LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/2532

 

05.04.2013

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 969 vom 13. März 2013

des Abgeordneten Frank Herrmann   PIRATEN

Drucksache 16/2314

 

 

Nachfrage zu den Anfragen „Präzisierung der Zahlen über Gewalttäter im Zusammenhang mit Fußballspielen“ und „Bereichsbetretungsverbote im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen“

 

 

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 969 mit Schreiben vom 4. April 2013 namens der Landesregierung beantwortet.

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

In der Anhörung des Innenausschusses am 7. März zum Antrag „Gegen Randalierer im Zusammenhang mit Fußballspielen konsequent vorgehen“ kritisierte u.a. der eingeladene Experte Prof. Dr. Thomas Feltes die Datenerfassung und -auswertung der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) als unzureichend. In seiner Stellungnahme weist er darauf hin, dass die ZIS „nähere Angaben“ und eine „wissenschaftliche Kooperation“ verweigere sowie eine seriöse und kriminologische Analyse der Daten gänzlich fehle. Er zieht daraus den Schluss, dass die Statistik der ZIS keine geeignete Grundlage zur Beurteilung der Sicherheit im Rahmen von Fußballspielen darstelle. Herr Feltes schreibt, dass die Daten der ZIS politisch missbraucht würden. Die ZIS könne Fragen z. B. nach der Anzahl der Strafverfahren, die zu Verurteilungen führen, nach durch Polizei und Ordnungskräfte verursachten Verletzungen, der Anzahl der Unfall- und Gewaltverletzungen, der Anzahl der zurückgenommen Stadionverbote, der Anzahl der freiheitsentziehenden Maßnahmen, die zu einem Strafverfahren, einem Gerichtsprozess oder einer Verurteilung geführt haben, nicht beantworten. Auch die steigenden Besucherzahlen würden nicht einbezogen.

 

Die unzureichenden polizeistrategische und kriminologische Analyse der ZIS führte auch dazu, dass, während der kontroversen Diskussion über den Einsatz von V-Leuten / Vertrauenspersonen[1] nach Maßgabe § 19 PolG in Fangruppierungen in der Innenausschusssitzung des Landtags NRW am 31.1.2013, Abgeordnete und auch die Berichterstatter der Landesregierung an ihre Grenzen stießen, als es um die Belegung einer außergewöhnlichen Gefährdungslage und um das Ausmaß an schwerwiegenden Straftaten rund um die Fußballspiele ging. Es wurde oft mit Einzelbeispielen argumentiert, aber es konnten keine empirischen Daten oder gar Studien genannt werden, die z. B. Meldungen des Ministeriums für Inneres und Kommunales (MIK) am 19.11.2012 über eine Zunahme von Straftaten oder Verletzten rund um die Spiele belegt hätten.

 

In den Antworten der Landesregierung auf unsere zwei kleinen Anfragen „Präzisierung der Zahlen über Gewalttäter im Zusammenhang mit Fußballspielen“ und „Bereichsbetretungsverbote im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen“, durch die wir genauere Zahlen in Erfahrung bringen wollten, heißt es: „Die in der Kleinen Anfrage erbetenen Daten werden weder im standardisierten polizeilichen Informationsaustausch Fußball erhoben noch in polizeilichen Statistiken erfasst. In den Statistiken der Strafrechtspflege werden entsprechende Verfahren nicht gesondert erfasst. Eine Sondererhebung, die landesweit eine händische Auswertung aller theoretisch in Betracht kommenden Vorgänge erfordern würde, ist in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.“

 

Diese Aussagen der Regierung verwundern, denn seit 20 Jahren sorgt doch die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) nach eigenen Angaben u. a. für aufgabenorientierten Informationsaustausch, stellt Polizeibehörden alle polizeilich bekannten Hintergrundinformationen zur Verfügung und ist für die Beantwortung von Anfragen, die Datenpflege, die Qualitätssicherung und den rechtlichen Rahmen der „Datei Gewalttäter Sport“ zuständig. Zudem erstellt sie im Nachgang zu jeder Saison den Jahresbericht Fußball, dessen Daten immer wieder herangezogen werden, wenn von einer Zunahme von Gewalt, Verletzten und Polizeieinsätzen die Rede ist.

 

 

Vorbemerkung der Landesregierung

 

Der standardisierte polizeiliche Informationsaustausch bei Sporteinsätzen hat sich in einer langjährigen Praxis bewährt. Hieran sind neben den zuständigen Polizeibehörden an den Spielorten und der Bundespolizei die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), die Landesinformationsstellen Sporteinsätze sowie die Informationsstelle Sporteinsätze der Bundespolizei beteiligt. Durch den standardisierten Informationsaustausch stellen alle Beteiligten sicher, dass die zuständigen Polizeibehörden spieltäglich über alle für eine erfolgreiche Einsatzbewältigung erforderlichen Informationen verfügen.

 

Die Datenerhebung und -aufbereitung durch die ZIS und die weiteren Beteiligten dient ausschließlich dem Zweck, den polizeilichen Informationsaustausch sicherzustellen. Das Verfahren ersetzt nicht die spezifische Datenerhebung und Analyse des Gewaltphänomens im Zusammenhang mit Fußballspielen im Rahmen kriminologischer Untersuchungen.

 


 

Ist die Landesregierung der Ansicht, dass die Datenerfassung und -aufbereitung für die ZIS-Statistik verändert werden müsste, um relevante Fragestellungen – wie oben geschildert – nachvollziehbar beantworten zu können? (Bitte mit Begründung)

 

Nein.

 

Im Rahmen des standardisierten Informationsaustausches bei Sporteinsätzen werden die Informationen erhoben, die für die polizeiliche Einsatzbewältigung und die Darstellung der Sicherheitslage notwendig sind. Das Fanverhalten auf den Reisewegen, am Veranstaltungsort und im Stadion sowie dessen Folgen kennzeichnen die Sicherheitslage im Zusammenhang mit Fußballspielen. Relevant ist insbesondere gefährliches sowie strafrechtliches oder ordnungswidriges Verhalten. Wird strafrechtlich relevantes Verhalten durch die Polizei festgestellt oder bei ihr angezeigt, leitet sie entsprechende Strafverfahren ein.

 

Verknüpfungen der erhobenen Informationen mit Daten zu Verurteilungen, Stadionverboten und zum Zuschaueraufkommen sind nicht geeignet, die Darstellung und Bewertung der Sicherheitslage zu verbessern.

 

Verurteilungen sind nur ein Beleg dafür, wie gut die Beweisführung der Täterschaft gelungen ist und damit kein geeigneter Maßstab für die Sicherheitslage. Die Möglichkeiten der Beweisführung und der Identifizierung von Tätern werden u. a. durch dynamische Lageentwicklungen bei gewalttätigen Auseinandersetzungen sowie durch Vermummungen und Solidarisierungsaktionen beeinträchtigt. Auch wenn in einem Strafverfahren der Tatnachweis bei einem Beschuldigten nicht mit der erforderlichen Sicherheit geführt werden kann, so stellt dies grundsätzlich nicht in Frage, dass die angezeigte Straftat verübt wurde oder eine gefährliche Situation durch das Verhalten entstanden ist.

 

Vergleichbares gilt im Übrigen auch für die Zahl der festgesetzten oder aufgehobenen Stadionverbote als Maßstab.

 

Auch sind steigende Besucherzahlen keine geeignete Bezugsgröße, da Gewalt und Gefahren nicht von der großen Mehrheit der friedlichen Fans ausgehen, die für die Zuschauerzuwächse verantwortlich sind, sondern von einer überschaubaren Zahl gewaltbereiter Personen.

 

Seit 20 Jahren ist der ZIS Jahresbericht Fußball eine wesentliche Grundlage für die Darstellung und Bewertung der bundesweiten Entwicklung der Sicherheitslage im deutschen Fußball. Das Grundgerüst des Berichts bilden die Daten zur Anzahl der eingeleiteten Strafverfahren, der freiheitsentziehenden Maßnahmen, der Verletzten, der Einsatzstunden der Polizeien der Länder und des Bundes sowie der gewaltgeneigten oder gewaltbereiten Personen. Diese Daten werden in einem bundesweit abgestimmten, standardisierten Verfahren erhoben. Darüber hinaus sind allein in der letzten Saison die Erkenntnisse aus mehr als 2.000 Verlaufsberichten der Polizeibehörden zu den einzelnen Spielbegegnungen in die Erstellung des ZIS Jahresberichtes Fußball eingeflossen. Ergänzend berichten die Polizeibehörden jährlich ihre Einschätzungen und Erfahrungen zu bestimmten Aspekten, wie z. B. dem räumlichen Schwerpunkt von Straftaten, der Altersstruktur der von Freiheitsentziehungen Betroffenen, auftretenden Gewaltphänomenen und dem Verhalten von Fangruppen. Dieses über Jahre etablierte Verfahren bildet die Entwicklung der Sicherheitslage verlässlich ab und ermöglicht so eine Vergleichbarkeit.

 



[1]   „V-Leute (= Vertrauenspersonen): Privatpersonen, die bereit sind, die Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit [Hervorhebung im Original, FH] vertraulich zu unterstützen, und deren Identität grundsätzlich geheim gehalten wird.“ http://heinrich.rewi.hu-berlin.de/doc/strpr/21_verdeckte_ermittler.pdf. Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/V-Person.