LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/2655

 

17.04.2013

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 980 vom 20. März 2013

der Abgeordneten Frank Herrmann und Dirk Schatz   PIRATEN

Drucksache 16/2439

 

 

 

Ausstiegsprogramme beim Verfassungsschutz – Evaluierung

 

 

 

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 980 mit Schreiben vom 17. April 2013 namens der Landesregierung beantwortet.

 

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

In der Ausgabe des Spiegels Nr. 2/2013 erklärte das Innenministerium NRW, dass der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren 130 Neonazis beim Ausstieg geholfen habe. Momentan befänden sich 40 Männer und Frauen im Aussteigerprogramm – mehr als doppelt so viele, wie man wohl erwartet hatte. Als Grund für die laut Innenministerium stark gestiegene Anzahl sieht Innenminister Ralf Jäger die Verbote der Kameradschaften im August letzten Jahres. Diese Einschätzung kann man allerdings nur schwer beurteilen, da die Daten des Aussteigerprogramms nicht allgemein zugänglich sind. Der Rechtsextremismus-Experte Alexander Häusler warnt, dass es unter den Aussteigern im Verfassungsschutz-Programm nicht jeder Neonazi ernst meine. Viele versuchten so, ihrer Strafe zu entgehen oder diese zu mildern.

 

Im Dezember 2013 kündigte der Verfassungsschutz NRW ein Aussteigerprogramm für Salafisten an. Da es aber keinerlei Evaluationen zum Aussteigerprogramm für Neonazis gibt, kann man schwer beurteilen, ob der staatliche Nachrichtendienst die richtige Organisation ist, um solche Aussteigerprogramme zu betreuen.

 

 

 

 

 

1.         Wie sieht der Verlauf eines Ausstiegsprozesses im Rahmen des Aussteigerprogramms aus?

 

Jeder Ausstieg ist ein individueller Prozess, der eigenen Anforderungen und Bedürfnissen folgen muss. Er gliedert sich klassischerweise in zwei Bereiche, die nebeneinander stehen und beide erfolgreich umgesetzt werden müssen, um ein Verlassen der rechtsextremistischen Szene zu erreichen.

 

Im Bereich der lebenspraktischen Hilfe wird in Zusammenarbeit mit dem Ausstiegswilligen die derzeitige Lebenssituation erfasst und analysiert. Es werden gemeinsam Strategien erarbeitet, wie vorhandene Problembereiche identifiziert und aufgelöst werden können. Ziele sind die Stabilisierung der Person und die Entwicklung positiver Perspektiven, beides ist gleichermaßen notwendig für einen nachhaltigen Ausstiegsprozess.

 

Für einen erfolgreichen Ausstieg ist zudem die kritische Auseinandersetzung mit rassistischen, undemokratischen Weltbildern unabdingbar. Hier werden rechtsextremistische Einstellungsmuster aufgearbeitet und ein positiver Bezug zu demokratischen Grundwerten wird entwickelt.

 

 

2.         Welche Leistungen bekommen ausstiegswillige Personen vom Land NRW? (Bitte nach Art und ggf. Höhe der Leistungen aufschlüsseln)

 

Das Aussteigerprogramm ist von der Leitidee der "Hilfe zur Selbsthilfe" getragen. Daher erhalten Ausstiegswillige grundsätzlich keine finanziellen Pauschalleistungen durch das Aussteigerprogramm. Die zentralen zur Verfügung gestellten Leistungen sind Betreuung und Beratung. Für Hilfestellungen in besonderen Situationen und sofern nicht andere Geldmittel vorrangig durch andere Institutionen geleistet werden, besteht die Möglichkeit, zum Beispiel für den Ersatz von Szene-Bekleidung, die Entfernung von szenetypischen und strafbaren Tätowierungen, ausnahmsweise einen Zuschuss zu gewähren. Es handelt sich hierbei um kleinere Beträge, die nach einer Einzelfallprüfung gewährt werden können. In vielen Fällen, zum Beispiel bei erforderlichen Umzügen, werden diese Beträge als zinslose Darlehen gewährt. Es handelt sich hierbei ganz überwiegend um Beträge  im niedrigen dreistelligen Bereich, die nach einer Einzelfallprüfung gewährt werden können. Ausdrücklich nicht verwendet werden solche Mittel für die Begleichung von Geldstrafen.

 

 

3.         Wie definiert die Landesregierung einen erfolgreichen Ausstieg aus der rechtsextremen Szene?

 

Ziel bei der Begleitung von Ausstiegswilligen ist es zu erreichen, dass ein eigenständiges Leben außerhalb der rechtsextremistischen Szene möglich wird und das rechtsextremistische Denken reflektiert und aufgearbeitet wird. Kritisches Hinterfragen von bisherigen Einstellungen, der Abbau von szenetypischen Feindbildern und Gewaltabstinenz sind dabei wichtige Bestandteile. Weitere Kriterien sind: Abbruch aller Kontakte zur rechtsextremistischen Szene, keine Beteiligung an rechtsextremistischen Aktivitäten, keine Straftaten (insbesondere politisch motiviert oder mit Gewaltbezug), Bekenntnis zu Pluralismus und Parlamentarismus sowie Abkehr von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass.

 

 

4.         Wie viele als erfolgreich zu bewertende Ausstiege hat es seit 2001 gegeben?

 

Im Sinne der obengenannten Definition gab es 131 erfolgreiche Ausstiege.

5.         Existiert eine regelmäßige externe, von unabhängigen Wissenschaftlern durchgeführte Evaluation des Aussteigerprogramms? (Wenn ja, welche Ergebnisse hat diese Evaluation erzielt? Wenn nein, warum gibt es keine externe Evaluation?)

 

Das Aussteigerprogramm des Landes NRW wurde 2007 durch die Forschungsstelle – Terrorismus/Extremismus – des Bundeskriminalamts evaluiert. Die Ergebnisse bestätigen den Erfolg des Programms. Nach ihrer Aufnahme in das Programm wurden  ca. 90 Prozent der erfassten Aussteiger nicht mehr straffällig. Gemessen an der immens hohen Straffälligkeitsrate vor Aufnahme in das Programm (83 Prozent) ist dies als großer Erfolg zu werten.

 

Aktuell ist eine weitere Evaluation in Vorbereitung, die voraussichtlich im Jahr 2014 ebenfalls durch ein externes Institut durchgeführt werden soll.