmung geben. Anschließend haben wir noch über zwei Entschließungsanträge abzustimmen: über einen Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen und über einen Entschließungsantrag der FDP. Damit haben Sie eine kleine Übersicht über den Abstimmungsmarathon.

Ich lasse nun abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/1336 – Neudruck. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP und Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Stimmenthaltungen? – Eine Stimmenthaltung bei den Piraten. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Änderungsantrag der Fraktion der CDU abgelehnt.

Ich komme jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/17, und zwar in der Fassung der Beschlüsse aus dem Hauptausschuss, die wir in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1245 vorfinden. Der Hauptausschuss empfiehlt uns, den Gesetzentwurf in der dort beschlossenen Fassung im Plenum anzunehmen.

Zunächst rufe ich Art. 1, den eigentlichen Staatsvertrag, auf. Wer Art. 1 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU. Wer stimmt dagegen? – Die Piraten. Wer enthält sich? – Die FDP. Damit ist der Art. 1 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Ich rufe auf die Abstimmung über Art. 2; das ist das Ausführungsgesetz. Wer diesem Artikel seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. – Wer stimmt dagegen? Die Piraten, die CDU, die FDP. Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist Art. 2 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ebenfalls angenommen.

Ich rufe auf die Abstimmung über Art. 3 – das ist das Spielbankgesetz – und frage, wer diesem Artikel seine Zustimmung geben möchte. – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU. Wer stimmt dagegen? – Die Piraten. Stimmenthaltungen? – Bei der FDP. Damit ist Art. 3 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ebenfalls angenommen.

Ich rufe auf die Abstimmung über Art. 4; das ist das Inkrafttreten. Wer möchte diesem Artikel seine Zustimmung geben? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU. Wer stimmt dagegen? – Die Piraten. Wer enthält sich? – Die FDP. Damit ist Art. 4 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ebenfalls angenommen.

Ich komme zur Gesamtabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf Drucksache 16/17 in der Fassung der Beschlüsse, die in der Beschlussempfehlung ausgewiesen sind, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, FDP und die Piraten. Gibt es Stimmenhaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Ich komme zu den letzten beiden Abstimmungen, zunächst zu der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/1287. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, FDP und die Piraten. Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist nicht der Fall. – Damit ist der Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Ich komme zuletzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/1335. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von FDP, CDU und Piraten. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Wir sind nun mit dem Abstimmungsmarathon durch, und ich kann Tagesordnungspunkt 6 schließen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

7   Gesetz zur Regelung des Kostenausgleichs für Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe (Belastungsausgleichsgesetz Jugendhilfe – BAG-JH)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/128

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1321


Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/1241

zweite Lesung

Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Jörg das Wort.

Wolfgang Jörg (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will es aufgrund der fortgeschrittenen Zeit kurz machen; ich habe mich gerade mit einigen Obleuten darauf verständigt.

Es gibt drei Punkte zu erwähnen.

Erstens. Wir haben im Verfahren festgestellt, dass die alte Landesregierung die bis dato fehlenden Konnexitätsverhandlungen zu verantworten hat. Das hat dazu geführt, dass die Ausbaudynamik im U3-Bereich ins Stocken geraten ist. Die alte Landesregierung hat die rechtlich erforderlichen Verhandlungen nicht geführt. Dadurch bekamen die Kommunen deutlich weniger Geld in die Hand. Das führte nachgewiesenermaßen dazu – wir haben das in der Anhörung deutlich gehört –, dass der Umfang an U3-Plätzen, den wir hätten erreichen können, heute nicht zur Verfügung steht. – Das ist das Erste, was man sagen muss.

Das Zweite, was man sagen muss, ist, dass wir allen, die da in den letzten zwei Jahren mitverhandelt haben, zu Dank verpflichtet sind. Das ist ein Ergebnis, Frau Ministerin – das können Sie Ihrem Team bitte vom Parlament ausrichten –, das sich sehen lassen kann. Die Kommunen sind zufrieden. Auch wir sind zufrieden, weil wir jetzt wissen, dass dieses Geld eine weitere Ausbaudynamik auslösen wird.

Das Dritte, was es zu sagen gilt, ist, dass wir im Verfahren und besonders in der letzten Diskussion im Ausschuss doch noch Einvernehmen hinbekommen haben. Ich persönlich finde es wirklich klasse, dass es einen einstimmigen Beschluss gibt, dass man in der Diskussion die Vergangenheit hat ruhen lassen und gemeinsam in die Zukunft geguckt hat. Es war schön – herzlichen Dank dafür an die anderen Fraktionen –, einen einstimmigen Beschluss zu erwirken.

Jetzt kommt es darauf an, dass wir alle zusammen das Geld so schnell wie möglich an die Kommunen durchleiten, und zwar nicht – wie ursprünglich vorgesehen – gesplittet, sondern in einem Rutsch. Das stellen wir in unserem Änderungsantrag hier heute zur Abstimmung.

Ich würde mich sehr freuen, wenn alle Fraktionen diesem Änderungsantrag zustimmen würden. Das wäre sozusagen der Geist, den wir aus der letzten Sitzung unseres Ausschusses mitnehmen könnten. Es wäre ein gutes Zeichen für die Kommunen. Wir alle sind in unseren Wahlkreisen betroffen. Es wäre daher schön, wenn das Parlament diesen Antrag gemeinsam beschließen könnte. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, wenn sie auch nur zum Teil vorhanden war.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Jörg. Aber der Teil der Abgeordneten, der Ihnen Aufmerksamkeit geschenkt hat, hat sicherlich gut zugehört. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Scharrenbach das Wort.

Ina Scharrenbach (CDU): Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Jörg, bitte erlauben Sie mir einleitend, bevor ich zum Belastungsausgleichsgesetz Stellung nehme, ein paar Worte in Ihre Richtung.

Ich gehöre dem Parlament noch nicht so lange an und bin schwer „begeistert“ davon, wie viel Zeit die Koalitionsfraktionen darauf verwenden, immer wieder zurückzublicken und zu versuchen, Geschichtsklitterung zu betreiben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Marc Herter [SPD])

Das gilt insbesondere in diesem Verfahren. Denn eines darf man nicht vergessen: Das Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz ist im Landtag damals letztendlich einstimmig von allen Fraktionen getragen worden. Der seinerzeitige Regierungsmitarbeiter Prof. Schäfer hat in dem Verfahren deutlich gemacht, dass die Änderungen, die dort vorgenommen worden sind, lediglich technischer Art waren und Konnixitätsfragen nicht zur Auslösung gebracht haben. Das haben Sie damals mitgetragen. Insofern, Herr Jörg, wäre es besser gewesen, wenn Sie hier etwas umfassender und differenzierter Stellung genommen hätten.

(Beifall von der CDU)

Zum Belastungsausgleichsgesetz! Wir haben unzweifelhaft Druck auf dem Kessel der Kommunen beim Ausbau von U3. Wir werden heute mit der Beschlussfassung zum Belastungsausgleichsgesetz finanziellen Druck aus diesem Kessel nehmen. Die CDU-Fraktion hat in den Fachausschüssen bereits deutlich gemacht, dass sie dem Belastungsausgleichsgesetz zustimmen wird. Die CDU-Fraktion wird auch dem Änderungsantrag zustimmen, der vorsieht, dass vorzeitig Mittel in Höhe von 75 Millionen € zusätzlich ausgeschüttet werden. Damit werden bis 2018 insgesamt 1,4 Milliarden € an Belastungsausgleich für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stehen.

An dieser Stelle darf eines nicht unerwähnt bleiben: Der Bund wird sich durch die geänderte Verteilung der Umsatzsteuermittel mit 1,2 Milliarden € an diesen Kosten beteiligen.

(Beifall von der CDU)

Damit werden 86 % der Mittel zusätzlich vom Bund in diese Aufgaben hineingepresst. Das darf man an dieser Stelle auch mal bemerken.

Zusammen mit den zusätzlichen Bundesmitteln in Höhe von rund 126 Millionen €, die auf Nordrhein-Westfalen entfallen, stellen Bund und Land den NRW-Kommunen vorerst genügend Geld zur Verfügung, um den U3-Ausbau in den nächsten Monaten vorantreiben zu können – auch wenn das Belastungsausgleichsgesetz nur den Mehraufwand zwischen dem Ausbauziel des Tagesbetreuungsausbaugesetzes mit 17 % und dem Ausbauziel des KiföG mit 32 % ausgleichen will. Wir wissen aber, dass der Bedarf an U3-Plätzen in einigen Regionen Nordrhein-Westfalens bereits heute deutlich höher ist und bis an 60 % heranreicht. Damit wird das Geld, auch wenn wir heute abstimmen, langfristig nicht reichen.

In diesem Belastungsausgleichsgesetz gibt es allerdings zwei fehlerhafte Annahmen, die ich für die CDU-Fraktion benennen und beschreiben möchte.

Die eine Annahme betrifft die Höhe der Investitionskosten. Die kommunalen Spitzenverbände haben in ihren Stellungnahmen und auch in der Anhörung deutlich gemacht: Der kostengünstige Umbau von Altimmobilien für den U3-Ausbau ist weitestgehend abgeschlossen, und die Kommunen müssen in Neueinrichtungen investieren. Diese Investitionskosten sind wesentlich höher als das, was in dem Belastungsausgleichsgesetz angenommen wird. Insofern wird die zeitnahe Überprüfung, die in diesem Gesetz ebenfalls angekündigt ist, schnell zu einem Nachsteuerungsbedarf führen. Allerdings – das sollten wir im Hinterkopf behalten – gehen die Kommunen hier mal wieder in Vorleistung.

Eine zweite fehlerhafte Annahme betrifft die Regierungsfraktionen direkt. Sie haben damals das Fünfte Schulrechtsänderungsgesetz beschlossen und mit der Änderung, die sie vorgenommen haben, zusätzlichen Druck in den Kessel gegeben. Sie haben diesen Druck damals nicht ausgeglichen und gleichen ihn auch heute mit diesem Belastungsausgleichsgesetz nicht aus.

(Beifall von der CDU)

Insofern ist es dringend an der Zeit, dass Sie anerkennen, dass das Fünfte Schulrechtsänderungsgesetz sehr wohl Konnexitätsrelevanz hat. Die CDU-Fraktion erwartet, dass hier im Laufe des Jahres 2013 nachgebessert wird.

(Beifall von der CDU)

Abschließend: 182 Millionen € durch das Land, 126 Millionen € zusätzliche Mittel durch den Bund in den nächsten Monaten, insgesamt 208 Millionen € zur Entlastung der Kommunen und zur Realisierung der Wahlfreiheit der Eltern bei der Kinderbetreuung, 1,4 Milliarden € plus bis 2018. Das sind die Eckdaten, und dafür macht die CDU heute den Weg mit frei. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Scharrenbach. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Asch das Wort.

Andrea Asch (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist ein guter Tag für die Kommunen, ein guter Tag für die Familien in Nordrhein-Westfalen, weil die Landesregierung und wir Fraktionen das tun, was wir versprochen haben. Wir stellen den Kommunen erhebliche Mittel – 1,4 Milliarden € – zur Verfügung, damit sie den dringend erforderlichen U3-Ausbau vor Ort stemmen können. Das kann man nicht kleinreden. Ich war sehr froh, dass der Sprecher der CDU-Fraktion im Ausschuss, Herr Tenhumberg, das auch gar nicht versucht hat, sondern diese Leistung anerkannt und deutlich gemacht hat, dass er das mitträgt.

Insoweit hat die CDU-Fraktion zumindest im Fachausschuss ein Stück kompensiert, was sie, wie wir alle wissen, vorher immer geleugnet hat, nämlich dass die Kommunen tatsächlich einen Anspruch auf diese Landesmittel haben. Insofern war ich eigentlich ein bisschen versöhnlich gestimmt und dachte, wir haben einen schönen Konsens. Dass die FDP-Fraktion nicht mitzieht und nicht bereit ist, den Kommunen in der Frage die Hand entgegenzustrecken, das sind wir gewohnt. Wir wollen auch keine zu hohen Erwartungen an diese Fraktion richten.

Aber, Frau Kollegin Scharrenbach, die Schärfe Ihrer Argumentation und Ihrer Ausführungen hat mich dann doch etwas gewundert. Sie wundert mich insoweit, als dass ich glaube, dass die CDU-Fraktion keinen Grund hat, an dieser Stelle den Mund allzu voll zu nehmen. Schließlich wissen wir genau, dass wir hier nur etwas nachvollziehen, was Sie sträflich vernachlässigt haben.

(Beifall von der SPD)

Hier geht es nicht nur um eine Umsteuerung. Vielmehr beseitigen wir die Barrieren, die Sie aufgerichtet haben. Sie haben ein von den Kommunen in Nordrhein-Westfalen angestrengtes Klageverfahren verloren. Jetzt beseitigen wir die Barrieren, indem wir den Kommunen 1,4 Milliarden € zur Verfügung stellen.

Aber statt zu sagen: „Das ist gut so; wir erkennen diese Leistung an“, machen Sie wieder dieses Fass auf. Schauen Sie einmal auf die letzte Legislaturperiode zurück! Im Fazit kommen Sie dabei nicht gut weg. Sie waren da nicht nur kommunalfeindlich, sondern auch familienfeindlich, weil Sie die Kommunen im U3-Bereich nicht unterstützt haben. Das kompensieren wir von Rot-Grün jetzt mit 1,4 Milliarden €, meine Damen und Herren. Das sind die Fakten.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Außerdem ist Fakt, dass wir nicht nur eine Menge Geld in die Hand nehmen, sondern es den Kommunen auch schnellstmöglich zur Verfügung stellen. Darauf bezieht sich unser vorliegender Antrag. Wir wissen alle, dass die Zeit bis zum Rechtsanspruch 2013 drängt. Deshalb haben wir beantragt, dass auch die 75 Millionen €, die in der zweiten Tranche vorgesehen waren, schon in der ersten Tranche an die Kommunen ausgezahlt werden. Das ist wiederum ein kommunalfreundlicher Akt.

Ich kann nur hoffen und Sie auffordern, dass Sie an dieser Stelle mit uns stimmen. Damit könnten Sie ein Stück weit das wiedergutmachen, was Sie den Kommunen damals angetan haben, indem Sie ihnen diese Landesmittel vorenthalten haben.

Meine Damen und Herren, das ist ein guter kommunal- und familienfreundlicher Gesetzentwurf. Und ich hoffe, dass er hier – genauso wie im Ausschuss – eine breite Mehrheit findet. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin schon etwas irritiert über den Wortbeitrag von Frau Asch. Da ich erst seit 2010 im Landtag bin

(Beifall von der FDP und der CDU)

– das ist schon einen Applaus an sich wert –, habe ich mich mal schlaugemacht, wie sich die Fraktionen hier im Landtag verhalten haben, als das Erste Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zur Abstimmung stand. Es ist festzustellen, dass sich eine Fraktion enthalten hat, nämlich die Grünen. Sie haben sich da also auch nicht fehlerfrei verhalten, Frau Asch. Sie haben sich enthalten und das Gesetz nicht abgelehnt.

(Andrea Asch [GRÜNE]: Ach, plötzlich ist eine Enthaltung falsch?)

Man kann auch noch einen Schritt weitergehen, Frau Asch. Ihr lieber Koalitionspartner hat diesem Gesetz zugestimmt, also auch Herr Jörg und selbst die heutige Ministerin. Sich dann so scheinheilig hierhin zu stellen und mit dem Finger wieder auf die anderen zu zeigen ist mit Sicherheit nicht der richtige Ton.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Hafke, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Marcel Hafke (FDP): Nein. Ich fange ja gerade erst mit meinen Ausführungen an.

(Andrea Asch [GRÜNE]: Weil es sachlich falsch ist!)

– Frau Asch, wir haben das recherchiert. Sie wissen es ja auch selber. Es ist immer einfach, mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Frau Asch, wenn Sie im Ausschuss einmal zugehört hätten, hätten Sie auch mitbekommen, warum die FDP-Fraktion sich dort enthalten hat. Wir haben nämlich gesagt: Dem Grunde nach ist dieses Gesetz richtig. Aber wie die Verhandlungen gezeigt haben – das haben auch die Experten und die kommunalen Spitzenverbände erklärt –, ist es bezogen auf die Kostenfolgeabschätzung und den finanziellen Aufwand nicht ausgereift.

Sie gehen immer noch von veralteten Zahlen aus, von U3-Deckungsquoten von 32 %. Mittlerweile wissen wir aber doch alle, dass das nicht mehr ausreichend ist, dass wir innerhalb des nächsten Jahres mehr als 30.000 Plätze schaffen müssen und dass die Bedarfe vor Ort anders aussehen.

Das ist der Grund, aus dem wir uns enthalten haben. Ich glaube, dass man das dann auch anerkennen muss.

Etwas haben Sie zu Recht gesagt. Der Gesetzentwurf ist nicht ausgereift. Genau aus diesem Grund haben Sie einen Änderungsantrag mit 75 Millionen € nachgeschossen. Sie wollen die Kostenerstattung vorziehen, weil Sie feststellen, dass dieser Gesetzentwurf nicht ausgereift ist.

Diesem Änderungsantrag werden wir zustimmen, Frau Asch, weil wir es für wichtig halten, dass die Kommunen die finanziellen Mittel erhalten, damit das Ganze auch bei den Eltern ankommt.

Die Berechnungsgrundlage – da entlassen wir Sie nicht aus der Haftung, Frau Asch – finden wir aber nicht richtig. Deswegen werden wir uns bei der Gesamtabstimmung enthalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Piraten spricht Herr Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Bürger im Stream! Erlauben Sie mir folgende Bemerkung: Das Gesetz, über das wir gleich abstimmen werden, hat aus Sicht der Piraten einen ganz entscheidenden Fehler. Im Entstehungsprozess dieses Gesetzes sind die Bedürfnisse der wichtigsten Interessengruppe mal wieder zu wenig berücksichtigt worden. Eigentlich kommen sie kaum zu Wort: die Kinder. Um sie geht es doch letztendlich.

Zuerst muss das Geld eingeklagt werden. Dann wird auch noch mit den Kommunen um das Geld gefeilscht. Unsere Kinder sind aber doch auf eine angemessene Bildung angewiesen. Wir dürfen hier keine Scheuklappen aufsetzen. Die frühkindliche Bildung bis zum dritten Lebensjahr ist maßgeblich für die folgende Entwicklung.

Die Landesregierung meint wohl immer noch, der U3-Ausbau sei ohne große Kosten zu realisieren. Bildung kann und darf aber niemals billig sein. Die Folgekosten von billiger Bildung möchte ich Ihnen hier jetzt gar nicht vorrechnen. Das Dumme ist nur, dass sie nicht direkt heute zu Buche schlagen, sondern dass die Kinder sie zahlen müssen. Es darf einfach nicht sein, dass der nächsten Generation Möglichkeiten verbaut werden, indem zu wenig in ihre Bildung investiert wird.

Es zeigt sich immer wieder, dass die Interessen der Kinder nicht genug vertreten werden. Das ist auch klar: Als Wählergruppe sind sie ja nicht existent. Ich muss sagen: In dem Moment träume ich doch hin und wieder von einem Wahlalter ab null.

Dies ist für uns Piraten aber kein Grund, genauso zu verfahren. Wir Piraten werden in Zukunft genau darauf achten, ob die Bedürfnisse von Kindern wirklich beachtet werden. Wir werden die Kinder immer wieder in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken.

Wir Piraten meinen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht im Interesse der Kinder wäre, gegen diesen Gesetzentwurf zu stimmen. Schließlich benötigen die Kommunen dringend und vor allem zeitnah das Geld für den Ausbau der Kitaplätze. Eine Verzögerung wäre nicht zu verantworten. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir Piraten auch die aktuellen Änderungsanträge von SPD und den Grünen. Sie wollen dieses Jahr den Betrag von 74,5 Millionen € schon auszahlen, was erst im nächsten Jahr eingeplant war. Das gefällt uns sehr gut.

Allerdings verändert diese Vorgehensweise nichts an der Qualität der U3-Bildung. Vielmehr versucht die Landesregierung hier verzweifelt, ihre Versäumnisse aufzuholen. Ausgebildetes Fachpersonal werden Sie mit solchen Maßnahmen nicht plötzlich aus dem Hut zaubern können.

Trotzdem kann ich nur empfehlen, für den genannten Gesetzentwurf und für den Änderungsantrag zu stimmen. Wir begrüßen diese Investitionen in die Bildung unserer Kinder. Wir werden jedoch zum Haushalt 2013 Anträge stellen, die für eine angemessene Finanzierung der frühkindlichen Bildung sorgen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schäfer.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich möchte zwei Punkte voranstellen, um sehr deutlich die Basis für dieses Gesetz klarzumachen.

Zum einen hat Frau Scharrenbach von der Geschichtsklitterung gesprochen. Dazu sei angemerkt: Richtig ist, dass damals fast alle Fraktionen dieser technischen Änderung im Gesetz zugestimmt haben. Aber, Herr Hafke, die SPD und die Bündnisgrünen haben damals nicht zugestimmt, dass die Landesregierung jedes Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden zur Kostenfolgeabschätzung verweigert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das war die Aufgabe der Landesregierung. Und diese Aufgabe hat die schwarz-gelbe Landesregierung nicht wahrgenommen. Insofern ist es richtig, was die Vorredner von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gesagt haben, dass wir nämlich aufräumen mussten, was Sie uns als Baustelle hinterlassen haben.

Der zweite Punkt, warum es auch so schwierig war, diesen Gesetzentwurf tatsächlich in eine Form zu bekommen, ist die Tatsache, dass wir bei der Regierungsübernahme keinerlei statistische Daten, keinerlei belastbares Material darüber vorgefunden haben, welche Zahlen nach dem Tagesausbaubetreuungsgesetz vorhanden gewesen sind. Es gab keine Erhebung dazu. Und das Tagesausbaubetreuungsgesetz – darauf möchte ich noch einmal hinweisen – hat im Grunde genommen die Kommunen verpflichtet, und zwar alleine die Kommunen, für den U3-Ausbau zu sorgen.

Als man gemerkt hat, dass die Kommunen das allein nicht schaffen, hat es den Krippengipfel gegeben. Da haben sich Bund und Länder verständigt, zu unterstützen. Es wäre sehr klug gewesen, in Nordrhein-Westfalen in 2007 einmal den Status quo festzuhalten. Dann wären die Verhandlungen mit den Kommunen leichter geworden.

Wir haben es aber trotzdem hinbekommen. Dafür möchte ich den kommunalen Spitzenverbänden, die sehr fair und konstruktiv mit uns verhandelt haben, ganz herzlich auch von dieser Stelle aus danken. Ich gebe auch gerne den Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses weiter, worum mich Herr Jörg gebeten hat. Denn ich weiß, wie intensiv an dieser Stelle verhandelt worden ist.

Schließlich bin ich auch dem Ausschuss dafür dankbar, dass er die zügige Beratung ermöglicht hat. Ich freue mich darüber, dass wir den Kommunen jetzt auch noch durch den Änderungsantrag diese 181 Millionen €, die es in toto sind, unbürokratisch, schnell und in einem Zug überweisen können, denn das hilft uns tatsächlich auch bei der weiteren Beschleunigung im U3-Ausbau. Wir werden noch darüber debattieren. Die Beschleunigung brauchen wir. An dieser Stelle sind wir uns alle einig.

Herr Hafke, noch eines: Wir haben in diesem Gesetz einen Dynamisierungsfaktor. Das heißt, wir gucken jedes Jahr noch einmal, ob die Zahlen stimmen. Wenn Sie jetzt fragen, wer weiß, ob wir über 144.000 Plätze hinaus noch weiter finanzieren, dann weise ich darauf hin: In diesem Gesetz steht, dass wir das machen müssen. Jeden Platz, der in Nordrhein-Westfalen entsteht, werden wir weiter als Land mitfinanzieren. Und das ist eine enorme Leistung dieses Landes Nordrhein-Westfalen für die Familien in unserem Land.

(Beifall von der SPD)

Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es in der Tat ab dem 1. August 2013 eine Unterstützung des Landes für jeden U3-Platz in Höhe von 55 % geben wird. Wir steigern damit unseren Anteil um 20 % von 35 % auf 55 %. Ich denke, das ist auch ein gutes Signal für die Kommunen, für die Träger und für die Familien in unserem Land.

Ich bin ganz sicher, dass es auch helfen wird, in dieser Situation, die nach wie vor beim U3-Ausbau noch schwierig ist – das bestreitet niemand –, eine Planungssicherheit in Nordrhein-Westfalen zu entwickeln, auf die sich dann alle, zumindest was diese Landesregierung angeht, verlassen können. Auch noch einmal an die Adresse der Piraten: Das ist im Sinne unserer Kinder, für die wir nun wirklich viel in diesem Land tun wollen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und noch einmal für die parteiübergreifende, koalitions- und oppositionsübergreifende Zustimmung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung zum Tagesordnungspunkt 7.

Ich komme zu den Abstimmungen. Wir stimmen erstens über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/1321 ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und die Piraten. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? – Ebenfalls nicht. Damit ist dieser Änderungsantrag einstimmig angenommen.

Wir stimmen zweitens über den Gesetzentwurf 16/128 ab. Der Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend empfiehlt uns in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1241, den so geänderten Gesetzentwurf im Übrigen unverändert anzunehmen. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Das ist die Fraktion der FDP. Mit diesem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung angenommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 7 und rufe auf:

8   NRW braucht ein Transparenzgesetz!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1254

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1337

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Herrmann das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Kraft, Sie sind gerade noch im Saal. Mit unserem Antrag zu einem Transparenzgesetz für Nordrhein-Westfalen möchten wir ganz besonders Ihre Einladung zu einer offenen und konstruktiven Zusammenarbeit aus Ihrer Regierungserklärung annehmen.

(Zustimmung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Es gibt wohl nichts, das sich für eine gemeinsame Arbeit besser eignet als ein Transparenzgesetz.

Schon vor etwas mehr als elf Jahren haben alle Fraktionen in diesem Haus zusammengearbeitet und mit dem Gesetz für die Informationsfreiheit in NRW die Grundlage geschaffen, die Politik aus den Hinterzimmern zu holen und das Handeln der Verwaltung für den Bürger nachvollziehbar zu machen. Aber das waren eben nur die Grundlagen. Im Laufe der Zeit haben sich Ecken und Kanten gezeigt. Deshalb muss nun der nächste Schritt erfolgen.

Frau Kraft, Ihre Partei, die SPD, hat in Hamburg dazu eine großartige Vorlage geliefert. Die Regierung hat dort am 13. Juni dieses Jahres das Hamburger Transparenzgesetz beschlossen, das gestern vor einem Monat in Kraft getreten ist. Ich darf aus § 1 Abs. 1 den Zweck des Gesetzes zitieren, nämlich

„Informationen unter Wahrung des Schutzes personenbezogener Daten unmittelbar der Allgemeinheit zugänglich zu machen und zu verbreiten, um über die bestehenden Informationsmöglichkeiten hinaus die demokratische Meinungs- und Willensbildung zu fördern und eine Kontrolle des staatlichen Handelns zu ermöglichen.“

Der entscheidende Punkt dabei lautet: „unmittelbar der Allgemeinheit zugänglich zu machen“. Damit ist Offenheit grundsätzlich zum Prinzip und zur Pflicht gemacht. Das, meine Damen und Herren, sollte auch für uns in Nordrhein-Westfalen eine Selbstverständlichkeit werden.

Von dieser Pflicht sind verfassungsrechtlich zwingend gebotene Bereiche und Vorgänge wie Steuerfestsetzung oder Aufgaben des Verfassungsschutzes ausgenommen. Der herausragende Punkt bleibt aber das Prinzip der Offenheit.

Frau Ministerin Löhrmann, Sie erwähnten ein Transparenzgesetz im Koalitionsvertrag, aber in Ihrem Antrag zu einer Open-Government-Strategie für Nordrhein-Westfalen findet sich dazu leider nichts. Wir möchten Ihnen mit unserem Antrag die Hand reichen und damit Ihren Antrag vervollständigen. Denn Offenheit ist die notwendige Grundlage jeglicher Art von authentischem Open Government.

(Beifall von den PIRATEN)

Dieser Antrag soll auch ein Startschuss für alle nicht berufspolitischen Menschen sein, die progressiv ein Transparenzgesetz in Nordrhein-Westfalen mitentwickeln möchten. Auch die Kommunen sind aufgerufen, sich zu beteiligen. Denn die Aufgabe ist am Ende sicherlich, im gesamten Land Nordrhein-Westfalen das Prinzip des offenen Handelns von Politik und Verwaltung zu verankern. Wir hoffen auf eine breite Zustimmung und eine breite Beteiligung bei der Ausarbeitung des Gesetzes.

Zum Schluss möchte ich noch auf den Ihnen aktuell vorliegenden Entschließungsantrag 16 – Leet hinweisen.

(Beifall von Daniel Düngel [PIRATEN])

Hierin geht es im Kern um das Einfrieren des Status von aktuell bereits öffentlich zugänglichen Dokumenten. Diese Dokumente sollen öffentlich bleiben, bis ein zukünftiges Transparenzgesetz aufgrund darin enthaltener Kriterien möglicherweise einen anderen Status definiert. Die Piratenfraktion bittet um Ihre Zustimmung. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN und von Ina Spanier-Oppermann [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Warden.

Marion Warden (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen – auch von der Piratenfraktion! Ich habe Ihren Antrag in Vorbereitung der Tagesordnung gelesen. Dabei fiel mir sofort auf, dass die Überschrift Ihres Antrages – versehen auch noch mit einem Ausrufezeichen – so nicht richtig sein kann.

In Ihrem Antrag fordern Sie, für NRW unverzüglich ein Transparenzgesetz vorzubereiten, das mindestens – Herr Kollege Herrmann, Sie haben es eben auch ausgeführt – den wesentlichen Regelungen des Hamburgischen Transparenzgesetzes entspricht. Sowohl die von Ihnen gewählte Überschrift als auch der Inhalt des Antrags vermitteln einen nicht ganz richtigen Eindruck von der derzeit geltenden Rechtslage in unserem Land.

Bereits im Jahr 2001 – auch das haben Sie gerade ausgeführt – wurde ein Transparenzgesetz, nämlich das Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen, das sogenannte Informationsfreiheitsgesetz, verabschiedet. Damit wurde dem wachsenden Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach Information und Transparenz der öffentlichen Verwaltungen Rechnung getragen.

Im Dezember 2009 verabschiedete der Landtag dann das Transparenzgesetz NRW. Dies geschah damals mit großer Zustimmung des Parlamentes. In diesem Gesetz steht besonders die Offenlegung der Ausgaben der öffentlichen Unternehmen im Blickpunkt, die aus Steuermitteln finanziert werden.

Damit haben wir in NRW schon in wesentlichen Feldern der öffentlichen Hand die Grundlagen für ein transparentes Handeln geschaffen. Daher ist die von Ihnen gewählte Überschrift zumindest irreführend. Wir haben bereits ein Transparenzgesetz, das von den öffentlichen Verwaltungen sowohl in der Umsetzung als auch in der Anwendung sehr ernst genommen wird.

Folgt man Ihren Ausführungen zum Inhalt, wird deutlich, dass Sie Ihren Antrag in NRW vor dem Hintergrund der Erfahrungen Ihrer Partei in der Hansestadt Hamburg stellen. Sie beschreiben im Antrag die Entwicklung bzw. den dortigen Beratungsweg und betonen, zu Ihrer Überraschung habe sich die dortige SPD wesentliche Teile des Gesetzentwurfs zu eigen gemacht. Möglicherweise wollen Sie damit Ihrer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass meine Fraktion hier ähnlich wie in Hamburg verfahren möge.

Die weitere Diskussion und Beratung wird in Kürze in den Fachausschüssen erfolgen.

(Heiterkeit und Zuruf von Robert Stein [PIRATEN]: Ach so!)

Daran wird auch Ihr Entschließungsantrag nichts ändern. Deshalb werde ich heute nicht auf weitere Details eingehen, aber so viel sei noch gesagt: Als Sozialdemokraten werden wir die Öffnung von Politik und Verwaltung aktiv und engagiert weiterentwickeln. Folgerichtig stellten unmittelbar nach Ende der Sommerferien SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag für eine Open-Government-Strategie in Nordrhein-Westfalen. Heute früh habe ich mit Freude von Ihnen, Herr Kollege Schatz, vernommen, dass Ihre Fraktion unsere Initiative unterstützt.

(Zustimmung von Dirk Schatz [PIRATEN])

Unter dem Begriff Open Government als neue und innovative Art politischen Handelns werden wir das demokratische Miteinander in unserem Land stärken. Open Government als Politik der Transparenz, der Partizipation und der Zusammenarbeit wird sich vor allem in elektronischer Interaktion niederschlagen und das Verhältnis zwischen Politik und Bürgerschaft maßgeblich optimieren.

Bürgerinnen und Bürgern muss es möglich sein, bereits im Vorfeld von Entscheidungen ihre Sicht der Dinge einzubringen. Das geht nur mit umfassendem Zugang zu den erforderlichen Informationen. Das ist unser Ziel auf dem Weg zu mehr Transparenz und zu mehr Demokratie und noch stärkerer Identifikation mit unserem Land. Von daher sehen wir auch mit Interesse der mit den Stimmen Ihrer Fraktion im Innenausschuss beschlossenen Anhörung zum Thema entgegen.

Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es aber aus unserer Sicht zu früh, Gesetzesänderungen, wie von Ihrer Fraktion beantragt, zu beschließen.

Zunächst gilt es, wesentliche Fragestellungen zu erörtern, insbesondere hinsichtlich der Dimension der einzubeziehenden Stellen. Auch maßgebliche Fragen des Datenschutzes oder zur Frage der Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen sind zu beantworten.

Was für Verwaltungsstrukturen in einem Stadtstaat wie Hamburg möglich und angemessen ist, lässt sich nicht 1:1 auf die Verwaltungsstrukturen in NRW mit 396 Städten und Gemeinden und einer Landkreisstruktur übertragen. Hinzu kommen die beiden Landschaftsverbände und fünf Bezirksregierungen. Die Landesverwaltung lässt sich in ihrer Komplexität auch nicht ohne Weiteres mit Hamburg vergleichen.

Das alles werden wir nun in einem geordneten parlamentarischen Verfahren diskutieren und beraten. Ich freue mich darüber, Herr Herrmann, dass Sie unser Angebot zur Kommunikation annehmen werden.

Der Überweisung an den Hauptausschuss werden wir selbstverständlich zustimmen. Ihrem Entschließungsantrag jedoch können wir nicht folgen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Warden. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Golland.

Gregor Golland (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein Informationsfreiheitsgesetz in Nordrhein-Westfalen, das sich nunmehr seit über zehn Jahren bewährt hat. Die Anzahl von etwa 1.000 Anträgen pro Jahr belegt dabei ein Bedürfnis für einen voraussetzungsfreien Informationszugang, bilanzierte das Düsseldorfer Innenministerium schon im Jahre 2006. Weiter – ich zitiere den damaligen Innenminister –: Die Erfahrungen mit unserem Informationsfreiheitsgesetz in NRW sind positiv. – Zitatende. Das war die Haltung der CDU/FDP-Landesregierung von 2005 bis 2010. Das ist auch heute die Haltung der CDU-Fraktion in dieser Frage.

Transparenz ist grundsätzlich sinnvoll. Zu bedenken ist bei einem derartigen Gesetz aber die Schaffung neuer Aufgaben bzw. der Aufbau neuer Bürokratie, was die Bürger anschließend und dauerhaft fast immer viel Geld kostet, meine Damen und Herren.

Wir dürfen dabei auch nicht überziehen, nur um zum Beispiel die Neugierde oder Klagefreude einiger weniger zu befriedigen, sofern dies zulasten von schutzwürdigen Interessen des Landes, seiner Behörden und Einrichtungen sowie seiner Bürger geht. Der sensible und wichtige Anspruch des Datenschutzes ist jederzeit zu beachten und einzuhalten. Wir müssen uns daher sehr genau unsere bestehenden und bewährten Regelungen anschauen und eventuelle Vor- und Nachteile abwägen.

Dies alles werden wir in den kommenden Ausschussberatungen tun. Wir stimmen daher jetzt gerne der entsprechenden Überweisung zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Golland. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Golland, das, was Sie uns hier gerade geboten haben, war ja noch weniger progressiv als das, was wir beim letzten Anlauf vom Kollegen Sieveke gehört haben, als wir uns schon einmal über Open Government und Open Data unterhalten haben. Es würde mich natürlich erst einmal freuen, wenn Sie Ihre Haltung ein bisschen progressiver gestalten würden und sich mit uns gemeinsam auf den Weg zu mehr Transparenz und mehr Offenheit im Regierungs- und politischen Handeln hier in Nordrhein-Westfalen machen würden.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wir beraten heute, meine Damen und Herren, über einen Antrag der Piratenfraktion. Sie fordern ein Transparenzgesetz. Das ist sicherlich interessant vor dem Hintergrund, dass Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Paul, kürzlich im WDR-Fernsehen für sich bzw. für die Piratenfraktion in Anspruch genommen hat – Zitat –: die Definitionsmacht über das, was Transparenz ist. – Es ist sicherlich ganz interessant, dass wir jetzt einen Antrag auf dem Tisch liegen haben, bei dem ich gedacht habe: Jetzt definieren sie mal los. – Die Definition lautet: „wie in Hamburg“.

„Wie in Hamburg“ ist nicht unbedingt eine Definition, wenngleich das Hamburgische Transparenzgesetz ein gutes Transparenzgesetz ist. Deswegen hat das nicht nur die Hamburger Piratenpartei, sondern

(Zuruf von den PIRATEN: Lesen hilft! Da steht „mindestens“!)

haben das auch die Hamburger Grünen intensiv unterstützt. Wir haben uns bei der Initiative intensiv beteiligt. Die Sozialdemokraten in der Hamburgischen Bürgerschaft haben das dann im Prozess auch gemacht, sodass es, glaube ich, keine großen Differenzen gibt, dass das Hamburgische Transparenzgesetz ein gutes Transparenzgesetz ist.

Aber einfach zu sagen, wir nehmen jetzt die Regelungen aus Hamburg und übertragen sie 1:1 nach Nordrhein-Westfalen, das ist für mich ein bisschen kurz gesprungen, weil wir einfach die Bedingungen in einem Stadtstaat wie Hamburg nicht mit den Bedingungen in einem Flächenland wie Nordrhein-Westfalen mit 18 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, 396 Kommunen, fünf Bezirksregierungen, den Landschaftsverbänden und noch vielen weiteren Mittelbehörden und Mittelebenen vergleichen können. Wer das versucht, der verfolgt doch einen etwas unterkomplexen Ansatz. Ich finde, das ist auch ein bisschen zu kurz gesprungen für eine intensive Beschäftigung damit, wie wir Transparenz schaffen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das Informationsfreiheitsgesetz NRW trat am 1. Januar 2002 in Kraft. Das ist hier vielfach zitiert worden. Es war damals ein gigantischer Fortschritt in Sachen Informationsfreiheit. Das haben die regierungstragenden Fraktionen anerkannt.

Wir haben aber genauso anerkannt, dass es den Bedarf gibt, das Informationsfreiheitsgesetz weiterzuentwickeln. Im Koalitionsvertrag haben wir aus genau diesem Grund geschrieben: „Wir werden das Informationsfreiheitsgesetz … hin zu einem Transparenzgesetz weiterentwickeln.“

Das, was im Hamburger Transparenzgesetz im Mittelpunkt steht, nämlich der Open-Data-Gedanke, kommt genau in dem vor, was wir Ihnen vor acht Wochen in unserem Antrag „Modernes Regieren im digitalen Zeitalter“ vorgelegt haben.

Dass aus der Entwicklung einer solchen Open-Government-Strategie, die wir im Moment in den Ausschüssen beraten, natürlich auch gesetzliche Änderungen folgen werden, ist doch völlig klar. Es geht mir deshalb heute auch mehr um das Verfahren, über das wir hier sprechen.

Ich finde es übrigens bemerkenswert, dass die Piratenfraktion, die ja sonst eigentlich vor keiner Nickeligkeit in Verfahrensfragen fies ist, uns hier einmal eben anderthalb Stunden vor der Debatte noch einen Entschließungsantrag präsentiert, mit dem sie den Fokus ihres eigentlichen Antrags deutlich erweitert. Es ist ganz interessant, dass das bei Ihnen auch passiert. Das wird sich sicherlich in Zukunft auch in den Verfahrensdebatten, die Sie gerne einmal vom Zaun brechen, auswirken.

Es geht mir also um das Verfahren, mit dem wir zu einem Transparenzgesetz kommen. Da gehen wir, finde ich, als regierungstragende Fraktion einfach den besseren Weg bzw. schlagen den besseren Weg vor.

Wir haben gemeinsam ein Ziel definiert: Transparenz, Partizipation und Zusammenarbeit, kurz Open Government. Das ist unser Ziel. Wir haben auch einen Weg definiert und gesagt: Wir entwickeln eine Strategie, und zwar in einem partizipativen Verfahren. Schauen Sie sich den Antrag, den wir letztes Mal vorgelegt haben, noch einmal an. Dann wird das gesetzlich festgeschrieben. Das ist ein solides Verfahren, genauso wie man eigentlich parlamentarische Arbeit machen sollte.

(Beifall von den GRÜNEN)

In diesem Sinne finde ich: Wir sollten dieses Vorhaben, das uns in der Sache eint, gemeinsam solide abarbeiten.

Ich finde, dass Sie mit Ihrem Entschließungsantrag – genauso wie letzten Endes auch mit Ihrem eigentlichen Antrag – mit dem Kopf durch die Wand gehen. Sie versuchen, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen. Damit versuchen Sie eben gerade nicht ein solides, vernünftiges Verfahren zu finden. Das wird, ehrlich gesagt, dem Thema Transparenz schlicht und ergreifend nicht gerecht.

Wir haben beim letzten Mal festgestellt, dass wir mehr Transparenz in den politischen Prozessen und in den Verwaltungsprozessen brauchen. Als regierungstragende Fraktionen wollen wir mehr Transparenz, und wir werden die entsprechenden gesetzlichen Änderungen in einem vernünftigen Verfahren herbeiführen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Transparenzgesetz hat die Hamburger Bürgerschaft einstimmig einen Paradigmenwechsel in der Informationspolitik hin zu Open Data beschlossen. Damit erreicht die Open-Data-Idee erstmals eine Verbindlichkeit, die weit über den Projektcharakter bestehender Portale hinausgeht. Künftig müssen in Hamburg Politik und Verwaltung Dokumente von öffentlichem Interesse unaufgefordert und kostenfrei im Internet in einem Informationsregister zur Verfügung stellen.

Während die Bürger bisher auf Antrag und gegen Gebühren ein begrenztes Recht auf Auskunft geltend machen konnten, ist künftig umgekehrt die Verwaltung verpflichtet, von sich aus durch eine generelle Veröffentlichungspflicht die vom Gesetz erfassten 15 wichtigen Dokumentenarten zur kostenlosen Einsicht bereitzustellen. Hamburg hat damit bundesweit eine Vorreiterrolle übernommen.

In der digitalen Gesellschaft ist Transparenz eine besonders wichtige Anforderung an Politik und Verwaltung. Ausreichende Transparenz – gerade die Verfügbarkeit von Informationen – ist eine notwendige Voraussetzung, damit sich Bürger beteiligen, einbringen und ihre Anliegen äußern können. Vor allem wollen die Menschen Klarheit darüber, was mit den öffentlichen Mitteln und damit mit dem Geld der Steuerzahler geschieht.

Diesen Informationsbedürfnissen muss eine bürgernahe Verwaltung Rechnung tragen und dabei die Hürden möglichst niedrigschwellig gestalten. Hamburg ist es dabei gelungen, einen fairen Ausgleich zwischen Transparenz in Politik und Verwaltung einerseits und dem notwendigen Schutz persönlicher Daten sowie von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen andererseits zu wahren. Letzteres ist bei allen Bemühungen um mehr Transparenz ein wichtiger Punkt. Insofern sind die rechtlichen Grenzen zu wahren.

Und trotz aller Transparenzbemühungen gilt es, Datenfriedhöfe zu vermeiden.

Nachdem das Informationsfreiheitsgesetz nunmehr seit elf Jahren in Kraft ist, ist es an der Zeit, das Regelwerk zu modernisieren und den aktuellen Anforderungen anzupassen. Waren vor elf Jahren noch rund 37 % der Deutschen im Internet unterwegs, so hat sich die Zahl bis heute beinahe verdoppelt. Hamburg hat die Zeichen der Zeit erkannt, und Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland sollte ebenfalls das Signal senden: Wir stehen für eine moderne, leistungsfähige und bürgernahe Verwaltung und haben nichts zu verbergen.

Dass nun auch der Haushaltskontrollausschuss öffentlich tagen wird, zeigt, dass der Landtag seine Verpflichtung zu mehr Transparenz ernst nimmt. Die Landesregierung darf da nicht hintanstehen. Daher begrüßt die FDP-Fraktion, dass die Piraten mit ihrem Antrag das Thema hier in den Landtag gebracht haben. Wir möchten darauf hinweisen, dass wir bereits im Jahr 2009 ein Transparenzgesetz in Nordrhein-Westfalen beschlossen haben, wenn auch mit anderem Regelungsgegenstand.

Ihr kurzfristiger Entschließungsantrag kann indes vom Verfahren und Inhalt her nur Kopfschütteln ernten, da eine Veröffentlichung einer rechtlichen Grundlage bedarf. Über die reden wir hier und heute ja gerade. Jegliche Schutzrechte fehlen. Zudem muss ich auch kritisieren, dass der Beschlussvorschlag Ihres Antrags einen eindeutigen Adressaten vermissen lässt. Sie sollten sich hier deutlich auf die Landesregierung fokussieren.

Die Landesregierung ist nämlich jetzt am Zuge. Denn mit der Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfes hätten Sie, Herr Minister, die Möglichkeit, Ihren eigenen Koalitionsvertrag in diesem Punkt auf einen Schlag umzusetzen. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

„Wir wollen miteinander für mehr Transparenz von Politik sorgen – auf allen Ebenen. Dazu setzen wir auch auf die neuen Möglichkeiten, die die digitale Gesellschaft bietet.“

So heißt es in Kapitel 9 des rot-grünen Papiers. Das können wir Liberale nur unterstützen.

Also, Herr Minister, schmücken Sie sich nicht nur mit Projektgruppen zur Erarbeitung einer Open-Government-Strategie, sondern machen Sie Nägel mit Köpfen! – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin ein wenig überrascht, dass die Fraktion der Piraten zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Forderung nach einem Transparenzgesetz stellt. Sie müssten eigentlich noch die Debatte hier in diesem Haus im September dieses Jahres in Erinnerung haben. Sie wissen eigentlich daraus, dass sich die Landesregierung das Projekt Open Government zum Thema gemacht hat. Dazu gehört aus meiner Sicht selbstverständlich auch der Aspekt Open Data, das heißt auch die Bereitstellung von öffentlich zugänglichen Daten im Netz.

Ich glaube, in Bezug auf den Grundsatz – was die Zielrichtung angeht, nämlich Transparenz auszuweiten – haben wir eine Gemeinsamkeit. Allerdings haben wir in der Umsetzung dieses Ziels noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns. Indem man Gesetzestexte aus anderen Bundesländern nur abschreibt, ist dieses Thema nicht zu bearbeiten.

Wir haben eine ganze Reihe von rechtlichen und technischen Fragestellungen zu behandeln. Eine Projektgruppe der Landesregierung arbeitet, wie Sie wissen, gerade an dieser Open-Government-Strategie. Wenn wir uns heute über Gesetzesänderungen Gedanken machen würden, ohne zu wissen, wie das Projekt Open Data im Ergebnis einmal aussehen wird, hieße das, das Pferd von hinten aufzuzäumen.

Ich schließe nicht aus, meine Damen und Herren, dass auf dem Weg zu mehr Transparenz auch Landesrecht zu ändern oder anzupassen wäre, aber ein unkritisches und unverzügliches Übernehmen der Vorschriften eines anderen Bundeslandes ist aus meiner Sicht keinesfalls der richtige Weg.

Im Rahmen dieses Prozesses dürfen wir nicht vergessen, dass es eine Vielzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden gibt, die bisher in besonderem Maße Adressaten eines Auskunftsanspruches nach dem Informationsfreiheitsgesetz hier in Nordrhein-Westfalen gewesen sind.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in dem Ziel, ein hohes Maß an Transparenz zu erreichen, sind wir uns einig. Wir dürfen auf dem Weg dahin aber nicht nur die Interessen des Auskunftbegehrenden vor Augen haben; wir müssen gerade in Zeiten knapper Ressourcen auch eine Regelung finden, die die Belange der öffentlichen Stellen berücksichtigt, insbesondere vor dem Hintergrund des Aufwandes der Auskunftserteilung, aber auch der technischen Möglichkeiten, diese Daten überhaupt bereitzustellen.

Auch hier, meine Damen und Herren, gilt der Grundsatz dieser Landesregierung: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die Piraten spricht noch einmal Herr Kollege Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte nur noch einmal kurz zum Ausdruck bringen: Ich bin überrascht, aber gleichzeitig auch erfreut, dass ausgerechnet die FDP, Herr Wedel, den Unterschied zwischen dem Hamburger Transparenzgesetz und dem Informationsfreiheitsgesetz hier in Nordrhein-Westfalen verstanden und auch erklärt hat.

(Beifall von den PIRATEN)

Das lässt auf eine große Übereinstimmung in dem weiteren Beratungsprozess schließen.

Herr Bolte, wir denken, wir haben den fehlenden Teil zur Open-Government-Strategie hier eingebracht. Wir werden uns darüber im Hauptausschuss unterhalten. Es ist keineswegs eine Kopie des Hamburger Gesetzes, sondern es ist die Basis für das, worauf wir in Nordrhein-Westfalen aufbauen wollen. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann kann ich die Beratung zum Tagesordnungspunkt 8 schließen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/1254 einschließlich des Entschließungsantrages Drucksache 16/1337 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dagegen stimmen? – Das ist nicht der Fall. Sich enthalten? – Das ist ebenfalls nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so einstimmig getätigt.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

9   Tourismus in Nordrhein-Westfalen vernetzen und unterstützen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1260

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellenden Fraktionen Herrn Kollegen Fortmeier von der SPD das Wort.

Georg Fortmeier (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist an der Zeit, dass wir uns hier und heute wieder einmal im Landtag grundsätzlich mit der Tourismuspolitik in unserem Lande auseinandersetzen. Nun ist es keinesfalls so, als wären in den letzten Monaten oder Jahren einzelne Themen hier nicht debattiert worden. Das war so beim Medizintourismus, das war so bei den Fragen der Entwicklungschancen von Nationalparken oder bei den touristischen Chancen der ländlichen Räume.

Aber: Mit Tourismuspolitik als Beitrag für nachhaltiges Wachstum und innovative Standortchancen – damit hat sich das Parlament in den letzten zweieinhalb Jahren nicht befasst. Die letzten ausführlichen Debatten zu den Zielen und Strategien haben im Zeitraum von September 2009 bis Februar 2010, also in der vorletzten Legislaturperiode, im Plenum und im Wirtschaftsausschuss stattgefunden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach der Verabschiedung des Masterplans Tourismus NRW durch die Mitgliederversammlung des Verbandes Tourismus NRW hat der Landtag dem dann auch zugestimmt. Diese Strategie wurde für das gesamte Land ausgerichtet und auf bestimmte Zielgruppenbereiche konzentriert wie etwa die Gesundheit, die Kultur oder das Segment Stadt und Event. Danach hat es dazu keine Debatten mehr hier gegeben. Wir haben diesen Verband Tourismus NRW lediglich personell im Beirat mit von jeder Fraktion einem Vertreter bzw. einer Vertreterin begleitet.

Als Gesetzgeber haben wir aber die Aufgabe, die Weiterentwicklung in der Tourismuspolitik nicht nur finanziell durch Haushaltsmittel zu stützen – dies sind aktuell 1,95 Millionen € –, sondern auch neue Impulse zu setzen, mit denen wir auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren, und auch nachzujustieren.

Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen doch, welchen Stellenwert der Tourismus in unserem Land einnimmt. Bei den Ankunfts- und Übernachtungszahlen liegt NRW längst auf Platz 2 hinter Bayern. Der Bruttoumsatz in NRW liegt bei über 31 Milliarden €. Die rund 630.000 Beschäftigten in der Branche sind eine tragende Säule bei Ausbildung und Qualifikation. Und der Tourismus ist einer unserer Beschäftigungsmotoren im Lande.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Unser Land ist eine der größten Kulturregionen Europas. Zu den größten Sehenswürdigkeiten und Aktivangeboten gehören die UNESCO-Welterbestät­ten, die Dome von Aachen und Köln, die Industriedenkmäler wie die Zeche Zollverein. Ebenso erlebenswert sind die Park- und Auenlandschaften zwischen dem Mindener Land und dem Südsauerland, das Rheinland und natürlich unsere Mittelgebirge. Übrigens, verehrte Kolleginnen und Kollegen, für alle Nicht-Kölner hier im Raume: Das Wahrzeichen Kölns ist sogar die meistbesuchte Sehenswürdigkeit in Deutschland.

Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsvertrag von Rot-Grün haben wir diese positive Entwicklung für den Wirtschaftsstandort ausdrücklich beschrieben und uns vorgenommen, diese positive Entwicklung in den nächsten Jahren nachhaltig zu sichern und auszubauen. Der vorliegende Antrag nimmt diese Aufgabe auf. Es ist notwendig, dass wir uns unter anderem räumlich, ökonomisch und infrastrukturell den Angeboten, Ansprüchen, Chancen sowie den neuen Destinationen stellen. Wir müssen sowohl Altbewährtes erhalten und Zeitgemäßes anbieten und uns dabei national wie international neu positionieren. Die zukünftige Vermarktung betrifft den medizintouristischen Bereich ebenso wie den Naturtourismus als auch die Aktivkultur und Eventangebote und vieles mehr. Deshalb müssen wir die wirtschafts- und strukturpolitischen Instrumente der Tourismuswirtschaft aktualisieren.

Es ist notwendig, die wesentlichen privaten, kommunalen und staatlichen Unterstützungs- und Förderprogramme einzubeziehen wie zum Beispiel die Nutzung der neuen EFRE- und ELER-Programme der EU ab 2014 in größtmöglichem Umfang.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann mir gut vorstellen, dass dem Antrag gleich entgegengehalten wird, dann dürfe man aber das von der Bundesregierung eingeführte Umsatzsteuerprivileg nicht wieder aufheben. Dann dürfe man das Nichtraucherschutzgesetz nicht verabschieden und anderes mehr.

Dem komme ich gerne schon mit zwei Anmerkungen zuvor:

Erstens. Tourismuspolitik über Steuerrecht zu machen, ist ein Irrglaube. Deshalb sind wir der schleswig-holsteinischen Bundesratsinitiative beigetreten, dieses Privileg wieder abzuschaffen.

Wenn man Tourismus mit Fördergeldern unterstützen will, muss das Geld da landen, wo es gebraucht wird: bei den kleinen und mittleren Betrieben und nicht bei den großen. Alles andere ist unsystematisch und vor allem ungerecht.

Zweitens. Die beste Tourismusförderung ist ein konsequenter Nichtraucherschutz, denn das erwarten die über vier Millionen ausländischen Gäste, die zu uns kommen und aus ihren Heimatländern gar nichts anderes gewohnt sind.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, und betrachten Sie bitte den hier eingebrachten Antrag der Koalitionsfraktionen als Einladung zur gemeinsamen Weiterentwicklung der Tourismuspolitik in unserem Land Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Fortmeier. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Schneckenburger.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist spät, aber nie zu spät, um über den Tourismus in Nordrhein-Westfalen zu sprechen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielleicht erlauben Sie mir eine Feststellung vorneweg über den Charakter unseres Reiselandes. NRW liegt ja bekanntlich nicht am Meer, NRW ist auch nicht Bayern – Gott sei Dank übrigens –, aber wir sind trotzdem, das glaubt man kaum, eine der zentralen Tourismusregionen in Deutschland. Das liegt am Sauerland, das liegt am Siegerland, das liegt am Münsterland, das liegt aber auch an der Metropolregion Rhein-Ruhr. Und es liegt daran, dass wir ein starker Wirtschaftsstandort sind.

Das heißt zusammengenommen: Wenn man über Tourismus nachdenkt, denkt man in der Tat zuerst an die Bundesländer, die am Meer liegen, oder an Bayern, aber man kommt dann unweigerlich auch zu der Erkenntnis, dass Nordrhein-Westfalen ein Land der Städtereisen ist, dass wir beim Übernachtungstourismus eine gute Entwicklung verzeichnen und dass wir zahlreiche Übernachtungen in Nordrhein-Westfalen haben. Es sind 22 Millionen im ersten Halbjahr 2012. Das ist ein starker Beleg dafür, dass Nordrhein-Westfalen als Region für Städtereisen, für Geschäftsreisen beliebt ist und dass dieses Segment auch künftig noch ausbaufähig ist.

Wenn man über diesen Tourismusstandort spricht, stellt sich aber die Frage: Was ist denn ein besonderes Profil neben den genannten und was muss weiterentwickelt werden? – Wir schlagen Ihnen mit diesem Antrag daher vor, das Augenmerk insbesondere auf den Tourismus im ländlichen Raum zu richten. Der ländliche Raum braucht zusätzliche Unterstützung, er braucht eine eigene Schwerpunktbildung bei der Vermarktung touristischer Angebote.

Das ist übrigens im Bewusstsein der Menschen in Nordrhein-Westfalen längst angekommen. Angekommen ist auch, dass sich nachhaltiger und klimafreundlicher Lebensstil auch auf den Tourismusbereich erstrecken muss.

Das gilt nicht nur bei der Fortbewegung selbst, sondern es gilt natürlich auch, was die touristischen Angebote anbelangt. Das ist der Grund, warum wir Ihnen einen Antrag vorgelegt haben, der nicht nur die Stärken des Standortes Nordrhein-Westfalen im touristischen Bereich betont, sondern der auch noch einmal betont, dass wir einen besonderen Schwerpunkt auf den sanften Tourismus legen wollen. Das bedeutet, dass wir anders als beim Massentourismus das unmittelbare Erleben von Natur als besonderen Wert der Ferienregion erhalten wollen und gemeinsam mit allen, die im Tourismusgeschäft unterwegs sind, Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaschutzziele entwickeln und fördern wollen.

Andererseits wollen wir die Nahmobilität und ihre Bedeutung für nachhaltigen Tourismus insbesondere im ländlichen Raum stärker in den Fokus nehmen.

Was ist das? – Das ist beispielsweise der in Nordrhein-Westfalen schon gut ausgeprägte, aber ausbaufähige Fahrradtourismus; Pedelecs, E-Mobilität auf zwei Rädern eröffnet da noch einmal enorme Chancen. Was man aber braucht, ist eine Infrastruktur: Beschilderung, Raststätten, Bed-and-Bike-Angebote und natürlich auch Elektro-Ladestationen oder GPS-Routing. Das sind alles Bausteine, aus denen sich der ganze Sektor des sanften Tourismus weiterentwickeln lässt und wovon die Region Nordrhein-Westfalen dann auch profitieren kann.

Dazu gehört auch die Anreise mit der Bahn, die ohnehin eine immer stärkere Rolle im Feriensektor spielt. Das muss attraktiver und gefördert werden. Dazu gehört aber natürlich auch, auf diesem letzten Meter von der Bahn bis zur Anreise zum Hotel dafür zu sorgen, dass eine entsprechende Bewältigung möglich ist und Angebote vorhanden sind.

Das bedeutet auch Mitnahmemöglichkeiten für Fahrräder. Ich vermute, die CDU wird gleich einen anderen Schwerpunkt legen. Wir sagen Ihnen noch einmal, dass sich moderner Tourismus insbesondere auch diesem Sektor widmen und ihn fördern muss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Damit kann man gleich mehrere Ziele erreichen: Wir können moderne, attraktive nachhaltige Tourismusangebote in Nordrhein-Westfalen entwickeln und fördern. Wir können die passgenauen Marken, die es jetzt schon in der Vermarktung touristischer Angebote gibt, passgenau ergänzen.

Und – das ist auch schön und uns auch wichtig – wir können einen ganz wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass kleine und mittelständische touristische Unternehmen in den Regionen stabilisiert werden, dass die sich auf dem Markt bewegen können und ihre Rahmenbedingungen entsprechend verbessert werden. Da sind beispielsweise Angebote auf Bauernhöfen in Nordrhein-Westfalen, Reiterferien und Ferien mit Kindern ein ausbaufähiges Marktsegment.

Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten und freuen uns insofern auf Zustimmung zu diesem Antrag. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Schneckenburger. – Für die CDU-Fraktion freut sich schon der Kollege Müller auf seinen Redebeitrag.

Holger Müller (CDU): Lieber Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass dieser Antrag die Zustimmung der CDU finden wird.

Einige Anmerkungen aber will ich mir hier doch nicht verkneifen. Wenn man den Antrag so liest und wenn man Sie so hört, dann haben Sie den Tourismus in Nordrhein-Westfalen erfunden. So war es aber nicht ganz. Als wir 2005 die Regierung übernahmen, da haben wir

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Kommen Sie aus der Schweiz?)

– bei dem Thema sollten Sie ruhig sein – hier eine touristische Wüste von Rot-Grün vorgefunden,

(Beifall von der CDU)

die zudem auch noch finanziell restlos abgewirtschaftet war.

(Heiterkeit)

Ich weiß nicht, was es dabei zu lachen gibt. 340.000 eingestanden vom Tourismusverband NRW, bei denen es einen Vergleich gab, worauf ich gleich noch zurückkomme. Sie haben sich damals um diese Dinge schlecht gekümmert.

Dieser Masterplan, den Sie jetzt hier ordentlich aufarbeiten – Frau Döll-König macht das auch gut –, ist nun wirklich eine Initiative von Schwarz-Gelb. Daran gibt es nichts zu deuteln. Schwarz-Gelb hat damals den Masterplan in Auftrag gegeben, weil das Land Nordrhein-Westfalen touristisch völlig unterentwickelt war, weil weder Rot noch Grün überhaupt eine Ahnung von Tourismus hatte. Wenn Sie von Tourismus reden und von den hohen Zahlen sprechen, dann muss man auch sagen, dass die meisten Übernachtungen Geschäftsübernachtungen sind.

Diesen Masterplan haben wir weiterentwickelt. Herr Fortmeier – Chapeau! – Sie haben korrekt gesagt, dass man in den Jahren 2009 und 2010 darüber geredet hat. Wenn ich mich nicht völlig irre, war das auch noch zur schwarz-gelben Regierungszeit.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Geredet!)

– Herr Schmeltzer, die Tatsache, dass Sie vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr in Urlaub fahren, weist Sie noch nicht als Tourismusexperten aus.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU und der FDP)

Wir haben das weiterentwickelt, und es ist jetzt weiterentwickelt worden, was wir anerkennen. Deshalb stimmen wir dem Antrag auch zu, weil wir ja nicht kleinkariert sind – als Touristiker schon gar nicht!

(Beifall von der CDU)

Sie fordern in Ihrem Antrag unter anderem die angemessene Finanzausstattung. – Ich habe schon etwas dazu gesagt, warum das notwendig ist. Grundsätzlich ist das zu unterstützen. Wir waren ja bei der Veranstaltung vom Touristikverband NRW. Dort wird es in den nächsten Jahren sicherlich einen gewissen Zuschussbedarf geben. Darüber muss man sich im Klaren sein. Ich würde mich dafür interessieren, was hier eine angemessene Finanzausstattung wäre; dass die schuldenfinanziert ist, das ist sowieso klar. Da kann man bei kleinen Beträgen dann vielleicht großzügig sein.

(Heiterkeit von der CDU)

Die SPD hat es mit den Grünen nicht leicht. Das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich.

(Heiterkeit von der CDU)

Nach dem Antrag soll das Hotel- und Gastgewerbe in die aktuelle Klimaschutzpolitik aktiv einbezogen werden. Ich halte das für eine sehr spannende Frage. Ich freue mich schon auf den Jubelsturm der Gastronomen und der Hoteliers.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP)

Zum Abschluss noch eines: Tourismus ist eigentlich kein Kampffeld der Politik. Ich denke, darüber sind wir uns einig. Das soll es auch nicht werden. Wir haben die Wahl 2010 verloren, aber da ich von Haus aus seit Jahrzehnten Touristiker bin, habe ich mit Herrn Horzetzky und Frau Döll-König vieles besprochen. Sie waren auch dabei. Das geschah alles sehr kollegial. Wenn das aber kein Kampffeld ist, dann wäre es schon eine Frage der Kollegialität, einen solchen Antrag vorher gemeinsam zu besprechen. Das ist eine Bitte am Ende meiner Rede. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Sie besserungsfähig sind, Herr Fortmeier. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit in Sachen Tourismus. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Kollege Müller. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist zu später Stunde und nach so einer launigen Rede des Kollegen Müller sicher nicht ganz einfach, noch einmal ernsthaft zu diesem Thema Stellung zu nehmen. Ich will es nichtsdestotrotz versuchen.

Wer Gäste empfangen, unterhalten, begeistern und bewirten möchte, wer also einen erfolgreichen Tourismusstandort entwickeln will, der braucht nach unserer Auffassung zuallererst eine Willkommenskultur. Nordrhein-Westfalen ist ein schönes Land. Es bietet Gästen aus dem In- und Ausland Kultur-, Freizeit- und Naturerlebnisse und Weiteres mehr. Wir gehören nicht ohne Grund zu den Top drei der Tourismusziele in Deutschland. Alle Menschen in der Branche sorgen dafür und profitieren auch davon.

Deshalb war es richtig und auch richtungsweisend, dass die frühere Regierung aus CDU und FDP die Strukturen und die Zielrichtung der Tourismusförderung in NRW neu geordnet und strategisch ausgerichtet hat. Es ist zur Sprache gekommen, dass es unsere Fraktionen waren, die den Masterplan auf den Weg gebracht haben.

Es wurden Kompetenznetzwerke ausgebaut, es wurden Schwerpunkte gesetzt, die heute noch zu den Leitplanken gehören. Insbesondere wurde eine bessere Verzahnung von Tourismus und Standortmarketing erreicht.

Die positive Entwicklung in der Branche, der Zuwachs bei den Gästezahlen und den Übernachtungen, die auch in diesem Jahr wieder zu erwarten ist, das ist auch ein Erfolg dieser Politik.

Heute ist jedoch die Frage, wie wir von diesem Aufschwung auch in den kommenden Jahren profitieren und wie wir dazu beitragen können, dass der NRW-Tourismus in einem schwierigen internationalen Umfeld zukunftsfest bleibt. Ich muss leider sagen – so schön es auch wäre, wenn wir über dieses Thema gemeinschaftlich einen Beschluss fassen könnten –, dass aus unserer Sicht der vorliegende Antrag keine ausreichende Perspektive dafür bietet.

Wenn Sie zum Beispiel eine bessere Zusammenarbeit von Tourismus und Standortmarketing wünschen – was absolut begrüßenswert ist –, dann machen Sie das doch einfach, veranlassen Sie das doch, wie es im Masterplan bereits angelegt ist. Wir brauchen dazu keinen erneuten Beschluss des Landtags.

Wir sind übrigens auch dafür, die Fördertöpfe der Europäischen Union für touristische Infrastrukturprojekte zu nutzen. Das ist genau das, was wir auch beabsichtigt hatten, was wir wörtlich mit der „Verbesserung der landschaftlich-touristischen Erschließung für den Naturtourismus“ wollten. Genauso ist es im Masterplan formuliert. Auch hier nichts Neues.

Andere Punkte, die Sie aufrufen, können wir allerdings nicht unterstützen, weil sie dazu angelegt sind, den Tourismus sachfremd zu überfrachten. Es ist doch klar, dass keine Initiative des Landtags oder der Landesregierung die großen Trends in der Branche beeinflussen wird. Wir sehen hingegen, dass die Anbieter auf diese Trends eigenständig reagieren und reagieren müssen. Das ist richtig und gut so.

Dazu gehört natürlich Familienfreundlichkeit. Dazu gehört natürlich Barrierefreiheit. Dazu gehört natürlich auch die Entwicklung eines nachhaltigen Qualitätstourismus.

Aber es ist doch nicht hilfreich, wenn wir versuchen, solche Entwicklungen durch politische Vorgaben vorwegzunehmen und zu lenken. Die Inhalte müssen aus der Branche selbst kommen. Wir wollen, dass das so bleibt. Denn ansonsten hätten wir zu befürchten, dass durch zu strikte Vorgaben Fehlsteuerungen Platz greifen. Wenn es ganz schlecht läuft, führt das am Ende zum Ausschluss von innovativen Konzepten. Wir müssen der Branche größtmögliche Freiheit lassen.

(Beifall von der FDP)

Ich sagte bereits zu Beginn: Das Wichtigste ist die Willkommenskultur! – An dieser Stelle muss man sich dann fragen, ob dieser Antrag tatsächlich den Tourismus fördern will oder wir hier einmalig einen Antrag beraten und direkt zur Abstimmung stellen, der vor dem Hintergrund Ihrer täglichen Regierungsarbeit unglaubwürdig ist. Denn in Ihrer täglichen Arbeit konterkarieren Sie diese Entwicklungen doch.

Zu Ihrer Willkommenskultur, meine Damen und Herren von Rot und Grün, gehört doch die Bettensteuer, die Sie in den Kommunen in NRW zulassen,

(Beifall von der FDP)

obwohl sie weder rechtlich zulässig noch touristisch sinnvoll ist.

Zu Ihrer Willkommenskultur gehört, dass der Umweltminister pauschal das Gaststättengewerbe in Nordrhein-Westfalen als Schmuddelbetriebe diffamiert.

(Erneut Beifall von der FDP – Daniela Schneckenburger [GRÜNE]: Ha, ha, ha!)

In den Pressemitteilungen des Umweltministeriums wird der Besuch einer Gaststätte verglichen mit – ich zitiere – Glücksspiel wie beim Russisch Roulette, als würden unsere Gastwirte in irgendeinem Entwicklungsland arbeiten.

Zu Ihrer Willkommenskultur gehört auch die von Ihnen geplante Einschränkung der liberalen Ladenöffnungszeitregelung, die Beschränkung auf einen verkaufsoffenen Adventssonntag pro Stadt. Damit erschweren Sie vielen Städten in NRW, sich dem Shoppingtourismus weiter zu öffnen und sich dort zu profilieren.

(Beifall von der FDP)

Ihre Willkommenskultur lautet ganz einfach: Lichter aus! Laden zu!

Ich komme zum Schluss: Das alles zeugt – so leid es mir tut – nicht von neuen Impulsen für einen dynamischen Standort. Wir wünschen uns mehr Offenheit, weniger Vorgaben, keine Überfrachtung der Branche mit öko- und klimapolitischen Regulierungen.

Abschließend will ich sagen: Bei echten Maßnahmen zum Tourismusmarketing können Sie auf unsere Zustimmung zählen, aber nicht bei einem Antrag, der lediglich dem Regierungsmarketing dienen soll und dessen Inhalt Sie in Ihrem täglichen Regierungshandeln leider doch wieder und immer wieder ad absurdum führen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bombis. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Stream-Zuschauer. Der Antrag fordert einen erneuten Zugang zum EFRE-Programm im Jahr 2014. Das ist zwar bisherige Praxis und verschaffte vielfach eine gute finanzielle Ausstattung; wir geben jedoch zu bedenken: Das wäre Gießkannenförderung, bei der alles und gleichzeitig nichts gefördert wird. Daher werden die Förderbedingungen ja gerade umgestellt. Die ELER-Fonds passen schon etwas besser.

Wir haben eben gehört: Tourismusförderung ist Nichtraucherförderung, und NRW liegt nicht am Meer. Seinen Schwerpunkt legt der Antrag jedoch auf unbestimmt formulierte Aspekte der Nachhaltigkeit, möchte hier wohl die Akteure sensibilisieren. Warum auch nicht? Die Förderung der Nahmobilität – eigentlich sind Fahrräder gemeint – ist SPD und Grünen sehr wichtig. Gerade mit der Nähe zu den Niederlanden und mit Städten wie Münster macht das touristisch auch Sinn. Fahrräder in Bahnen mitnehmen zu können muss generell besser funktionieren, nicht nur für Touristen.

Ich sehe in dem Antrag die Tendenz, Infrastruktur statt Werbemaßnahmen zu fördern – im Gegensatz zu 2009. Das lässt sich weiterführen: Städtetouristen und Geschäftsleute bewegen sich lieber mit guten öffentlichen Verkehrsmitteln fort als mit Fahrrädern. Was gefällt diesen Zielgruppen auch? – Öffentliche WLAN-Netze für Touristen und Geschäftsreisende. Die ständige Nutzung des Smartphones zur dynamischen Reiseorganisation wird für viele Touristen immer wichtiger. Dazu gleich noch ein Vorschlag.

Ob man allerdings zur entsprechenden Schwerpunktsetzung neue Marken braucht? – Branchenintern wirkt die Einführung einer Marke NRWNATUR vermutlich motivierend. Insgesamt ist die Markenfamilie eine gute Basis für die Zukunft und alle Aktivitäten der Akteure. Mehr aber auch nicht!

Im Antrag von CDU und FDP aus dem Jahre 2009 trug der Tourismussektor noch 3 statt 3,5 % zum Volkseinkommen bei und es gab 41,5 statt mehr als 44 Millionen Übernachtungen pro Jahr. Ist wirklich die Umsetzung des Masterplans Tourismus dafür verantwortlich? – Alle haben die ungeheure, schwer zu fassende Vielfalt NRWs beachtet, sowohl die Vielfalt der Tourismusräume als auch die Vielfalt der Zielgruppen erkannt und alles in eine moderne, solide aufgeräumte Kampagne gepackt.

Aber: Nehmen wir einmal an, wir hätten 100 Leute gefragt: Mit welchem Claim wirbt NRW um Besucher? – Top-Antworten vielleicht: „Wir in NRW!“ – „Unser Nordrhein-Westfalen. Zusammen. Stark.“ – „Dein NRW“ kennt man eher nicht. Tourismusmarketing eng mit Standortmarketing zu verknüpfen, ist gut und wichtig. Bereits der Masterplan und der Antrag aus dem Jahre 2009 forderten die Verzahnung, und zwar nicht nur auf internationalen Märkten. Ich verzahne einmal: Jeder kennt: „Wir können alles – außer Hochdeutsch!“ – Aber: „Dein NRW“ kennt man eben nicht.

Unser Problem ist die fehlende Sichtbarkeit der Markenoffensive. Möglicherweise fehlen kreative Werbeideen und Witz. Dafür benötigt man vor allem aber auch ein deutlich höheres Budget, viel mehr Ressourcen für eine große, teure Medienkampagne. Es fehlen darüber hinaus Zusatznutzen, Killer-Features für die Touristen.

Vielfalt und Bündelung sind gut. Dennoch muss die Bündelung einen Mehrwert bieten. Es gibt für den Endbenutzer keinen Grund, das Webportal „NRW-Tourismus“ zu besuchen. Sehr viel Geld für ein nicht genutztes Webangebot. Jede noch so gut durchdachte Kampagne bringt nichts, wenn sie niemanden erreicht.

Vielleicht brächte eine Konzentration auf B-2-B mehr.

Eine generelle Forderung der Piraten könnte jedoch beide Probleme elegant angehen: Mithilfe der guten Ausgangsposition – auch dank des Masterplans „Tourismus“ – lässt sich über Öffnung Multiplikation erreichen. Open Data ist auch hier das Stichwort. Alle Daten einfach öffentlich anbieten! Wäre es nicht schön, mehr als nur einen oder wenige Kanäle zu haben, um Inhalte und Image transportieren zu können, also nicht nur die eigene Webseite?

Die Freigabe aller Informationen und die Zurverfügungstellung der Rohdaten und das Angebot einer kostenlosen Api würde es anderen Websites, Informationsportalen und vor allem auch App-Entwicklern ermöglichen, Inhalte zum Vorteil NRWs zu verbreiten. Das wäre im Vergleich zu einer großen Medienkampagne übrigens sehr kostengünstig.

Sowohl mit den touristischen Infos und Daten, die vom Portal „nrw-tourismus.de“ etc. verwendet werden, als auch mit den bisher nur für Mitglieder zugänglichen Marktforschungsdaten der Marktforschungsoffensive ließe sich sicherlich wesentlich mehr machen, als mit den derzeitigen Ressourcen möglich ist. Es handelt sich im Wesentlichen schließlich um Daten, deren Erhebung mit staatlichen Mitteln bezahlt wurde. Die Bürger NRWs bezahlen die Informationen. Dann dürfen diese Informationen nicht exklusiv sein. Das gilt für die Wissenschaft – Thema „Open Access“ –, das gilt für Fahrplandaten im ÖPNV, und das gilt auch hier.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielleicht erhält NRW im Sinne des Privilegs des frühen Vogels deutlich mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung, weil NRW diesen Schritt vor den anderen Bundesländern geht. Vielleicht werden viele Smartphone-Apps aufgrund der NRW-Daten kreativ, und vielleicht werden dann andere Bundesländer zum Nachziehen bewegt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bayer. – Für die Landesregierung spricht nun in Vertretung von Herrn Minister Duin Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! „Willkommenskultur“ ist ein gutes Stichwort. Ich finde allerdings, man sollte die Touristinnen und Touristen, die man willkommen heißen will, nicht ideologisch anbellen.

(Zurufe von der FDP)

Daher empfand ich den Beitrag von Herrn Müller wirklich als Ausdruck eines herzlichen Willkommens und andere Beiträge hier weniger willkommenheißend.

(Dietmar Brockes [FDP]: Auch der Antrag!)

Deswegen finde ich es gut, wenn der Antrag über die Regierungsfraktionen hinaus Unterstützung findet. Die Landesregierung freut sich, diese breite Unterstützung im Parlament für ihre touristischen Aktivitäten zu haben, und ich darf Ihnen versichern, dass wir mit Hochdruck dabei sind, den Masterplan Tourismus Nordrhein-Westfalen auch Schritt für Schritt umzusetzen.

Dieser Masterplan, der in enger Abstimmung mit den Regionen und dem touristischen Fachverband erstellt wurde, ist eine schlüssige Strategie für unsere künftige Entwicklung des Tourismus in Nordrhein-Westfalen. Mit dem Antrag bestärken Sie, die Fraktionen, uns, darin, die Zielsetzungen des Masterplans konsequent weiterzuverfolgen und neue Akzente zu setzen. Zu den neuen Akzenten zählen etwa die Landesproduktmarke „NRW.NATUR“ oder auch der Schwerpunkt „Barrierefreier Tourismus“. Beide Vorhaben finden sich auch im Koalitionsvertrag. Die Landesregierung wird diese Anregungen aufnehmen und über Ressortgrenzen hinweg dafür Sorge tragen, dass diese auch umgesetzt werden. Auf der Arbeitsebene laufen bereits Gespräche.

Wir tun das, weil wir den Tourismus in unserem Land als eine Wachstumsbranche ansehen, die günstige Zukunftsperspektiven aufweist. Ja, wir sind und bleiben ein großes Industrieland. Aber wir sind zugleich eine attraktive Urlaubs- und Geschäftsreiselandschaft. Und in Richtung des Kollegen Laumann will ich nur darauf hinweisen, dass gerade auch Südwestfalen als Paradigma für diese Kombination aus Industrieregion und touristischer Region steht. Südwestfalen hat die höchste Industriearbeitsplatz-Dichte je Einwohner und trotzdem einen hohen touristischen Stellenwert, der weiter ausgebaut werden soll.

(Beifall von der SPD)

Westfalen gerät also nicht in Vergessenheit.

Die Vorzüge wollen wir mit einer neuen Markenstrategie künftig konsistent in Szene setzen und auch mit dem Standortmarketing „Germany at its best“ verbinden.

Der Tourismusverband ist dabei, die neuen Landes­produktmarken, in denen künftig touristische Highlights gebündelt werden, mit unserer Unterstützung Schritt für Schritt zu etablieren. So haben wir Anfang September gemeinsam die neue Produktmarke „NRW Genuss“ aus der Taufe gehoben, um das Thema „Kulinarik und Genuss in Nordrhein-Westfa­len“ weiter voranzutreiben. Unser Ziel bleibt es, mit diesem neuen Ansatz ein ganzheitlicheres Bild von den touristischen Attraktionen des Landes und seinen Regionen zu zeichnen.

Flankiert wird diese neue Marketingstrategie natürlich auch durch neue Infrastrukturprojekte. Das Land will zusammen mit der EU wie in den vergangenen Jahren erhebliche Fördermittel zur Verfügung stellen. Die Landesregierung kämpft in Brüssel dafür, dass die Förderung von touristischer Infrastruktur auch in der neuen EFRE-Periode ab 2014 möglich bleibt, und ich bin froh und dankbar dafür, dass dies hier im Haus so breit unterstützt wird. Das ist wichtig für die weitere Entwicklung. Denn die Attraktivitätssteigerung der öffentlichen touristischen Infrastruktur ist die Basis für das Wachstum der Tourismusbranche insgesamt in unserem Land.

Einen erheblichen Modernisierungsbedarf gibt es aber auch auf der betrieblichen Ebene. Da das mittelständisch geprägte Hotel- und Gastgewerbe die Herausforderung häufig nicht allein meistern kann, hat die Landesregierung zusammen mit unserer NRW.BANK ein umfassendes Förderangebot entwickelt. Ganz gleich, ob ein Unternehmen neu gegründet, erweitert oder modernisiert werden soll: Für jeden dieser Anlässe stehen passgenaue Förderangebote zur Verfügung. Weil die Angebote aber häufig noch nicht die Bekanntheit erreicht haben, haben wir den Förderdschungel gelichtet, und wir sind dabei, die Förderangebote verständlicher aufzubereiten. Heute kann ich Ihnen ankündigen, dass wir das breite Förderangebot für Hoteliers und Gastronomen noch in diesem Monat sehr praxisorientiert neu präsentieren.

(Beifall von der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, am Ende des Tages geht es mit all unseren Projekten natürlich darum, vom Kuchen der touristischen Wertschöpfung in Zukunft ein größeres Stück für Nordrhein-Westfalen zu bekommen. Wir sind dabei auf einem sehr guten Weg. Die Wachstumsraten liegen in den zurückliegenden Jahren bei rund 5 %. Unser Land gehört inzwischen zu den entscheidenden Wachstumstreibern beim Übernachtungstourismus in Deutschland.

Dieser Aufwärtstrend hält an. Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben wir noch einmal um 5 % zugelegt. Das ist ein toller Erfolg, der auch gemeinsame Wurzeln hat. In 2011 haben wir 31,3 Milliarden € als Bruttoumsatz erwirtschaftet. Das ist ein Beschäftigungsäquivalent von 630.000 Erwerbstätigen. Das zeigt, welches wirtschaftliche Potenzial hinter der Tourismusförderung steht.

Der Antrag der Koalitionsfraktionen, der von der Union mitgetragen wird, unterstützt diesen Prozess. Und wenn das im Sinne einer Gemeinschaftsinitiative forciert werden kann, sind wir Ihnen allen dankbar.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Minister Groschek.

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt dem Inhalt des Antrags Drucksache 16/1260 zu? – SPD, Grüne, CDU stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – Die FDP-Fraktion stimmt gegen diesen Antrag. Wer enthält sich? – Die Piratenfraktion enthält sich. Geschlossen?

(Heiterkeit)

Damit ist der Antrag mit breiter Mehrheit im Hohen Haus angenommen und nimmt seinen guten Gang.

Wir kommen zu:

10       Kommunalfinanzberichte: Die Landesregierung muss endlich ihre respektlose Informationszurückhaltung gegenüber dem Parlament beenden

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1271

Entgegen der Tagesordnung haben sich die Fraktionen inzwischen darauf verständigt, diesen Antrag heute nicht zu debattieren, sondern nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses – das ist der Ausschuss für Kommunalpolitik – im Plenum eine Debatte zu führen.

Wir kommen damit zur Überweisung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1271 an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das Verfahren ist einstimmig so beschlossen.

Wir kommen zu:

11       Gegen Randalierer im Zusammenhang mit Fußballspielen konsequent vorgehen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1268

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Dr. Orth das Wort.

Dr. Robert Orth*) (FDP): Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zur besten Champions-League-Zeit debattieren wir über ein Thema, das mit dem Fußball zusammenhängt. Aufgrund der letzten Innenausschusssitzung haben wir uns veranlasst gesehen, heute diesen Antrag einzubringen.

Zunächst einmal betone ich, dass an jedem Spieltag Millionen von Menschen friedlich in den Stadien sind und dass wir es sehr schade finden, dass durch die Taten einiger Weniger eine sehr friedliche Zusammenkunft häufig sehr diskreditiert wird.

(Beifall von der FDP)

Es besteht jedoch leider immer wieder Anlass, gewalttätige Auseinandersetzungen in verschiedenen Ligen – nicht nur in der Bundesliga; diese Betonung ist uns wichtig, deswegen nützt auch nicht der Verweis immer nur auf die DFL – zu kritisieren. Die Einsatzkräfte drängen teilweise unter Einsatz ihres eigenen Lebens dazwischen, um Schlimmeres zu verhindern.

Wir sind der Ansicht, dass Gewalt und Straftaten im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen, insbesondere mit Fußballspielen, zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führen. Insofern ist das ein Thema vor allem der Politik, die nämlich dafür verantwortlich ist, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht in Gefahr kommt.

Wir sind der Auffassung, dass die Vereine Stadionverbote aussprechen können, dass sie für Kontrollen verantwortlich sind. Aber wir sind der Ansicht, dass es nicht alleine darauf ankommen kann, die Vereine beim Wort zu nehmen, sondern wir müssen auch vonseiten der Polizei und der Politik etwas tun.

Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, die der Staat hat, um einzuschreiten. Da reicht es eben nicht, wie der Innenminister und auch die SPD-Fraktion darauf zu verweisen, dass sich die Vereine engagieren müssen, dass wir einen Dialog mit den Vereinen führen müssen, sondern wir haben eigene Möglichkeiten. Wir begrüßen es daher sehr, dass die Gewerkschaft der Polizei darauf hingewiesen hat, dass Meldeauflagen verhängt werden können. Wir sind dafür, dass diejenigen, die an einem Samstagnachmittag prügeln, am nächsten Samstag durch eine Meldeauflage daran gehindert sind, im Stadion zu erscheinen.

Wir wollen auch, dass die Polizei verstärkt Spürhunde einsetzt, um Pyrotechnik in Stadien zu verhindern. Auch hier darf nicht alleine auf die Vereine geschielt werden.

Darüber hinaus wollen wir, dass der Staat zeitnah reagiert, wenn etwas passiert. Wir möchten, dass Staatsanwälte in Stadien sind. Wir möchten, dass beschleunigte Verfahren abgehalten werden und somit konsequent das verfolgt wird, was nicht erlaubt ist.

Schlussendlich möchten wir erreichen, dass, wenn die Beamtinnen und Beamten verletzt oder Einsatzmittel beschädigt wurden, vom Land Schadenersatz geltend gemacht wird.

Sie sehen also, es gibt einige Punkte, wo auch das Land gefordert ist. Wir möchten es nicht darauf reduziert wissen, wie der Kollege Körfges im Innenausschuss behauptete, nur den Dialog mit den Vereinen zu führen. Dafür ist die Lage zu ernst. Wir müssen auch als Politik und als Verwaltung ein entsprechendes Zeichen setzen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Kossiski.

Andreas Kossiski (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Begründung Ihres Antrages, Herr Dr. Orth, finde ich eine aus meiner Sicht zutreffende Formulierung, und zwar: „Fußball verbindet die Gesellschaft“. Ich möchte diese richtige Positionierung ausdrücklich verstärken: Sport insgesamt vermittelt ein positives und friedliches Gemeinschaftsgefühl. – Es gibt in unserem Land tagtäglich vielfältige Beispiele für diese These. Aber es gibt auch die von Ihnen korrekt beschriebene hässliche Seite des Sports, und zwar der gewalttätigen Fans, die wir genauso entschieden ablehnen wie Sie.

Bevor ich im Mai in dieses Parlament einziehen durfte, war ich mehr als drei Jahrzehnte aktiver Polizeibeamter in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Aus diesem Grunde kann ich mich sehr gut in die Gefühlslage der eingesetzten Kolleginnen und Kollegen versetzen, die an jedem Spieltag für die Sicherheit im Zusammenhang mit Fußballspielen verantwortlich sind. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen kann sich der Unterstützung der SPD-Landtagsfraktion bei der Bewältigung ihrer schwierigen Aufgabe absolut sicher sein.

(Beifall von der SPD)

Wir wissen, welchen enormen Belastungen sie ausgesetzt ist und welche Verantwortung wir als Landespolitiker für sie haben. Gemeinsam mit der Landesregierung und mit den sie tragenden Fraktionen sind wir als SPD-Fraktion im Besonderen für ganzheitliche und vor allem für nachhaltige Konzepte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, natürlich kann und will ich Ihren Antrag nicht nur wohlwollend kommentieren, sondern muss auch auf einige Ungereimtheiten hinweisen. Ihr Antrag enthält Formulierungen, die bei den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes den Eindruck erwecken könnten, dass keinerlei Aktivitäten oder Konzepte aufseiten der Landesregierung oder der sie tragenden Fraktionen erkennbar wären. Das ist absolut falsch, und das wissen Sie auch.

(Dr. Robert Orth [FDP]: Schauen Sie sich das Protokoll des Innenausschusses an!)

Beispielsweise sind die Länderinnenminister intensiv dabei, Strategien der Gewaltverhinderung mit den beteiligten Gruppen zu diskutieren und auszuhandeln. Am vergangenen Wochenende hat in Berlin ein Treffen der Fangruppen mit der DFL stattgefunden.

Insbesondere weil Sie auf die Landesseite abheben, möchte ich den Innenminister Ralf Jäger anführen, der nachweislich dafür gesorgt hat, dass sich NRW verantwortungsvoll bundesweit an die Spitze der Bekämpfung von Gewalt in Fußballstadien gesetzt hat. Von Nichtstun kann hier also keine Rede sein.

Hierbei ist es uns als SPD-Fraktion besonders wichtig, dass wirklich alle Beteiligten nachhaltig in diesen Prozess einbezogen werden.

(Beifall von der SPD)

Leider beschränkt sich der hier vorliegende Antrag aus meiner Sicht ausschließlich auf polizeiliche und rechtliche Problemlagen und lässt andere wichtige gesellschaftliche, insbesondere sport- und jugendpolitische Aspekte völlig außer Acht. Das ist eindeutig zu kurz gesprungen.

(Beifall von der SPD)

Unstreitig für uns ist: Aktuelle Randale muss bekämpft werden – sofort und konsequent. Überführte Straftäter müssen unverzüglich den zuständigen Gerichten zugeführt werden. Das alles tut unsere Polizei nicht erst seit gestern.

Wer aber verhindern will, dass es immer wieder zu Gewaltausbrüchen kommt, braucht eine umfassende Prävention und eine gezielte Einwirkung zur Verhinderung von Straftaten sowie eine notwendige Differenzierung innerhalb der Fanszene zur Isolierung von Provokateuren.

(Beifall von der SPD)

Dies gilt im Übrigen für den gesamten Fußballbereich bis in die unteren Ligen hinein.

Angebote an die Fanszene dürfen nicht nur die Sache von gemeinnützigen sozialen Initiativen sein. Hier müssen die Vereine, hier muss die DFL mitgestalten und vor allen Dingen mitfinanzieren – nicht freiwillig, sondern nach Umsatz und durch Umlage.

Der Begriff Fan muss wieder mit einem Zugang zur Unterhaltung, zu Geselligkeit und zum Erfolg, zu Treffen, zu Turnieren und zu Events verbunden sein.

Wir alle können jedoch an dieser Aufgabe scheitern, wenn wir unter dem Motto „abgreifen, draufhauen, aburteilen“ agieren würden. Damit überfordern wir wissentlich die Rolle von Ordnungskräften und Justiz.

Im Umgang mit dieser Gewaltproblematik ist eine deeskalierende, auf Verantwortung und Bürgerengagement abzielende Strategie erforderlich. Hierfür steht insbesondere meine Fraktion.

Wir empfehlen daher eine Überweisung Ihres Antrages an den federführenden Innenausschuss, um gemeinsam mit den anderen beteiligten Fachausschüssen eine abgestimmte Position zu erarbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Kollege Kossiski. Es war Ihre Jungfernrede. Glückwunsch aus dem Hohen Haus und danke für Ihre erste Rede.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Lohn.

Werner Lohn (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestern Abend um diese Zeit konnten wir uns freuen, dass Dortmund und Schalke erfolgreich gespielt haben. Heute Abend verpassen wir auch ein wichtiges Spiel. Aber das Spiel gestern war wichtiger.

(Britta Altenkamp [SPD]: Was glauben Sie denn?)

Ja, das war der erfreuliche Teil der Rede. – In der letzten Sitzung des Innenausschusses mussten wir uns leider damit beschäftigen, dass es am Rande des Spiels zwischen Schalke und BVB zu exzessiven Gewaltanwendungen gekommen ist. Die traurige Bilanz waren acht verletzte Polizisten, 180 Freiheitsentziehungen, eine gestürmte Gaststätte und eine horrende Zahl weiterer Straf- und Gewalttaten. Das, was die Gewalttäter auf beiden Seiten veranstaltet haben, war kein Fanverhalten, sondern im Gegenteil absolut nicht zu tolerieren. Ich denke, darüber sind wir uns hier im Hause auch einig.

Gewaltdelikte und Straftaten bei uns haben durch Hooligans seit Anfang der 90er Jahre massiv zugenommen. Allein in der Saison 2010/2011 ist die Anzahl der Delikte um ungefähr 40 % und die Anzahl der Arbeitsstunden der Polizei um ungefähr 30 % gegenüber dem langjährigen Mittel angestiegen. Das bedeutet für die Polizei 1,56 Millionen Arbeitsstunden zusätzlich und, was noch viel schlimmer ist, 243 Verletzte. Das sind die Daten aus 2011. Leider Gottes liegen uns jetzt Ende 2012 noch keine weiteren verlässlichen detaillierten Daten vor.

Daraus resultiert eine Forderung von mir und der CDU-Fraktion: Wir können nicht weiter darauf warten, dass die ZIS, die bei uns bei der ZPD angesiedelt ist, zentral die Aufgaben erfüllt, aber zu langsam arbeitet und zu spät die Ergebnisse liefert.

Ich bin der Meinung, dass wir darauf drängen sollten, dass wir für Nordrhein-Westfalen auch als wichtigen Fußballstandort mit den entsprechenden negativen Begleiterscheinungen einen eigenen Lagebericht „Gewalt auf Fußballplätzen“ bekommen. Das wäre etwas, was unsere Polizei, die Sicherheitsorgane, aber auch die Vereine in die Lage versetzen würde, zeitgerecht, schnell und effektiv gegen Gewalt von Tätern vorzugehen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es so käme, wäre es gut. Das entlastet aber den Innenminister und die Polizei nicht von der Kernaufgabe. Denn die Kernaufgabe der Polizei ist es, die friedlichen Fans und auch die Unbeteiligten vor Gewaltübergriffen zu schützen. Wir können uns nicht zurücklehnen. Wir müssen unsere Aufgabe angehen. Da reicht es auch nicht aus, wenn wir ständig nur neue Gesprächskreise bilden und sagen: Wir sind auf einem guten Weg. Wir befinden uns in einem Dialog. – Denn leider Gottes ist es so, dass viele der gewaltbereiten und der gewaltsuchenden Fans – in Nordrhein-Westfalen sind das ungefähr 4.000 – gar nicht zum Dialog bereit sind und auch nicht dialogfähig sind. Für diese 4.000 Fans allein in Nordrhein-Westfalen, die gewaltsuchend sind, braucht es eine andere Ansprache.

Diese Ansprache haben wir teilweise vorformuliert in den Leitlinien des Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit, das in diesem Jahr noch aktualisiert worden ist. Da heißt es auf Seite 6 richtigerweise:

„Gewalt und Sicherheit gefährdendes Verhalten werden konsequent bereits im Ansatz verhindert und durch zügiges professionelles Handeln nachhaltig unterbunden.“

So weit die Worte und das Wunschdenken.

Das, was ein Fanforscher und Sportsoziologe, Prof. Gunter A. Pilz von der Universität Hannover, geäußert hat – und er trifft es, wie ich glaube, ziemlich genau –, ist: Lasst den Drohungen doch endlich einmal Taten folgen, und dies unmittelbar nach der Tat. Nur so haben Strafen eine abschreckende – ja, was noch wichtiger sei – auch eine lehrreiche Wirkung.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Prinzip, mit „Null Toleranz zu null Gewalt“ etwas vereinfacht beschrieben, wird seit 1990 in England erfolgreich umgesetzt. Strikte Regeln, konsequente Verhinderung und Verfolgung von Straftaten, schnelle Gerichtsurteile, aber auch das Entfernen von Alkohol, Stehplätzen und Gitterzäunen aus den Stadien haben zum Erfolg geführt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das kann auch bei uns gelingen. Wir müssen nur endlich konsequent handeln und nicht nur reden.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Das Motto muss heißen: Dialog mit den echten Fans und Durchgreifen gegenüber Gewalttätern.

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir in Nordrhein-Westfalen bereits ein exzellentes Einsatzmittel bei sogenannten Risikospielen haben. Die Polizeireiterstaffeln haben sich nach einhelliger Meinung aller Polizeiexperten und der betroffenen Behörden sehr gut bewährt.

(Beifall von der CDU)

Ich bin daher froh, dass CDU und FDP die Polizeireiterstaffeln im Jahr 2006 trotz hämischer und unsachlicher Kritik von SPD und Grünen wieder eingeführt haben.

(Zurufe von der SPD)

Die CDU-Fraktion bedankt sich bei den Reiterstaffeln und natürlich bei allen Polizeibeamten.

Herr Innenminister Jäger, Sie täten gut daran, sich auch zu bedanken. Aber Sie und die SPD scheinen ja mit Pferden ein Problem zu haben. Derjenige, der die Kavallerie in die Schweiz schicken wollte, scheint wohl das falsche Pferd zu sein, auf das Sie in Berlin setzen, und bei uns wollen Sie gute Reiterstaffeln verhindern.

Abschließend passt dazu auch eine Erinnerung an das Jahr 2006, die ich noch vor Augen habe. Da war die heutige Ministerpräsidentin, Frau Kraft, die freundlicherweise noch da ist, zusammen mit ihm, dem heutigen Innenminister, dabei, unsere Reiterstaffeln geradezu zu verspotten, verkleidet als Polizeireiter bzw. Polizeireiterin mit einem lächerlichen Holzpferd. Ich habe noch ein Bild von damals, das ich Ihnen geben kann.

(Der Abgeordnete hebt ein Bild hoch.)

Verkleidet mit einem lächerlichen Holzpferd, versuchten beide, unsere Polizeireiterstaffeln in den Medien lächerlich zu machen. Das war absolut daneben, auch wenn damals Karneval war.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Frau Ministerpräsidentin, steigen Sie von Ihrem hohen Ross herab, und tun Sie sich mit Ihrem Innenminister zusammen! Entschuldigen Sie sich bei den Reiterstaffeln des Landes, und erkennen Sie deren Arbeit an! Das wäre ein guter Anfang für konstruktive Beratungen im Innenausschuss. – Danke schön.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Lohn. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu dieser späten Stunde und bei fußballerischer Konkurrenz sind doch noch einige hier im Saal, was ganz erfreulich ist. Herr Kollege Lohn, Ihr Law-and-Order-Beitrag mit Law-and-Order-Rhetorik hatte zum Schluss mehr mit Pferden als mit Fußball zu tun. Kommen wir zum eigentlichen Thema zurück! Es handelt sich um Fußball und die Auseinandersetzung mit einem zugegebenermaßen schwierigen Thema.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Fußball ist ein Teil unserer Kultur und ein Phänomen, das die Menschen zusammenbringt unabhängig von ihrem Alter, ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Identität, ihrem sozialen Hintergrund. Fußball fasziniert einfach alle Menschen.

Genauso vielschichtig und bunt wie die gesamte Zuschauer- und Zuschauerinnenschaft sind auch die Fankultur und die Fanszene selbst. Sie ist bunt, aber – das haben wir heute schon gehört, und das darf man nicht negieren – auch widersprüchlich. Denn diese erfreuliche Vielfalt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Fußball- und Fankultur auch Schattenseiten haben. Die Szenen – wir haben es schon mehrfach gehört –, wie wir sie im Kontext des Revierderbys erleben mussten, wollen wir in dieser Form nicht wiedersehen. Stadien und der Kontext von Fußballspielen sind keine rechtlosen Orte, an denen sich kleine Gruppen gewalttätig austoben können. Ich denke, an dieser Stelle gibt es einen gemeinsamen Konsens.

Wer aber einseitig auf repressive Strategien setzt, greift eindeutig zu kurz. Diesem im Übrigen auch nicht neuen Phänomen von Gewalt im Kontext von Fußballspielen zu begegnen, ist eine Aufgabe, die viele Akteure und unterschiedlichste Maßnahmen erfordert. NRW – es ist bereits erwähnt worden – geht mit gutem Beispiel voran, wenn es darum geht, eine Strategie zu verfolgen, die nicht einseitig nur auf repressive Maßnahmen setzt, sondern auch gleichzeitig auf Verantwortung und Dialog. Es mag sein, dass einige von Ihnen den Dialog für ein nicht besonders tragfähiges Konzept halten. In einem Rechtsstaat halte ich den Dialog durchaus für ein tragfähiges und sehr sinnvolles Konzept, anstatt mit dem Knüppel aus dem Sack zu kommen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Denn nur wenn sich alle Beteiligten ihrer Verantwortung bewusst sind, wird die Sicherheit bei Fußballspielen verbessert werden können. Dazu gehört natürlich die konsequente Verfolgung von Straftaten genauso wie eine verantwortungsbewusste Fankultur sowie Vereine und Verbände, die Fußball eben nicht nur als Wirtschaftsfaktor betrachten, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Fußball ist eben keine Dienstleistung von 22 Fußballprofis für 50.000 Zuschauerinnen und Zuschauer.

Fankultur ist auch Jugendkultur. Nicht zuletzt aus dieser Erkenntnis heraus fördert die Landesregierung 14 sozialpädagogische Fanprojekte, die eine sehr gute Arbeit im Bereich der Prävention leisten.

Zentrales Element einer gelingenden Sicherheitspolitik muss aus meiner Sicht Kommunikation sein. Das gilt für die Kommunikation zwischen Vereinen und ihren Fans – auch da besteht eine Verantwortung –, aber auch für die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Das sind eben nicht nur Fans und ihre Vereine.

Lokale und nationale Netzwerkarbeit ist ein integraler Bestandteil dieser Strategie. Örtliche Ausschüsse, Sport und Sicherheit haben sich als wirksame Bausteine einer Vor- Ort-Strategie erwiesen. Präventive Strategien setzen eben gerade auf diesen Dialog und werden auch weiterhin ein zentraler Baustein unserer nachhaltigen Sicherheitskonzeption sein. Ich glaube, damit werden wir sehr viel erfolgreicher sein als mit den Forderungen, die Herr Lohn formuliert hat, bevor er von Pferden sprach.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich wünsche mir allerdings auch dass die DFL und der DFB ihre Positionen ein Stück weit in diese Richtung verändern. Denn die Androhung von Ganzkörperkontrollen durch private Sicherheitsdienste in Containern empfinde ich als absolut unerträgliche Vorstellung, die einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte durch private Dienste darstellt.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Im Sinne aller Fußballfans und im Interesse aller Menschen in NRW muss von den Vereinen und Verbänden einfach mehr kommen als nur solche Ideen.

Es ist bereits erwähnt worden, allein 30 % der Einsatzstunden der Bereitschaftspolizei gehen mittlerweile in die Einsätze rund um Fußballspiele. Nimmt man diese Zahl und die anderen Maßnahmen, die ich zum Teil beschrieben habe, wird klar, dass das Land NRW sehr wohl Woche für Woche seinen Beitrag zu einem sicheren und fröhlichen Fußballerlebnis leistet. Hier auch Entlastung für die Einsatzkräfte zu schaffen, liegt nicht zuletzt in der Verantwortung von DFL und DFB, die für die Spielansetzungen verantwortlich sind und damit ihren Beitrag zu einem Abbau von Einsatzspitzen leisten können.

Die konsequente Verfolgung von Straftaten und der dringend notwendige Dialog zwischen den unterschiedlichen Akteuren im Kontext von Fußball stellen dabei keineswegs einen Widerspruch dar. Im Gegenteil! Wer nachhaltig und ernsthaft die Situation verbessern will, muss Gräben zuschütten, statt generellen Verdächtigungen nachzujagen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?

Josefine Paul (GRÜNE): Ja, gerne, Herr Müller.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Müller.

Holger Müller (CDU): Frau Kollegin Paul, sind Sie wirklich der Meinung, dass es sich bei diesen Gewaltakten ausschließlich um ein Problem des Fußballs handelt? Oder bietet der Fußball nur den Rahmen für solche Gewaltakte?

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Müller, vielen Dank für die Frage. Natürlich ist das kein Problem des Fußballs an sich, sondern auch ein gesamtgesellschaftliches Problem. Natürlich ist der Fußball hier ein Rahmen. Aber das kann doch nur heißen, dass wir dementsprechend auch ganzheitliche Strategien finden müssen, um dem zu begegnen. Genau da kann der Fußball eben auch ein Rahmen sein. Deswegen haben wir beispielsweise sozialpädagogische Fanprojekte, die den Fußball als Rahmen nutzen und über den Fußball hinausgehend tatsächliche Jugendarbeit leisten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Jetzt ist meine Redezeit doch tatsächlich schon abgelaufen. Deshalb möchte ich einfach wie folgt schließen:

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen und lege meine Hoffnung hinein, dass wir dort der Vielschichtigkeit und der notwendigen Differenzierung dieses Themas gerecht werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die Piratenfraktion hat Herr Kollege Herrmann das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin Paul, es war sehr interessant, Ihre Ausführungen zu hören und Ihre Standpunkte kennenzulernen. Mit sehr vielen Dingen stimme ich überein. Ich glaube auch, dass wir mit einer Law-and-Order-Politik hier nicht weiterkommen. Wir müssen mindestens verbal abrüsten und nicht weiter skandalisieren.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich halte den FDP-Antrag in der hier vorliegenden Form für eine völlig übertriebene Reaktion auf die Vorkommnisse in Dortmund.

Herr Dr. Orth, wir haben in der Sitzung des Innenausschusses über das Revierderby gesprochen. Dort wurde von Ihnen ein Schlachtfeld herbeigeredet. Ich nehme an, dass Sie nicht vor Ort waren. Herr Ministerialdirigent Düren hat in dieser Sitzung ausgeführt, dass die Saison bisher sehr ruhig verlaufen ist und das Derby der erste größere Einsatz war. Man muss das, was dort passiert ist, also noch einmal analysieren.

Es war auch nicht das erste Revierderby in der Bundesligageschichte. Die Polizei schickt vorab immer Fanbriefe, um die einzelnen Fangruppen zu informieren und auch ein bisschen zu steuern, damit sie sich nicht so sehr begegnen. Die Fanbriefe, die jetzt vorab an die Dortmunder und Schalker Fans verschickt wurden, haben allerdings für beide Gruppen identische Anfahrtswege und dieselben Haltestellen am Stadion beschrieben. Das ist natürlich ein fataler Fehler. So etwas hätte nicht passieren dürfen. Man muss sich schon fragen, warum das passiert ist. Wir werden dieser Sache vielleicht noch mit einer Kleinen Anfrage nachgehen.

Das Fazit vieler Fans war – wir haben mit einigen vor Ort gesprochen –, dass die Gesamtlage nicht wesentlich anders gewirkt hat als bei früheren Derbys. Viele haben von den Krawallen übrigens auch gar nichts mitbekommen.

Meine Damen und Herren, was ist das für eine Zeit, wenn Fußballfans eine eigene Website ins Leben rufen, nur um ein Zeichen gegen skandalisierende und übertriebene Stimmungsmache zur Gefährlichkeit von Stadionbesuchen zu setzen? „ich-fuehl-mich-sicher.de“ heißt die Seite. Seit letzter Woche haben diesen Satz dort schon 36.500 Fans mit ihrem Namen unterschrieben. Glauben Sie, das sind alles Gewaltverherrlicher? Nein, das sind Menschen, die ihren Verein im Stadion anfeuern wollen, ohne gleich unter einen Generalverdacht gestellt und mit der Videokamera beobachtet zu werden.

Ich würde es deshalb sehr begrüßen, wenn wir den aktuellen Anlass nicht dazu missbrauchten, die Staatsgewalt weiter aufzurüsten und mehr Kontrollen und mehr Überwachung zu fordern.

(Beifall von den PIRATEN)

Stattdessen sollten wir die Kommunikation und Vernetzung von Fans, Polizei und Vereinen verstärken, damit Eskalationen in Zukunft verhindert werden können und auch die Beamten vor Ort entlastet werden. Herr Jäger, ich bin gespannt, wann Sie Ihren ersten Fangipfel hier in NRW durchführen. Daran würden wir uns gerne beteiligen.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Dr. Orth, Sie erwähnen in Ihrem Antrag im Übrigen einen zentralen Grund dafür, dass die Stimmung bei den Fans im Moment so aufgeladen ist, nämlich – es wurde schon angesprochen – das unsägliche Papier der Deutschen Fußball-Liga „Sicheres Stadionerlebnis“. Haben Sie das Papier gelesen? Ich hoffe es. Was sagen Sie denn dann zu den geforderten Einschränkungen beim Datenschutz und bei den Persönlichkeitsrechten aller Stadionbesucher?

Uns war die FDP einst als Bewahrer von Freiheit und Bürgerrechten bekannt. Aber wenn ich mir Ihre Forderungen hier ansehe – zum Beispiel Pyrotechnik-Spürhunde, Ausbau von Videoüberwachung, Staatsanwalt im Stadion, besonders schnelle Aburteilung –, dann muss ich sagen: Sie haben hier in Nordrhein-Westfalen die Bürgerrechte offensichtlich ohne Hemmungen über Bord geschmissen.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Aber dafür sind ja wir Piraten jetzt da.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, Aktionen wie diesen Antrag nennen wir Piraten „Ranten“. Die Übersetzung dazu finden Sie im Internet.

Wir werden im Innenausschuss wohl weiter zu diesem Antrag diskutieren. Dann sollten wir aber Experten und vor allem auch die Fans selber anhören und nicht einfach in das gleiche Horn tröten wie der Herr Innenminister. Hier muss niemand mehr scharf gemacht werden. Vielmehr müssen wir die Schärfe herausnehmen und endlich wieder einen echten Dialog mit den Fans führen. – Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Innenminister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gelegentlich wird man in solchen Debatten an schöne Dinge erinnert. Herr Lohn, eine dieser schönen Sachen war die Karnevalsfeier 2006. Ich habe von diesem Abend leider keine Bilder. Können Sie mir vielleicht einmal Kopien geben? Diese Karnevalsveranstaltung war übrigens sensationell. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir da nicht die Reiterstaffeln humoristisch verhöhnt, sondern das Verfahren, mit dem die alte Landesregierung sie angeschafft hat, nämlich über Leasing. Dass das Ganze in eine durchaus humoristische Darstellung eingebunden war, kann man schlecht verstehen, wenn man aus Geseke kommt. Das kann ich nachvollziehen.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Herr Lohn, in diesem Zusammenhang wurde ich daran erinnert, dass ich dem Innenausschuss schon immer mal berichten wollte, wie teuer diese Leasingaktion den Steuerzahler gekommen ist. Ich verspreche Ihnen: In der nächsten Sitzung mache ich das.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch nie haben so viele in Deutschland Fußball geschaut. Noch nie haben so viele Fans ihren Verein auf Auswärtsspielen begleitet. Wir haben die modernsten Arenen in Europa, in denen wirklich Atmosphäre und Stimmung herrscht. Wir haben in Deutschland eine Fankultur, wie sie in Europa vielleicht einzigartig ist. Wir haben Ultrafans, die für wunderschöne Choreografien im Stadion und darum herum verantwortlich zeichnen. Das ist ein friedliches Fußballfest. Aufgabe der Polizei ist es, das zu sichern.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, entschuldigen Sie. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lohn?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Nein, da geht es wieder um Pferde. Das machen wir im Innenausschuss.

Mir ist wichtig, dass wir gemeinsam eine Linie ziehen. Egal ob der Familienvater mit dem Sohn am Samstag ins Stadion geht oder ob der Ultrafan sein Leben sozusagen dem Verein widmet – das alles sind Fans. Dann gibt es für mich eine klare Trennungslinie. Auf der anderen Seite stehen die, die prügeln, die rassistische Sprüche grölen und die Pyrotechnik zünden. Und das sind Straftäter. Diese klare Linie muss gezogen werden, und zwar von allen, die mit Fußball zu tun haben, und von allen, die im Fußball Verantwortung tragen.

Der Kollege hat es gerade schon gesagt: Wir haben das Nationale Konzept Sport und Sicherheit in Nordrhein-Westfalen federführend für alle Bundesländer weiterentwickelt. Kerngedanke ist, alle, die mit Fußball zu tun haben, in ihrer jeweiligen Verantwortung an einen Tisch zu holen. Da ist die Deutsche Bahn mit ihren Reisemöglichkeiten für Fans, die zu Auswärtsspielen fahren, genauso wichtig wie die Polizei, die Ordnungskräfte, die Vereine, aber auch die Fangruppen. In einem solchen Netzwerk muss man darüber reden, wie man Fußball für die 99,7 % organisiert, die friedlich zu diesen Fußballspielen gehen. Da muss man aber auch darüber reden, was wir mit diesen 0,3 % machen, die als Straftäter versuchen, den Fußball in diesem Land kaputtzumachen.

Herr Orth, da haben wir übrigens längst eine ganze Menge ordnungsrechtlicher Maßnahmen ergriffen: Stadionverbote, Betretungsverbote, Gefährdeansprachen zu Hause, damit die Leute gar nicht mehr zu Auswärtsspielen losfahren. Das alles macht die Polizei, glaube ich, auch einigermaßen erfolgreich. Die Zahl der Gewaltakte rings um den Fußball steigt nicht stetig. Aber wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass wir diese Form von Gewalt schlichtweg nicht tolerieren und reduzieren wollen.

Ihre Vorschläge, was beispielsweise Spürhunde für Sprengstoff oder Pyrotechnik angeht, Herr Orth, mögen auf den ersten Blick putzig sein. Ich biete Ihnen an, mal eine Hundestaffel bei der nordrhein-westfälischen Polizei zu besuchen und sich erläutern zu lassen, wie schwierig es ist, bei Borussia Dortmund die 80.000 Besucher mit Spürhunden durchsuchen zu lassen. Das ist in der Tat ein „tierisches“ Problem. Das ist so nicht ohne Weiteres möglich.

Genauso haben wir das Problem, dass uns Staatsanwälte im Stadion relativ wenig nutzen, weil die Mehrzahl der Gewalttaten nämlich nicht im Stadion stattfindet, sondern auf den Anreisewegen oder an Knotenpunkten, an denen sich Fangruppen treffen, wie auf Bahnhöfen oder Raststätten. Dort haben wir das Problem gewalttätiger Auseinandersetzungen.

Ich habe mit dem Satz eingeleitet: Jeder muss die Verantwortung für seinen Bereich tragen. – Ich sage Ihnen ganz offen: Es gibt Bundesligavereine der ersten, zweiten und dritten Liga, die dieser Verantwortung sehr gut nachkommen. Mein lobendes Beispiel ist da zurzeit der 1. FC Köln, der große Probleme mit der Ultrafangruppe „Wilde Horde“ hatte. Sie haben in dieser Saison aber angefangen, mit dieser Fangruppe vom 1. FC Köln tatsächlich in den Dialog einzutreten. Und die Folge ist, dass zumindest beim 1. FC Köln in dieser Saison noch keine Ausschreitungen stattgefunden haben.

Es gibt aber auch Vereine, bei denen ich den Eindruck habe, dass die Vereinsverantwortlichen die Haltung haben, dass sie sich um die Gäste in der Loge kümmern, und um das, was auf den Rängen passiert, muss sich die Polizei kümmern. Und das geht nicht mehr.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir setzen 30 % der Arbeitszeiten der Bereitschaftspolizei in Nordrhein-Westfalen nur für Fußball ein. Und das ist eine Ressource, die an anderer Stelle dringend gebraucht wird.

Deshalb ist meine Erwartungshaltung an ganz bestimmte Vereine, die in den nächsten vier Jahren 2,5 Millionen € aus Fernsehgeldern erhalten, dass mehr Geld für Sicherheit ausgegeben wird. Deren Verantwortung ist nämlich nicht nur auf das Stadion bezogen, sondern geht weit darüber hinaus. Ich erwarte, dass sie mit eigenen Ordnern, mit eigenen Vereinskräften ihre Fans auf Auswärtsspielen begleiten, dass an den Drehkreuzen qualifiziertes, zertifiziertes Personal steht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ja, aber die Regierung darf immer länger.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das ist mir bekannt, Herr Minister. Mir ist die Verfassung durchaus bekannt. Aber danke noch mal für den Hinweis.

(Heiterkeit)

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Vizepräsident Papke, ich wollte Sie doch nicht belehren – ganz im Gegenteil. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass ich noch einige wenige Sekunden benötige.

Mir ist wichtig, dass die Vereine auch an den Drehkreuzen mehr Kontrollen durchführen, dass Stadionverbote von den Vereinen konsequent durchgesetzt werden.

Diese Verantwortung kann ich noch nicht bei allen Vereinen erkennen. Deshalb wird sich die Innenministerkonferenz Anfang Dezember mit diesem Thema noch einmal auseinandersetzen. Das wird ein langer Weg sein. Zu glauben, man müsse nur ein paar Schrauben drehen, dann bekomme man den Fußball gewaltfrei, das ist, glaube ich, ein Bild, das nicht funktioniert. Wir werden einen langen Atem haben müssen.

Zu guter Letzt: Herr Lohn, Sie haben England zitiert. England hat nach zwei fürchterlichen Unglücken aus einer Schockstarre heraus inzwischen einen Fußball entwickelt, den ich in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland nicht haben möchte: keine Fangesänge mehr, keine Choreografien, tote Stimmung in den Stadien. Ich finde, Fußball ist viel zu schön, als dass wir uns das auf diesem Weg kaputtmachen lassen und damit letztendlich den Chaoten in die Karten spielen sollten.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 1:53 Minuten überzogen. Gibt es angesichts dieser Tatsache noch weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zum Schluss der Beratung.

Ich lasse abstimmen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1268 an den Innenausschuss – federführend –, an den Sportausschuss, an den Rechtsausschuss und an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Ist jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung angenommen.

Wir treten ein in den Tagesordnungspunkt

12       Realisierung des „Eisernen Rheins“ weiter vorantreiben – Entwicklung Nordrhein-Westfalens darf nicht blockiert werden

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1262

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1334

Ich eröffne die Beratung. Für die SPD-Fraktion darf ich zunächst Herrn Kollegen Breuer das Wort erteilen.

Reiner Breuer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde mich sehr freuen, wenn wir heute fraktions- und parteiübergreifend ein Signal nach Berlin senden könnten, das deutlich macht, dass wir in Nordrhein-Westfalen es nicht hinnehmen, dass wesentliche Infrastrukturmaßnahmen blockiert werden – von wem auch immer.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Wir setzen uns darüber hinaus interfraktionell dafür ein, dass es keinen Stillstand bei herausragenden verkehrspolitischen und damit auch wirtschaftspolitischen Infrastrukturprojekten gibt, wie der Eiserne Rhein es ist.

Sicherlich ist auch die Volkspartei CDU in der Verantwortung, sich hier für das Land Nordrhein-Westfalen zu erklären. Denn Sie wissen wie wir genau, dass die Ströme der Waren und Güter, die wir über die belgischen und niederländischen Seehäfen importieren, aber auch exportieren, erheblich zunehmen werden.

Dafür müssen wir in Nordrhein-Westfalen als Logistikdrehscheibe Deutschlands gerüstet sein. Als industrielles Kernland in Deutschland brauchen wir eine bedarfsgerechte und eine leistungsfähige Infrastruktur. Tun wir nichts zur Steuerung der Güterverkehre, werden wir an Rhein und Ruhr von LKWs überrollt werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und unsere Umwelt wären erheblichen Verkehrsbelastungen ausgesetzt, und unsere Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen wäre weder an Wertschöpfungsketten noch an neu geschaffenen Logistikprozessen beteiligt. Deshalb, meine Damen und Herren, ist es enorm wichtig, dass wir den Eisernen Rhein als Schienengüterverkehrsstrecke realisieren.

Aber auch die Betuwe-Linie muss realisiert werden, wenngleich die endgültige Finanzierung hierfür noch aussteht.

Vor der Realisierung des Eisernen Rheins drückt man sich im Bund aber seit vielen Jahren so gut man kann. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer von der CSU will den Eisernen Rhein nicht – er sagt es nur nicht.

(Beifall von Britta Altenkamp [SPD])

Ihr Verkehrsminister – von Ihnen respektvoll „Ramses“ genannt – macht es ganz perfide: Er beharrt unbeirrt darauf, dass die historische Trasse gebaut wird – wohlwissend, dass diese Trasse aus ökonomischen und ökologischen Gründen nie und nimmer realisiert wird. Das wissen Sie auch, meine Damen und Herren.

Damit untergräbt Ihr „Ramses“, Herr Schemmer, die Haltung und die Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen und die Beschlüsse von 2007, die ihren Ursprung bei Ihnen haben und die wir parteiübergreifend gefasst haben: mit der A-52-Trasse als realistischer Trasse.

Ihr Minister blendet damit zugleich neue Erkenntnisse über die Wirtschaftlichkeit der historischen Trasse aus. Sie wissen doch aus einem Gutachten, das unser Minister Groschek in Auftrag gegeben hat, dass die Kosten bei 455 Millionen € allein auf deutscher Seite liegen würden, wenn man die historische Trasse realisieren wollte. Sie haben auf Bundesebene gemeinsam mit der Deutschen Bahn immer 150 Millionen € angenommen. Das ist und bleibt falsch.

(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])

Die historische Trasse kostet Sie demnach gut 21,2 Millionen € pro Kilometer. Die Trasse, die wir favorisieren – eigentlich gemeinsam favorisieren sollten –, wird „nur“ 16,6 Millionen € pro Kilometer kosten.

Herr Minister Groschek hat deshalb zu Recht seinen Amtskollegen in Berlin angeschrieben und die Bitte an ihn herangetragen, doch noch mal zu überdenken, ob er wirklich an dieser alten Trasse festhalten will und ob er sich nicht zumindest der neuen Trasse annähern und in Belgien und den Niederlanden Fürsprache halten will. Doch Herr Ramsauer will den Eisernen Rhein offenbar weiter rosten lassen, damit er ihn irgendwann kostengünstig auf seinem verkehrspolitischen Schrottplatz abladen kann.

(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])

Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren. Herr Ramsauer hat in seinem Antwortschreiben leider keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, die Interessenlage des Landes Nordrhein-Westfalen nur ansatzweise in den Blick zu nehmen, und verschanzt sich hinter der vermeintlichen Auffassung der Länder Belgien und Niederlande.

Wie falsch das ist, beweisen die Gespräche, die unsere Ministerpräsidentin und Herr Groschek dankenswerterweise geführt haben. Ich möchte Ihnen noch einmal herzlich dafür danken, dass Sie das gemacht haben – auch mit einem guten Ergebnis.

(Beifall von Jochen Ott [SPD] – Lachen von Lutz Lienenkämper [CDU])

Es wurde nämlich Gesprächsbereitschaft signalisiert.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Sie haben doch keine Ahnung!)

– Warum hat denn Ihr Herr Ramsauer diese Gespräche nicht geführt?

Wir bitten um Unterstützung unseres Antrags.

Ihren Antrag können wir nur zum Teil unterstützen. Wir bitten daher um getrennte Abstimmung, Herr Präsident. Zum ersten Teil: Natürlich können wir den Beschluss von 2007 erneut bekräftigen. Wir finden es auch gut, dass hier der Lärmschutz hervorgehoben wird; denn dann kann eigentlich nur die A-52-Trasse herauskommen. Der zweite Teil Ihres Beschlussvorschlags ist Polemik. Den tragen wir nicht mit. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Breuer. Das war Ihre erste Plenarrede im Landtag Nordrhein-Westfalen. Dazu darf ich Ihnen im Namen des Hohen Hauses herzlich gratulieren.

(Allgemeiner Beifall)

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Herrn Kollegen Klocke von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte.

Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Güterverkehrsprognosen sagen für die nächsten 15 bis 20 Jahre deutliche Zuwächse voraus. Egal ob 15 %, 25 % oder noch mehr: Die Prognosen sind eindeutig, dass da einiges auf uns zurollt.

Die Seehäfen in Antwerpen und Rotterdam werden entsprechend ausgebaut. Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine Fahrt mit dem Verkehrsausschuss gemacht und uns die großen Ausbaumaßnahmen an der Maasvlakte in Rotterdam angeguckt.

Die Niederländer haben daraus mit dem Ausbau der Betuwe-Linie und dem dritten Gleis Konsequenzen gezogen. Nur auf deutscher Seite – in Nordrhein-Westfalen – ist dieses dritte Gleis, das notwendig wäre, noch nicht realisiert worden.

Was blüht uns, wenn wir die Infrastrukturprojekte Eiserner Rhein und Betuwe-Linie nicht realisieren? Dann droht uns, dass die Güter bis kurz vor die Grenze gefahren und dort umgeladen werden. Wir haben uns die Hubs, also die Umladestationen, die dort entstehen, angeschaut. Dort wird von der Bahn auf LKWs umgeladen, und die Güter kommen alle mit LKWs zu uns ins Land. Das bedeutet mehr Stau, mehr Feinstaub, mehr Belastungen auf den Straßen und den sowieso schon überlasteten Autobahnen. Das ist auch für die Anwohnerinnen und Anwohner eine deutliche Zunahme der bereits vorhandenen Belastungen.

Deswegen ist für uns klar, dass wir Projekte wie den Eisernen Rhein und auch das dritte Gleis Betuwe realisieren müssen. Es ist hier in diesem Bereich leider nichts Entscheidendes vorangekommen. Das muss man kritisch gegenüber der Vorgängerregierung sagen, auch ein Stück selbstkritisch gegenüber der Vorvorgängerregierung.

Aber in der jetzigen Situation muss man die Notwendigkeit erkennen. Das ist bei Minister Ramsauer aber nicht der Fall. Der Brief, den er geschrieben hat als Reaktion auf das Schreiben von Groschek, ist ja in keiner Weise hilfreich. Er bezieht sich darin auf die niederländische Position. Und die ist davon geprägt, dass man keine Konkurrenz zum Rotterdamer Hafen haben möchte. Die sprechen sich gegen den Eisernen Rhein aus, indem sie die historische Trasse, die letztlich – das hat der Kollege Breuer eben gesagt – eine Nullvariante ist, nicht vorantreiben.

Wenn diese Variante hier also weiterhin priorisiert wird, wenn weiter geprüft und totgeprüft wird, dann wird sich in den nächsten fünf oder zehn Jahren gar nichts bewegen. Deswegen ist ein Engagement zugunsten anderer Trassenvarianten, über die man hier ja schon 2011 und sogar schon 2007 diskutiert hat und die man damals auch fraktionsübergreifend in einer Parlamentsinitiative beschlossen hat, genau das Richtige.

Wir brauchen Drive in diesem Projekt. Wir müssen Fahrt aufnehmen, damit der Eiserne Rhein in Nordrhein-Westfalen realisiert wird. Dazu gehört eine Prüfung der Trassenvariante entlang der A 52 – unter den verschiedenen Aspekten, die wir hier auch schon diskutiert haben: verschiedene Ortsumfahrungen, intensiver Ausbau von Lärmschutz, eine intensive Bürgerbeteiligung. Aber das Projekt A 52 muss vorangetrieben werden.

Das ist auch der Inhalt des Antrags, den wir heute hier mit drei Fraktionen vorgelegt haben – verbunden mit einer nochmaligen Bitte in Richtung der Kollegen der CDU, die ja einen eigenen Antrag vorgelegt haben, der letztlich nicht viel mehr aussagt als das, was wir sowieso schon fordern, und in manchen Bereichen sehr komische Forderungen enthält. Die Einladung geht also noch mal an die Kollegen der CDU zu einem übergreifenden Antrag. Stimmen Sie doch einfach unserem Antrag zu, dem Antrag von SPD, Grünen, FDP und Piraten, damit wir hier aus dem Plenarsaal ein starkes Signal nach Berlin setzen, dass wir dieses Projekt in Nordrhein-Westfalen realisiert haben wollen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Denn eines ist doch klar, wenn man sich die Finanzierungszusammenhänge anguckt: Es gehen nur knapp 2 % der Gelder für den Infrastrukturausbau im Bahnbereich nach Nordrhein-Westfalen. Ein Bundesland, das 20 % Fläche und Einwohner hat, bekommt nur 2 % der Gelder. Das kann so nicht weitergehen.

Da ist unsere Bitte wirklich: Machen Sie Druck beim Bund, bei Ihren eigenen Leuten. Das muss doch eigentlich übergreifend Konsens sein. Ich wundere mich, dass der frühere Verkehrsminister hier mit dem Kopf schüttelt. Wir müssen doch übergreifend der Meinung sein: Wir brauchen für wichtige Projekte – es gibt nicht viele, aber es gibt ein paar zentrale Projekte und dazu gehört der Eiserne Rhein – einen klaren Kurs in Berlin, dass wir hier Unterstützung brauchen und dass wir hier vorankommen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Deswegen noch einmal Dank an die Ministerpräsidentin und Dank an den Verkehrsminister für den Besuch in Belgien und auch für die Signale, die dort erreicht werden konnten.

Wir wollen auch mit diesem Beschluss heute ein klares Signal setzen. Der nächste Schritt wäre, in der Realisierung voranzukommen.

Für uns Grüne ist noch einmal wichtig, zu betonen: wenn, dann mit starker Bürgerbeteiligung, mit deutlichem Beachten von Lärmschutz und starker Einbeziehung der Öffentlichkeit. Dann wollen wir das Projekt Eiserner Rhein in Nordrhein-Westfalen auch realisieren. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die FDP-Fraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Rasche das Wort.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um den Industriestandort Nordrhein-Westfalen, um Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen. Viele Güterverkehrsstrecken auf der Schiene und auf der Straße haben in Nordrhein-Westfalen schon jetzt ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Manche Prognosen sprechen davon, dass sich der Güterverkehr insgesamt in Nordrhein-Westfalen um 84 % steigert. Auf den Hauptachsen werden das über 100 % sein.

Wenn wir unsere Aufgabe nicht lösen, die Infrastruktur bedarfsgerecht auszubauen, machen wir einen Riesenfehler, der sich langfristig negativ auf den Industriestandort Nordrhein-Westfalen, auf Wohlstand und auf Arbeitsplätze auswirkt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP, der SPD und der CDU)

Aus diesem Grund gab es in diesem Hohen Hause 2007 und 2011 fraktionsübergreifende Initiativen, die aus der Mitte dieses Hohen Hauses entstanden sind, nicht im Regierungsapparat, hier in der Mitte dieser Beratungen. Das war gut so. Die bezogen sich auf den Eisernen Rhein als eine Strecke neben der Betuwe. Beide sind maßgeblich für die Entwicklung in diesem Bereich von Nordrhein-Westfalen.

Ein relativ neues Gutachten – ich glaube, Herr Voigtsberger hat es in Auftrag gegeben und nicht mehr Herr Groschek – zur finanziellen Berechnung der historischen Trasse, in dem dargelegt wurde, dass dort nicht Kosten in Höhe von 150 Millionen € verursacht werden, sondern in Höhe von mindestens 450 Millionen €, belegt nochmals deutlich, dass es sich aus verschiedenen Gründen wirklich lohnt, sich für die A-52-Trasse einzusetzen. Gerade für Nordrhein-Westfalen, aber insbesondere für das Rheinland ist das besonders wichtig, Herr Körfges.

Seit Jahren, meine Damen und Herren, scheitert Nordrhein-Westfalen beim Kampf um die Mittel für Infrastrukturausbauten in Nordrhein-Westfalen. Es scheitert in diesem Wettbewerb um finanzielle Mittel gegen die Küstenländer und insbesondere gegen Bayern und Baden-Württemberg. Es gibt unterschiedliche Gründe für dieses Scheitern. Gegner gibt es überall in Europa, in den Küstenländern, in Bayern – die kämpfen für sich –, im Bund, aber auch hier in Nordrhein-Westfalen, wenn irgendwelche Player die eigenen Interessen vertreten und keine Landesinteressen.

Kollege Breuer von der SPD hat hingewiesen auf den Kollegen Ramsauer. Da mag ja etwas dran sein, Herr Breuer. Aber das zieht doch zu kurz. Seit 1998 hat die SPD im Bund elf Jahre lang den Verkehrsminister gestellt. Herr Müntefering und Herr Bodewig kamen sogar aus Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Wenn Sie ehrlich sind: Was hat sich denn zu dem Zeitpunkt bei der Betuwe-Linie getan, wo schon seit Jahren ein Staatsvertrag mit den Niederlanden bestand? Nichts, liebe Frau Ministerpräsidentin, nichts!

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Die Ehrlichkeit gehört dazu. Sonst kommen wir gemeinsam nicht weiter.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Beim Eisernen Rhein hat sich auch nichts getan. Insofern müssten doch irgendwann sowohl die Opposition als auch die Koalition und die Regierung erkennen, dass dieses Geschrei und dieses Gegeneinander in Nordrhein-Westfalen gar nichts bringt und dass wir erst eine Chance haben in diesem Wettbewerb um Infrastrukturmittel des Bundes, wenn wir eine gemeinsame Linie haben. Wenn wir die nicht haben, schaffen wir das nicht.

Da liegt zum großen Teil der Ball auch im Spielfeld des Verkehrsministers. Der sollte als Minister natürlich die Größe haben, auch einmal auf die CDU – auf einen Vorgänger als Verkehrsminister, zum Beispiel auf Herrn Lienenkämper – zuzugehen und zu überlegen: Wie kommen wir denn da jetzt gemeinsam weiter? Wie kommen wir da aus einer Sackgasse wieder heraus, die seit zehn, 20 oder 30 Jahren besteht? Welche Strategie können wir gemeinsam entwickeln? – Ich weiß nicht, Herr Groschek, ob es zu solchen Gesprächen schon gekommen ist, aber ich halte Sie für zwingend notwendig, damit wir am Ende gemeinsam weiterkommen.

(Beifall von der FDP)

Ich habe mit dem Hinweis auf Initiativen begonnen, die hier im Hohen Hause entstanden sind. Insofern macht mich im Hinblick auf diesen großen Schulterschluss, den wir in der Politik, aber auch weit darüber hinaus brauchen, eine Formulierung in diesem Antrag ein bisschen optimistisch. Da ist nämlich von einer fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe zum Thema „Eiserner Rhein“ die Rede. Vielleicht sind wir da einmal in der Lage, ganz sachlich, zielorientiert und pragmatisch eine Lösung anzustreben, hinter der alle Fraktionen stehen, ohne dass man sich schon auf dem Weg dahin verbeißt und sich gegeneinander wendet. Nur so hat Nordrhein-Westfalen eine Chance. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Piratenfraktion hat nun Herr Kollege Fricke das Wort.

Stefan Fricke (PIRATEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon fast alles gesagt worden. Eigentlich besteht unter allen hier im Land Konsens. Auch die Gespräche im Ausschuss haben ergeben, dass der Eiserne Rhein kommen muss und dass die Trasse entlang der A 52 favorisiert wird.

Ich möchte der CDU sagen: Selbstverständlich wird auch der Lärmschutz berücksichtigt. Das schreibt ja schon das Bundesrecht vor.

Herr Bundesminister Ramsauer will den Eisernen Rhein nicht. Dass er die historische Trasse bevorzugt, belegt das nur. Wir haben das Gefühl, dass er das Land am langen Finanzarm verhungern lassen will und sich hinter falschen Berechnungen versteckt.

Ein Wort noch zu Herrn Minister Groschek. Ich hatte nach Ihrer kleinen Regierungserklärung im Ausschuss den Eindruck, dass Sie nicht richtig mit Nachdruck hinter dem Projekt stehen. Möglicherweise wollen Sie aus Wahlkampfgründen jetzt erst einmal nicht wirklich tätig sein, um dann der Bundesregierung die Schuld in die Schuhe schieben zu können. Wir hoffen aber jetzt, dass nach diesem interfraktionellen Antrag vielleicht etwas mehr Dampf dahinterkommt.

Daher unterstützen wir diesen Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, den GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die CDU-Fraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Voussem das Wort.

Klaus Voussem (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der bunten Liste

(Demonstrativer Beifall von den GRÜNEN)

fordert im Wesentlichen, dass die Bundesregierung die Probleme der Landesregierung lösen soll. Das kann sie machen, muss sie aber nicht. Neu ist lediglich, dass eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe des Landtags den Eisernen Rhein voranbringen soll. Wir sind der Auffassung, dass es einer solchen Arbeitsgruppe nicht bedarf. Vielmehr ist es die Aufgabe der Landesregierung, eine Einigung von Belgien, den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen zu organisieren.

(Jochen Ott [SPD]: Wer ist denn jetzt Außenminister?)

Lassen Sie mich kurz einen Blick in die nähere Vergangenheit werfen. Ich stelle fest, dass in den vergangenen knapp zwei Jahren, in denen die Minderheitsregierung für die Realisierung des Eisernen Rheins verantwortlich zeichnete, von eben dieser Landesregierung nichts getan wurde – und das, obwohl der seinerzeit zuständige Minister Voigtsberger seinen Wohnsitz in Belgien hat und vor diesem Hintergrund eigentlich ein besonderes Interesse an Fortschritten beim Eisernen Rhein hätte haben müssen.

Das war aber – wie bei fast allen Themen – auch bei dem wichtigen Verkehrsinfrastrukturprojekt Eiserner Rhein offensichtlich nicht der Fall. – Fazit: Stillstand auf der ganzen Linie, seit Rot-Grün regiert.

(Jochen Ott [SPD]: Nicht zu fassen, Herr Voussem! Das glauben Sie doch selber nicht! Dass Sie sich nicht schämen!)

– Jetzt, Herr Kollege Ott, machen zwei Mitglieder der Landesregierung einen Abstecher nach Belgien, und sofort werden die Jubelschalmeien ausgepackt. Dabei wurde außer Effekthascherei in der Sache nichts erreicht.

(Beifall von der CDU)

Festzustellen ist, dass die Ergebnisse der Reise von Ministerpräsidentin Kraft und Herrn Minister Groschek nach Belgien nicht sehr ergiebig waren. Konkrete Zusagen oder gar Absichtserklärungen gab es nicht. Es wurde lediglich eine gewisse Gesprächsbereitschaft signalisiert. Laut „Westdeutscher Zeitung“ vom 31.10.2012 erklärte Frau Ministerpräsidentin Kraft – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – zum Ergebnis des Besuches:

„Di Rupo hat Gespräche zugesichert, wenn wir uns mit der Bundesregierung auf diese Trasse einigen.“

Der damit vermittelte Eindruck, der Weg für die Realisierung der Strecke entlang der Autobahn 52 sei nun frei, ist falsch. Anstatt immer mit dem Finger auf den Bund zu zeigen, sollte die Landesregierung erst einmal selbst eine einheitliche Lösung der drei betroffen Länder erarbeiten. Erst dann ist es Zeit, den Bund zur Realisierung einzubeziehen.

(Jochen Ott [SPD]: Herr Voussem, wir haben es verstanden!)

Meine Damen und Herren, für die CDU gilt weiterhin der Beschluss aus dem Jahr 2007. Hier muss die Landesregierung jetzt liefern. Wichtig für den Fortschritt des Projektes wäre aus unserer Sicht auch, wenn sich der zuständige Minister für die Umsetzung des Landtagsbeschlusses vom 7. Dezember 2007 einsetzen würde. Der Beschluss von damals, der von CDU, SPD, Grünen und FDP gefasst wurde – der auch die Lärmschutzproblematik entlang der Trasse aufgreift –, ist nach wie vor richtig und muss von der Landesregierung umgesetzt werden. Daher stellen wir auch den vorliegenden Entschließungsantrag, der diese Position noch einmal deutlich macht.

Es ist doch nicht in Ordnung, dass derzeit bilaterale Gespräche zwischen Belgien und den Niederlanden über die Umsetzung des Vorhabens laufen und Nordrhein-Westfalen nicht dabei ist. Es ist derzeit nicht klar, wie der Verhandlungsstand aussieht. Uneinigkeit herrscht nach wie vor über die Kostenverteilung. Diesen Sachstand hat Herr Minister Groschek selbst in einem Bericht an den Landtag dargestellt.

(Zuruf von der SPD: Der heißt Ramsauer!)

Der unterschwellig bis offenkundig geäußerte Vorwurf an Herrn Bundesverkehrsminister Ramsauer, er lehne die Trasse an der A 52 ab, ist falsch.

(Zurufe von der SPD)

Der Bundesverkehrsminister hat in einem Schreiben an Minister Groschek vom 20. September 2012 deutlich klargestellt, dass im Rahmen der zu erstellenden Verkehrsprognose 2030 für die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans auch unterschiedliche Varianten zum Eisernen Rhein einbezogen werden können. Dann werden auch die Investitionskosten neu geprüft. Voraussetzung für die Umsetzung dieses international bedeutsamen Verkehrsprojektes ist allerdings die Vorlage einer bilateralen Einigung zwischen Belgien und den Niederlanden.

An dieser Stelle muss auch Nordrhein-Westfalen seinen Beitrag leisten. Die Landesregierung muss zunächst gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden eine Lösung für die Realisierung des Eisernen Rheins erarbeiten. Hier ist die Landesregierung in der Pflicht zu liefern. Meine Damen und Herren, tun Sie es endlich!

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Groschek das Wort. Bitte schön.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir waren und sind in Wirklichkeit viel weiter und uns eint auch mehr, als es gerade in dem Wortbeitrag verdeutlicht wurde. Ich habe den Verdacht, dass Textbausteine zu diesem Entschließungsantrag am Rande von Koalitionsgesprächen in Berlin und nicht in Düsseldorf geschrieben wurden;

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

denn ansonsten mag ich nicht nachzuvollziehen, wie Sie uns ernsthaft nicht nur einen freistaatlichen Charakter, sondern einen nationalstaatlichen Charakter in Nordrhein-Westfalen zubilligen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das kann doch überhaupt nicht funktionieren.

Wenn wir das einmal wieder von Ramses-Ebenen auf unsere Arbeitsebene herunterziehen, dann müssen wir doch feststellen, dass Herr Dr. Ramsauer behauptet hat, er sei da ja frei, aber leider seien die beiden Nationalstaaten Niederlande und Belgien festgefügt, und deshalb könne er nicht anders. Interessant ist nur, dass er nun selbst andere Positionen uns gegenüber wiederholt vertreten hat, aber mir die belgische Seite, der belgische Botschafter in Deutschland, unter anderem ein Schriftstück an die Hand gegeben hat, in dem festgehalten ist, dass der deutsche Bundesverkehrsminister im Herbst letzten Jahres eindeutig die historische Trasse gegenüber den Niederlanden und Belgien auch als seine Trasse favorisiert hat.

(Jochen Ott [SPD]: Hört, hört!)

Ein Jahr später mir gegenüber Offenheit zu signalisieren, aber eigene Lähmung durch belgisches und niederländisches Verhalten darzustellen, ist gelinde gesagt unfair und politisch auch nicht korrekt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann kommen wir zu den Gesprächen in Belgien. Ja, ich bin der Ministerpräsidentin sehr dankbar, dass sie in ihrer klaren Diktion auch mit dem Premierminister unseres Nachbarlandes sprechen konnte und am Ende dieses Gespräches der Premierminister wortwörtlich uns gegenüber gesagt hat:

Ja, wir haben einen gesicherten Rechtsstatus wegen der Vertragsbindung an die historische Trasse. Und die historischen Rechte hat der Nationalstaat Belgien auch vom Staatsgerichtshof der Niederlande wieder zugestanden bekommen. Deshalb wollen wir nicht selbst initiativ werden, weil wir unseren Rechtsstatus nicht gefährden wollen. Aber wenn das Bundesland Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik Deutschland, die ja der Verhandlungspartner wäre, an uns herantreten und sagen würden, man würde gerne gemeinsam, NRW und Deutschland, über eine andere Trasse sprechen, dann werde ich mich dafür einsetzen, dass diese Gespräche möglich sind, weil wir an einem Fertigstellen interessiert sind und nicht an einem Trassenmodell in der Theorie hängen.

Das war die klare Aussage. – Jetzt zeigt sich, dass Sie aufpassen müssen, finde ich jedenfalls, dass Sie nicht jemandem ein Alibi verschaffen, der im Grunde nur Deckung sucht für seine Untätigkeit, die Interessen auch unseres Bundeslandes vernünftig zu vertreten. Das finde ich bedenklich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Berger?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Am Schluss der Redezeit. Dann können wir das breiter auffächern.

Ich glaube, dass wir zwischen dem, was wir gemeinsam wollen, unterscheiden müssen. Es war ja Ihr originärer Vorschlag, der CDU-Vorschlag, die A 52 seinerzeit zu thematisieren. Dem haben wir uns angeschlossen mit breiter Mehrheit. Und dann haben wir gesagt: Lassen Sie uns versuchen, das umzusetzen. Dann wurde das immer wieder durch falsche Gutachterzahlen desavouiert. 150 Millionen €! Das war doch der billige Jakob, weil da nicht gerechnet worden war, dass es eingleisig ist,

(Beifall von der SPD)

weil da nicht gerechnet war, dass es nicht elektrifiziert ist, weil da nicht gerechnet war, wie viel Umwelt- und Sozialkosten diese Loks rund um die Uhr in den Vorgärten der Anwohner produzieren.

Dann war doch die Alternative, die A-52-Trasse möglich zu machen. Dann dürfen wir eben nicht so tun, als sei es an Belgien und den Niederlanden, dass es jetzt auf ewig verhindert wird, sondern wir müssen uns an die eigene bundespolitische Nase fassen und sagen: Wir wollen, dass Deutschland die andere Trasse gegenüber den Nachbarn diskutierfähig und möglich macht. Das muss unsere Perspektive sein.

(Beifall von der SPD)

Dann muss endlich eine Finanzierungskonzeption her, die deutlich macht, dass wir in den 1,94 %, mit denen wir als Investitionsbeteiligung am Bundeskuchen abgespeist wurden, in den Jahren des jetzigen Investitionsrahmenplans eine Zumutung sind, die der Landtag doch gemeinsam zurückweisen muss.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb brauchen wir so schnell wie möglich mindestens Klarheit für die drei großen Verkehrsprojekte, den Rhein-Ruhr-Express als Personenexpress, den Eisernen Rhein als Antwerpen-Anbindung und die Betuwelijn als Rotterdam-Anbindung, weil klar ist, dass neben den deutschen Seehäfen diese beiden Seehäfen für Nordrhein-Westfalen von herausragender industrie- und standortpolitischer Bedeutung sind. Deshalb müssen wir da zum Zuge kommen.

Herr Rasche hat doch recht: Es nutzt doch nichts, sich hier wieder aufzusplittern und so zu tun, als spielten wir Wahlkampfarena. Das werden wir noch häufig genug tun.

Ich lade Sie ganz ernsthaft und ausdrücklich ein: Machen Sie mit, wie Sie doch bislang auch mitgemacht haben! Kommen Sie doch zurück in das Bündnis derjenigen, die Nordrhein-Westfalens Logistikinteressen gegenüber jedermann vertreten wollen, ob nun in Berlin oder Brüssel. Wir müssen zum Zuge kommen, damit der Zug rollt. In diesem Sinne: Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen damit zum Schluss der Beratung und zur Abstimmung.

Zunächst stimmen wir über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/1262 ab. Die antragstellenden Fraktionen der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, der FDP und der Piraten haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags. Ich darf fragen, wer diesem Antrag zustimmen möchte. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen?

(Beifall von den PIRATEN)

Damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Piratenfraktion gegen die Stimmen der CDU bei einer Enthaltung aus den Reihen der CDU-Fraktion angenommen.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/1334. Bevor wir zur Abstimmung kommen, darf ich darauf hinweisen, dass Herr Kollege Breuer für die SPD-Fraktion in seinem Redebeitrag eine getrennte Abstimmung über die beiden Abschnitte I und II beantragt hat. Eine solche getrennte Abstimmung muss stattfinden, wenn die Antragstellerin bzw. der Antragsteller das verlangt. Das ist in diesem Fall erkennbar nicht der Fall, denn der Antrag kommt ja von der CDU-Fraktion. Deshalb darf ich zunächst einmal fragen, ob bei der CDU-Fraktion Bedenken gegen eine getrennte Abstimmung bestehen. – Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.

Dann darf ich zunächst den ersten Absatz des Beschlussteils zur Abstimmung stellen. Ihnen, meine Damen und Herren liegt der Antrag vor: „Der Landtag stellt fest, dass der Beschluss vom 7. Dezember …“ bis: „als verbindlich für die Planung.“ – Diesen Absatz I stelle ich zur Abstimmung. Ich darf fragen, wer diesem Absatz I zustimmen möchte. Ich bitte um Ihr Handzeichen. – Wer ist dagegen? –

(Zurufe – Unruhe)

Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass der Absatz I mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, mehrheitlich der CDU und der Piratenfraktion bei zwei Gegenstimmen aus den Reihen der CDU-Fraktion angenommen worden ist.

Ich komme zur Abstimmung über den Absatz II. Ich darf auch hier um Ihr Votum bitten und fragen, wer diesem Absatz zustimmen möchte. Den bitte ich um sein Handzeichen. – Wer ist gegen diesen Absatz II?

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der SPD: Ooh!)

Wer enthält sich? – Dann darf ich feststellen, dass dieser Absatz mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Piraten und zwei Stimmen aus der CDU gegen die Stimmen von CDU und FDP abgelehnt worden ist.

Wir kommen damit zur abschließenden Beschlussfassung über den Gesamtantrag. Auch diese Abstimmung ist nach § 41 unserer Geschäftsordnung zwingend vorgeschrieben. Ich darf Sie um Ihr Votum bitten: Wer dem Entschließungsantrag Drucksache 16/1334 der Fraktion der CDU zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. – Wer ist gegen diesen Entschließungsantrag? – Dann darf ich feststellen, dass der Entschließungsantrag insgesamt mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der Piratenfraktion und zwei Stimmen aus der CDU-Fraktion gegen die Stimmen von CDU-Fraktion und FDP-Fraktion abgelehnt worden ist.

Wir verlassen diesen Tagesordnungspunkt 12.

Meine Kolleginnen und Kollegen, ich darf feststellen, wir haben jetzt 22:50 Uhr. Immerhin haben wir es geschafft, die ersten zwölf von 28 Tagesordnungspunkten bereits abzuhandeln.

(Beifall)

Es wäre allerdings möglich, dass wir den zweiten Teil des Abends etwas zügiger gestalten, wenn Sie damit einverstanden sind. Sie werden sehen, ich werde Ihnen gleich entsprechende Vorschläge unterbreiten.

Wir steigen sofort ein in den Tagesordnungspunkt

13       Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1049

erste Lesung

Die Landesregierung hat sich bereit erklärt, ihre Einbringung zu diesem Gesetzentwurf zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 1) Sind Sie damit einverstanden?

(Beifall von der SPD)

– Ich interpretiere das als einvernehmliche Zustimmung. Eine weitere Beratung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen somit unmittelbar zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/1049 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales? Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Ist jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen sehe ich auch nicht. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir treten ein in den Tagesordnungspunkt

14       Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1182

erste Lesung

Auch hier hat sich die Landesregierung bereit erklärt, die Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 2) – Widerspruch dagegen regt sich auch diesmal nicht.

Wir können somit unmittelbar zur Abstimmung kommen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/1182 an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

15       Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1183

erste Lesung

Die Regierung ist wiederum bereit, ihre Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 3) – Widerspruch dagegen regt sich nicht.

Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/1183 an den Innenausschuss. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

16       Gesetz zur Änderung der Befristungen besoldungsrechtlicher Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1184

erste Lesung

Die Landesregierung ist erneut bereit, ihre Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 4) – Widerspruch dagegen sehe ich nicht.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/1184 an den Rechtsauschuss – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist wiederum nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir sind bei Tagesordnungspunkt

17       Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1185

erste Lesung

Auch hierzu wird vorgeschlagen, dass die Landesregierung ihre Einbringungsrede zu Protokoll gibt. (Siehe Anlage 5) – Dagegen erhebt sich kein Einspruch.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/1185 an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

18       Gesetz zur Änderung des Hochschulgesetzes und des Kunsthochschulgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1186

erste Lesung

Auch hierzu empfehle ich, dem Vorschlag der Landesregierung zu folgen, die Einbringungsrede zu Protokoll zu nehmen. (Siehe Anlage 6) – Widerspruch dagegen sehe ich nicht.

Wir sind damit bei der Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/1186 an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir sind bei Tagesordnungspunkt

19       Gesetz zur Änderung von Rechtsvorschriften im Geschäftsbereich des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1187

erste Lesung

Die Landesregierung ist freundlicherweise bereit, ihre Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 7) – Widerspruch dagegen regt sich nicht.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/1187 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Die Überweisungsempfehlung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

20       Gesetz zur Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW sowie zur Anpassung des Landeszustellungsgesetzes an das De-Mail-Gesetz

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/58

Beschlussempfehlung
des Innenausschusses
Drucksache 16/873

zweite Lesung

Eine Beratung dieses Gesetzentwurfs in zweiter Lesung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/873, den Gesetzentwurf Drucksache 16/58 unverändert anzunehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Piratenfraktion bei Enthaltung der Fraktionen von CDU und FDP in zweiter Lesung verabschiedet.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

21       Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koe­nig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere“

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/175

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1288

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
Drucksache 16/1226

zweite Lesung

Eine Beratung hierzu ist nicht vorgesehen.

Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Wir stimmen erstens ab über den Änderungsantrag aller fünf Fraktionen Drucksache 16/1288. Wer möchte diesem Änderungsantrag der Fraktionen zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag einstimmig angenommen.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den so geänderten Gesetzentwurf Drucksache 16/175. Der Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 16/1226, den Gesetzentwurf Drucksache 16/175 unverändert anzunehmen. Wer möchte dem so geänderten Gesetzentwurf seine Zustimmung geben? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung einstimmig verabschiedet.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

22       Kommunalsport initiieren – „Vom Verwalten zum Gestalten auf kommunaler Verwaltungsebene“

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1256

Meine Damen und Herren, eine Beratung ist heute nicht vorgesehen. Beratung und Beschlussfassung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen.

Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1256 an den Sportausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? Letzteres ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

23       Abkommen zur zweiten Änderung des Abkommens über das Deutsche Institut für Bautechnik (2. DIBt-Änderungsabkommen)

Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung zu
einem Staatsvertrag
gemäß Art. 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/750

Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/1006

Eine Debatte ist nicht vorgesehen.

Wir kommen deshalb direkt zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1006, dem Abkommen zur zweiten Änderung des Abkommens über das Deutsche Institut für Bautechnik zuzustimmen und damit dem Antrag der Landesregierung auf Zustimmung zu diesem Staatsvertrag gemäß Artikel 66 Satz 2 der Landesverfassung Drucksache 16/750 zu entsprechen. Ich darf fragen, wer dieser Empfehlung des Hauptausschusses zustimmen möchte. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen, dem Antrag einstimmig stattgegeben und dem Staatsvertrag einstimmig die Zustimmung erteilt worden.

Wir sind schon bei Tagesordnungspunkt

24       Abkommen zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung des Deutschen Konsortiums für translationale Krebsforschung (DKTK)

Vorlage
des Ministeriums
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
gemäß § 10 Abs. 4
der Landeshaushaltsordnung zur Billigung
Vorlage 16/54

Beschlussempfehlung
des Haushalts- und Finanzausschusses und
des Ausschusses
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
Drucksache 16/1031

Eine Debatte ist nicht vorgesehen.

Wir kommen deshalb direkt zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss sowie der Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung empfehlen in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1031, das Abkommen zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung des Deutschen Konsortiums für translationale Krebsforschung in der Vorlage 16/54 zu billigen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Letzteres ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen und die Vorlage 16/54 entsprechend gebilligt.

Wir steigen ein in Tagesordnungspunkt

25       Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Beschwerde des Herrn Nötzel gegen die Wahlprüfungsentscheidung des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 13. Mai 2012

VerfGH 16/12
Vorlage 16/239

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1197

Eine Debatte ist nicht vorgesehen, sodass ich über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses Drucksache 16/1197 abstimmen lasse, in dem Verfahren eine Stellungnahme nicht abzugeben. Wer möchte dieser Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses denn gerne folgen? – Gibt es jemanden, der dagegen stimmen möchte? – So jemanden kann ich nicht erkennen. Möchte sich jemand enthalten? – Auch das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses einstimmig angenommen.

Wir stoßen vor zu Tagesordnungspunkt

26       Frühwarndokumente (§ 50 Absatz 3 GeschO)

hier:  Sitzung des Ausschusses für Europa             und Eine Welt vom 26. Oktober 2012

Unterrichtung durch die Präsidentin
des Landtags Nordrhein-Westfalen
zur Kenntnisnahme
Drucksache 16/1283

Die Unterrichtung enthält drei Anträge nach § 50 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung. Es handelt sich um Angelegenheiten der Europäischen Union, die im Rahmen des Subsidiaritätsfrühwarnsystems nach § 81 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung als dringende Fälle gelten. Die Beschlüsse des Fachausschusses werden mit der Unterrichtung zur Kenntnis gebracht. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Unterrichtung ersichtlich.


Ich lasse nun über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen im Ausschuss entsprechend der Unterrichtung Drucksache 16/1283 abstimmen. Wer das Abstimmungsverhalten der Fraktionen im Ausschuss gerne bestätigen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Möchte jemand gegen diese Bestätigung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthalten möchte sich auch niemand? – Damit, meine Damen und Herren, sind die Abstimmungsergebnisse einstimmig bestätigt. – Wunderbar!

Wir sind schon bei Tagesordnungspunkt

27       In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 1
gem. § 79 Abs. 2 GeschO
Drucksache 16/1284

Die Übersicht 1 enthält einen Antrag, der vom Plenum nach § 79 Abs. 2 Buchstabe c unserer Geschäftsordnung an einen Ausschuss zur abschließenden Erledigung überwiesen wurde. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen im kommunalpolitischen Ausschuss entsprechend der Übersicht 1 abstimmen. Wer dafür ist, dass das Abstimmungsverhalten bestätigt wird, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Möchte jemand dagegen stimmen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Auch das ist nicht erkennbar. Damit ist das in Drucksache 16/1284 enthaltene Abstimmungsergebnis des Ausschusses bestätigt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

28       Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/3

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Ich bemerke eine gewisse Zögerlichkeit. Offensichtlich ist das nicht der Fall. Ist jemand mit diesen Beschlüssen nicht einverstanden? – Auch das scheint nicht der Fall zu sein.

Damit stelle ich gemäß § 91 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass damit diese Beschlüsse zu Petitionen in Übersicht 16/3 bestätigt sind.

Damit, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.

(Allgemeiner Beifall)

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, 8. November 2012, 10 Uhr, und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend oder das, was davon übriggeblieben ist.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 23:08 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.


Anlage 1

Zu TOP 13 – Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes – zu Protokoll gegebene Rede

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter:

Das Gesetz über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmer (Rettungsgesetz NRW) regelt die Notfallrettung und den Krankentransport und hat sich in der Praxis grundsätzlich bewährt.

Vor dem Hintergrund der Anpassungen an europa- und bundesrechtliche Entwicklungen – wie die EuGH-Urteile vom April 2010 und März 2011 sowie das BGH-Urteil vom Dezember 2008 – ist aber eine inhaltliche Novellierung des Rettungsgesetzes erforderlich geworden.

Diese Urteile haben klargestellt, dass im in Nordrhein-Westfalen angewandten Submissionsmodell das Vergaberecht anzuwenden ist, sofern Dritte mit der Durchführung von rettungsdienstlichen Leistungen entgeltlich durch den Träger des Rettungsdienstes beauftragt werden. Dem wird mit der laufenden Novellierung landesgesetzlich Rechnung getragen.

Auch an einigen anderen Stellen hat sich durch veränderte Rahmenbedingungen Novellierungsbedarf ergeben. So sind weitere grundlegende inhaltliche Änderungen im Gesetz notwendig geworden, da die geltenden Regelungen für die Praxis nicht mehr ausreichend sind.

Durch die vorzeitigen Landtagswahlen und die Auflösung des Parlamentes im März 2012 ist der Prozess der Novellierung allerdings verzögert worden. Der Referentenentwurf zur Novellierung des Rettungsgesetzes befindet sich zum jetzigen Zeitpunkt in der Verbändeanhörung.

Leider beinhaltet das derzeit gültige Gesetz eine Verfallsklausel zum 31.12.2012. Da das Änderungsgesetz voraussichtlich erst im Frühjahr 2013 in Kraft treten wird, muss die Verfallsklausel gestrichen werden, damit auch über den 31.12.2012 hinaus die rettungsdienstliche Versorgung von Patientinnen und Patienten in Nordrhein-Westfalen sichergestellt und gesetzlich geregelt ist. Daher bringen wir diesen Gesetzentwurf heute ein und bitten um Ihre Zustimmung.


Anlage 2

Zu TOP 14 – Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Rede

Thomas Kutschaty, Justizminister:

Mit diesem Gesetzentwurf der Landesregierung sollen mehrere Änderungen des Justizgesetzes durchgeführt werden. Lassen Sie mich dazu Folgendes anmerken.

Am 1. Januar 2013 wird das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung in Kraft treten. Es enthält umfassende Änderungen der Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung im 8. Buch der Zivilprozessordnung.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes wird es jedem, der für bestimmte in der Zivilprozessordnung gesetzlich bestimmte Zwecke Angaben benötigt, möglich sein, Einsicht in das elektronische Schuldnerverzeichnis zu nehmen. Der Datenschutz ist dabei gewährleistet.

In Nordrhein-Westfalen besteht bereits seit dem Jahr 2002 ein zentrales Schuldnerverzeichnis für die Bezirke aller Amtsgerichte, aus dessen Bestand in beschränktem Maße Daten automatisiert abgerufen werden können. Für diese Einzelauskünfte werden mangels einer entsprechenden gesetzlichen Regelung Gebühren derzeit nicht erhoben. Eine solche Regelung soll durch den Gesetzentwurf eingeführt werden.

Das Justizgesetz Nordrhein-Westfalen enthält bislang lediglich Regelungen für die Erhebung von Kosten für die Entscheidung, ob bestimmte Institutionen laufend Abdrucke aus dem Schuldnerverzeichnis beziehen dürfen, und für die Erteilung der Abdrucke selbst. Die bisherigen Gebühren dafür sind seit dem 1. Januar 1995 nicht mehr geändert worden. Sie sollen nunmehr an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden. Das Gesetz leistet mithin auch einen Beitrag zur Verbesserung des Kostendeckungsgrades in der Justiz.

Die Höhe sämtlicher Gebühren in dem Gesetzentwurf ist unter den Landesregierungen abgestimmt.

Der heute eingebrachte Gesetzentwurf enthält die aktuell erforderlichen Änderungen des Landesrechts. Das Gesetz wird keine wesentlichen kostenmäßigen Auswirkungen auf die privaten Haushalte haben. Mehrkosten für das Land entstehen ebenfalls nicht. Die beabsichtigten Gebührenerhöhungen und insbesondere die neue Einsichtsgebühr in das elektronische Schuldnerverzeichnis werden vielmehr zu Mehreinnahmen für das Land führen.

Ich bitte Sie um Unterstützung der Gesetzesinitiative und zunächst um Überweisung an den federführenden Rechtsausschuss sowie an den Haushalts- und Finanzauschuss.       


Anlage 3

Zu TOP 15 – Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfa­len – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Für die Bekämpfung des Rechtsextremismus müssen wir alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Dazu gehört auch ein umfassender Informationsaustausch. Denn eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen.

Das heißt: Nur ein effektiver Austausch von Erkenntnissen und Informationen der Polizeibehörden und Nachrichtendienste kann im Kampf gegen den Rechtsextremismus erfolgreich bestehen. Das hat uns nicht zuletzt die jüngste Vergangenheit gelehrt.

Dafür besteht im Bund und in den Ländern Konsens, auch über Parteigrenzen hinweg.

Die Basis für diesen Informationsaustausch ist eine elektronisch geführte gemeinsame Datei von Polizei und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern, die natürlich das Trennungsgebot wahrt. Hierfür wurde auf Bundesebene das Rechtsextremismus-Datei-Gesetz (RED-G) geschaffen.

Damit die Polizei in NRW auch in diese Datei investieren kann, müssen wir eine entsprechende Rechtsgrundlage in unserem Polizeigesetz schaffen.

Mit der vorliegenden Änderung des Polizeigesetzes NRW soll die Polizei die rechtliche Möglichkeit erhalten, Daten in der Rechtsextremismus-Datei zu verarbeiten und damit anderen Sicherheitsbehörden ihre Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen.

Lassen Sie mich mit einem Zitat schließen, das besagt: „Das Wissen ist wie eine Fahrkarte, es macht nur dann Sinn, wenn es nutzbar gemacht wird.“ In diesem Sinne hoffe ich auf eine breite Unterstützung des Änderungsgesetzes.

Für etwaige Nachfragen: NRW ist das einzige Bundesland, in dem das Polizeigesetz derzeit eine so enge Regelung hat, die eine Teilnahme nur an der Antiterrordatei erlaubt.

Das Land NRW nimmt auch jetzt schon über den Verfassungsschutz an der Rechtsextremismusdatei teil.

Es besteht daher kein Informations- und Schutzdefizit:

Verfassungsschutz und Polizei des Landes tauschen unabhängig von der Teilnahme an der Rechtsextremismusdatei ihre jeweiligen Erkenntnisse und Daten aus.

In NRW verfügen Polizei und Verfassungsschutz bereits jetzt aufgrund der bestehenden Datenaustauschrechte und -pflichten in dem für die Rechtsextremismusdatei interessanten Bereich über weitgehend deckungsgleiche Informationen.


Anlage 4

Zu TOP 16 – Gesetz zur Änderung der Befristungen besoldungsrechtlicher Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums – zu Protokoll gegebene Rede

Thomas Kutschaty, Justizminister:

Die Landesregierung legt Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, dessen Titel „Gesetz zur Änderung der Befristungen besoldungsrechtlicher Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums“ zunächst wenig aussagekräftig ist. Dahinter verbergen sich zwei Gesetze, mit denen 2011 Eingangs- und Spitzenamt im Justizwachtmeisterdienst sowie bereits 1996 die Beförderungsämter im allgemeinen Vollzugs- und Werksdienst der Justizvollzugsanstalten sowie im Krankenpflegedienst des Justizvollzugskrankenhaus angehoben worden sind.

Das heißt im Detail: Das Eingangsamt im Justizwachtmeisterdienst – die einzige Beamtengruppe, die weiterhin dem einfachen Dienst angehört – wurde von Besoldungsgruppe A3 nach Besoldungsgruppe A4 und das Spitzenamt für die Leiter großer Justizwachtmeistereien von Besoldungsgruppe A6 nach Besoldungsgruppe A7 angehoben. Für die Beamten im mittleren Vollzugsdienst im Bereich des allgemeinen Vollzugsdienstes, des Werksdienstes und des Krankenpflegedienstes wurde eine begrenzte Anzahl von Beförderungsämter der Besoldungsgruppen A10 und A11 geschaffen.

Die Geltung beider Gesetze war befristet auf den 31.12.2011 bzw. 31.12.2013. Beide Gesetze haben sich bewährt.

Denn sie bieten die Möglichkeit, die Wahrnehmung verantwortungsvoller und sensibler Aufgaben im Bereich der Gewährung von Sicherheit und Ordnung in unseren Justizgebäuden sowie bei der Betreuung von Häftlingen im Justizvollzug angemessen – oder jedenfalls angemessener – zu besolden.

Ich denke, angesichts des andauernden Ringens um einen effektiven Behandlungs-, aber zugleich sicheren Strafvollzug sowie angesichts der Debatten um die Sicherheit in unseren Gerichtsgebäuden muss ich hier die Bedeutung dieser Aufgaben und der sie wahrnehmenden Beamten für eine funktionierende Justiz nicht mehr besonders betonen.

Die Entfristung dieser Gesetze folgt einem Beschluss des Kabinetts, bei überprüften und bewährten Gesetzen auf eine weitergehende Befristung der Regelungen möglichst zu verzichten. Sie ist hier aber zugleich ein wichtiges Signal an die betroffenen Beamtinnen und Beamten, dass wir ihre Belange weiter im Blick haben und hinter das Erreichte nicht zurückfallen. Sie greift der Dienstrechtsreform nicht voraus, sondern beschreibt insoweit nur die Ausgangslage.       


Anlage 5

Zu TOP 17 – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter – zu Protokoll gegebene Rede

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz:

Das Gesetz über Rentengüter vom 27. Juni 1890 ist bis 31. Dezember 2012 befristet.

Es regelt die Übertragung von Eigentum eines Grundstücks gegen Übernahme einer festen Geldrente (Rentengut).

Es existieren noch Grundbucheinträge von Rentengütern in derzeit nicht bekanntem Umfang. Durch eine Aufhebung des Gesetzes könnte somit in bestehende Rentengüter eingegriffen und damit Rechtinhabern eine Beeinträchtigung ihrer Rechtspositionen zugefügt werden.

Bis zur Umstellung auf das elektronische Grundbuch kann die Ermittlung der betroffenen Fälle nur mit unvertretbarem Personalaufwand über eine Auswertung von sieben Millionen analog geführten Grundbüchern erfolgen.

Deshalb erfolgt eine Verlängerung der Befristung des Gesetzes um weitere zehn Jahre. Inhaltliche Änderungen erfolgen nicht.          


Anlage 6

Zu TOP 18 – Gesetz zur Änderung des Hochschulgesetzes und des Kunsthochschulgesetzes – zu Protokoll gegebene Rede

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung:

Zunehmend kommen Studierende schon vor dem Erreichen ihrer Volljährigkeit an unsere Hochschulen. Für Studierende und Hochschulen stellt die beschränkte Geschäftsfähigkeit dieser Noch-nicht-Volljährigen studienorganisatorisch ein Pro­blem dar. Mit dem Gesetzentwurf soll für diese Studierenden, ihre Eltern und die Hochschulen mehr Rechtssicherheit erreicht werden. Außerdem soll die Organisation des Studiums erleichtert werden.

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung verleiht minderjährigen Studierenden verwaltungsrechtliche Handlungsfähigkeit. Während für die Einschreibung selbst weiterhin die Einwilligung der Eltern erforderlich ist, können minderjährige Studierende künftig im Rahmen des Studiums ohne die Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter handeln.

In den letzten Jahren haben wir viel dafür getan, die Bildungswege der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen strukturell zu verbessern.

Durch ein früheres Einschulungsalter und die Einführung von G8 sollten Begabungen und Neigungen früher und gezielter gefördert werden. Die schulische Bildung und die Studiengänge wurden gestrafft und reformiert.

Im Ergebnis werden Erstsemester, Studierende und auch Hochschulabsolventen immer jünger und können auch früher in den Berufsalltag einsteigen. Diese Möglichkeit ist grundsätzlich zu begrüßen, schafft aber auch Probleme:

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Hochschulgesetzes und des Kunsthochschulgesetzes folgt die Landesregierung dieser Entwicklung:

Vor allem zu studien- und prüfungsrelevanten verwaltungsrechtlichen Handlungen müssen minderjährige Studierende nach aktueller Rechtslage die Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters einholen.

Deshalb verlangen viele Hochschulen bei der Einschreibung eine Generaleinwilligung der gesetzlichen Vertreter. Das allerdings ist rechtlich problematisch, da gesetzlich nicht vorgesehen. Und: Zu dem Zeitpunkt, an dem die Eltern eine Generaleinwilligung erteilen sollen, ist deren Tragweite nicht absehbar.

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung macht eine Generaleinwilligung der Eltern entbehrlich: Minderjährige Studierende dürfen so qua Gesetz über ihren Studienverlauf selbst entscheiden.

Damit wäre ein aus meiner Sicht unsinniger Widerspruch aufgelöst:

Einerseits signalisieren wir den Studierenden: Wir wollen, dass ihr früher an die Hochschulen kommt; wir wollen, dass ihr euer Leben selbst in die Hand nehmt. Andererseits bleibt die Autonomie der Studierenden durch die aktuelle Gesetzeslage eingeschränkt. Es ist doch eine seltsame Vorstellung: ein Studierender, der sein Studium faktisch selbst und erfolgreich organisiert, um für die Teilnahme an einer Exkursion die Unterschrift seiner Eltern einholen.

Unabhängig davon gibt es für minderjährige Studierende Handlungsbedarf, der zwar mit dem Studium zusammenhängt, aber nicht zum Studium gehört. Ich denke da an die Anmietung von Wohnraum, für die die Mitwirkung der gesetzlichen Vertreter notwendig bleibt. Hier kann der Landesgesetzgeber nicht tätig werden, weil das zur Regelungskompetenz des Bundes zählt.

Wir bringen den Gesetzentwurf so ein, dass die Studienanfänger des Wintersemesters 2013/2014 von der Neuregelung profitieren können. Ab dem Abiturjahrgang 2013 rechnen wir an den Hochschulen des Landes mit deutlich mehr minderjährigen Studierenden.

Die von der Landesregierung vorgeschlagene Gesetzesänderung ist also auch eine Maßnahme zur Vorbereitung auf den doppelten Abiturjahrgang.

Ich bitte Sie, dem Beschlussvorschlag des Ältestenrates zuzustimmen und den Gesetzentwurf zur weiteren Beratung an den AIWF zu verweisen.


Anlage 7

Zu TOP 19 – Gesetz zur Änderung von Rechtsvorschriften im Geschäftsbereich des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Rede

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter:

Mit dem Ihnen vorliegenden Entwurf eines Artikelgesetzes werden notwendige Änderungen des Heilberufsgesetzes und des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst in den Landtag eingebracht.

Das Heilberufsgesetz (HeilBerG) beinhaltet die wesentlichen rechtlichen Bestimmungen für die Tätigkeit der Heilberufskammern in Nordrhein-Westfalen. Die Kammern sind die beruflichen Vertretungen der Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker, Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Tierärztinnen und Tierärzte sowie Zahnärztinnen und Zahnärzte.

Das Gesetz regelt insbesondere die gesundheits- und ordnungspolitischen Aufgaben der Heilberufskammern einschließlich ihrer Organisation, die Berufsausübung der jeweiligen Kammerangehörigen, deren berufsspezifische Weiterbildung sowie die Berufsgerichtsbarkeit. Ferner bestimmt es auch die Aufsichtsbehörden über die Kammern (mit Ausnahme ihrer Versorgungseinrichtungen) und die Art der jeweiligen, vom Aufgabencharakter her abhängigen Aufsicht.

Das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG NRW) beschreibt die Ziele, Grundsätze und Aufgaben, die der öffentliche Gesundheitsdienst im arbeitsteiligen Gesundheitswesen wahrnimmt. Das Gesetz regelt insbesondere die vielfältigen Aufgaben der Kommunen und Kreise als untere Gesundheitsbehörden.

Sowohl das Heilberufsgesetz als auch das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst bedürfen einer Anpassung an aktuelle Entwicklungen. Sie müssen insbesondere aufgrund von bundes- und landesrechtlichen Verfahrens- sowie Organisationsänderungen überarbeitet werden.

Lassen Sie mich kurz auf die wichtigsten Änderungen eingehen:

I. Heilberufsgesetz:

1.  Die Ethikkommissionen der Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe müssen klinische Prüfungen nunmehr auch nach dem Medizinprodukterecht verbindlich bewerten. Hierdurch können – wie bereits im Arzneimittelbereich – nicht versicherbare Haftungsrisiken aus Verfahrensversäumnissen auftreten, die die Kammern bei der – vom Land übertragenen – hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung finanziell überfordern würden. Daher müssen die die Ethikkommissionen teilweise freistellenden bisherigen Haftpflichtregelungen bei der Bewertung klinischer Prüfungen auf den Bereich des Medizinproduktegesetzes erweitert werden.

2.  Durch eine Flexibilisierung der Vorschriften zur Durchführung der Wahlen zu den Kammerversammlungen soll den Kammern die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen erleichtert werden.

3.  Ergänzt werden soll ferner die schon bestehende Regelung über den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung für berufstätige Kammerangehörige um die Einführung einer entsprechenden Nachweispflicht gegenüber der zuständigen Kammer, soweit diese einen solchen Nachweis verlangt.

4.  Neu ist auch die Möglichkeit der Kammern, ihre Kammerangehörigen grundsätzlich zu verpflichten, den privatärztlich organisierten Notfalldienst außerhalb der eigenen Praxis in einer zentralen Notfalleinrichtung zu verrichten und sie (die Kammerangehörigen) zur Kostenbeteiligung für die Inanspruchnahme eines solchen privat organisierten Notfalldienstes heranzuziehen. Die Änderung trägt einem Anliegen der Ärztekammern Rechnung, die unter Bezug auf entsprechende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung auf die Notwendigkeit einer differenzierten gesetzlichen Ermächtigung aufmerksam gemacht haben.

5.  Wir wollen eine Rechtsgrundlage für eine angemessene finanzielle Beteiligung der Apothekerkammern an den Betriebskosten der Lehranstalten für pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten schaffen. Die derzeitige Finanzierung erfolgt durch Schulgeld, durch Beiträge der Apothekerschaft und durch eine Landesförderung. Die eingefügte Regelung ermöglicht eine verfassungsrechtlich unbedenkliche (freiwillige) Kostenbeteiligung der Kammern.

6.  Im Weiterbildungsbereich wird eine Regelung aufgenommen, nach der die Psychotherapeutenkammer NRW psychotherapeutische Tätigkeiten in eigener Praxis unter engen Voraussetzungen über die bis 31.12.2011 befristete Erprobungsphase hinaus auch weiterhin ausnahmsweise auf die Weiterbildung anrechnen kann. Eine ähnliche Regelung gilt seit Langem bereits für die tierärztliche Weiterbildung. Sie stellt eine vertretbare Erleichterung bei der Durchführung der Weiterbildung dar.


II.  Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst:

Bei den Änderungen des ÖGDG handelt es sich in der Hauptsache um redaktionelle Anpassungen infolge der Errichtung des Landeszentrums Gesundheit (LZG) im Geschäftsbereich des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter mit Wirkung zum 01.01.2012.

Darüber hinaus soll im ÖGDG eine Regelung zur örtlichen Zuständigkeit der unteren Gesundheitsbehörden im Rahmen von beamtenrechtlichen Begutachtungsverfahren geschaffen werden. Die örtliche Zuständigkeit der unteren Gesundheitsbehörden im amtlichen Begutachtungsverfahren für den öffentlichen Dienst richtet sich derzeit nach § 3 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen.

Das sich daraus ergebende Dienstortprinzip – das heißt, die Untersuchung am Dienstort der Beamtin oder des Beamten – ist im Interesse der zu begutachtenden Person und vor dem Hintergrund einer ausgewogenen Belastung der unteren Gesundheitsbehörden nicht immer praktikabel.

Daher wird die rechtliche Grundlage für die in der Praxis bereits gebräuchliche Anwendung des „Wohnortprinzips“ geschaffen. Die Möglichkeit der Begutachtung am Dienstort („Dienstortprinzip“ – zum Beispiel Wohnort außerhalb von Nordrhein-Westfalen) bleibt als Ausnahme für den Einzelfall erhalten

Ich bitte um Überweisung des Gesetzentwurfes und freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.