LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/4149

 

07.10.2013

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 1593 vom

des Abgeordneten Dr. Joachim Stamp   FDP

Drucksache 16/3931

 

 

 

Abschiebepraxis in NRW

 

 

 

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1593 mit Schreiben vom 7. Oktober 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und soziales, der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien und der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet.

 

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

Am 20.08.2013 wurde die aus Tschetschenien stammende L. K. mit ihren drei Kindern, A. (8), S. (6) und A. (3), aus Bonn nach Polen abgeschoben.

Der Zugriff erfolgte um 3.30 Uhr nachts und wurde mit Polizeiunterstützung durchgeführt. Ein schweres innereheliches Zerwürfnis mit dem bereits freiwillig nach Tschetschenien ausgereisten Ehemann, weswegen dieser zehn Tage der gemeinsamen Wohnung verwiesen werden musste, war polizeilich bekannt.

Ebenfalls aktenkundig war eine depressive Erkrankung der Frau K.

Nach tschetschenischem Recht wird im Konfliktfall das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder dem Mann zugesprochen, der in diesem konkreten Fall laut übereinstimmenden Aussagen mehrerer Nachbarn schwer alkoholkrank ist.

Unter den Nachbarn herrscht Unverständnis, wie die Abschiebung der gut integrierten Familie bei einer möglichen Kindeswohlgefährdung und unter diesen traumatisierenden Umständen rechtens sein kann.

 

 

 

 

 

 

Vorbemerkung der Landesregierung

 

Das Ministerium für Inneres und Kommunales hat dem Fragesteller bereits mit Schreiben vom 05.08.2013 mitgeteilt, dass die in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage genannte Familie am 23.04.2013 illegal aus Polen kommend, wo sie bereits ein Asylverfahren betrieben habe, nach Deutschland eingereist ist und erneut einen Asylantrag gestellt hat. Im Zuge des Asylverfahrens ist die Familie der Stadt Bonn zugewiesen worden. Nach zuvor bestätigten Anhaltspunkten (sogen. EURODAC-Treffer) und vorgefundenen polnischen Ausweisdokumenten ist die Zuständigkeit des polnischen Staates gem. der Dublin-Verordnung (EG) Nr. 343/2003 v. 18.02.2003 festgestellt worden. Mit Bescheid vom 13.06.2013 hat das in Dublin-Verfahren allein zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Unzulässigkeit der Asylanträge festgestellt und die Rücküberstellung nach Polen angeordnet. Ein eigenes Ermessen steht der Ausländerbehörde nicht zu. Die Überstellungsanordnungen des Bundesamtes sind zu vollziehen.

 

Die Rücküberstellung der Familie erfolgte am 19.08.2013. Ein zuvor hiergegen beim Verwaltungsgericht Köln gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO blieb erfolglos. Die Familie wurde um 3:45 Uhr ohne Polizeiunterstützung abgeholt und von zwei Bediensteten des Stadtordnungsdienstes Bonn auf dem Landweg an die polnische Grenze nach Görlitz gebracht. Gegen 11:30 Uhr wurde die Familie am Grenzübergang Görlitz der Bundespolizei überstellt. Bei der Abholung und während der Reise nach Görlitz gab es keinerlei Probleme. Vollzugshindernisse insbesondere gesundheitlicher Art waren der Ausländerbehörde nicht bekannt und wurden von der Familie auch nicht vorgetragen.

 

 

1.         Hält die Landesregierung die nächtliche Abschiebung einer alleinerziehenden Frau mit drei kleinen Kindern mit Polizeiunterstützung wie im Falle der Frau K. für angemessen?

 

Wie in der Vorbemerkung der Landesregierung ausgeführt, waren abweichend von der Darstellung des Fragestellers an der Abholung der Familie und deren Verbringung zum Grenzübergang keine Polizeikräfte beteiligt. Das polnische Ausländeramt hatte dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter dem 17.05.2013 mitgeteilt, dass die Betroffenen den polnischen Behörden bis spätestens 14 Uhr zu überstellen seien. Die Ausländerbehörde plante eine Fahrtzeit von mindestens 8 Stunden ein. Dies erklärt die frühe Abholzeit.

 

Grundsätzlich liegt es mit Rücksicht auf die Betroffenen wie auch auf die eigenen Beschäftigten nicht im Interesse der Ausländerbehörden, rückzuführende Personen in den frühen Morgenstunden abzuholen. Zu welcher Uhrzeit die Abholung erfolgen muss, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalles ab.

 

Bei Flugrückführungen, die z. B. von Beamten der Bundespolizei begleitet werden, wird der Zeitrahmen auch von der Bundespolizei mit beeinflusst. Flugtermine werden dann oft so gelegt, dass zur Vermeidung von Übernachtungen ein Rückflug der Begleitbeamten noch am selben Tage erfolgen kann. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf sonstiges Begleitpersonal, zum Beispiel bei einer notwendigen medizinischen Begleitung.

Des Weiteren hängt die Flugzeit von den individuellen Startzeiten der verschiedenen Fluglinien und deren Vorgaben bei Rückführungsmaßnahmen ab. Je nach Entfernung kann darüber hinaus die Ankunftszeit von Bedeutung sein, damit die Betroffenen noch von den Behörden im Zielland in Empfang genommen werden können. Mitbestimmend kann auch die nach einer Ankunft ggf. noch erforderliche Weiterreise bis zum Bestimmungsort sein.

 

Bei Rücküberstellungen auf dem Luftweg in Dublin-Verfahren gibt zudem der aufnehmende Mitgliedstaat für die Übergabe - wie im vorliegenden Fall - nicht selten ein Zeitfenster bis spätestens 14 Uhr vor.

Berücksichtigt man bei alldem noch die notwendige Vorlaufzeit u.a. für die Verbringung zum Flughafen, die Abfertigung und das Einchecken am Flughafen, kann eine Abholung in den frühen Morgenstunden unvermeidbar sein.

 

Im Grundsatz gelten die genannten Einflussfaktoren auch für Landabschiebungen.

 

 

2.       Wie oft sind in den letzten drei Jahren alleinstehende Frauen mit Kindern in Länder der ehemaligen Sowjetunion abgeschoben worden bzw. wie häufig wurde eine Duldung gewährt (bitte getrennt nach Ländern aufführen)?

 

Statistische Angaben liegen hierzu nicht vor. Für die Erhebung der erbetenen Angaben wäre eine Sichtung aller in Betracht kommenden Ausländerakten erforderlich. Dies würde einen unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand erforderlich machen. Auf eine Abfrage bei den Ausländerbehörden wurde deshalb verzichtet.

 

 

3.       Welche Kenntnis hat die Landesregierung über die Abschiebe- bzw. Duldungspraxis in Polen gegenüber aus Teilen der ehemaligen UdSSR stammenden alleinerziehenden Frauen mit Kindern?

 

Die Landesregierung verfügt über keine solchen Erkenntnisse.

 

 

4.       Wie viele der in 2012 in NRW erfolgten Abschiebungen erfolgten nachts (bitte prozentual und in absoluten Zahlen)?

 

Siehe Antwort zu Frage 2.

 

 

5.       Bei wie vielen der in NRW 2012 durchgeführten Abschiebungen wurde auf die Unterstützung der Polizei im Rahmen der Vollzugshilfe schon bei der Abholung der Abzuschiebenden an ihrer Wohnung zurückgegriffen (bitte prozentual und in absoluten Zahlen)?

 

Siehe Antwort zu Frage 2.

In NRW sind für alle ausländerrechtlichen Angelegenheiten die Ausländerbehörden zuständig (Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerwesen (ZustAVO) vom 15. Februar 2005; SGV. NRW. 26). Die Polizei des Landes NRW wirkt bei Rückführungen grundsätzlich nicht mit.

Ein Unterstützungsersuchen richten die Ausländerbehörden an die Landespolizei regelmäßig nur in Fällen mit einer besonderen Gefährdungslage, in denen zu befürchten ist, dass sie von den Beschäftigten der Ausländerbehörden nicht alleine bewältigt werden könnte. Auf Widerstandshandlungen können die Beschäftigten von Ausländerbehörden in der Regel in geeigneter Weise ohne polizeiliche Unterstützung reagieren.