LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/2631

 

16.04.2013

 

 

 

 

Antrag

 

der Fraktion der PIRATEN

 

 

 

 

EU-Visumfreiheit für die Länder des westlichen Balkans muss bestehen bleiben!

 

 

I.          Sachverhalt:

 

Mit der Annahme der Visumverordnung (EG) Nr. 539/2001 wurde die EU-Visumpolitik grundlegend verändert und vereinheitlicht. Als Grundlage der gemeinsamen europäischen Visumpolitik erwirkte die genannte Verordnung die Aufstellung einer Liste von Drittländern, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen des Schengen-Raums im Besitz eines Visums sein müssen (sogenannte „Negativliste“), sowie einer Liste jener Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumspflicht befreit sind (sogenannte „Positivliste“).

 

Seit ihrer Annahme wurde die Verordnung mehrfach geändert. Die Änderungen betrafen überwiegend die Überarbeitung der beiden Listen, zumeist in Form der Überführung einzelner Staaten in die Positivliste. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sind weitere Änderungen an der EU-Visumpolitik wie die Einführung einer Schutzklausel und eine Änderung des Gegenseitigkeitsmechanismus vorgesehen.

 

Seit der Überführung der meisten Länder des westlichen Balkans in die Positivliste (Wegfall der Visumpflicht) in 2009 wurde in Deutschland zwischenzeitlich ein teils signifikanter Anstieg von Asylanträgen aus einigen dieser Länder, namentlich von aus Serbien und der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien stammenden Angehörigen der Volksgruppe der Roma, festgestellt. Der Anstieg der Asylbewerberzahlen hatte auch Kommunen in Nordrhein-Westfalen stark belastet und zu Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung der Antragsteller geführt. Mit der Erhöhung der Haushaltsmittel an entsprechender Stelle (Landeshaushalt 2013, Kapitel 03 030: Landesmaßnahmen für Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge) wurde diesem Umstand Rechnung getragen und eine angemessene Finanzierung ermöglicht. Die Asylanträge aus den genannten Ländern sind zuletzt wieder gesunken.

 

Insbesondere auf Drängen Deutschlands im EU-Ministerrat hat die Europäische Kommission im Mai 2011 einen Verordnungsvorschlag vorgelegt (KOM(2011) 290), der unter anderem vorsieht, eine Visumschutzklausel einzuführen, die eine vorübergehende Aufhebung der Befreiung eines in der Positivliste geführten Drittlandes von der Visumspflicht „in Notlagen“ ermöglicht, in denen davon ausgegangen wird, dass eine „dringliche Reaktion erforderlich ist, um Schwierigkeiten von Mitgliedsstaaten zu beheben“.

 

Der jüngst vom Innenausschuss des Europäischen Parlaments angenommene Gesetzesvorschlag soll der Europäischen Kommission nun die Möglichkeit einräumen, auf Antrag eines oder mehrerer Mitgliedstaaten und nach vorheriger Prüfung für einen begrenzten Zeitraum die Visumpflicht wieder einzuführen, wenn es innerhalb eines Sechsmonatszeitraums zu einem „substanziellen und plötzlichen Anstieg“ der Zahl von hauptsächlich als „unbegründet“ abgelehnten Asylanträgen, der Zahl von sich ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaat aufhaltenden Drittstaatsangehörigen oder der Zahl von abgelehnten Rückübernahmeersuchen im Vergleich zum vorangehenden Sechsmonatszeitraum gekommen ist.

 

Die beschriebene Visumschutzklausel würde bei Annahme des Legislativvorschlags voraussichtlich auf Antrag Deutschlands sogleich Anwendung auf Staatsbürger Serbiens und Mazedoniens finden.

 

Nach dem Beschluss des EP-Innenausschusses werden nun die Europäische Kommission, der Rat und das Europäische Parlament zeitnah über einen Kompromiss verhandeln.

 

 

II.         Der Landtag stellt fest:

 

1.   Die Visumfreiheit für Drittstaatsangehörige ist eine Errungenschaft der Europäischen Union, von der die Menschen, aber auch die lokale Wirtschaft und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen und Deutschland profitieren.

 

2.   Die Beschränkung der Reisefreiheit mittels der Aussetzung der Visumfreiheit für einzelne Drittstaaten ist eine unverhältnismäßige Pauschalmaßnahme und stellt keine nachhaltige oder langfristige Lösung des unterstellten Missbrauchs der Reisefreiheit in die EU dar. Vielmehr sollte auf europäischer Ebene darauf gesetzt werden, nach Lösungen in den jeweiligen Herkunftsländern zu suchen, welche die Lebenssituation der betroffenen Volksgruppen, insbesondere der in ihren Herkunftsländern diskriminierten und ausgegrenzten Roma, verbessert bzw. Möglichkeiten zur legalen Einreise aufzeigt.

 

3.   Alleine der Anstieg der Zahl von Asylsuchenden in einem oder einigen wenigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union darf kein Grund dafür sein, die EU-Visumbefreiung für einzelne Drittstaaten auszusetzen; das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl würde somit diskreditiert.

 

4.   Angesichts der im europäischen Vergleich verhältnismäßig niedrigen Zahlen von Asylanträgen in Deutschland ist der öffentliche Druck, der seitens einiger Stimmen aus der Bundesregierung gegen die Visumfreiheit für die Länder des westlichen Balkans aufgebaut wird, vollkommen unverhältnismäßig und birgt die imminente Gefahr, weitere Ressentiments gegenüber Asylsuchenden aus den betreffenden Drittstaaten aufzubauen.

 

5.   Die Einführung eines Mechanismus zur Aussetzung der zuvor erteilten Visafreiheit für Drittstaatsangehörige birgt immenses Missbrauchspotenzial durch die handelnden Akteure in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. So ist beispielsweise denkbar, dass die Visumklausel in einigen, insbesondere zentraleuropäischen, EU-Mitgliedstaaten als politisches Druckmittel gegenüber nationalen Minderheiten eingesetzt wird.

 

6.   Eine mögliche Wiedereinführung der Visumspflicht für die Länder des westlichen Balkans, und vornehmlich Serbien und Mazedonien, wäre ein schwerer Rückschlag für die Annäherung dieser Länder an die Europäische Union. Die Einreise ohne Visum ist für viele Länder des Westbalkans eine der bisher wenigen sichtbaren Errungenschaften aus den Assoziationsgesprächen mit der EU. Die Glaubwürdigkeit der EU würde infolge einer Aussetzung der Visumfreiheit auf Antrag einzelner EU-Mitgliedstaaten Schaden nehmen.

 

 

III.        Der Landtag beschließt:

 

Der Landtag NRW bittet die Landesregierung, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass

 

1.   die deutsche Bundesregierung von ihrer im EU-Ministerrat vertretenen Haltung zur baldigen Einführung eines Mechanismus zum Aussetzen der zuvor durch die EU erteilte Visumfreiheit abrückt.

 

2.   zu jeder Zeit eine angemessene und der vorhersehbaren Entwicklung des Aufkommens an Asylbewerbern entsprechenden Ausstattung der nordrhein-westfälischen Infrastruktur des Asylsystems gewährleistet ist.

 

3.   die betreffenden Drittstaaten des westlichen Balkans (nachdrücklich) aufgefordert werden, insbesondere die Lebenssituation der dort ansässigen Roma durch Integrationsmaßnahmen und Armutsbekämpfungsstrategien signifikant zu verbessern und deren Diskriminierung und Ausgrenzung zu bekämpfen.

 

 

 

 

Dr. Joachim Paul

Monika Pieper

Nicolaus Kern

Frank Herrmann

 

 

und Fraktion