LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/1128

 

15.10.2012

 

 

Neudruck

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 430 vom 10. September 2012

des Abgeordneten Dirk Schatz   PIRATEN

Drucksache 16/859

 

 

 

„Homepageüberwachung“: Haben Polizeibehörden mehr Fahndungsseiten überwacht als bisher bekannt?

 

 

 

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 430 mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet.

 

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

Im Rahmen der eigenen Aufgabenwahrnehmung und zur Unterstützung der Polizeien des Bundes und der Länder fahndet das Bundeskriminalamt (BKA) nach Personen und Sachen. Aktuelle Fahndungsausschreibungen werden auf der Internetseite www.bka.de veröffentlicht.

Seit 2001 hat das BKA eine so genannte „Homepageüberwachung“ durchgeführt. Dabei wurden bei “besonders auffälligen Zugriffen” auf Fahndungsseiten die Anschlussinhaber hinter den zugreifenden IP-Adressen ermittelt. Mit technischen Maßnahmen (u.a. Cookies und Web Bugs) wurden bei ausgewählten Fahndungsseiten die Zugriffe von Internetnutzern in einer Weise registriert, die Schlüsse darauf zulässt, ob von einem bestimmten Computer oder Anschluss aus auffällig oft eine bestimmte Fahndungsmeldung abgerufen wurde. Durch die dabei erfolgende Registrierung der zugreifenden IP-Adresse und die sich anschließende Bestandsdatenauskunft nach den §§ 161, 163 StPO i.V.m. § 113 TKG konnten Name und Anschrift des jeweiligen Anschlussinhaber ermittelt werden. Dahinter steht die Annahme, dass insbesondere die gesuchte Person an Informationen über die Fahndung nach ihr interessiert ist und deshalb die sie betreffende Fahndungsseite wiederholt aufrufen wird, so dass die Registrierung dieser Vorgänge zum Auffinden der Person beitragen kann.

Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat in einem Schreiben vom 02.02.2009 jedenfalls ausdrücklich festgestellt, dass die „Homepageüberwachung“ nicht nur einfachgesetzlichen Regelungen entgegensteht (StVO, TMG), sondern auch gegen verfassungsmäßige Prinzipien verstößt („Die ‚Homepageüberwachung‘ führt zu einer Speicherung und Verwendung personenbeziehbarer und damit personenbezogener Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 BDSG, mithin zu einem Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Darüber hinaus erscheint auch das durch Art. 5 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, beeinträchtigt.“).

Dieses Schreiben gründet auf dem Urteil des Amtsgerichts Berlin Mitte vom 27.03.2007 (5 C 314/06), welches dem BMJ untersagte (personenbezogene) Daten, die im Zusammenhang mit der Nutzung der Webseite www.bmj.bund.de übertragen wurden, über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs hinaus zu speichern.

 

Einem Medienbericht vom Juni dieses Jahres zufolge überwacht und registriert die Polizei Heilbronn aktuell jeden Besucher der Webseite www.polizei-heilbronn.de. Der Mordfall einer Polizistin wird zum Anlass dieses Vorgehens genommen. Das Bundeskriminalamt soll die Polizei Heilbronn dabei unterstützen und dies obwohl das BMJ die „Homepageüberwachung“ ausdrücklich verboten hat.

 

 

1.       In welchen Fällen haben die Landesbehörden in NRW seit 2001 eine sogenannte "Homepageüberwachung" durchgeführt bzw. anderen Behörden dabei assistiert, wie es z.B. die Frankfurter Rundschau (Andreas Förster „Mysteriöser PC-Nutzer in der Staatskanzlei“ vom 27.8.2012) hinsichtlich der Ermittlungen zu rassistischen Morden des NSU über auf-gespürte "verdächtige" Zugriffe aus der sächsischen Staatskanzlei berichtet (bitte aufgelistet nach Zeitpunkt und Dauer der Maßnahme sowie ausführende/beauftragende Behörde)?

 

Die Polizeibehörden des Landes Nordrhein-Westfalen haben seit 2001 in 22 Fällen eine sogenannte Homepageüberwachung als Ermittlungsinstrument eingesetzt. Die Maßnahmen wurden durch die ermittlungsführenden Dienststellen beauftragt und mit einer Ausnahme (s. Antwort zu Frage 4) durch das BKA durchgeführt. Eine detaillierte Darstellung ist der folgenden Tabelle zu entnehmen:

 

Ermittlungsführende

Behörde

Delikt

Zeitraum

Beginn

Dauer

PP Aachen

Zweifaches Tötungsdelikt

2003

2 Wochen

PP Bielefeld

Tötungsdelikt

2007

6 Wochen

Tötungsdelikt

2005

8 Wochen

Tötungsdelikt

2008

12 Wochen

PP Bochum

Serie von Sexualdelikten

2002

5 Wochen

PP Bonn

Serie von Sexualdelikten

2006

4 Wochen

PP Düsseldorf

Tötungsdelikt

2006

24 Wochen

Tötungsdelikt

2007

5 Wochen

PP Duisburg

Sexualdelikt

2004

3 Wochen

Brandstiftung

2006

1 Woche

Androhung von Straftaten / Brandstiftung

2007

4 Wochen

PP Hagen

Tötungsdelikt

2006

 

Tötungsdelikt

2007

16 Wochen

Tötungsdelikt

2005

20 Wochen

KPB Heinsberg

Tatkomplex aus Tötungsdelikt und vier Sexualdelikten

2006

7 Wochen

PP Köln

Sprengstoffanschlag

Keupstraße

2004

12 Monate

Tötungsdelikt

2005

9 Monate

Tötungsdelikt

2007

8 Monate

PP Mönchengladbach

Tötungsdelikt

2010

16 Wochen

PP Münster

Schwerer Raub

2006

6 Wochen

KPB Wesel

Brandstiftung

2004

15 Wochen

LKA NRW

Zielfahndung nach einem Mehrfachmörder nach dessen Ausbruch aus der Haftanstalt

2003

6 Jahre

 

 

2.       In wie vielen Fällen ergaben sich durch das Instrument der „Homepageüberwachung“ Hinweise, die auf anderen Wegen nicht erlangt worden wären?

 

Polizeiliche Ermittlungen sind gekennzeichnet durch eine Vielzahl unterschiedlicher Ermittlungsmaßnahmen, von denen im jeweiligen Einzelfall in der Regel nur einzelne, häufig auch nur in ihrer Kombination, unmittelbar zum Ermittlungserfolg führen. Bei der Homepageüberwachung liegen in einem Fall nachvollziehbare Erkenntnisse vor, wonach Hinweise aus dieser Maßnahme in Kombination mit anderen Spuren zur Identifizierung und Festnahme von zwei Tätern führten.

 

 

3.       Ab welcher Häufigkeit sind Zugriffe verdächtig?

 

Die Häufigkeit der Zugriffe ist alleine kein ausreichendes Bewertungskriterium. Ein Verdacht ergibt sich erst in Verbindung mit anderen Bewertungskriterien und Ermittlungsspuren.

 

 

4.       Wird die so genannte "Homepageüberwachung" auch nach dem Verbot durch das BMJ im Februar 2009 angewendet?

 

Im Jahre 2010 führte das PP Mönchengladbach im Mordfall „Mirco“ eine Homepageüberwachung durch. Diese Maßnahme wurde durch einen Beschluss des AG Krefeld gem. § 100g StPO angeordnet.